Laura und der Ring der Feuerschlange - Peter Freund - E-Book
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Laura und der Ring der Feuerschlange E-Book

Peter Freund

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Beschreibung

Laura erfährt durch den Drachen Gurgulius, dass ihre Mutter vielleicht doch nicht bei einem mysteriösen Autounfall ums Leben gekommen ist. Das Mädchen setzt alles daran, herauszufinden, was damals wirklich passiert ist. Wird ihre Mutter im düsteren Reich der Schatten gefangen gehalten? Doch dorthin gelangt Laura nur mit dem sagenumwobenen Ring der Feuerschlange – und an diesen zu kommen ist alles andere als einfach, denn die Dunklen warten nur auf den passenden Moment für ihre Rache. Und so steht Laura vor dem bislang gefährlichsten Abenteuer ihres jungen Lebens ... „Wer Harry Potter mag, der wird Laura lieben! Must-Have für alle Fantasy-Fans!” (Bravo Girl)

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Peter Freund

Lauraund der Ring der Feuerschlange

Roman

PrologDie fremde Frau

Es geschah in einer Mittsommernacht, viele Jahre vor Laura Leanders Geburt. Am wolkenlosen Himmel stand hell der Mond. Die Luft war mild und alles war ruhig. Nur ein sanfter Windhauch strich durch das Schilf am Rande des Drudensees. Das leise Rauschen der Blätter klang wie das Gewisper aufgeregter Nachtgeister über die spiegelglatte Wasserfläche, die im silbrigen Mondlicht glänzte.

Die kleine Insel ruhte friedlich inmitten des Sees. Die Büsche und Bäume, die sich dunkel gegen den Himmel abzeichneten, wiegten sich sacht in der nächtlichen Brise. Es waren keine Anzeichen von Leben zu entdecken. Weder Mensch noch Tier ließen sich sehen. Dafür stieg eine hell leuchtende Säule aus reinem Licht aus dem Zentrum des Eilands empor, die bis zum Firmament zu reichen schien. Diese magische Pforte war jedoch nur von den wenigen Eingeweihten zu erkennen, die um das große Geheimnis wussten, das der menschliche Verstand nicht zu erfassen vermag. Allen anderen, die nichts von der fantastischen Welt ahnten, die hinter der Oberfläche der Dinge verborgen lag, musste die Insel auch in dieser Nacht völlig unverändert erscheinen. Schließlich kannten sie weder den geheimen Weg, der den Menschenstern seit Anfang der Zeiten mit seinem Schwestergestirn verband, noch wussten sie, dass dieser nur in vier ganz besonderen Nächten des Jahres beschritten werden konnte. Doch selbst die Eingeweihten ahnten nichts von dem, was in dieser Mittsommernacht geschehen würde, und so wurde nicht ein Geschöpf Zeuge der Ereignisse, die das Schicksal von Laura Leander entscheidend beeinflussen sollten.

Die Nacht neigte sich bereits ihrem Ende zu, als eine Frau aus der Lichtsäule trat, die in die Unendlichkeit zu führen schien. Sie war jung und ihre schlanke Gestalt war in ein einfaches Gewand aus braunem Leinen gehüllt. Blondes Haar umrahmte ihr Gesicht und fiel bis auf die Schultern hinab. Analina verharrte einen Moment und kniff die Augen zusammen. Für kurze Zeit konnte sie nichts erkennen, denn sie war wie geblendet von dem gleißenden Licht im Tunnel, der sie auf die Erde geleitet hatte. Als sie endlich gewahrte, wo sie sich befand, dankte sie den Mächten des Lichts im Stillen. Die Gefahren der vergangenen Stunden lagen nun hinter ihr. Nur mit knapper Not war sie den Drachen entkommen. Um ein Haar hätte deren rasender Anführer, Gurgulius der Allesverschlinger, sie erwischt!

Analina schluckte und versuchte die entsetzlichen Erinnerungen aus ihrem Gedächtnis zu verbannen. Stattdessen betrachtete sie ihre Umgebung und damit die Welt, die von nun an ihre Heimat sein würde. Denn nach Aventerra würde sie nicht mehr zurückkehren können.

Nie mehr!

Es sei denn, sie wollte Bekanntschaft mit den Reißzähnen dieses doppelköpfigen Ungeheuers machen! Zudem hatte sie gegen die uralten Gesetze verstoßen und damit ihr Recht auf eine Rückkehr verwirkt.

Nicht weit von der Insel entfernt erhoben sich die von Efeu überrankten Mauern einer Burg. Das Gebäude mit dem zinnenbewehrten Turm an der Ostseite war Analina bestens vertraut. Bei früheren Reisen zum Menschenstern hatte sie Burg Ravenstein mehrmals besucht und wusste deshalb, dass dort Verbündete lebten.

Aber auch Feinde hatten sich dort eingeschlichen!

Dort würde sie also keinen Unterschlupf finden. Was allerdings auch gar nicht in ihrer Absicht lag. Sie hatte ihre Flucht aus dem Reich der Mythen ja sorgfältig geplant und wusste daher, an wen sie sich wenden konnte.

Bei dem Gedanken an den Mann, dem sie ihr ganzes Vertrauen schenkte, lächelte Analina zärtlich. Michael würde sicherlich überrascht sein, sie so schnell wiederzusehen. Doch dann würde seine Freude die Oberhand gewinnen.

Das jedenfalls hoffte sie.

Schließlich kannte er weder ihren richtigen Namen noch ihre Herkunft. All das hatte Analina ihm verschwiegen, um ihn nicht unnötig in Gefahr zu bringen. Sie würde das große Geheimnis auch weiterhin wahren müssen, selbst wenn es ihr das Leben auf dem Menschenstern erschwerte.

Wieder seufzte Analina leise. Dann aber lächelte sie. Mit der Zeit würde sie sich schon an die fremde Welt gewöhnen. An die seltsamen Sitten und Gebräuche der Menschen. Was blieb ihr auch anderes übrig? Dem Zorn der Drachen jedenfalls wollte sie sich nicht noch einmal aussetzen.

Andernfalls hätte sie dieses schreckliche Wesen sicher nicht um Hilfe gebeten! Aber leider hatte sie keinen anderen Ausweg gewusst. Es war die einzige Möglichkeit gewesen, ihr Leben zu retten. Sie hatte schließlich nicht ahnen können, dass diese hinterlistige Schlange sie hereinlegen würde.

Analina biss sich auf die Lippen. Ein banges Gefühl ergriff sie. Hatte sie wirklich die richtige Entscheidung getroffen – oder doch einen schweren Fehler begangen? Einen Fehler, der nie wieder gutzumachen war. Würde sie diesen Schritt eines Tages bereuen?

Die junge Frau schüttelte kaum merklich den Kopf. Sie fand keine Antwort auf diese Fragen. Sie konnte nur hoffen, dass sich alles zum Guten fügen würde. Vor allem aber musste sie alles daransetzen, dass sie das furchtbare Versprechen, das sie der Schlange gegeben hatte, niemals würde einlösen müssen. Die Folgen wären so entsetzlich, dass Analina nicht einmal daran zu denken wagte …

Kapitel 1Unheimliche Begegnungen

Während Laura Leander im Sattel ihres Schimmels dahinpreschte, fühlte sie sich so frei und leicht wie schon lange nicht mehr. Es war, als habe Sturmwind Flügel bekommen. Seine Mähne und der Schweif wehten wie seidene Schleier im Wind. Mit unbändiger Kraft stürmte der Hengst voran, als wolle er mit den Falken mithalten, die die milde Luft des Nachmittags auf der Jagd nach Beute durchmaßen. Die Umgebung raste an dem Mädchen vorbei wie ein unscharfer Film, so rasch durchquerte das Pferd die hügelige Landschaft um Ravenstein. Die Wiesen und Felder glichen einem verwaschenen, braungrünen Flickenteppich, aus dem die Wäldchen und Hecken, deren Laub in kräftigen Herbstfarben schimmerte, wie verschwommene kleine Inseln emporragten. Laura hätte nicht sagen können, wie lange sie schon unterwegs war – wenige Minuten erst oder schon mehr als eine Stunde. Sturmwind jedenfalls zeigte noch keinerlei Spuren von Ermüdung. Als wäre die Reiterin auf seinem Rücken federleicht, galoppierte er scheinbar mühelos mit dem Wind dahin.

Laura hing unbeschwert ihren Gedanken nach. Erst vor wenigen Wochen war sie heil und glücklich aus Aventerra zurückgekehrt. In den drei Monaten, die sie in der Welt der Mythen zugebracht hatte, hatte sie viele aufregende und gefahrvolle Abenteuer bestanden. Selbst aus dem größten und gefährlichsten von allen war Laura siegreich hervorgegangen: Sie hatte ihren Vater Marius aus der Gewalt des Schwarzen Fürsten Borboron befreit und war mit ihm wohlbehalten ins Internat auf Burg Ravenstein zurückgekehrt.

Welch großer Triumph – und welch unermessliches Glück!

Kein Wunder, dass ihre Freunde und Bekannten ihnen einen rauschenden Empfang bereitet hatten. Allen voran natürlich ihr ein Jahr jüngerer Bruder Lukas, der unendlich glücklich war, als sein Vater ihn in die Arme schloss. Auch Kaja Löwenstein, Lauras beste Freundin, hatte sich so sehr gefreut, dass sie im Überschwang der Gefühle Laura beinahe erdrückt hätte, um anschließend zur Feier des Tages gleich drei Tafeln Schokolade auf einmal in sich hineinzustopfen. Professor Aurelius Morgenstern, der Direktor des Internats und ehrenwerte Anführer der Wächter, war zwar weitaus zurückhaltender, aber nicht weniger froh gewesen, einen seiner besten Lehrer wieder begrüßen zu können. Miss Mary Morgain und Percy Valiant, die ebenfalls an der Internatsschule unterrichteten und dem verschworenen Bund angehörten, in den Laura am Tag ihres dreizehnten Geburtstags aufgenommen worden war, hatten die Rückkehrer herzlich willkommen geheißen. Attila Morduk, der letzte der Zwergriesen, Hausmeister von Ravenstein und ein unermüdlicher Helfer der Wächter, hatte sich vor Rührung immer wieder geräuspert. Neben ihm standen Mr Cool, Magda Schneider und viele andere Schüler und Schülerinnen des Internats, die Laura während ihrer Abwesenheit sehr vermisst hatten. Selbst Ronnie Riedel und Max Stinkefurz, die Laura eigentlich überhaupt nicht leiden konnten, schienen sich über ihre Rückkehr gefreut zu haben. Zumindest ein wenig. Nur Caro Thiele, ihre größte Rivalin in der Klasse, hatte eine verärgerte Miene gezeigt.

Auch Lauras Erzfeinde waren natürlich alles andere als begeistert gewesen. Allen voran Dr. Quintus Schwartz, Konrektor und Chemie- und Biologielehrer, der die Dunklen Kräfte von Ravenstein anführte. Oder Rebekka »Pinky« Taxus, die Mathematik und Physik unterrichtete und die engste Verbündete von Quintus war. Als Laura am Morgen des zweiundzwanzigsten September in Begleitung ihres Vaters Marius auf Ravenstein eingetroffen war, hatten beide aus ihrer Enttäuschung ebenso wenig einen Hehl gemacht wie Albin Ellerking, der verschlagene Internatsgärtner.

Die Erinnerung an ihre fassungslosen Mienen ließ Laura schmunzeln. Offensichtlich hatte keiner der Dunklen damit gerechnet, dass sie ihren Ausflug auf den geheimnisvollen Schwesterstern der Erde, von dessen Existenz die wenigsten Menschen etwas ahnten, lebend überstehen würde. Sie hatten wohl darauf gehofft, dass sie dem Schwarzen Fürsten Borboron, dem grausamen Anführer der Dunklen Mächte, in die Falle gehen und von ihm getötet werden würde. Oder dass sie zumindest ihrem Vater Marius würde Gesellschaft leisten müssen, der von dem Tyrannen über viele Monate im Verlies der Dunklen Festung gefangen gehalten worden war. Doch Laura hatte sich nicht überlisten lassen. Mit der Kraft des Lichts hatte sie selbst die heimtückischsten Finten der Feinde durchschaut und war ihnen am Ende entkommen.

Wie schon so oft in den letzten Monaten!

Dennoch – die Fehde war noch lange nicht vorbei. Allen bisherigen Niederlagen zum Trotz, würden sich die Dunklen Mächte niemals geschlagen geben und auch weiterhin alles daran setzen, um im Kampf gegen die Krieger des Lichts endlich die Oberhand zu gewinnen. Dann aber würde die Herrschaft des Ewigen Nichts anbrechen, und die Erde und Aventerra wären dem Untergang geweiht. Das aber durfte nicht geschehen.

Niemals!

Das Schnauben ihres Hengstes riss Laura aus ihren Gedanken. Sturmwind war in einen leichten Trab gefallen und lief nun über verstepptes Brachland dahin, auf dem hohe Gräser und Wildblumen wucherten und das auf beiden Seiten von lichten Hainen gesäumt war. Verwundert blickte Laura sich um. Die Gegend war ihr nicht vertraut. Offensichtlich war Sturmwind vom üblichen Weg abgewichen und hatte die nähere Umgebung von Ravenstein längst hinter sich gelassen. Die Sonne stand bereits tief am wolkenlosen Oktoberhimmel, sodass das Mädchen unwillkürlich auf seine Armbanduhr blickte. Laura erschrak: Schon so spät! Sie musste schleunigst umkehren und zurückreiten, wenn sie rechtzeitig am Hof von Bauer Dietrich ankommen wollte. In einer halben Stunde war sie dort mit ihrem Vater verabredet, um mit ihm nach Hohenstadt zu fahren. Sayelle Leander-Rüchlin, ihre Stiefmutter, hatte die ganze Familie gebeten, sich pünktlich zum gemeinsamen Abendessen im Bungalow einzufinden. Und nun hatte Laura sich so weit vom Stall entfernt, dass das selbst für den flinken Sturmwind kaum zu schaffen war.

»Oh, Mann«, murmelte Laura. »Sayelle wird bestimmt wieder Theater machen!«

Die Miene des Mädchens verdüsterte sich, selbst das helle Blau von Lauras Augen schien dunkler zu werden. Unwirsch schüttelte sie den Kopf, sodass die schulterlangen blonden Haare flogen, als wolle sie den Gedanken an die verhasste Stiefmutter wie eine lästige Bremse verscheuchen.

Laura zügelte ihr Pferd, um umzukehren, als sie bemerkte, dass sie den Fuß einer kegelförmigen Kuppe erreicht hatten, und erkannte, wo sie sich befand: Der Hügel lag auf dem Gemeindegebiet von Drachenthal und wurde von dessen Bewohnern ›Teufelskuppe‹ genannt. Er ähnelte der Erhebung, auf der Burg Ravenstein errichtet worden war, wurde im Gegensatz zu dieser jedoch nicht von einem mittelalterlichen Festungsbau gekrönt, sondern von einem alten Haus, dessen Konturen sich scharf vor dem Blau des Himmels abzeichneten. Das düstere Gebäude war ungefähr zur gleichen Zeit wie Ravenstein errichtet worden, stand aber im Gegensatz zu der Burg, die seit dem vorletzten Jahrhundert das gleichnamige Internat beherbergte und deshalb stets voller Leben war, seit langer Zeit leer. Laura konnte sich nicht daran erinnern, davon gehört zu haben, dass es jemals bewohnt gewesen wäre. Jetzt allerdings stieg eine deutlich sichtbare Rauchfahne aus dem Schornstein in den Himmel auf.

Seltsam, ging es ihr durch den Kopf. Wer traut sich denn in das alte Spukhaus?

Ohne dass sie hätte erklären können, warum, trieb Laura Sturmwind mit leichtem Schenkeldruck an und lenkte ihn näher. Schon kurze Zeit später hatten Pferd und Reiterin den Zaun erreicht, der das weitläufige Gelände umgrenzte. Er bestand aus dicken Metallstäben, die im Laufe der Jahre Rost angesetzt hatten. Sie waren übermannshoch und wurden von dolchähnlichen Spitzen gekrönt, die offensichtlich Eindringlinge abschrecken sollten. Hinter dem Zaun stand eine lichte Reihe alter Bäume – Eichen, Buchen und Ahorn. Als Laura durch die Baumstämme spähte, um einen Blick auf das alte Gemäuer zu erhaschen, stieg ihr mit einem Mal ein seltsamer Geruch in die Nase.

Es roch nach Feuer und Schwefel!

Überrascht blickte sich das Mädchen um: War in der näheren Umgebung vielleicht ein Brand ausgebrochen?

Auch Sturmwind schien der scharfe Gestank nicht entgangen zu sein, denn der Schimmel schnaubte ungehalten und begann unruhig zu tänzeln.

»Ruhig, mein Alter, ganz ruhig!«, flüsterte Laura dem Hengst ins Ohr, während sie seinen Hals tätschelte.

Doch es half nichts. Erneut schnaubte das Pferd und machte Anstalten zu steigen.

»Ho, ruhig! Nicht doch, Sturmwind. Lass das!«

In diesem Augenblick hörte Laura ein Fauchen. Verwundert sah sie auf – und erblickte eine Katze im Geäst der nahen Eiche. Sie war pechschwarz und bedeutend größer als die meisten ihrer Artgenossen.

Geradezu riesig!

Die rot glühenden Augen auf das Mädchen gerichtet, kauerte das Tier auf dem untersten Ast des Baumes. Das glänzende Fell war gesträubt, und der Schwanz bewegte sich wie eine Schlange unruhig hin und her. Ein erneutes Fauchen entblößte ein mächtiges Gebiss mit spitzen Eckzähnen – fast wie bei einem Vampir –, und heißer Feueratem schoss aus dem Maul.

Himmel!, durchfuhr es das Mädchen angstvoll, als das Monster auch schon sprang. Mit gefletschten Zähnen und ausgefahrenen Krallen flog die Bestie auf Laura zu.

Im letzten Augenblick machte Sturmwind einen Sprung zur Seite, sodass der Angriff ins Leere ging. Das Ausweichmanöver kam für Laura jedoch so überraschend, dass sie den Halt verlor und aus dem Sattel geschleudert wurde. Sterne explodierten vor ihren Augen und der Schmerz fuhr ihr wie ein heißes Messer in den Rücken, als sie hart auf den Boden prallte. Im ersten Moment konnte sie sich nicht bewegen.

Die Katze jedoch war längst wieder auf allen vieren und griff bereits ein zweites Mal an. Wütend fauchend näherte sie sich dem hilflos daliegenden Mädchen, entblößte erneut die messerscharfen Zähne und zeigte die spitzen Krallen, als wollte sie Laura zerfleischen.

Laura versuchte zurückzuweichen, doch es gelang ihr nicht. Sie war immer noch wie gelähmt. Sie konnte nur die Hände abwehrend vor das Gesicht legen und wartete verzweifelt auf den Angriff, als sie Sturmwind wiehern hörte. Im selben Moment entfuhr der Katze ein lauter Schmerzensschrei. Ein gewaltiger Huftritt hatte sie an der Schulter getroffen und sie meterweit durch die Luft gewirbelt.

Starr vor Entsetzen beobachtete Laura nun das sich überschlagende Tier. Ströme von Eiswasser schienen über ihren Rücken zu laufen und die Haare in ihrem Nacken richteten sich auf, so entsetzlich hallte der schrille Klagelaut in ihren Ohren wider: Er klang nicht im Geringsten wie das Miauen einer Katze. Sondern eher wie der Schrei …

… eines wütenden Menschen!

Das unheimliche Biest hatte sein Gleichgewicht kaum wiedergefunden, als es mit großen Sätzen erneut angriff.

Zornig wiehernd stellte sich Sturmwind der Bestie entgegen. Die Katze bremste ihren Lauf, sprang blitzschnell über den Zaun, erklomm die Eiche und bewegte sich geschmeidig wie eine schwarze Mamba über den untersten Ast auf das Mädchen zu. Schließlich verharrte sie und beobachtete ihr Opfer lauernd. Ein hämisches Grinsen verzerrte ihr Gesicht zu einer Höllenfratze – und als Laura wie hypnotisiert in die glutroten Katzenaugen schaute, wurde ihr übel. Es waren genau die gleichen Augen wie die ihres erbitterten Feindes.

Die Augen des Schwarzen Fürsten Borboron!

*

Es ging auf den Abend zu. Ein strahlend blauer Himmel spannte sich über der Welt von Aventerra. Fröhliches Vogelgezwitscher erklang im Raunewald. Die Blätter der alten Bäume raschelten im Wind. Emsige Silberbienen und goldgeflügelte Schmetterlinge flogen zwischen Büschen und Sträuchern umher, die sich unter den Früchten des späten Herbstes bogen. Der keckernde Ruf einer Swuupiemutter war zu hören, die ihren übermütigen Nachwuchs davor warnte, von den Speipilzen zu naschen, die zwischen den Baumstämmen standen. Die Pilze schmeckten zwar köstlich, verursachten aber schreckliche Magenschmerzen und Übelkeit. Wenn man zu viel davon aß, konnte man sogar daran sterben.

Morwena, die junge Heilerin von Hellunyat, hatte keinen Sinn für die Geräusche des Waldes. Sie hatte Hunger und Durst und war erschöpft. Schon vor dem Morgengrauen hatte sie sich von ihrem Lager erhoben und war mit ihrem Zweihorn Feenbraut in den Wald geritten, um Heilpflanzen, Kräuter und Beeren zu sammeln. Ihr Ausflug war zwar anstrengend, aber auch erfolgreich gewesen. Die prall gefüllten Sammelkörbe, die am Sattel des Zweihorns festgemacht waren, schaukelten im wiegenden Schritt des Reittieres, während Feenbraut nun heimwärts nach Hellunyat strebte. Das Tier war mit dem Weg vertraut, sodass Morwena gar nicht weiter darauf achtete. Sie konnte sich kaum noch im Sattel halten und wünschte sich nichts sehnlicher als einen erfrischenden Schluck Drachendistel-Sud. Das Gebräu schmeckte zwar gallebitter, half aber rasch über Erschöpfung hinweg.

Mit einem Male verharrte das Zweihorn und ließ ein störrisches Schnauben hören.

»Was ist los?«, fragte die Heilerin. »Jetzt stell dich nicht so an! Es ist nicht mehr weit bis zur Gralsburg. Die paar Meilen wirst du auch noch schaffen.« Damit trieb sie das Tier mit sanftem Schenkeldruck an.

Feenbraut jedoch verweigerte den Gehorsam. Das Zweihorn blieb einfach stehen und schnaubte erneut. Während die langen Ohren unruhig hin und her spielten, senkte und hob es aufgeregt den Kopf und begann zu tänzeln.

»Jetzt ist es aber gut«, schalt Morwena, bis sie begriff, was Feenbraut so in Aufregung versetzte:

Kaum zwanzig Schritte von ihnen entfernt stand ein Tier! Reglos verharrte es im Schatten einer mächtigen Torkelweide und blickte zu ihnen herüber.

»Bei den Mächten des Lichts!«, rief die Heilerin verängstigt.

Es war ein Einhorn, pechschwarz und mit einem flammend roten Horn auf der Stirn. Das Geschöpf bot nicht nur einen bedrohlichen Anblick, sondern hatte Aventerra und den Krieger des Lichts auch stets Unheil gebracht.

Der Unglücksbote schien sich an der Gegenwart der Heilerin nicht zu stören. Dabei waren Einhörner äußerst scheue Tiere, die schon beim kleinsten ungewohnten Laut davonstürmten, sodass man sie nur selten zu Gesicht bekam. Das schwarze Einhorn jedoch beäugte die Reiterin in aller Ruhe, bevor es sich gemächlichen Schrittes ins Dickicht zurückzog.

Morwena schluckte verstört. Was mag das nur bedeuten?, fragte sie sich. Dann vernahm sie mit einem Male Geräusche auf der anderen Seite des Waldweges, dem sie seit geraumer Zeit folgte.

Eine dunkle Gestalt trat zwischen den Bäumen hervor. Sie war in einen schwarzen Umhang gekleidet, der bis auf den Boden reichte. Eine Kapuze verhüllte das Gesicht fast vollständig. Nur die unnatürlich hellen Augen waren zu erkennen, die wie Totenlichter flackerten. Als sich der Unbekannte näherte, erkannte Morwena, dass er ein Schwert trug.

»Schnell, Feenbraut«, flüsterte die Heilerin dem Zweihorn ins Ohr, »lauf so schnell du kannst!« Dabei riss sie die Zügel herum, um das Reittier zu wenden und in rasendem Galopp davonzupreschen – doch es war bereits zu spät: Direkt hinter ihr tauchten zwei weitere Gestalten auf. Morwena schrie auf vor Grauen, denn sie blickte in die entstellten Gesichter von Toten.

Blitzschnell griffen die unheimlichen Kapuzenmänner nach ihr und zerrten sie aus dem Sattel.

*

Die Katze fauchte und zeterte höllisch, giftigen Feuerodem verströmend. Ihr Schwanz peitschte die Rinde vom Ast. Die Bestie spannte die Muskeln, die sich deutlich unter dem Fell abzeichneten, und setzte zum Sprung an.

Laura wollte sich zur Seite werfen, während Sturmwind auf die Hinterbeine stieg, um den Angriff abzuwehren. Für den Bruchteil einer Sekunde war Laura ungeschützt.

Die Katze nutzte diesen Augenblick. Mordgier funkelte in ihren Augen, als sie auf Laura zuflog.

Die warf sich im letzten Moment herum und entging dadurch den Krallen nur um Haaresbreite.

Erneut setzte die Bestie zum Sprung an, da erklang lautes Hufgetrappel hinter Laura – und schon landete ein schweres Geschoss direkt vor dem Angreifer. Ein Metallbolzen! Ungläubig sah Laura, wie die Katze über den Zaun setzte, in langen Sätzen den Hügel hinaufhetzte und auf das alte Gemäuer zuhielt, bis eine dichte Strauchgruppe sie den Blicken entzog.

Überrascht drehte Laura sich um. Sie erblickte einen Reiter, der im wilden Galopp heranstürmte: Percy Valiant und sein Schimmel Salamar! Ihr Sportlehrer hielt eine mächtige Armbrust in der rechten Hand, deren Beschläge im Licht der Sonne aufblitzten.

Der blonde Mann sprang aus dem Sattel, hängte die Waffe an den Sattelknopf und half Laura auf. »Isch ’offe, du ’ast die Attacke dieses Unge’euers wo’lbe’alten überstanden, Mademoiselle Laura?«, sprudelte er mit seinem unnachahmlichen Akzent hervor. »Wie, um ’immelswillen, ’at siisch dieser überaus schändliische Angriff denn zugetragen?«

Laura reckte vorsichtig die Glieder. Ein Glück – offensichtlich hatte sie den Sturz glimpflich überstanden. Kopfschüttelnd lauschte der junge Lehrer ihrem Bericht. »Das alles dünkt miisch schleschterdings unbegreifliisch«, sagte er dann. »Wann ’ätte man schon davon ge’ört, dass eine Katze – und sei sie noch so groß! – einfach mir niischts dir niischts ein menschliches Wesen attackiert? Noch dazu ein so ’armloses und friedliebendes Geschöpf wie diisch, Laura? Was mag sie nur dazu bewogen ’aben?« Der Sportlehrer kniff die Augen zusammen. »Du ’ast sie doch niischt etwa provoziert?«

»Aber nicht doch!«, empörte sich das Mädchen. »Keine Ahnung, warum sie das gemacht hat. Es war wirklich so: Der Angriff kam wie ein Blitz aus heiterem Himmel.«

Percy verzog das Gesicht. »Niischts geschie’t o’ne Grund, Laura«, widersprach er. »Selbst wenn er sisch auf den ersten Blick niischt erschließen mag. Das solltest du inzwischen doch gelernt ’aben, n’est-ce pas?«

»Vielleicht hatte sie ja Tollwut?«, überlegte Laura. »Die Seuche grassiert doch im Moment bei den Wildtieren hier in der Gegend. Oder sie …« Plötzlich hielt das Mädchen inne und schnupperte.

»Was ist los?«, wunderte sich Percy.

»Eigenartig«, murmelte das Mädchen. »Dieser Geruch – er ist plötzlich verschwunden.«

»Dieser Ge…?«

»…ruch, ja«, sagte Laura und nickte. »Vorhin hat es hier ganz deutlich nach Feuer und Schwefel gestunken!«

Der Lehrer antwortete nicht. Der Blick, den er dem Mädchen zuwarf, zeigte allerdings deutlich, dass er starke Zweifel hegte.

Während Percy den Armbrustbolzen aufhob, blickte Laura grübelnd hinauf zu dem Haus auf dem Hügel. Ob die Katze wohl dem neuen Bewohner gehört?, fragte sie sich. Und ob der weiß, dass sein Haustier ein gefährliches Monster ist? Vielleicht sollte man ihn verständigen, damit er die Katze vom Tierarzt untersuchen ließ? Denn einen anderen Grund als Tollwut konnte es für dieses rätselhafte Verhalten nicht geben.

Oder vielleicht doch?

»Iisch finde, wir sollten uns langsam auf den Nach’auseweg machen«, mahnte Percy – und da fiel Laura die Verabredung mit ihrem Vater wieder ein.

Meine Güte! Sayelle würde sicher ein Riesentheater veranstalten!

Hastig ergriff Laura Sturmwinds Zügel und schwang sich in den Sattel.

Bevor Percy Valiant ebenfalls aufsaß, löste er die Armbrust vom Sattelknopf und schlüpfte in die Schultergurte.

»Sieht ja richtig toll aus!«, sagte Laura in ehrlicher Bewunderung. »Ich wusste gar nicht, dass du so was besitzt.«

»Was niischt weiter verwunderliisch ist, vere’rte Mademoiselle.« Ein spitzbübisches Lächeln spielte um Percys Lippen. »Iisch ’abe die Waffe nämliisch erst letzte Woche im Internet ersteigert. Sie ist ’eute angeliefert worden. Angebliisch ’andelt es siisch um ein ’istorisches Stück, wie es in der Armee des ’ochwohlgeborenen Königs Rischard Löwen’erz gebräuschliisch gewesen sein soll.«

»Echt?« Laura runzelte die Stirn. »Und das glaubst du?«

»Natürliisch niischt«, antwortete der Lehrer und hob die Schultern. »Aber ob nun ’istorisch oder niischt – mir gefällt diese arbalète, wie sie in meiner Muttersprache genannt wird, auch so. Sie ist fürwa’r ein Prachtstück, und des’alb biin iisch überaus fro’ darüber, dass iisch sie ’abe. Und du solltest das auch sein!«

Verwundert zog Laura die Brauen hoch. »Ich?«

»Naturellement!«, bekräftigte Percy Valiant. »Wenn iisch sie nämliisch niischt unbedingt ’ätte ausprobieren wollen und deshalb niischt auf Salamar ausgeritten wäre – wer weiß, wie dein rendez-vous mit dieser schwarzen Bestie ausgegangen wäre!«

*

Morwena wehrte sich aus Leibeskräften. Sie biss, kratzte und trat um sich – doch es half alles nichts. Die Totengesichter ließen nicht von ihr ab. Die heftige Gegenwehr der Heilerin schien die Gier ihrer Gegner nur noch mehr anzufachen. Sie bildeten einen Kreis um die junge Frau und stießen ihr Opfer herum, als sei es nichts weiter als ein Spielball.

»Na – wer soll sich deiner annehmen?«, zischten sie. »Such dir einen von uns aus!«

Plötzlich nahte trommelnder Hufschlag, und nur Augenblicke später preschte ein Reiter auf einem Schimmel heran.

Noch bevor sein Streitross zum Stehen kam, sprang der Ritter in der weißen Rüstung aus dem Sattel. »Ihr elenden Feiglinge!«, schrie er wutentbrannt. »Sich an einer wehrlosen Frau zu vergreifen! Lasst sehen, wie mutig ihr seid, wenn ihr richtig kämpfen müsst!«

»Paravain!«, schluchzte Morwena erleichtert. Doch der Anführer der Weißen Garde schien ihre Gegner nicht zu beeindrucken. Im Gegenteil: Morwena sah nur in grinsende Gesichter, während die Kapuzenmänner unter die Umhänge griffen und die Schwerter zogen.

Schon prasselten Paravains Schwerthiebe wie ein stählernes Gewitter auf die Dunklen Krieger herab. Doch zu seinem Schrecken musste er erkennen, dass sein Angriff keinerlei Wirkung zeigte. Selbst als er einem der Gegner die Waffe direkt ins Herz rammte, lächelte der ihn nur müde an und höhnte: »Und nun, du Narr? Glaubst du wirklich, dass du uns töten kannst?«

Da wusste Paravain, mit wem er es zu tun hatte: mit Schattenkriegern!

Toten, denen selbst das schärfste Schwert nichts anhaben konnte.

Der Recke ließ das Schwert sinken, stellte sich schützend vor Morwena und ergriff ihre Hand. »Es tut mir leid«, sagte er leise. »Ich hätte dir so gerne geholfen. Aber gegen Verblichene vermag selbst der tapferste Mann nichts auszurichten.«

»Hab Dank für deinen Mut und deine Hilfsbereitschaft«, flüsterte Morwena mit erstickter Stimme und lächelte unter Tränen. Sie legte den Kopf an seine Brust. »Wenigstens werden wir nun gemeinsam ins Ewige Nichts eingehen.«

Die drei Gestalten lachten hämisch. »Bringen wir es hinter uns!«

Morwena und Paravain glaubten bereits die Klingen zu spüren – da zuckten die Schattenkrieger wie vom Blitz getroffen zusammen. Röchelnde Laute entrangen sich ihren Kehlen – und sie zerfielen zu Staub. Nur Augenblicke später starrten der Weiße Ritter und die Heilerin ungläubig auf drei schwarze Umhänge und drei Häufchen Asche.

Kapitel 2Ein teuflisches Gerücht

Als Laura und Percy auf dem Bauernhof von Nikodemus Dietrich ankamen, wurden sie von Marius Leander bereits ungeduldig erwartet.

»Wo bleibst du denn?«, empfing er seine Tochter vorwurfsvoll. »Wir haben Sayelle doch fest versprochen, pünktlich zum Essen zu Hause zu sein. Du weißt doch, wie sie ist!«

Während Laura ihren Hengst absattelte und trocken rieb, erzählte sie dem Vater von der gefährlichen Begegnung mit der schwarzen Katze. Als Percy ihren Bericht bestätigte, war Marius’ Ärger schlagartig verflogen. Der Zwischenfall schien ihn sehr zu beunruhigen, wie seine besorgte Miene zeigte.

»So etwas ist doch äußerst ungewöhnlich.« Nachdenklich fuhr sich Lauras Vater mit der Hand durch die dunklen Wuschelhaare. »Findest du nicht auch, Percy?«

»Durschaus!« Der Sportlehrer nickte mit ernstem Gesicht. »In der Tat ’abe iisch in meinem ganzen Leben noch niemals von einem derartiischem Vorkommnis ge’ört. Andererseits …« Er wandte den Blick dem Mädchen zu. »Vielleischt ’at Laura ja rescht mit i’rer Vermutung. Tollwütige Tiere ver’alten siisch doch völliisch unbereschenbar – und es wäre niischt das erste Mal, dass sie sogar Menschen attackieren!«

»Mag sein«, ertönte da eine sonore Stimme aus dem Hintergrund. »Aber vielleicht hat das alles auch einen ganz anderen Grund?«

Laura fuhr herum und blickte Nikodemus Dietrich fragend an. Der Bauer, ein kräftiger Mann Mitte sechzig, der blaue Arbeitskleidung trug, lehnte in der offenen Tür des Pferdestalls. Eine Pfeife hing in seinem Mundwinkel, aus der Rauchwölkchen aufstiegen. Der würzige Duft des Tabaks mischte sich mit den vertrauten Gerüchen von Tieren und Stroh, die durch die Stalltür auf den Hof drangen. Das Stampfen von Hufen und das Mahlen von Kiefern, die das Heu aus den Raufen rupften, waren zu hören.

»Was willst du damit sagen?«, fragte Laura verwundert. Wie alle anderen Wächter duzte sie auch Nikodemus, wenn sie unter sich waren.

»Nun«, hob der Bauer an und zog an seiner Pfeife. »Hast du noch nie die Gerüchte gehört, die hier in der Gegend im Umlauf sind?«

»Du meinst …« – Laura zögerte einen Moment –, »… dass es in dem Haus auf der Teufelskuppe spuken soll?«

»Genau!« Der Bauer nahm die Pfeife aus dem Mund. »Aber kennst du auch den Hintergrund dieses Schauermärchens?«

Ratlos schüttelte Laura den Kopf. Sie wandte sich zu ihrem Vater um und blickte ihn an. Doch der schien die Antwort ebenso wenig zu kennen wie Percy Valiant.

»Wisst ihr das wirklich nicht?«, wunderte sich der Bauer und zog ein weiteres Mal an seiner Pfeife, bevor er die schaurige Legende zum Besten gab.

Schon vor Hunderten von Jahren, so erzählte Nikodemus, seien Gerüchte aufgekommen, dass der Teufel ein gern gesehener Gast in dem Haus auf dem Hügel sei. Aus diesem Grunde habe die Erhebung damals auch ihren Namen erhalten: Teufelskuppe. Angeblich hatte der damalige Hausbewohner einen Pakt mit Satan geschlossen und diesem seine Seele versprochen, wenn er ihm zu Wohlstand verhelfen würde. Schon kurz darauf gehörte der Mann zu den reichsten Menschen des Landes, doch dafür musste er später einen entsetzlichen Preis zahlen: Eines Nachts, als ein gewaltiges Unwetter mit zuckenden Blitzen und grollendem Donner über dem Haus tobte, klopfte nämlich der Teufel an seine Tür und erinnerte ihn an die Vereinbarung, die sie abgeschlossen hatten. Alles Jammern und Klagen half nichts: Satan nahm die versprochene Seele des Mannes in Besitz, die seitdem in der Hölle schmorte.

»Das ist doch nur ein dummer Aberglaube, oder?«, fragte Laura zaghaft, als der Bauer geendet hatte.

Nikodemus hob die Brauen. »Ich berichte nur, was man sich in Drachenthal so erzählt. Welche Schlüsse du daraus ziehst, ist ganz alleine deine Sache.« Für einen Moment blickte er versonnen vor sich hin. »Interessant ist allerdings«, fuhr er dann fort, »und damit komme ich auf deine Begegnung mit dieser Katze zurück: Verständlicherweise hatte der Teufel kein Interesse daran, dass Außenstehende seine Anwesenheit bemerkten. Deshalb hat er sich dem Gebäude stets in der Gestalt einer großen schwarzen Katze genähert – das wird jedenfalls behauptet. Auch an dem Tag, an dem der damalige Besitzer auf Nimmerwiedersehen verschwand, hat man angeblich ein solches Tier auf der Teufelskuppe gesehen.«

»Reine Einbildung«, brummte Marius, obwohl seine angespannte Miene verriet, dass ihn die Erzählung sehr wohl beunruhigte. »Oder vielleicht ist an diesem Tag rein zufällig eine schwarze Katze dort herumgeschlichen.«

Bauer Dietrich schenkte der Bemerkung keine Beachtung. »Der damalige Handel soll dem Satan jedenfalls so gut gefallen haben, dass er sich seitdem regelmäßig auf der Teufelskuppe auf die Lauer legt, um nach weiteren Opfern Ausschau zu halten. Ob er noch mehr dieser Teufelspakte abschließen konnte, darüber wird nichts berichtet. Allerdings …« – Nikodemus machte eine Pause, um seine Zuhörer ein wenig auf die Folter zu spannen – »… sind im Laufe der Jahre tatsächlich einige Menschen in der Umgebung der Teufelskuppe spurlos verschwunden. Und jedes Mal wurde dort zuvor eine schwarze Katze gesichtet. Sie war nicht nur riesig groß, sondern hat auch nach Feuer und Schwefel gestunken – wie das beim Teufel ja ebenfalls der Fall sein soll.«

»Was?« Laura war kreidebleich geworden. »Ist das wirklich wahr?«

»Keine Ahnung!« Wieder führte Nikodemus die Pfeife zum Mund. »Wie schon erwähnt: Ich gebe nur das wieder, was man sich hier erzählt. Mir persönlich ist eine solche Katze noch nicht begegnet – und deshalb kann ich auch nicht beurteilen, ob an den Gerüchten etwas dran ist oder nicht. Tatsache allerdings bleibt, dass in dieser Gegend mehrere Leute spurlos verschwunden sind. An das letzte Mal kann ich mich sogar noch recht gut erinnern.«

»Wirklich?« Laura sah ihn wie gebannt an. »Wann war das denn?«

»Das ist noch gar nicht so lange her«, antwortete der Bauer und wandte den Blick zum Himmel, der sich bereits dunkler färbte. Der Wind frischte auf und Laura fröstelte. Sie zog den Reißverschluss ihres Anoraks zu und steckte die Hände in die Taschen. »Es war vor acht Jahren, fast auf den Tag genau«, fuhr Nikodemus Dietrich fort. »Etwa zur gleichen Zeit, als ihr beide, deine Mama und du, verunglückt seid.« Er drehte den Kopf und schaute Marius an. »Erinnerst du dich nicht mehr?«

»Nur vage. Ich weiß zwar noch, dass jemand vermisst wurde, aber ich hatte damals ganz andere Sorgen …« Lauras Vater zuckte mit den Schultern.

»Ja, natürlich.« Der Bauer legte Marius tröstend die Hand auf die Schulter, eine mächtige Pranke, der man die Spuren harter körperlicher Arbeit ansah. »Es tut mir leid, dass ich wieder an der alten Geschichte gerührt habe.«

»Kein Problem.« Marius lächelte gequält. »Auch wenn es uns allen nahezu unmöglich schien – wir mussten uns schweren Herzens damit abfinden, dass Anna tot ist.«

Niemals!, schoss es dem Mädchen durch den Kopf. Damit werde ich mich nie im Leben abfinden!

Trotzig kniff Laura die Augen zusammen. Wieder musste sie an die Worte denken, mit denen der doppelköpfige Drache sie in Aventerra verabschiedet hatte: »Ich wünsche Euch aus ganzem Herzen, dass Ihr das Geheimnis, das Eure Mutter umweht, auch noch zu lösen vermögt.« Dieser Satz ging ihr nicht mehr aus dem Kopf. Je länger sie darüber nachdachte, umso größer wurde ihre Hoffnung, dass Anna Leander bei dem rätselhaften Unfall vor acht Jahren vielleicht doch nicht ums Leben gekommen war. Warum sonst hätte der Drache von einem Geheimnis gesprochen, das sie umwehte?

Das musste doch einen Grund haben!

Laura war längst fest entschlossen, das Rätsel zu lösen – und niemand würde sie daran hindern können!

»Man verzei’e mir meine Frage«, drangen Percys Worte an ihr Ohr. »Aber iisch ’atte damals leider noch niischt das Vergnügen, als Le’rer an dem e’renwerten Internat Ravenstein unterrischten zu dürfen. Des’alb besitze iisch keinerlei Kenntnisse über die Gesche’nisse von damals. Wenn du also die große Güte ’aben würdest, meine diesbezügliischen Wissenslücken aufzufüllen, hochvere’rter Nikodemus?«

Der Bauer schmunzelte. Obwohl er den Sportlehrer nun schon geraume Zeit kannte, schienen dessen ulkiger Akzent und die eigenwillige Ausdrucksweise, die Percy sich durch die leidenschaftliche Lektüre mittelalterlicher Ritterromane angeeignet hatte, ihn immer noch zu erheitern.

»Es wird mir ein Vergnügen sein, mein Lieber.« Nikodemus deutete eine Verbeugung an, auch wenn die eher ironisch gemeint war. »Einige Tage vor Annas Unfall ist eine junge Frau aus Drachenthal verschwunden. Sie wurde zuletzt in der Nähe der Teufelskuppe gesehen. Und was das Merkwürdige ist: Der Zeuge, der ihr als Letzter begegnet ist, will kurz darauf auch eine Katze beobachtet haben. Ein riesiges schwarzes Tier, das nach Schwefel roch – so jedenfalls hat er es bei der Polizei zu Protokoll gegeben!«

Laura schluckte. War es möglich, dass sie auf dieselbe Katze getroffen war? Sie wusste zwar nicht genau, wie alt Katzen werden können – aber acht Jahre bestimmt. Es war also keineswegs ausgeschlossen, dass das Tier von damals noch am Leben war. Vorausgesetzt, dass es nicht der Fantasie dieses Zeugen entsprungen war, sondern dass er tatsächlich eine Katze gesehen hatte. Vor dem Hintergrund der Gerüchte durfte dies durchaus bezweifelt werden. Eins jedoch war sicher: Die Katze, die auf der Teufelskuppe wie eine wütende Bestie auf sie losgegangen war, hatte nach Feuer und Schwefel gestunken – da war jeder Irrtum ausgeschlossen.

Als Laura Sturmwind in den Stall führte, fiel ihr noch etwas ein.

»Unsere Feinde, die Dunklen – die haben nicht zufällig mit dieser Schauergeschichte vom Teufel und der Katze zu tun?«, fragte sie den Bauern.

Nikodemus schüttelte den Kopf. »Nicht, dass ich wüsste. Jedenfalls habe ich nichts Derartiges gehört. Obwohl: Denen ist alles zuzutrauen!«

*

Selbst als bereits die rettenden Mauern von Hellunyat vor Morwena und Paravain auftauchten, stand die Heilerin immer noch unter Schock. Ihr Antlitz war blass, als sie sich an Paravain wandte. »Glaubst du wirklich, dass die Schattenkrieger die Unterwelt unerlaubt verlassen haben?«

»Aber natürlich, Morwena.« Der Ritter klang entschieden. »Eine andere Erklärung ist nicht denkbar.«

Die Heilerin schluckte. Sie wusste um die besonderen Gesetze, die in der von Taranos regierten Schattenwelt herrschten: Jeder Verstorbene, der sein Totenreich betrat, erhielt einen Schluck Wasser aus dem Fluss Helet zu trinken, der den See des Vergessens speiste. Schon der kleinste Tropfen ließ die Erinnerung an alles verblassen, was einmal gewesen war. Die Toten wurden so zum Schatten ihrer selbst, was ihnen den Aufenthalt an dem finsteren Ort erst erträglich machte. Denn wer sich an nichts mehr erinnert, kann auch nichts vermissen. Es war den Schatten strengstens untersagt, das Reich von Taranos gegen dessen Willen zu verlassen. Zudem wurde die Pforte strengstens bewacht. Wem es dennoch gelang, sich in die Welt der Lebenden zurückzuschleichen, dem drohte eine schwere Strafe. Sobald Taranos die Flucht entdeckte, hob er die Wirkung des Trankes auf – was schreckliche Folgen hatte: Der Schatten musste seinen eigenen Tod ein zweites Mal erleben und zerfiel in Sekundenschnelle zu Staub – wie es dem Schicksal des vergänglichen Körpers entsprach.

Und genau das war im Raunewald geschehen!

Ängstlich blickte die Heilerin den Ritter an. »Ich hoffe nur, dass ich das nicht noch einmal erleben muss«, flüsterte sie.

»Das steht kaum zu befürchten, Morwena.« Paravain lächelte sie aufmunternd an. »Taranos wird von nun an ein besonders wachsames Auge auf die Pforte haben.«

*

Es kam völlig anders, als Laura es erwartet hatte: Sayelle Leander-Rüchlin, ihre Stiefmutter, war das Verständnis in Person. Sie verzog keine Miene, als Laura und ihr Vater fast eine Stunde zu spät zum Essen erschienen.

»Aber das macht doch nichts«, säuselte sie mit zuckersüßer Stimme. »Das kann schon mal passieren. Ich bin sicher, es gibt triftige Gründe für diese kleine Verspätung.«

Na, so was!

Laura wunderte sich über alle Maßen. Sayelle war ja nicht wiederzuerkennen. Früher war sie geradezu unerträglich gewesen.

Die wenigen Wochen, die Sayelle während der langen Abwesenheit von Marius mit Laura und Lukas verbracht hatte, waren für die Geschwister eine Qual gewesen. Nie hatten sie es der Stiefmutter recht machen können. Nahezu unablässig hatte Sayelle an ihnen herumgemäkelt. Ständig hieß es: »Laura, mach dies!«, oder: »Lukas, mach jenes!«, und was sie auch getan hatten – es war fast immer falsch gewesen. Und Verständnis für die Nöte und Sorgen der beiden war Sayelle meistens ebenso fremd gewesen wie Mitgefühl. Deshalb waren die Geschwister auch heilfroh, dass ihre beruflichen Pflichten – die erfolgreiche Journalistin leitete das Wirtschaftsressort der renommierten »ZEITUNG« – Sayelle dermaßen in Anspruch nahmen, dass sie kaum Zeit für ihre Stiefkinder hatte.

Insbesondere in den letzten Monaten war dies ein Glück gewesen!

Was mochte diesen plötzlichen Wandel bewirkt haben? Vermutlich hing es mit Marius zusammen. Seit ihr Vater wieder zu Hause war, schien Sayelle wie ausgewechselt zu sein.

Die blöde Schleimerin!, dachte Laura und warf ihrem Bruder im Esszimmer einen verschwörerischen Blick zu.

Der Tisch war bereits gedeckt – und Sayelle hatte sich offensichtlich sehr viel Mühe gegeben. Zum ersten Mal seit langer Zeit hatte die Stiefmutter nicht nur das beste Geschirr und Besteck aufgelegt, sondern auch für passenden Blumenschmuck gesorgt und sogar Kerzen angezündet.

Unglaublich!

Sayelle – das brünette Haar wie immer tadellos frisiert und das Make-up perfekt, wenn auch etwas zu dick aufgetragen – blickte ihren Mann und die Stieftochter mit honigsüßem Lächeln an. »In zehn Minuten wird die Suppe serviert. Wenn ihr euch in der Zwischenzeit bitte frisch machen und umziehen würdet?« Damit verschwand sie in die Küche, aus der köstliche Düfte drangen.

Laura schnupperte verzückt. Hmm! Das Wasser lief ihr bereits im Mund zusammen.

Wie sich herausstellte, hatte Sayelle das Drei-Gänge-Menü keineswegs selbst gekocht, sondern es von einem Catering-Service anliefern lassen. Die Gerichte, die auf einer eigens angefertigten Speisekarte aufgeführt waren, hatten so fremdartige und komplizierte Namen, dass Laura sich keine Mühe gab, sie zu verstehen. Die Firma hatte zudem nicht nur eine Serviererin, sondern auch einen Koch abgeordert, der dem Essen den letzten Schliff verlieh. Er schmeckte es noch einmal ab und wachte auch darüber, dass es punktgenau aufgetragen wurde. Die durch Lauras Verspätung bedingte Verzögerung hatte kein Problem für den Profi dargestellt, denn die Speisen waren köstlich. Laura konnte sich gar nicht mehr erinnern, im Hause Leander jemals so etwas Gutes gegessen zu haben. Schließlich hatte die Stiefmutter oft genug unter Beweis gestellt, dass sie vom Kochen fast noch weniger Ahnung hatte als von Kindern. Laura und Lukas mussten sich während der Abwesenheit des Vaters meistens mit aufgewärmten Fertigmenüs oder faden Mikrowellengerichten begnügen. Sayelles seltene Kochversuche waren fast ausnahmslos gescheitert. Sie brachte nicht einmal die einfachsten Gerichte zustande – und musste meistens doch wieder den Pizza-Service bemühen.

Nachdem der Nachtisch aufgetragen worden war, komplimentierte Sayelle das angeheuerte Personal routiniert hinaus.

Zum ersten Mal seit fast zwei Jahren war die Familie ganz unter sich. Obwohl Laura und Marius schon vor ein paar Wochen auf die Erde zurückgekehrt waren, hatte Sayelles enger Terminplan bislang gemeinsame Mahlzeiten verhindert. Laura fühlte sich unwohl.

Dem Bruder ging es offensichtlich genauso. Jedenfalls löffelte Lukas das Dessert lustlos in sich hinein, obwohl es ebenso lecker war wie alles andere.

Bereits während der ersten beiden Gänge hatte sich Sayelle nach Kräften bemüht, eine Unterhaltung in Gang zu bringen. Marius Leander hatte sich lebhaft an dem Gespräch beteiligt. Laura und Lukas dagegen waren wortkarg geblieben und hatten fast sämtliche Fragen der Stiefmutter nur einsilbig beantwortet.

Ganz anders als sonst hatte sich Sayelle dadurch nicht aus der Ruhe bringen lassen. Während sie früher die Kinder bei solchen Gelegenheiten stets gerügt oder gar rüde angefahren hatte, blieb sie diesmal völlig gelassen. Sie schien deren unverhohlene Ablehnung nicht einmal zu bemerken.

Warum nur?, grübelte Laura im Stillen. Was mag sie bloß mit diesem Spiel bezwecken?

Laura hatte den Nachtisch noch gar nicht aufgegessen, als die Stiefmutter sich vernehmlich räusperte und fast verlegen in die Runde sah. »Tja, ich weiß gar nicht, wie ich es sagen soll«, begann sie.

Laura zog die Augenbrauen hoch. Aha, dachte sie. Sie hat uns also eine Mitteilung zu machen. Ob sie uns vielleicht endlich verlassen und zu diesem Zeitungsheini ziehen will? Das Herz des Mädchens pochte freudig bei dem Gedanken.

Na, hoffentlich!

Laura konnte es gar nicht erwarten, die entsprechenden Worte aus Sayelles Mund zu hören.

Doch es kam ganz anders als erwartet. »Also gut«, fuhr die Stiefmutter fort, atmete tief durch und lächelte Marius an. »Wie sehr ich mich über deine Rückkehr freue, habe ich ja bereits mehrfach zum Ausdruck gebracht und muss es deshalb nicht noch einmal wiederholen.« Sie tätschelte die Hand ihres Mannes, bevor sie sich den Kindern zuwandte. »Aber genauso sehr freue ich mich, dass wir vier endlich wieder die Gelegenheit zu einem Familienleben haben, das diese Bezeichnung auch verdient.«

Was?

Laura glaubte sich verhört zu haben. Seit wann war dieser hinterlistigen Schlange denn an einem Familienleben gelegen? Als der Vater vor fast zwei Jahren vom einen auf den anderen Tag spurlos verschwunden war – erst sehr viel später hatte Laura herausgefunden, dass ihn die Krieger des Schwarzen Fürsten nach Aventerra verschleppt und in das Verlies der Dunklen Festung geworfen hatten –, da hatte Sayelle es doch kaum abwarten können, sich ihrem aufdringlichen Verehrer Maximilian Longolius an den Hals zu werfen! Nur dieser stinkreiche Medienfritze, der gleichzeitig ihr Boss war, hatte für sie noch gezählt. Lukas und sie dagegen waren ihr nur lästig gewesen – und jetzt fantasierte Sayelle sich etwas von einem »Familienleben« zusammen?

Lukas schienen ähnliche Gedanken zu bewegen. Jedenfalls warf er der Schwester einen Blick zu, als wolle er sagen: Haben sie der was in den Tee getan?

Wenn die Sache nicht so ernst gewesen wäre, hätte Laura lachen müssen. Aber so verkniff sie es sich lieber.

»Schau bitte nicht so böse, Laura!«, bat Sayelle. »Und du auch nicht, Lukas.« Wie ein verlegenes kleines Mädchen legte sie den Kopf schief. »Ich kann euch ja verstehen. Wie es aussieht, hat es zwischen uns … äh … in den letzten Monaten offensichtlich einige … äh … bedauernswerte Missverständnisse gegeben. Unglücklicherweise ist mir das jetzt erst richtig klar geworden.« Sie blickte die beiden um Verständnis heischend an. »Es tut mir leid.«

Laura war fassungslos. Das konnte doch nicht ihr Ernst sein! Dass Sayelle eine glänzende Schauspielerin war, die ihr besonderes Talent ohne mit der Wimper zu zucken zum eigenen Vorteil einsetzte, das hatte sie schließlich oft genug unter Beweis gestellt. Mit Sicherheit war das auch jetzt der Fall.

»Ähm.« Laura räusperte sich, um den Frosch loszuwerden, der sich in ihrer Kehle eingenistet hatte. »Ähm … ich glaube, dass ›Missverständnisse‹ dafür nicht so ganz der passende Ausdruck ist.«

Sayelle verzog keine Miene und lächelte immer noch so starr und ausdauernd wie eine Barbiepuppe. »Sondern?«

Lukas warf seiner Schwester ermutigende Blicke zu.

»Ja, Laura?«, ließ sich nun ihr Vater hören. »Was wolltest du sagen?«

»Ähm …« Laura zögerte einen Moment, bevor sie sich endlich ein Herz fasste. »Ich finde, dass für das, was zwischen Sayelle und uns abgelaufen ist, während du auf A…« Abrupt brach sie ab. Bislang hatten sie gegenüber der Stiefmutter eisern geschwiegen und ihr kein Wort von dem großen Geheimnis erzählt, in das sie verstrickt waren. Kaum merklich blinzelte sie ihrem Vater zu: Hast du ihr verraten, wo wir waren?

Marius ergriff die Hand seiner Frau. »Sayelle hat größtes Verständnis, dass wir ihr nicht erzählen können, wo wir uns aufgehalten haben.« Er blickte sie an. »Nicht wahr?«

»Natürlich.« Die Stiefmutter lächelte Laura aufmunternd zu. »Ihr habt sicherlich eure Gründe dafür. Ich vertraue euch voll und ganz, denn was wäre eine Familie ohne gegenseitiges Vertrauen?«

Was?

Für einen Moment war Laura so perplex, dass ihr die Kinnlade herunterklappte. Das war ja ein vollkommen neuer Ton, den Sayelle da anschlug!

Dennoch war sie erleichtert. Der Vater hatte der Stiefmutter nichts erzählt – und das war gut so! Es ging Sayelle schließlich nichts an, was sich hinter den Kulissen von Ravenstein abspielte. So wusste die Stiefmutter nichts vom Ewigen Kampf zwischen den Kriegern des Lichts und den Dunklen Mächten, in den Marius und sie verstrickt waren. Gemeinsam mit anderen Wächtern und fantastischen Helfern fochten Laura und ihr Vater im Geheimen gegen die Vertreter des Bösen, die die Welt in den Abgrund stürzen wollten. Sayelle würde das ohnehin als Spinnerei abtun. Das war ja auch kein Wunder! Für sie als Journalistin zählten doch nichts als Fakten, Fakten, Fakten!

»Entschuldige, dass ich dich unterbrochen habe«, meinte der Vater nun. »Du wolltest noch etwas sagen, nicht wahr?«

»Also gut.« Laura nahm den Faden wieder auf. »Ich würde das nicht als ›Missverständnis‹ bezeichnen, sondern vielmehr als …« – sie blickte ihren Bruder Hilfe suchend an – »… als grobe Vernachlässigung!«

Endlich war es heraus!

Der Vorwurf ließ Sayelle nicht unberührt. Ihre Augen wurden so groß wie ihre Puderdosen und sie schnappte nach Luft wie ein Karpfen an Land. »Gu… Gu… Gute Güte, Laura«, stammelte sie, als sie sich wieder etwas gefangen hatte. »Findest du das nicht etwas … äh … übertrieben?«

»Kein bisschen!«

»Nun …« Die Stiefmutter lächelte verständnislos. »Es mag durchaus sein, dass ich nicht gerade viel Zeit für euch aufbringen konnte. Aber ihr wisst doch, wie das ist.« Sie hob die Hände in einer Geste des Bedauerns. »Mein Job ist äußerst anspruchsvoll. Er verlangt vollstes Engagement, und das rund um die Uhr. Außerdem wusste ich euch im Internat ja bestens versorgt. Es hat euch doch an nichts gefehlt, oder? Außerdem haben wir alle gemeinsam Winterurlaub gemacht! Im Chalet von Max … äh … Herrn Longolius.«

»Darum geht es doch gar nicht«, brummte Lukas.

»Nein?« Sayelle tat noch immer erstaunt. »Worum denn dann?«

»Darum, dass du zusammen mit diesem Zeitungsheini alles unternommen hast, um Laura das Leben so schwer wie nur möglich zu machen!«

»Aber das stimmt doch gar nicht!«, erwiderte Sayelle empört. »Max hat sich rührend um mich gekümmert, nachdem euer Vater verschwunden ist, und wir …«

Lukas schnitt ihr das Wort ab. »Und warum hast du Anzeige gegen Professor Morgenstern erstattet? Warum hat Maximilian Longolius diesen Kevin auf Laura angesetzt? Seinen eigenen Sohn, den er der Öffentlichkeit verheimlicht, weil seine Mutter die schreckliche Syrin ist? Und warum habt ihr beide das Buch von Oma Lena aus Papas Bücherschrank geklaut und es vernichtet, nur damit ihm niemand auf die Schliche kommen kann? Und warum …« Der Junge war gar nicht mehr zu bremsen. Er zählte all das auf, was Laura und er an Verdachtsmomenten gegen Sayelle und Maximilian Longolius zusammengetragen hatten. »Meiner Meinung nach hat Laura sogar noch untertrieben«, schloss Lukas seine Ausführungen. »Du hast uns nicht nur vernachlässigt, sondern steckst auch noch mit Lauras Feinden unter einer Decke. Und dieser Longolius ebenfalls! Deshalb habt ihr auch versucht, Laura – und damit auch Papa und mir – nach besten Kräften zu schaden. Was eindeutig beweist, dass dir überhaupt nichts an uns liegt. Das ist alles nur geheuchelt!«

Eine gespenstische Stille trat ein. Während Sayelle Tränen in die Augen schossen und sie sichtlich um Fassung rang, fuhr sich Marius durch die Haare und blickte seine Kinder ratlos an.

Laura und Lukas dagegen warfen sich einen trotzigen Blick zu. Genau so war es, bedeutete dieser, wir haben nicht die Spur übertrieben!

Geräuschvoll atmete Marius aus. »Nun …«, sagte er gedehnt. »Das sind schwerwiegende Vorwürfe, die ihr da erhebt. Sie sind hoffentlich nicht aus der Luft gegriffen – habt ihr dafür auch Beweise?«

»Ja«, begann Laura, »natürlich haben wir die.« Aber noch im gleichen Moment wurde ihr klar, dass sie kaum etwas vorweisen konnte. Es stimmte natürlich, dass die Stiefmutter Anzeige gegen Direktor Morgenstern erstattet hatte, als dieser das Verschwinden seiner Schülerin nicht der Polizei gemeldet hatte. Aber konnte man ihr das wirklich anlasten? Im Gegensatz zu Aurelius hatte Sayelle doch nicht wissen können, dass Laura nach Aventerra aufgebrochen war, und so hatte sie nur das getan, was jede andere besorgte Mutter auch gemacht hätte – sie hatte sich an die Polizei gewandt. Und natürlich gab es nicht den geringsten Beweis dafür, dass Maximilian Longolius Kevin tatsächlich auf Laura angesetzt hatte. Zumal dieser bei der Kripo ausgesagt hatte, von dem zwielichtigen Konrad Köpfer dazu gezwungen worden zu sein. Selbst dass es sich bei dem Jungen um den leiblichen Sohn des Medienmoguls handelte, war nur eine Vermutung. Und da Kevin auf Aventerra zurückgeblieben war, bestand auch keine Chance, das durch einen DNA-Test zu beweisen, zumal es für diesen keinerlei rechtliche Handhabe gegeben hätte.

Ähnlich verhielt es sich mit dem alten Buch: Gewiss war nur, dass es aus dem Arbeitszimmer des Vaters verschwunden war. Aber man würde Sayelle und Mister L. kaum nachweisen können, dass sie es gestohlen oder gar verbrannt hatten – auch wenn Lukas felsenfest davon überzeugt war. Das einzige Indiz, das er dafür hätte anführen können, war nämlich derart fantastisch, dass jeder Polizist nur mit einem müden Lächeln abgewunken hätte.

Wie schon vermutet, stritt die Stiefmutter alles ab. Sayelle blieb dabei bemerkenswert ruhig – wie ein zu Unrecht Angeklagter, der felsenfest darauf vertraut, dass sich seine Unschuld am Ende des Prozesses zweifelsfrei erweisen wird. »Ich kann euch durchaus verstehen«, fügte sie noch hinzu. »Inzwischen ist mir natürlich klar geworden, dass aus eurer Sicht vieles ganz anders erscheinen muss, als es in Wirklichkeit war. Aus diesem Grund habe ich anfangs ja auch von Missverständnissen gesprochen, die es zwischen uns gegeben hat.« Sie lächelte milde. »Ich bin ganz sicher, dass sich diese im Laufe der Zeit von selbst erledigen werden.« Ihr Gesicht wurde ernst. »Was aber die Vorwürfe gegen Maximi… äh … gegen Herrn Longolius betrifft: Ich bin der Ansicht, dass man ihm Gelegenheit geben sollte, persönlich dazu Stellung zu nehmen. Das gebietet die Fairness, findet ihr nicht?«

Kapitel 3Die neue Schülerin

Als Marius Leander seinen betagten Volvo Kombi am nächsten Morgen durch die herbstliche Landschaft steuerte, um mit seinen Kindern zum Internat zu fahren, musste Laura wieder an die Diskussion mit der Stiefmutter denken. Während Lukas sich scheinbar teilnahmslos auf dem Beifahrersitz fläzte, saß Laura in sich gekehrt auf der Rückbank und hing ihren Gedanken nach. Warum machte ihre Stiefmutter keine Anstalten, ihren Mann zu verlassen? Was hatte Sayelle davon, auch weiterhin mit Marius, Lukas und Laura unter einem Dach zu wohnen? Schließlich war sie in ihrem Journalistenjob überaus erfolgreich, verdiente wesentlich mehr als Marius und war deshalb finanziell gar nicht auf diese Ehe angewiesen. Zumal Maximilian Longolius sie sicherlich mit offenen Armen empfangen hätte! Laura wusste, dass dieser Knilch schon seit Langem hinter Sayelle her war. Warum also war ihrer Stiefmutter so sehr daran gelegen, dass ihr Bruder und sie sich wieder mit ihr vertrugen? Liebte sie Marius tatsächlich immer noch, wie sie behauptete? Oder gaukelte sie ihnen das alles nur vor, um Laura und die anderen Wächter in Sicherheit zu wiegen, während sie in Wahrheit nur eine weitere Gemeinheit gegen sie ausheckte? Dies ergab allerdings nur dann einen Sinn, wenn Sayelle zu den Dunklen gehörte. Was bislang nicht bewiesen war.

Vielleicht tun wir ihr ja tatsächlich unrecht?, grübelte Laura. Mit Sicherheit haben Lukas und ich es ihr nicht gerade leicht gemacht. Wir hängen immer noch an unserer Mutter, auch wenn dieser schreckliche Unfall schon so lange her ist!

Acht Jahre – auf den Tag genau!

Wieder musste Laura an die Worte des Drachen Gurgulius denken: »Ich wünsche Euch aus ganzem Herzen, dass Ihr das Geheimnis, das Eure Mutter umweht, auch noch zu lösen vermögt.«

Aber was wollte er ihr damit zu verstehen geben?

Seit dem Tag ihrer Rückkehr hatte Laura immer wieder darüber nachgedacht, war allerdings zu keinem befriedigenden Ergebnis gekommen. Kein Wunder also, dass sie in einem Widerstreit der Gefühle lebte, der ihr zu schaffen machte. Dazu gehörte ihre Freude über das Wiedersehen mit den Freunden genauso wie die vielfältigen Probleme, die ihre lange Abwesenheit nach sich zog. Laura hatte die ersten Wochen des Schuljahres versäumt und musste den verpassten Stoff nachholen. Das bedeutete Lernen, Lernen und nochmals Lernen, sodass ihr kaum noch Freizeit blieb. Zum Glück hatte sie Unterstützung von Lukas und ihrer besten Freundin Kaja. Ebenso wie von ihrem Vater. Auch Professor Aurelius Morgenstern hielt seine schützende Hand über Laura, was ihr das Leben ungemein erleichterte. Der Direktor hatte nämlich verfügt, dass sie die verpassten Tests nicht sofort nachschreiben musste. So blieb Laura ausreichend Zeit, um den versäumten Lehrstoff der achten Klasse nachzuholen, und sie war zuversichtlich, dass ihr dies gelingen würde.

Laura hätte also rundum zufrieden sein können, wenn – ja, wenn sie ihre Mutter nicht schmerzlicher denn je vermisst hätte. Die rätselhaften Worte des Drachen hatten die längst verheilt geglaubte Wunde in ihrem Herzen erneut aufgerissen und gleichzeitig die Hoffnung in ihr geweckt, nach dem Vater vielleicht auch noch die Mutter zurückzugewinnen. Doch selbst wenn diese Hoffnung trügen sollte, war Laura fest entschlossen, sich Gewissheit über das Schicksal von Anna Leander zu verschaffen.

Als der Volvo durch ein Schlagloch schepperte, wurde das Mädchen kräftig durchgerüttelt. Laura hob den Kopf und blickte aus dem Fenster. Sie waren fast am Ziel. Direkt vor ihnen zeichneten sich bereits die Konturen von Burg Ravenstein gegen den morgendlichen Himmel ab. Laura betrachtete den zinnenbewehrten Ostturm und die anderen Gebäude des dreigeschossigen Gemäuers. Wie vertraut ihr das alles war. Wie viele Abenteuer sie rund um das Lehrerwohnhaus, die Turnhalle und den weitläufigen Park, der das Internat umgab, bereits erlebt hatte. Mit Unbehagen dachte Laura an das Standbild des Grausamen Ritters. Den Blick auf die mit Efeu überrankten Mauern der Burg gerichtet, saß Reimar von Ravenstein wie eine Stein gewordene Drohung auf seinem Streitross.

Laura fröstelte, und im gleichen Augenblick stieg ein unheimlicher Gedanke aus der Tiefe ihres Bewusstseins, der immer klarere Gestalt annahm: Die neue Aufgabe, die sie sich selbst gestellt hatte, würde wahrscheinlich um vieles schwieriger werden als alle Prüfungen zuvor. Schlimmer noch – die Vermutung wurde zur Gewissheit, die sich wie ein dunkler Schatten auf Laura senkte: Wenn sie ihre Mutter jemals wiedersehen wollte, dann würde sie dem Tod ins Auge sehen müssen. Und es war keineswegs sicher, dass eine Dreizehnjährige diese Begegnung überleben konnte.

Der Schreck über diese entsetzliche Erkenntnis steckte Laura noch eine halbe Stunde später in den Knochen. Sie konnte auf dem Weg zu ihrem Klassenzimmer an nichts anderes denken und hörte Kaja gar nicht zu, die in einem fort auf sie einplapperte. Sie verstand deshalb auch nicht, weshalb das Pummelchen mit den roten Korkenzieherlocken sie plötzlich anschubste und sich, die Arme in die fülligen Hüften gestemmt, mit vorwurfsvollem Blick vor ihr aufbaute.

»Oh, nö!«, beschwerte sich die Freundin. »Rede ich chinesisch – oder habe ich dir etwas getan, dass du mir nicht antwortest?«

»Ähm – was?« Als würde sie gerade aus einem Traum erwachen, schaute Laura sie verständnislos an. »Meinst du mich?«

Kaja rümpfte die Nase. »Natürlich – wen denn sonst?«

»Und?«

»Ich habe dich gefragt, was du ihm sagen wirst?«

Noch immer verstand Laura nichts als Bahnhof. »Sagen? Wem denn?«

»Wem wohl? Philipp Boddin natürlich! Mr Cool!« Kaja deutete mit dem Kopf in Richtung Klassenzimmer.

Und tatsächlich: Einige Meter von der Tür entfernt lehnte der Junge, der wie immer eine Strickmütze trug, an der Wand. Er schien auf sie zu warten!

»Oh, Mann!«, stieß Laura aus.

»Genau!« Kaja grinste übers ganze Sommersprossengesicht. »Wie geht es denn weiter zwischen euch? Das will er bestimmt wissen!«

Oh, je!

Laura wusste das selbst nicht. Klar: Philipp sah gar nicht übel aus und war zudem ein lieber Kerl, auch wenn sie das anfangs ganz anders gesehen hatte. Inzwischen hatte sie jedoch festgestellt, dass Mr Cool absolut in Ordnung war: Obwohl ihm die wahren Hintergründe unbekannt waren, hatte er geholfen, die Dunklen zu täuschen, damit Laura unbehelligt nach Aventerra gelangen konnte. Damals hatte sie sogar geglaubt, dass sich zwischen Philipp und ihr vielleicht mehr entwickeln könnte.

Aber jetzt?

Sie fand ihn zwar immer noch ganz … ähm … nett. Aber seit sie miterlebt hatte, wie Alarik, der Knappe des Weißen Ritters Paravain, sich für sie und die Sache des Lichts geopfert und sein Leben dafür gegeben hatte, damit sie ihre Aufgabe erfolgreich bestand, hatte sich alles geändert. Seitdem bedrückte Laura der Gedanke, dass sie Schuld trug am Tod des Knappen, zum Teil jedenfalls. Wenn Alarik nicht ihre Nähe gesucht und sie nicht unterstützt hätte, würde er bestimmt noch leben – eine schreckliche Vorstellung, die Laura einfach nicht losließ. Sie durfte deshalb nicht zulassen, dass sich so etwas noch einmal wiederholte. Das durfte sie niemandem antun. Weder Philipp noch sich selbst – und deshalb musste sie endlich Klartext mit ihm reden.

Laura nahm all ihren Mut zusammen und ging zu dem Jungen hinüber. »Hey!«

»Hey, Laura!«, erwiderte er und lächelte. Seine Augen schimmerten sanft. »Wie war dein Wochenende?«

Laura sah ihn nur mit ernster Miene an und atmete tief durch. »Es tut mir leid, Philipp«, sagte sie mit belegter Stimme. »Ich weiß, dass du dir mehr versprochen hast. Du weißt schon – dass wir beide vielleicht …?«

»Na ja.« Philipp nickte verlegen. »Ich dachte, dir geht es genauso?«

»Stimmt.« Lauras Lächeln misslang. »Zumindest war es so, damals.«

Der Junge sah sie fragend an.

»Ich … ähm … Ich weiß auch nicht, wie ich es dir erklären soll, aber es … ähm … es geht einfach nicht.«

Endlich war es heraus!

Die Farbe wich aus Mr Cools Gesicht und er senkte den Blick.

»Das hat wirklich nichts mit dir zu tun«, fügte Laura rasch hinzu und legte ihm die Hand auf die Schulter. »Das musst du mir glauben, Philipp!«

Noch immer antwortete der Junge nicht, dann hob er den Kopf und sah Laura beklommen an. In seinem Gesicht waren Schmerz und Enttäuschung zu erkennen.

»Ich … Ich würde mich freuen, wenn wir trotzdem Freunde bleiben könnten«, fuhr Laura fort. »Und es wäre toll, wenn du auch mir weiterhin helfen würdest, so wie du Lukas geholfen hast.« Sie trat noch dichter an ihn heran und schaute ihm fest in die Augen. »Ist das okay für dich?«

Philipp bemühte sich um ein Lächeln, das eine Spur zu gequält ausfiel. »Yo«, sagte er mit rauer Stimme. »Kein Problem, Laura. Es muss ja schließlich jemand aufpassen, dass du nicht noch mehr Blödsinn machst!«

*

Unruhig wanderte Borboron im Thronsaal der Dunklen Festung hin und her. Ein finsterer Ausdruck lag auf dem fahlen Gesicht unter den dichten schwarzen Haaren. Die roten Augen glimmten unruhig in den tiefen Höhlen. Die Schritte seiner schweren Stiefel hallten durch den riesigen Raum, der in Dämmerlicht getaucht war. Vor dem großen Kamin im Hintergrund, in dem wie immer ein mächtiges Holzfeuer prasselte, lag die schläfrige Meute seiner doppelköpfigen Hunde. Die Überreste der mit blutigen Fleischfetzen behafteten Knochen, an denen sich die schwarzen Biester satt gefressen hatten, waren zwischen ihnen auf den steinernen Fliesen verstreut.

Die Gestaltwandlerin Syrin, in ein eng anliegendes Kleid aus grüner Schlangenhaut gekleidet, das die Konturen ihres Körpers betonte, saß auf den Stufen, die hinauf zum Thronsessel des Schwarzen Fürsten führten. Sie behielt ihren Gebieter ständig im Blick, stets bereit, auf den geringsten Wink von ihm zu folgen.

Der Fhurhur hielt sich im Hintergrund. Auch das Männchen im scharlachroten Kapuzenumhang, das trotz seiner geringen Körpergröße der gefürchtetste und mächtigste Schwarzmagier von ganz Aventerra war, hatte seine gesamte Aufmerksamkeit auf Borboron gerichtet. Sein Gesicht war von Altersflecken übersät und hatte eine ungesunde gelbe Farbe. Mit bangem Blick beobachtete er seinen Herrn, als fürchte er, dass dieser jeden Moment einen Wutausbruch bekäme.

Vor dem großen Tisch in der Nähe des Kamins blieb der Tyrann stehen. Plötzlich donnerte seine Faust mit solcher Wucht auf die hölzerne Tischplatte, dass Syrin erschrocken zusammenzuckte. »Verflucht!«, empörte sich der Schwarze Fürst mit kehliger Stimme. »Ich kann immer noch nicht fassen, wie es diesem Bastard vom Menschenstern gelingen konnte, uns mitsamt dem Vater zu entwischen!«

Die Gestaltwandlerin sprang rasch auf und eilte zu ihrem Gebieter. »Das war ärgerlich, fürwahr«, versuchte sie ihn zu beschwichtigen. »Aber das Balg wird uns nie wieder übertölpeln, das verspreche ich Euch!«

Die finsteren Blicke, mit denen der Schwarze Fürst sie bedachte, zeigten, dass er ihr nicht glaubte.