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Lassiter hing gefesselt am Pfahl, und er musste hilflos zusehen, wie die Banditen um ihn herum das trockene Holz aufschichteten. Zehn Schritte von ihm entfernt stand die Feuer-Lady in verführerischer Nacktheit. Ihr rotes Haar glühte im Mondlicht, und voller Hass rief sie: "Gleich bekommst du deine Strafe, Lassiter. Für das, was du getan hast, müsstest du hundert Tode sterben. Aber leider kann man einen Menschen nur einmal töten. Fangt an, Compadres!
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Seitenzahl: 175
Veröffentlichungsjahr: 2025
Cover
Inhalt
DIE FEUER-LADY
II
III
IV
V
VI
VII
VIII
IX
X
Vorschau
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Impressum
Cover
Inhaltsverzeichnis
Inhaltsbeginn
Impressum
von Jack Slade
Es war ein Anblick, bei dem selbst ein Mann wie Lassiter den Atem anhalten musste und trocken schluckte. Das Ranchhaus, die Scheune und alles, was dazu gehörte, standen in lodernden Flammen. Es war ein höllisches Inferno!
Schreie erfüllten die Nacht und wurden untermalt vom unbarmherzigen Prasseln und Knistern der fressenden Flammen. Es gab keinen Zweifel, dass Carmodys kleine Ranch bald nicht mehr existieren würde. Die Menschen, die dort unten wohnten, würden ihr nacktes Leben retten können – und sonst nichts.
Lassiter konnte ihnen nicht mehr helfen. Er war zu spät gekommen. Er wusste nicht einmal etwas um die Zusammenhänge. Er war noch nie in dieser Gegend gewesen, und nur der Zufall hatte ihn hergeführt.
Vor einer halben Stunde hatte er die Schüsse gehört. Eigentlich hatte er vorgehabt, sein Nachtcamp aufzuschlagen. Aber dann hatte er sich entschlossen, seinen Weg fortzusetzen.
Wenn man in einer fremden Gegend war, musste man vorsichtig sein. Es war wichtig, über alles Bescheid zu wissen.
Lassiter war dem Klang der Schüsse nachgeritten, und nun lag vor ihm die brennende Ranch.
Er hielt sein Gewehr in den Fäusten. Es war zwar seine Angewohnheit, sich nicht in die Kriege fremder Leute zu mischen, aber was da unten geschah, war keineswegs nach seinem Geschmack.
Jetzt taumelten aus dem Flammenmeer die ersten Gestalten. Eine Frau war dabei und zwei Kinder. Den Schluss bildeten insgesamt fünf Männer.
Sie alle hatten aufgegeben, und das war ohne Zweifel der klügste Entschluss, den sie fassen konnten.
Es war immerhin besser, sich zu ergeben, als bei lebendigem Leibe wie auf einem Scheiterhaufen verbrannt zu werden.
Lassiter hatte nicht die geringste Ahnung, was da unten gespielt wurde.
Seiner Meinung nach handelte es sich um eine der üblichen Nachbarschaftsfehden. Der eine wollte das Land des anderen. Vielleicht waren sie sich auch wegen Viehdiebstahls oder anderer Sachen in die Haare geraten.
Fest stand, dass einer inzwischen verloren hatte und zusammen mit seiner Familie vor einem Trümmerhaufen stand.
Lassiter hatte es sich schon vor langer Zeit abgewöhnt, Mitleid zu haben, wenn er die Zusammenhänge nicht kannte. Auch diesmal versuchte er wieder, sich innerlich zu verhärten, aber das gelang ihm nicht ganz.
Es war eben schwer, einfach die Augen zu schließen, wenn man so viel Elend auf einmal sah.
Fünf Männer, eine Frau und zwei Kinder wurden zusammengetrieben. Es waren maskierte Reiter, von denen die Opfer umringt wurden. Einer dieser Reiter war ein ungewöhnlich schlanker Bursche, und er schien noch sehr jung zu sein.
Er sagte etwas zu den Besiegten, was Lassiter nicht verstehen konnte.
Die Frau ließ ihre Kinder los und rannte schreiend auf das Pferd des schlanken Anführers zu. Das Pferd stellte sich auf die Hinterhand und schlegelte mit den Vorderhufen nach dem Kopf der Frau. Einer der Männer riss sie zurück und schrie: »Sarah! Bist du verrückt geworden? Hast du den Verstand verloren?«
Einer der Maskierten lachte rau.
»Gut so, Mann. Wenigstens einer von euch ist vernünftig.«
Die Worte wehten nur schwach zu Lassiter hinüber. Er hatte immer noch keine Ahnung über die Zusammenhänge. Alles spielte sich dort unten ab, wie der große Mann es schon oft erlebt hatte.
»Seid verflucht!«, schrie die Frau verzweifelt. »Seid alle verflucht bis zum Jüngsten Tag.«
Die anderen Männer, die zu ihr gehörten, führten sie weg und in die Dunkelheit außerhalb der Flammen. Lassiter sah noch, wie ein paar Pferde zusammengetrieben wurden und wie man die Tiere vor einen Ranchwagen spannte. Es war wohl alles, was den bedauernswerten Menschen dort unten geblieben war.
Die maskierten Reiter verharrten reglos und mit schussbereiten Waffen im Feuerschein und sahen zu, wie sich ein trauriger Zug in Bewegung setzte.
Auf dem schweren Ranchwagen, der mit allerlei Habseligkeiten beladen war, saßen ein breitschultriger Mann und die Frau, der man deutlich ansah, dass sie sich noch längst nicht beruhigt hatte.
Hinter dem Wagen ritten vier Männer. Jeder führte zwei sattellose Pferde hinter sich, und auf drei Pferderücken lag je ein toter Mann. Es waren die Opfer des brutalen Überfalls, und es war wie Hohn, dass man den Überlebenden erlaubt hatte, ihre Toten mitzunehmen.
Das Haus stand noch immer in lodernden Flammen, und der rote Widerschein des Feuers ließ die Sterne verblassen.
Der Wagen und die Reiter verschwanden in der Nacht. Zwischen den Habseligkeiten auf dem Ranchwagen kauerten die beiden Kinder, und ihnen galt Lassiters letzter Blick – und auch sein Mitleid.
Er war von Natur aus ein harter Mann, und in tausend Feuern war er wohl härter geschmiedet worden als jeder andere. Aber auch er hatte ein Herz, das nicht aus Stein war.
Den Anblick dieser beiden Kinder würde er wohl so bald nicht vergessen. Wut hatte ihn gepackt, und diesmal ließ er seinen Gefühlen freien Lauf, obwohl sein kühl arbeitender Verstand ihm sagte, dass Wut ein verdammt schlechter Gefährte war.
Seine Hände pressten sich fester um den Gewehrschaft, während er mit heiserer Stimme zischte: »Verdammt sollt ihr sein, Mordbrenner!«
Er zuckte unwillkürlich zusammen, als in seiner Nähe ein leises, belustigtes Kichern ertönte. Sofort hatte er die Mündung in die Richtung des Mannes gebracht, der sich nicht weit entfernt in der Dunkelheit aufhielt und dem es gelungen war, sich unbemerkt an den großen Mann heranzuschleichen. Vielleicht war er schon dort gewesen, als Lassiter gekommen war.
»Zeig dich, Mann!«, befahl Lassiter.
Wieder war dieses seltsame Kichern zu hören. Dann sagte jemand mit krächzender Stimme: »Die Knarre brauchst du nicht, Amigo. Wenn ich was Übles gewollt hätte, wärst du jetzt schon erledigt. Ich stand schon hier zwischen den Tamarisken, als du ankamst.«
Lassiter entspannte sich.
Zwischen den Büschen wurde es lebendig, und ein ziemlich kleiner, offensichtlich sehr krummbeiniger Mann trat ins Mondlicht. Soweit Lassiter erkennen konnte, trug der Bursche die fransenbesetzte Lederkleidung eines Trappers. Ein zerbeulter, breitkrempiger Schlapphut sorgte dafür, dass Lassiter vom Sattel her das Gesicht des Mannes nicht sehen konnte.
Jetzt nahm der Bursche den Hut ab und schwenkte ihn, wie ein Kavalier alter französischer Schule in New Orleans das zu tun pflegte.
»Etienne Laroche«, stellte er sich mit stolzer Selbstverständlichkeit vor. »Scout, Trapper, Goldsucher, und was Sie sonst noch wollen, Fremder. Zurzeit bin ich eine Art Scout in eigener Sache. Ich werde von keinem dafür bezahlt. Es ist nur meine Neugier, die mich treibt. Nun ja, ein Einsiedler wie ich muss sich irgendwie die Zeit vertreiben, um nicht vor Langeweile zu sterben. Aber das ...«
Er sprach wie ein Wasserfall, fand Lassiter, und er schien auch nicht die Absicht gehabt zu haben, schon so früh aufzuhören.
Jetzt aber wurde er zum Glück unterbrochen. Vom Tal her näherte sich nämlich der Hufschlag der Maskenreiter, und die Banditen schienen genau auf Lassiter und den alten Laroche zuzukommen.
Lassiter sah den dunklen Pulk heranbrausen, und er saß ab, um sein Pferd in den Schutz der Büsche zu führen.
»Nicht nötig, Amigo«, sagte der alte Kauz. »Ich kenne mich inzwischen ziemlich gut aus in den Gepflogenheiten dieser Teufelssöhne. Pass auf, die biegen gleich nach Westen ab, sobald sie den Cannonball Creek hinter sich gelassen haben.«
So war es auch.
Als die Banditen den Creek überquert hatten, bogen sie nach Westen ab und verschwanden in der Nacht. Eine Zeitlang war noch der Hufschlag ihrer Pferde zu hören, dann war es still.
Nur noch das Prasseln des Feuers erfüllte die Nacht, und manchmal zerplatzten irgendwelche Gegenstände, so dass sich immer wieder Funkenregen in die Dunkelheit ergoss.
Lassiter betrachtete den kleinen, krummbeinigen und ausgemergelt erscheinenden Mann, der sich Etienne Laroche nannte, also französischer Abstammung war.
Es war ein ziemlich alter Mann, schätzte Lassiter, aber wenn man genauer hinschaute, war es unmöglich, zu einem Schluss zu kommen, wie viele Jahre der Bursche schon auf dem Buckel hatte.
Er hatte ein Gesicht, das mit seinen vielen Falten an altes, eingetrocknetes Leder erinnerte. Auf der hinteren Seite seines Schädels gab es noch einige weiße Haarsträhnen, aber ansonsten war der Mann völlig kahlköpfig.
Ein zotteliger Ziegenbart hing von seinem Kinn herab und ließ den kleinen Burschen noch lächerlicher erscheinen, als er ohnehin schon war.
Doch Lassiter erkannte, dass Etienne Laroche längst nicht so lächerlich war, wie man vielleicht denken konnte.
In den Augen des Mannes lag ein tiefer Ernst.
Sie hatten sich nur für zwei oder drei Sekunden angesehen, und Lassiter war überzeugt, dass ihn auch sein Gegenüber inzwischen richtig eingeschätzt hatte.
»Du bist zufällig hier?«, eröffnete Etienne Laroche vorsichtig die weitere Unterhaltung.
Lassiter nickte gelassen.
»Hattest du etwas anderes vermutet, Etienne?«
»Nun, ich denke, dass du weder ein hergelaufener Satteltramp noch ein stellungsloser Cowboy bist.«
»Und was meinst du?«
»Hm, du könntest 'n verkappter Marshal oder was Ähnliches sein. Ich werd' noch nicht richtig schlau aus dir.«
Lassiter war jetzt völlig sicher, dass er einen verteufelt klugen Fuchs vor sich hatte. Dieser krummbeinige Trapper, den die meisten mit großer Wahrscheinlichkeit für einen Trottel gehalten hätten, war alles andere als ein unschuldiges Lamm.
Der Bursche hatte es faustdick hinter den großen Ohren, die fledermausähnlich von seinem fast kahlen Kopf abstanden.
Lassiter hielt es für richtig, seinen Namen zu nennen. Er war sicher, dass Etienne Laroche darauf wartete.
»Ich habe keinen Stern in der Tasche, Old Chap«, sagte er. »Ich bin also kein Mann des Gesetzes, und ich bin auch von keinem gerufen worden. Ich komme von Süden herauf und will nach Norden. Ich wollte mein Nachtcamp aufschlagen, aber da hörte ich die Schüsse. Deshalb bin ich ein Stück weitergeritten, um mal nachzusehen. Du kannst mich übrigens Lassiter nennen.«
Der Alte runzelte die Stirn und schien angestrengt nachzudenken.
»Lassiter?«, murmelte er gedehnt. »Bist du etwa der Bursche, der sich vor 'ner Zeit mit Wells Fargo angelegt hat?«
Lassiter grinste. »Verrätst du es auch nicht weiter?«
Etienne Laroche streckte ihm die Hand entgegen.
Er lachte meckernd.
»Ich denke, wir zwei versteh'n uns, Lassiter.«
»Etienne«, sagte Lassiter trocken, »Ich bin der Meinung, so schnell sollte man keine Freundschaft schließen.«
Laroche griff trotzdem nach Lassiters Hand. Er schien sich nicht im Mindesten beleidigt zu fühlen.
»Jetzt gefällst du mir noch besser, Lassiter!«, rief er. »Kerle wie du gehören in die Welt. Auf dich kann man sich verlassen. Darauf möchte ich jetzt schon schwören.«
Der alte Bursche war für Lassiters Begriffe ein wenig zu überschwänglich. Lassiter empfand normalerweise gegen solche Leute vom ersten Augenblick an eine starke Abneigung.
Seltsamerweise war es in diesem Falle anders.
Lassiter empfand zwar keine direkte Sympathie für Etienne Laroche. Aber er wollte den Mann auch nicht sofort ablehnen.
Es war ein geheimnisvolles Flair, das den kleinen und krummbeinigen Mann mit dem Ziegenbart umgab.
Er gehörte zweifellos zu den Menschen, deren Ausstrahlung Lassiter faszinierte.
Dieser Etienne Laroche war nicht mit normalen Maßstäben zu messen. Er war weder gut noch böse, eher ein Mann der Mitte.
Irgendwie war Lassiter ratlos.
Was sollte er mit diesem sonderbaren alten Burschen anfangen?
Wie weit konnte er ihm Vertrauen schenken?
Um seine Gedanken zu sammeln, blickte Lassiter wieder zur Ranch hinunter, die noch immer in hellen Flammen stand.
Etienne Laroche seufzte bitter.
»Ich weiß, was du jetzt denkst, Amigo Lassiter«, murmelte er. »Es interessiert dich, wer die Schufte waren, die dort unten so grausam zugeschlagen haben. Aber auch ich kann diese Frage nicht beantworten. Ich lebe schon seit vielen Jahren westlich des Pecos, trotzdem weiß ich nicht, was sich hier in den letzten Monaten tut. Die Ranch dort unten ist nicht die erste Ranch, die niedergebrannt wurde. Innerhalb der letzten sechs Monate wurden drei Anwesen auf die gleiche Art und Weise dem Erdboden gleichgemacht. Was du eben miterlebt hast, war der dritte Fall innerhalb eines halben Jahres ...«
Er machte eine Pause, fuhr sich mit der Rechten mehrmals über seinen zotteligen Ziegenbart.
»Aber was erzähle ich dir da!«, fuhr er fast ungehalten fort. »Das sind ja alles Dinge, die dich überhaupt nichts angehen. Die dich nicht im Geringsten interessieren dürften. Du bist ja fremd hier, wie du vorhin selbst gesagt hast. Niemand hat dich gerufen. Du bist zufällig hier vorbeigekommen. Du hast gesehen, wie unschuldige Menschen überfallen worden sind und wie man sie von ihrem Land vertrieben hat. Aber du sagst dir, dass dich das alles nichts angeht. Du bist eben ein Fremder in diesem Lande. Du hast dir vorgenommen, deinen Ritt fortzusetzen und deine Ruhe zu behalten. Das ist auch gut so, Lassiter. Steck nur nicht deine Nase zu tief in die Dinge, die hier passieren. Du könntest dich dabei erkälten und dir den Tod holen. Reite also nur weiter, mein Freund. Es ist der beste Rat, den ich dir geben kann.«
Lassiter grinste spöttisch.
»Du scheinst sehr besorgt um mich zu sein.«
»Ganz wie man's nimmt, Großer. Ich muss gestehen, dass ich dich verdammt sympathisch finde. Aber was soll's ...«
Er machte eine verächtliche Handbewegung und fügte hinzu: »Jeder muss das tun, was er für richtig hält. Und jeder ist dazu verpflichtet, sein Glück selber zu schmieden. Ich mach mich jetzt wieder auf die Strümpfe, Lassiter. War ganz nett, dich mal gesehen zu haben. Einen Burschen wie dich trifft man nicht alle Tage.«
Er hob grüßend die Hand und wandte sich zum Gehen.
Lassiter hätte ihm noch gerne einige Fragen gestellt, aber er zog es vor, sich zu beherrschen.
Zuviel Neugier konnte nur tödlich sein.
Im Übrigen hatte er den alten Burschen längst durchschaut. Der versuchte zwar, mit allen Tricks zu arbeiten und mit seinen Fragen in Lassiters Schweigewand zu schlagen, aber Lassiter kannte sich auch in dieser Beziehung aus.
Man durfte Leuten vom Schlag eines Etienne Laroche keine Blößen zeigen, sonst war man verloren.
Der alte Knabe führte etwas Bestimmtes im Schilde, das stand fest. Es gab nur den kleinen Unterschied, dass Lassiter nicht ahnen konnte, ob Etienne Gutes oder Böses im Schilde führte.
Etienne Laroche hatte sich abgewandt und schritt langsam davon. Er schien hinter sich zu lauern, ob Lassiter nicht vielleicht doch noch eine Frage an ihn stellen wollte. Immerhin hatte er Lassiter mit einigen Bemerkungen gereizt, und normalerweise war es üblich, dass man einen Menschen auf diese Weise aus der Defensive lockte.
Das wäre ihm auch in der Tat beinahe gelungen, aber Lassiter hatte dann doch rechtzeitig erkannt, dass ihn Etienne aufs Kreuz legen wollte.
Grinsend blickte er hinter dem alten Knaben her.
Laroche hatte auf seinen krummen Beinen gerade den Rand der dichten Büsche erreicht.
Er schritt immer langsamer aus, und er wäre bestimmt dankbar gewesen, wenn Lassiter sich jetzt erbarmt und eine Bemerkung gemacht hätte.
Lassiter tat ihm den Gefallen nicht, so sehr er selbst auch daran interessiert war.
Er hatte gelernt, hart zu sein.
Härte war eine von Lassiters Tugenden.
Er war davon überzeugt, dass Etienne Laroche bald weich werden würde. Der kleine, ziegenbärtige Mann wollte etwas von Lassiter, daran gab es keinen Zweifel mehr.
Jetzt blieb er stehen und drehte sich abrupt um.
»Zum Teufel mit dir, Lassiter!«, knurrte er heiser. »Hast du eigentlich ein Gemüt wie ein Elefant? Hat dich denn noch gar nicht die Neugierde gepackt? Willst du nicht wenigstens eine einzige kleine Frage stellen? Du kannst einen ja zum Wahnsinn treiben, Lassiter!«
Lassiter stand grinsend da.
»Und welche Frage möchtest du hören, Laroche?«
Er hatte es kaum gesagt, als es hinter dem kleinen Mann lebendig wurde. Männer brachen zwischen den Büschen hervor. Sie alle hielten Gewehre oder Revolver in den Fäusten, und es gab nicht den geringsten Zweifel daran, dass sie in feindlicher Absicht gekommen waren.
Mündungen wurden auf Lassiter und Etienne Laroche gerichtet. »Keine Bewegung!«, rief eine harte Stimme. »Lasst eure Gewehre fallen, ihr zwei! Wer eine verdächtige Bewegung macht, wird erschossen.«
Lassiter sah, wie Laroche sein Gewehr fallen ließ und langsam die Hände hob.
Jemand rammte Lassiter die Gewehrmündung zwischen die Schulterblätter.
»Was ist los, Hombre? Lass fallen!«
Lassiter warf die Winchester hin.
Sie waren beide umzingelt. Während sie sich unterhalten hatten, war es den anderen möglich gewesen, sich anzuschleichen und sie in die Zange zu nehmen.
Aber wer waren diese Leute?
Lassiter blickte ins Tal hinunter zur noch immer brennenden Ranch.
Er dachte an die Halunken, die das Anwesen niedergebrannt hatten. Sicherlich war nicht auszuschließen, dass es sich hier um die Mordbrenner handelte.
Aber das blieb zunächst einmal abzuwarten.
Trotz des diffusen Sternenlichts war Lassiter der Meinung, dass sich Laroches Gesicht ziemlich verfärbt hatte. Der kleine, krummbeinige Bursche schien am ganzen Körper zu zittern und nichts mehr von seiner bisherigen Kaltblütigkeit beibehalten zu haben.
Lassiter war völlig gelassen.
Er kannte sich aus in solchen Situationen.
Nicht zum ersten Mal sah er sich von einer wilden Übermacht umzingelt und mit dem Tode bedroht.
Er machte keine Bewegung, als jemand hinter ihn trat und ihm den schweren Remington-Revolver aus dem Holster riss.
Danach tauchte ein hagerer, hart aussehender Mann in seinem Blickfeld auf und blieb einen Schritt vor Lassiter stehen.
»Name!«, sagte er fordernd.
»Lassiter.«
Der andere hob die Brauen. Er schien ebenso erstaunt zu sein, wie es vorhin bei Laroche der Fall gewesen war.
»Der Lassiter?«
»Kann schon sein.«
Lassiter zuckte gleichmütig die Schultern. Er hatte mit keiner anderen Situation gerechnet. Über ihn wurde viel geredet, und es gab nur wenige Männer, die seinen Namen noch nicht in irgendeinem Zusammenhang gehört hatten.
Der Mann, der vor ihm stand, war dunkelhaarig. Ein Mann mit dem Aussehen eines Wolfes. Alles an ihm erinnerte an ein Raubtier. Seine Zähne blitzten, als er lächelte.
Es war ein überhebliches Lächeln, das in Lassiter sofort Widerwillen erweckte.
»Ich bin Jonathan Clarke«, sagte der Mann.
Er war etwa fünfzig Jahre alt, und sein ganzes Wesen strahlte eine unnachgiebige Härte aus. Jetzt hatte er seinen Namen genannt und schien erst einmal warten zu wollen, was Lassiter dazu zu sagen hatte.
Aber Lassiter schwieg. Er hielt es für besser, erst einmal abzuwarten, bis gewisse Fronten geklärt waren.
Er durchschaute diesen Jonathan Clarke bisher ebenso wenig wie den kauzig scheinenden Etienne Laroche.
Hier schien es eine Menge Kreuz- und Querverbindungen zu geben. In diesem Lande schien keiner dem anderen trauen zu können.
Das einzige, was Lassiter interessierte, war der Grund des Überfalls auf die kleine Ranch, die inzwischen fast gänzlich niedergebrannt war. Die Erinnerung daran weckte in Lassiter wieder den Anblick der beiden Kinder, die zusammen mit ihrer schreienden Mutter aus dem Haus gelaufen waren.
»Ich bin Jonathan Clarke«, wiederholte der Mann. »Sagt Ihnen das nichts, Lassiter? Haben Sie meinen Namen noch nie gehört?«
»Tut mir leid, Mister. Ich wüsste nicht, wo das gewesen sein könnte.«
Jonathan Clarke runzelte die Brauen. »Ich glaube fast, Sie sind ein ganz verdammter Lügner, Lassiter.«
Lassiter grinste abfällig.
»Glauben Sie, was Sie wollen, Clarke. Aber eins sage ich Ihnen: Was immer hier auch geschehen ist, ich habe mit der ganzen Sache nichts zu schaffen. Ich bin zufällig in dieser Gegend. Ich war gerade dabei, mein Nachtcamp aufzuschlagen, als es losging. Und jetzt sollten Sie mich gefälligst in Ruhe lassen. Ich bin weder Ihr Freund noch Ihr Feind. Muss ich mich noch deutlicher ausdrücken?«
Jonathan blickte zu Etienne Laroche hinüber, der ebenfalls von einigen Männern umringt war.
»Irgendwie ist das alles seltsam«, meinte er. »Heh, Laroche! Wie lange kennt ihr beide euch schon?«
»Seit zehn Minuten«, knurrte der alte Trapper. »Sie sind schon wieder mal dabei, auf das falsche Pferd zu setzen, Clarke. Mir ist völlig klar, was Sie denken. Sie sind der Meinung, diese Brandstiftungen gingen alle auf mein Konto. Können Sie mir einen einzigen Grund nennen, warum ich das getan haben könnte?«
Jonathan Clarke sah ihn finster an.
»Du hasst mich, Laroche.«
Der alte Trapper spuckte aus.
»Ja, Clarke«, sagte er verächtlich. »Ich hasse Sie wie die Pest. Das ist die Wahrheit. Aber nie und nimmer würde ich deswegen andere Leute angreifen und um all das bringen, was sie sich in Jahren ehrlicher und mühevoller Arbeit aufgebaut haben.«
Clarke lachte gehässig.
»Das musst gerade du sagen, Laroche?«
Der alte Mann ballte die Fäuste. Ohnmächtiger Grimm zeichnete für Sekunden sein hageres Gesicht.
»Es geht nicht um mich, Clarke. Es geht um die anderen. Glauben Sie denn noch immer, ich wäre der Boss dieser Mordbrenner?«
»Leider gibt es dafür keinen Beweis. Immerhin erwischen wir dich nun schon zum zweiten Mal in der Nähe einer niedergebrannten Ranch. Ist das nicht ein seltsamer Zufall?«
»Dasselbe könnte ich behaupten, Clarke.«
Jonathan Clarke schien nachzudenken. Sein Blick ruhte wieder auf Lassiter, und nach einer Weile sagte er: »Lasst den alten Ziegenbock laufen. Vorläufig scheint er für uns wieder mal zu schlau zu sein.«
»Alter Ziegenbock« war zweifellos eine sehr treffende Bezeichnung, und die meisten anderen Männer hätten es als tödliche Beleidigung aufgefasst.
Etienne Laroche lächelte nur.
Er schien derartige Bezeichnungen gewöhnt zu sein.
»Du weißt ja, was du mich kannst, Clarke«, sagte er ruhig. »Und ich will auch nicht eine Beleidigung mit einer anderen beantworten. Ich bin eben ein gut erzogener Mensch, was man von dir offenbar nicht behaupten kann. Außerdem möchte ich von mir noch behaupten, dass ich in meiner Kindheit nicht zu heiß gebadet worden bin. Pass gut auf dich auf, Jonathan Clarke. Du bist in großer Gefahr.«
Nach diesen Worten bückte er sich gelassen, hob sein Gewehr auf und stapfte in die Nacht hinein, als ob nichts geschehen wäre.