One Moment - Emma Smith - E-Book

One Moment E-Book

Emma Smith

4,0

Beschreibung

Lynn, Ellys beste Freundin aus Kindheitstagen, konnte ihrem Ehemann entkommen. Nun will sie nur noch ein ganz normales und ruhiges Leben führen. Aber weder ihre Albträume noch all die Angst kann sie einfach hinter sich lassen. Selbst Max‘ Hilfe scheint nicht genug zu sein. Ihr heißer Nachbar hat ein Auge auf sie geworfen und ist nicht nur nervig und sarkastisch, sondern auch in den schlimmsten Nächten für sie da. Doch Albträume sollen dich an die Dinge erinnern, die du fürchtest. Was geschieht mit deinem Leben, wenn es nie wirklich dir gehört hat?

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Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Nachwort

Emma Smith
One MomentEin Augenblick ist nicht genug
Eisermann Verlag

One Moment – Ein Augenblick ist nicht genug E-Book-Ausgabe  03/2018 Copyright ©2018 by Eisermann Verlag, Tobias Eisermann, Bremen Umschlaggestaltung: Sabrina Dahlenburg Satz: André Piotrowski Lektorat: Marie Weißdorn Korrektur: Sophie Met http://www.Eisermann-Verlag.de ISBN: 978-3-96173-076-6

Kapitel 1

Max

»Nur über meine Leiche!«

»Ich habe genug Leichen gesehen, Lynn. Also bitte versuch, dich nicht auch noch umzubringen«, gab ich nüchtern zurück und trug den letzten Karton in meine neue Wohnung. Die hübsche Blondine hinter mir wusste genau, dass ich das absolut ernst meinte. Die Leichen, die ich in letzter Zeit gesehen hatte, reichten von meiner Seite für ein ganzes Leben. Trotzdem musste ich bei diesem ernsten Thema einen ironischen Unterton anschlagen. Wie immer.

»Du kannst hier nicht wohnen!« Lynn war mir nachgelaufen und betrat gerade offiziell als erste Frau mein neues Zuhause.

»Da sagt der Mietvertrag was anderes«, antwortete ich und stellte den Karton ans Fenster. Mann, das würde eine Arbeit werden, die alle auszupacken. Immerhin hatte ich die Möbel von Devon übernehmen können. Die brauchte er eh nicht mehr, seit er mit Elly und Eve in dem Reihenhaus lebte.

»Ist Devon wahnsinnig geworden? Warum quartiert er dich ausgerechnet neben mir ein?« Lynn runzelte nachdenklich die Stirn.

Wahnsinn, ich musste sie nur betrachten und mir wurde sofort wieder klar, warum diese Frau mir von Anfang an den Kopf verdreht hatte. Als sie plötzlich in Ellys Bäckerei aufgetaucht war, war ich erst nicht sicher gewesen, ob es zwischen den beiden alten Freundinnen Probleme geben würde. Aber schon nach unserem ersten, wirklich hitzigen Gespräch wusste ich, dass Lynn nicht für Elly ein Problem sein würde, sondern für mich.

Es hatte viele Frauen in meinem Leben gegeben. Ach was, unzählige, die so schnell den Weg in mein Bett fanden, wie sie es auch wieder verließen. Devon und ich hatten zusammen eine tolle Zeit gehabt, keine Verpflichtungen, reiner Spaß und dann … dann verliebte der Drecksack sich und ich konnte es ihm nicht mal übel nehmen.

Elly war eine tolle Frau. Sie hatte ihre Probleme, aber wer hatte die nicht? Jemanden deswegen zu verurteilen, stand mir verdammt noch mal nicht zu. Jeder hatte sein Päckchen zu tragen. Wäre sie damals nicht gewesen, wäre Devon vermutlich längst unter der Erde. Sie hatte meinen besten Freund aus der Scheiße gezogen, dafür würde ich ihr auf ewig dankbar sein. Und sie hatte einen knackigen Hintern. Schon deswegen sollte man ihr einen Pokal überreichen.

»Hörst du mir überhaupt zu, Max?«

Lynn stand direkt vor mir und musterte mich mit verengten Augen. Mann, selbst dieser Blick hatte etwas Attraktives an sich. Sie war kurvig, trug gerne enge Jeans, die mir den Verstand vernebelten, und hatte ein rundliches Gesicht. Es passte zu ihren rehbraunen Augen sowie dieser leicht spitzen Nase. Und dann diese welligen dunkelblonden Haare … Halleluja!

»Willst du die Wahrheit hören oder soll ich behaupten, ich hätte dir zugehört?«

Wieder schnaubte sie. Ich war sowieso schon erstaunt, dass sie mehr als eine Silbe an mich richtete. In den letzten Wochen hatte sie mich nur bedingt ertragen.

Okay, vielleicht lag das auch daran, dass wir einen nicht so netten Start hatten und ich bei ihrem plötzlichen Auftauchen sehr skeptisch war. Aber zu meiner Verteidigung: Ich hatte nur ein scharfes Mäuschen gesehen, das plötzlich an Elly interessiert war. Woher sollte ich denn wissen, dass sie Ellys beste Highschool-Freundin war? Es hätte ja auch eine irre scharfe Braut sein können!

»Okay, dann hier die Regeln!« Lynn verschränkte die Arme vor der Brust und ich zog eine Augenbraue in die Höhe.

»Regeln?«

»Ich muss früh raus und ich brauche lange, um einzuschlafen. Ich habe keine Lust, wegen dir nicht schlafen zu können!«

»Ach? Bist du schon so von mir fasziniert, dass du nicht schlafen kannst? Kribbelt es im Bauch? Schmetterlinge?«

Sie kniff sich den Nasenrücken, als wäre ich wirklich zu weit gegangen. Leider stachelte mich das nur noch weiter an.

»Eher Kolibakterien«, murmelte sie kopfschüttelnd.

»Die findet man nur im Darm«, erklärte ich ihr. Wieder schien es genau das Falsche gewesen zu sein, denn ihre Wangen röteten sich leicht.

»Hör auf, zu klugscheißen!«

Ich zuckte unschuldig mit der Schulter. »Klugscheißern habe ich früher die Leviten gelesen. Toilettenspülung, Mülleimer, alles Dinge, die ich gerne mit denen geteilt habe … Das, Lynn, ist mein Wissen, das ich aus drei Semestern Medizinstudium mitgenommen habe.«

Lynn öffnete überrascht den Mund, schüttelte aber dann wieder den Kopf. »Mir ist egal, was du mal gemacht hast. Wichtig ist, was du jetzt tust.« Wieder wollte ich etwas erwidern, aber sie hob schnell die Hand. »Ab 22 Uhr einfach etwas leiser sein, schaffst du das?«

»Und jetzt noch ein liebevolles und ernst gemeintes Bitte, dann kommen wir der Sache schon …«

Sie hatte sich schneller von mir entfernt und die Haustür zugeknallt, als ich bis drei zählen konnte.

Aber es war okay, dass sie weggegangen war, denn dabei hatte ich ihren Hintern in dieser engen Jeans begutachten dürfen.

Nichts gegen dich, Elly, aber Lynn verdient damit den Po-des-Jahres-Nobelpreis.

Lynn

»Ich bräuchte noch ein paar Kirschtaschen, Babette«, rief ich nach hinten in die Backstube, als der erste Ansturm heute endlich vorbei war.

»Alles klar!«, kam es von ihr und ich hörte sie weiterarbeiten.

Ich begann gerade, die ersten Tische zu putzen, als die Türglocke ertönte. Elly kam lächelnd herein.

»Na, wie läuft es?«, fragte meine beste Freundin aus Highschoolzeiten.

»Gut, einiges ist schon wieder ausverkauft. Babette sorgt gerade für Nachschub!«

Elly begrüßte Mrs. Applebie, die wie jeden Morgen die erste Kundin gewesen war und immer Stunden blieb, dann legte sie den Ordner für die Buchführung des letzten Monats zu uns. »Die Bücher sehen gut aus, ich muss aber auch gleich wieder los. Devon ist bei Eve und, na ja, er bekommt immer leichte Panik, wenn seine Tochter anfängt zu weinen, also alle fünf Minuten. Das Catering macht mich auch verrückt, ständig zeigen die uns noch schönere Desserts, noch schönere Gestecke. Es ist einfach unmöglich, sich so schnell zu entscheiden.«

Meine beste Freundin lachte scheinbar verzweifelt, aber es war nicht zu übersehen, wie glücklich sie war. Sie strahlte regelrecht. Den Terror der letzten Monate sah man ihr gar nicht mehr an, wenn man nicht wusste, was alles passiert war. In zwei Wochen war die Hochzeit der beiden und ich freute mich wahnsinnig für sie.

»Ihr schafft das schon«, sagte ich zuversichtlich. »Wir sehen uns dann morgen?«

»Eigentlich hatte ich gehofft, du würdest heute Abend zum Essen kommen.« Elly sah mich abwartend an. Sie starrte und starrte, als wären die Post und alles andere um uns herum egal.

»Klingt gut«, antwortete ich nach einer Weile.

»Super. Devon wird dich nachher natürlich nach Hause fahren.«

»Ich kann mir auch ein Taxi …«

Elly schüttelte vehement den Kopf. »Nichts da. Komm gegen sieben, ja? Bis nachher. Tschüss, Babette«, rief sie in die Backstube, dann winkte sie Mrs. Applebie noch zu und verschwand.

Ich sah ihr lange nach. Auch wenn wir über zehn Jahre keinen Kontakt gehabt hatten, war sie immer noch meine Elly. Die Elly, die mir den Halt gab, den ich zu Hause nie bekommen hatte.

Es war ein Wunder, dass wir uns wiedergefunden hatten. Das alles hätte auch ganz anders kommen können … Eigentlich hatte ich mir vorgenommen, nicht mehr darüber nachzudenken. Aber es war noch nicht die Zeit dafür. Wann würde ich je darüber hinwegkommen? Das war vielleicht auch das falsche Wort. Meine Vergangenheit war ein Teil von mir und würde es immer bleiben. Aber vielleicht würde ich in ein paar Jahren nicht mehr täglich an ihn denken.

»So, einmal der Kaffee für Sie.« Ich servierte Mrs. Applebie die Tasse mit dem dunklen Wachmacher und legte ihr gleich eine Zuckertüte dazu.

»Danke, Liebes.«

Ich arbeitete erst seit ein paar Wochen hier, aber Mrs. Applebie war schon meine Lieblingskundin geworden. Sie verbrachte Stunden in unserer Bäckerei und erzählte verdammt lustige Geschichten, dazu kam noch ihre Optik. Es interessierte sie nicht, wie sie aussah. Sie lebte so, wie sie wollte. Die Haare überdimensional hochtoupiert, gefühlte fünf Pfund Puder im Gesicht und sicherlich genauso viel Schmuck überall am Körper.

»Ach ja, Liebes. Ich sage dir, dieser Laden ist der perfekte Ort«, murmelte sie und nahm einen Schluck von ihrem Kaffee.

»Um genüsslich frühstücken zu können?«, hakte ich nach.

»Das auch, das auch. Aber jedes Mal, wenn ich aus dem Fenster schaue und so ein Prachtexemplar von Mann begaffen kann, wünsche ich mir, noch einmal vierzig Jahre jünger zu sein.«

Ich folgte ihrem Blick hinaus. Auf der anderen Straßenseite stand tatsächlich ein Mann: Lederjacke, Käppi auf dem Kopf. Seine Schultern waren breit, sein Hintern in dieser Jeans straff … Ja, er war wirklich attraktiv.

Plötzlich drehte sich besagter Mann um und ich verdrehte genervt die Augen.

»Oh, Devons Freund ist wirklich …«

»Ein Idiot«, beendete ich Mrs. Applebies Schwärmerei und verschwand wieder hinter die Theke.

»Was? Devons Freund? Na ja, ich würde ihn vieles schimpfen, aber einen Idioten? Hast du dir mal diesen Hintern angeschaut? Lecker. Weißt du, Ehemann Nummer zwei sah ihm ein bisschen ähnlich …« Und so begann eine weitere Rede über ihre Ehemänner, was mich etwas beruhigte.

Max irritierte mich. Nicht nur, weil er jetzt auch noch mein Nachbar war, sondern weil er mich nervös machte. Sobald er mit mir in einem Raum war, spürte ich ihn körperlich und das war etwas, das ich gerade überhaupt nicht gebrauchen konnte. Hatte ich schon erwähnt, wie mich seine große Klappe nervte? Nein? Gut, denn das war auch ein Problem. Mir gefiel es. Mir gefiel es, wenn er den Mund aufmachte, denn dann konnte ich kontern. Das durfte ich eine lange Zeit nie.

Seufzend legte ich das Besteck zur Seite und lehnte mich zurück. Eve hatte während des Essens eine ganze Weile auf meinem Schoß gesessen, gluckste jetzt und griff nach meinen Haaren.

»Sie ist so süß«, sagte ich grinsend und schloss die Arme um das kleine Mäuschen. Sie schlief fast schon.

»Sie ist ja auch Daddys Mädchen«, antwortete Devon grinsend.

Elly und ich ließen das mal unkommentiert.

»Komm, ich bring sie ins Bett, dann könnt ihr zwei … na ja, tratschen.« Devon gab Elly einen Kuss auf die Wange und nahm mir vorsichtig Eve ab. Dann ging er nach oben und wir waren allein.

»Er ist ein toller Mann, Elly«, stellte ich offen und ehrlich fest.

Devon war ein ehemaliger Underground-Boxer. Das sah man ihm auch an, und obwohl er groß und muskulös war, fühlte Elly sich wohl bei ihm. Man sah, dass er ihr niemals Schaden zufügen würde. Das beruhigte mich sehr.

»Was ist los?«, fragte sie plötzlich.

»Mmh?« Ich spielte gedankenverloren mit dem Salzstreuer herum.

Elly beugte sich vor und sah mich ernst an. »Bitte rede endlich mit mir, Lynn. Ich weiß, dass Andie dafür verantwortlich war, dass wir nach der Highschool keinen Kontakt mehr hatten. Aber was war danach? Ich bin Profi in diesen Dingen. Ich weiß, dass etwas nicht stimmt.«

Devons Neffe Henry, den die beiden mittlerweile adoptiert hatten, hatte mich als Erster Lynn genannt. Jetzt nannte Elly mich manchmal auch schon so. Darüber hätte ich lachen können, wenn es der Situation entsprochen hätte.

»Du hast etwas erlebt. Etwas Schlimmes.«

Ich sah auf. In ihrem Blick war weder Mitleid noch Wut zu sehen und damit kam sie mir mehr als nur entgegen.

»Du hast mal erwähnt, dass du verheiratet warst«, sprach sie weiter.

Ich nickte. Diese Information war mir aus Versehen herausgerutscht, aber es war verständlich, dass sie nachfragte.

»Wo ist er?«

Lange sah ich sie an. Ich wusste nicht, wie viel ich ihr erzählen konnte. Was würde sie über mich denken, wenn sie alles erfuhr? Was würde sich in ihrem Blick verändern? Würde sie mich verabscheuen oder mich fragen, warum ich mir das all die Jahre angetan hatte?

»Er ist tot.«

Drei Worte. Drei, die ich noch nie ausgesprochen hatte. Aber es war die Wahrheit. Er war tot und konnte mir nie wieder etwas tun. Die Hölle war vorbei, obwohl das Leben danach alles andere als einfach war. Ich schlief schlecht, es wurden nie mehr als ein paar Stunden am Stück und die restliche Nacht verbrachte ich damit, die Albträume zu verarbeiten.

»Oh Gott, das tut mir …«

Sie wollte meine Hände berühren, aber ich zog sie schnell vom Tisch auf meinen Schoß.

»Fynn verdient kein Mitleid, Elly.«

»Fynn?«

Ich konnte sehen, wie es sofort in ihr ratterte.

»Er war dein …«

Ich wusste es. Sie stellte sich dieselbe Frage, die mich seit Jahren nicht losließ. Wie konnte sie so dumm sein und ihn heiraten?

»Ich habe es in der Zeitung gelesen. Nicht nur, dass Andie tot ist, sondern auch, dass Fynn gestorben ist. Weil er versucht hat, dir wehzutun.«

Elly starrte mich einfach an, als wüsste sie gerade nicht mehr, wer hier vor ihr saß. Ich konnte es ihr nicht übel nehmen. Wer war ich? Ich wusste es nicht. Jedenfalls noch nicht …

»Was ist passiert, Lindsay?«, flüsterte sie mir zu.

Ja, was war passiert? Ich dummes Ding hatte alles und jeden gehasst. Die Welt war gemein zu mir gewesen und dann erschien da dieser gut aussehende Kerl, der mir alles versprach, was ich nie hatte. Liebe, Zuneigung, Vertrauen … Das Gefühl, nicht mehr allein sein zu müssen. Aber die Blase platzte.

»Als ich bemerkt habe, dass er nicht zurückkommt«, sprach ich das aus, was ich ihr zu diesem Zeitpunkt zu erzählen fähig war, »da bin ich einfach gegangen. Ich habe mein Geld zusammengekratzt, meine Sachen gepackt und … bin gegangen. Ich habe nicht mehr zurückgesehen, Elly. Eine Woche später las ich den Artikel in der Zeitung, über seinen Tod und Eves Geburt. Ich … ich weiß auch nicht. Das mit Andie hatte ich schon vor Monaten erfahren, aber ich war nicht frei. Nicht so frei wie jetzt.«

Elly nahm mich in den Arm, noch bevor ich die Situation wirklich erfassen konnte. Mein Puls hatte die ganze Zeit am Limit geschlagen und jetzt … jetzt fiel alles in sich zusammen.

Ich weinte nicht, aber ich litt. Ich litt leise, ich weinte still, weil ich es nie anders gekannt hatte. Und als würde das nicht reichen, erinnerte ich mich zurück. Zurück an die Hölle, die ich acht Jahre lang erleben musste …

Das Rührei war fertig, der Toast wartete geröstet im Toaster. Der Kaffee war auch schon in der Tasse. Jetzt fehlte nur noch …

Ich schaltete die Herdplatte aus, als ich den Stuhl hörte. Er saß. Ich atmete einmal tief durch, so wie jeden Tag. Dann drehte ich mich um und lächelte mein Siegerlächeln, welches ich über Jahre hinweg perfektioniert hatte.

»Guten Morgen, du kommst wie immer gerade richtig. Das Ei ist fertig.« Eigentlich war das die dritte Ladung Rührei. Die vorherigen würde er nicht mal mehr eines Blickes würdigen. Sie wären ihm zu kalt, zu geschmacklos.

Fynn sagte nichts, während ich ihm das Ei auf den Teller tat. Wie immer sah er aus, als würde er ins Büro gehen. Maßanzug, Krawatte vom Italiener, rasiertes Gesicht, gut geschnittene Haare. Kein Außenstehender würde glauben, was ich wusste.

Ich war schon dabei, den Kaffee zu holen, als er mein Handgelenk ergriff.

»Was ist das?«

»W-was?«

Er zog mich zu sich und roch an meinem Handgelenk. Oh Gott, nein!

Seine Miene verfinsterte sich und die Panik, die mein ewiger Begleiter war, stieg in mir auf.

»Parfum? Willst du mich eigentlich …«

Er stand mit solcher Wucht auf, dass der Tisch umfiel und alles mit zu Boden riss, was sich darauf befand. Mein Handgelenk begann zu schmerzen und ich krümmte mich, aber ich schrie nicht. Das tat ich nie, weil ich wusste, wie es ihn anstachelte.

»Für wen hast du es draufgemacht, du Flittchen?«

»Ich …«

Fynn schüttelte mich, ließ mein Handgelenk aber immer noch nicht los, sodass es irgendwann innerlich knackte. Diesmal stöhnte ich schmerzerfüllt auf.

»Weißt du, was ich mit Huren mache, die anderen schöne Augen machen? Weißt du das?«

Ich wusste es, aber zu meinem eigenen Schutz schüttelte ich den Kopf. Er ließ mich los. Ich fiel in die Essensreste und hielt meinen verletzten Arm fest.

»Ich ficke sie, bis sie nicht mehr wissen, aus welchem Loch sie bluten!« Er lachte nicht, er starrte mich an und machte mir damit noch mehr Angst. »Aber du hast Glück. Ryan braucht mich. Das vertagen wir und jetzt räum hier auf und wasch diesen Dreck ab. Du gehörst mir, vergiss das nicht!«

Fynn ließ mich allein zurück. Allein in den Resten seines Frühstücks und mit einem gebrochenen Handgelenk. Heute war unser Hochzeitstag. Eine kleine, naive und vor allem dumme Stimme in mir hatte auf einen guten Tag gehofft. Warum hatte ich mich nur für Parfum entschieden? Er hasste es. Vielleicht war das der Grund. Ich wollte, dass er ausrastete. Vielleicht würde er es endlich schaffen und mich einfach töten. Dann wäre das hier endlich vorbei …

Selbst nach dem Abendessen, als ich schon wieder zu Hause war, dauerten die Flashbacks an. Diese Situation beim Frühstück hatte sich tausendmal wiederholt. So oft, dass ich die Brüche und blauen Flecke nicht mehr zählen konnte. Jedes Mal sorgte er dafür, dass irgendein Arzt vorbeikam und mich notdürftig versorgte. Ich sah nie ein Krankenhaus oder andere Menschen. Er hielt mich gefangen. Gefangen als seine Frau und ich hatte es am Anfang nicht kommen sehen.

Weil ich wusste, dass mein Schlaf nur noch schlechter sein würde, wenn ich jetzt ohne Hilfsmittel ins Bett ging, nahm ich ein paar Schlaftabletten. Sie waren auf pflanzlicher Basis und nicht gesundheitsschädlich, aber wenigstens halfen sie mir.

Die Woche verging und Max hielt sich an unsere Absprache. Er war ruhig, ich bekam meinen Schlaf und lebte mich langsam wirklich ein.

»Okay, und wie viel Mehl war das noch mal?«, fragte ich Elly durch den Hörer. Ich war gerade dabei, zu Hause einige Rezepte nachzubacken, um Babette irgendwann entlasten zu können. Leider Gottes war ich nicht die beste Bäckerin.

»Du musst es erst durchsieben«, erklärte Elly und verwirrte mich dabei nur noch mehr.

»Durchsieben … okay, durchsieben«, murmelte ich vor mir hin und suchte in der verdammten Küche nach einem Sieb, während Elly sich halb totlachte.

Plötzlich hörte ich ein Poltern, das eindeutig aus Max’ Wohnung kam. Ich kümmerte mich nicht darum und suchte kopfschüttelnd weiter, bis ich tatsächlich ein Sieb gefunden hatte.

»Okay, und du erwartest jetzt tatsächlich, dass ich zwei Pfund Mehl durchsiebe …«

Elly gab zwar eine Antwort, aber es polterte wieder laut und so verstand ich nichts.

»Bleib kurz dran, Elly«, bat ich augenverdrehend. »Ich muss mal nachsehen, ob Max sich gerade umbringt.«

Mit dem Hörer in der Hand lief ich zu meiner Haustür und öffnete sie, als Cliff gerade aus Max’ Apartment kam. Er nickte mir grüßend zu, schüttelte aber dann den Kopf und murmelte vor sich hin. Ich glaubte, etwas wie »Bei so einem Schwachsinn mache ich nicht mit« zu hören.

Ich ignorierte Cliff und ging durch den Flur. Da er die Tür nicht richtig geschlossen hatte, konnte ich ungehindert hinein. Dann blieb ich wie vom Donner gerührt stehen.

»Ach du Scheiße.« Ungläubig starrte ich auf die Szene vor mir.

»Was ist los?«, drang Ellys neugierige Stimme aus dem Hörer.

Was los war? Ganz einfach: Max und Devon tanzten durch die Wohnung und stießen dabei immer wieder an Kisten und Möbel. Das erklärte den Lärm.

»Pass doch auf!«, meckerte Max seinen Tanzpartner an und rieb sich die Seite.

»Dann tritt du dir mir nicht ständig auf die Füße«, konterte Devon und schien ziemlich verzweifelt zu sein.

»Das wirst du mir niemals glauben«, murmelte ich zu Elly in den Hörer.

»Was denn?« Wie sollte ich anfangen? Zwei über eins neunzig große Typen in Jeans und Shirt tanzten gerade Walzer. Zumindest würde ich das jetzt raten. Die Schritte der beiden waren … Dafür gab es nicht mal mehr ein Wort.

Devon bemerkte mich zuerst und kam sofort auf mich zu. Ohne mich zu fragen, riss er mir den Hörer aus der Hand und hielt ihn sich ans Ohr. »Hey, Baby, du kannst später mit Lynn reden.« Dann legte er auf und gab mir das Telefon zurück.

»Sie wird dir den Arsch aufreißen«, kommentierte ich und Devon nickte, als wäre ihm das gerade lieber, als weiterzutanzen.

»Wie kommst du in meine Wohnung?« Max grinste mich an. Er stand noch immer dort, wo Devon ihn zurückgelassen hatte. »Hast du dir heimlich einen Zweitschlüssel machen lassen? Da hättest du doch nur fragen müssen, Lynn.«

Ich schüttelte den Kopf. »Cliff ist geflohen und hat die Tür dabei offen gelassen. Und da kann ich ihn sogar verstehen, ihr zwei tanzt beschissen. Was zum Teufel soll das?«

»Hey, ich tanze hervorragend«, konterte Max.

»Wir tanzen beschissen, Mann«, erklärte Devon ihm und schaute dann wieder mich an. »Er wollte mir helfen, weil sich Elly einen Hochzeitstanz wünscht und …«

»Du nicht tanzen kannst«, beendete ich den Satz für ihn.

Devon nickte und wirkte leicht zerknirscht. Obwohl er attraktiv war mit seinen dunklen Haaren und den beeindruckenden Muskeln, fand ich Max irgendwie heißer. Vielleicht lag es an seiner Art, mich wütend zu machen. Das hatte nicht mal mehr Fynn geschafft. Fynn war … Er war auch attraktiv gewesen und wusste, wie er mich um den Finger wickeln konnte, aber bei ihm hatte ich nie wirklich das Gefühl gehabt, dass er mich beschützen würde. Bei den Jungs hier sah das ganz anders aus. Dennoch achtete ich auf jedes Detail. Standen sie zu nah neben mir? Wurden sie schnell wütend?

Fynn hatte nach all den Jahren einiges in mir zerstört. Selbst meinen Willen, mich zu wehren.

»Ja, gut, aber so wirst du sie nicht beeindrucken können«, gab ich meine ehrliche Meinung dazu und sah mich um. Der ganze Raum war mit Kisten vollgestellt. »Und mit so wenig Bewegungsfreiheit kannst du auch keine Schrittfolgen tanzen.«

»Wenn das alles ist«, konterte Max schnaubend und begann, ein paar Kisten zu verschieben. Sofort wirkte das Wohnzimmer etwas größer.

»Du hilfst mir?«, fragte Devon hoffnungsvoll.

Ich seufzte, denn er erinnerte mich gerade echt an einen Welpen, dabei war Devon knapp zwei Köpfe größer als ich. Skurril. Wirklich skurril.

»Na, Max wird dir sicher nichts mehr beibringen können. Ich werde ihm jedenfalls nicht den Stock aus dem Arsch ziehen, damit er besser wird.«

Devon grinste, Max runzelte die Stirn.

»Hey! Ich war auf der Highschool Ballkönig und Alison Montgomery fand es übrigens toll, wie ich getanzt habe.«

Natürlich war der Typ mit den blonden Haaren, dem Knackpo und den blauen Augen Ballkönig geworden. »Lass mich raten«, gab ich zurück und legte nachdenklich den Kopf auf die Seite. »Alison Montgomery hatte mindestens ein Promille im Blut, als sie dir das gesagt hat?«

Devon musste plötzlich husten und Max’ Augen wurden immer kleiner. Oh ja, ich würde austesten, wie weit ich ihn reizen konnte.

Eine Stunde ging der Tanzunterricht inzwischen und tatsächlich: Devon Riley konnte einen Drei-Minuten-Walzer tanzen, ohne mir auf die Füße zu treten.

»Du kannst es«, versicherte ich ihm jetzt zum dritten Mal.

»Sicher?« Devon hatte die ganze Stunde über an Selbstbewusstsein gewonnen, aber jetzt schien er das alles wieder vergessen zu haben.

»Ganz sicher!«

Er holte tief Luft und grinste dann. »Ich glaube, du hast recht!«

»Gott im Himmel«, murmelte Max, der sich vor einer halben Stunde schon auf das Sofa gesetzt und irgendeinen Sportkanal angestellt hatte. Mittlerweile hatte er auch Chips und Bier geholt. »Wie oft willst du dir eigentlich noch von Lynn sagen lassen, wie geil du bist? Geh nach Hause, schlaf mit Elly und sei glücklich, dass diese Frau nicht bemerkt, was für ein Weichei du in Wirklichkeit bist.« Dabei sah er nicht mal zu ihm, sondern zum Fernseher.

»Er ist nur sauer, weil ich mit dir tanzen durfte«, grinste Devon und umarmte mich kurz. »Danke dir, ehrlich. Du hast mir den Arsch gerettet.«

Ich grinste, als wir uns voneinander trennten, und war wieder erstaunt, wie einfach es für mich war, Hautkontakt mit einem Mann zu haben.

»Das habe ich gehört«, murmelte Max und stopfte sich eine Handvoll Chips in den Mund.

»Ich werde mal gehen, Elly und die Kids warten. Danke noch mal, Lynn.«

»Kein Problem. Ich muss auch wieder rüber, da wartet ein neues Muffinrezept auf mich.«

»Muffins?« Max drehte sich zu mir um und musterte mich mit ernster Miene. »Mit Füllung? Mit Topping? Machst du auch diese bunten Streusel drauf? Sag schon!«

Irritiert schaute ich von Devon zu Max. Devon schüttelte den Kopf. »Er ist ein Muffinfan.«

»Tja, dann wird er sehr enttäuscht sein, zu hören, dass ich nur ganz bestimmten Menschen Muffins schenke.« Er brauchte ja nicht zu wissen, dass noch gar keine fertig waren.

Max runzelte die Stirn. »Und was heißt das jetzt?«

»Na ja, ich weiß auf jeden Fall, wer keinen bekommt.«

»Die Antwort wird mir nicht gefallen, oder?« Max schien es schon zu ahnen und ich grinste innerlich, während ich langsam zur Tür ging.

»Es werden nur die üblichen Randgruppen ausgeschlossen: Nachbarn, ehemalige Ballkönige und Kerle, die beim Tanzen einen Stock im Arsch haben!«

Devon lachte sich schlapp, ich hörte ihn sogar noch im Flur. Als ich meine Tür öffnete, sprach Max noch ein: »Das ist nicht witzig«, und ich fühlte mich wie eine Königin.

Kapitel 2

Max

Die Trauung war genau das, was ich erwartet hatte. Es waren eben Devon und Elly, die dort vor dem Altar endlich ihr Happy End bekamen. Es gab einige Schluchzer, einige Tränen und etwas zu lachen.

In der Kapelle und hier in dem kleinen Saal bei der Feier wusste jeder, was die beiden für Opfer bringen mussten, um diesen Tag endlich erleben zu können.

Ich saß an der Bar und genehmigte mir einen Drink, während die anderen alle entweder tanzten oder am Tisch mit jemandem plauderten. Das Brautpaar stand am anderen Ende der Bar und unterhielt sich gerade angeregt mit Cliff und seiner Frau. Auch dieser Scheißkerl hatte sein Happy End längst bekommen. Es hatte zwar erst mit Ryans Tod wirklich angefangen, aber er hatte es geschafft. Mit einer verdammt heißen Frau. Warum zum Teufel hatte dieser große, bärtige Wolf so eine zierliche und hübsche Frau abbekommen?

Ich sah nach oben und fragte ihn ganz bewusst. Als natürlich keine Antwort kam, schüttelte ich nur den Kopf und bedeutete dem Barkeeper mit einer Handbewegung, dass dieses Glas gefälligst nicht leer bleiben sollte. Sofort füllte er mir nach.

»Na, starker Mann?«

Ich verschluckte mich an einem zwanzig Jahre alten Scotch, als ich ihre Stimme hörte. Das sagte alles.

Amy, Devons Physiotherapeutin. Amy, meine erste offizielle Stalkerin. Wer hätte das vor wenigen Wochen gedacht? Sie wirkte so taff, so … Verdammt, hätte ich gewusst, dass die Tussi irre war, wäre ich niemals mit ihr … Okay, jetzt beschiss ich mich wirklich selbst. Die Frau war biegsam wie Gummi und ich hatte keine Ahnung, wie das sonst bei irren Bräuten ablief, aber wer irre im Kopf war, war anscheinend auch verdammt versaut im Bett.

Das war leider auch der Haken. Sobald ich gemerkt hatte, wen ich mir da ins Bett geholt hatte, wollte ich sie auch schleunigst wieder loswerden. Nur wurde man eine Amy offensichtlich nicht so einfach los.

»Amy, hey. Was machst du denn hier?«, fragte ich und trank einen Schluck von meinem Drink. Dabei suchte ich so unauffällig wie möglich Devons Blick. Dieser Pisser hatte uns bereits im Visier.

»Devon meinte, ich solle unbedingt zur Feier kommen. Ich hatte noch ein paar Patienten, deswegen bin ich erst …«

Der Rest ging unter, ich hörte einfach nicht mehr zu. Eher starrte ich meinen besten Freund an, der grinste wie ein verdammter Affe, der mir eins reinwürgen wollte. Er wusste ganz genau, dass sich Amy als irre herausgestellt hatte. Das sollte wiederum mir zum Verhängnis werden. Ich verarsche Devon schon seit Jahren. Kein Wunder, dass er es mir jetzt damit heimzahlen will.

»Hast du vielleicht Lust, zu tanzen?«

Sie sah echt heiß aus in ihrem kurzen und fast durchsichtigen Glitzerkleid, aber erstens wusste ich schon, was sich darunter befand, und zweitens hatte ich echt Schiss davor, irgendwann mit einem Messer in den Eiern aufzuwachen.

»Ich weiß, du hast Bindungsprobleme«, fuhr sie fort, als ich nicht sofort antwortete. Dabei strich sie mir über den Anzug.

Hatte ich die? Gut, wenn ich Single war, tobte ich mich regelmäßig aus, aber Bindungsprobleme? Die hatte ich nur, wenn mich eine Stalkerin zehnmal am Tag anrief. Man sollte vielleicht betonen, dass ich ihr nie meine Handynummer gegeben hatte.

»Und das mit uns ist noch ganz frisch«, redete sie weiter und öffnete tatsächlich einen meiner Hemdknöpfe.

Was war bitte daran frisch? Wir hatten uns über zwei Monate nicht mehr gesehen!

Als sie ihre Hand unter mein Hemd schieben wollte, stand ich ruckartig auf. Amy wirkte so irritiert wie ich. Was sollte dieser Scheiß?

Bevor ich mich aber wirklich dazu hinreißen ließ, ihr vor versammelter Mannschaft die Leviten zu lesen, kam mir ein Engel entgegen und zog all meine Aufmerksamkeit auf sich.

Lynn wollte schon an uns vorbeigehen, aber ich hielt sie mit einem beherzten Griff an den Hüften fest. Sie sah bezaubernd aus in diesem mokkafarbenen Kleid, auch wenn ihr Blick gerade mörderisch war.

»Was …«, setzte sie an, aber ich kam ihr zuvor.

»Darf ich dir meine Freundin vorstellen?«

Amys Augen wurden kugelrund. »Freundin?«

»Freundin?«, hakte auch Lynn nach und drückte mich ein Stück von sich weg.

»Ja, okay, wir wollten erst mal schauen, wohin das mit uns führt. Die Hochzeit ist unser erstes offizielles Date. Nicht wahr, Lynn?« Ich beugte mich zu ihr rüber, um es so aussehen zu lassen, als würde ich ihr einen Wangenkuss geben. »Bitte, du hast was gut bei mir«, flüsterte ich flehend. Dann entfernte ich mich wieder von ihr und ignorierte den leichten Vanillegeruch. Sie musste vor der Hochzeit noch in der Bäckerei gewesen sein.

Lynn sah mich lange an, dann setzte sie ein Lächeln auf, das selbst mir die Sprache verschlug. »Stimmt. Er hat mich wochenlang gebeten, mit ihm auszugehen. Als er dann den dritten Strauß Tulpen zu mir nach Hause geschickt und zum zweiten Mal vor meinem Schlafzimmerfenster mit der Gitarre You Say You Love Me gespielt hat …« Sie zuckte mit der Schulter und ich biss mir vor Scham auf die Unterlippe. »Ich konnte ihn einfach nicht mehr schmoren lassen, er war so süß und knuffig.«

Ich biss mir die Lippe blutig. Jepp. Scheiß drauf, wer brauchte schon ein Alibi. Ich würde Amy einfach sagen, dass sie …

»Oh Gott, tut mir leid … Ich wusste nicht, dass er …«

Amy schien wirklich geschockt von dieser Information zu sein. Meine Fresse, was erwartete sie denn? Wir hatten uns zwei Monate lang nicht gesehen. Theoretisch hätte ich wirklich schon eine Freundin haben können.

»Sie müssen wissen, ich habe mit ihm geschlafen. Das ist nicht mal einen Monat her.«

Irritiert sah ich Amy an. Wovon zum Teufel sprach sie bitte? Einen Monat? War ich dabei anwesend gewesen? Ganz sicher nicht.

»Wissen Sie …« Lynn berührte plötzlich meinen Rücken und presste sich dichter an mich heran. »… das mit uns ist erst … Ich weiß nicht, was meinst du, Schatz?« Sie sah mich an und schien wirklich darüber nachzudenken, während sie seelenruhig mein Hemd zuknöpfte. »Ich glaube, du hattest mir gesagt, dass du dieses sinnlose Herumvögeln satt hättest und etwas Echtes, etwas Besonderes erleben möchtest. Waren das nicht deine Worte? Ich glaube sogar«, sagte sie lachend, schlug mir sanft gegen dem Brustkorb und sah wieder zu Amy, »es war nach Ihrem Stelldichein. Merkwürdig, oder? Sie waren die Letzte in seinem Bett und dann offenbart er mir seine wahren Gefühle. Ist das nicht komisch?«

Amy brodelte vor Wut, aber ehrlich, ich hätte jetzt gerne unfassbar herzlich gelacht. Wenn mir meine Eier nur nicht so wichtig wären.

»Wenn ihr mich jetzt entschuldigen würdet. Mir wird schlecht.« Amy warf ihre Haare zurück und stolzierte davon.

»Bei diesem Kleid wäre mir auch übel geworden. Die Frau trägt nicht mal ein Höschen drunter.«

»Ehrlich?«, fragte ich nach und versuchte, noch etwas von Amys Hintern zu erkennen, aber sie war schon verschwunden.

Lynn schnaubte laut. »Du hast gerade versucht, diese Frau loszuwerden, Max!«

»Ich korrigiere«, sagte ich und hob die Hand, »wir haben nie von ihrem Hintern gesprochen.«

Lynn fuhr sich durch ihr leicht gelocktes Haar. Heute trug sie es offen. Mann, was für schöne Haare sie hatte und diese Frau roch nach Vanille. Nach Vanille! Jedes Mal, wenn Devon davon sprach, dass Elly immer so lecker nach Kirschtaschen und Keksen duftete, zweifelte ich ernsthaft an seinem Verstand. Aber der Vanillegeruch war echt nicht übel.

Im Gegensatz zu Amys war Lynns Kleid knielang. Obenrum wirkte es eher wie eine Bluse, untenrum lag es eng an. Mann, hatte diese Frau Hüften. Nicht zu schmal und nicht zu breit. Meine Hände hatten gerade schon Bekanntschaft damit gemacht und waren genauso begeistert.

»Ich sagte, du hattest also was mit ihr!«, hörte ich sie sprechen.

Hatte sie gerade schon mal was gesagt? Irgendwie passierte mir das mit der Unaufmerksamkeit öfter, wenn sie anwesend war.

»Einmal«, antwortete ich. Sie schnaubte und verschränkte die Arme vor die Brust. »Glaub mir, ich habe ihr ganz sicher nicht ein Happy End versprochen oder so was«, stellte ich schnell klar. »Sie wusste ganz genau, dass es keine Wiederholung geben würde.«