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Lassiter pochte zum zweiten Mal gegen die Tür des Hotelzimmers und lauschte. Ein unterdrücktes Stöhnen drang an seine Ohren. Es bestand kein Zweifel mehr. Amos Mulligan war da, aber es schien ihm nicht gut zu gehen. So stöhnte nur ein Mensch, der sich in großer Not befand. Entschlossen drehte Lassiter den Türknauf und drang ein. Mondlicht fiel in einer schmalen Bahn durch das Fenster. Es erhellte matt den Bretterfußboden des kärglich möblierten Zimmers und die Gestalt des Mannes, der lang ausgestreckt auf dem Rücken lag. Lassiter zündete die Petroleumlampe an, die auf dem kleinen, wackligen Tisch stand. Gleich darauf kniete er neben dem Mann nieder.
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Seitenzahl: 174
Veröffentlichungsjahr: 2025
Cover
... DA SAH LASSITER ROT
II
III
IV
V
VI
VII
VIII
IX
X
Vorschau
Impressum
... DA SAH LASSITER ROT
Lassiter pochte zum zweiten Mal gegen die Tür des Hotelzimmers und lauschte.
Ein unterdrücktes Stöhnen drang an seine Ohren.
Es bestand kein Zweifel mehr. Amos Mulligan war da, aber es schien ihm nicht gut zu gehen. So stöhnte nur ein Mensch, der sich in großer Not befand.
Entschlossen drehte Lassiter den Türknauf und drang ein. Mondlicht fiel in einer schmalen Bahn durch das Fenster. Es erhellte matt den Bretterfußboden des kärglich möblierten Zimmers und die Gestalt des Mannes, der lang ausgestreckt auf dem Rücken lag.
Lassiter zündete die Petroleumlampe an, die auf dem kleinen, wackligen Tisch stand. Gleich darauf kniete er neben dem Mann nieder.
Es war Amos Mulligan, mit dem sich Lassiter verabredet hatte. Ein breitschultriger, kräftig wirkender Mann mit großen, schwieligen Händen.
Ein verzerrtes Grinsen flog über sein bärtiges Gesicht, als er Lassiter erkannte.
»Gut, dass du da bist, Partner«, ächzte er mühsam. »Dieses verdammte Satansweib hat mich reingelegt ...«
Er atmete rasselnd. Aus seiner Brust ragte der Hirschhorngriff eines Messers. Rings um den Einstich hatte sich sein grünes Hemd mit Blut vollgesogen.
»Nicht so viel sprechen, Amos!«, murmelte Lassiter. »Jetzt musst du dich unbedingt schonen.«
»Meinst du denn, ich habe noch 'ne Chance?«
»Das kann ich nicht sagen«, gab Lassiter offen zurück. »Auf jeden Fall hast du bis jetzt viel Glück gehabt. Solange das Messer zwischen deinen Rippen steckt, wirst du nicht mehr viel Blut verlieren. Jetzt kommt es ganz darauf an, was passiert, wenn die Klinge herausgezogen wird. Dafür muss der Doc her. Bleib also ganz ruhig liegen, bis ich wieder da bin.«
Amos Mulligan nickte schwach. Er sagte nichts mehr, als Lassiter sich aufrichtete und das Zimmer verließ.
Lassiter hastete die Treppe hinunter. Er wusste, dass jede Minute kostbar war. Hoffentlich schaffte er es noch rechtzeitig. Wenn Amos Mulligan starb, würde er ein Geheimnis mit ins Grab nehmen. Und niemand würde je erfahren, warum man ihn überfallen hatte.
In der matt erleuchteten Halle befand sich als einziger Mensch der Clerk, ein etwa achtzehnjähriger Bursche, der hinter dem primitiven Empfangspult vor sich hindöste.
Er blickte verschlafen hoch, als er Lassiters Schritte hörte.
Lassiter warf ihm einen Dollar auf die Platte.
»Hol den Doc, Junge!«, sagte er ruhig. »Wenn du deine Beine schnell genug bewegst, gibt's noch einen Buck extra.«
Der Bursche griff nach dem Dollar und sprang sofort auf.
»Was ist passiert? Ist was mit Mr. Mulligan, Fremder?«, stieß er hastig hervor.
»Du sollst dich beeilen!«, knurrte Lassiter. »Und der Teufel wird dich holen, wenn du dich unterwegs aufhältst und große Sprüche klopfst. Los, beweg dich!«
Der Clerk duckte sich unwillkürlich unter Lassiters hartem Blick und flitzte los.
Lassiter stieg wieder ins Obergeschoss. In dem kleinen Zimmer lag der Oldtimer noch immer so, wie ihn Lassiter zurückgelassen hatte. Allerdings hatte er jetzt die Augen geschlossen und atmete nur noch schwach.
Von nun an konnte Lassiter nur noch warten.
Der Doc kam nach zehn Minuten. Es war ein schlanker Mann mit einem faltenreichen Gesicht und mürrisch blickenden Augen.
Hinter ihm drängte der Clerk ins Zimmer. Lassiter warf dem Burschen den versprochenen Dollar zu und gab ihm mit einem eindeutigen Wink zu verstehen, dass er verschwinden sollte.
Der Arzt kniete bereits neben Amos Mulligan auf dem Fußboden.
Mit der Schere zerschnitt er den Stoff des blutgetränkten Hemdes und legte die Wunde rasch frei.
»Wie sieht's aus, Doc?«, fragte Lassiter.
Der Doc brummelte ein paar Worte, die Lassiter nicht verstehen konnte, und arbeitete unbeirrt weiter. Er holte Verbandszeug und verschiedene Instrumente aus der bauchigen Ledertasche, die er mitgebracht hatte, tupfte die Wundränder mit einer scharf riechenden Flüssigkeit ab und zog dann mit einem schnellen Ruck das Messer aus Mulligans Brust.
Mulligan zuckte nur kurz zusammen. Im Unterbewusstsein stieß er ein gequältes Stöhnen aus und lag dann wieder still.
»Ich glaube, er hat Glück gehabt«, brummte der Doc. »Ich kann ihm jetzt nur noch einen Verband anlegen. Alles andere müssen wir dem Schicksal überlassen. – Nachher werden wir ihn vorsichtig auf das Bett legen. Und dann muss jemand die ganze Nacht bei ihm bleiben und darauf aufpassen, dass er sich nicht zu heftig bewegt.«
»Dafür sorge ich«, sagte Lassiter.
Der Doc arbeitete weiterhin schnell und geschickt. Als er Mulligan zum Schluss den Verband um den Oberkörper gewickelt hatte, hoben sie ihn zu zweit vorsichtig auf und legten ihn auf das Bett.
»Macht zusammen dreißig Dollar«, sagte der Doc. »Ich nehme an, der Verwundete ist Ihr Freund, Mister.«
Lassiter nickte und holte ein Dollarbündel aus der Innentasche seines Cordrocks.
»Hier sind hundert Dollar, Doc. Ich nehme an, das reicht für die weitere Behandlung.«
Der Doc ließ das Geld in seiner Hosentasche verschwinden. Auf dem Gang näherten sich Schritte. Gleich darauf wurde die Tür geöffnet. Ein großer, schwarzhaariger Mann kam herein. Auf seinem hellblauen Leinenhemd schimmerte der Marshalstern.
Ernst und fragend sah er Lassiter an.
Der Doc nahm seine Tasche vom Boden auf und wandte sich der Tür zu.
»Na, dann will ich euch mal allein lassen«, brummte er. »Und seien Sie nicht wieder zu voreilig, Marshal. Dieser Mann hat Mulligan ganz bestimmt nicht überfallen.«
Nach diesen Worten verschwand er.
»Wer sind Sie, Fremder?«, fragte der Marshal. »Der Clerk hat mir berichtet, dass Sie gekommen sind, um Amos Mulligan zu besuchen. Etwas später ließen Sie dann den Doc holen. – Hat es zwischen Ihnen und Mulligan eine Auseinandersetzung gegeben?«
Lassiter schüttelte den Kopf.
»Ich stehe genauso vor einem Rätsel wie Sie, Marshal. Ich war mit Amos Mulligan verabredet. Als ich ins Zimmer kam, lag er da und hatte das Messer in der Brust.«
»Hm«, brummte der Marshal, »das hört sich an, als ob Sie die Wahrheit sagen, Mister ... Wie war doch noch Ihr Name?«
»Lassiter.«
In den Augen des Marshals blitzte es kurz auf.
»Diesen Namen höre ich nicht zum ersten Mal«, sagte er. »Sind Sie der Mann, der den Privatkrieg gegen Wells Fargo geführt hat?«
»Und wenn ich es tatsächlich wäre?«
Der Marshal zuckte die Schultern.
»Meines Wissens werden Sie in Nevada nicht steckbrieflich gesucht«, sagte er. »Aber ich warne Sie. In diesem Teil des Landes wurden in letzter Zeit ein paar blutige Schläge gegen Wells Fargo geführt. Dass Sie hier aufgetaucht sind, könnte zu verschiedenen Schlüssen führen.«
»Schon möglich«, murmelte Lassiter trocken. »Aber ich kann Sie beruhigen. Ich habe von diesen Wegelagerern gehört. Die Art, wie sie ihre Überfälle ausführen, entspricht nicht meinem Stil. – Was wollen Sie jetzt unternehmen, um den Burschen zu finden, der meinen Freund Mulligan niedergestochen hat?«
Der Marshal blickte über die Schulter zum Clerk hin, der abwartend hinter ihm auf der Schwelle stand.
»Sind die anderen Zimmer belegt, Benjamin?«
»Nicht alle, Marshal Templar«, antwortete der Junge. »In dem Doppelzimmer nebenan wohnen Mrs. Ogilvy und ihr Mann. Nummer fünf ist nicht belegt. Gegenüber in Nummer acht schläft das Ehepaar McDonald und in den beiden Zimmern daneben Shelly Brown und Claire Richards. Das sind unsere ganzen Gäste im Augenblick.«
Der Marshal zog eine schwere silberne Taschenuhr aus der Westentasche. »Viertel vor Elf«, murmelte er. »Weißt du, ob alle Gäste auf ihren Zimmern sind, Benjamin?«
»Noch nicht alle«, antwortete der Junge diensteifrig. »Mr. Phillipp und Mr. McDonald mit seiner Frau sind noch nicht zurückgekommen. Die anderen sind da.«
»Gut. Hol sie alle auf den Flur. Ich will ihnen ein paar Fragen stellen. Vielleicht hat einer von ihnen was Verdächtiges gehört.«
Fünf Minuten später waren alle draußen auf dem Gang versammelt. Ein dicker, ungefähr vierzigjähriger Mann namens Simon Ogilvy. Neben ihm seine Frau Leandra, eine wuchtige Matrone mit einem weit fallenden rosafarbenen Morgenrock und einer weißen Nachthaube auf dem hochgesteckten Haar.
Sie waren ziemlich ungehalten über die nächtliche Störung, und der Marshal stellte zuerst seine Fragen an die beiden.
Lassiter, der als stummer Beobachter hinter dem Marshal stand, erkannte sofort, dass das alles keinen Sinn hatte.
Das Ehepaar Ogilvy hatte fest geschlafen und nichts Verdächtiges gehört.
Nach den Ogilvys kamen die beiden jungen Frauen an die Reihe, die in den beiden Zimmern gegenüber von Amos Mulligans Unterkunft wohnten.
Sie hießen Shelly Brown und Claire Richards, sahen aus wie Schwestern, waren beide rothaarig und von einer katzenhaften Schönheit.
Lächelnd hörten sie sich die Fragen des Marshals an und sandten zwischendurch immer wieder eindeutig lockende Blicke zu Lassiter hin.
»Denken Sie noch einmal genau nach!«, forderte sie der Marshal auf. »Haben Sie wirklich keinen Schrei gehört. Kein Geräusch, das auf einen Kampf hindeutete?«
Shelly Brown und Claire Richards schüttelten die schönen Köpfe.
Nein, sie hatten nichts gehört. Darauf konnten sie jeden Eid leisten.
»Seltsam«, murmelte der Marshal und wandte sich wieder an den jungen Clerk. »Und du hast auch nichts bemerkt, Benjamin? Warst du wirklich die ganze Zeit in der Halle, so dass du jeden sehen konntest, der die Treppe hinaufgegangen oder heruntergekommen ist?«
»Ich war die ganze Zeit da, Marshal«, beteuerte Benjamin. »Gegen acht gingen Mrs. und Mr. Ogilvy nach oben. Etwas später folgten ihnen Miss Claire und Miss Shelly. Kurz nach neun Uhr kam Mr. Lassiter und fragte nach Amos Mulligan. Das ist alles, was ich dazu sagen kann.«
Der Marshal schien noch etwas sagen zu wollen, schwieg dann aber, als zwei weitere Personen auf dem Gang erschienen. Ein schlanker, drahtig wirkender Mann und eine schwarzhaarige Frau, die den beiden Rothaarigen an Schönheit und Jugend nicht nachstand.
»Ist was passiert, Marshal?«, fragte der Mann überrascht.
»Einer von den Gästen ist überfallen worden.«
Der Mann blickte rasch in die Runde.
»Mr. Mulligan fehlt!«, rief er leise. »Ist er ...«
Der Sternträger schüttelte den Kopf.
»Er hat Glück gehabt, Mr. McDonald«, sagte er. »Sehr viel Glück. – Sie können jetzt alle wieder auf Ihre Zimmer gehen. Gute Nacht.«
Er wandte sich an Lassiter.
»Was haben Sie jetzt vor?«
»Ich bleibe bei Amos«, sagte Lassiter. »Der Doc hält es für besser, wenn jemand bei ihm ist.«
Ohne eine Antwort abzuwarten, ging er in das Zimmer zurück. An den Geräuschen, die von draußen hereindrangen, erkannte er, dass sich auch die anderen Gäste auf ihre Zimmer zurückzogen.
Müde ließ er sich auf den einzigen Stuhl sinken, den es im Zimmer gab, löschte die kleine Lampe und legte den Revolver griffbereit vor sich auf den wackligen Tisch.
Nun begann die Zeit des Wartens. Erst wenn Amos Mulligan aufwachte, konnte Lassiter etwas unternehmen. Denn dann erst würde er erfahren, was hier überhaupt gespielt wurde.
Er dachte über die anderen Gäste nach. Eine unbestimmte Ahnung hatte ihn ergriffen. Immer wieder musste er besonders stark an die beiden rothaarigen Frauen denken. Irgendetwas stimmte mit ihnen nicht. Ihre Blicke waren verschlagen, um ihre schön geschwungenen Lippen lag der Ausdruck einer katzenhaften Grausamkeit.
Aber sollten sie wirklich etwas mit dem Überfall auf Amos Mulligan zu tun haben?
Lassiter schüttelte den Kopf.
Nein, das traute er ihnen nicht zu. Und dafür kannte er Amos viel zu lange. Dieser Mann war zu hart und zu erfahren, um sich von einer Frau hereinlegen zu lassen. Und immerhin war er von vorne angegriffen worden. Er hatte also dem Gegner ins Auge sehen und den Angriff erkennen können.
Es musste schon ein verdammt gewandter Messerheld gewesen sein. Sonst hätte er es nie und nimmer geschafft.
Auf seinem Bett bewegte sich Amos und stöhnte langgezogen. Seine Lippen bewegten sich, formten ein paar kaum verständliche Laute.
Lassiter glaubte das Wort »Gold« herauszuhören, aber er konnte sich auch geirrt haben.
Er ging zu dem Verwundeten ans Bett. Amos wollte sich gerade aufbäumen, und Lassiter drückte ihn sanft zurück.
»Ruhig, Amos! Ganz ruhig bleiben, sonst siehst du morgen früh die Sonne nicht wieder aufgehen.«
Amos schlug kurz die Augen auf.
»Pass auf, Partner«, flüsterte er. »Nicht einschlafen! Die verdammten ...«
Seine letzten Worte gingen wieder in einem unverständlichen Gemurmel unter. Von einer Sekunde auf die andere schlief er wieder tief und fest wie ein Toter.
Lassiter aber wusste, dass er in dieser Nacht kein Auge zumachen durfte. Und er ahnte, dass in diesem Hotel noch immer tödliche Gefahren lauerten. Nicht nur auf Amos, auch auf ihn ...
»Lassiter! He, Lassiter!«
Er hob den Kopf. Gerade noch hatte er in einer Art Halbschlaf vor sich hingedöst. Jetzt war er mit einem Schlag hellwach.
Die Stimme war von der Tür her zu ihm gedrungen. Es war nicht mehr als ein Wispern gewesen, und doch hatte er seinen Namen genau gehört.
Ein leises Kratzen an der Tür, die er von innen verschlossen hatte. Dann wieder der zischende Laut: »Lassiter! Machen Sie auf!«
Lautlos erhob er sich und glitt zur Tür. Draußen atmete gepresst ein Mensch.
»Wer ist da?«, fragte sie leise.
»Claire Richards. Machen Sie auf! Es ist wichtig.«
Lassiter stellte sich so hin, dass ihn die Tür deckte, nachdem er geöffnet hatte.
Langsam drehte er den Schlüssel im Schloss. Ein leises, scharrendes Geräusch, und die Tür schwang auf.
Eine Gestalt huschte ins Zimmer. Eine Wolke von Parfümgeruch schlug Lassiter entgegen. Im matten Mondlicht, das das Zimmer erhellte, sah er ein wallendes helles Gewand.
Er schloss die Tür und senkte die Hand mit dem Revolver.
Die Frau blieb stehen und sah ihn im Halbdunkel an.
»Was wollen Sie?«, fragte er rau.
Sie lächelte weich.
Die weißen Zähne leuchteten lockend.
Zögernd machte sie einen Schritt auf ihn zu, dann noch einen. Stand schließlich so dicht vor ihm, dass er die lockende Wärme ihres Körpers geradezu spüren konnte.
Unwillkürlich stieg Verlangen in ihm auf. Er hatte schon seit Wochen keine Frau mehr gehabt. Und diese Claire Richards gehörte zu den Geschöpfen, die einen Mann nicht lange ruhig sein ließen.
»Ich habe vor einiger Zeit von dir gehört«, flüsterte sie. »Eine gute Freundin in Nogales hat mir von dir erzählt. Manuela Alvarez ...«
Lassiter lächelte, als er den Namen hörte. Damit verbanden sich für ihn nur die allerbesten Erinnerungen.
»Ich brauche Hilfe, Lassiter«, fuhr Claire fort. »Als ich vorhin deinen Namen hörte, erinnerte ich mich sofort daran, was mir Manuela erzählt hat. Ihr hast du ja auch einmal geholfen, als sie in Not war.«
»Du brauchst Geld?«
Sie nickte heftig.
»Ja, ich bin ziemlich am Ende. In diesem erbärmlichen Nest sind beim besten Willen keine Geschäfte zu machen. Und für fünf Dollar gebe ich mich keinem hin.«
Ihre Worte bestätigten Lassiters anfänglichen Verdacht. Dieses Mädchen lebte vom ältesten Gewerbe der Welt. Sie war eins der vielen Freudenmädchen, die kreuz und quer durch die Städte des Westens zogen, um den zahlungskräftigen Männern die Dollars aus den Taschen zu holen.
Lassiter grinste.
»Da hast du dir aber ein ausgesprochen schlechtes Gebiet ausgesucht«, meinte er. »In diesem Nest ist wirklich nicht viel zu holen. Das sieht man doch auf den ersten Blick. Was hat dich denn hierhin verschlagen?«
»Diese Postkutschenüberfälle sind schuld daran. Ich befand mich in einer Kutsche, die unterwegs nach Reno war. Wir wurden überfallen. Ich besaß über zehntausend Dollar. Jetzt habe ich nichts mehr. – Kannst du mir aushelfen, Lassiter? Du würdest es nicht bereuen, das schwöre ich dir. Komm mit rüber in mein Zimmer. Da kannst du gleich meine Bezahlung in Empfang nehmen. Bei mir wirst du den Himmel auf Erden erleben.«
Heiß brannte in Lassiter das Verlangen.
Diese Frau war wirklich schön und verlockend. So sehr, dass man alles andere darüber vergessen konnte.
Trotzdem schüttelte der große Mann den Kopf.
»Wie viel brauchst du?«, fragte er. »Reichen zweihundert Dollar?«
»O ja! Das würde mehr als genug sein. Aber ich will das Geld nicht geschenkt haben. Komm mit in mein Zimmer, Lassiter!«
Sie hob ihre Arme und schlang sie um seinen Nacken. Fest presste sie sich an ihn. Durch den seidenen Stoff spürte er die Umrisse ihres heißen Körpers und die straffen Spitzen ihrer Brüste.
»Bitte!«, flüsterte sie leidenschaftlich. »Komm mit mir! Nicht wegen der Bezahlung. Es ist auch etwas anderes. Ich möchte wenigstens einmal mit dir zusammen sein, Lassiter. Nur ein einziges Mal. Auch eine Frau wie ich hat manchmal Sehnsucht nach einem richtigen Mann. Bitte ...«
Ihre Lippen pressten sich auf seinen Mund. Sie küsste ihn voller stürmischer Leidenschaft, und die Erregung ließ ihn wild werden. Es war für ihn wie ein Rausch.
Den verwundeten Amos Mulligan hatte er fast schon vergessen.
Gerade stöhnte Amos wieder unterdrückt, aber Lassiter hörte es nicht. Für ihn existierte nur noch die rothaarige Frau.
»Lass uns gehen!«, flüsterte sie.
Der Verwundete stöhnte lauter.
Lassiter hörte es diesmal und blickte kurz zu Amos hinüber. Die Erinnerung an die warnenden Worte des Alten durchzuckte ihn und ließ ihn wieder halbwegs in die Gegenwart zurückfinden.
»Ich kann hier nicht weg«, sagte er leise. »Ich weiß was Besseres.«
»Was?«
»Wir bleiben hier. Ich gehöre nicht zu den Hombres, die unbedingt ein weiches Bett unter sich haben müssen.«
»Du meinst, ihm könnte noch was passieren? Der Kerl, der ihn überfallen hat, kommt kein zweites Mal wieder.«
»Da bin ich nicht so sicher.«
Er packte sie, hob sie zum Scherz hoch und wollte sie dann flach auf den Bretterfußboden legen.
In diesem Augenblick sah er das Messer aufblitzen. Dicht vor seinen Augen war die lange Klinge und stieß schräg nach unten.
Das Gesicht der Frau war vor Anspannung verzerrt.
Und sie stieß einen Laut aus, der Ähnlichkeit mit dem zornigen Fauchen eines Pumaweibchens hatte.
Sie war unheimlich schnell.
In einer reflexhaften Bewegung stieß Lassiter sie zurück. Trotzdem hätte sie ihn um ein Haar erwischt.
Die Klinge fuhr zwischen seinem linken Oberarm und dem Brustkorb durch das Hemd. Es war eine zweischneidige Klinge, und sie musste rasiermesserscharf sein. Das spürte er an dem kurzen Schmerz sowohl im Oberarm als auch über seinen Rippen. Etwas weiter nach links, und das Messer steckte jetzt in seinem Herzen.
Er vergaß, dass sein Gegner eine Frau war.
Wenn er dieses teuflische Biest unterschätzte, schaffte sie es womöglich noch, ihn zu erledigen.
Seine rechte Faust schoss vor und traf Claires Schulter. Sie taumelte zurück bis zur Wand neben der Tür. Das Messer hielt sie noch immer in der schmalen Hand.
Sie griff mit der freien linken Hand nach dem Schlüssel. Wollte ihn drehen, um dann hinaus auf den Flur flüchten zu können.
Lassiter war schneller. Er packte ihr Handgelenk. Zerrte sie mit einem Ruck von der Tür weg.
Sie war wie eine Wildkatze.
Wieder stieß sie dieses gefährliche Fauchen aus und stieß zum zweiten Mal blitzschnell mit dem gefährlichen Messer zu.
Lassiter parierte den Stoß, bekam gleich darauf auch ihr rechtes Handgelenk zu packen.
»Verdammte Katze! Dir werde ich den nackten Hintern verhauen!«
Sie fing an zu schreien. Laut und gellend, dass es durch das ganze Haus zu hören war.
Das Messer glitt ihr aus der Hand und landete auf dem Fußboden.
Die gellenden Schreie der Frau hallten durch das Haus und waren mit Sicherheit weithin durch die Nacht zu hören.
Auf dem Flur wurde es lebendig. Irgendwo schrie jemand nach dem Marshal. Überall Schritte, Rufe, Durcheinander.
Lassiter hatte die Gefahr zu spät erkannt. Harte Fäuste donnerten gegen die Tür.
»Aufmachen!«, schrie jemand. »Sofort aufmachen!«
»Verdammte Hure!«, knurrte Lassiter und stieß die Frau von sich.
Blut lief warm über seinen Arm und über den Brustkorb.
Auf dem Bett wälzte sich Amos Mulligan stöhnend hin und her.
Lassiter griff nach seinem Revolver.
Wie eine Tigerin stürzte sich Claire auf ihn. Kratzte, trat, versuchte zu beißen.
Auf dem Flur donnerten zwei Schüsse und sprengten das Türschloss. Die Frau hing an Lassiter wie eine Klette. Er wollte den Revolver hochreißen, versuchte gleichzeitig, die Frau mit brutaler Gewalt abzuschütteln.
Zu spät!
Männer drangen in den Raum, an ihrer Spitze der Marshal. Zwei, drei starke Burschen stürzten sich auf den großen Mann.
Die Frau sprang zurück. Sie hatte ihre Aufgabe erfüllt und wusste, dass sie den Rest den Männern überlassen konnte.
»Macht ihn fertig!«, schrie sie. »Dieser Schuft! Er hat mich in sein Zimmer gelockt und wollte mich vergewaltigen!«
Lassiter hatte natürlich längst erkannt, was hier gespielt wurde. So wie ihm war es auch Amos Mulligan ergangen. Dieses Biest hatte ihn auf die ganz raffinierte Tour überlistet.
Um ein Haar hätte sie es auch bei Lassiter geschafft.
Seine schnelle Reaktion hatte ihn gerettet.
Vorerst wenigstens.
Was nun folgen würde, wusste Lassiter nur zu genau. Die Situation sprach gegen ihn. Und Claire würde schon die richtigen Worte finden, um die Männer von ihrer Version zu überzeugen.
Wie ihre Geschichte sich anhören würde, stand jetzt schon fest. Kaum jemand würde Lassiter Glauben schenken, wenn er die Wahrheit sagte.
Die Männer drangen auf ihn ein. Der Teufel mochte wissen, woher die alle so schnell gekommen waren.
»Schlagt ihn tot!«
»Hängt ihn auf!«
»Reißt ihn in Stücke, den Bastard!«
»Zur Hölle mit ihm!«
Die wildesten Drohungen wurden ausgestoßen. Fäuste, Knüppel und Gewehrkolben hagelten auf Lassiter herab.
Zum Glück wurde kein einziger Schuss abgefeuert. Sonst hätte es in dem kleinen Hotelzimmer ein Blutbad gegeben, und Lassiter wäre mit Sicherheit auf der Strecke geblieben.
Natürlich war er auch so verloren.
Gegen diese Übermacht hatte er keine Chance.
Er registrierte noch, dass er drei Mann von den Beinen geschlagen hatte. Dann explodierte etwas in seinem Kopf, und seine Knie wurden weich wie Butter.