Lassiter Sammelband 1858 - Jack Slade - E-Book

Lassiter Sammelband 1858 E-Book

Jack Slade

0,0
4,49 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Seit über 30 Jahren reitet Lassiter schon als Agent der "Brigade Sieben" durch den amerikanischen Westen und mit über 2000 Folgen, mehr als 200 Taschenbüchern, zeitweilig drei Auflagen parallel und einer Gesamtauflage von über 200 Millionen Exemplaren gilt Lassiter damit heute nicht nur als DER erotische Western, sondern auch als eine der erfolgreichsten Western-Serien überhaupt.

Dieser Sammelband enthält die Folgen 2455, 2456 und 2457.

Sitzen Sie auf und erleben Sie die ebenso spannenden wie erotischen Abenteuer um Lassiter, den härtesten Mann seiner Zeit!

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 404

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Jack Slade
Lassiter Sammelband 1858

BASTEI LÜBBE AG

Vollständige eBook-Ausgaben der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgaben

Für die Originalausgaben:

Copyright © 2019 by

Bastei Lübbe AG, Schanzenstraße 6 – 20, 51063 Köln

Vervielfältigungen dieses Werkes für das Text- und Data-Mining bleiben vorbehalten.

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Für diese Ausgabe:

Copyright © 2023 by

Bastei Lübbe AG, Schanzenstraße 6 – 20, 51063 Köln

Covermotiv: © Norma/Boada

ISBN: 978-3-7517-4727-1

https://www.bastei.de

https://www.sinclair.de

https://www.luebbe.de

https://www.lesejury.de

Lassiter Sammelband 1858

Cover

Titel

Impressum

Inhalt

Lassiter 2455

Die Loretta-Methode

Lassiter 2456

Lassiter und der Alabaster-Treck

Lassiter 2457

Dollars, Blut und faule Tricks

Guide

Start Reading

Contents

Die Loretta-Methode

William S. Petterson wähnte sich im siebten Himmel – oder dem schönsten Traum seines Lebens. So schön wie die blutjunge Rose, die sich gerade vor seinen Augen entblätterte. »Na, Willy – gefällt dir, was du siehst?«

Er leckte sich über die fleischigen Lippen und nickte eifrig. Und wie es dem kleinen Willy erst gefiel. Der Stoff seiner Hose spannte bereits im Schritt, während das Mädchen vor dem Bett spielerisch über ihren nackten Busen streichelte. »Willst du dich nicht auch endlich von den lästigen Klamotten befreien?«, fragte es mit einem lasziven Augenaufschlag.

Da öffnete sich unvermittelt die Tür der Suite, und als es den Mann im Spiegel über dem Bett bemerkte, kreischte das Mädchen entsetzt auf.

Verblüfft riss Petterson die Augen auf, als der Kellner ins Zimmer trat, und das Mädchen griff hastig nach dem vor ihm auf dem Bett liegenden Kleid, um seine Blöße zu bedecken.

»Wer zur Hölle bist du denn?«, fragte Petterson, rutschte von der Matratze und trat dem Kellner entgegen. »Hast du sie noch alle, einfach hier hereinzuplatzen? Weißt du eigentlich, wer vor dir steht? Mir gehört dieser verdammte Laden hier!«

Der Kellner hob verdattert die Augenbrauen und streckte die Arme mit dem Tablett vor, auf dem sich in einem Eiskübel eine Flasche Champagner befand, daneben zwei Sektkelche.

»Aber … Sie haben doch Champagner bestellt, Sir«, versuchte er, sich zu rechtfertigen. »Um Punkt sieben Uhr sollte ich hereinkommen und dabei Ol’ Man River singen, so wurde es mir aufgetragen. Alles Gute zu Ihrem Geburtstag!« Er lächelte unsicher, räusperte sich und begann nun tatsächlich, das alte Liebeslied an den Mississippi anzustimmen.

Eine ungesunde Röte stieg über dem Hemdkragen von Petterson auf und breitete sich auf seinem feisten Gesicht aus wie Tinte auf Löschpapier. Mit geballten Fäusten stürmte er auf den Kellner zu, und als der erschrocken zurückwich, geriet ihm das Tablett aus der Balance.

Gläser und Eiskübel rutschten herunter und landeten zwischen den Männern auf dem Teppich. Die Flasche blieb ganz, die Gläser zersprangen, und Eiswürfel knirschten unter Pettersons Füßen.

»Raus! Sofort! Und wehe, ich bekomme deine Visage noch ein einziges Mal zu sehen, du Kretin! Du bist gefeuert, und wer auch immer diesen Mist verzapft hat, wird dir zügig folgen!«

Der Kellner hob die Hände und hielt dabei das Tablett wie einen Schild vor sich. »Schon gut, Sir, es tut mir leid – jemand muss sich einen Scherz erlaubt haben, und ich wollte wirklich nicht …«

»Verpiss dich endlich, ehe ich mich vergesse!« Drohend hob Petterson die Faust, und der Kellner wandte sich hastig zur Flucht. Eine Sekunde später war er im Korridor verschwunden, und Petterson drehte sich schwer atmend um.

»Himmel, ich fasse es nicht«, brummte er kopfschüttelnd. »Welcher Vollidiot ist bloß …« Verblüfft stellte er fest, dass das Mädchen wieder vollständig angekleidet vor ihm stand. Nicht nur das – jede Freundlichkeit war aus ihrem Gesicht verschwunden und hatte grimmigem Zorn Platz gemacht.

»Du hast recht, Willy«, sagte sie und tippte ihm mit ausgestrecktem Zeigefinger gegen die Brust. »Aber der Vollidiot bist wohl eher du! Glaubst du etwa, ich finde es lustig, wenn mir wildfremde Lakaien auf die Titten starren? Ist das deine Art von Humor? Dann verrate ich dir mal etwas: Ich kann darüber gar nicht lachen!«

Beschwichtigend hob er seine Hände und wollte sie ihr auf die Schultern legen, doch sie stieß sie brüsk zur Seite.

»Jetzt hör mal, Süße. Du musst mir glauben, ich habe nichts davon gewusst …«

»Aber sicher!«, giftete sie und verzog die Lippen zu einem humorlosen Lächeln. »Du bist der Boss von dem Schuppen hier, und trotzdem kommt einer deiner Angestellten einfach so rein marschiert, ohne anzuklopfen! Hältst du mich für so dämlich, dass ich dir das abnehme? Du hast ja nicht mal abgeschlossen!«

Petterson überlegte fieberhaft, ob sie damit recht hatte. Eigentlich war er sich ziemlich sicher, dass er die Tür vorhin verriegelt hatte, doch beschwören konnte er es nicht.

»Na gut, du hattest deinen Spaß – wenn es das war, was du unter Spaß verstehst. Wünsche noch einen schönen Abend!« Ihre Blicke schienen Funken zu sprühen, als sie mit einer tiefen Zornesfalte über der Nasenwurzel an ihm vorbeirauschte und krachend die Tür hinter sich zuschlug.

Völlig perplex starrte Petterson auf das zitternde Türblatt, während seine Erektion zusammenschrumpfte und der Traum zerplatzte wie eine Seifenblase. Er sackte mit dem ausladenden Hintern auf dem Fußende des Bettes nieder und kratzte sich am Kopf.

Das durfte doch wohl nicht wahr sein. Welcher hirnverbrannte Volltrottel hatte sich das ausgedacht? Wenn Herman Davis, der Portier und Chef des Hotelpersonals auf diese unselige Geburtstagsüberraschung gekommen war, durfte er sich morgen einen neuen Job suchen.

Petterson erhob sich und griff nach dem eleganten, maßgeschneiderten Jackett, das über der Stuhllehne hing. Grimmig schob er das Kinn vor und beschloss, sich sofort ins Foyer zu begeben, um dem Dilemma auf den Grund zu gehen.

Er hatte die Hand bereits auf dem Türknauf, als er spürte, dass etwas nicht stimmte. Das Jackett war zu leicht und wölbte sich nicht über dem Herzen.

Entgeistert fuhr er mit der linken Hand in die Innentasche und stieß scharf die Luft aus, als er feststellte, dass sie leer war.

Seine Brieftasche war verschwunden.

»Dieses ausgekochte Aas«, flüsterte er.

Er riss die Tür auf, sprang hinaus auf den Korridor, schnappte nach Luft, während sein Puls in bedrohliche Höhen schnellte und prallte gegen die gegenüberliegende Wand, bevor er sich taumelnd in Richtung der hinabführenden Treppe bewegte.

»Haltet sie …«, brachte er keuchend hervor. »Haltet … sie … auf …« Kurz vor der Treppe durchzuckte ein scharfer Schmerz seine Brust, und er griff sich ans Herz, bevor er auf die Knie fiel und mit hervorquellenden Augen zu Boden ging.

Herman Davis, der vom Tresen im Foyer aus den Zusammenbruch seines Arbeitgebers bemerkte, erkannte den Ernst der Lage sofort und schickte den Pagen los, um einen Arzt zu holen.

Die kompetente Hilfe des wenige Minuten später eintreffenden Doktors rettete dem Hotelbesitzer das Leben, doch nachdem Petterson sich halbwegs von dem Herzinfarkt erholt hatte und in der Lage war, den Diebstahl seiner wohlgefüllten Börse anzuzeigen, waren die junge Frau und der Kellner, der selbstverständlich nicht auf seiner Lohnliste stand, schon längst über alle Berge.

»Dreihundertvierundzwanzig Dollar!« Norman Prentice pfiff leise durch die Zähne. »Nicht übel.«

Loretta, die neben ihm auf der Bank des Landauers saß, schmunzelte und griff in ihren Ausschnitt, um eine golden funkelnde Taschenuhr zwischen den Brüsten hervorzuziehen. »Und dieses Schmuckstück bringt mit Sicherheit noch mal achtzig weitere Greenbucks ein – oder was meinst du, Wiseman?«

Nathan Cole, den alle nur Wiseman nannten, lehnte sich aus dem Sattel seines Rappen, um die Uhr entgegen zu nehmen. Er ließ den Deckel aufschnappen, kniff das rechte Auge zu und taxierte den Zeitmesser ausgiebig.

»Hmm …«, brummte er gedehnt. »Die Kette ist nur vergoldetes Sterlingsilber, und die Uhr selbst nicht besonders gut verarbeitet. Bei Leuten, die sich auskennen, kriegen wir höchstens dreißig dafür. Aber vielleicht finden wir einen Dummen, der uns hundert zahlt.« Er schaute auf und zwinkerte Loretta verschmitzt zu. »Ihr wisst schon, der Trick mit der Tochter des verschuldeten Grafen aus Ungarn.«

Oscar, Normans Bruder, der gegen das Wagenrad des Landauers gelehnt eine Zigarette rauchte, nickte mit einem schiefen Grinsen. »Dafür müssten wir aber in ein Casino, und du hast selbst gesagt, dass alle lohnenswerten Spielhöllen in der Gegend bis auf weiteres verbrannte Erde sind.«

Wiseman zuckte die Achseln und warf die Uhr Norman zu, der sie geschickt mit der Hand auffing und in seiner Jacke verschwinden ließ.

»Ich schätze, Louisiana ist für uns inzwischen in Gänze verbrannte Erde, Freunde. Es wird Zeit, den Blick gen Norden zu richten.«

Loretta hob die Augenbrauen und schlang die Arme um ihre Schultern. »Damit meinst du aber nicht wirklich Norden , oder?« Theatralisch begann sie zu bibbern und mit den Zähnen zu klappern. »Da ist es kalt und regnet dauernd. Schon bei dem Gedanken daran bekomme ich einen Schnupfen.«

Norman lachte und rieb ihr über den Rücken. »Keine Sorge, Schwesterherz. Das wird uns Wiseman doch nicht antun wollen.«

Er warf ihrem Anführer einen neugierigen Blick zu. »Oder, Nat?«

Der Angesprochene schüttelte den Kopf. »Auf keinen Fall. Ich hatte eher an Tennessee gedacht. Mildes Klima, wohlhabende Städte, und wenn wir dem Mississippi folgen, können wir in zwei Tagen zwei Staatsgrenzen hinter uns bringen.«

Oscar blickte wachsam in Richtung seines Anführers. »Wenn ich deine Miene richtig deute, hast du schon einen Plan in petto.«

Wiseman runzelte die Stirn. »Ich muss mir wohl Sorgen um mein Pokerface machen, Kleiner. Du scheinst in mir zu lesen wie in einem offenen Buch.«

»Nicht ganz.« Oscar grinste breit und warf seine Zigarette fort. »Du warst heute Morgen beim Telegrafenbüro und hast eine Nachricht erhalten. Willst du uns nicht verraten, was darin stand?«

Wiseman lächelte. »Sicher. Aber alles zu seiner Zeit.« Er warf einen Blick den Hügel hinab auf die Stadt, über der sich langsam die Dämmerung herabsenkte. »Jetzt sollten wir machen, dass wir davonkommen, bevor Mr. Petterson uns den Sheriff und seine Deputies auf den Hals hetzt, meint ihr nicht? Wenn wir uns beeilen, können wir heute Nacht noch Monroe erreichen.«

Gesagt, getan. Sie beeilten sich, über die Brücke bei Gallup den Red River zu überqueren und den Ort ihres jüngsten Coups hinter sich zu lassen. Als die Nacht hereinbrach, lagen bereits vierzig Meilen zwischen ihnen und dem beraubten Hotelbesitzer, und das Quartett der Betrüger begann, sich zu entspannen.

Die Prentice-Geschwister und Wiseman waren sich erst vor gut einem halben Jahr über den Weg gelaufen, doch die Umstände ihres Zusammentreffens hatten Loretta und ihre Brüder sofort davon überzeugt, wer zukünftig das Sagen hatte.

Vor Wiseman hatten sie sich für ausgekochte Schlitzohren gehalten. Bis der elegant gekleidete Mann mit der goldfarbenen Weste und dem weißen Stetson sie vorgeführt und gezeigt hatte, wer der wahre Meister war.

Loretta konnte bis zu diesem Tag noch nicht glauben, wie leicht es ihm gefallen war, sie hinters Licht zu führen. Ein Sheriffstern hatte gereicht, dabei waren diese Abzeichen aus Blech einfacher zu klauen oder zu fälschen als ein Silberdollar.

Dennoch hatten sich ihre Brüder fast in die Hosen gemacht, als Wiseman sie mit ihrer Beute in einer Gasse stellte und aufforderte, ihm das Geld und den Schmuck auszuhändigen. Er hatte nicht einmal seinen Revolver ziehen müssen, um Norman und Oscar zu überzeugen.

Es war schlicht seine autoritäre Ausstrahlung gewesen, die die Brüder eingeschüchtert und bewogen hatte, dem Befehl ohne Zögern Folge zu leisten.

Wiseman musste sie schon Stunden zuvor beobachtet haben, ohne dass sie ihn bemerkten. Er hatte dem Raubzug in aller Ruhe zugesehen und sie dann gestellt, als sie sich davon machen wollten.

Loretta hatte sich bereits auf einen langen Aufenthalt in der Haftanstalt von New Orleans vorbereitet, doch dann ließ Wiseman lachend die Bombe platzen.

»Ihr müsst noch einiges lernen, aber ihr habt Talent«, waren die Worte gewesen, die sie und ihre Brüder erst verblüfft erstarren ließen, bevor kurz darauf Erleichterung folgte.

Und Bewunderung für den Mann, der sie gefoppt hatte.

Seitdem waren sie erfolgreicher denn je gewesen, weil Wiseman so viel klüger und erfindungsreicher vorging, als es Loretta in ihren wildesten Fantasien erdenken konnte.

Seit Wiseman hatten sie dreimal mehr Beute gemacht als in den ganzen Jahren zuvor. Deshalb stellten weder sie noch Norman oder Oscar jemals eine Entscheidung des Chefs in Frage. Wenn Wiseman beschloss, dass Louisiana passé war, dann wurde darüber nicht diskutiert. Er wusste, was richtig war und hatte einen Plan für die Zukunft.

Wiseman hatte immer einen Plan. Und er war die Zukunft.

»Hmmm«, flüsterte die Frau mit dem kupferfarbenen Haar. »Mach weiter, das fühlt sich toll an.«

Ihre Hände glitten zwischen ihre geöffneten Schenkel und streichelten dem Mann, der sich dort mit ebenso viel Können wie Hingabe der Aufgabe widmete, ihr seit geraumer Zeit recht eintöniges Liebesleben zu bereichern, den Kopf. Sie schloss die Augen und gab sich ganz den süßen Wonnen hin, die sich von ihrer Körpermitte aus wie ein milder Sommerwind in ihrem Körper ausbreiteten.

Es war schon lange her, dass sie sich das letzte Mal getroffen hatten, doch es hatte nur einige wenige Blicke gebraucht, bis sie sich ohne ein Wort darüber einig geworden waren, dass das Wiedersehen gebührend zelebriert werden sollte. Ein edles Dinner bei Kerzenlicht im besten Restaurant der Stadt, bei dem sie es tunlichst vermieden, den Grund seines Besuches auch nur zu erwähnen – stattdessen erzählten sie sich gegenseitig, wie es ihnen in der Zeit seit dem letzten Treffen ergangen war, und er schien die seltene Gelegenheit, offen über seine Aufträge sprechen zu können, durchaus zu genießen.

Doch als das Dessert gegessen und die Rotweinflasche geleert war, hatte er ihre Hand genommen und ihr tief in die Augen geschaut, während er fragte: »Zu dir oder zu mir?«

Sie hatte gelacht und die Augenbrauen gehoben: »Was glaubst du wohl? Bei mir dürfte es deutlich gemütlicher sein als in einem Hotelzimmer, oder nicht?«

Keine Viertelstunde war verstrichen, bis sie ihre Wohnung über dem Büro erreicht, sich ins Schlafzimmer zurückgezogen und ohne Umschweife ihrer Kleidung entledigt hatten.

In den dreißig Monaten hatte er nichts von seinen Talenten eingebüßt, und er ließ sich alle Zeit der Welt, um das unter Beweis zu stellen. Buchstäblich jeder Zoll ihres Körpers wurde von kundigen Händen erforscht, die seit langem verstummte Saiten in ihr zum Klingen brachten. Sie genoss die fast quälend langsame Steigerung ihrer Leidenschaft, bis irgendwann der Moment gekommen war, da sie nicht mehr warten, ihn in sich spüren wollte.

Er verstand die leisen Signale ihres Körpers, ohne dass sie etwas sagen musste, und als er endlich in sie eindrang, durchfuhr sie die Lust fast wie ein Blitzstrahl.

Auch seine Erregung war nun unverkennbar, und ihr Liebestanz wurde wilder, ungestümer, obwohl er immer noch an sich hielt, ihre Vereinigung offenbar bis zum letzten Moment auskosten wollte. Sie küssten sich, während ihre Körper, nun von der Hitze der Ekstase schweißbedeckt, sich innig aneinander schmiegten.

Schließlich war sie es, die spürte, wie sich der Höhepunkt unweigerlich näherte, einer Sturmwoge gleich auf sie zurollte, und als er bemerkte, wie ihre Atemzüge schneller und ihre Bewegungen heftiger wurden, gab auch er den Widerstand auf und ließ seinen Gefühlen freien Lauf.

In nahezu perfektem Einklang erreichten sie den Gipfel der Leidenschaft und trieben darüber hinweg, bis sich selige Ermattung in ihren Körpern ausbreitete.

Nachdem einige Minuten verstrichen waren, in denen sie schweigend die Nachwehen der Lust genossen, richtete sich Lassiter ein Stück auf und faltete die Hände unter dem Nacken. Er warf der Frau an seiner Seite einen forschenden Blick zu und zwinkerte dabei.

»Also, Fabienne … so gern ich glauben würde, dass du mich nur kontaktiert hast, um mal wieder richtig Spaß zu haben, fürchte ich, der wahre Grund ist doch ein anderer.«

Fabienne Margaux seufzte tief und drehte sich auf den Bauch. Sie legte den Kopf in den Nacken und erwiderte Lassiters Blick mit einem schiefen Lächeln. »Du meinst, es ist an der Zeit, sich wieder dem Ernst des Lebens zuzuwenden?«

Er zuckte die Achseln und grinste. »Ich bin nur neugierig. Wir haben uns alle Mühe gegeben, das Thema nicht zu berühren, aber du bist immer noch die Kontaktperson der Brigade Sieben.«

»So ist es«, gab sie zu, streckte die Hand aus und fuhr mit den Fingerspitzen durch sein Brusthaar. »Was ja auch seine angenehmen Seiten hat. Aber es stimmt natürlich. Du bist hier, weil die Brigade einen neuen Auftrag für dich hat.«

Während sie sich auf den Rand des Bettes setzte, griff Lassiter nach der Messingdose auf dem Nachttisch, nahm einen Zigarillo heraus und zündete ihn an. Er blies den Rauch an die Decke und fragte: »Okay, worum geht es?«

Fabienne erhob sich, griff nach einem seidenen Morgenmantel und streifte ihn sich über den nackten Körper. Sie wandte sich wieder Lassiter zu. »Sagt dir der Name Fjodor Rosenberg etwas?«

Er überlegte einen Moment, bevor er den Kopf schüttelte. »Nie gehört.«

»Das ist nicht weiter überraschend. Der Mann hat dem Begriff »Diskretion« eine völlig neue Bedeutung verliehen. Was bei seiner Klientel durchaus nachvollziehbar ist.« Sie setzte sich wieder auf die Bettkante und sah Lassiter eindringlich an. »Rosenberg wird in gewissen Kreisen auch der Bankier der Banditen genannt.«

Lassiter hob die Augenbrauen. »Und das bedeutet?«

»Er wäscht blutiges Geld, Beute aus allen möglichen Verbrechen. Lösegelder für Entführungsopfer, geraubte Dollars von Überfällen, die Einnahmen aus Schutzgelderpressungen. Alles, was organisierte Banden so an illegalen Werten anhäufen, geht durch seine Hände und verwandelt sich auf wundersame Weise in rechtmäßige Besitztümer. Das können Landbesitz oder Wasserrechte sein, die Teilhabe an einem Saloon oder auch ein Frachtkahn.«

Lassiters Lippen kräuselten sich zu einer sarkastischen Miene. »Banditen werden zu Farmern oder Flussschiffern? Fällt mir schwer, das zu glauben.«

»Ganz so läuft es ja auch nicht«, entgegnete Fabienne. »Für die ehrliche Arbeit gibt es Strohmänner, aber den Großteil der Einnahmen kassieren die Gangster – nur dass es sich dabei dann um sauberes Geld handelt. Und im Nachhinein niemand mehr beweisen kann, woher die Summe mal stammte, mit der die Besitztümer erworben wurden.«

»Damit kommt Rosenberg durch? Irgendwann muss er das schmutzige Geld ja übernehmen, bevor er es investieren kann. Und dabei wurde er nicht einmal erwischt?«

»Wie gesagt, Diskretion ist quasi sein zweiter Vorname«, sagte Fabienne. »Er stellt sich äußerst geschickt an und ist so glatt wie ein Fisch. Obwohl man ihm seit geraumer Zeit auf der Spur ist, konnte bisher nicht der geringste Beweis gefunden werden. Seine eigenes Geldhaus befindet sich in Memphis, aber er arbeitet mit mindestens einem halben Dutzend anderer, ähnlich zweifelhafter Banken zusammen, zwei davon auch drüben in Mexiko.«

Lassiter runzelte skeptisch die Stirn. »Mal im Ernst, Fabienne – wäre da nicht eine Truppe Buchprüfer geeigneter, um so einem Burschen auf die Schliche zu kommen? Ich weiß nicht recht, was ich da ausrichten soll.«

»Buchprüfer müssen sich ankündigen, und selbst dann kann man ihnen manchmal den Zugriff auf Dokumente verwehren. Rosenberg beschäftigt ein halbes Dutzend abgefeimter Winkeladvokaten, die mit allen Wassern gewaschen sind. Derlei Versuche sind bisher immer gescheitert. Deshalb müssen wir den Mann in flagranti erwischen, und dabei kommst du ins Spiel.«

Lassiter hob die Hände zum Zeichen, dass sie fortfahren sollte.

»Rosenberg lebt sehr zurückgezogen, aber ab und an wagt er gern mal ein Spielchen. Poker, Blackjack, Roulette. Er spielt nie um große Einsätze und gewinnt öfter, als dass er verliert. Aber diese Leidenschaft ist wohl ein Grund dafür, dass er in fünf Tagen die Queen of Hearts einweihen wird.«

»Ein Spielcasino?«, fragte Lassiter, und Fabienne nickte.

»So in etwa. Ein schwimmendes Spielcasino, das in Memphis getauft wird und auf seiner Jungfernfahrt ein paar Meilen den Mississippi hinab schippert.«

Der Brigadeagent verengte die Augen. » Ein Grund – und was ist der andere?«

Sie lächelte. »Gut zugehört. Der andere ist Lionel Bunker.«

»Bunker? The Lion Bunker?« Dieser Name sagte ihm tatsächlich etwas. Ein Gangsterboss, der seine Finger in allen möglichen schmutzigen Geschäften hatte. »Schätze mal, der zählt zu Rosenbergs exklusivem Kundenkreis.«

Sie zielte mit dem Finger auf ihn. »Bingo. Einer unserer Spitzel hat mitbekommen, dass die beiden Gentlemen sich auf dem Schiff treffen wollen, um einen Austausch über die Bühne zu bringen. Eine große Summe Greenbucks gegen Besitzurkunden – über was auch immer.«

»Auf einem Raddampfer?« Ungläubig schüttelte Lassiter den Kopf. »Während dort ein Casino eröffnet wird?«

Fabienne lächelte. »Je mehr Trubel herrscht, desto weniger fällt so etwas auf, oder? Vor allem, weil dort ohnehin jede Menge Dollars an Bord sein werden.«

»Klar …« Lassiter kratzte sich nachdenklich an der Stirn.

»Im Übrigen gehört Rosenberg der Dampfer, jedenfalls zum größten Teil«, erwähnte Fabienne beiläufig.

»So empfängt der Bankier den Klienten mit dem sauer verdienten Geld in angemessener Umgebung. Und wie lässt sich Geld besser waschen als auf einem Schiff, das Staatsgrenzen einfach so passieren kann bis runter zum Golf von Mexiko – und darüber hinaus, wenn nötig.«

»Gut erkannt.« Fabienne strich sich eine Strähne ihres kupferfarbenen Haars aus dem Gesicht. »Ich habe Billetts für dich und dein Pferd am Bahnhofsschalter hinterlegen lassen. Der Frühzug nach Memphis fährt morgen um acht.«

Lassiter lächelte. »Dann bleibt uns ja noch die ganze Nacht.«

»So war mein Plan, Großer …« Sie lächelte zurück und streifte den seidenen Morgenmantel ab.

Mit der Dämmerung kamen die Mücken.

Fluchend schlug sich Lionel » Der Löwe « Bunker die Hand in den speckigen Nacken, zog sie zurück und verzog die Lippen, während er die blutverschmierten Überreste des Insekts auf der Handfläche betrachtete, nach der Serviette auf dem Tisch griff und seine Hand abwischte.

»Widerliche Mistviecher.«

Die magere Blondine, die ihm gegenübersaß, betrachtete Bunker in einer Mischung aus Abscheu und Langeweile. Als er den Ausdruck auf ihrem blassen Gesicht bemerkte, verzog der Löwe die fleischigen Lippen.

»Was ist denn, Caprice? Schmeckt dir das Essen etwa nicht?«

Die Frage war überflüssig. Sie hatte den appetitlich angerichteten Teller nicht einmal angerührt.

»Wenn dich die Mücken so stören, frage ich mich, warum wir überhaupt hierher gereist sind«, gab Caprice mürrisch zurück und verschränkte die Arme vor der Brust. »Weiß doch jeder, dass die hier am Mississippi eine Plage sind.«

Er nickte, obwohl ihm nicht entgangen war, dass die Mücken zwar in Heerscharen um den Tisch herumschwirrten und ihn als willkommenes Opfer erwählt hatten, sich aber bisher noch kein einziges Tier auf seiner Geliebten niedergelassen hatte.

Vermutlich war ihnen der Lebenssaft der jungen Frau nicht nahrhaft genug.

Er ließ seine Hand auf dem dicht behaarten Unterarm niedersausen und tötete zwei Mücken auf einmal, bevor er einen Blick auf den Teller der Frau warf. »Willst du das nicht mehr essen? Goddam, das sind frisch gefangene Flusskrebse in einem Sud aus französischem Rotwein! Der Teller vor dir hat mich zwölf Dollar gekostet.«

Sie rollte mit den Augen und schob ihm das Gericht über den Tisch hinweg zu. »Dann tu dir keinen Zwang an.«

Während er begehrlich den Blick senkte und die Finger in den tiefen Teller tauchte, sah Caprice über das Geländer der Veranda hinweg auf den träge dahinfließenden Fluss hinaus.

»Ich kann das alles nicht mehr ertragen«, murmelte sie leise, doch Bunker hörte nicht zu, weil er sich bereits mit beiden Händen das rote Fleisch zwischen die mächtigen Kiefern schob und dabei genüsslich die Augen schloss.

»Du weißt nicht, was dir gerade entgeht«, brachte er mit vollem Mund hervor und hob den Kopf, als ein Kellner an ihren Tisch trat.

»Alles in Ordnung bei Ihnen?«, fragte der junge Mann in der eleganten Livree und ließ sich nicht anmerken, dass ihm das Paar, das den Tisch in der Ecke belegte, äußerst suspekt vorkam.

Was der Koloss, der sich mit fettglänzenden Fingern über den Teller beugte, zu viel auf den Rippen hatte, fehlte der Frau gegenüber, die so dünn war, dass sie in ihrem weißen Kleid auf dem hellen Rattanstuhl fast zu verschwinden schien. Doch es war nicht nur der krasse physische Gegensatz der beiden, der dem Kellner merkwürdig vorkam.

Auch der Altersunterschied zwischen ihnen passte nicht dazu, dass der dicke Mann mit der graublonden Mähne dem Mädchen immer wieder vertraulich den Arm und die Schulter tätschelte. Gesten, die einer Geliebten angemessen wären, obwohl das Mädchen so jung aussah, dass es seine Tochter sein konnte, oder gar eine Enkelin.

Bunker griff nach einer Serviette und wischte sich die Finger ab, während er den Kellner argwöhnisch musterte.

»Habe ich dich gerufen, Junge? Oder gewunken? Wenn mir etwas nicht passt, dann mache ich mich schon bemerkbar, keine Sorge.« Sein Blick fiel auf die leeren Weingläser. »Aber wenn du schon mal da bist, dann schenk nach und bring mir dazu noch einen Whiskey mit Eis.« Er hob einen seiner dicken Finger in die Höhe. »Ein Würfel, nicht mehr – okay?«

Der Kellner neigte leicht den Kopf und nahm die Weingläser vom Tisch. »Sehr wohl, Sir.«

Als er sich entfernte, schaute Caprice ihm nach, das Gesicht zu einer düsteren Miene verzogen. Bunker beugte sich vor und fletschte die Zähne.

»Gefällt dir der Kerl? Du kannst es mir ruhig sagen, Schätzchen. Nur keine Scheu.«

Sie schüttelte den Kopf. »Blödsinn«, sagte sie leise und senkte den Blick.

Sie wusste genau, was The Lion mit Männern machte, die auch nur den Anschein erweckten, dass Caprice ihnen schöne Augen machte.

Den letzten hatte man kopfüber in einem Wasserfass aufgefunden; dabei hatte der Stallbursche nur freundlich darauf hingewiesen, dass ihr Pferd lahmte. Und sie dabei wohl eine Sekunde zu lang angelächelt.

Lionel Bunker betrachtete sie als ihr Eigentum, und wer sich dem Verdacht aussetzte, ihm das streitig machen zu wollen, musste mit dem Schlimmsten rechnen.

Dabei war es für Caprice selbst immer noch ein Rätsel, was der Gangsterboss an ihr fand. Wenn sie in den Spiegel sah, starrte ihr ein reizloses Wesen mit leeren Augen entgegen, und in den vier Jahren, die sie nun an der Seite des Löwen verbracht hatte, war ihr Äußeres nicht attraktiver geworden; ganz im Gegenteil.

Nun ja. Der Umstand, dass Bunkers Männer Ihre Eltern und den Bruder erschossen, die Farm der Familie dem Erdboden gleichgemacht und sie selbst verschleppt hatten, spielte dabei wohl eine nicht unerhebliche Rolle.

Ihre Welt war zerbrochen, und seitdem befand sie sich in seinen feisten Händen, wie ein zerbrechliches Kleinod – unfähig, das Trauma von sich abzuschütteln.

Anfangs hatte sie noch an Flucht gedacht, daran, eine Chance zu nutzen, um zu einem Sheriff zu laufen und von dem Verbrechen zu berichten. Doch je länger ihre Gefangenschaft dauerte, desto deutlicher wurde ihr, dass ein Mann wie Bunker nicht so einfach zur Rechenschaft gezogen werden konnte.

Er saß mit Marshals am Tresen, pokerte mit Richtern und hatte keine Bedenken, sie dabei Zeuge werden zu lassen. Wohl deshalb, um sie teilhaben zu lassen an seiner Macht, die sich nonchalant über das Gesetz erhob.

Als sie erkannte, wie diese Karten- und Kneipenrunden dazu dienten, die Gesetzeshüter mit Dollars zu beschwichtigen, sank ihre Hoffnung auf Gerechtigkeit, bis sie sich irgendwann in Resignation auflöste.

Recht erlangte man in diesem Land wohl nur dann, wenn man es sich erkaufen konnte. Und wer genug Geld hatte, konnte selbst mit den schlimmsten Verbrechen davonkommen.

Also hatte sie sich ihrem Schicksal ergeben. Dem feisten Hünen, der sie immerhin mit einer grobschlächtigen Form von Zuneigung bedachte.

Doch sie hatte immer auf ihre Chance gelauert. Auf die Gelegenheit, sich zu rächen.

»Howdy, Memphis!«

Übermütig schwenkte Oscar Prentice seinen Bowler, und Loretta lächelte ihm vom Kutschbock aus spöttisch zu.

»Jetzt beruhige dich, Hübscher. Kein Grund, sich gleich in die Hosen zu machen!«

»Also hör mal, Schwesterchen«, ließ sich Norman, der neben ihr saß, schmunzelnd vernehmen. »Das ist unsere Heimatstadt, Hort der Kindheit und innigster Erinnerungen!« Er ließ die Peitsche knallen und brachte damit die Pferde wieder in Bewegung.

Wiseman ritt voran, während sie den Hügel überquerten. Niedrige Hütten duckten sich unter den Bäumen, bis die Straße breiter wurde und sich vor ihnen die Gebäude der Stadt vor dem breiten, silbern glänzenden Strom erstreckten. Ihr Anführer hatte ihnen seit einer Stunde nur den Rücken zugekehrt und kein Wort verloren.

Loretta legte stirnrunzelnd den Kopf schief, während sie zu den Dächern hinabschaute. »Schön für dich, Oscar, aber wie Du und Norman wissen, kann ich diese Erinnerungen nicht teilen.«

»Nur aus unseren Erzählungen«, musste Norman zugeben. »Aber es war auch nicht alles eitel Sonnenschein.« Er zuckte die Achseln, während er über die Pferde, die den Landauer zogen, zu seinem Bruder und Wiseman schaute, die vor der Kutsche über die Straße trabten. »Obwohl, wenn ich daran zurückdenke, wie Kylie, diese saftige Blondine mit den dicken Brüsten, mir damals die Unschuld geraubt hat … da war ich gerade vierzehn, und ich glaube, die Scheune, in der es passierte, befand sich nur ein paar hundert Yards von hier, gleich die nächste Straße den Hang hinauf.«

Sie stieß ihm den Ellenbogen so kräftig in die Seite, dass er überrascht ächzte. »Danke, Norm, aber auf diese Anekdote kann ich ausnahmsweise gern verzichten.«

Dennoch wusste sie, was er meinte. Schließlich hatten Norman und Oscar ihr in den vergangenen Jahren immer wieder episodenhaft davon berichtet, wie sie in den Wirren des endenden Bürgerkriegs aus Memphis geflohen waren und den »kleinen Wurm«, der sie damals noch gewesen war, an den Fronten der kämpfenden Soldaten vorbei getragen hatten. Und dabei hatte Memphis immer wieder als wehmütige Vision einer idyllischen Kindheit eine Rolle gespielt.

Die abenteuerlichen Erlebnisse hatten Loretta an ungezählten Abenden in den Schlaf begleitet, wobei sich vor allem Oscar stets als begnadeter Erzähler erwiesen hatte.

Natürlich war ihr bewusst, dass die Brüder ihre Heldentaten nicht akkurat schilderten, sondern sie gern ausschmückten und dramatisierten. Doch während sie an der Seite der beiden Männer aufwuchs, gefiel ihr diese schillernde Biographie der Prentice-Geschwister nicht nur immer mehr, sie wurde auch zu einer gefälligen Version der Vergangenheit.

Der Schönheitsfehler daran war das beredte Schweigen ihrer Brüder, sobald sie Fragen über ihre Eltern stellte. Selbst der geschwätzige Oscar wurde dann immer wortkarg.

Deshalb wusste sie nicht viel mehr über ihre Erzeuger, als dass Mutter kurz nach Lorettas Geburt gestorben und Vater im Krieg gefallen war. Es existierten weder Fotografien noch Briefe oder andere Hinterlassenschaften. Alles außer ihren Erinnerungen war auf der Flucht abhandengekommen.

Allmählich war aus dem kleinen Wurm ein Kind und schließlich eine junge Frau geworden, und Loretta verstand schon bald, dass sie sich ihren Lebensunterhalt mit Betrügereien verdienten statt mit ehrlicher Arbeit. Die beiden Männer nahmen die Verantwortung für die Verpflegung des Kindes ernst, ohne dafür in Schweiß geraten zu wollen. Und das gelang ihnen meistens problemlos.

In der freien Zeit brachten sie Loretta bei, wie sie sich nützlich machen konnte. Je älter sie wurde, desto bedeutsamer wurde ihre Rolle bei den Betrügereien und Diebstählen – und desto höher fiel auch der Ertrag aus.

»Wir sind alles, was dir noch geblieben ist, Loretta«, hatte Oscar irgendwann einmal mit trauriger Miene gesagt. »So leid es uns tut.«

Das war mehr, als viele andere hilflose Kleinkinder im Krieg hatten erwarten können, und deshalb war Loretta ihren Brüdern dankbar dafür, dass sie sie gerettet hatten. Und sie dankte auch Gott – ab und an – weil er sie alle drei stets beschützt hatte, obwohl sie alles andere als rechtschaffene Menschen waren.

»Da wären wir!«

Loretta hob den Kopf und sah Wiseman verwirrt in die Augen, während sie sich aus dem Netz ihrer Erinnerungen befreite.

»Was hast du gesagt?«

Er deutete mit dem Daumen hinter sich.

»Unser Hotel«, antwortete er schlicht, und die junge Frau schaute zu dem zweigeschossigen Bau mit der blassrosa gestrichenen Fassade hinüber, über dessen Eingang ein Schild hing, das ihn als Marillion Hotel auswies.

Was immer der Name auch bedeuten mochte, der Schuppen sah durchaus respektabel aus, doch ein Blick die Straße hinab verriet ihr, dass sie sich noch ein gutes Stück vom Stadtkern entfernt befanden. Offenbar wollte Wiseman Distanz halten zum Trubel der Innenstadt.

Er wandte sich den Männern zu. »Ihr bringt die Kutsche und die Pferde zum Mietstall. Wenn ihr den Landauer für ein paar Bucks verkaufen könnt, dann tut das. Das Gleiche gilt für die Gäule, wir werden uns andernorts neue besorgen. Lasst nichts Persönliches im Stall zurück, klar? Nicht mal einen Fetzen Papier, auf dem euer Name steht. Wir treffen uns im Coppers Inn , das ist eine Kaschemme in der Black Street am Hafen – in einer Stunde. Dort werde ich euch verraten, warum wir hier sind.«

»Das hört sich nicht so an, als würden wir auch hier logieren«, vermutete Norman stirnrunzelnd, und Wiseman nickte.

»Ab sofort kennen wir uns nicht, klar? Es ist von entscheidender Bedeutung, dass niemand uns zusammen sieht. Sucht euch getrennte Zimmer in verschiedenen Unterkünften. Im Coppers Inn fragt ihr am Tresen nach Daddy, dann bringt man euch in ein Hinterzimmer.«

Oscar rollte mit den Augen und bewegte theatralisch den Kopf hin und her. »Uiuiui, Wiseman! Das klingt aber richtig dramatisch. Was hast du vor – den Präsidenten umzulegen?«

»Das wäre vermutlich leichter und weniger gefährlich«, brummte Wiseman und bedachte Oscar dabei mit einem Blick, der aufkeimende Ungeduld erkennen ließ. »Ihr solltet meine Anweisungen besser genau befolgen, denn wir haben es mit brandgefährlichen Leuten zu tun.«

»Und warum lassen wir uns dann überhaupt darauf ein?«, wollte Loretta wissen, während sie vom Kutschbock kletterte und Oscar ihr die Reisetasche reichte.

Wisemans Mundwinkel hoben sich zur Andeutung eines Lächelns. »Glaub mir, Kleines. Dafür gibt es hunderttausend gute Gründe.«

Die Brüder trafen über eine halbe Stunde zu spät im Coppers Inn ein, hatten aber ihre Gründe dafür.

»Memphis scheint gerade viele Reisende anzulocken«, berichtete Norman, als er an dem Tisch in dem kleinen Hinterzimmer Platz nahm, auf dem noch die leeren Teller des Mittagessens standen, das Wiseman und Loretta sich hatten bringen lassen. »War verdammt schwierig, noch ein anständiges Zimmer zu bekommen, für das man keinen Bankkredit aufnehmen muss. Ich sehe, ihr habt schon ohne uns gegessen.«

Oscar hängte seinen Bowler an einen Hutständer neben der Tür und breitete die Hände aus. »Es sind wirklich jede Menge Fremde in der Stadt. Der Portier im Douglas Rest hat mir erzählt, das läge an einem Raddampfer, der morgen eingeweiht wird und so eine Art schwimmendes Spielcasino sein soll.« Er grinste Wiseman listig an. »Klingt fast so, als wären wir aus demselben Grund angereist, oder liege ich da falsch?«

»Tust du nicht …« Wiseman erwiderte das Lächeln nicht, sondern starrte die beiden Männer stirnrunzelnd an. »Hatte ich euch nicht eingeschärft, dass wir uns nicht kennen?«

Oscar hob betreten die Augenbrauen. »Sicher hast du das. Wir wohnen getrennt, und Normans Schuppen liegt zwei Blöcke vom Douglas Rest entfernt …«

»… und trotzdem seid ihr wie die besten Freunde gemeinsam hier aufgekreuzt«, fuhr ihm Wiseman barsch ins Wort. »Habt ihr etwa auch in trauter Zweisamkeit eure Zimmer gebucht? Dann hättet ihr nämlich auch gleich im selben Laden einchecken können.«

Die Brüder sahen sich kurz an, dann hob Norman die Hand und öffnete den Mund zu einer Erwiderung, doch Wisemans ärgerliches Schnauben ließ ihn innehalten. »Schon gut, Norman. Du musst nicht antworten, wirst dir aber eine andere Bleibe suchen, sobald wir hier fertig sind. Verstanden?«

Der Zurechtgewiesene verzog ärgerlich die Lippen, nickte aber.

»Ich sage es noch einmal, Freunde – das, was vor uns liegt, wird kein Kinderspiel, aber es kann uns alle reich machen.«

»Was meinst du damit, reich …?«, fragte Loretta, die Wisemans Worte eher nervös machten, als dass sie einen Anlass zu freudiger Erwartung lieferten.

Der Anführer warf ihr einen kurzen Seitenblick zu.

»Das, was ich sage. Hier geht’s nicht um ein paar hundert Dollar. Es geht um …« Eine sekundenlange Kunstpause folgte, bevor er den Satz vollendete, »… hunderttausend – vielleicht etwas mehr, vielleicht etwas weniger.«

Norman schnappte ihm gegenüber hörbar nach Luft, und Oscar griff nach der Stuhllehne vor sich.

»Wie bitte?«, stießen beide unisono hervor, und Loretta legte sich entgeistert die Hand vor den Mund.

Die Brauen bedeutungsvoll erhoben, nahm Wiseman gelassen einen Zug von seinem Zigarillo. »Que sera, compadres. Der ganz große Jackpot, zum Greifen nahe.«

Sein Blick wanderte über die erblassten Gesichter seiner Komplizen, und er seufzte vernehmlich. »Ich hatte gedacht, nach den lehrreichen Monaten, die hinter euch liegen, wäret ihr bereit, bei den Großen mitzuspielen. Aber wenn ich euch so anschaue, bekomme ich ernste Zweifel.«

Er musterte Oscar eindringlich. »Musst du dich übergeben, Junge?« Er zeigte zur Tür. »Das ist okay, aber mach das bitte draußen. Die Toilette ist nur ein paar Schritte links den Gang runter.«

Oscar schluckte und hob die Hand, während er langsam auf dem Stuhl neben seinem Bruder niedersank. Norman starrte Wiseman an und räusperte sich, bevor er sagte: »Goddam, Nat – wir sind bereit, keine Sorge. Aber wie zur Hölle sollen wir so viel Kohle klarmachen? So ein Haufen Dollars wird normalerweise von Panzerschränken, dicken Mauern und bewaffneten Wächtern geschützt, nehme ich an. Wir sind keine Bankräuber, wie du weißt. Und niemand schleppt einfach so hunderttausend Dollar in einer Tasche mit sich herum, die man ihm mit einem kleinen Ablenkungsmanöver abjagen könnte.«

»Alles richtig, mein Freund«, entgegnete Wiseman und sog an seinem Zigarillo. Sein schmales Lächeln wirkte ein wenig selbstgefällig, wie Loretta fand, doch jemand wie er durfte sich ein gewisses Maß an Eitelkeit wohl leisten. »Wobei es da Ausnahmen von den Regeln gibt. Einem allerdings muss ich uneingeschränkt zustimmen.«

»Und das wäre?«, fragte Loretta neben ihm.

Wisemans Grinsen verbreiterte sich. »Mit einem einfachen Ablenkungsmanöver ist es nicht getan, da hat Norman recht. Die Geschichte wird ein wenig komplizierter als das, was wir bisher gemacht haben. Und dafür ist all euer Talent und vollster Einsatz gefragt. Aber der Lohn entspricht immer der Leistung, die man dafür zu erbringen bereit und in der Lage ist.«

»Es ist wohl nicht nur komplizierter, sondern auch gefährlicher, höre ich da heraus. Was heißt das? Es geht darum, Banditen zu berauben, oder?« Lorettas Miene wirkte angespannt.

Wiseman zuckte die Achseln. »Das ist doch allemal besser, als einem ehrlichen Mann sein sauer verdientes Geld zu rauben, findest du nicht?«

Loretta presste die Lippen zusammen und schwieg. Er spielte auf Petterson an, doch der reiche Sack konnte den Verlust seiner Börse leicht verschmerzen und war außerdem ein Mistkerl, der seine Frau betrog. Sie hasste es, wenn Wiseman sie und ihre Brüder auf diese Weise mit geschickt gewählten Worten manipulierte, auch wenn ihr dafür selten eine Erwiderung einfiel – oder gerade deswegen.

Wenn man es moralisch betrachtete, konnte sie den Worten ihres Anführers zustimmen, nicht aber, was die Folgen anging, falls die Sache schiefging. Doch als sie die glänzenden Augen ihrer Brüder bemerkte, wurde ihr klar, dass das Risiko des anstehenden Coups beim weiteren Verlauf des Gesprächs keine große Rolle mehr spielen würde.

»Jetzt rede doch endlich mal Tacheles, Wiseman«, forderte Oscar, der sich mittlerweile von dem Schock der irrwitzig hohen Summe, die ihnen winkte, erholt hatte und wieder den gewohnten Schalk im Gesicht trug. »Für fünfundzwanzigtausend Dollar scheiße ich mir gern mal vor Angst in die Hosen und mache auch sonst so einiges, so lange ich niemanden umlegen muss.«

»Das wird sich hoffentlich vermeiden lassen«, erwiderte Wiseman. »Ihr wisst, ich verabscheue Gewalt, selbst die Androhung davon.« Er nahm Oscar in den Blick. »Dir, mein Bester, steht im Übrigen eine Aufgabe an, die eher das Gegenteil davon beinhaltet.«

Oscar lächelte. »Du meinst, ich soll mich an ein Mädel heranwerfen?«

»Ganz genau, aber dazu kommen wir später.« Wiseman beugte sich etwas vor, ergriff sein Weinglas und trank einen Schluck, bevor er die Hände ausbreitete.

»Nun zu meinem Plan … ich nenne ihn, zu Ehren der hübschen jungen Dame an meiner Seite, die dabei eine ganz herausragende Rolle spielen wird, die Loretta-Methode.«

Loretta erwiderte Wisemans Lächeln, doch etwas in ihrer Brust schien sie am Atmen hindern zu wollen.

»Lassiter? Madre de Dios, ich kann meinen Augen nicht trauen, oder etwa doch?«

Der Agent der Brigade Sieben erwiderte das breite Grinsen, das ihm aus dem Halbdunkel des Schankraums entgegen strahlte.

»Dolores.« Die füllige Latina kam ihm entgegen, und sie umarmten sich herzlich.

»Gut siehst du aus, Darling«, sagte er, obwohl er den Verdacht hegte, dass Señora Santiago seit ihrer letzten Begegnung vor etwa drei Jahren ein paar Kilo mehr auf die Waage brachte.

Schmunzelnd wedelte sie mit der rechten Hand, an der pro Finger mindestens zwei Ringe matt im Zwielicht schimmerten. »Danke für die Blumen, aber ich weiß sehr gut, wie fett ich geworden bin.« Ergeben hob sie die breiten Schultern. »Der Laden läuft einfach zu gut, und ich esse zu gern. Apropos … du musst hungrig sein, soll ich dir ein paar Enchiladas machen?«

»Da sage ich nicht nein«, entgegnete Lassiter und ließ sich auf einem der Barhocker nieder. »Aber erst einmal könnte ich ein kühles Bier vertragen.«

»Kommt sofort.« Dolores griff nach einem Bierkrug und stellte ihn unter den Zapfhahn. Sie musterte den Brigadeagenten beiläufig, während das Bier ins Glas floss. »Eine weite Reise gehabt?«

»Nur von Louisiana herauf«, brummte er. »Schön, mal wieder hier zu sein.«

In Memphis hatte Lassiter einen großen Teil seiner Jugend verbracht, bevor der Bürgerkrieg ihn wie so viele andere entwurzelt hatte. Seitdem war der Agent der Brigade Sieben überall und nirgends zuhause gewesen, doch wenn er sich irgendwo in den Weiten der Vereinigten Staaten einigermaßen heimisch fühlte, dann war das hier, im Herzen von Tennessee.

»Ginge es nach mir, könntest du dich ruhig öfter bei uns blicken lassen.« Augenzwinkernd stellte Dolores den Bierkrug vor ihm ab. »Bleibst du länger? Ich kann dir oben ein Zimmer herrichten lassen, und wenn dir eines der Mädchen Gesellschaft leisten soll, wird das größte Problem sein, dass sie sich darüber nicht in die Flicken bekommen.«

Lassiter grinste, nahm einen kräftigen Schluck aus dem Bierglas und wischte sich den Schaum von den Bartstoppeln. »Darauf komme ich gern zurück, Dolly. Ein paar Tage bleibe ich wohl in der Stadt. Aber erstmal nur die Enchiladas – und mein Gepäck würde ich gern hierlassen.« Er deutete mit dem Daumen auf die Reisetasche und das lederne Scabbard, in dem sich seine Winchester verbarg.

»Du bist also nicht zum Vergnügen gekommen«, brummte Dolores mit von ungezählten Zigaretten tief gestimmtem Organ.

Lassiter zuckte die Achseln.

»Sagt dir der Name Fjodor Rosenberg etwas?«, fragte er.

Die Latina lachte kehlig. »Der Bankier der Banditen? Den kennt doch jeder in Memphis, obwohl ihn die Leute nur hinter vorgehaltener Hand so nennen. Geht es etwa um seinen Raddampfer, der morgen getauft werden soll?«

Aufmerksam schaute sie Lassiter in die Augen.

»Unter anderem«, entgegnete Lassiter vage und trank noch einen Schluck. »Das Ereignis scheint ja eine Menge Besucher in die Stadt zu locken. Die Straßen sind voll von Leuten, die nicht von hier stammen, wie es aussieht.«

Dolores nickte. »Gut beobachtet. Rosenbergs schwimmende Spielhölle wird sich wohl als lohnendes Geschäft erweisen. Und ich will mich auch nicht beklagen. Seit drei Tagen ist das Kitty Kat immer gut gefüllt, sobald die Sonne untergeht.«

»Freut mich für dich«, sagte Lassiter, obwohl ihm ein verschwiegeneres Refugium eigentlich lieber gewesen wäre. Doch Dolores Santiago war die einzige Person in Memphis, der er uneingeschränkt vertraute. Wenn es irgendwann im Verlauf der Mission hart auf hart käme, wusste er, dass er sich auf die Chefin des Kitty Kat würde verlassen können. Das wog nächtliche Lärmbelästigung mehr als auf, zumal er wohl ohnehin nicht oft zum Schlafen kommen würde.

»Arbeitet Harriet noch für dich?«, fragte er, und Dolly grinste breit.

»Ich dachte schon, du würdest nie fragen.« Sie griff über die Theke und tätschelte Lassiters Hand. »Natürlich tut sie das. Ist aber gerade mit Jessica und Bridget auf dem Wochenmarkt einkaufen. Wenn du sie heute Abend sehen möchtest, werde ich gern dafür sorgen.«

Sie klatschte in die Hände. »Aber jetzt kümmere ich mich erst mal darum, dass du etwas zwischen die Zähne bekommst.«

Oscar brauchte nicht lange, um die Frau auf der Aussichtsterrasse des Blooming Roses Palace auszumachen. Während die meisten anderen Hotelgäste vorn an den von der Nachmittagssonne beschienenen Tischen saßen und den herrlichen Blick auf den Fluss genossen, saß sie allein an der Theke im Schatten.

Wiseman hatte sie kurz, aber präzise beschrieben: dünn, blass, traurig; elegant gekleidet.

Oscar taxierte zwei Anzugträger, die in ihrer Nähe an einem Stehtisch lehnten, und argwöhnte, dass es sich dabei um diskrete Leibwächter handeln könnte. Doch nach ein paar Augenblicken reichten die Männer sich zum Abschied die Hände und verließen die Terrasse in unterschiedlichen Richtungen. Bis auf den Bartender hinter der Theke saß die Frau nun einsam und allein unter der Markise. Er rieb sich die Hände und marschierte los, dabei den Blick auf das Glas der Dame gerichtet.

Gin Tonic? Oder nur Limonade? In jedem Fall war es fast leer.

Er ließ drei Hocker zwischen sich und ihr frei. »Hey, Mann. Machen Sie mir einen Southern Comfort auf Eis, bitte?«

Der Bartender nickte, und als Oscar in den Augenwinkeln bemerkte, wie sie den Kopf in seine Richtung drehte, tat er dasselbe, setzte ein höfliches Lächeln auf und zog den Bowler, um sie zu grüßen.

Sie rümpfte die Nase und wandte sich wieder ihrem Glas zu.

»Was hatte die Lady?«, fragte er den Barkeeper, als der den Whiskey vor ihm abstellte.

»Doppelter Gin Tonic«, kam die Antwort, leise ausgesprochen.

Oscar zog zwei Dollarnoten hervor und schob sie dem Bartender zu. »Dann bringen Sie ihr noch mal dasselbe, okay?«

Der Mann in der gelbweiß gestreiften Weste aus glänzendem Satin runzelte die Stirn und senkte seine Stimme. »Hören Sie, ich wäre an Ihrer Stelle vorsichtig. Wissen Sie, wer die Frau ist?«

Oscars Augen weiteten sich. »Nein, warum? Ist Sie berühmt oder so, eine Sängerin vielleicht?«

Der Bartender beugte sich noch weiter vor und flüsterte jetzt fast. »Das ist Caprice, sie ist die Gespielin von Lionel Bunker, dem Gangsterkönig. Und Sie dürfen mir glauben, der versteht keinen Spaß, wenn man mit seinem Mädchen poussiert.«

»Donnerwetter«, ließ sich Oscar leise vernehmen und hob scheinbar beeindruckt die Augenbrauen.

»Ja.« Der Bartender nickte und grinste selbstgefällig. »Keine Ursache, ich will ja auch selbst keinen Ärger.«

Oscars Lächeln verschwand schlagartig, als sein Gegenüber die Banknoten einsteckte und sich abwenden wollte. »Bringen Sie der Lady den Drink, den ich bestellt und bezahlt habe.«

Die Miene des Keepers erstarrte. »Haben Sie mich nicht verstanden?«, zischte er erstickt.

»Nur keine Sorge, ich und The Lion sind beste Kumpels. Ich bin zu Caprice’ Sicherheit hier, verstehen Sie?« Oscar bedachte den Mann hinter der Theke mit einem lässigen Blick, der sagte: Überleg jetzt ganz genau, was du tust.

Der Bartender zögerte, dann entspannte er sich allmählich und brachte ein schmales Lächeln zustande. »Okay, aber das hätten Sie auch gleich sagen können.«

Oscar zielte mit dem Finger auf ihn und schmunzelte. »Ein kleiner Test, nichts weiter … Glück gehabt, bestanden.«

Das Lachen des Keepers klang eher wie ein Husten, während er sich beeilte, den Drink für Caprice in ein Glas zu füllen und ihr zu servieren.

Als der Keeper sich zu ihr beugte und flüsternd auf Oscar deutete, wandte sie ihm nochmals ihre Aufmerksamkeit zu, und er lüpfte zum zweiten Mal freundlich grinsend den Hut.

Diesmal war die Andeutung eines Lächelns auf ihren schön geschwungenen Lippen zu erkennen. Sie hob das Glas, er tat es ihr gleich, und sie prosteten sich zu.

Oscars Lächeln büßte keine Nuance seiner Strahlkraft ein, als er die verärgerte Stimme des Barkeepers vernahm. »Die Lady sagt, sie kennt Sie nicht, und sie weiß auch nichts davon, dass Mr. Bunker sie mit Ihrer Bewachung beauftragt hat. Hören Sie, Mister, ich will wirklich keinen Ärger. Aber wenn Sie nicht sofort verschwinden, rufe ich nach dem Sheriff!«

»Oh, wirklich?« Oscar setzte eine betroffene Miene auf. »Ich nehme an, Lion wird Miss Caprice einfach nur nicht informiert haben. Nicht weiter verwunderlich, oder unterrichten Sie Ihr Mädchen etwa über alles, was sie tun?«

Der Barkeeper verlor allmählich die Fassung, und Oscar erkannte, dass sein Einwand wenig überzeugend gewesen war. Sein Gegenüber reckte die Faust empor, mit der anderen Hand zeigte er in Richtung der Treppe, die von der Terrasse hinunter zum Trottoir führte. »Sie verlassen uns jetzt besser, und zwar unverzüglich, Sir!«

»Jetzt beruhige dich doch mal, Chester. Die Leute schauen schon.«

Die beiden Männer wandten überrascht die Köpfe und stellten fest, dass Caprice sich ihnen unbemerkt genähert hatte und nun direkt neben Oscar stand, ihr Glas in der Hand haltend.

Der Keeper riss konsterniert die Augen auf. »Aber, Miss, Sie sagten doch gerade …«

»War nur ein Scherz, Kleiner. Und jetzt lass uns allein, okay?« Sie winkte ab und schaute Oscar tief in die Augen, statt den Angesprochenen anzusehen.

Der Bartender fuhr sich durchs Haar und schüttelte ratlos den Kopf. Doch als er sah, wie jemand an einem der Tische vorn auf der Terrasse nach ihm rief, nutzte er die Gelegenheit, um sich aus der Affäre zu ziehen.

Oscar griff nach seinem Glas, und sie stießen an.

»Mein Name ist Oscar«, sagte er. »Und Sie heißen Caprice, nicht wahr? Was für ein wunderschöner Name … wie die Perlen in einem Glas edlen Champagners.«

Ihr Lachen erschien aufrichtig, erinnerte aber eher an lange gelagerten Scotch als an Champagner – dunkel, weich und zurückhaltend.

Verblüfft registrierte er, wie sie den Kopf schüttelte. »Das alte Schlitzohr hat dich nicht aufgeklärt, stimmt’s? Egal …«

Sie klopfte ihm kurz auf den Oberschenkel, bevor sie sich zurücklehnte und einen wachsamen Blick über die Terrasse schweifen ließ. Als sie feststellte, dass niemand der anderen Gäste von ihnen Notiz nahm, entspannte sich ihre Miene.

»Ist jedenfalls nett von ihm, mir einen so hübschen Burschen wie dich zu schicken. Aber Oscar … Himmel, wer hat sich diesen Namen nur einfallen lassen? Deine Eltern haben dich wohl in der Wiege liegen sehen und beschlossen, aus dem kann eh nichts werden.«

Oscar sah ihr dabei zu, wie sie ihren Drink bis fast zur Hälfte leerte. Dabei versuchte er, ihre Worte in einen sinnvollen Zusammenhang zu bringen. »Sorry, aber … wovon reden Sie eigentlich, Caprice?«, murmelte er mehr zu sich selbst, als dass er der Frau, die neben ihm stand, die Frage stellte.

»Ich rede von Wiseman, von wem wohl sonst?«