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Seit über 30 Jahren reitet Lassiter schon als Agent der "Brigade Sieben" durch den amerikanischen Westen und mit über 2000 Folgen, mehr als 200 Taschenbüchern, zeitweilig drei Auflagen parallel und einer Gesamtauflage von über 200 Millionen Exemplaren gilt Lassiter damit heute nicht nur als DER erotische Western, sondern auch als eine der erfolgreichsten Western-Serien überhaupt.
Dieser Sammelband enthält die Folgen 2518, 2519 und 2520.
Sitzen Sie auf und erleben Sie die ebenso spannenden wie erotischen Abenteuer um Lassiter, den härtesten Mann seiner Zeit!
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Seitenzahl: 409
Veröffentlichungsjahr: 2025
BASTEI LÜBBE AG
Vollständige eBook-Ausgaben der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgaben
Für die Originalausgaben:
Copyright © 2020 by
Bastei Lübbe AG, Schanzenstraße 6 – 20, 51063 Köln
Vervielfältigungen dieses Werkes für das Text- und Data-Mining bleiben vorbehalten.
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Für diese Ausgabe:
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Bastei Lübbe AG, Schanzenstraße 6 – 20, 51063 Köln
Covermotiv: © Faba/Norma
ISBN: 978-3-7517-8187-9
https://www.bastei.de
https://www.luebbe.de
https://www.lesejury.de
Cover
Titel
Impressum
Inhalt
Lassiter 2518
Vier Hufbreit bis zum Tod
Lassiter 2519
Lassiter und die Seelen trösterin
Lassiter 2520
Lassiter und die Knochenjäger
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Contents
Vier Hufbreit bis zum Tod
Sein rechtes Auge hatte Paul Faint bei der Schafschur eingebüßt. Er hatte mit dem Schermesser hinter dem Widder gestanden, die Klinge am Schleifstein gewetzt und war im Begriff gewesen, dem Bock das Messer anzusetzen. Er hatte »Auld Lang Syne« gepfiffen dabei, so gut er es eben konnte.
Dem Bock musste es missfallen haben. Das Biest hatte einen Satz nach vorn gemacht, die Hinterbeine ausgeworfen und dabei das Messer so unglücklich erwischt, dass es seinen Weg in Faints rechtes Auge fand.
Nun war er der Zyklop vom Sicily Lake und musste den Spott ertragen, genauso das falsche Mitleid der Weiber, die nicht einen Gedanken darauf verwandten, einen wie ihn zum Mann zu nehmen...
Über den schimmernden Sicily Lake hatte sich eine glutrote Abenddämmerung gesenkt, die jeden Grashalm zur flammenden Fackel und die flirrenden Insekten in umherstiebende Funken verwandelte. Die Hitze des Tages war zu matter Wärme geworden und breitete sich wie ein milder Schleier über die Ufer.
Die Liebenden genossen das Idyll.
Sie lagen Arm in Arm im hohen Gras, blickten zu den rotleuchtenden Wolken hinauf und versicherten einander stumm ihrer Zuneigung. Sie spürten in den Hälsen die süße Beklemmung, die jeden befiel, der von einem anderen Menschen verzaubert war.
»Nichts und niemand«, sagte Gabby Ramson und drückte ihrem Geliebten die Hand. »Nichts und niemand wird uns auseinanderbringen, Adam.«
Der junge Mann gab keine Erwiderung und summte stattdessen leise, als könnte er seine Gefühle auf diese Art besser zum Ausdruck bringen. Er drückte Gabbys Hand ebenfalls und wandte sich der hübschen Rothaarigen zu.
»Nichts und niemand«, wiederholte Gabby und schaute ihren Adam an. »Du musst mir versprechen, dass es dabei bleibt.«
Hätte Adam Kirshner zu diesem Zeitpunkt sein Wort gegeben, wäre er ein knappes Jahr darauf nicht nur tot, sondern auch noch ein Lügner gewesen. Er hätte Gabby als trauernde und obendrein getäuschte Witwe zurückgelassen.
»Solche Versprechen darf niemand geben«, sagte Adam und küsste Gabby sanft. Er richtete sich neben ihr auf und sah zum See hinüber. »In einem Jahr könnte ich tot sein. Oder ein anderes Unglück sucht uns heim.«
Bedrückt setzte sich Gabby ebenfalls auf und steckte ihr Haar hinter dem Kopf fest. Sie trug ein dünnes weißes Leinenkleid, wie sie es für die Hausarbeit brauchte. »Weshalb sagst du solche Sachen? Ist es nicht schon schwer genug?«
Sie hatten sich aus dem Haus von Gabbys Mutter buchstäblich herausschleichen müssen, um ein Stündchen allein am See zu sein. Die Tür hatte geknarrt und die Abtrünnigen beinahe verraten.
Gabbys Mutter jedoch schlief den Schlaf der Gerechten.
Kichernd und voll froher Gedanken waren sie hinunter zum Sicily Lake gelaufen, hatten über Rancher Paul Faint gescherzt, den alle wegen seines vernarbten Auges nur den Zyklopen nannten und der kürzlich Gabby einen Strauß Bergastern vorbeigebracht hatte.
»Ich sage solche Sachen nicht«, gab Adam zur Antwort. »Ich sage nur, wie es ist oder wie es sein könnte.«
Der strenge Ernst hatte Gabby an ihrem Angebeteten schon immer missfallen, doch sie war klug genug, sich davon nicht aufreiben zu lassen. Die Kirshners waren eine alteingesessene Entrepreneurs-Familie, in der es nicht üblich war, sich mit Halbheiten oder Zerstreuungen abzugeben. Solche Sitten bekam Gabby aus Adam nicht heraus.
»Du sagst dummes Zeug!«, neckte ihn Gabby und sprang auf. Sie lief zum Wasser hinunter und lupfte den Saum ihres Kleides. »Du vergeudest unsere wenige Zeit mit Trübsal.« Sie wirbelte zu ihm herum. »Du solltest wirklich lernen –«
»Gabby!«
Mit einem Satz war Adam auf den Beinen und deutete zum See hinüber. Auf dem Wasser trieb ein kleines Boot, in dem hin und wieder ein Ruderschlag zu erkennen war.
»Faint?«, flüsterte Gabby und lief ein Stück weiter ins Wasser. »Ist es schon wieder Faint?«
Der Rancher mit dem vernarbten Auge stellte ihnen seit Monaten nach. Er ruderte auf den See hinaus, sobald er Gabbys kupferrote Mähne erspähte, und blieb über Stunden im Boot sitzen. An manchen Tagen konnte Gabby ihn selbst in der Nacht ausmachen.
»Vermutlich«, sagte Adam und schaute über den See. »Er hat einen Narren an dir gefressen. Ich kenne in Virginia City keinen aufdringlicheren Kerl als ihn.«
Vor ein paar Wochen hatte ein Strauß Bergastern auf Gabbys Schwelle gelegen. Die Blumen waren säuberlich geschnitten und akkurat zusammengebunden gewesen. Sie hatten nach einem Duftwasser gerochen und waren mit einer Karte versehen gewesen.
Der Königin.
Mehr als diese beiden Worte hatte nicht auf dem Kärtchen gestanden, und Gabby hatte sich aus Furcht einen ganzen Tag lang im Haus eingeschlossen. Sie hatte nicht einmal Adam geöffnet, der am Abend gegen ihr Fenster gepocht hatte. Sie hatte Faint hinter jeder Ecke im Haus vermutet.
Das Blumenkärtchen hatten sie gemeinsam weggeworfen.
Obgleich Gabbys Mutter nichts von Adam und dessen Familie hielt, hatte sie ihre Tochter für diese Tat beglückwünscht. Sie hatte Adam flüchtig die Hand geschüttelt und gemurmelt, dass so viel Courage , so viel Courage , ja, dass die wichtig wäre.
»Komm uns Ufer!«, sagte Adam und fasste Gabby zärtlich bei der Hand. »Er muss dich nicht sehen. Er kann uns gestohlen bleiben.«
Offenkundig war Adam das Wortspiel entgangen, das er geäußert hatte, so ernst schaute er weiterhin drein. Er führte Gabby ans Lagerfeuer zurück, rodete einen Teil des Schilfs und behielt Faint im Auge. Das Paar sprach nie vom Zyklopen, wie es sich viele Stadtbewohner angewöhnt hatten.
»Er hat mich nicht gesehen«, beharrte Gabby trotzig. »Er fischt mit seinen zerschlissenen Netzen und ab und an junges Mädchen sein.« Sie umfing Adam mit beiden Armen. »Du Strolch wirst in seinem Alter nicht anders sein!«
Sie sanken küssend auf den Boden zurück und beschlossen, dass sie Faint nicht länger enttäuschen durften. Er mochte ein Sonderling und Wirrkopf sein, gehörte jedoch trotzdem zu den Leuten vom Forest Valley, wie man sich in dieser Gegend nannte.
»Denkst du noch an ihn?«, zog Adam Gabby auf und entblößte seine Zähne für ein Lächeln. Er hatte die gleichen weißen und makellosen Zähne wie sein Vater. »Du willst mich nur auf die Folter spannen. Du weißt, wie schlecht ich mich an mich halten kann, wenn du die Bluse ausziehst.«
Das Paar hatte es erst ein einziges Mal miteinander getrieben, und dieses Schäferstündchen war so rasch zu Ende gegangen, dass sich Gabby manchmal fragte, ob sie nicht geträumt hatte. Sie konnte sich etwas darauf einbilden, dass ihr der begehrteste Junggeselle der Stadt nachlief.
Jedenfalls sah Sandy Pittmeyer es so.
Die jüngste Pittmeyer-Tochter hatte herumerzählt, dass sie Gabby und Adam zusammen in einem Heuschober ertappt hätte. Der Reverend hatte vor Empörung getobt und Gabbys Mutter einbestellt. Er hatte ihr den halben Tag lang vorgerechnet, was es nach sich zog, in dieser Zeit ohne Ehemann zu sein.
»Was bildest du dir ein?«, schimpfte Gabby und schob Adam von sich. Sie lugte zum See hinüber. »Er wird irgendwann vor unserer Tür stehen und mir einen Antrag machen. Ich muss darauf vorbereitet sein.« Sie lächelte. » Ja, ich will! sage ich nur zu anderen Männern.«
Von diesen Worten an konnte Adam nicht mehr an sich halten. Er schlug Gabby das Kleid über die Hüften, knöpfte seine Hose auf und konnte sich gerade noch rechtzeitig in Stellung bringen.
Es wurde ein kurzer Akt.
Draußen auf dem See war ein Ruderschlag zu hören.
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Vor der hellen dreistöckigen Fassade des Saint-Lucy's-Waisenhauses in Virginia City sprangen Hunderte Kinder umher. Sie liefen zu den beiden Einspännern, die am Tor gehalten hatten, lärmten und tanzten herum und verschwanden erst auf Geheiß von Reverend Thomas Eaton wieder im Haus.
Der Reverend wandte sich zum Konvent um und verspürte Stolz.
Er hatte in der vergangenen Woche fast vierzig Kinder aus den Minenbezirken aufgenommen, meist zerlumpte und schlecht genährte Geschöpfe, die inmitten von Schmutz und Unrat gelebt hatten. Er hatte sie von den Schwestern der Barmherzigkeit, die den Konvent betrieben, waschen und entlausen lassen und sie danach in einem offiziellen Begrüßungsakt willkommen geheißen.
»Mr. Eaton?«
Der Mann im Einspänner war groß gewachsen und hatte sandblonde Haare. Er sah Eaton aus seinen stahlblauen Augen an, als wäre er nicht sicher, ob er an den Richtigen geraten war.
»Mr. Lassiter?«, erwiderte Eaton und lächelte. »Ich hatte Sie bereits erwartet. Sie müssen einen langen Weg hinter sich haben.«
Das Hauptquartier der Brigade Sieben hatte dem Reverend einen Agenten geschickt, der für die bevorstehende Mission die nötige Erfahrung und Finesse mitbrachte. Er galt als härtester Mann der Geheimorganisation und war berüchtigt für sein unorthodoxes Vorgehen. Er war ein Kaliber, wie es Eaton für den Sicily Lake brauchte.
»Nichts über Gebühr«, brummte der Ankömmling und schaute am Konventsgebäude hinauf. »Sie haben ein wahres Schmuckstück hier im staubigen Nevada.«
Ohne Bedauern gab Eaton die Reserviertheit auf, die er sich für die erste Begegnung mit dem Brigade-Sieben-Mann zurechtgelegt hatte. Sie erschien ihm plötzlich eitel und unangebracht. »Den Konvent gibt es schon seit dem Bürgerkriegsende. Es ist das einzige Waisenhaus für die Minenkinder.«
Die Männer stiegen die lange Fronttreppe hinauf, die von einer steinernen Balustrade flankiert war. Sie kamen an zwei Mädchen von acht oder neun Jahren vorbei, die scheu grüßten und im Haus verschwanden.
»Vor einigen Jahren mussten wir zwei Schwestern auf Bettelmission schicken.« Eaton lächelte gequält. »Sie kamen mit über dreitausend Dollar zurück. Die Menschen haben oft ein größeres Herz, als man glaubt.«
Das Erdgeschoss roch nach frischem Brot und war angenehm hell. Es teilte sich in verschiedene Schulräume, einen Speisesaal, eine Waschstube, eine Küche und ein Lager für Speisen aller Art. Es war vom Geschrei einiger Kinder erfüllt, die jedoch augenblicklich verstummten, als sie Eaton bemerkten.
»Gehen wir ins Refektorium!«, schlug der Reverend vor und ging voraus. Er schloss eine zweiflüglige Tür auf und ließ seinen Gast vor ihm eintreten. »Früher nutzten die Schwestern diesen Raum. Er gehört zur Kapelle dort vorn. Wir sollten ungestört bleiben.«
Der Agent mit dem sandblonden Haar zog sich einen Stuhl heran, drehte die Lehne nach vorn und setzte sich breitbeinig darauf. Er schaute sich einen Augenblick im Refektorium um und kam sogleich auf den Auftrag zu sprechen.
»Sie sind auf Geheiß des Präsidenten in Nevada«, sagte Eaton und runzelte die Stirn. »Der Präsident ist ein guter Bekannter von Lew Kirshner, der einmal eine florierende Postkutschenlinie in dieser Gegend betrieben hat. Sie sollen auf Kirshners Sohn Adam achtgeben.«
»Kirshners Sohn?«, fragte Lassiter und beugte sich über die Lehne. »Was ist mit ihm? Ist er in Gefahr?«
Ehe sich Eaton zu einer Antwort entschloss, stand er auf und lief zum alten Weiheschrank hinüber. Er schloss den Schrank auf, griff hinein und holte ein prall gefülltes Kuvert mit einem Wachssiegel darauf hervor. »Die Brigade Sieben ist nicht erfreut über diesen Auftrag. Es scheint jedoch um mehr als eine Befindlichkeit des Präsidenten zu gehen.«
Das Kuvert war am Vortag mit einem Kurierreiter gekommen, der die strikte Anweisung befolgt hatte, das Kuvert einzig und allein Eaton auszuhändigen. Als Mittelsmann war der Reverend befugt, in den Umschlag zu sehen, doch er hatte es bis zu diesem Zeitpunkt nicht getan.
»Mir geht nur um die Pflicht«, sagte Lassiter und streckte die Hand nach dem Kuvert. »Falls der Präsident verlangt, dass wir Adam Kirshner schützen, stelle ich keine Fragen.«
Das Wachssiegel auf dem Kuvert brach mit einem leisen Knacken auseinander und rieselte zwischen Lassiters Fingern zu Boden. Der Briefumschlag enthielt einen Stapel Abschriften von Informantenberichten.
»Seit einiger Zeit gibt es Drohungen gegen Kirshner«, sagte Eaton und musterte sein Gegenüber. »Sie müssen dafür sorgen, dass ihm nichts zustößt. Er ist mit einem Mädchen verlobt, das am Sicily Lake wohnt. Sie können bei der Familie gewiss unterkommen.«
Gewissenhaft zog Lassiter zwei Berichte hervor und blätterte sie durch. Als er sie eine Weile studiert hatte, wandte er sich wieder an Eaton. »Ich will mich mit niemandem gemein machen, der Kirshner nahesteht. Ich muss anders an ihn herankommen.« Er sann eine Weile nach. »Womit er verdient er seine Dollars?«
»Oh«, sagte Eaton und lächelte vor sich hin. Er war überrascht von der Frage. »Ich fürchte, dass Ihnen dazu niemand etwas sagen wird. Die Kirshners waren und sind eine wohlhabende Familie.« Er hob die Brauen. »Kirshner muss nicht arbeiten.«
»Durch Faulheit machen sich die wenigsten Menschen Feinde.« Lassiter schob die Informantenberichte ins Kuvert zurück. »Er muss in seinem Leben irgendeiner Sache nachgehen, die andere verärgert. Sie kennen die Kirshners besser als ich.«
Solcherlei Fragen kümmerten Eaton gewöhnlich nicht. Er gab sich nicht mit den Kirshners dieser Welt ab, sondern mit den kleinen Salomons, Corkys, Davids und Spencers.
»Fällt Ihnen nichts ein?«, blieb Lassiter hartnäckig. »Irgendein Faible hat jeder Mensch.«
»Gewiss«, sagte Eaton und grübelte lange nach. »Kirshner will eine Postkutschenlinie wiedereröffnen, die sein Vater einst aufgegeben hat. Er hat eine Menge Land und alte Wechselstationen dafür erworben.« Er seufzte. »Es ist möglich, dass er damit jemanden gekränkt hat.«
Aus dem Foyer tönte Kindergeschrei herüber, und Eaton reute es einmal mehr, dass er die Verpflichtung für die Brigade Sieben unterschrieben hatte. Er mochte ein passabler Mittelsmann sein, doch sein Herz schlug für die Kinder.
»Schicken Sie mir alles zu Kirshners Landkäufen?«, fragte Lassiter. »No. 34 im International. «
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Das International-Hotel an der Ecke von Union und C Street war vollgestopft mit Handelsreisenden, die Lassiter die letzte Kraft raubten. Die Männer in ihren ewiggleichen Anzügen hatten die Bar in einen Marktplatz verwandelt, auf dem gefeilscht und verhandelt wurde. Sie tranken hastig ihre Biergläser leer, schoben einander Kaufverträge zu und besiegelten ihre Deals mit lautem Gelächter.
Sie verkörperten den Niedergang des Westens.
Noch vor ein paar Jahren kam man nach Virginia City, um in den Bergen nach Gold zu graben oder sich an einer Frachtlinie zu versuchen. Man hauste in Zelten und Bretterverschlägen, wusch sich in einem Wasserlauf am Mount Davidson und sattelte morgens die Pferde, bevor es ins Tal ging.
Von alledem wussten die Geschäftemacher nichts.
Sie hockten auf ihren Stühlen, berieten einander über den Profit, der aus den Mining Corporations zu holen war, und vergaßen die unbezwingbare Natur, die jenseits der Stadtgrenzen lauerte. Sie waren jene Menschen, die Lassiter zu Aufträgen wie dem verhalfen, den er soeben von Thomas Eaton bekommen hatte.
»Bourbon?«, fragte eine sanfte Frauenstimme hinter dem Tresen. »Doppelt statt einfach?«
Die Stimme gehörte einer hübschen Blonden, die ihre schmalen Hände ineinander verschränkte und sich lächelnd über den Tresentisch beugte. Sie hatte ein üppiges Dekolleté und gab sich keine Mühe, es vor Lassiter zu verstecken.
»Doppelt«, sagte der Mann der Brigade Sieben und drehte sich zur Theke. »Sie kennen mich besser als ich mich selbst.«
Gleichgültig zuckte die Blondine mit den Schultern. »Bloße Gewohnheit, Mister. Sie müssen nur einen Monat im International arbeiten, um zu erfahren, was das Räderwerk dieser Welt antreibt.« Sie dämpfte verschwörerisch die Stimme. »Es ist die Gier.«
Das Bourbonglas war bis zum Rand gefüllt und schimmerte bernsteinfarben. Es stand vor Lassiter wie eine sündige Verheißung. »Ich hab genug, Ma'am. Ich muss morgen hinaus zu einem Kerl reiten.«
»Trinken Sie!«, ließ sich die Blonde nicht beirren. »Sie werden diesen Bourbon nicht bereuen.«
Geduldig wartete Lassiter ab, dass sich auch die Blondine ein Glas eingoss. Als sie ihm ihren Namen – Heather Bodine – nannte und ihm zuprostete, hob er seinen Drink ebenfalls.
»Auf die Liebe!«, meinte Heather und griente. »Aber nicht die Liebe der Turteltauben. Ich rede von ein paar Stündchen Liebe.«
»Sind Sie...?« Lassiter wollte die Sache nicht beim Namen nennen. »Sind Sie im International angestellt?«
Heather lachte laut und grob auf. »Sie halten mich für eine Hure? Für ein Freudenmädchen?« Sie goss sich einen zweiten Bourbon ein. »Ich bin nichts dergleichen.«
Am Nachbartisch drehten sich zwei Männer nach ihnen um. Sie stellten das Gespräch für eine Zeitlang ein und wechselten danach den Sitzplatz.
»Man scheint Sie zu kennen«, bemerkte Lassiter und schob das Bourbonglas von sich. »Wie Sie Ihr Geschäft nennen, ist Ihre Sache. Ich breche nicht den Stab über jemanden.«
»Sie sind ein gehöriger Sprücheklopfer«, gab Heather zur Antwort und schob einen Fetzen Papier über den Tresen. »Die meisten Männer nennen mich eine Gesellschaftsdame. Ich kenne jedermann in Virginia City und bin gern bei Erkundigungen aller Art behilflich.«
Die Blondine schwebte davon und nahm eine Seitentür zum Westflügel des Hotels. Sie wurde von einem jungen Barkeeper abgelöst, der Lassiter ungefragt einen weiteren Bourbon hinstellte.
Auf dem Papierfetzen stand eine Zimmernummer.
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Ob die No. 66 ein glücklicher Zufall war oder nicht, konnte Lassiter schon nach einer Viertelstunde nicht mehr sagen. Er lag unter Heathers enormen Brüsten, die bei jedem Stoß seines Pints auf und ab schwangen.
»O Lassiter!«, seufzte die Blondine und drückte sich gegen die Lenden ihres Liebhabers. »Du könntest jede Frau um den Verstand bringen.«
Bei Lassiters Ankunft hatte Heather halbnackt auf dem Bett gelegen und sich verführerisch das Miederhöschen von den Waden gestreift. Sie hatte ihre Erregung anfangs gespielt, kam jedoch inzwischen tatsächlich auf ihre Kosten.
Viermal wechselten sie die Stellung.
Erst saß Heather auf Lassiter, dann bückte sie sich über die Kommode, ließ sich mit gespreizten Beinen im Liegestuhl nehmen und wollte es am Ende seitlich im Liegen. Sie nahm kein Blatt vor den Mund, was ihre Wünsche anging, und begründete ihre Offenheit damit, dass sie nicht mit jedem schlief.
»Zwanzig Dollar«, sagte Heather mittendrin und besorgte es Lassiter mit dem Mund. »Du musst zwanzig Dollar verlangen und kannst dir deine Männer aussuchen. Ich könnte vom Gesang oder vom Poker leben. Ich muss nicht herumhuren.«
»Du tust es freiwillig?«, fragte Lassiter erstaunt. »Ich kenne wenige Frauen, die sich aus freien Stücken verkaufen.«
»Sieh dir diesen Körper an!«, lachte Heather und richtete sich nackt auf. »Solche Pracht darf ich nicht für mich behalten. Ich muss diese Kerle mit den zu steifen Kragen becircen.« Sie sah zu Lassiter auf. »Du weißt, wen ich meine.«
Erst nach einer guten Stunde kam es dem Mann der Brigade Sieben.
Er stöhnte vor Begierde, hielt Heathers Becken gepackt und sank danach müde in die Kissen. Als Heather ihm durchs Haar fuhr und einen Kuss auf die Wange hauchte, war Lassiter fürs Erste versöhnt mit seinem Auftrag in Virginia City.
»Was bringt dich in die Stadt?«, fragte Heather und zog sich ein halbdurchsichtiges Seidennegligé über. »Machst du Geschäfte? Wie die meisten hier?«
»Ich muss jemanden kennenlernen«, sagte Lassiter und stützte den Kopf auf den Arm. »Kennst du einen Mann namens Adam Kirshner?«
Heather winkte gelangweilt ab. »Ob ich den jungen Kirshner kenne? Jeder kennt ihn in Virginia City. Er ist ein Draufgänger wie sein Vater.« Sie hob die Brauen. »Irgendwann wird's ihn erwischen wie den Alten.«
»Erwischen?«, hakte Lassiter nach. »Was meinst du damit?«
»Er hat sich mit einem seltsamen Kauz am Sicily Lake angelegt«, berichtete Heather weiter. »Seine Verlobung mit der kleinen Ramson kommt am See nicht gut an. Der alte Faint will die Hübsche für sich.«
Kaum hatte Heather zu Ende gesprochen, stand sie auf und kleidete sich an. Nach und nach erfuhr Lassiter von ihr, dass Faint ein Schafzüchter wäre, der eine Menge Land am Sicily Lake besäße.
»Könnte Faint Kirshner etwas antun?«, fragte Lassiter und bedauerte fast, dass Heather bereits gehen musste. Er würde den Rest der Nacht allein sein. »Du meintest vorhin, dass er ein seltsamer Kauz sei.«
»Vollkommen seltsam!«, bekräftigte Heather. »Aber rede mit Kirshner darüber. Er wird dir eine ganze Oper darüber erzählen.«
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Fünf Jahre bevor die Ramsons in ihr Haus gezogen waren, hatte es am östlichen Ufer des Sicily Lake noch ein Feuchtmoor gegeben. Die schwere Erde war morastig gewesen und hatte nach faulendem Gras gerochen. Ein paar Lilien hatten hin und wieder dort geblüht, sonst nichts, was die Trostlosigkeit gelindert hätte.
Paul Faint hatte den Platz geliebt.
Er war manchmal mit dem Boot hinübergefahren, hatte das schlammverschmierte Hanfseil um einen toten Baum gewickelt und war quer durchs Moor gelaufen. Die Fliegenschwärme hatten ihn umschwirrt, die Frösche hatten gequakt, und manchmal war Faint über einen Ast gestolpert und hatte einen Reiher aufgescheucht.
Seit einigen Jahren lag das Moor trocken.
Der alte Ramson hatte es mit Spaten und Schubkarre abgestochen und ein bisschen Torf herausgeholt, den er in Virginia City für einen Spottpreis verschachert hatte. Er hatte ohnehin gern geschachert.
Es war gut, dass Ramson tot war.
Erschöpft und mit schmerzenden Gliedern stand Faint von der Ruderbank auf und ging über den Bootsbug an Land. Er sah nach seinen Schafböcken, die hinter dem Gatter standen und sich gegenseitig zur Seite drängten. Sie hatten noch kein Futter bekommen.
»Mutter?«, rief Faint und zog das Boot auf den Sand. »Mutter? Hörst du mich?«
Aus dem Haus kam das vertraute Ächzen und Stöhnen der Achtundachtzigjährigen, die sich nur noch mit einem Stock vorwärtsbewegen konnte. Sie erschien auf der Schwelle, hielt sic am Türstock fest und hustete sich die Lunge aus dem Leib.
»Rauchst du wieder?«, tadelte Faint seine Mutter und half ihr auf die Veranda hinaus. Er roch den Tabak in den Haaren der Greisin. »Du sollst von solchen Lastern lassen, Mutter. Sie bringen dich früher ins Grab, als dich der Herrgott haben will.«
»Mich schreckt kein Grabkreuz«, äußerte die Alte mit knarrender Stimme. Sie lehnte sich gegen die Verandabrüstung und wies zitternd zum See. »Hast du etwas gefangen? Oder kommst du wieder mit leerem Netz heim?«
»Nichts«, sagte Faint wahrheitsgemäß und stellte sich ebenfalls an die Brüstung. Er schaute zur Ranch der Ramson-Familie hinüber, deren Haus mit der Giebelspitze über die Baumkronen ragte. »Ich habe nichts gefangen, Mutter.«
Die Greisin erwiderte nichts und schüttelte stumm den Kopf. Sie trommelte mit den knochigen Fingern auf der Verandabrüstung. »Was sollen wir essen, Sohn? Die Proviantkammer ist fast leer. Du hast nichts gekauft. Du wirst uns noch verhungern lassen.«
Fast jeden zweiten Tag fuhr Faint hinüber nach Virginia City und kaufte im General Store ein. Er hatte erst vorgestern frisches Maismehl und Graupen herangebracht, dazu einige Flaschen billigen kalifornischen Weins und eingekochten Traubenmosts. »Du wirst es schon aushalten, Mutter. Es ist genug da, dass wir keinen Hunger leiden müssen.«
An ihrem ältesten Sohn hatte seine Mutter, so weit sich Paul erinnern konnte, noch nie ein gutes Haar gelassen. Sie hatte über seine zerschlissenen Leinenhosen geschimpft, in denen er die ersten Broncos eingeritten hatte, über seinen Staubmantel aus mexikanischem Rindsleder und über die Stiefel aus Albuquerque, die nach Meinung von Faints Mutter eher einer Hure stünden statt einem rechtschaffenen Mann.
»Träumst du immer noch von dem Mädchen?«, stichelte die Alte, als sie Faints sehnsüchtigen Blick bemerkte. »Schlag dir das Huhn aus dem Kopf! Es wird nie herüberkommen und deine Frau werden.«
Wäre Faint nicht der jämmerliche Feigling gewesen, der er nun einmal war, hätte er seine Mutter gepackt und hinunter zum Wasser geschleift. Er hätte sie am Ufer des Sicily Lake ersäuft, mit beiden Händen um ihren Hals und dem Knie in ihrem Rücken. Er hätte den Demütigungen ein Ende gesetzt.
Aber Faint liebte seine Mutter abgöttisch.
Er hatte sie zu sich genommen, als sein Vater gestorben war und die alte Frau vereinsamt im Süden von Nevada gehockt hatte. Er hatte sie auf der Ranch wohnen lassen, obwohl er geahnt hatte, dass sie unentwegt an ihm herummäkeln würde.
»Ich will Gabby nicht heiraten«, antwortete Faint und seufzte laut auf. »Geh zurück ins Haus und wasch dich, Mutter! Ich will uns das Abendessen auf den Tisch stellen.«
»Wovon denn?«, höhnte die alte Frau und fasste nach ihrem Stock. Sie stützte sich darauf ab und humpelte zur Tür zurück. »Willst du uns den Fisch braten, den du nicht gefangen hast? Oder das Brot schneiden, das du nicht eingekauft hast?«
Sie frotzelte noch eine Zeitlang weiter, bevor das Klacken ihres Stockes von den Dielenbrettern im Haus widerklang. Sie tappte in die Wohnstube und setzte sich – so stellte es sich Faint vor – in den großen Ohrensessel, in dem schon Pauls Vater die Mittagsruhe genossen hatte.
Gaby Ramson war unbestritten eine Schönheit.
Sie lief mit ihren kupferroten Locken oft am Seeufer entlang, kniete sich für einen Frosch oder ein buntes Insekt hin und würdigte Faint keines Blickes. Er hatte dem Mädchen einen Strauß Bergastern gepflückt und auf die Schwelle ihres Hauses gelegt.
Wahrscheinlich hatte Gabby darüber gelacht.
Das Narbenauge hatte aus Faint eine Jahrmarktsensation gemacht, über die sich jeder amüsierte, der ihn sah. Es hatte ihn zum Zyklopen gemacht, zur einäugigen Attraktion, die man anstarrte und wieder vergaß, sobald sie vorüber war.
Die Wunde hatte ihm sein Gesicht genommen.
»Kommst du, Pauly?«, rief seine Mutter im Haus und schlug mit dem Stock gegen das Tischbein. »Ich bin hungrig, weißt du? Ich muss endlich etwas essen.« Sie hustete. »Du bist den ganzen Nachmittag fortgewesen.«
Müde wandte sich Faint zu seinem Haus um.
Er musste die Schafe noch füttern, fiel ihm zu seinem Glück ein, und wenn er damit fertig war, würde er nach den Hühnern sehen. Er würde seine Mutter in der Küche allein lassen, in der verfluchten Enge des Hauses, die eigentlich nur eine Enge in Faints Herzen war.
Gabby...
Niedergeschlagen schaute Faint auf den See hinaus und rieb sich das verletzte Auge. Er holte aus der feuchten Hautfalte manchmal winzige Käfer, die er auf den Fingern zerrieb.
»Iss allein, Mutter!«, rief Faint laut und durchdringend. »Ich gehe zu den Schafen und schütte ihnen das Heu in die Raufen. Die Hühner haben noch nichts bekommen.«
Eine Zeitlang herrschte Stille im Ranchhaus.
»Meinetwegen«, ließ sich die Alte danach vernehmen. »Aber schlag dir das Ransom-Weib endlich aus dem Kopf!«
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Die Kutschen auf dem Vorplatz der Stourbridge Mining Works waren mit schweren Kaltblütern bespannt, die sich auf ein Kommando hin in die Geschirre warfen. Die Pferde hatten stahlharte Muskeln, deren Stränge sich unter dem Fell deutlich abzeichneten. Sie zogen ihre Gespanne ein Stück vorwärts, ehe ein junger Mann mit der Pfeife Halt befahl.
»Mr. Kirshner«, sagte Thomas Eaton und deutete unauffällig auf den Jüngeren. »Er hat sich Kaltblüter aus ganz Nevada kommen lassen. Er hat Percherons, Clydesdales und Belgier bekommen.«
Der Mittelsmann hatte Lassiter am Vormittag im International abgeholt, nachdem er Nachricht erhalten hatte, dass Adam Kirshner in der Stadt wäre. Er hatte – so waren Eatons Worte gewesen – die Gelegenheit beim Schopf packen wollen.
»Es sind prächtige Tiere«, gab Lassiter ihm recht. »Ich muss endlich mit Kirshner sprechen. Er scheint mir ein gescheiter Kopf zu sein.«
Fast eine Stunde schon sahen sie Kirshner bei den Kutscharbeiten zu, die einzig und allein dem Zweck dienten, ein geeignetes Gespann für eine längere Strecke in den Bergen zu finden. Der junge Kirshner war höflich und hatte etliche Züchter wieder verabschiedet.
Zuletzt waren noch vier Pferdebesitzer im Rennen.
Sie schwärmten wie die Fliegen um Kirshner herum, sodass Lassiter zu einer List greifen musste, um an den jungen Fuhrunternehmer heranzukommen. Er ließ sich Eatons Hut und dessen Reitpeitsche geben, stieg auf den Bock einer Kutsche und griff nach den Zügeln.
»Hey!«, schrie Kirshner und rannte über den Vorplatz. »Was treiben Sie da? Wer sind Sie? Sie machen uns die Pferde scheu!«
Der Mann der Brigade Sieben ließ die Pferde antraben und wendete gekonnt das Gespann. Er hatte das gleiche Manöver Dutzende Male ausgeführt, als er noch als Frachtkutscher gearbeitet hatte.
»Verflucht!«, rief Kirshner anerkennend und klatschte in die Hände. »Sie verstehen Ihr Handwerk, Mister!«
»Brauchen Sie einen Kutscher?«, erwiderte Lassiter und ließ sich auf den Kutschbock sinken. Er brachte die Pferde mit einem sanften Zügelruck zum Stehen. »Ich fahre Ihnen Fracht und Passagiere gleichermaßen. Ich brauche nichts als Ihren Handschlag, Sir.«
Kirshner schürzte verblüfft die Lippen und schaute zu Eaton hinüber. »Reverend, wen haben Sie mir da auf den Platz geschafft? Ich könnte in der Tat ein paar Leute brauchen. Die Linie soll in ein paar Wochen öffnen.«
»Nehmen Sie ihn, nehmen Sie ihn!«, entgegnete Eaton und machte eine aufmunternde Geste. »Ich lege die Hand für ihn ins Feuer. Er wird hervorragende Arbeit leisten.« Er lächelte. »Sie sollten nicht zögern, Mr. Kirshner.«
»Beim allmächtigen Gott!«, freute sich Kirshner und schritt auf Lassiters Gespann zu. »Sie sind bei der Virginia City Mining Line unter Vertrag, Mister... Mister...?«
»Lassiter«, nannte der Brigade-Sieben-Mann seinen Namen. »Einfach nur Lassiter.«
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Einige Stunden darauf hatte Lassiter Kirshners Vertrauen gewonnen.
Er saß mit dem jungen Frachtkutschunternehmer vor einem Haus an der C Street und beugte sich über eine detaillierte gezeichnete Karte, auf dem der Mount Davidson und dessen nähere Umgebung zu sehen war. Die Männer hatten sich über die Strecke verständigt, die von der Virginia City Mining Line befahren werden sollte.
»Überall in Nevada sind die Postkutschen erledigt«, sagte Kirshner und richtete sich ein Stück auf. »Die Eisenbahn hat die Fracht übernommen und fährt sie günstiger und schneller. Ich erfülle nur den letzten Wunsch meines Vaters.«
»Lew Kirshner«, sagte Lassiter und erinnerte sich an die Berichte, die er im Kuvert aus Washington gefunden hatte. Das Kirshner-Syndikat war eines der größten Frachtimperien Amerikas gewesen. »Man hört ab und zu von ihm.«
»Er starb vor etwas mehr als einem Jahrzehnt«, sagte Adam und atmete tief durch. »Er war ein harter und ehrgeiziger Geschäftsmann und wollte, dass wir die Virginia-City-Linie noch eröffnen. Er hat es nicht mehr erlebt.«
Aufmerksam hörte Lassiter Kirshner zu. »Keiner in Nevada will diese Linie. Sie dürften deswegen auf beachtlichen Widerstand stoßen.«
Nickend stimmte Kirshner zu. »Davon kann ich ein Liedchen singen. Ich musste Land zu Preisen kaufen, die es in zwanzig Jahren nicht wert sein wird.« Er seufzte. »Aber mein Vater wäre glücklich damit.«
Für einige Zeit sprachen sie über die Anwürfe, denen Kirshner aufgrund seines Vorhabens ausgesetzt war, als mit einem Mal eine rothaarige Frau die Straße herunterkam. Sie trug ein Bündel bei sich, das am oberen Ende mit einem Strick zugebunden war.
»Gabby!«, unterbrach Kirshner das Gespräch mit Lassiter. Er stand auf und eilte zu der Rothaarigen hinüber. »Was tust du in Virginia City? Ich heuere gerade einen Kutscher für die Davidson-Linie an.« Er wies über die Schulter. »Du musst ihn kennenlernen! Er heißt Lassiter!«
Die junge Fremde mit den bronzeroten Haaren war Gabby Ramson, wie Lassiter von Kirshner erfuhr, und lebte auf einer Ranch am Sicily Lake. Sie war nach Virginia City gekommen, um Kirshner die Reste des Abendbrotes zu bringen, das sie für ihn aufgehoben hatte.
»Speck mit Bohnen«, sagte Gabby und lächelte Lassiter an. »Nichts Besonderes für einen verwöhnten Gaumen. Ich wollte es Adam bringen, ehe es verdirbt.«
Der Frachtlinienbetreiber und seine junge Verlobte wechselten einige Sätze miteinander, bevor Gabby die Landkarte entdeckte. Sie fuhr mit dem Finger die Route am Mount Davidson ab und legt die Stirn in Falten. »Sie sollen diese Route fahren, Mr. Lassiter? Sie wissen von den beiden Toten am Mount Davidson?«
»Gabby!«, mischte sich Kirshner ein und zog Gabby von der Karte weg. »Du machst diesem Mann bloß unnötig Furcht. Er will deine Schauermärchen –«
»Tote?«, ergriff Lassiter das Wort. »Am Mount Davidson gab es Tote?«
»Zwei im Winter«, packte Gabby der Eifer. »Sie starben an der Südflanke des Berges und sind grauenvoll massakriert worden. Die meisten Bewohner von Virginia City glauben, dass es mit der Postkutschenlinie zu tun hat.«
»Bloße Gerüchte!«, knurrte Kirshner und hob die Karte vom Boden auf. Er faltete sie zusammen und steckte sie ins Jackett. »Nichts davon ist wahr. Die Männer starben an gebrochenen Herzen dort oben... Sie hatten Frauen in der Stadt.«
»Von denen sich keine an sie erinnert!«, konterte Gabby gutgelaunt und umarmte ihren künftigen Ehemann versöhnlich. »Ihr müsst euch die Sümpfe am Fuß der Berge ansehen. Sie kamen in den Sümpfen um.«
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Die Toten vom Mount Davidson hießen John Honesdale und Walther Headley.
Sie waren in den Barabas-Sümpfen südöstlich des Berges gefunden worden und hatten am Canaan Rim nach Silber und Kupfer graben wollen. Die Leichen waren mit einem Messer so zugerichtet worden, dass man Honesdale lediglich an dessen Kleidern erkannt hatte. Eaton hatte die Männer damals beerdigt.
»Sie sollten sich deswegen keine Sorgen machen«, sagte der Reverend und stieg aus dem Sattel. Er hatte Lassiter über einen Holzbohlensteg mitten in die Sümpfe gebracht. »Diese Männer sind am Berg verunglückt und vermutlich von Indianern ausgeraubt worden, als sie längst tot waren. Ich würde Miss Ramson in dieser Angelegenheit keinen großen Glauben schenken.«
Die Sümpfe erstreckten sich über fast fünf Meilen und bestanden aus morastigen Grasflächen, aus denen ein modriger Geruch aufstieg. Die Besitzer der Minen am Mount Davidson hatten einen Steg errichten lassen, über den Proviant und andere Güter trocken zum Berg gebracht werden konnten.
»Mir macht Miss Ramson keine Sorgen«, bekräftigte Lassiter einmal mehr und wunderte sich, dass Eaton so erpicht darauf war, ihn vom Gegenteil zu überzeugen. Er wurde den Eindruck nicht los, dass über die Toten vom Mount Davidson nicht gern gesprochen wurde. »Ich will nur herausbekommen, was sie meint.«
Die Pferde hatten den ersten Teil des Stegs nur mit Mühe erklimmen können. Stets aufs Neue waren ihre Hufe von den nassen Planken gerutscht.
»Sie hätten bei Kirshner bleiben sollen«, murrte Eaton. »Er ist Gegenstand Ihrer Mission. Um die Sumpftoten kümmert sich der County Sheriff weitaus besser als Sie.«
»Mr. Honesdale und Mr. Headley waren auf Kirshners Strecke unterwegs«, gab Lassiter zu bedenken. Er beschloss für sich, Eaton bei nächstbester Gelegenheit zurück nach Virginia City zu schicken. »Es muss einen Zusammenhang geben.«
Der Mittelsmann seufzte und stolzierte auf den Holzbohlen hin und her. Er bückte sich, strich mit der Hand durch den Morast und wischte sie am Hosenbein wieder sauber. »Honesdale und Headley waren nicht die ersten Männer, die in dieser Gegend umgekommen sind. Die Sümpfe wollen jedes Jahr ihr Opfer.«
»Wohin hat man die Leichen gebracht?«, fragte Lassiter. »Was hat man bei ihnen gefunden?«
»Höchstens ein Paar feuchter Stiefel!«, erwiderte Eaton und lachte bitter. »Die beiden armen Teufel waren nackt, so weit ich mich erinnere. Der Sheriff hat sie verbrennen und auf dem Friedhof beisetzen lassen. Er hatte Sorge, dass sie irgendein Sumpffieber in die Stadt bringen.«
Aus dem Waldstreifen jenseits des Sumpfes erklang der Ruf eines Reihers, der wenig später aufstieg und einen weiten Bogen über das Sumpfgeländer zog. Er verschwand mit wenigen Flügelschlägen hinter einem Felskamm.
»Reiten wir zurück?«, schlug Eaton vor und wies zu den Pferden. »Sie finden hier oben nichts von Belang. Die Gefahren für Mr. Kirshner kommen von anderer Stelle... Ich vermute, dass –«
Der Mann der Brigade Sieben legte den Finger auf die Lippen und zog den Remington. Er packte Eaton bei der Hüfte, schob ihn zu den Pferden hinüber und schlich den Holzbohlensteg geduckt hinunter.
Aus den Baumkronen war erneut ein Reiher aufgestiegen.
Das schlanke Tier starrte auf die beiden Eindringlinge hinunter, zog ebenfalls einen weiten Halbkreis am Himmel und flog wie sein Vorläufer davon.
Irgendjemand war im Wald hinter dem Sumpf.
Seinem untrüglichen Instinkt konnte Lassiter zu jeder Zeit vertrauen, und dass sein Gespür trog, kam höchst selten vor. Es hatte ihn vor unzähligen Gefahren bewahrt, hatte ihm aus der Klemme geholfen, wenn alles um ihn herum aussichtslos war. Es war ein sechster Sinn jener Art, wie ihn Honesdale und Headley gebraucht hätten.
»Was... Was ist los?«, flüsterte Eaton hinter ihm. »Was haben Sie gesehen? Es sind nur ein paar verirrte Reiher am Himmel gewesen.«
»Die Reiher sind das Zeichen«, entgegnete Lassiter leise und verhalten. Er hielt den Remington fest umklammert. »Hinter den Bäumen treibt sich jemand herum. Er hat die Vögel aufgejagt.«
Dann sah Lassiter den Fremden.
Er war von großem Wuchs und kauerte im feuchten Unterholz. Er mochte fünfzig oder sechzig Jahre alt sein. Das Gewehr in seinen Händen schimmerte metallen und ruhte auf seinem rechten Knie.
»Was zum Teufel?«, presste Eaton hervor und zog sich hinter das Pferd zurück. »Hat er uns bemerkt? Er rührt sich nicht!«
»Er hat uns nur gehört«, sagte Lassiter und wandte sich zu Eaton um. »Bleiben Sie, wo Sie sind! Ich sehe ihn mir aus der Nähe an!«
Mit behutsamen Schritten pirschte sich Lassiter den Steg hinunter und legte hinter einem Büschel Sumpfgras auf den Gewehrschützen an. Er nahm den rechten Arm des Mannes ins Visier, legte den Finger an den Abzug und senkte den Revolver wieder.
Der Fremde hatte nur ein Auge.
Statt seines rechten Augapfels zog sich eine längliche Narbe durch sein Gesicht, die oberhalb der Wange begann und knapp über der Nasenwurzel endete. Sie musste von einem Schwerthieb oder einem Messer verursacht worden sein und hatte dem Mann auf einer Seite das Augenlicht genommen.
Vermutlich sah er Eaton und die Pferde aus diesem Grund nicht.
Plötzlich drehte der Fremde den Kopf und starrte Lassiter mit dem unversehrten Auge an. Er riss das Gewehr empor und feuerte einen Schuss ab.
Die Kugel zischte mit einem Feuerschweif an Lassiter vorbei.
Zur gleichen Zeit schrie Eaton bei den Pferden auf und gab seinerseits einen Schuss ab. Er traf einen Ast über dem Fremden und sprang in den Sumpf.
Noch länger konnte Lassiter nicht warten.
Er betätigte zweimal den Abzugshebel des Remington, trieb den Fremden tiefer ins Unterholz und rannte zu dem japsenden Eaton hinüber. Als er den Reverend am Kragen packte und aus dem Wasser zog, war aus dem nahen Wald das Brechen und Knarzen von Ästen zu hören.
Der Einäugige floh vor ihnen.
Er schlug sich mit großer Kraft durch das Geäst, das ihm den Weg versperrte, und gelangte so rasch außer Sicht, dass Lassiter den Gedanken an eine Verfolgung aufgab. Eaton spie das schlammige Sumpfwasser aus, krallte sich mit beiden Händen am Steg fest und zog sich nach oben. Er sah Lassiter schuldbewusst an und schüttelte den Kopf. »Reiten Sie ihm... Reiten Sie ihm nicht nach... Dieser Mann ist gefährlich.«
»Wer war dieser Kerl?«, knurrte Lassiter und griff den Gottesmann beim Gürtel. Er zerrte ihn auf den Steg, stand auf und sah nach dem Flüchtigen. »Was hatte er im Sumpf zu suchen?«
»Paul Faint«, sagte Eaton und rang um Luft. »Ein Rancher... Ein Schafzüchter vom Sicily Lake. Er ist nicht ganz bei Sinnen, falls Sie verstehen, was ich meine.«
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Pulsierende Schmerzen zuckten durch Faints Schultern.
Der Rancher hielt sich die Wunde zu, die eine der Kugeln gerissen hatte, und schleppte sich mit aller Kraft vorwärts. Er konnte sich in seiner Benommenheit kaum auf den Beinen halten und verfluchte seine Neugier.
Er hätte nicht zu den Sümpfen gehen dürfen.
Er hätte auf seine alte Mutter hören und seinen Argwohn bezwingen müssen. Er hätte das gottverfluchte Gewehr in der Scheune lassen und seinen Stolz im Zaum halten müssen.
Stattdessen war Faint wieder herumgeschlichen.
Zunächst hatte er nur gemutmaßt, dass sich Adam Kirshner am Mount Davidson herumtreiben könnte, doch irgendwann hatte er Gewissheit gewollt. Er hatte sich das Gewehr genommen, hatte seiner Mutter das Mittagessen gebracht und all ihre Warnungen in den Wind geschlagen.
Paul... Verdammter Dummkopf...
Er konnte im Geist ihre Stimme hören, jede Nuance ihres krächzenden Organs, das nichts als Beleidigungen für ihn kannte. Er konnte ihre garstigen Sprüche hören, konnte sich vorstellen, wie sie ihn auslachten oder – schlimmer noch – verspotteten.
Du taugst nichts, Junge, taugst keinen müden Cent...
Erschöpft blieb Faint stehen und warf einen Blick auf seine Schulter. Er war von einem der Revolverschüsse getroffen worden, von denen die Sümpfe in bizarres Zwielicht getaucht worden waren. Die Kugel steckte tief im Fleisch seines Oberarms.
Du taugst nichts, Junge.
Seine Mutter würde kein gutes Haar an ihm lassen, sobald sie erfuhr, dass er abermals nach Kirshner gejagt hatte. Sie würde ihn einen sentimentalen Schwachkopf oder einen dummdreisten Schürzenjäger nennen und sich weigern, ihm einen Verband zu binden oder einen Balsam zu mischen. Sie würde das Gleiche tun, was sie in solchen Situation seit jeher getan hatte.
Faint schaute sich um.
Er hatte inzwischen fünf Meilen zwischen sich und die Barabas-Sümpfe gebracht, in denen er auf Kirsher gelauert hatte. Der Wald war lichter geworden und würde in saftige Weiden übergehen, je näher er dem Sicily Lake kam.
Gabby Ramson heiratet dich nie, Junge!
Noch immer schmeckte Faint diese Wahrheit bitter, obgleich er eingesehen hatte, dass seine Mutter zumindest mit dieser Aussage recht behalten würde. Die schöne und anmutige Gabby Ramson würde ihr rotblondes Haar nie für ihn schnüren. Sie würde nie das Kleid für ihn, Paul Faint, anlegen und ihn zum Tanz ausführen wollen.
Sie würde Adam Kirshner heiraten.
Seufzend schleppte sich Faint zum Waldrand hinunter und lehnte sich an einen krumm gewachsenen Ahornstamm. Er rieb sich die Narbe an seinem rechten Auge und wusste nicht recht, ob es Tränen waren, die er auf den Fingerkuppen spürte.
Adam und Gabby, das ist ein Paar, Paul!
Rosige Wangen bekam Faints Mutter jedes Mal, sobald das Gespräch auf die bevorstehende Vermählung von Gabby Ramson und Adam Kirshner kam. Sie erfuhr die meisten Einzelheiten dazu von Mrs. Coggins, die häufig im Drogistenladen einkaufte, in dem Gabby eine Stellung hatte.
Zur Hölle sollte diese Mrs. Coggins damit fahren.
Sie brachte die Wurzel allen Übels jeden Donnerstag hinauf zu Faints-Ranch, ließ sich über das Hochzeitskleid der hübschen Miss Ramson aus und schürte Zorn in Faints Herzen. Sie sorgte dafür, dass Faints Mutter ihren Sohn die ganze Woche damit aufzog, dass er zu dumm und zu verkrüppelt sei, um eine Frau wie Gabby Ramson vor den Altar zu führen.
Stumm starrte Faint zur Ramson-Ranch hinüber.
Das schmale Haupthaus stand quer zum Sicily Lake und leuchtete mit seinem hellen Anstrich wie ein Stück weißen Marmors. Es bot einen so unschuldigen Anblick, dass es Faint wie Hohn vorkam.
Auf irgendeine Art musste Faint Gabby Ramson für sich gewinnen.
Er musste sie zwingen , seine Frau zu werden, musste sie auf seine Ranch bringen, zu den munteren Schafen, die sich gut verkauften, jedenfalls besser als die mageren Rinder, die sich auf den Weiden der Ramsons drängten. Er musste Gabby zeigen, dass er die bessere Partie war.
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Fast fünf Stunden kostete es Lassiter, den frierenden Eaton ins Konvent von St. Lucy's zurückzubringen und sich für den Ritt hinauf zum Sicily Lake zu rüsten. Er traf im Mietstall mit Adam Kirshner zusammen, der sich verwundert über die Schüsse in den Barabas-Sümpfen zeigte.
»Reverend Eaton ist beinahe ertrunken«, schloss Lassiter seinen Bericht über das Vorgefallene. »Er wollte sich vor dem Gewehrfeuer retten und musste in den Sumpf springen.«
»Kaum einer treibt sich dort oben herum«, sagte Kirshner nachdenklich und drängte einen Rappen zwischen die beiden Anbindestangen. Er nahm dem Vierbeiner das Zaumzeug ab und streichelte ihm über die Nüstern. »Sie müssen an einen böswilligen Geist geraten sein.«
»Er hatte ein zerstochenes Auge«, fügte Lassiter hinzu und betrachtete die restlichen Pferde. Er wollte ein schnelles und zuverlässiges Tier. »Mr. Eaton war der Ansicht, dass es ein Rancher mit dem Namen Paul Faint gewesen wäre.«
Abrupt ließ Kirshner das Zaumzeug sinken und stützte sich auf den Anbindebalken. Er suchte einige Augenblicke lang nach den richtigen Worten. »Faint?... Sie haben Faint dort oben gesehen?«
»Kennen Sie ihn?« Lassiter wandte sich seinem Gesprächspartner ganz zu. »Er soll am Sicily Lake wohnen.«
Kirshner blieb fast eine Minute lang still, bevor er zu einer Antwort ansetzte. »Er wohnte schon am Sicily Lake, als niemand sonst dort hinauf gezogen war. Ein merkwürdiger Eigenbrötler mit seltsamen Gewohnheiten. Er soll sich um seine kranke Mutter kümmern.«
Durch die hinter Stalltür kam der Gehilfe des Mietstallbesitzers und schüttete Hafer in die Traufe des Rappen. Er lächelte den Männern scheu zu und lief mit dem leeren Eimer in der Hand davon.
Auf Kirshners jungenhaftem Gesicht lag ein qualvoller Ausdruck. »Verflucht, Faint... Er hat sich so oft an meine Verlobte herangemacht, dass wir es nicht mehr zählen können. Er wollte Gabby zu seiner Frau machen. Er hat die Hoffnung nie aufgegeben.«
Der Rappe trat unruhig zwischen den Balken hin und her, ehe er wieder fraß.
»Wie steht Miss Ramson dazu?«, fragte Lassiter. »Hat sie Mr. Faint Hoffnungen gemacht?«
»Bei allen Engeln des Himmels!«, verwahrte sich Kirshner. »Sie sollten Mr. Faint von Angesicht zu Angesicht gegenüberstehen. Er ist eine unwürdige Erscheinung. Eine Frau wie Gabby würde nicht im Traum an eine Ehe mit diesem Mann denken.«
Der Stalljunge erschien erneut und kippte einen weiteren Eimer Hafer aus. Als Kirshner ihn nach einem bestimmten Pferd fragte, zuckte er zusammen und blieb stocksteif stehen. »Sir, dieses Pferd steht keinem anderen als Mr. Curtis zur Verfügung. Er ist der Besitzer dieses Mietstalls.«
»Sag Mr. Curtis«, trug Kirshner dem Jungen auf, »dass Mr. Kirshner im Stall ist. Er will das Pferd einem guten Freund geben.« Er sah zu Lassiter. »Lassen Sie den Rappen, Mr. Lassiter. Ich habe ein besseres Tier für Sie.«
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Die Stimme von Gabbys Mutter hatte einen schrillen Klang angenommen.
»Du wirst einen mittellosen Mann heiraten!«, schrie Anna Ramson und lief im Sturmschritt durch den Flur. Sie hob verzweifelt beide Hände über den Kopf. »Was müsst ihr Mädchen immer so dumm sein! Kaum schmiert euch einer Honig um den Bart, werdet ihr schwach!«
»Mutter!«, rief Gabby der älteren Frau mit dem schlohweißen Haar nach. Sie eilte ebenfalls durch den Flur des Ranchhauses. »Du regst dich zu sehr auf! Du musst dich beruhigen! Der Doktor hat's verlangt von dir!«
Die alte Mrs. Ramson betrat das Waschhaus und tauchte die Hände in einen Zuber voller Seifenwasser. Sie knetete die Laken darin, hob eines davon hoch und betrachtete es kritisch. »Was weißt du schon, Gabby? Du willst diesen Kirshner heiraten, aber er wird seine Familie nicht ernähren können. Du wirst am Hungertuch nagen.« Sie ließ das Laken fallen. »Wie wir's noch vor zehn Jahren getan haben.«
Vor zehn Jahren hatte Gabbys Vater noch gelebt.
Er war von einem Minenarbeiter erschlagen worden, nachdem die beiden Männer im Washoo -Saloon in Streit geraten waren. Sie hatten einander bis aufs Blut gereizt und sich geprügelt.
»Vater hätte nichts dagegen gehabt!«, zog Gabby ihre letzte Trumpfkarte. Sie wollte sich nicht länger mit ihrer Mutter über Adam streiten. »Er mochte die Kirshners. Er hätte die Ehe gewollt.«
Frustriert warf Anna das Laken ins Wasser, richtete sich auf und stemmte die Arme in die Seiten. »Er mochte Lew Kirshner, Gabby. Er mochte den Alten im Kirshner-Clan. Er hätte Adam nicht ernstgenommen. Er hätte ihn für einen Träumer gehalten.« Sie schüttelte den Kopf. »Du weißt hoffentlich noch, wie er sein konnte.«
Rechthaberisch und streng war Gabbys Vater Nicholas gewesen, und ein Schwärmer obendrein. Er hatte so oft betrunken in der Küche gesessen und von Kalifornien gefaselt, dass die Frauen ihn nach zehn Uhr abends gemieden hatten. »Was tut's zur Sache, Mom? Du willst mir Adam ausreden, und ich lass ihn mir nicht ausreden.«
»Dann nicht.« Anna machte sich beleidigt wieder an die Arbeit. »Du musst wissen, was du tust. Du kennst meine Meinung zu ihm. Du kannst tun und lassen, was du möchtest. Es ist dein Leben und deine Ehe, Kind.«
Mittlerweile stritten Gabby und ihre Mutter fast jeden Tag über Adam und dessen hochfliegende Pläne für die Virginia City Mining Line , die in wenigen Monaten die Minen am Mount Davidson miteinander verbinden sollte. Die Postkutschen waren altmodisch und schwerfällig, und genau auf dieses Argument gründeten Annas Vorbehalte.
»Ich heirate Adam, Mom«, sagte Gabby mit Nachdruck und lehnte sich eingeschnappt an die Flurwand. Sie sah zum Mount Davidson, dessen schroffer Gipfel im Türspalt zu erkennen war. »Du bist entweder an meiner Seite oder lässt mich damit allein.«
Mit einem knappen Seufzer ließ Anna die durchnässten Laken los und trocknete ihre Hände an der Schürze ab. Sie war fast genauso groß wie ihre Tochter und bewegte sich trotz ihres Alters mit bemerkenswerter Flinkheit. »Du musst nichts allein durchstehen, mein Kind. Aber du solltest wissen, worauf du dich einlässt. Ein Kirshner ist –«
Drei harte Faustschläge erschütterten die Haustür am Ende des Flurs.
Die Schläge waren so fest und energisch, dass sie die Tür ein Stück aus dem Rahmen drückten und einen feinen Staubschleier hervorriefen, der langsam auf die Dielenbretter sank.
Anna sah ihre Tochter aus großen Augen an. »Faint? Steht schon wieder Faint vor der Tür?«
Sie hatten den Rancher von der anderen Seeseite Dutzende Male in seinem Boot gesehen, das meist reglos auf dem Wasser getrieben hatte. Die meiste Zeit fischte Faint und kam dem diesseitigen Ufer kaum näher als tausend Fuß.
»Was sollte Faint bei uns wollen?«, fragte Gabby und machte ein unwirsches Gesicht. »Er ist nicht erwünscht bei uns. Er ist noch nie bei uns gewesen.«
Ob Gabbys letzter Satz der Wahrheit entsprach, konnten die Frauen nicht sagen. Sie redeten sich ein, dass Faint noch nie einen Fuß auf ihr Land gesetzt hatte, wussten jedoch auch, dass er manchmal mit geradezu unheimlicher Penetranz zu ihnen herübersah.
Die Fausthiebe gegen die Tür setzten neuerlich ein.
Zitternd lief Gabby zu ihrer Mutter, ergriff sie bei der Hand und schob sie in die angrenzende Küche. Sie lief zur Tür und warf einen Blick durch das danebenliegende schmale Fenster.
Vor dem Haus stand der Einäugige.
Er war über und über mit Blut und Dreck beschmiert und drehte unentwegt den Kopf. Er hielt ein Gewehr in der Hand, das jedoch nicht geladen und gespannt war.
»Ist es Faint?«, rief Anna aus der Küche. »Du solltest ihm öffnen, Anna! Du solltest mit ihm reden!«
»Er ist verwundet!«, schrie Anna zurück und presste sich zugleich die Hand vor den Mund. Sie konnte nur hoffen, dass Faint sie draußen nicht gehört hatte.
»Miss Ramson!«, schrie Faint draußen und drosch ein weiteres Mal auf die Tür des Ranchhauses ein. »Öffnen Sie mir! Ich muss mit Ihnen reden! Ich muss mit Ihnen sprechen, Ma'am!«
»Mach ihm auf!«, tönte es aus der Küche. »Er geht sonst nicht weg! Rede mit ihm, Gabby! Aber sei vorsichtig!«