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Die Chancen standen schlecht für Lassiter. Der Mann, mit dem er sich seit fünf Minuten herumschlagen musste, war einen Kopf größer, eine Art Grizzly in Menschengestalt. Du er schien von der reizbarsten und unversöhnlichsten Sorte zu sein. Dabei hatte Lassiter ihm überhaupt nichts getan. Nicht einmal gereizt hatte er ihn. Der Grizzly war in den Gastraum der kleinen Pferdewechselstation gekommen, hatte plötzlich gestutzt und sich dann mit einem wütenden Knurren auf Lassiter gestürzt, der sich gerade in einem netten Gespräch mit einer reizvollen Lady befunden hatte.
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Seitenzahl: 201
Veröffentlichungsjahr: 2025
Cover
MUSTANG-HÖLLE
II
III
IV
V
VI
VII
VIII
IX
X
XI
XII
XIII
Vorschau
Impressum
MUSTANG-HÖLLE
Die Chancen standen schlecht für Lassiter. Der Mann, mit dem er sich seit fünf Minuten herumschlagen musste, war einen Kopf größer, eine Art Grizzly in Menschengestalt. Und er schien von der reizbarsten und unversöhnlichsten Sorte zu sein. Dabei hatte Lassiter ihm überhaupt nichts getan. Nicht einmal gereizt hatte er ihn.
Der Grizzly war in den Gastraum der kleinen Pferdewechselstation gekommen, hatte plötzlich gestutzt und sich dann mit einem wütenden Knurren auf Lassiter gestürzt, der sich gerade in einem netten Gespräch mit einer reizvollen Lady befunden hatte.
Dieser Band erschien 1996 als Taschenbuch 282. Wir ziehen ihn vor, weil damals als Nr. 71 der erste Band in neuer Übersetzung noch einmal gedruckt wurde (bereits im großen LASSITER-Jubiläumsband erschienen), wir aber die Nummerierung der Serie beibehalten wollen.
Die Chancen standen schlecht für Lassiter. Der Mann, mit dem er sich seit fünf Minuten herumschlagen musste, war einen halben Kopf größer, eine Art Grizzly in Menschengestalt. Und er schien einer von der reizbarsten und unversöhnlichsten Sorte zu sein.
Dabei hatte ihm Lassiter überhaupt nichts getan. Nicht einmal gereizt hatte er ihn.
Der Grizzly war in den Gastraum der kleinen Pferdewechselstation gekommen, hatte plötzlich gestutzt und sich dann mit einem wütenden Knurren auf Lassiter gestürzt, der sich gerade in einem netten Gespräch mit einer reizvollen Lady befunden hatte.
Völlig nichtsahnend war Lassiter gewesen, und seine ganze Aufmerksamkeit hatte sich in der betreffenden Minute auf die Lady konzentriert. Sie hatte blondes, ungewöhnlich kurzgeschnittenes Haar und hatte sich in der Stagecoach als charmante Reisegesellschaft erwiesen.
»Endlich habe ich dich, Wilcoy!«, hatte der Grizzly gebrüllt, und gleichzeitig landete seine rechte Faust an Lassiters Kopf. Es war ein Schlag, der einen Stier von den Beinen geholt hätte, und Lassiter war es nicht anders ergangen.
Stark benommen hatte er sich auf den schmutzigen Dielen wiedergefunden, aber immerhin hatte ihm der Gegner nicht gleich den Rest gegeben und so lange gewartet, bis Lassiter wieder halbwegs beisammen war und auf die Beine kam.
Dann hatte er versucht, dem Wüterich zu erklären, dass es sich hier offensichtlich um ein Missverständnis handelte. Doch darauf war der Kerl nicht eingegangen und hatte schon wieder seine Fäuste sprechen lassen. Er war einfach nicht zu beruhigen.
Von diesem Augenblick an wehrte sich Lassiter. Aber er war anfangs viel zu benommen, um dem zottigen Kerl mit dem langen schwarzen Vollbart ernsthaft Widerstand entgegensetzen zu können.
Lassiter beschränkte sich auf den Rückzug. Und er musste verteufelt flink sein, um außerhalb der Reichweite der Pranken zu bleiben. Er hatte das Gefühl, es mit einem Verrückten zu tun zu haben.
Aber zum Glück war es ihm wenigstens gelungen, den Kerl lange genug hinzuhalten. Inzwischen war sein Kopf wieder klarer geworden, vor seinen Augen hingen nicht mehr diese verdammten Nebel, durch die er den Schlagetot nur undeutlich erkennen konnte.
Endlich fühlte Lassiter sich wieder fit genug, um zum Gegenangriff übergehen zu können.
Trotzdem standen seine Chancen immer noch schlecht.
Gerade kamen zwei Männer herein. Lassiter sah sie nur kurz aus den Augenwinkeln und hörte den einen rufen: »Hast du ihn endlich erwischt, Bulja? Dann gib ihm Saures. Zahl ihm endlich alles heim!«
Bulja stieß ein Knurren aus und grinste breit. Er hatte ein Gebiss wie ein Pferd. Und schon wieder drang er mit seinen gewaltigen Fäusten auf Lassiter ein.
Lassiter glitt geschmeidig zurück und zwischendurch überraschend nach vorn, irritierte den Gegner mit einer Finte zum Kopf und donnerte ihm in derselben Sekunde ein Ding auf den Solarplexus, dass er bestimmt die Englein singen hörte.
Das war ein Treffer, der ihm gar nicht geschmeckt hatte. Er verdrehte die Augen und japste wie ein alter Seehund.
Aber als er zurückschlug, war Lassiter schon wieder aus der Reichweite der gefährlichen Fäuste verschwunden.
Von jetzt an begann er den Kampf zu bestimmen. Er hatte zwar ein zugeschwollenes Auge seit dem ersten berserkerhaften Angriff des Bären, und in seinem Schädel war ein seltsames Brummen. Aber je länger er sich über die Zeit retten konnte, umso mehr hatte er Gelegenheit, sich zu erholen.
»He, Bulja!«, röhrte einer der beiden Neuankömmlinge. »Was ist los mit dir? Von der halben Portion lässt du dich schlagen?«
»Mach Hackfleisch aus ihm, du sibirischer Bär!«, schrie der andere. »Das hast du doch versprochen.«
Bulja stieß ein unartikuliertes Brüllen aus und suchte wieder den Nahkampf. Lassiter glitt wie immer rückwärts und wollte gleich darauf einen eleganten Bogen schlagen, um den Gegner wieder in der Flanke zu packen und ihn mit ein paar schnellen Körpertreffern weiter systematisch zu zermürben.
Inzwischen konnte er die Auseinandersetzung als gewonnen betrachten. Er hatte noch einmal Glück gehabt. Wenn ihm der sibirische Bär nicht zu Beginn diese Chance gegeben hätte, wäre er so geschlagen worden wie wohl noch niemals zuvor.
Aber jetzt gewann er die Oberhand. Bulja war ihm zwar an Kraft immer noch überlegen, aber Lassiter war bedeutend flinker und vor allem ausdauernder.
»Hör doch endlich mal zu, Bulja!«, schrie er. »Ich bin nicht Wilcoy. Wir zwei sind uns noch nie begegnet. Lass uns einen trinken und darüber reden. Das ist alles nur ein Missverständnis.«
Bulja war irgendwie verwirrt. Aber nicht nur das kam Lassiter seltsam vor. Hier stimmte einiges nicht.
Doch er konnte nicht länger darüber nachdenken.
Plötzlich stolperte er. Es passierte genau in dem Augenblick, als er zum Flankenangriff ansetzen wollte.
Ein fremder Fuß hakte sich von hinten um seinen Spann, genau in dem Sekundenbruchteil, als er nach vorne schnellen wollte.
Den Schwung seines Körpers konnte er leider nicht mehr bremsen. Sein rechtes Bein dagegen wurde mit einem Ruck nach hinten gezogen, und er stürzte wie von einem unsichtbaren Seil gezogen.
Dem Bären Bulja, der wohl aus Sibirien stammte, bot sich durch diesen kurzen Zwischenfall eine einmalige Chance. Aber er hätte wohl nicht so schnell reagiert, wenn ihm nicht einer dieser beiden Kojoten etwas Entsprechendes zugerufen hätte.
Bulja machte eine halbe Drehung, sah Lassiter auf sich zustürzen ‒ und der sah schon wieder eine der klobigen Fäuste auf sich zurasen.
Aber Lassiter war auch jetzt noch ein bisschen schneller, als andere erwartet hatten. Er machte sich klein, gab seinem Fall in höchster Gefahr noch eine etwas andere Richtung, und die Faust Buljas erwischte nur seine Schulter.
Er wurde mit Urgewalt zur Seite katapultiert und rollte mit zusammengebissenen Zähnen auf dem harten Fußboden ab. Seine Schulter war wie gelähmt, aber die Wut in ihm war stärker als alles andere.
Einer der beiden Kojoten hatte ihm das Bein gestellt, und das war eine verdammte Gemeinheit.
Das war einer der Momente, in denen Lassiter rot sah.
So etwas wie den unmotivierten Angriff des sibirischen Bären ließ er noch gelten. Das war ein Missverständnis, das sich immer noch klären ließ. Im Übrigen hatte er das Gefühl gehabt, als wäre Bulja fast schon zum Einlenken bereit gewesen.
Aber das wollten die beiden hinterlistigen Kanaillen verhindern.
Ein Komplott!, schoss es Lassiter durch den Kopf.
Aus irgendeinem Grunde war der Sibiriake auf ihn gehetzt worden. Was er da von einem Wilcoy gebrüllt hatte, war doch reichlich an den Haaren herbeigezogen.
Lassiter war schneller wieder auf den Beinen, als die Halunken blicken konnten. Damit hatte keiner von den beiden gerechnet. Er fegte auf sie zu.
Zuerst nahm er den Burschen aufs Korn, der ihm das Bein weggehakt hatte. Mit beiden Fäusten packte Lassiter ihn am Gürtel, riss ihn hoch und schleuderte ihn gegen seinen Kumpan.
Es gab einen krachenden Zusammenstoß, begleitet von markdurchdringendem Gebrüll. Die zwei gingen zu Boden, und schon war Lassiter über ihnen. Seine Fäuste wirbelten, bis die beiden Kerle schlaff zurücksanken und keuchend und verkrümmt dalagen.
Lassiter schleifte sie nach draußen und warf zwischendurch einen scharfen Blick auf den sibirischen Bären, der tatenlos und mit hängenden Armen dastand und offenbar nicht wusste, was er tun sollte.
Weiter hinten stand die schöne Frau, die seit dem frühen Morgen in derselben Kutsche westwärts reiste, mit der er ebenfalls unterwegs war. In Powell war er vor zwei Tagen eingestiegen, und die große Blonde mit dem ungewöhnlich kurzgeschnittenen Haar war in Cody zugestiegen. Es gab noch fünf weitere Passagiere, doch das waren ganz normale Durchschnittsmenschen, denen er keine weitere Aufmerksamkeit geschenkt hatte. Die große Blonde mit der kurzen Frisur dagegen hatte es ihm irgendwie angetan.
Sie hatte eine selten herbe Ausstrahlung, zeigte ständig eine gewisse eisige Art von Ablehnung, und doch übte sie eine Anziehungskraft auf ihn aus wie ein Magnet auf ein Stück Eisen.
Sie war in seinen Augen so etwas wie ein schlummernder Vulkan. Es war noch nicht lange her, da hatte er eine ähnliche Lady kennengelernt. Sie lebte allein auf einer Farm in den Bergen von New Mexico, und was diese Einsiedlerin ihm an Leidenschaft und außergewöhnlichen Liebeskünsten gezeigt hatte, war tatsächlich vergleichbar mit einem Vulkan gewesen.
Der musste erst durch unterirdische Strömungen zum wahren Feuer erweckt werden, dann war die Hölle los.
Lassiter dachte gerne an die Tage mit der Farmerin zurück. So etwas vergaß man sein ganzes Leben lang nicht.
Seine neueste Bekanntschaft war von einem ähnlichen Format, aber er war bis jetzt noch nicht richtig schlau aus ihr geworden. Wahrscheinlich würde sie auch bald wieder aus seinem Leben verschwinden, und er würde niemals Gelegenheit bekommen, sie richtig kennenzulernen.
Lena Tamaryn hieß sie, jedenfalls hatte sie sich unter diesem Namen beiläufig vorgestellt und so Lassiter dazu gebracht, ebenfalls seinen Namen zu verraten.
Sie trug einen großen Hut und einen weiten Reisemantel, der ihre Kleidung vor dem Staub der Reise schützen sollte. Er dagegen stellte sich vor, sie trüge überhaupt keine Kleidung unter dem wallenden Mantel.
Lena hatte sich aus der Nähe der prügelnden Männer zurückgezogen wie auch die anderen Passagiere der Postkutsche und die paar Gäste, die zufällig in der Schenke waren.
Es handelte sich um irgendwelche Reiter, die hier ebenfalls eine kurze Rast eingelegt hatten.
Neben einem der fremden Männer stand die große blonde Frau. Es sah ganz zufällig aus. Kein Mensch hätte auf die Idee kommen können, dass dies genau arrangiert war.
In dem Lärm merkte auch keiner, wie Lena dem langen, knochigen Mann ein paar Worte zuraunte.
»Jetzt weiß ich, was ich wissen wollte, Norman. Gib Bulja das Zeichen, dass er aufhören soll.«
Norman grinste so schmal unter seinem tief herabhängenden Schnurrbart, dass auch dies von keinem Uneingeweihten bemerkt werden konnte. Aber auf die beiden hätte sowieso niemand geachtet. Alle blickten auf den sibirischen Bären namens Bulja und auf die Tür, durch die Lassiter gerade die beiden Kerle nach draußen geschleift hatte, von denen er so hinterhältig angegriffen worden war.
»Ja, es wird Zeit, dass ich Bulja aus dem Kampf nehme«, flüsterte Norman, ohne die Lippen zu bewegen. »Sonst verlieren wir ihn am Ende noch. Dein Lassiter scheint mir ein wahrer Teufel zu sein.«
»Deshalb will ich ihn auch haben«, gab sie leise zurück. »Ich bin gespannt, was er sonst noch drauf hat außer Schlagen.«
Norman Hunt zuckte mit den Achseln und löste sich aus der Schar der Zuschauer. Gelassen schlenderte er zu Bulja, der mit hängenden Armen dastand und nicht recht zu wissen schien, wie es weitergehen sollte. Er hatte seine Anweisungen erhalten und alles exakt ausgeführt.
Gedanken hatte er sich nicht gemacht. Das tat er nie. Er war dazu da, um Befehle auszuführen. Etwas anderes kannte er seit seiner Geburt in Sibirien nicht, dem riesigen kalten Land im mächtigen Zarenreich. Man hatte seine Ruhe und seinen Frieden, wenn man immer genau das tat, was einem befohlen wurde.
Und Lena Tamaryn war für ihn so etwas wie eine Großfürstin. Von ihr war der Befehl gekommen, diesen Lassiter zu verprügeln, aber das hatte sich Bulja bedeutend einfacher vorgestellt.
Deshalb war er jetzt völlig hilflos. Und etwas Furcht hatte er inzwischen auch bekommen, weil er ahnte, dass er gegen seinen Gegner nicht mehr viel ausrichten konnte.
Bulja hatte Atemschwierigkeiten. Durch seinen Brustkorb ging ein unangenehmes Reißen, wenn er zu tief Luft holte. Außerdem fühlte er sich so entsetzlich schlapp. Das war ihm unheimlich. Dabei hatte es doch gar nicht besonders wehgetan, wenn der andere ihm die Fäuste auf das Fell gesetzt hatte.
Aber jetzt schlenderte Norman Hunt auf ihn zu. Er war einer von denen, die am meisten zu sagen hatten innerhalb der Gemeinschaft, in der Bulja lebte. Aber es war Bulja eingeschärft worden, dass er Norman nicht kennen durfte.
Daran hielt sich der Sibiriake und sah Hunt finster an. Normalerweise hätte er untertänigst den Kopf gesenkt, um weitere Befehle entgegenzunehmen. Das fiel ihm auch leichter, und er hatte entsprechende Schwierigkeiten mit dieser neuen, ungewohnten Rolle.
Norman Hunt baute sich drohend vor ihm auf.
»Du solltest gleich diesem Mann mal zuhören«, sagte der lange Mann mit dem hageren, sehnigen Körper lässig. »Der heißt nämlich gar nicht Wilcoy, wie du dir die ganze Zeit einbildest. Die Lady da drüben hat mir gerade erzählt, dass er Lassiter heißt und mit ihr in der Kutsche reist, die draußen darauf wartet, dass sie endlich weiterfahren kann. Also hör dir mal an, was dir dein vermeintlicher Wilcoy zu sagen hat. Es handelt sich hier wahrscheinlich um ein Missverständnis. Könnte sich ja um einen Doppelgänger dieses Wilcoy handeln, auf den du so wütend bist, dass du ihn am liebsten totschlagen möchtest.«
»Aber er sieht genau aus wie der verdammte Wilcoy, der mir damals mein Mädchen ausgespannt hat«, lamentierte Bulja, wie sie es mit ihm geübt hatten. Er klang sogar einigermaßen überzeugend, ein Zeichen dafür, wie gut er sich in seine Rolle versetzt hatte.
Jetzt erschien auch Lena Tamaryn aus dem Hintergrund.
»Bleiben Sie bitte ruhig, Mr. Bulja«, sagte sie eindringlich. »Es ist besser, wenn Sie auf sein Angebot eingehen und mit ihm reden. Ich bitte Sie darum, Mr. Bulja.«
Da musste er plötzlich so breit grinsen, dass von der unteren Partie seines grobgeschnittenen Gesichts fast nur noch die mächtigen gelben Pferdezähne zu sehen waren.
»Mr. Bulja« hatte sie zu ihm gesagt. Ausgerechnet sie, die Großfürstin, der alle aufs Wort zu gehorchen hatten. »Mr. Bulja« ‒ das kam ihm vor wie ein Ritterschlag.
»Dann habe ich mich wohl geirrt, Madam«, sagte er mit heiserer Stimme. »Wenn Sie das sagen ...«
Er verstummte mit einem Achselzucken. Seine paar Worte hatten unbeholfen geklungen, und hinzu kam noch ein schauderhafter Akzent. Man musste schon scharf hinhören, um alles verstehen zu können.
Die große blonde Lady lächelte gnädig.
»Sie scheinen ein vernünftiger Mann zu sein, Bulja«, lobte sie ihn und ließ jetzt den ›Mister‹ weg. Sie klopfte ihm auf die Schulter, und er strahlte über das ganze breite Gesicht. »Also reden Sie bitte mit ihm. Kommen Sie, ich gebe einen Drink aus.«
In diesem Augenblick kam Lassiter zurück.
Lena winkte ihm zu.
»Ich habe mit ihm gesprochen, Lassiter«, sagte sie fröhlich. »Die Gelegenheit war gerade günstig. Mr. Bulja hat eingesehen, dass es sich hier um ein Missverständnis handelt. Er hat Sie offensichtlich mit jemandem verwechselt, der Ihnen sehr ähnlich sieht. Nicht wahr, Mr. Bulja, so ist es doch!«
»Ja, ich glaube, ich habe mich geirrt ...«
Lena winkte Lassiter aufmunternd zu, und dann ging sie mit den beiden Kontrahenten an den kleinen Tresen, der aus einem groben Brett bestand, das man auf zwei alte Bierfässer gelegt hatte.
Die attraktive Frau mit der herben Ausstrahlung bestellte Whisky für alle in der Schenke. Auch für den Wirt, der gleichzeitig der Besitzer dieser Pferdewechselstation war.
Bei dem Whisky handelte es sich um Selbstgebrannten, der wie ein Feuerball im Magen zu explodieren schien, aber die große Blonde kippte ihn, ohne mit der Wimper zu zucken.
Sie bestellte gleich die zweite Runde. Die Stimmung wurde aufgelockert. Bulja erzählte die Geschichte, die ihm vor kurzem von Norman Hunt eingetrichtert worden war. Es war die fast rührselige Story von einem Liebhaber, dem die Braut mit einem anderen durchgebrannt war. Bulja war selbst so gerührt, dass ihm ein paar Tränen durch das Bartgestrüpp auf seine Wangen flossen.
Immer wieder entschuldige er sich bei Lassiter.
»Aber du hast wirklich eine große Ähnlichkeit mit ihm, Lassiter«, sagte er. »Und ich hatte nicht genau genug hingeschaut. Es tut mir ja so verdammt leid ...«
In einem schwer verständlichen Kauderwelsch strömten die Worte über seine Lippen, und es waren auch etliche russische Sprachbrocken darunter. Aber Lassiter wusste, wie es gemeint war.
Er wusste nur nicht, was hier eigentlich lief.
Bulja war zweifellos auf ihn gehetzt worden. Das hatte Lassiter auch den beiden Kojoten gesagt, als er mit ihnen draußen vor der Tür gewesen war. Aber die zwei hatten eisern geschwiegen. Aus denen war kein Wort rauszukriegen, außer der Beteuerung, dass er versehentlich über den Fuß des einen Kerls gestolpert wäre. Und dann warfen sie ihm auch noch vor, er hätte sie völlig zu Unrecht angegriffen.
Dabei blieb es dann. Lassiter wusste, dass er nicht mehr herauskriegen würde, und er wollte seine Reise endlich fortsetzen. Er war in einem Auftrag der Brigade Sieben unterwegs, und sein Ziel lag am Shoshone River. Da war irgendwo einiges los, worum sich Lassiter mal kümmern sollte. Angeblich herrschten dort in einem weiten Landstrich geradezu bürgerkriegsähnliche Zustände. Von zahlreichen Verbrechen wie Raubüberfall, Landfriedensbruch, Vieh- und Pferdediebstahl und natürlich Mord war die Rede.
Die wenigen Sheriffs, die es in dem dünnbesiedelten Gebiet gab, waren machtlos. Einige von ihnen hatten schon ihren Einsatz mit dem Leben bezahlt, und Nachfolger waren in einer so unruhigen Zeit nur sehr schwer zu finden.
Dann wurde das Sterntragen zum Todesjob, und danach drängte sich verständlicherweise niemand.
Aber das waren Probleme, die für Lassiter noch in ziemlich weiter Feme lagen. Erst am Abend des nächsten Tages würde er in der Stadt Greybull ankommen, von wo aus er sich in aller Ruhe umsehen und erst einmal abwarten sollte.
Vielleicht handelte es sich hier wirklich nur um ein Missverständnis, und er dachte schon nicht mehr weiter darüber nach.
Lena Tamaryn sorgte im Übrigen für genügend Ablenkung. Sie war eine flotte Schluckerin und geriet in Fahrt. Immer näher drängte sie sich an ihren Reisegefährten und lobte ihn in den höchsten Tönen für seinen Schneid, mit dem er gegen Bulja gekämpft hatte.
»Ich bin vor Angst fast ohnmächtig geworden«, gestand sie. »O Lassiter, ich bin ja so froh, dass alles ein friedliches Ende gefunden hat. Kommen Sie, darauf müssen wir noch einen trinken!«
Lachend bestellte sie jetzt schon die fünfte oder sechste Runde für alle, und es wäre wohl ein Gelage geworden, wenn nicht der Kutscher energisch zur Weiterfahrt gemahnt hätte.
Natürlich wäre er noch gerne geblieben, aber er musste seinen Zeitplan einhalten, wenigstens einigermaßen. Ein oder zwei Stunden Verspätung waren nichts Außergewöhnliches, aber übertreiben wollte er es nicht.
Natürlich hatte er sich an dem allgemeinen Umtrunk beteiligt, und dann wurden auch noch die zwei schrägen Vögel mit in die Runde aufgenommen. Sie hatten sich gerechtfertigt und halbwegs entschuldigt, ohne jedoch eine Schuld zuzugeben.
Schließlich kam man einhellig zu dem Schluss, dass alles nur ein verdammtes Missverständnis gewesen wäre. Wie das manchmal so passierte. Und so zufriedener waren alle, dass jetzt wieder Friede herrschte.
Der grauhaarige Abe Hurley musste seine Aufforderung zum Einsteigen noch ein halbes dutzendmal wiederholen, aber das tat er nur noch aus Routine. Es war schließlich seine Pflicht. Ihm persönlich wäre es auch egal gewesen, wenn die Reise noch viele weitere Stunden unterbrochen worden wäre.
Die große Blonde mit dem kurzen Haar und dem weiten Mantel schmuste sich bei Lassiter ein, dass es eine wahre Pracht war. Immer dichter drängte sie sich an ihn und tat nach dem fünften Glas so, als wäre sie nicht mehr ganz standfest und müsste deshalb unbedingt einen Halt suchen. Den fand sie, indem sie Lassiter einen Arm um die Schultern legte, so dass sich der erste körperliche Kontakt zwischen ihnen ergab.
O Lassiter! Wenn du gewusst hättest ...
Aber er konnte nichts wissen. Und selbst, wenn er in dieser schönen Stunde etwas geahnt hätte, wäre das von ihm in den entferntesten Winkel seiner leicht benebelten Hirnzellen verdrängt worden.
Er war nicht weniger in Fahrt als alle anderen.
Und da war auch wieder die Vorstellung, dass Lena unter ihrem weiten, faltenreichen Mantel nicht besonders viel anhatte.
War sie vielleicht ganz nackt?
Es sollte ja Frauen geben, für die so etwas mit einem unheimlichen Reizgefühl verbunden war. Aber nur besonders extravagante Damen leisteten sich solchen Luxus. Sie hatten eben auch die nötige Phantasie. Alles andere war für sie zu langweilig.
So schätzte Lassiter die große Blonde ein, und seine Phantasie malte ihm die schönsten Bilder, so dass ihn eine immer stärker werdende Erregung beschlich und schließlich ziemlich fest im Griff hatte.
Sie spürte das genau, weil sie eine durch und durch erfahrene Frau war, aber sie blieb ganz kühl. Sie alberte ausgelassen herum, und wenn er ihr zu nahe kam, drückte sie ihn mit sanfter Gewalt zurück.
Das machte ihn noch wilder.
Er musste sie genauer kennenlernen, das hatte er sich inzwischen in seinen mehr und mehr benebelten Kopf gesetzt.
Sie unterhielt sich auch mit Bulja, dem sibirischen Raufbold, und sie tätschelte ab und zu seine Wange, dass er rot wurde, halb aus Freude und halb aus Verlegenheit, schätzte Lassiter.
Aber dann erinnerte sich Abe Hurley, der Chefkutscher, an seine Pflicht. Sein Begleitmann Jessy Corner war schon so betrunken, dass er kaum noch wusste, was hier vorging. Ihn schleppte Old Abe eigenhändig zur Concord-Kutsche und schnallte ihn auf den Bock fest, damit er bei der schlingernden Fahrt nicht herunterfallen konnte.
Dann trommelte der Oldtimer seine Fahrgäste zusammen. Lena bezahlte die Gesamtrechnung und ließ noch eine Kiste Whisky und jede Menge Bierflaschen zur Kutsche tragen. Die Getränke wurden auf die beiden Abteile verteilt, und auf dem Bock kam natürlich auch einiges. Die beiden Verantwortlichen, die so einsam in luftiger Höhe thronten, sollten nicht verdursten.
»Das kommt schließlich nicht alle Tage vor«, sagte Lena übermütig. »Das muss gefeiert werden.«
Und dann saß sie mit Lassiter im hinteren Abteil. Die anderen Passagiere ließen sich auf den Sitzbänken in der anderen Hälfte der geräumigen Kutsche nieder, die für mindestens acht Fahrgäste Platz hatte und im Notfall auch noch ein paar Leute mehr befördern konnte.
Seit dem Zwischenfall waren Lassiter und die Frau etwas Besonderes in den Augen der Mitreisenden, deshalb räumte man ihnen auch das Privileg ein, die Fahrt zu zweit und ungestört fortzusetzen.
Das konnte den beiden nur recht sein.
Die Kutsche rollte an.
Lena legte sich hin und zog die Beine an. Der weite Mantel verrutschte ein wenig, und Lassiter konnte die nackten Beine bis zu den Knien sehen.
Ob sie das absichtlich machte oder ihn noch eine Weile zappeln lassen wollte? War das so eine Art Vorspiel? Schließlich gab es auf diesem Gebiet die seltsamsten Varianten.
Lassiter zündete sich ein Zigarillo an und tat so, als interessierte er sich nicht weiter für sie. Er lehnte sich zurück, rauchte mit Genuss und blickte die meiste Zeit aus dem Fenster.
Er war gespannt, wer es länger aushalten würde.
Lena lächelte versteckt und auch etwas spöttisch, aber das sah er nicht, da er sich ja scheinbar nur für die Landschaft interessierte, die draußen vorbeiglitt.
Als er nach einer Weile mal wieder zu ihr hinblinzelte, schien sie eingeschlafen zu sein.
Jetzt konnte er sie endlich ungestört betrachten. Der weite Mantel war noch etwas mehr von ihren angewinkelten Beinen geglitten. Jetzt murmelte sie etwas Unverständliches im Schlaf und drehte sich auf die Seite, so dass er ihr Gesicht nicht sehen konnte. Doch er wurde dadurch entschädigt, dass er jetzt noch mehr von ihren aufregend langen Beinen sehen konnte.
Viel trug sie nicht unter dem Mantel, das stand inzwischen fest. Oder war sie tatsächlich ganz nackt, wie er sich das die ganze Zeit einbildete?
Er riss sich von dem Anblick los und schloss nun ebenfalls die Augen, nachdem er den Rest des Zigarillos aus dem Fenster geworfen hatte.
Dann schlief er ein. Er konnte nicht ahnen, dass sich ein schweres Gewitter über ihm zusammenbraute.
Dafür hatte er einen sehr bizarren, aufregenden Traum.
Lena betrachtete ihn mit einer gewissen Wollust, als sie sah, dass er schlief. Sie war sehr zufrieden mit der Entwicklung der Dinge. Das war mal wieder etwas anderes. Das würde mit Sicherheit alles in den Schatten stellen, was sie bisher erlebt hatte.
Dafür hatte sie sich extra diesen Mann ausgesucht. In der Stadt Cody war er ihr aufgefallen, und sofort hatte sie sich entschlossen, ebenfalls mit dieser Kutsche zu reisen.
Dieser Mann namens Lassiter erfüllte ihr Blut mit einem Rausch, wie sie ihn noch nie erlebt hatte.
Sie machte sich ebenfalls die ganze Zeit ihre Vorstellungen. Allerdings waren sie um einiges anders geartet als Lassiters Träume.