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Torkano stand da in seinem weiten Umhang. Der dunkle Stoff umfloss den nackten Körper der Indianerin, die in Torkanos Gewalt war. Und zu Füßen des Unheimlichen lag der junge Rebell, den er erschossen hatte. Mit kalten Augen starrte der unheimliche Mann Lassiter an und sagte zynisch: "Dein Opfer war umsonst, Lassiter. Sie hatten die letzten Hoffnungen auf dich gesetzt, aber von Anfang an stand fest, dass auch du verlieren würdest." Als er das gesagt hatte, streckte er die Hand mit dem Revolver nach vorne und ließ Lassiter in die Mündung blicken ...
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Seitenzahl: 177
Veröffentlichungsjahr: 2025
Cover
Inhalt
LASSITER UND DER UNHEIMLICHE
II
III
IV
V
VI
VII
VIII
IX
X
Vorschau
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Impressum
Cover
Inhaltsverzeichnis
Inhaltsbeginn
Impressum
von Jack Slade
Es war eine verdammt unangenehme Überraschung für Lassiter. Zuerst berührte ein feuchtes, klebriges Ding sein Gesicht. Er verspürte warmen, hechelnden Atem, und als er endgültig hellwach war, sah er dicht über sich die funkelnden Augen eines Tieres.
Es war ein Hund oder ein Wolf. Der Geruch war unverkennbar. Jetzt vernahm Lassiter ein dumpfes Knurren, und er lag sofort wieder völlig reglos da. Er hielt es für ratsam, zuerst einmal den »toten Mann« zu spielen. Er musste wissen, was hier los war. Erst wenn er seine Möglichkeiten genau kannte, konnte er zu einem eventuellen Angriff übergehen.
Lassiter hatte nichts gegen Hunde. Er machte hier nicht zum ersten Mal in seinem Leben Bekanntschaft mit einem solchen Vierbeiner. Und er hatte noch jedes Mal die Erfahrung gemacht, dass Hunde niemals bösartiger waren als ihre Herren.
Aber jetzt blieb zunächst einmal die Frage, um was für ein Tier es sich in diesem Falle handelte.
Gehörte der Hund überhaupt zu einem Herrn? Oder war es eher einer dieser halbwilden, streunenden Köter? Am Ende sogar ein Wolf?
In Bezug auf Wölfe hatte Lassiter schon die abenteuerlichsten Geschichten gehört. Diese sogenannten Bestien konnten ganz schön friedlich sein, wenn sie nicht gerade vom Hunger gereizt waren. Es sollte sogar Menschen geben, denen es gelungen war, Wölfe wie richtige Hunde zu halten und zu erziehen.
Während derartige Gedanken durch seinen Kopf schossen, tastete er unendlich vorsichtig nach dem Revolver, den er stets griffbereit unter seinen Decken versteckt hielt, wenn er draußen in der freien Natur übernachtete.
Er hatte kaum mit den Fingerspitzen den Kolben berührt, als ein abgrundtiefes, wütendes Knurren zu hören war. Gleich darauf legten sich die spitzen Fänge des gefährlichen Vierbeiners um seinen Hals.
Wieder hörte Lassiter das tiefe Knurren. Der warme hechelnde Atem traf sein Gesicht.
Lassiter lag völlig still und reglos. Er wagte kaum noch Luft zu holen, denn jetzt wusste er endgültig Bescheid.
Dieses Tier besaß einen unwahrscheinlich ausgeprägten Instinkt. Obwohl Lassiter sich vorhin kaum bewegt hatte, war dem Hund nicht entgangen, dass der Mann eine Gegenaktion plante.
Nach dem letzten Knurren war wieder tiefe Stille eingetreten. Der Hund – oder was immer auch für ein Tier es war – verharrte. Und Lassiter lag weiterhin da wie ein Toter. Eine verrückte Situation.
So etwas hatte auch Lassiter noch nicht erlebt, und dabei hatte er schon verdammt viel durchgemacht. Wahrscheinlich mehr als jeder andere Mann, der je durch den Westen geritten war.
Lassiters Leben hing an einem seidenen Faden.
Im Grunde genommen war es zum Lachen. Ausgerechnet er, der schon in den übelsten Schwierigkeiten gesteckt hatte, befand sich jetzt in der Gewalt eines einzigen Tieres.
In der Nähe rauschte der Rio Grande.
Lassiter hatte am Abend den Fluss schwimmend durchquert. Jetzt befand er sich auf der mexikanischen Seite, in dem kargen, menschenleeren Gebiet südlich von Presidio. Irgendwo in der Einöde, und der Fluss hatte ihn sehr weit abgetrieben, so dass er seine Position nicht mehr genau bestimmen konnte.
Auf jeden Fall hatte er sich eingebildet, vorerst in Sicherheit zu sein. Zusammen mit den hunderttausend Dollar, die Don Martinez gehörten, in dessen Auftrag Lassiter unterwegs war.
Es war eine verdammt dramatische Verfolgung gewesen am vergangenen Abend, also vor sechs oder sieben Stunden. Die Banditen schossen Lassiter das Pferd unter dem Hintern weg, kurz bevor er das Steilufer des Flusses erreicht hatte. Und Lassiter hatte nur noch Zeit gehabt, die Deckenrolle an sich zu reißen, in der sich, eingewickelt in Ölhaut, der Packen mit den Dollars befand.
Nun, Lassiter hatte zunächst einmal seine durchnässte Kleidung und alles andere auf dem noch immer sonnenwarmen Gestein ausgebreitet und die Sachen trocknen lassen. Später hatte er sich dann in die klammen Decken eingewickelt und war vor Erschöpfung eingeschlafen.
Und jetzt lag er völlig hilflos da und spürte die spitzen Fänge eines Hundes oder Wolfes an seiner Kehle.
Wenn das Tier zubiss, würde der große Mann kaum noch Zeit haben, Amen zu sagen.
Minuten vergingen. Das Tier schien auf etwas zu warten, wahrscheinlich auf einen Befehl.
»Hund«, sagte Lassiter leise und in einem leicht singenden Tonfall, »du bist ein guter Hund. Willst du mir wirklich den Garaus machen, Amigo? Such dir doch lieber ein fettes Kaninchen, wenn du hungrig bist.«
Der Hund knurrte.
»Ich bin entschieden zu zäh für dich«, fuhr Lassiter im selben ruhigen Tonfall fort. »An mir haben sich schon ganz andere die Zähne ausgebissen. Also – ich mach dir 'nen Vorschlag. Du nimmst jetzt deine Zähne weg, und wir einigen uns. Vielleicht werden wir gute Freunde. Möglich ist ja alles, nicht wahr?«
Der Hund knurrte nicht mehr.
Seine Ohren spielten, und er schien zu lauschen. Die scharfen Zähne aber blieben weiterhin an Lassiters Kehle.
In der Nähe lachte jemand leise auf. Es klang nicht einmal spöttisch. Lassiter kam es eher wie das Lachen eines Menschen vor, der sich soeben köstlich amüsiert hatte.
»Es ist gut, Arras.«
Das war die Stimme einer Frau, etwas rauchig und dunkel, aber jetzt gab es für Lassiter keinen Zweifel mehr, dass er es hier mit einer Frau zu tun hatte. Vorhin war er sich noch nicht ganz sicher gewesen, als er das Lachen gehört hatte.
Der große Hund zog sich zurück. Im Sternenlicht tauchte eine schlanke Gestalt auf, blieb einen Schritt vor Lassiter stehen. Der große Mann setzte sich auf und schälte sich aus den klammen Decken. Er grinste.
»Ihr zwei habt mir einen ganz schönen Schrecken eingejagt«, sagte er. »Im ersten Moment habe ich gedacht, das wäre ernst gemeint.«
Die Frau betrachtete ihn schweigend. Ihre Augen glitzerten wie die Lichter einer Raubkatze. Schwarzes Haar fiel lang über ihre Schultern. Sie trug einen bunten Poncho, eine helle Leinenhose und einfache, geflochtene Sandalen. Soweit es Lassiter im Sternenlicht beurteilen konnte, handelte es sich um eine schöne Frau – oder auch um ein Mädchen. Genauer gesagt, eine Señorita, denn Lassiter befand sich ja in Mexiko.
Jetzt lächelte sie. Ihr Mund war weich und sinnlich. Die Zähne glänzten wie Elfenbein zwischen den geschwungenen Lippen.
Der große Hund kauerte wachsam und sprungbereit an ihrer Seite.
»Du irrst dich, Gringo«, sagte sie mit ihrer dunklen, etwas kehlig klingenden Stimme. »Ich habe das keineswegs als einen Spaß aufgefasst. Bist du über den Fluss gekommen?«
Lassiter grinste und deutete mit dem Daumen zu den Sternen.
»Denkst du vielleicht, ich wäre vom Himmel gefallen, Amiga?«, murmelte er, und er benutzte genau wie sie die mexikanische Sprache.
Sie ging auf seinen Scherz nicht ein.
»Du bist also über den Fluss gekommen«, stellte sie sehr sachlich fest. »Man sieht es an deinen Sachen, die noch längst nicht richtig getrocknet sind. Und du bist ein weites Stück geschwommen, denn auf der anderen Seite kannst du auf gar keinen Fall ins Wasser gesprungen sein. Dort hättest du dir das Genick gebrochen. Du bist also ungefähr eine Meile stromaufwärts in den Rio gesprungen. Man hat dir dein Pferd unter dem Hintern abgeschossen, und du konntest nur noch deine Decken an dich reißen. Seltsam, Amigo. Warum denkt ein Mann, der auf der Flucht ist, an nichts anderes als an seine Decken? An deiner Stelle hätte ich wenigstens die Winchester mitgenommen. Warum ausgerechnet die Deckenrolle? Ist sie so wichtig für dich?«
Lassiter grinste.
»Du bist ein kluges Kind, Muchacha. Aber deine Kombinationen stimmen nicht ganz. Es war Zufall, dass ich ausgerechnet meinen Packen retten konnte. Ich hatte gerade abgesattelt, als ich von Banditen angegriffen wurde. Ich riss den Packen und meine Winchester an mich und sprang kurzerhand in den Fluss. Dann wurde ich von der starken Strömung abgetrieben. Das ist die ganze Story.«
»Du lügst«, sagte sie spöttisch. »Ich glaube dir kein einziges Wort. Du bist Lassiter, nicht wahr?«
Lassiter nickte verblüfft. Dieses Weib schien verdammt gut Bescheid zu wissen. Es hatte wohl kaum Zweck, wenn er jetzt noch etwas zu verheimlichen suchte. Wahrscheinlich kannte sie nicht nur seinen Namen, sondern auch alle Zusammenhänge.
»Wer bist du, Señorita?«, fragte er ruhig und ließ sich seine innere Anspannung nicht anmerken.
»Ich bin Rana«, erwiderte sie. »Und damit musst du dich vorerst zufriedengeben. Sprechen wir zunächst weiter von dir, Lassiter.«
Sie legte eine Pause ein und kauerte sich nieder, so dass sie mit ihm auf gleicher Augenhöhe war.
Mit starrem Blick sah sie ihn an.
Lassiter dachte an die hunderttausend Dollar unter seiner Decke. Er verfluchte sich, dass er das Geld nicht schon längst irgendwo in der Nähe seines Lagerplatzes versteckt hatte. Das wäre wirklich ratsam gewesen.
Jetzt saß er gewissermaßen auf einem Pulverfass.
Es gab Menschen, die schon um weniger getötet worden waren als um hunderttausend Dollar.
Vorsichtig tastete er wieder nach seinem Revolver. Die Frau stieß ein leichtes Zischen aus, und der Wolfshund spitzte die Ohren und nahm eine sprungbereite Haltung ein.
»Lass das lieber sein, Hombre«, warnte sie. »Bevor du das Schießeisen hoch hast, hängt dir Arras an der Kehle. Er ist der klügste und schnellste Hund, den du dir vorstellen kannst. Mach also keinen Mist, Lassiter. Ich glaube ohnehin nicht, dass die Waffe noch in Ordnung ist. Sie hat zu viel Wasser mitbekommen.«
Lassiter nahm die Hand vom Kolben. Dann nahm er die Hände unter der Decke weg und machte eine resignierende Geste.
»Bueno, Señorita. Du hast gewonnen. Was willst du also von mir?«
»Du bist der Mann, der im Auftrag von Don Frederico Martinez unterwegs ist, stimmt das?«
»Wenn du es weißt, warum fragst du da überhaupt noch?«
»Weil ich ganz sichergehen will.«
Lassiter fragte sich noch immer, was die geheimnisvolle Frau von ihm wollte. Wahrscheinlich hatte sie es nicht nur auf das Geld abgesehen.
Es musste hier gewisse Zusammenhänge geben, die Lassiter noch längst nicht kannte.
Er hatte einen Auftrag angenommen. Er sollte hunderttausend Dollar nach San Carlos bringen. Das Geld war für einen gewissen Alonso Prieta bestimmt.
Die Vorgeschichte war recht eigenartig.
Ein Verbindungsmann hatte Lassiter in El Paso angesprochen. Vor zehn Tagen war das gewesen. Der Mann hatte Lassiter lediglich gefragt, ob er an einem Geschäft interessiert wäre, einem guten Geschäft. Er könnte ohne viele Schwierigkeiten zehntausend Dollar verdienen.
Lassiter hatte zugestimmt. Er befand sich schon seit einigen Wochen finanziell in der Klemme, und die Aussicht, auf relativ leichte Art wieder zu Geld zu kommen, war mehr als verlockend.
Er war nach Süden geritten. Zu Don Frederico Martinez, der eine riesige Hazienda auf der texanischen Seite des Flusses besaß. Der Hacendado hatte überhaupt nicht gezögert, Lassiter diese nicht gerade kleine Summe anzuvertrauen. Über diese Tatsache hatte Lassiter sich gewundert, aber gleichzeitig fand er, dass es gewissermaßen eine Auszeichnung für ihn war.
Don Frederico kannte ihn nicht, und trotzdem setzte er so großes Vertrauen auf Lassiter. Hunderttausend Dollar – das war ein Vermögen. Befürchtete der Hacendado nicht, das Geld zu verlieren?
War es in diesem Augenblick nicht bereits verloren?
Versteckspielen hatte jedenfalls keinen Zweck mehr.
»Spielen wir mit offenen Karten«, sagte Lassiter.
Die schöne Frau lächelte zufrieden.
»Sehr gut«, murmelte sie. »Aber ich habe geahnt, dass du ein vernünftiger Hombre bist. Wo ist das Geld?«
Lassiter legte die rechte Hand auf eine bestimmte Stelle der Decke.
»Willst du es haben?«, fragte er spöttisch.
»Vielleicht«, sagte sie ausweichend. »Es kann auch sein, dass ich dich mit den Dollars weiterziehen lasse. Aber das kommt ganz auf dich an, Amigo. Auf deine Vernunft.«
Lassiter begann jetzt erst zu ahnen, dass er sich diesmal in ein Abenteuer gestürzt hatte, das möglicherweise alles bisher Dagewesene noch übertraf.
Dieser zu Beginn harmlos scheinende Auftrag schien ein verteufelt heißes Eisen zu sein.
Es steckte eine ganze Menge dahinter.
Aber was?
Frederico Martinez hatte ganz unbekümmert getan.
»Bringen Sie das Geld zu Alonso Prieta«, hatte er gesagt. »Wenn Sie dort ankommen, werden Ihnen zehntausend Dollar als Belohnung ausgehändigt, Mr. Lassiter.«
Und Lassiter hatte gefragt: »Haben Sie keine Angst, ich könnte versuchen Sie hereinzulegen?«
Daraufhin hatte der Hacendado nur ein wenig spöttisch gelächelt und geantwortet: »Mein lieber Freund. Erstens habe ich mich genauestens über Sie erkundigt, und deshalb weiß ich genau, dass Sie eher sterben werden, als dass Sie Ihr Wort brechen. Und außerdem – nun ja, Sie würden mit Sicherheit Ihr blaues Wunder erleben, falls Sie tatsächlich einen Betrug versuchen sollten.«
Mehr war aus Martinez nicht herauszubekommen gewesen, und einen Tag später war Lassiter mit dem Geld losgeritten.
Als er am vergangenen Abend von Banditen angegriffen wurde, hatte er sich noch keine besonderen Gedanken gemacht. Es kam immer wieder vor, dass man hier im Grenzland von Banditen überfallen und ausgeraubt wurde. Es konnte sogar sein, dass diese Kerle durch Zufall von Lassiters geheimer Mission erfahren hatten.
Aber was Lassiter jetzt erlebte, sagte ihm, dass es hier noch einen Haufen Fragen zu beantworten gab. Hier war er mit großer Wahrscheinlichkeit in einen Strudel geraten, in dem er ertrinken würde, wenn er nicht höllisch aufpasste.
Er sah die Frau prüfend an und kramte in seinen Taschen nach einem Zigarillo, aber außer ein paar Tabakkrümeln brachte er nichts zum Vorschein. Alles war vom Wasser restlos aufgelöst worden.
Lassiter war kein starker Raucher. Er wusste, dass es schädlich sein konnte, wenn man zu viel von dem blauen Dunst in seine Lungen sog. Aber jetzt hätte er sich doch gerne ein Zigarillo angesteckt, um sich entspannen zu können.
Die Mexikanerin lachte leise. »Nervös, Hombre?«
»Kann schon sein«, gab Lassiter ruhig zurück. »Zumindest bin ich eine ganze Portion neugierig. Es gibt so viele Fragen, dass ich noch überlege, mit welcher ich anfangen soll.«
»Das glaube ich dir aufs Wort, Amigo«, sagte sie lässig. »Du befindest dich in keiner beneidenswerten Lage. Kränkt es eigentlich deinen Stolz, dass du dich in der Gewalt einer Frau befindest?«
»Ich finde, es ist im Augenblick das einzige Angenehme für mich«, erwiderte Lassiter anzüglich. »Außerdem meine ich, wir könnten uns auf andere Art näherkommen.«
Sie lächelte herausfordernd. Ihre Zungenspitze fuhr spielerisch über ihre sinnlichen Lippen.
»Deine offene Art gefällt mir. Aber ich bin dafür, dass wir uns zuerst über das Geschäft unterhalten. Fangen wir mit Don Frederico an. Er hat dir hunderttausend Dollar anvertraut.«
»Du bist verdammt gut informiert.«
»Wir haben überall unsere Spione. Aber leider konnten wir noch nicht alles in Erfahrung bringen.«
»Wir? Wer ist das? Handelt es sich um eine Organisation?«
Sie nickte. »Ja, so kann man es nennen. In diesem Gebiet tut sich einiges. Es gibt verschiedene Gruppen, die um die Vorherrschaft im Grenzland kämpfen. Eine der wichtigsten Figuren ist Martinez. Wir konnten herausfinden, dass er einen Mann mit hunderttausend Dollar über die Grenze geschickt hat. Bis jetzt wussten wir nicht, dass du dieser Mann bist, Lassiter. Das heißt, ich weiß es als erste.«
»Und wer hat dir meinen Namen verraten?«
»Uns wurde gemeldet, dass sich ein Mann namens Lassiter der Grenze näherte. Als ich dich vorhin erblickte, erinnerte ich mich sofort an die Beschreibung, die es über dich gibt. Ich wusste also auf Anhieb Bescheid. Dass du der Bote von Martinez bist, war nur eine Vermutung von mir. Aber du bist darauf hereingefallen. Wem sollst du die Dollars bringen, Lassiter?«
Er grinste. »Ich sehe keinen Grund, es zu verraten, Señorita.«
»Ich kann dich dazu zwingen«, sagte sie ungerührt. »Meinst du nicht, dass ich das schaffen könnte?«
Lassiter zuckte die Schultern. Die Frage der Frau war eine Herausforderung, aber er wollte sie nicht annehmen.
»Gewiss«, sagte er spöttisch. »Du hast mich in der Hand, Rana. Und was geschieht, wenn ich dir den Namen des Empfängers verrate? Welchen Vorteil kann ich davon haben?«
»Du behältst dein Leben. Du bekommst ein Pferd und eine Ausrüstung, und ich lasse dich ziehen.«
»Und das Geld?«
»Das bleibt hier.«
Lassiter schüttelte den Kopf.
»Das ist kein gutes Angebot«, sagte er abweisend. »Ich habe einen Auftrag angenommen. Und bis heute war ich es gewöhnt, meine Auftraggeber nicht zu enttäuschen.«
Ihre rechte Hand kam unter dem bunten Poncho hervor. Sie richtete einen doppelläufigen Derringer auf Lassiter.
»Ich kann dich töten«, sagte sie sachlich. »Selbst wenn ich eine schlechte Schützin wäre, würde ich dich auf die kurze Entfernung auf keinen Fall verfehlen. Du hättest nicht die geringste Chance, Lassiter. Sei also lieber vernünftig. Das ist der einzige gute Rat, den ich dir geben kann.«
Lassiter seufzte. »Ich habe das Gefühl, ich muss mich geschlagen geben«, sagte er.
Sie lächelte. »Das ist klug von dir, mein Freund. Nimm jetzt langsam deinen Revolver und wirf ihn zu mir herüber. Ich muss ganz sichergehen, dass du keine Dummheiten machst.«
Lassiter holte den schweren Remington unter der Decke hervor. Der Wolfshund knurrte abgrundtief, als er die Waffe erblickte.
»Ruhig, Arras!«, sagte die Frau und legte ihre freie linke Hand kurz auf den breiten Schädel des Hundes.
Lassiter warf den Revolver weg, so dass er dicht vor Rana auf der Erde landete.
Er fragte sich, aus welchem Grunde die Frau sich dermaßen überlegen fühlte. Vertraute sie wirklich so sehr auf ihren Derringer und die Wachsamkeit des Wolfshundes? Wusste sie nicht aus Erfahrung, dass ein Mann wie Lassiter erst aufgeben würde, wenn er schwer verwundet oder tot am Boden lag?
Sie nahm den Revolver mit der Linken, wog ihn kurz in der Hand und ließ ihn dann unter ihrem Poncho verschwinden.
»Eine gute Waffe«, bemerkte sie. »Bei Gelegenheit werde ich ausprobieren, wie es sich daraus schießen lässt. Du hast doch nichts dagegen, wenn ich sie behalte?«
Lassiter machte mit beiden Händen eine Geste, die seine ganze Resignation ausdrücken sollte.
Aber er sagte nichts.
»Kommen wir wieder zum eigentlichen Thema«, sagte sie. »Wie heißt der Mann, dem du das Geld bringen solltest?«
»Ich habe mein Wort gegeben, nicht darüber zu sprechen und es keinem Menschen zu verraten.«
»Ich warne dich, Lassiter. Deine Sturheit nützt dir nichts. Du bist doch ein erfahrener Mann. Eigentlich solltest du die meisten Möglichkeiten kennen, wie man in diesem Land einen Mann zum Sprechen bringen kann. Sei also lieber ein kluger Mann, und es geht dir weiterhin so gut wie bisher.«
»So ähnlich hat mich auch Don Martinez gewarnt«, sagte Lassiter. »Warum willst du das überhaupt unbedingt wissen? Du hast das Geld. Genügt dir das nicht?«
»Nein«, antwortete sie hart. »Das Geld spielt nur eine relativ unwichtige Rolle. Viel wichtiger für mich und meine Freunde ist es, den eigentlichen Mann im Hintergrund kennenzulernen.«
Sie beugte sich noch etwas weiter vor, sah ihn noch eindringlicher, noch beschwörender an, bevor sie fortfuhr: »Lassiter, es geht hier um mehr, als du ahnen kannst. Du bist in eine Sache hineingeraten, die heißer ist als das Höllenfeuer. Du hängst genau dazwischen. Du hast dem Teufel die Hand zu einem Pakt gereicht, und damit hast du dich in eine Gefahr begeben, in der du wahrscheinlich umkommen wirst. Du hängst gewissermaßen zwischen Himmel und Hölle, Lassiter. Und du hast nur eine Chance, dich zu retten, wenn du dich auf unsere Seite schlägst.«
Sie verstummte und atmete heftig.
Lassiter lauschte dem Klang ihrer Stimme nach.
Seltsam, zum ersten Mal hatte er sie soeben in einem Zustand der Erregung gesehen. Sie hatte sich gehenlassen. Alle Kälte und Überlegenheit waren von ihr abgefallen.
Sie war auf einmal sie selbst. Sie zeigte ihr wahres Gesicht. Das Gesicht von Angst, Verzweiflung, Hoffnungslosigkeit.
Lassiter fühlte sich zu der Frau hingezogen. Von ihr ging eine geheimnisvolle Strömung aus, der er sich nicht länger entziehen konnte.
»Rana«, sagte er sanft. »Ich bin bereit, dir zu helfen. Aber zuvor muss ich mehr über dich wissen. Über dich und über das, was hier eigentlich gespielt wird. Sag mir alles, Rana, und dann sollst auch du alles erfahren, was für dich wichtig ist.«
Sie senkte den Kopf, schwieg lange und schien tief in sich hineinzuhorchen.
Schließlich nickte sie entschlossen.
»Bueno, Lassiter«, sagte sie mit leicht heiserer Stimme. »Du sollst alles erfahren. Meine ganze Geschichte. Und die Geschichte all derjenigen Menschen, die sich zusammen mit mir im Kreis des Bösen befinden und kaum noch Hoffnung auf Rettung haben. Es ist ein Geheimnis, Lassiter. Und du bist der erste Außenstehende, der davon erfährt. Aber wenn du es gehört hast, gibt es keine andere Wahl mehr für dich, als dich mit ganzem Herzen auf unsere Seite zu schlagen. Wenn du dazu nicht bereit bist, musst du sterben.«
»Ich höre«, sagte Lassiter ernst.
»Heb deine rechte Hand!«, forderte sie. »Sprich deinen Schwur!«
»Und wie soll der lauten?«
»Dass du zu keinem Menschen über das sprechen wirst, was ich dir in den nächsten Minuten erzählen werde.«
Lassiter hob die rechte Hand.
»Du hast mein Wort«, sagte er lässig. »Genügt dir das?«
Sie sah ihm forschend in die Augen. Dann nickte sie.
»Es ist gut, Lassiter. Du bist ehrlich. Ich sehe es dir an. Deshalb bin ich bereit, dir zu vertrauen ...«
Sie legte wieder eine Pause ein und senkte den Kopf, als müsse sie sich erst einmal innerlich sammeln und konzentrieren.
Nach einer Weile sah sie den großen Mann wieder an.
»Torkano«, sagte sie leise, und ihre Stimme zitterte ein wenig, als fürchte sie sich, diesen Namen überhaupt auszusprechen. »Hast du schon von Torkano gehört, Lassiter? Von dem unheimlichen Mann, den man den Sierra-Dämon nennt?«
»Torkano?«, murmelte Lassiter und schüttelte leicht den Kopf. »Diesen Namen höre ich zum ersten Mal.«
Und gespannt blickte er auf die schöne Frau, die mit fast monotoner Stimme zu erzählen begann ...