Last Moment - Emma Smith - E-Book

Last Moment E-Book

Emma Smith

4,0

Beschreibung

Lynn zu finden ist und war Max’ oberste Priorität. Aber sie ist noch nicht fertig mit Rick, ihrer Vergangenheit und den Verletzungen, die ihr zugefügt wurden. Doch dann ist es soweit. Die beiden treffen wieder aufeinander und Max könnte überraschter nicht sein: die Frau, die er gefunden hat, sieht zwar aus wie seine Lynn, verhält sich allerdings überhaupt nicht so. Knallhart macht sie ihm klar, dass sie nicht bereit ist, neu anzufangen. Nur gut, dass Max so seine ganz eigenen Methoden hat, ihre Meinung zu ändern. Wenn du auf der Suche nach Frieden und der Frau bist, die dir dies alles geben kann, was tust du, wenn diese Frau einfach nicht mehr existiert?

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Last Moment
Impressum
Lynn, vor vier Monaten
Cliff
Lynn
Max
Lynn
Max
Lynn
Max
Lynn
Max
Lynn
Max
Lynn
Max
Lynn
Max
Lynn
Max
Lynn
Max
Lynn
Cliff
Lynn
Max
Lynn
Cliff
Lynn
Elly
Lynn
Max
Epilog
Danksagung

Emma Smith

Last Moment

Jeder Augenblick zählt

Eisermann Verlag

Impressum

Bibliografische Information durch die Deutsche Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://www.d-nb.deabrufbar.

Print-ISBN: 978-3-946342-81-6

E-Book-ISBN: 978-3-946342-83-0

Copyright (2021) XOXO Verlag

Umschlaggestaltung: Grit Richter, Eisermann Verlag

unter Verwendung der Bilder:

Stockfoto-Nummer: 752958232

von www.shutterstock.com

Buchsatz: Grit Richter, XOXO Verlag

Lektorat: Bettina Dworatzek

Korrektorat: Daniela Höhne

Hergestellt in Bremen, Germany (EU)

Eisermann Verlag

ein IMPRINT der EISERMANN MEDIA GMBH

Gröpelinger Heerstr. 149

28237 Bremen

Alle Personen und Namen innerhalb dieses Buches sind frei erfunden.

Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind zufällig und nicht beabsichtigt.

Lynn, vor vier Monaten

London

»Du bist allein. Niemand ist hier, der dir wehtun kann. Atme, Lynn. Atme ein und aus. Fühlst du es? Wie die Luft aus dir herausfließt?«

Ich atmete mit geschlossenen Augen weiter ein und aus. Meine Sinne konzentrierten sich nur noch auf diese eine Sache. Die Matte unter meinem Hintern gab mir den Halt, den ich brauchte. Im Schneidersitz saß ich hier, mitten in diesem Trainingsraum, und versuchte, den Kopf ganz freizubekommen. Denn sie und ich wussten, dass er noch nicht ganz leer war. Da war noch eine Sache … diese eine Sache, die ich einfach nicht loswurde.

»Versteif dich nicht. Atme, fühl die Luft. Wir sind allein. Dir kann nichts passieren.«

Meine Konzentration war alles. Das wusste ich. Ich sollte nicht daran denken, dass ich total schutzlos war. Ich hatte die Augen geschlossen, dafür waren meine anderen Sinne in Alarmbereitschaft. Irgendwas stimmte nicht. Ich spürte einen Luftzug und plötzlich … drückte sich etwas gegen meinen Hals. Nein, nicht etwas.

Ich öffnete die Augen. Sie hatte ihren Arm um meinen Hals gelegt und drückte fester zu.

»Dein Fehler war, dass dir immer etwas passieren kann. Der Fehler war -«

Röchelnd stemmte ich mich gegen die Hand, aber ich war einfach nicht stark genug. Ich war kraftlos. Ich war …

Sie beugte sich zu mir, als ich begann, langsam Sterne zu sehen. Dann ließ sie von mir ab, als hätte sie sich an mir verbrannt. Keuchend sog ich Sauerstoff in meine Lungen. Die Enge in meiner Brust und die Sterne vor meinem Blick verschwanden.

»Dass du gedacht hast, ich würde dir nichts tun können. Was war noch dein Fehler, Lynn?«

Unsere Blicke trafen sich. Sie stand direkt vor mir, Augen kalt wie die Nacht. Und ich kniete auf allen vieren, völlig außer Atem, weil ich nicht auf mich aufgepasst hatte.

»Ich habe mich sicher gefühlt.«

»Nein.« Sie schüttelte den Kopf.

Irritiert runzelte ich die Stirn.

»Du bist nie in Sicherheit. Was war dein Fehler?«, wiederholte sie.

Ich erhob mich langsam, damit ich ihr auf gleicher Höhe begegnen konnte.

»Dass ich es gedacht habe«, antwortete ich.

Sie sagte nichts.

Das war die richtige Antwort.

Cliff

Die Blumen, die auf ihrem Grab lagen, verwelkten bereits. Die Inschrift auf ihrem Grabstein erinnerte mich daran, wer sie für mich und andere gewesen war.

Lizzy – Ehefrau und beste Freundin

»Es musste ganz schnell gehen, Schatz. Ich habe den Blumenstrauß vergessen. Es tut mir leid«, redete ich mit ihr und verfluchte mich innerlich dafür, dass es für eine längere Zeit keine frischen Blumen für sie geben würde. Es sei denn, ich schickte Elly eine SMS, dass sie sich darum kümmern sollte.

Ein Blick auf die Armbanduhr zeigte, dass ich nicht mehr viel Zeit hatte.

»Ich muss gleich los. Ich habe ihren letzten Aufenthaltsort gefunden. Zumindest eine heiße Spur, der ich nachgehen kann.«

Ich versuchte mich an einem Lächeln, weil Lizzy mir immer wieder weisgemacht hatte, dass ich ein echtes, aufrichtiges besaß. Ich zweifelte mehr denn je daran. Es gab für mich kaum etwas, das mir noch Freude machte. Wieso auch? Lizzy war meine Freude gewesen.

Kniend berührte ich ihren Grabstein.

»Du wirst gerächt werden. Ich werde -« Mir blieb der Satz im Hals stecken.

Sie war zu früh gestorben. Sie war vor mir gestorben. Das hatte sie nicht verdient. Ich hatte sie nicht verdient gehabt.

Schnell rappelte ich mich auf, um meine Mitte wieder zu finden.

Es war lange her, dass ich so etwas wie Vorfreude verspürt hatte. Das letzte Mal war in ihren Armen gewesen. Immer nur in ihren Armen …

»Ich werde dir seinen Kopf bringen. Das verspreche ich dir, mein Schatz.« Ich hauchte mit der Hand einen Kuss auf den Stein, dann verließ ich sie.

Lynn

Heute

Es war stockfinster, als ich aus dem Auto stieg. Niemand lief herum, keiner war mehr wach, nur die zwei Laternen auf dem Parkplatz sorgten für etwas Licht.

Mir gefiel es besser so. Die Ausgangssituation war eine andere, wenn der Gegner selbst wenig sehen konnte.

Meine Haustür war nur zehn Fuß von meinem Auto entfernt. Apartment 1D. Die Nummer samt Buchstabe gehörte mir jetzt seit geschlagenen drei Wochen. Vor einer Woche hatte ich meinen ersten Mord begangen. Und noch immer konnte ich spüren, wie es war, als mein Opfer durch meinen Griff aufgehört hatte zu existieren.

Ich schloss die Tür auf. Dreifachgesichert.

Mein Apartment lag im Dunkeln. Ich schaltete das Licht nicht an, ging erst auf die der Tür gegenüberstehende Kommode zu, um die Schublade zu öffnen und meine Ersatzwaffe zu holen. Wenn ich jetzt die andere aus meinem Gürtel nehmen würde, bekäme ich keine Chance, denjenigen anzugreifen, der in mein Apartment eingedrungen war, bevor dieser mich als Erstes verletzte. Das Adrenalin in meinem Körper hatte sofort meinen gesamten Körper übernommen, als mir bewusst wurde, dass ich hier nicht allein war.

Plötzlich schaltete jemand die Lampe auf der anderen Kommode an. Die Schalter dazu befanden sich direkt vor mir und an meinem Bett.

Ich entsicherte meine Waffe und …

»Leg das Ding weg. Es sei denn, du willst mich wirklich abknallen.«

Cliff?

Ich senkte die Waffe und atmete nach mehreren Sekunden endlich wieder aus.

Er saß in meinem Sessel im Dunkeln. Aber die Stimme, diese Statur … Es war Cliff. Ich legte die Waffe nicht wieder zurück in die Schublade. Dazu vertraute ich dieser Sache zu wenig. Ich steckte sie gesichert in meinem Hosenbund am Rücken.

Cliff blieb sitzen.

»Du hast so einigen ganz schön große Sorgen gemacht.«

»Es war das Richtige«, antwortete ich.

»Ich glaube, in unserer Situation gibt es richtig oder falsch nicht mehr.«

Er sprach von Lizzy. Seiner toten Frau. Sie war nur tot, weil ich mich nicht gestellt hatte.

»Es tut mir leid, Cliff. Du hättest sie nicht verlieren sollen.« Meine Augen brannten, aber ich ließ die Tränen nicht zu.

»Und du hättest die Leiche entsorgen sollen, Lynn.«

Cliff wusste also davon. Von meinem Mord. Meinem ersten Mord.

»Er sollte sie finden«, antwortete ich mit kräftiger Stimme. Rick sollte sehen, was ich ihm bald antun würde.

Wieder sagte Cliff nichts.

»Willst du ihn töten? Dann muss ich dich enttäuschen. Ich werde ihn erledigen«, beendete ich die Stille.

Seufzend stand er auf und kam auf mich zu. Jetzt konnte ich auch sein Gesicht sehen. Er wirkte älter, als er wirklich war, und sah ungepflegt aus. Sein Bart war noch länger geworden, die Augenringe tiefer, fast schwarz. Er schlief nicht. Die Geister hielten auch ihn wach.

»Ich bin für Max hier.«

»Was?«, hakte ich fassungslos nach.

»Du musst zurück. Das hier ist kein Ort für dich.«

Kein Ort für mich? Das hier war alles, was ich noch besaß! Hier verlief der einzige Weg, der mich endlich befreien konnte. Der mir das geben konnte, was ich sehnlichst benötigte: meinen Frieden.

»Max hat dich geschickt?«, fragte ich nach. Die Geschwindigkeit meines Herzschlages verdoppelte sich, als ich seinen Namen das erste Mal seit vielen Wochen laut aussprach.

»Du wirst draufgehen, wenn du dieses Spiel weiterspielst«, murrte er.

»Ich werde dieses Spiel gewinnen!«

Cliff musterte mich konzentriert. Gegen ihn wirkte ich wie Schlumpfine, so groß wie er gebaut war.

»Er weiß, dass du hier bist.«

Ich zuckte zusammen.

Verdammt.

»Warum ist er dann noch nicht hier?«

»Ich bin dir seit einer Woche auf der Spur. Meine Nachricht an Devon ging vor zwei Tagen raus.«

»Sie kommen her?«, fragte ich geschockt.

Cliff antwortete nicht. Das brauchte er auch nicht.

Ich schluckte.

Sie durften nicht kommen. Cliff war bereits hier und wollte mich aufhalten. Das konnte ich nicht zulassen. Wenn sie zwei Tage lang von meinem Aufenthalt in der Schweiz wussten, dann könnten sie längst hier sein.

Als hätte jemand Regie geführt, blitzten von draußen Autolichter an uns vorbei. Cliff bemerkte es, schaute zum Fenster und ich nutzte die Gelegenheit. Ich griff mir den nächstbesten Gegenstand und zog ihm diesen über den Kopf. Er taumelte, brüllte und fiel hin.

Mit zwei Schritten riss ich die Tür auf und rannte zu meinem Wagen. Zehn Fuß, die mir den Arsch retteten. Ich achtete auf nichts und niemanden, als ich den Motor startete und losfuhr.

Max

»Kannst du nicht schneller fahren?«, meckerte ich Devon an, der den gemieteten SUV wie ein verdammter Rentner fuhr.

»Wir sind seit achtzehn Stunden auf den Beinen, also nein, ich kann nicht schneller fahren. Es sei denn, du willst, dass wir beide uns um einen Baum wickeln, weil mein verdammter bester Freund meint, dass fünf Minuten mehr über Leben und Tod entscheiden!« Devon wusste sofort, dass das gerade möglich sein könnte. »Sorry, du hast recht!«

Er gab Gas.

Ich sah auf die Straße. Es war bereits mitten in der Nacht. Viel Verkehr war nicht auf den Straßen.

Devons Handy klingelte, während ich weiter hinausschaute.

»Hey, meine Schöne. Wie geht’s meinen … Scheiße, Weib, ich diskutiere nicht mit dir. Personenschutz hältst du …«

Ich grinste. Bevor wir geflogen waren, hatte Devon für Elly und die Kinder noch ein paar Bodyguards abgestellt und selbstverständlich gefiel das seiner Frau nicht.

»Ja gut, aber dann ignoriere sie einfach. Ich lass dich mit den Kindern sicher nicht ungeschützt! Und wehe du sagst jetzt -«

Elly brüllte in den Hörer und Devon war plötzlich mucksmäuschenstill.

»Ja, wir sind jetzt auf dem Weg zu ihrem Apartment. Nein, haben wir nicht. Frau … ich frag ihn nicht.« Brummend blickte er zu mir. »Geht’s dir gut?«

Ein Grinsen zu unterdrücken, war wirklich schwierig.

Ich nahm mir sein Handy. »Mach dir keine Sorgen, Elly.«

Ihr melodisches Seufzen drang durch den Hörer. »Das war keine Antwort auf meine Frage.«

Ich fuhr mir durch mein übermüdetes Gesicht. Keine Ahnung wie ich roch. Vermutlich nicht besser als Devon. Zwei Stinkende auf Reisen. Darüber könnte man ein Buch schreiben.

Seit Monaten hatten wir kaum miteinander gesprochen. Ich hatte mich wie der letzte Idiot verhalten und es an meinen besten Freunden ausgelassen.

Und jetzt machte sich eben einer dieser besten Freunde Sorgen um mich.

»Es tut mir leid, Elly.«

Devon sagte nichts und fuhr weiter konzentriert zu unserem Ziel.

Elly seufzte wieder. »Du hast dich wie der letzte Arsch verhalten.«

»Ich weiß«, antwortete ich ehrlich. »Ich weiß nicht, warum.«

»Doch, Max. Du weißt warum! Und zu dem Warum seid ihr gerade auf dem Weg.«

Ich schloss die Augen. Ja, deswegen waren wir hier. »Sie hat getötet.«

Wieder dieses Seufzen. »Das haben wir alle auf die eine oder andere Art getan.«

»Darum geht’s mir nicht!«

»Schon klar, Max. Aber dass sie uns nicht umsonst verlassen hat, war doch allen bewusst!«

»Nur mir nicht«, antwortete ich mit einem bitteren Zug um die Lippen.

Elly sagte nichts am anderen Ende der Leitung. Das musste sie auch nicht.

Lynn war abgehauen, weil sie sich ihrem Feind allein stellen wollte. Sie hatte mich verlassen, weil sie mir nicht genug vertraute, um sie zu beschützen.

Jetzt befand sie sich hier in der Schweiz, um Ricks Männer abzumurksen. Rick, dessen Bruder sie Höllenqualen hatte erleiden lassen. Rick, der sie genauso verletzen wollte wie sein kranker Bruder, dem ich das Leben aus dem Schädel gepustet hatte.

Ich hielt Devon sein Handy hin, das er zögerlich annahm.

»Ja, Süße. Alles klar. Ich melde mich später bei dir.«

Ich lehnte meinen Kopf an die Scheibe. Das kühle Gefühl tat gut.

»Alles okay bei dir?«, fragte Devon.

»Nein«, antwortete ich.

Minuten später fanden wir den Apartmentkomplex, in dem Lynn laut Cliff wohnte.

Ich war bereits ausgestiegen, bevor Devon parkte.

Schon von Weitem sah ich jemanden an der Hauswand sitzen. Devon zog seine Waffe, bis wir ihn erkannten.

Cliff.

»Wo ist sie?«

Die Laterne ein paar Meter weiter schenkte sehr wenig Licht, aber als ich näher auf ihn zuging, bemerkte ich das Blut, das von seiner Stirn tropfte.

»Weg«, war seine Antwort.

Wir hatten Cliff seit Wochen nicht mehr gesehen. Erst der Anruf vor zwei Tagen hatte uns klargemacht, dass er wirklich auf Lynns und Ricks Spur gekommen war.

Und jetzt saß der Penner auf dem Boden, mit einer verfickten Platzwunde am Schädel und sagte mir, dass Lynn weg war? »Was soll das heißen: weg? War Rick hier?«, fuhr ich ihn an.

»Max«, warnte Devon mich, ich ignorierte es aber.

Cliff stand etwas mühsam auf. Er überragte uns beide um mehrere Zentimeter. »Ich habe etwas unüberlegt gehandelt«, murrte er und schien nicht begeistert, das zugeben zu müssen.

»Was zum Teufel heißt das jetzt schon wieder?«

»Vorsicht.« Cliff kam noch näher auf mich zu. »Du solltest ganz genau aufpassen, was du jetzt sagst.«

»Dann rede verdammt noch mal nicht in Rätseln!«

Lange blickte er mich mit diesem mürrischen Gesichtsausdruck an, dann schaute er zu Devon, als hätte er die ganze Zeit die Fragen gestellt.

»Ich habe auf sie gewartet. Sie hat sofort bemerkt, dass sie nicht allein war.«

»Und dann hat sie dir eine übergezogen?«, fragte Devon sachlich nach.

»Nein, erst als ihr klar wurde, dass Max auf dem Weg hierher ist.«

Ich runzelte die Stirn.

»Moment. Du willst uns gerade erzählen, dass sie dir, also dir …« Devon zeigte wie blöde auf den fast zwei Meter großen Mann vor uns.

»Sie ist stärker geworden«, sagte Cliff.

»Offensichtlich«, antwortete Devon ihm geschockt.

»Lynn will mich nicht hier haben«, nahm ich auf, weil das die einzige Information war, die am Ende für mich zählte.

»Ich glaube, sie hat viel zu sehr ihr Ziel vor Augen, als dass sie wüsste, was sie momentan wirklich will«, erklärte Cliff wie immer in ruhiger Stimmlage.

Dennoch ergab das überhaupt keinen Sinn.

***

Ich starrte auf die dreifachgesicherte Tür. Lynns Tür. Cliff saß in einem Sessel, der viel zu klein für seine Statur war und Devon schaute sich in ihrer Wohnung um.

Dreifachgesichert! Sie hatte versucht, ihre Feinde draußen zu lassen.

»Hier«, sagte Devon, als er aus dem angrenzenden Badezimmer kam und etwas auf das Bett fallen ließ.

Als ich nicht sofort erkannte, was es war, ging ich näher ran.

Ein Messer, ein Schlagstock und eine Waffe fanden sich darauf.

»Alles gut versteckt im Bad und unter dem Bett«, redete Devon weiter und suchte meinen Blick.

Ich wusste ganz genau, was er mir damit sagen wollte.

Was zum Teufel war mit Lynn passiert? Das war nicht die Frau, die wir kannten.

»Wäre ich nicht ausgebildet worden, hätte ich das Schloss für die Tür nicht so schnell aufgekriegt«, erklärte Cliff. Seine Wunde hatte bereits aufgehört zu bluten. Dass Stolz in seiner Stimme mitschwang, gefiel mir nicht.

»Sie folgt dem Wichser nicht bis hierher, weil sie unbewaffnet und völlig schutzlos in der Schweiz leben will«, erklärte Devon sachlich. Jedenfalls so sachlich wie möglich.

»Und wo sollen wir jetzt nach ihr suchen? Sie könnte überall sein«, sagte ich und fühlte mich noch müder als vor zehn Minuten.

Sie war weg. Schon wieder.

Erst war sie aus ihrem Schlafzimmerfenster geklettert. Jetzt hatte sie Cliff niedergeschlagen, um so weit wie möglich von mir wegzukommen.

»Wir finden sie, Max«, versicherte Devon mir.

Einen langen Augenblick schaute ich ihn an.

Er hatte Frau und Kinder zurückgelassen, um mir hierher zu folgen. Devon besaß das, was ich mir mit Lynn erträumt hatte. Sie war der Mensch, der zu mir gehörte. Das dachte ich zumindest.

»Lynn hat sich vorbereitet. Das zeigt uns ihre Wohnung.« Cliff machte eine lange Handbewegung durch den Raum. »Sie hat sich monatelang körperlich darauf vorbereitet.«

Devon und auch ich sahen ihn abwartend an.

»Wir haben sie in die Enge getrieben, ihren Plan durcheinandergebracht. Wäre ich Lynn«, er biss sich kurz auf die Unterlippe und nickte dann, als wäre er sich bei etwas absolut sicher, »dann würde ich es jetzt durchziehen.«

Ich schluckte. Mein Hals fühlte sich staubtrocken an. Durchziehen? Sie wollte es durchziehen?

Wir wussten, was er damit meinte. Wir alle wussten es.

»Sie wird nicht zu ihm gehen. Das kann sie nicht wollen«, antwortete ich ungläubig und versuchte, Devons Blick zu deuten.

Gib mir recht. Gib mir recht!

Aber er reagierte nicht. Er schaute mich einfach nur mit seinem ruhigen Blick an und – gab mir somit die Antwort, die ich nicht von ihm hören wollte.

»Verfickte …« Ich griff mir den Stuhl, der zu diesem kleinen Tisch am Fenster passte und schmiss ihn in die nächste Ecke.

»Bevor du dir den Rest der Wohnung vornimmst, sollte ich dir sagen, dass Rick morgen Abend ein neues Rathaus einweiht.«

Cliffs ruhige Stimme ließ mich die Stirn runzeln. »Wovon sprichst du?«

»Es ist ein kleines Dorf, direkt an der italienischen Grenze zur Schweiz. Er weiht da irgendwelche neuen Gebäude ein. Es gibt einen Artikel in der regionalen Zeitung darüber.«

»Und? Was willst du mir damit sagen?«, fragte ich aufgebracht nach.

»Es ist ihre Chance«, antwortete Devon für ihn.

Mein Blick glitt zu ihm.

»Eine öffentliche Veranstaltung. Rick lässt sich blicken, ohne dass sie in sein Haus marschieren muss. Cliff hat recht. Wir haben sie in die Enge getrieben.«

Ich schüttelte sofort den Kopf. »So dumm kann sie nicht sein. Nein! Das wird sie nicht -«

Devon kam auf mich zu. »Sie lebt seit Wochen hier, Max. Seit Wochen trennen Rick und sie nur noch ein paar Meilen. Lynn hat sich vorbereitet, und wir haben ihr weitere Zeit dafür genommen. Sie weiß, dass wir sie suchen. Sie weiß, sie hat keine Zeit mehr und alles, was wir wissen, ist, dass sie Rick erledigen will. Und dieser Moment wird morgen greifbar für sie sein. Wann, wenn nicht morgen? Eine bessere Gelegenheit wird es für sie nicht geben!«

»Das ist Wahnsinn!«, entfuhr es mir.

»Wahnsinn wird sie nicht aufhalten«, mischte jetzt auch noch Cliff mit.

Lynn

Ich kletterte das Baugerüst hoch, bis ich auf das Dach des renovierungsbedürftigen Hauses kam. Unter alten Brettern kramte ich meine Ersatztasche heraus.

Seufzend setzte ich mich hin und lehnte mich an eine der Kisten. Es hatte gerade aufgehört zu regnen. Trotzdem war es arschkalt hier oben, aber nun mal meine einzige Unterkunft für heute.

Wenn Max wirklich hier im Land war, würde er mich weiterhin suchen. Vor allem heute Nacht. Ein Hotel war nicht drin.

In ein paar Stunden würde die Sonne aufgehen, dann könnte ich mir ein Zugticket kaufen und von hier verschwinden. Es gab genug Nachbarorte, von denen aus ich Rick Probleme machen konnte. Es sein denn, ich würde direkt …

Ich öffnete meine Tasche und kramte die benötigten Sachen heraus.

Ein gefälschter Pass, ein altes Handy, Bargeld und meine 44er. Mein Griff um die Waffe war fest und entschlossen.

Obwohl ich sie nur zu Schießübungen benutzt hatte, fühlte sie sich nicht mehr fremd in meinen Händen an.

Das erste Mal getötet hatte ich mit einem Messer. Niemals im Leben hätte ich erwartet, so viel dabei zu fühlen, als ich einem von Ricks Männern die Kehle durchgeschnitten hatte. Als das Leben aus ihm herausgeflossen war.

Mittlerweile dachte ich nicht mehr oft daran zurück. Nur in Momenten wie diesem wurde mir bewusst, wofür ich das alles tat.

Ich hätte auf Max warten können. Ich hätte mit Cliff noch Small Talk halten und so tun können, als wäre ich nicht verantwortlich dafür, dass er jetzt Witwer war. Wir hätten einfach alles vergessen können und hoffen müssen, dass Rick uns alle in Ruhe lassen würde.

Aber ich war kein Feigling mehr. Ich wollte nicht mehr hoffen. Ich wollte frei sein.

Er hatte mir alles genommen und es war nur fair, jetzt ihm alles zu nehmen.

Wenn ich Max und Cliff in die Hände laufen würde, wären diese vier Monate für die Katz gewesen. Ich musste etwas unternehmen.

Ich achtete darauf, dass die Waffe geladen war, dann sicherte ich sie und steckte sie mir in den Halter, den ich an die Wade geschnallt hatte. Danach schaltete ich das Handy ein, um noch einen wichtigen Anruf zu tätigen und dann …

Auf zu Rick.

»Ich bin wieder da! Wo sind meine zwei -«

»Pssst! Sie ist gerade eingeschlafen«, antwortete ich ihm und stellte den Herd aus, um ihn zu begrüßen.

»Oh, hattet ihr heute einen so anstrengenden Tag?«

Ich lächelte, weil Max es auch tat. Er gab mir einen kurzen, aber intensiven Kuss.

»Wir waren erst spazieren, haben die Sonne genossen, waren ein paar Strampler kaufen und dann war sie auch schon eingeschlafen.«

»Eine Genießerin. Ganz die Mama«, flüsterte er mir ins Ohr und ich erschauderte.

»Vielleicht«, kicherte ich, weil seine Nase an Stellen kam, die mich nervös machten.

»Komm, lass uns mal zu unserem Mädchen gehen.«

Max ergriff meine Hand und zog mich mit sich. Breit lächelnd schlichen wir uns ins Kinderzimmer. Die Spieluhr neben dem Bett drehte sich noch und leise Musik erfüllte den verdunkelten Raum. Einzig eine Winnie-Pooh-Lampe sorgte für einen kleinen Schimmer an Helligkeit.

»Wehe, du weckst sie«, flüsterte ich ihm warnend zu.

»Ich doch nicht«, antwortete er und zwinkerte mir zu.

Dann sah er ins Bett und erstarrte.

»Max?«

Ich verstand seine Reaktion nicht und sah in das kleine Bett.

Es war leer. Ein einzelner großer Blutfleck war auf der Matratze zu sehen.

Mein Herz begann wie verrückt zu schlagen.

»Max? Wo ist sie? Wo ist unsere Tochter?«

Mit leblosen Augen blickte er mich an. »Das ist alles deine Schuld.«

Mit schreckgeweitetem Blick starrte ich ihn an.

»Wäre ich dir nur nie begegnet.«

»Nein! Bitte, sag so etwas nicht, wir finden sie! Wir werden sie …«

»NEEEIN!«, schrie ich und erwachte.

Es regnete wieder, als ich die Augen öffnete. Ich war auf dem Dach eingeschlafen und hatte geträumt.

Obwohl ich jede Körperstelle durch den Regen spüren konnte, fuhr ich mir nervös durch mein Gesicht. Die Haare klebten mir an der Wange.

»Alles in Ordnung?«

Zwei starke Hände berührten meine Schultern. Es war ein sanfter Druck, den sie auf mich ausübten.

Ich blickte Max ins Gesicht.

Max.

Mein Max.

»Was machst du denn hier? Wie hast du mich -«

»Ist das wichtig? Ich bin hier. Nur das zählt.«

Ich wollte das verneinen. Er sollte nicht hier bei mir sein. Aber dann dachte ich an den Traum zurück. Diesen fürchterlichen und grässlichen Traum.

Schluchzend fiel ich ihm in die Arme.

Halt mich fest. Bitte!

Max tat es. Er presste mich fest an sich, während die Regentropfen unaufhörlich auf uns niederprasselten.

Plötzlich ertönte ein Schuss. Ein einzelner Schuss, den Max in meiner Umarmung erschlaffen ließ und ihn zu Boden brachte. Ich starrte den leblosen Körper an. Es bildete sich kein Blut um ihn. Der Kopfschuss war schnell und präzise abgefeuert worden.

Mein Körper erzitterte. Meine Lippen bebten, bis ich die Schritte hörte.

»Du hast wirklich geglaubt, du könntest mir entkommen, oder?«

Die gleiche Stimme wie in meinen Albträumen. Nur, dass sie jetzt hier war und mir Max genommen hatte.

Max …

»Er hatte nie eine Chance, Lindsay. Nicht, solange er gedacht hat, dir helfen zu können.«

Wie in Trance konnte ich meine Augen nicht von Max abwenden. Sein leerer Blick starrte ins Nichts. Denn es gab nichts mehr für ihn. Er hatte sein Leben verloren, weil ich nicht lernen wollte.

Ich spürte die Waffe an meinem Kinn. Damit drückte er mein Gesicht in seine Richtung.

In das Gesicht eines Mörders.

Rick grinste, als er die Wut, den Hass und die Tränen, die nicht aufhören wollten, meine Wange hinunterzurollen, in meinem Gesicht sehen konnte.

»Wie lange wirst du wohl brauchen, um vollends gebrochen zu sein, kleine Lindsay? Oder bist du schon tot? Sie alle sterben, weil du mir deine hübsche Muschi nicht geben willst. Also, gib sie mir!«

Ein Blitz erhellte den Himmel und ich schrie auf.

Ich riss die Augen auf und erkannte, dass auch das nur ein Traum gewesen war.

Hastig blickte ich mich um. Meine Atmung ging unmenschlich schnell, als wäre ich zig Meilen gelaufen.

Dennoch war ich allein auf diesem Dach. Es regnete zwar immer noch, aber ich war allein.

Kein toter Max, kein Rick.

Ich war allein.

Max

Wir waren vor Sonnenaufgang vor Ort und doch standen bereits bewaffnete Männer vor dem Rathaus.

»Na, wenn da nicht einer auf Nummer sicher gehen möchte«, hörte ich Devon flüstern.

Wir hatten uns auf einem Dach ganz in der Nähe in Position gebracht.

»Und was, wenn sie nicht kommt?«, fragte ich geradeheraus.

Cliff saß mit dem Rücken gegen einen Luftschacht gelehnt und schaute mich emotionslos an. Er war schon immer ein kühler, sachlicher Kerl gewesen. Aber seit er Lizzy verloren hatte, war selbst das letzte bisschen Emotion verschwunden. Dass er hier überhaupt noch stand, war ein Wunder. Lynn war seit Monaten verschwunden und ich verlor jeden Tag immer mehr meinen Verstand. Wie musste es Cliff erst gehen?

»Ich weiß, du wünschst es dir und ich bin ehrlich, ich will sie hier auch nicht sehen«, antwortete Devon leise. »Aber das ist alles, was wir haben, Max. Sie ist verschwunden und Rick ist es nicht. Er taucht hier gleich auf. Wir müssen warten.« Er blickte zu Cliff. »Das gilt für uns alle, Cliff. Wir warten.«

Cliff sah nicht so aus, als hätte er Devon zugehört.

»Ich meine es ernst. Wir sind nicht hier, um Rick eine Kugel in den Kopf zu jagen, bevor wir nicht auch Lynn haben«, erklärte Devon weiter. »Sie hat Priorität. Lynn gehört zur Familie, Cliff.«

Allein, dass er es ihm noch erklären musste, wie wichtig Lynn für uns war, zeigte mir, wie viel wir von Cliff bereits verloren hatten.

»Ich werde ihn töten«, beharrte Cliff auf sein Recht. Aber er nickte, weil er Devon verstanden hatte. »Ich werde mich auf die andere Seite schleichen, damit wir verteilt sind. Verwendet Frequenz drei, wenn ihr die Walkie-Talkies benutzt.«

Cliff verabschiedete sich nicht, sondern schlich hinunter ins Treppenhaus.

Wir befanden uns auf einem vier Etagen hohen Haus und warteten ab.

»Was würde ich jetzt für einen doppelten Cheeseburger geben?«, träumte Devon und beendete die Stille zwischen uns.

Wir trugen jetzt kugelsichere Westen. Cliff hatte Waffen und ein paar Handgranaten besorgt und diese auch an uns weitergegeben. Cliff, Devon und ich waren vorbereitet, auf was auch immer.

»Danke«, sagte ich.

Devon saß mir direkt gegenüber.

»Ich war nicht einfach in letzter Zeit und Elly und du … ihr tut so, als wäre das alles gar nicht wichtig.«

»Ist es wichtig?«, fragte Devon nach. »Du bist ihr nachgereist, Mann. Als du verstanden hast, dass sie nicht einfach untergetaucht ist, da -«

»Ja, da habe ich es realisiert. Vorher habe ich mir eingeredet, dass sie einfach abgehauen ist. Untergetaucht vor Rick und auch mir. Ich … ich habe ihr nicht vertraut.« Ich schnaubte. »Dabei habe ich ihr vorgeworfen, dass sie mir nicht vertraut. Ist das nicht scheinheilig? Ich saufe mich halb kaputt – und sie trainiert, versteckt sich und schmiedet irgendeinen verrückten Plan, um Rick loszuwerden. Und ich weiß, warum sie das macht. Nicht aus Rache. Sie macht es, weil sie mich beschützen will. Elly, die Kinder, dich und mich. Das macht sie nur deswegen und ich mieses Arschloch begreife es nicht und suhle mich im Selbstmitleid!«

»Na ja …«

»Nichts na ja, Devon! Ich liebe sie. Zumindest habe ich gedacht, dass ich es tun würde. Aber was sagt das über mich aus, wenn ich bei der kleinsten Scheiße direkt an uns zweifle?«

»Ich -«

»Du hättest Elly das niemals angetan! Du nicht!«

»Max …«

»Ich bin wie mein Alter. Ein verlogener -«

Der Schlag kam unerwartet und traf mitten ins Schwarze. Mein Kinn schmerzte und ich starrte meinen besten Freund ungläubig an, der mir gerade seine Faust ins Gesicht geschlagen hatte.

Devon schüttelte seine Hand, dann setzte er sich wieder wie zuvor hin.

»Wie war das? Du bereust es, dich im Selbstmitleid zu suhlen? Scheiße, Alter! Du tust es immer noch.«

Ich rieb mir über die schmerzende Stelle. Es war nichts gebrochen, aber Devon hatte auch nicht mit voller Kraft zugeschlagen.

»Statt herumzujammern, kämpfe um sie. Diese ganze Scheiße hier«, er machte eine Bewegung mit der Waffe, »ist schon ungesund genug. Wenn wir sie finden, sie dir zuhört und du hoffentlich ein paar Eier zeigst, dann erklärst du ihr alles. Du erklärst ihr, warum du andere Weiber gevögelt und deine Freunde wie Scheiße behandelt hast.«

»Ich habe nicht -«

»Und wenn sie dir bis dahin noch keine verpasst hat, bete, dass sie es noch tun wird. Denn wenn sie es nicht macht, sagt dass nur, dass sie über dich hinweg ist, Max. Das wollen wir alle nicht. Einmal hat Elly mich einen widerlichen, stinkenden Hund genannt.« Verträumt blickte er in den Himmel. Ich folgte seinem Blick und zweifelte am Verstand meines besten Freundes.

»Ich vermisse diese Tage.«

»Dir ist schon klar, dass Elly und du völlig Banane seid, ja?«

Devon grinste mich an. »Wir werden schon dafür sorgen, dass ihr euch auch Banane nennen dürft.«

Und schon kamen wir wieder zum ernsten Thema zurück.

»Devon, ich … also ich habe nicht mit den Frau-«

Das Walkie-Talkie, das an Devons Weste klebte, begann zu rauschen, dann hörten wir Cliffs Stimme.

»Es tut sich etwas.«

Sofort verspannte sich mein Körper. Ging es los?

Devon kroch näher ans Dachende, um mehr zu sehen.

»Er fährt vor. Scheiße, er taucht tatsächlich mit einer fetten Limo unter dem Arsch hier auf. Mieser Wichser!«

Devons Sätze kamen nur bedingt bei mir im Kopf an. Es war, als würde sich mein Körper gerade dazu bereit machen, auf Leben und Tod zu kämpfen.

Jetzt fehlte nur noch Lynn und wir könnten …

»Eine Bewegung nördlich von euch«, sprach Cliff durchs Walkie-Talkie.

Devon und ich blickten sofort nach Norden, um irgendetwas zu erkennen. Obwohl wir fast am höchsten lagen, konnten wir niemanden sehen, außer ein paar Scharfschützen von Rick.

Dann bemerkte ich eine Bewegung.

»Da!«, flüsterte ich aufgeregt.

Auf zwölf Uhr bewegte sich jemand Schwarzgekleidetes und schlich sich an einen der Scharfschützen heran.

»Ist sie verrückt?«

Devon erwiderte daraufhin nichts, weil er genauso angespannt die Situation verfolgte.

Und dann hörten wir die Entsicherung einer Waffe und ich spürte die Mündung an meinem Nacken.

»Ganz langsam aufstehen«, sagte irgendein Scheißkerl hinter uns.

Ich sah noch dabei zu, wie die schwarzgekleidete Person den Scharfschützen k. o. schlug, dann hob ich die Hände.

Lynn

Ich schlug den Mann vor mir nieder. Das war Typ Nummer drei. Die anderen Scharfschützen würden nachher kein Problem mehr sein. Hoffte ich zumindest.

Ich krallte mir die kleinere Waffe von dem bewusstlosen Typen, steckte sie in meinen Gürtel und sah mich wieder um.

Auf einmal klatschten die Dorfbewohner unten begeistert Beifall. Ich sah hinunter.

Rick hatte gerade seine Rede beendet und ließ sich feiern.

Sein Anzug saß perfekt. Anders gekleidet kannte ich ihn auch nicht. Aber unter diesem teuren Stoff hatte er seine Hände in Blut getränkt. Tag für Tag. Jahr für Jahr.

Ich stand kurz davor, meine Geduld zu verlieren, meine Waffe zu zücken und ihn einfach abzuknallen. Aber noch wäre das zu gefährlich und die Zeit dafür nicht reif.

Zuallererst musste ich …

»Danke, danke!«, rief Rick auf einmal durch die Menge. »Ich weiß, Sie sind alle da, um die Einweihung des neuen Rathauses zu feiern. Aber wissen Sie, ich feiere heute auch etwas anderes.«

Ich runzelte die Stirn. Er sprach Englisch. Warum? Was hatte er jetzt schon wieder vor?

Rick wedelte mit der Hand herum, daraufhin tauchten vier Männer auf. Zwei von ihnen hielten ihre Hände auf den Hinterkopf gedrückt.

Mein Puls beschleunigte sich. Max und Devon. Da waren Max und Devon!

Max …

Fast hätte ich vor Überraschung und Schock meine Waffe fallengelassen.

Die Menschenmenge ließ genug Platz, dass die vier Männer sich neben Rick stellen konnten. Zwei davon hielten Devon und Max in Schach.

»Diese zwei netten Männer hier waren nicht zur Party eingeladen, müssen Sie wissen.«

Scheiße!

Was, wenn er sie jetzt einfach tötete? Das konnte ich doch nicht zulassen!

Mein Blick fiel auf Max, den Rick hasserfüllt anstarrte. Er sah müde aus, dazu musste er sich eine längere Zeit nicht rasiert haben.

Dieses Mal pumpte mein Herz nicht so viel Blut durch meinen Körper, weil er Angst hatte. Nein, dieses Mal tat er das, weil ich Max sah.

Nach all diesen Monaten hatte sich nichts an uns geändert. Es war noch immer da. Zumindest von meiner Seite.

Aber wäre er hier, wenn er nicht dasselbe für mich empfinden würde?

Moment. Stopp!

Diese Gefühle taten mir gerade nicht gut. Das bewies diese Situation doch!

Ich musste mich ganz allein auf Rick konzentrieren und nicht auf Max!

»Und da diese zwei Gentleman hier sind, denke ich, dass auch eine gewisse Dame nicht weit weg sein kann.« Rick sah sich um, als könnte er mich entdecken, wenn er nur lang genug nach mir Ausschau hielt. »Komm schon, Lyndsay! Süße, dein kleiner Ritter hier ist extra gekommen, um dich zu sehen. Willst du ihn etwa versetzen?«

Rick begann plötzlich sein Jackett auszuziehen. »Ich wäre enttäuscht, wenn wir drei allein bleiben würden. Immerhin ist es doch schon fast wie ein altes Familientreffen.«

Was hatte er vor?

Max und Devon wirkten wütend, ließen sich aber nicht anmerken, wie nervös sie waren. Seit wann ließen die beiden sich einfach so fangen? Es sei denn …

Instinktiv schaute ich mich um. Cliff war nicht bei ihnen.

Was, wenn er sich hier noch irgendwo aufhielt?

Ganz bestimmt war das der Fall.

Was würde also nun geschehen?

Mein nächster Schachzug musste gut durchdacht sein. Nervös biss ich mir auf die Unterlippe.

Auf einmal hörte ich ein lautes Aufstöhnen.

Rick hatte Max einen Fausthieb in den Magen verpasst.

Okay, ich hatte lang genug darüber nachgedacht. Jetzt musste etwas passieren.

Max

Fuck!

Ich hatte den Schlag kommen sehen und es dennoch zugelassen.

Was sagte das über mich in dieser Situation aus?

Versager. Trottel. Schwanzloser Idiot.

Aber wenn es Lynn schützte, so durfte mir der miese Arsch gerne noch ein paar Fäuste in den Bauch rammen.

Ich spürte Devons Blick, ignorierte ihn aber, als ich mich wieder gerade hinstellte und Rick wütend anstarrte.

Dieser Drecksack grinste.

»Harter Junge, was? Das bist du nicht mehr, wenn ich mit dir fertig bin.«

Er kam wieder auf mich zu, sodass er mir tatsächlich ins Ohr flüstern konnte.

»Du weißt genauso gut wie ich, dass ich einen Mann wie dich nur breche, indem ich mir nehme, was du denkst zu besitzen.«

Mit einem raschen Kopfhieb brach ich ihm die Nase.

Kreischend, fast winselnd stürzte er zu Boden und hielt sich die blutende Nase fest.

Mal ganz im Ernst: Wie dumm muss man sein, sich mir so zu nähern?

Mit einem Stoß hatte man mich zu Boden gebracht und hielt mir den Lauf einer MP an die Stirn.

Der Typ vor mir sprach irgendeinen Scheiß auf Italienisch. Ich ignorierte ihn, auch wenn es mich nervös machte, dass dieser Scheißkerl mir gleich die Lichter auspusten würde.

Rick schien irgendein Blickduell mit dem Typen zu führen. Vielleicht hätte ich damals auf dem College den Italienischkurs besuchen sollen? Wer hätte auch gedacht, dass wir uns jemals mit Mafiaheinis anlegen würden?

Rick stand auf, klopfte sich den Dreck von seiner Anzughose und grinste zufrieden. Es sah ziemlich gruselig aus, da das Blut auch über seine Lippen lief und die Zähne eingefärbt hatte.

»Deine Aktion wird dich nicht weiterbringen, Junge.«

Ich schnaubte, daraufhin schlug der Typ mir den Lauf der MP gegen das Kinn. Kein einziger Laut kam mir über die Lippen, dann spuckte ich Blut auf den Boden.

Devon stand immer noch neben mir, wirkte aber so, als würde er den Kerl vor mir auch selbst gerne erledigen wollen.

Nee, mein Freund. Den werde ich übernehmen.

Aber als auf einmal alle Leute, selbst Rick, hinter mich blickten, wusste ich, dass es ab sofort noch schwieriger werden würde, hier wegzukommen.

Ricks Lächeln sagte alles.

»Na, wen haben wir denn hier? Du willst wohl doch noch bei unserem Familientreffen mitmachen, was?«