Lassiter Sammelband 1857 - Jack Slade - E-Book

Lassiter Sammelband 1857 E-Book

Jack Slade

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Beschreibung

Seit über 30 Jahren reitet Lassiter schon als Agent der "Brigade Sieben" durch den amerikanischen Westen und mit über 2000 Folgen, mehr als 200 Taschenbüchern, zeitweilig drei Auflagen parallel und einer Gesamtauflage von über 200 Millionen Exemplaren gilt Lassiter damit heute nicht nur als DER erotische Western, sondern auch als eine der erfolgreichsten Western-Serien überhaupt.

Dieser Sammelband enthält die Folgen 2452, 2453 und 2454.

Sitzen Sie auf und erleben Sie die ebenso spannenden wie erotischen Abenteuer um Lassiter, den härtesten Mann seiner Zeit!

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Seitenzahl: 391

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Jack Slade
Lassiter Sammelband 1857

BASTEI LÜBBE AG

Vollständige eBook-Ausgaben der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgaben

Für die Originalausgaben:

Copyright © 2019 by

Bastei Lübbe AG, Schanzenstraße 6 – 20, 51063 Köln

Vervielfältigungen dieses Werkes für das Text- und Data-Mining bleiben vorbehalten.

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Für diese Ausgabe:

Copyright © 2023 by

Bastei Lübbe AG, Schanzenstraße 6 – 20, 51063 Köln

Covermotiv: © Norma/Boada

ISBN: 978-3-7517-4726-4

https://www.bastei.de

https://www.sinclair.de

https://www.luebbe.de

https://www.lesejury.de

Lassiter Sammelband 1857

Cover

Titel

Impressum

Inhalt

Lassiter 2452

Die Rebellen vom Jigsaw Peak

Lassiter 2453

Vier Gräber am Amargosa

Lassiter 2454

Gefangene der Felsenfestung

Guide

Start Reading

Contents

Die Rebellen vom Jigsaw Peak

Die angeheuerten Revolvermänner aus Grand Junction trugen schwere Pelzjacken und starrten Garry Dodge mit finsteren Mienen an. Sie waren aus dem gleichen Holz geschnitzt wie die Kerle, mit denen Dodge schon hinauf zur Nims Mine gezogen war.

»Was für’n garstiges Wetter!«, meinte einer der Männer und wischte sich den gefrorenen Rotz von der Nase. »Die ganze Nacht hat’s gestürmt! Wäre für ’nen Fünfziger extra für jeden!«

Die Gleise waren unter vierzig Fuß Schnee begraben und würden es selbst noch am Himmelfahrtstag sein. Es gab kein Durchkommen für die Lokomotive der Cold Mine und damit kein Eisenerz für die Agenturen unten in Gunnison. Die Cold Mine von James Taylor stand vor dem Ruin.

»Dreißig Kröten!«, bot Dodge an. »Aber dafür bringt ihr den alten Taylor ins Grab!«

O.Der stattliche Vollbart von James Taylor war mit Schnee und Eiskristallen verkrustet, als der frühere Schuhmacher und derzeitige Eigentümer der Cold Mine aus dem Stollen kroch. Die Nacht hatte zwanzig Fuß frischen Schnee gebracht, der sich an den Hängen des Jigsaw Peak wie ein Hermelinfell ausnahm. Die Fangzäune oben am Turmoil Point hatten das Gröbste davon halten können.

»Raus mit dem Zeug!«, brüllte Taylor zu seinen beiden ältesten Söhnen John und Rod hinüber. Die Brüder hatten die schmale Baldwin-Lokomotive angeheizt, die sie im letzten Sommer aus South Dakota geholt hatten. »Das Wasser im Tank friert ein!«

Die bissige Kälte der vergangenen Wochen hatte Taylor und dessen fünf Söhnen die Schufterei in den beiden Stollen der Cold Mine zusätzlich erschwert, deren Ausbeute mit zwanzig Tonnen im letzten Jahr so dürftig wie nie zuvor gewesen war. Sie hatten in Gunnison Schulden aufnehmen müssen, um nicht am Hungertuch nagen zu müssen.

»Hetz uns nicht, Papa!«, rief John zurück und nahm die Mütze vom Kopf. Er hatte das schmale Gesicht seiner Mutter und die zupackenden Hände von Taylor selbst. »Die alte Dame braucht ihre Zeit! Sie soll ohne Hast hinunter nach Gunnison fahren, nicht?«

Der Alte nickte gequält und schob die Lore mit ausgestreckten Armen über die letzte Anhöhe. Er starrte auf die Erzbrocken vor sich, zwischen denen der Schnee hindurchpeitschte. »Soll sie, Junge, das soll sie! Aber wenn wir’s nicht endlich vom Berg kriegen, können wir einpacken! Denkt an eure Mutter unten im Tal!«

Das winzige Haus, das sie für Taylors Frau Ellen erworben hatten, genügte gerade für das Nötigste. Es besaß eine schmale Küche, eine Speisekammer, eine Schlafstube und einen Wohnsalon, in dem Ellen jedoch ihren Gemischtwarenladen betrieb. Sie war schweren Herzens im Tal geblieben, nachdem die Winterstürme über den Jigsaw Peak hereingebrochen waren.

»Kipp es hier rüber!«, schrie der zwei Jahre jüngere Rod gegen das Getöse des Sturms an. Er war seinem älteren Bruder fast wie aus dem Gesicht geschnitten und eiferte ihm in jeder Hinsicht nach. »Ich schaufle es in den Kohletender! Wenn wir nur mit der Lokomotive fahren, kann uns der Sturm nichts anhaben!«

Die Cold Mine war die letzte Mine am Berg und warf zumindest noch solche Mengen Erz ab, dass es Taylor um seine Söhne nicht ausschließlich bange sein musste. Sie hatten die Leute von der Nims Mine verschwinden sehen, davor die Männer von Red Mine und der deutlich kleineren Carly Bob Mine.

Sie waren die Letzten am Jigsaw-Massiv.

Eine halbe Stunde verstrich im heulenden Schneesturm, bis John und Rod den Inhalt der Lore in den Kohletender geschaufelt hatten. Sie waren anstelle von Harrison und Danny geblieben, die Taylor davor geholfen und darüber krank geworden waren. Von ihrem zurückgebliebenen Bruder Oscar sprach in der Familie niemand.

»Erledigt!«, erklärte John stolz und schwang sich mit einem Satz in den Führerstand der Baldwin-Lokomotive. Er schlug den Druckhebel herum und beugte sich aus dem Fenster, um nach dem Kolbengestänge zu sehen. »Kommt mit hoch! Wir fahren alle runter und genehmigen uns einen Scotch im Shield’s !«

»Kommt nicht in Frage!«, protestierte Taylor und hielt sich den Rücken. Er hatte sich unten im Stollen verhoben. »’ne halbe Tonne krieg’ ich diese Woche noch raus! Wir gehen runter und graben weiter! Die Schmelzhütte ist voll Proviant!« Er ging aus dem Weg, als die Lokomotive eine heiße Dampfwolke aus dem Kolben blies. »Wir arbeiten weiter, Jungs!«

Die freudige Erwartung in Rods Zügen erlosch binnen Sekunden. Er warf die Schaufel auf den Tender hinauf und tauschte einen Blick mit seinem Bruder. »Komm doch, Vater! Die paar Erzbrocken retten uns nicht bis zum Mai! Du hast genug geschuftet!«

Ohne es zu merken oder gar zu wollen, setzte Rod den flehenden Blick auf, den Taylor von seiner Frau Ellen kannte. Der Minenbesitzer liebte seine Kinder, jeden Einzelnen dieser verdammten Sippe, und er konnte Rod die Bitte unmöglich abschlagen.

»Kommst du?«, fragte Rod und deutete auf das Führerhaus. »Bis nach Gunnison ist’s höchstens ’ne halbe Stunde! Ich geb’ dir einen aus! Von meinem Geld, Papa!«

Widerstrebend kniff Taylor die Lippen zusammen und nickte. Er schleuderte die Schaufel ebenfalls auf den Tender, verkeilte die Lore auf dem Gleis und stieg zu seinen beiden Jungen hinauf. Der heiße Wasserdampf der Baldwin-Lokomotive brachte den Schnee rechts und links des provisorisch befestigten Schienenstrangs zum Schmelzen.

»Auf nach Gunnison!«, rief John und schlug den Druckhebel ganz hinunter. Er betätigte das Horn am Führerhaus und schaute zur ersten Gleisbiegung unterhalb der Schmelzhütte. »Es geht nach Hause, hört ihr? Es geht nach Hause!«

Der anfängliche Groll in Taylors Magen schwand gänzlich, als sich die Jungen die Arme um die Schultern legten und zusammen die Köpfe aus dem Führerhaus reckten. Sie waren gute Söhne und noch bessere Brüder, auf die Taylor stolz war, ob er es ihnen verriet oder nicht. Er hätte sich keine tüchtigeren Kinder wünschen können.

Die Baldwin stampfte das Gleis hinunter und fuhr bald darauf in die erste Kurve.

Nordwärts braute sich über den Bergspitzen ein weiterer Sturm zusammen und sandte seine tosenden Vorboten zum Jigsaw Peak hinüber. Die Kiefern auf der gegenüberliegenden Flanke bogen sich unter der Gewalt der Böen.

Die Jungen und Taylor würden erst in Gunnison sicher sein.

»Fahrt zu!«, befahl der alte Minenarbeiter. »Fahrt zu!«

Der Servierwagen voller Geldbörsen, hinter dem das Mädchen stand und an ihren Nägeln feilte, setzte sich mit quietschenden Rollen in Bewegung. Er stieß gegen den Tabaktisch neben der Eingangstür und blieb daran hängen. Der Mann auf der Schwelle räusperte sich, worauf die Blondine erschrocken aufsah.

»Sir!«, rief die Verkäuferin und nach vorn. Sie schob den Wagen an dessen alten Platz zurück und setzte ein höfliches Lächeln auf. »Verzeihen Sie meine Unachtsamkeit! Ich hatte Sie nicht bemerkt!«

Das bärtige Gesicht des Fremden war schlammverkrustet und unter der Hutkrempe kaum zu erkennen. »Miss, ich brauche ein Bad und frische Kleider. Ich zahle gut dafür.«

Die Ladenverkäuferin wich vor der reglosen Gestalt an der Tür zurück und tastete sich am Tresen entlang. Sie blieb hinter der Messingkasse stehen und betrachtete den späten Besucher eingehend. »Sir, das Portland’s ist kein Armenhaus. Ich darf und muss Sie bitten, sich eine Herberge in der Stadt zu suchen.«

Der Mann in der Tür hustete und machte einen Schritt von der Schwelle weg. Er hielt sich am Tisch mit dem Tabakschachteln darauf fest und riss eine von ihnen zu Boden. »Ich komme aus Canon City und bin seit zwei Tagen unterwegs. Von meinem Unterschlupf darf niemand erfahren.«

Bleich vor Schreck schüttelte die Verkäuferin den Kopf und zog plötzlich einen .45er Colt unter dem Ladentisch hervor. Sie setzte eine flehende Miene auf. »Zum Teufel, gehen Sie, Sir! Ich will Ihnen kein Leid zufügen müssen. Das Portland’s kennt sich mit Landstreichern wie Ihnen aus.«

Unter den vor Kälte geröteten Händen des Fremden erschien ein Bündel Dollarscheine, das mit einem gekonnten Wurf auf dem Tresen landete. Unter der Banderole steckten mehr als zweihundert Dollar. »Ich arbeite für die Regierung, Miss. Ich bin kein Landstreicher.« Er verzog vor Schmerz das Gesicht. »Mein Name ist Lassiter.«

»Zweihundert Dollar?«, fragte die Verkäuferin des Tabakladens. »Sie zahlen dem Portland’s zweihundert Dollar für einen Zuber heißen Wassers?«

Der erschöpfte Fremde grinste und trat näher. »Hundert für das Portland’s und einhundertzwanzig für Ihr Schweigen. Ich muss geschäftliche Angelegenheiten in Gunnison erledigen. Ich kann keine neugierigen Ohren gebrauchen.«

Misstrauisch klaubte das Mädchen die Geldscheine vom Tisch und zählte sie nach. Als es sich vergewissert hatte, dass zweihundert Dollar keine Übertreibung gewesen waren, sann es einen Augenblick lang nach und nickte. »Sie können meine Kammer für diese Nacht bekommen, Sir. Aber Sie müssen verschwinden, bevor Mr. Portland am Mittag heimkehrt, ja?«

»Einverstanden«, brummte Lassiter und nahm den Mantel von den Schultern.

Das Telegramm aus Washington rutschte Lassiter aus der Hosentasche, als er sich eine Viertelstunde darauf hinter dem Paravent auszog. Er hatte für den stürmischen Divide Creek einen halben Tag gebraucht und war während des Ritts bis auf die Knochen nass geworden. Die gekabelten Zeilen aus der Hauptstadt hatte ihm indes keine andere Wahl gelassen.

»Lavendel?«, rief Millie quer durch die Kammer. Sie hantierte mit einem Kupferkrug voll heißem Wasser. »Möchten Sie Lavendel ins Wasser?«

Der Mann der Brigade Sieben las erneut das Telegramm, in dem ihm aufgetragen worden war, sich in Gunnison mit einem Notar namens Robert McDougall zu treffen, und stopfte es in die Tasche zurück. Er entledigte sich seiner Unterhose und reckte sich. »Mir genügt die Seife, Miss. Den Lavendel heben Sie bloß für sich selbst auf.«

Die blondgelockte Verkäuferin kicherte leise und goss einen weiteren Krug Wasser nach. Sie wandte sich schamvoll zur Seite, als Lassiter nackt hinter dem Paravent hervortrat. »Nehmen Sie Platz, Sir … Es ist eine Weile her, dass ich Herrenbesuch hatte.«

Die geschmackvolle Ausgestaltung der Kammer hatte Lassiter längst verraten, dass Millie allein lebte und daran offenkundig nichts fragwürdig fand. Sie nannte einen opulenten Schminktisch ihr Eigen, auf dem Kajalstifte und Puderdosen standen. Auf dem Bett lag eine makellos weiße Spitzendecke mit Kordelquasten an den Ecken.

Kein Ehemann hätte sich in dieser viktorianischen Hölle wohlgefühlt.

»Wie lang ist es her?«, fragte Lassiter und ließ sich bis zum Hals in den Holzzuber sinken. Er wusch sich das Gesicht und fuhr sich mit der Hand durch die Haare. »Ich meine den letzten Herrenbesuch, Millie.«

In ihrer Schüchternheit hielt Millie ihm weiterhin den Rücken zugekehrt, obwohl sie zur selben Zeit seinen Schatten aus den Augenwinkeln beobachtete. Sie gab vor, ein Kissen aufzuschütteln, und stieß dabei gegen den Spiegeltisch an der Wand. »Schon zu lange, fürchte ich. Es ist nicht leicht für eine Frau, einen anständigen Mann in Gunnison kennenzulernen.«

»Anstand habe ich ebenso wenig zu bieten«, versetzte Lassiter und streckte den Arm nach Millie aus. »Aber ich weiß, was eine Frau glücklich machen könnte.«

Millie erstarrte und drehte langsam den Kopf. Sie blickte auf Lassiters Hand und dessen nackten Oberleib. »Tatsächlich? Was mag denn eine Frau gewöhnlich?«

Mit einem Ruck lehnte sich Lassiter im Wasser nach vorn und ergriff Millie Hand. Er wirbelte das blonde Mädchen herum, zog es zu sich herunter und küsste es leidenschaftlich.

Die blonden Locken der Verkäuferin tanzten über der Wasseroberfläche.

»Was meinen Sie?«, fragte Lassiter und gab Millie behutsam frei. »Sie sind zum Schweigen verpflichtet. Ich bin es ebenso.«

Die junge Frau starrte Lassiter entgeistert an und ließ das blaue Haushaltskleid von den Schultern gleiten. Sie trug eine schwarze Korsage darunter, die unter den Brüsten mit einem roten Seidenband verschnürt war. »Von dieser Nacht erfährt niemand? Auch nicht Mr. Portland?«

»Keine Menschenseele!«, versicherte Lassiter und ließ sich zurück ins Wasser gleiten. »Du und ich und ein Badezuber ohne Lavendel.«

Nach einem kurzen Zögern stieg Millie zu Lassiter in den Zuber und setzte sich rittlings auf ihn. Sie kümmerte sich nicht um das heiße Wasser, das Schwall um Schwall über den Wannenrand floss, und griff nach Lassiters prallem Pint.

»Runter damit!«, befahl Lassiter und deutete auf die Korsage. Er zog das Seidenband aus den Laschen. »Oder soll sie ganz und gar nass werden?«

Aus Millies Worten sprachen Lust und Begierde. »Dafür ist’s schon zu spät, Süßer. Hoffentlich machst du keine leeren Versprechungen.«

Die nächsten zwei Stunden bewies Lassiter, dass leere Versprechungen nicht zum Repertoire der Brigade Sieben gehörten. Er nahm Millie mit kräftigen Stößen, wirbelte sie auf den Armen herum und verkroch sich am Ende nass und splitterfasernackt mit ihr im Bett.

Sie liebten sich so heftig, dass Millie keuchend um eine Verschnaufpause bat.

Erst als das Wasser im Zuber vollends kalt war, sanken sie in die Kissen und hielten sich bei den Händen gepackt. Sie starrten zur Decke der Kammer hinauf und wussten sich nichts weiter zu sagen, als dass sie den richtigen Entschluss getroffen hatten.

Die mannshohen Schneewehen über dem Gleis der Cold Mine hatten die beiden Brüder und ihren Vater auf der Nordseite des Jigsaw Peak immer wieder aufs Neue aufgehalten. Sie hatten die Baldwin-Lokomotive aufgeheizt, bis der Kessel fast zu platzen gedroht hatte, und sie unter Volldampf in die schlohweiße Wand gesteuert.

»Grab schon, Rod!«, rief James Taylor und verstand im Schneetreiben kaum sein eigenes Wort. Er klammerte sich am Steuerrad des Dampfreglers fest. »Wir müssen durch! Wir müssen durch!«

Schon seit den ersten Apriltagen kam der Schnee nur noch oberhalb von siebentausend Fuß herunter, während er in den angrenzenden Tälern und Canyons als Regen fiel und die Straßen in aufgeschwemmte Schlammpisten verwandelte. Sie hatten von Fuhrwerken gehört, die bis über die Achse versunken waren und ihre Fracht hatten aufgeben müssen.

»Gleis ist frei!«, meldete Rod und kämpfte sich am Kessel zum Führerstand zurück. Er warf seinem älteren Bruder John die Schaufel zu und zog sich am Handlauf herauf. »Fahrt jetzt! Ehe es erneut verweht!«

Die Jungen waren eine sichere Bank, sobald es oben in der Mine gefährlich wurde, und Taylor hätte sie für kein Geld der Welt gegen einen Vorarbeiter eintauschen mögen. Sie murrten nie darüber, dass sie in der Frühe heraus mussten, und sie schufteten, dass ihnen über Tage die Knochen schmerzten. Sie hätten ihr Leben für das Wohl der Familie gegeben und glichen darin Taylor selbst.

Durch Rods schulterlanges Haar fegte der Nordwestwind und wirbelte Kohlestaub auf. Die Brüder schaufelten, dass ihnen die Puste wegblieb, und traten zum Schluss gegen die Feuerluke. Der Kessel der Baldwin ächzte unter dem Dampfdruck, der mit jeder Schippe Kohle stärker geworden war.

»Noch ein Stück!«, schrie John und stemmte sich am Führerhaus in die Höhe. Er spähte zu der Schneewehe hinüber, deren vom Wind zerzauster Kamm die Lokomotive um eine Kopflänge überragte. »Sie ist gleich frei! Sie schnauft zwar, aber –«

Der Junge verstummte und stützte sich weiterhin auf das Dach des Führerhauses. Als Rod die Geduld verlor, kniff er seinem Bruder ins rechte Bein. »Was ist los, John? Was wolltest du sagen?« Er sah zu John hinauf. »John? John!«

Fast apathisch glitt Taylors Ältester zurück ins Führerhaus und klammerte sich an Rods Arm fest. Er sah zu Boden und richtete den Blick dann auf Taylor. »Dodge! Es ist Garry Dodge!«

Sie hatten Garry Dodge und dessen schießwütige Kumpane zuletzt unten in Gunnison gesehen. Der Trupp war hinter John und Rod her gewesen, nachdem das Brüderpaar geprahlt hatte, dass sie größere Fuhren Eisenerz vom Berg schafften, als es je einem anderen Claimeigner am Jigsaw Peak gelungen war.

Taylor hatte seine Söhne für dieses Benehmen scharf getadelt.

»Dodge?«, rief Taylor und stieg selbst am Führerhaus hinauf. Er konnte zwei Gestalten im Schnee ausmachen, von denen eine Dodges krumme Statur besaß. »Holt die Gewehre raus! Wir jagen diese Bande zum Teufel!«

Zwei grelle Feuerstöße brachten den angewehten Schnee zum Leuchten, bevor eine Kugel den Kessel der Baldwin-Lokomotive streifte. Das Blei zerfetzte ein Steigrohr und prallte mit einem klingenden Geräusch von der Stahlwand des Führerhauses ab.

Rod brachte seine Winchester zuerst in Stellung.

Eine Handvoll Schüsse hämmerte in den stiebenden Schnee und riss einen der Angreifer von den Beinen. Als John sein Gewehr im Anschlag hatte, tönte Dodges tiefe Stimme zur Lokomotive hinüber.

»Was brüllt er?«, fragte Taylor atemlos und betätigte den Hebel für die Dampfzufuhr. »Du hast einen der Ihrigen erwischt.«

Die Flüche ihres Gegners gingen im Zischen der stampfenden Kolben unter. Die Baldwin hatte die Schneewehe fast durchquert und rollte leichter dahin.

»Er verwünscht uns!«, schrie Rod, der die besten Ohren hatte. Er kauerte sich hinter die Seitenwand des Kohletenders und stützte sich auf seinem Gewehr ab. »Irgendetwas von Hurensöhnen und Dreckschürfern!«

Die meisten Minenarbeiter vom Jigsaw Peak hatten in Gunnison als Dreckschürfer gegolten, vor allem jene, die ihre Claims wie Taylor am Südwesthang hatten. Die Broker und Schmelzhüttenbetreiber hatten nichts mit dem Erz anfangen können, das an manchen Tagen so unrein gewesen war, dass man keine Spur Eisen auf den Steinbrocken erkannt hatte.

Von der Cold Mine jedoch war nie Dreck gekommen.

Sie hatten stets nur die besten Erzfunde mit hinuntergenommen, und manche Broker hatten Taylor Prämien für die Reinheit der Erträge gezahlt. Bei Dodge und dessen Vasallen waren solche Zuwendungen schlecht angekommen.

»Scher dich zum Teufel!«, brüllte John und feuerte wild in den Schnee hinaus. »Arbeitet anständig! Lauert einem anderen auf!«

Die ersten Überfälle hatten vor zwei Jahren stattgefunden, und bereits zu dieser Zeit hatte es das Gerücht gegeben, dass Garry Dodge, der ehemalige Erzschätzer, dahinter stecken würde. Dodge hatte sich verdächtig gemacht, nachdem diejenigen Minen, die mit ihm einen Kontrakt hatten, unbehelligt geblieben waren.

»An den Galgen mit euch!«, hörten die Taylor und seine Söhne Dodge draußen wüten. Er schoss auf die Lokomotive und verfehlte sie abermals. »Ihr gehört nicht an den Jigsaw Peak! Nicht ihr!«

Nach einem heftigen Ruck durchstieß die Dampflokomotive das letzte Stück der Schneewehe und rollte auf freiem Gleis bergabwärts. Der Sturm peitschte unter dem Radgestänge hindurch und raste in tanzenden Wirbeln auf die Ebene hinaus, hinter der sich die weiße Kuppe des Jigsaw Peak erhob.

Dodge und seine Leute waren mit vier Pferden gekommen.

Die Männer sprangen in die Sättel und jagten der schmalen Baldwin nach, die inmitten der hellen Winterlandschaft ein prächtiges Ziel abgab. Taylor ging mit seinen Söhnen in Deckung und schob zwei Patronen ins Magazin. Er verspürte den dunklen Drang, jeden Einzelnen aus Dodges Trupp zu töten, und bezwang sich mühsam.

»Lasst sie abziehen!«, knurrte Taylor und hielt auch seine Söhne zurück. »Wir sind gleich um den alten Long-Tom herum. Am Felshang können sie uns nicht länger folgen.«

Schwer atmend hockte sich John neben Taylor und blickte ihn an. Auf seiner Stirn zeichnete sich ein Geflecht aus bläulichen Adern ab. »Du willst sie davonkommen lassen? Wir hatten sie fast! Ich will sie umlegen, Vater!«

»Du bleibst, wo du bist, John!«, beschwor ihn Taylor. »Du weißt nicht, in welche Lage –«

Im selben Augenblick war John bereits aufgesprungen.

Er verschoss jede einzelne Kugel aus seinem Karabiner und gab dann einen Jubelschrei von sich.

Das Notarsbüro von Robert McDougall befand sich in den Räumlichkeiten des Gunnison Herald und war über eine Außentreppe zu erreichen. Als einziger Hinweis war ein Blechschild angebracht, auf dem in ausladenden Lettern McDougalls Nachnamen prangte, während sein Vorname und seine Berufsbezeichnung lediglich wie Beiwerk erschienen. Die letzte Treppenstufe war gegen ein Trittgitter ausgetauscht worden.

»Mr. McDougall?«, rief Lassiter und klopfte einige Male. »Ich muss mit Ihnen sprechen.«

Drinnen war Stuhlrücken zu vernehmen, ehe sich die Tür öffnete und ein grauhaariger Mann mit klar geschnittenen Zügen darin erschien. Er trug ein Monokel im rechten Auge, das er sogleich herausnahm und in seiner malvenfarbenen Weste verschwinden ließ. Er musterte Lassiter eingehend und wies hinter sich. »Mr. Lassiter? Ich erwarte Sie bereits.«

Das gediegene Interieur des Büros verriet den Geschmack eines Mannes, der gegen seinen Willen von der Ostküste in den Westen geschickt worden war. Die französischen Tapeten an den Wänden waren von bordeauxroter Farbe, auf dem schweren Eichenschreibtisch stand ein Leuchter mit einem Fuß in Gestalt einer Löwentatze.

»Mir ist das Telegramm in Grand Junction überbracht worden«, erklärte Lassiter und faltete den Bogen mit der Abschrift auseinander. Er reichte ihn McDougall und geduldete sich, bis der Mittelsmann die Zeilen gelesen hatte. »Es scheint mir um eine dringende und delikate Angelegenheit zu gehen.«

McDougall schaute auf seinen Tisch und kniff den Mund zusammen. »Wäre die Sache von einem Marshal oder einem Sheriff zu erledigen, hätte man Sie kaum gerufen. Diese Mission berührt die Sicherheit von ganz Amerika. Sie dürfen keinesfalls etwas davon auf die leichte Schulter nehmen.«

Neben dem Mittelsmann knisterte ein Kaminfeuer, das schon seit Stunden heruntergebrannt war. Die Scheite waren ineinander gerutscht und würden die restliche Glut ersticken, würde McDougall sich nicht bald darum kümmern.

»Gewöhnlich nehme ich nichts auf die leichte Schulter«, erwiderte Lassiter mit einem sparsamen Lächeln. »Es sei denn, es handelt sich um die Schulter einer schönen Frau.«

»An solchen Schultern ruhen wir Herren uns alle gern aus«, brummte McDougall und machte sich an seinem Schreibtisch zu schaffen. Er zog ein braunes Kuvert mit einem tiefroten Wachssiegel darauf hervor. »Es ist äußerst bedauerlich, dass Sie stattdessen mit einem alten Mann zu tun haben werden.«

Routiniert riss McDougall den Umschlag auf und zog eine Ferrotypie daraus hervor. Sie zeigte einen Geschäftsmann in mittlerem Alter und war – urteilte man nach dem Vermerk darauf – von einem Photographen in Boston aufgenommen worden.

»Wer ist das?«, fragte Lassiter und nahm das Bild entgegen. »Hat er die Brigade Sieben eingeschaltet?«

»Franklin O. Reed«, verkündete McDougall und zog einen dünnen Stapel Papiere aus dem Kuvert. »Er ist Eigentümer und amtierender Direktor von Reed & Brewer und vertreibt das führende Erzeugnis gegen Leberkrankheiten. Er hat ein Vermögen mit seiner Tinktur Reed’s Prophecy gemacht.«

Die übrigen Unterlagen enthielten Bekanntmachungen von Reed & Brewer , darunter für das angesprochene Mittel, daneben Frachtlisten für den Überseehandel und einige abgefangene Briefe. Sie waren vom Hauptquartier in Washington säuberlich nach Datum und Herkunft geordnet worden.

»Man hat uns ein Aktenkonvolut über ihn geschickt«, fuhr McDougall fort und förderte weitere Papiere zutage. »Offenbar verfügt Reed über gute Verbindungen in den Senat und den Kongress. Er hat die Brigade Sieben über Senator Edward Smalley verständigen lassen.«

Allmählich quoll McDougalls Schreibtisch vor Schriftstücken über. Der Notar griff nach einer Ablage und sortierte die Aktenblätter hinein.

»Muss ihm gegenüber vorsichtig sein?«, fragte Lassiter und las einen der Briefe, die zuoberst lagen. Er war an einen Kongressabgeordneten mit dem Namen Caspar Barnes gerichtet. »Was will er in Colorado?«

»Er ist ein Lamm von einem Mann«, gab McDougall zur Antwort und stützte sich auf seine Ellbogen. »Sie können ihm voll und ganz vertrauen. Er will ein Sanatorium nahe Gunnison errichten. Das Land stand sieben Jahre lang zum Verkauf.«

»Sieben Jahre sind eine lange Zeit«, räumte Lassiter ein. »Wie soll die Brigade Sieben Reed helfen?«

»Er hat den Senat und den Kongress förmlich um Hilfe angefleht«, berichtete McDougall weiter. Er deutete auf den Aktenstapel. »Insgesamt vier Kommissionen haben sich mit seinem Landanspruch befasst. Sie sind alle zu dem Schluss gekommen, dass dem Sanatorium nichts im Wege steht.«

Aus den Höfen von Gunnison war ein Hundebellen zu vernehmen. Der Mittelsmann zog eine Karte zwischen den Akten hervor und breitete sie auf dem Tisch aus.

»Jigsaw Peak«, sagte Lassiter und nickte. »Ich sah den Berg vom Divide Creek aus, als ich nach Gunnison ritt.«

»Der Jigsaw Peak ist der gefährlichste Streifen Land im County«, erklärte McDougall und hob die Brauen. »Schneestürme und Unwetter im Winter, brütende Hitze im Sommer. Es scheint mir nicht der geeignete Ort für ein Sanatorium zu sein, doch Mr. Reed ist davon überzeugt.« Er seufzte. »Ihm steht das Land jedenfalls zu.«

»Macht es ihm jemand streitig?«, fragte Lassiter und studierte die Karte. Unter einer gestrichelten Linie, die ein Gebiet von zweihundert Morgen kennzeichnete, war Reeds Name vermerkt. »Hat er Feinde in Gunnison?«

»Die Regierung hat ihm das Land verkauft«, meinte McDougall und fuhr mit dem Finger an einer Ausbuchtung der Grenzlinie entlang. »Aber der Besitz überschneidet sich an dieser Stelle mit der Cold Mine, die am Jigsaw Peak liegt. Die Mine gehört einem alten Kauz namens James Taylor. Er bewirtschaftet sie mit seinen fünf Söhnen.«

Nach wie vor erkannte Lassiter keinerlei Zusammenhang. »Reed sollte es nicht schwerfallen, auf ein oder zwei Morgen zu verzichten. Die meisten Minen am Jigsaw liegen brach.«

»Taylor hält die Wasserrechte für den Cart Creek«, sprach McDougall weiter. Er tippte auf eine dünne Tuschelinie, die für den Flusslauf stand. »Er will Reed um jeden Preis loswerden und hat den Creek angestaut. Sie müssen diesen Mann zu Vernunft bringen.«

Der Mann der Brigade Sieben schwieg eine Zeitlang und betrachtete die Landkarte. »Hat Reed schon mit ihm verhandelt? Ich bin ein wenig begabter Geschäftsmann.«

»Jeder am Jigsaw Peak braucht einen Revolver«, warf McDougall ein. »Sie werden nicht den Geschäftsmann geben müssen, Mr. Lassiter. Der alte Taylor hat letzte Woche zwei Männer auf seinem Land erschossen.«

Der Hund bellte erneut in der Ferne, dann gehörte die Stille im Büro wieder dem knisternden Kaminfeuer. Der Notar sammelte die Akten zusammen und übergab sie an Lassiter.

»In einer Woche gibt es eine Anhörung im Kongress«, sagte McDougall und erhob sich. »Bis zu diesem Tag muss Taylor seine Mine verlassen oder wenigstens einen Vertrag mit Reed geschlossen haben.« Er trat hinter seinen Stuhl und schob ihn unter den Schreibtisch. »Sie sind unser Friedensengel.«

Durch das kristallklare Wasser des Cart Creek schossen glitzernde Saiblinge und verbargen sich unter einem schwarzen Totholzstamm. Die gefleckten Fische waren unter der Behelfsbrücke hindurchgeschwommen, die Franklin O. Reed hatte errichten lassen, und waren in einem Schwarm von zehn oder zwanzig Tieren stromaufwärts geschwommen. Der Geschäftsmann aus North Carolina betrachtete sie versonnen.

»Zwei Millionen Dollar«, sagte der Alte neben ihm und richtete sich in seinem stählernen Rollstuhl auf. Er war bis ans Brückengeländer gerollt und hatte die Arme darauf gelegt. »Ich weiß beim besten Willen nicht, wie du diese Menge Geld zusammenbekommen willst, Franklin. Keiner von uns ist ein Krösus.«

Der friedliche Anblick der davoneilenden Saiblinge hatte Reed milder gestimmt, als er es sich für dieses Gespräch vorgenommen hatte. Er kannte den alten Edward Smalley, ehemaliger Senator aus North Carolina, seit etlichen Jahren und wusste, dass er von einem Haudegen wie ihm keine Sanftmut erwarten konnte.

»Du bist reich, Ed«, sagte Reed und richtete den Blick auf das majestätische Panorama der Jigsaw Mountains, die sich jenseits des Flusstales gegen den Himmel erhoben. Der schroffe Gipfel des Jigsaw Peak war schneebedeckt. »Du könntest mir das Geld und die Verbindungen für das Sanatorium besorgen.«

Auf Smalleys faltenreichem Gesicht entstand eine Art Lächeln. Der greise Senator schaute nie sonderlich freundlich drein und machte daraus keinen Hehl. »Weißt du, Franklin, ich wünschte, du könntest die Welt einmal mit meinen Augen sehen. Es gibt Tausende Wirrköpfe wie dich, die Gutes tun wollen.« Er hustete heiser. »Aber ein ganzes Sanatorium ist kein Pappenstiel.«

Ohne eine Erwiderung trat Reed hinter den Rollstuhl und schob Smalley von der Brücke herunter. Er folgte dem schmalen Pfad zur Mesa hinauf, den seine Leute mit Steinen und Holzscheiten abgesteckt hatten. Auf demselben Weg würden später die Sanatoriumsgäste eintreffen, nachdem sie mit dem Zug nach Gunnison gefahren waren.

Smalley sagte ebenfalls nichts und hing seinen Gedanken nach. Er schaute hin und wieder auf den bewaldeten Hang, den Reed von einem Maler aus North Carolina hatte malen lassen, um wohlhabende Gönner vom Sinn seines Vorhabens zu überzeugen.

»Zwei Millionen sind ein Pappenstiel«, beharrte Reed auf seiner Ansicht. Er hatte sie Smalley wieder und wieder gepredigt. »Zwei Millionen gegen vier im ersten Jahr. Die Leute lechzen nach sauberer Luft und heilenden Quellen. Sie werden in Scharen zum Jigsaw Peak pilgern.«

Von Smalley war das blecherne Lachen zu hören, von dem man nie wusste, ob es nur ein Räuspern oder ein besonders hämisches Gelächter war. Er setzte es vornehmlich in den wenigen Senatskommissionen ein, denen er gelegentlich noch vorstand. »Die Kranken und Versehrten pilgern nicht mehr in den Westen, seitdem es die Überfälle gegeben hat. Du erinnerst dich an Hot Springs? An die Kerle, die all den Reichen dort das Fell über die Ohren gezogen haben?« Er lachte erneut. »Die Pfeffersäcke in Washington merken sich solche Meldungen.«

Von den Berichten aus Hot Springs hatten allenfalls die reißerischen Ankündigungen in den Gazetten der Hauptstadt gestimmt. An manchen Schilderungen war nichts Wahres gewesen; sie hatten schamlos übertrieben und aus einer Horde dummdreister Räuber eine organisierte Banditenbande gemacht. Reed hatte herausbekommen, dass an den Falschmeldungen mächtige Hotelbesitzer aus dem Westen beteiligt waren, denen die Sanatorien ein Dorn im Auge waren.

»Was ist mit dir?«, fragte Smalley und drehte im Rollstuhl den Kopf. Er krampfte seine knochigen Finger um die ledernden Griffpolster und richtete sich ein Stück auf. »Du bist nie zuvor so schweigsam gewesen. Du verlierst wohl den Mut?« Er machte ein fragendes Gesicht. »Was ist mit der Brigade Sieben? Hat sie jemanden geschickt?«

Die beiden Männer erreichten die schmale Mesa, die sich in Gestalt eines Felsenplateaus oberhalb des Cart Creek erstreckte. Die Felsplatte würde die Grundmauern des fünfstöckigen Sanatoriums tragen.

Schweigend wendete Reed den Rollstuhl, um Smalley Ausblick ins Tal zu verschaffen. »Vor zwei Tagen ist ein Fremder in Gunnison eingetroffen. Er muss sich mit einer Ladenverkäuferin vom Portland’s eingelassen haben.« Er trommelte mit den Fingern auf die Rollstuhlgriffe. »Sie hat überall herumerzählt, dass sie mit ihm im Bett war.«

»Schürzenjäger!«, schimpfte Smalley und verdüsterte die Miene. »Jeder dieser Kerle ist ein Schürzenjäger vor dem Herrn. Der Agent soll den Auftrag bekommen, gegen die Männer von der Cold Mine vorzugehen.« Er drehte sich nach Reed um. »Sie selbst haben mich darum geben, wissen Sie nicht mehr?«

Der Ärger mit der Cold Mine hatte vor einem Jahr begonnen, als Reed die Wasserrechte für das geplante Sanatorium beantragt hatte. Er war mit einem Vater und dessen Söhnen aneinandergeraten, denen der verdammte Jigsaw Peak offenbar so viel bedeutete, dass sie zu keinem Handel bereit gewesen waren. Reed hatte damals begriffen, dass er keinen Dollar für das Sanatorium zusammenbekam, ehe die Angelegenheit nicht aus der Welt war.

»Gewiss, Ed!«, sagte Reed und stemmte die Arme in die Seiten. Er hätte Reed’s Prophecy an kerngesunde junge Männer verkaufen können, und es wäre noch einfacher gewesen, als in Colorado ein Sanatorium zu errichten. »Gewiss erinnere ich mich daran. Ich habe deine Gefälligkeit nicht vergessen.«

Der Senator lehnte sich im Rollstuhl zurück und knurrte etwas Unverständliches vor sich hin. »Weitaus mehr als eine Gefälligkeit habe ich dir erwiesen. Ich glaube an dich, mein Junge, aber diese Hunde dort oben …« Er wies zum Jigsaw Peak. »Diese Minenschürfer musst du loswerden.«

Mit der Brigade Sieben hatten sie – so hatte es Smalley formuliert – die schärfste Waffe gezückt, die Amerika zu bieten hatten. Die Eliteagenten der Geheimorganisation waren bestens ausgebildet und verstanden ihr Handwerk. Sie würden in der Cold Mine für Frieden sorgen.

Trotzdem plagten Reed Zweifel.

Er hatte Smalley im Haus seines Vaters kennen gelernt und festgestellt, dass auf den Senator Verlass war. Er hatte sogar zu hoffen gewagt, dass Smalley selbst einen Teil seines gewaltigen Vermögens in das Sanatorium stecken würde.

Bisher jedoch war der Politiker zögerlich.

»Der Agent wird dich treffen wollen«, äußerte Smalley unvermittelt. »Du hörst dir an, was er zu sagen hat, und handelst danach. Ich strecke dir einen Teil des Geldes vor, sobald er das Problem mit der Cold Mine beseitigt hat.«

Vor Anspannung spürte Reed sein Herz in der Brust pochen. Er schritt um Smalley herum und ging neben dem Rollstuhl in die Knie. »Du würdest mir Geld für das Sanatorium geben?«

Das Antlitz des Senators war starr wie Glas. »Freu dich nicht zu früh darüber. Der Brigade-Sieben-Agent muss zuerst saubere Arbeit leisten.« Er verstummte und sah ins Tal hinunter. »Irgendwann muss ich etwas für meinen Lebensabend tun, Franklin.«

Der heruntergekommene Holzbau in der South Street war auf Pfählen errichtet worden und überwölbte zur Hälfte ein schlammiges Kloakenrinnsal, das keine zwanzig Yards weiter in den Cart Creek mündete. Die moosbedeckten Stämme unter dem Haus waren tief ins Erdreich gesunken und an einigen Stellen geborsten.

Ellen Taylor kehrte die Stufen und nahm keine Notiz von Lassiter.

Sie war eine zierliche Frau von fünfzig oder sechzig Jahren und trug ein graues Arbeitskleid, das über und über mit Flecken bedeckt war. Die grauen Haare waren zu einem Zopf gebunden, der unter dem Kopftuch hervorschaute.

»Ma’am?«, rief Lassiter und blieb auf der anderen Straßenseite stehen. Er hatte sich den Weg zur South Street von McDougall erläutern lassen. »Mrs. Taylor? Mrs. Ellen Taylor?«

Die Frau mit dem Kopftuch stellte das Fegen ein und hob den Blick. Sie zog den Mund schief und sprach mit lauter Stimme. »Falls Sie sich die Mühe wegen der Ladung Trockenfrüchte gemacht haben, ich krieg’ sie erst nächste Woche rein. Sie sind nicht der Einzige, der in Gunnison –«

Mit einer lässigen Handbewegung wehrte Lassiter ab und überquerte die Straße. »Ich komme nicht wegen des Ladens, Ma’am. Ich komme wegen Ihres Mannes James. Er steckt in Schwierigkeiten, wie man hört.«

Die ältere Frau wich einen Schritt vor Lassiter zurück und spannte das Kinn so entrüstet an, dass an ihrem Hals die Sehnen hervortraten. »Sind Sie ein Marshal? Wollen Sie James mitnehmen?«

Bedächtig schüttelte Lassiter den Kopf. »Ich arbeite für die Miner’s Association in Grand Junction. Ich wollte mit Mr. Taylor über die Cold Mine sprechen. Er besitzt den letzten Claim am Jigsaw Peak.«

Die Frau gab ihren Widerstand auf und schritt langsam die Treppe hinauf. Sie stellte den Besen hinter die Tür, schlug sich den Staub von den Händen und blieb mit verschränkten Armen auf der Schwelle stehen. »Unter Gottes weitem Himmel gibt es nichts Undankbareres als die Cold Mine, Sir. Mein Gemahl ist gewiss nicht stolz auf den Claim.«

»Von Stolz sprach ich nicht«, meinte Lassiter und wog seine Worte sorgfältig ab. Er durfte kein Misstrauen bei Mrs. Taylor wecken. »Der Association ist zugetragen worden, dass Ihrem Mann einige Männer aus Gunnison zusetzen. Es soll zu einem Schusswechsel gekommen sein.«

Zweimal richtete Mrs. Taylor den Blick auf Lassiters Holster mit dem Remington darin, bevor sie einen Schritt rückwärts in die Tür machte. Sie stieß mit einer Gestalt zusammen, die im Halbdunkel des dahinterliegenden Flurs gewartet hatte. Es war ein junger Mann mit streng gestutzten Koteletten und einer breiten Nase.

»Was ist, Harrison?«, fuhr ihn Mrs. Taylor an und trieb ihn wieder ins Haus. »Darf ich nicht einmal mehr mit Fremden reden? Ich führe ein Geschäft und darf mich nicht im Haus einschließen.«

Der Mann im Flur ließ die Ladenbesitzerin gewähren und drängte sich nach einigen Sekunden an ihr vorbei. Er baute sich auf dem obersten Treppenabsatz auf und stemmte die Arme in die Seiten. »Verschwinden Sie, Sir! Meine Mutter hat Ihnen nichts zu sagen. Die Cold Mine ist eine Familienangelegenheit.«

Entschlossen kämpfte sich Mrs. Taylor wieder ins Freie und schaute ihren Sohn entgeistert an. »Harrison, was bildest du dir ein? Nichts ist derzeit eine Familienangelegenheit.« Sie blieb für einige Sekunden still und fuhr fort. »Schon gar nicht diese vermaledeite Mine! Die Association soll’s ruhig hören!«

Pikiert und trotzig zugleich machte Harrison seiner Mutter Platz und deutete mit dem Arm zu Lassiter. Statt mit der Faust zu drohen, wedelte er nur mit der flachen Hand durch die Luft. »Gehen Sie, Sir! Sie bringen Sie bloß noch weiter durcheinander. Es gibt nichts, was wir Ihnen und der Association sagen wollen.«

»Nichts?«, geriet Mrs. Taylor noch weiter in Rage. Sie riss sich das Kopftuch herunter und knotete es erneut fest. »Seit wann ist ein Mord nichts? Seit wann schweigen wir über ein Verbrechen gegen Gottes Gebote?« Sie sah zu Lassiter und bereute ihre Worte offenbar sogleich. »Ich … ich rede dummes Zeug, Mr …. Mr ….?«

»Lassiter«, stellte sich der große Mann vor. »Einfach nur Lassiter.«

»Verschwinden Sie!«, rief Harrison und schüttelte nun doch die Faust. »Setzen Sie Ihre Association davon in Kenntnis, dass wir nichts zur Cold Mine zu sagen haben!«

Der Lärm vor der Tür hatte zwei weitere Männer vor die Tür gelockt, die Mrs. Taylor als Danny und Oscar ansprach. Sie waren jünger als Harrison und hielten sich mit Worten zurück.

»Hören Sie schlecht?«, legte Harrison nach und kam die Stufen vor dem Haus der Taylors herunter. Er näherte sich Lassiter bis auf zwei Yards. »Sie stecken ihre Nase in Dinge, die Sie nichts angehen. Ich will Sie nicht von der Straße prügeln müssen.«

»Lass ihn!«

Stumm weinend lief Mrs. Taylor zu Harrison und schob ihn an den Schultern zurück zur Treppe. Sie drehte sich zu Lassiter um und wischte sich die Tränen von den Wangen.

»Ma’am«, begann Lassiter und spähte zu Oscar und Danny hinauf. Die Brüder standen dicht nebeneinander und hielten sich bei den Händen. »Ich hege nicht die Absicht, Sie oder Ihren Mann –«

»Kommen Sie!«, schnitt Mrs. Taylor ihm scharf das Wort ab. Sie raffte das Kleid und stieg die Stufen zum Haus hinauf. »Es ist genug geschehen. Ich zeige Ihnen, was mit meinem Mann geschehen ist.«

Mit sichtlichem Widerwillen machten die Brüder Platz und ließen Lassiter die Treppe hinauf. Sie schlossen sich ihm an, als Mrs. Taylor ihren Gast durch den dunklen Flur in die Küche des Hauses führte.

»Sehen Sie sich diese ärmliche Hütte an!«, rief Mrs. Taylor aus und erfasste mit einer Geste das ganze Zimmer. »Verbeulte Töpfe und schimmelige Bretter, so weit das Auge reicht! Mein Mann verdient nichts an dieser Mine.« Sie lachte laut auf. »Er ist ein Narr, dass er jeden Tag dort hinauffährt.«

»Red nicht so über Vater!«, ergriff Danny das Wort. Er hatte ein knabenhaftes Gesicht mit tief eingeschnittenen Wangenfalten, die das wahre Alter des jungen Mannes preisgaben. »Er schuftet hart mit John und Rob, damit etwas Erz ins Tal kommt. Die Dodge-Bande und Reed sind dran schuld, dass er nichts verdient.«

»Reed?«, fragte Lassiter und schaute zur Harrison, der vor Aufregung kaum an sich halten konnte. »Franklin O. Reed?«

»Franklin O. Reed!«, echote Harrison gereizt. »Hat sich wohl bis nach Grand Junction herumgesprochen! Er will ein Krankenheim unten am Jigsaw Peak errichten. Er will die Wasserrechte von Vater!«

Die scharf gesprochenen Worte des mittleren Taylor-Sohnes hallten in der Küche nach. Mrs. Taylor räumte verlegen das Frühstücksgeschirr beiseite und tadelte Oscar leise für den übriggelassenen Krustenrand darauf. Sie trat neben Harrison und flüsterte ihm etwas ins Ohr.

»Nein, Mutter!«, blaffte Harrison zurück. »Er soll von Vaters Wahnsinn hören. Er kann getrost erfahren, dass dort oben in den Bergen die Hölle tobt.«

Hilflos räumte Mrs. Taylor die Krüge und Schüsseln vom Tisch, aus denen die Familie vor Lassiters Ankunft gegessen hatte. Sie stöhnte gequält auf, klopfte Harrison auf die Schulter und wandte sich wieder Lassiter zu. »Sie sollen hören, wie es meinem Mann mit der Mine geht. Aber ich möchte ein Versprechen von Ihnen.«

Die Brüder umringten den Gast des Hauses und warteten gespannt dessen Reaktion ab. Sie rückten so dicht zu ihm auf, dass Lassiter wachsam wurde. »Ein Versprechen, Ma’am? Welches Versprechen könnte ich Ihnen geben?«

»Lasst ihn!«, befahl Ellen ihren Söhnen. Sie rang die Hände und blickte Lassiter an. »Sprechen Sie mit Reed! Er muss verstehen, weshalb mein Mann die Wasserrechte nicht aufgeben kann.«

Die Elk Mountain Stables am östlichen Stadtrand von Gunnison rochen nach Pferdedung und fauligem Stroh und befanden sich hinter einer Lagerhalle für Kolonialwaren. Der Mietstall beherbergte gute zwei Dutzend Pferde, die angebunden in ihren Bretterbuchten standen und von einem dickbäuchigen Stallknecht mit Hafer versorgt wurden. Die Tiere wieherten unentwegt nach ihm.

»Nach wem suchen Sie?«, rief der Knecht über eine Zwischenwand hinweg. Er drückte den Wallach neben ihm mit der Schulter beiseite und schüttete den Hafereimer aus. »Ich muss gleich hinauf zu Mr. Lark.«

»Franklin O. Reed«, gab Lassiter bekannt und blickte die lange Gasse zwischen den Stallbuchten hinauf. »Er ist mit mir verabredet.«

Der Bedienstete des Mietstalls knurrte dem Wallach etwas zu und schwang sich unter dem Gatter hindurch. Er lief zu einer Schubkarre voll Haferkörner und füllte den Eimer zur Hälfte. Er rüttelte die Körner zurecht und strich sie mit der Hand glatt. »Der gute Mr. Reed? Er will noch heute nach North Carolina zurück. Er wird sich bald ein Pferd für den Einspänner holen.«

Der Botenjunge aus Lassiters Hotel war mit der Nachricht wiedergekehrt, dass Reed die letzten beiden Tage draußen am Cart Creek verbracht hätte. Der Geschäftsmann hätte mit einem wohlhabenden Freund das Tal prospektiert , in dem das spätere Sanatorium erbaut werden solle.

»Er und ich sind verabredet«, sagte Lassiter ein weiteres Mal und verfolgte die Handgriffe des Stallknechts. »Er wollte mit mir sprechen, ehe er nach Grand Junction aufbricht.«

Dass Reed sich gegenüber dem Boten äußerst abweisend benommen hatte, unterschlug der Mann der Brigade Sieben dabei mit Bedacht. Er musste Reed am Wickel haben, ehe dieser sich wieder in sein stattliches Anwesen nach North Carolina verkroch.

»Da Sie grade vom Teufel reden!«, zischte der Stallknecht und wies mit dem Kopf zum Stalltor hinüber. Er zog eine Grimasse und stieg mit dem Hafereimer in die nächste Bucht. »Dort vorn steht Mr. Reed! Wie er leibt und lebt!«

Der hohlwangige Mann mit der hageren Gestalt hatte den Mietstall durch eines der beiden Seitentore betreten, die sonst Kutschen und Droschken Einlass gewährte. Er trug geputzte braune Lederschuhe und eine Bügelfaltenhose, darüber einen eleganten Gehrock aus dunkelblauem Cheviot. Er eilte auf eine Bucht an der Gassenecke zu und riegelte das Gatter auf.

»Mr. Reed?«, sprach Lassiter den Arzneihändler an. »Ich bitte um Vergebung, dass ich Sie aufhalte. Ich ließ Ihnen einen Boten ins Hotel schicken.«

Durch die Straße vor dem Mietstall galoppierten einige Reiter und hüllten die Stallungen der Elk Mountains Stables in dichten Staub. Sie kehrten an der Kreuzung zur Mainstreet um und jagten mit gleicher Geschwindigkeit zurück.

»Sie waren das?«, meinte Reed und nahm hustend den Arm vor den Mund. »Ich bin in größter Eile, verehrter Herr. Ich muss in zwei Tagen wieder an der Ostküste sein.«

Der Stallknecht lauschte dem Gespräch aufmerksam und zog sich zu den Pferden im hinteren Teil des Stallgebäudes zurück. Als Reed den Kopf nach ihm reckte, stieß er mit dem Hafereimer gegen eine Bretterwand und machte sich davon.

»Ich arbeite für die Miner’s Association «, sagte Lassiter und schritt auf Reed zu. »Unsere Mitglieder und ich könnten Ihnen bei Ihrem Vorhaben am Jigsaw Peak helfen. Sie haben Ärger mit einem einzelnen Minenbesitzer, wie man uns zugetragen hat.«

Johlend und pfeifend stoben die Reiter erneut durch die Straße und fanden sich an der Mündung zur Mainstreet zusammen. Sie wurden von einem bärtigen Kerl in zerlumpter Kleidung angeführt.

»Die Miner’s Association von Colorado ist recht neugierig«, bemerkte Reed und nahm den Sattel vom Wandhaken. Er wischte die Sitzfläche sauber und schwang ihn über den Pferderücken. »Falls mir Mr. Taylor etwas zu sagen hat, weiß er gewiss, wo er mich finden kann. Ich brauche keine krummen Geschäfte.«

Als sich Reed soeben mit einer Geste am Hut empfehlen wollte, kamen die Reiter von der Mainstreet zurück und sattelten vor den Elk Mountain Stables ab. Sie betraten den Stall und reichten eine Bourbonflasche herum. Nach einer Weile ging der Bärtige, der das Kommando führte, zu Reed und stieß ihn vor die Brust.

»Sir?«, zeigte sich Reed verdutzt und richtete sich auf. »Sie vergessen Ihre Manieren.«

»Stehst du Garry Dodge im Weg?«, knurrte der Bärtige und gab Reed abermals einen Stoß vor die Brust. »Mir ist derb danach, ’nem feinen Schnösel wie dir die Fresse zu polieren.«

Die übrigen Männer betraten den Stall ebenfalls und nahmen rings um Dodge Aufstellung. Sie trugen lange Staubmäntel, an denen Grasreste und getrockneter Schlamm hingen. Vor allem Reed galten ihre düsteren Mienen.

»Ich kenne Sie nicht, Mr. Dodge«, sagte der Geschäftsmann und gurtete den Sattel seines Pferdes fest. »Es liegt mir auch nichts an Ihrer Bekanntschaft.«

Dodge wechselte einen Blick mit seinen Männern und drängte sich zwischen Reed und dessen Pferd. Er grinste und leckte sich auf widerwärtige Art die Lippen. »Du hast nichts von uns gehört? Von dem Haufen Elender, die oben am Jigsaw Peak waren? Und zwei Männer verloren haben?«

Ohne die mindeste Regung sah Reed seinem Gegenüber in die Augen und kämpfte sich wieder zu seinem Pferd. Er lockerte den Sattelgurt und zog ihn nach. Der Rappe trat nervös von einem Bein auf das andere.

»Er will uns zum Narren halten!«, brüllte Dodge laut durch den Stall. »Seht euch diesen kleinen Dreckskerl aus North Carolina an! Will uns behandeln wie die Köche und Gärtner, die zu seinem Herrenhaus gehören!« Er beugte sich zu Reed hinüber. »Mich beschleicht das Gefühl, du brauchst ’ne fette Ladung Blei in deinen Allerwertesten!«

Binnen Sekunden hielt Lassiter den Remington in der Rechten.

Er legte mit dem .38er auf Dodges massigen Schädel an und spannte den Abzugshebel. Die Männer in der Stallgasse fuhren zusammen und wollten gleichfalls nach ihren Waffen greifen.

»Bin ich von Schwachsinnigen umgeben?«, brüllte Dodge und riss den Kopf herum. »Lasst die Schießeisen stecken! Ich will nicht draufgehen für … für diesen reichen Pinkel dort drüben!«

Reed würdigte Dodge keines Blickes und legte dem Pferd das Zaumzeug an. Er verharrte reglos neben dem Tier und senkte den Kopf.

»Verschwindet!«, bellte Lassiter und drückte Dodge die Revolvermündung in die Rippen. »Sehe ich einen von euch wieder, bringe ich ihn hinter Gitter! Der Marshal von Grand Junction leckt sich die Finger nach Kerlen wie euch!«

Die Horde Berittener verließ den Stall zögerlichen Schrittes und lieferte sich im Freien ein scharfes Wortgefecht mit Dodge, der seine Leute der Feigheit bezichtigte. Als vor den Elk Mountain Stables Ruhe einkehrte, atmete Reed tief durch.

»Sie müssen nach North Carolina«, sagte Lassiter knapp. »Ich will Sie nicht aufhalten.«

»Wie konntest du nur, Mutter!«

Der bohrende Blick ihres Sohnes Harrison trieb Ellen Taylor den Schweiß auf die Stirn. Sie blieb starr am Tisch sitzen und drehte ihren Krug Minztee zwischen den Fingern. Harrison und sie stritten seit einer guten Stunde miteinander.

»Es war falsch«, meinte Harrison und schüttelte den Kopf. »Du hättest Reed vor diesem Kerl aus Grand Junction nicht erwähnen müssen.«

Sie hatten Oscar und Danny in ihre Kammern geschickt, doch Ellen wusste, dass ihre beiden jüngsten Söhne dem Gespräch in der Küche lauschten. Sie konnte sich Oscars besorgtes Gesicht vorstellen, und daneben die wachsame und kluge Miene Dannys, der das Nesthäkchen und der klügste Spross der Familie war.

»Ich wollte deinem Vater helfen«, rechtfertigte Ellen sich ruhig. Sie sah in Harrisons helle Augen, die stets etwas Herablassendes hatten. »Er und deine Brüder werden mit der Mine keinen Erfolg haben, solange Reed nicht lockerlässt. Dieser Mann ist mächtig und beharrlich. Er wird bekommen, was er möchte.«

Unbeherrscht schlug Harrison mit der Faust auf den Tisch und sprang auf. Er lief in der engen Küche hin und her, die über Ellens Gemischtwarenladen lag und der schäbigste Ort im ganzen Haus war. Sie hatten die Schränke und den Tisch von einer Siedlerfamilie bekommen, die hinunter nach New Mexico hatte ziehen wollen. »Du plapperst ständig die gleichen Lügen, Mutter. Reed wird Vater nicht helfen. Er wird ihm die Wasserrechte abluchsen und verschwinden.«

»Er ist ein guter Mann!«, hob Ellen die Stimme und erschrak zugleich über deren Klang. Sie hatte sich mit Harrison von jeher heftiger gestritten als mit den anderen Jungen. »Du darfst nichts Schlechtes über ihn sagen.«

Harrison lachte stumpf auf und schnellte zu Ellen herum. »Er hat dir mit seiner noblen Art den Kopf verdreht. Du redest wie ein Backfisch, der Jahr für Jahr ins Internat muss und seinen Galan im Dorf nicht vergisst.«