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Arola, ein bildschöner Wallach mit bester Abstammung soll verkauft werden, denn einen solchen Dickkopf will seine Besitzerin Kassy nicht mehr haben. Schon bald gibt es eine Käuferin und das Deutsche Reitpferd wechselt den Stall - der Beginn eines Martyriums. Arola wird weitergereicht, von einer Hand zur nächsten und leidet immer mehr unter der Ungerechtigkeit, die ihm entgegengebracht wird ... Bis er nicht mehr der ist, der er einmal war. Wird er je wieder einer Menschenseele vertrauen können und seinen Lebensmut zurückgewinnen? Eine Geschichte zum Nachdenken und zum Lernen, wieder einmal geschrieben aus der Sicht eines Pferdes.
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Seitenzahl: 160
Veröffentlichungsjahr: 2021
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Arola, ein bildschöner Wallach mit bester Abstammung, soll verkauft werden, denn einen solchen Dickkopf will seine Besitzerin Kassy nicht mehr haben. Schon bald gibt es eine Käuferin und das Deutsche Reitpferd wechselt den Stall – der Beginn eines Martyriums. Arola wird weitergereicht, von einer Hand zur nächsten und leidet immer mehr unter der Ungerechtigkeit, die ihm entgegengebracht wird ... Bis er nicht mehr der ist, der er einmal war.
Wird er je wieder einer Menschenseele vertrauen können und seinen Lebensmut zurückgewinnen?
Eine Geschichte zum Nachdenken und zum Lernen, wieder einmal geschrieben aus der Sicht eines Pferdes.
Immer dann, wenn die Sonne auf uns herab scheint,
wenn der Wind durch die Bäume streicht oder der
Regen sanft auf die Erde prasselt, denke ich an dich.
Dein Lachen wird unvergessen bleiben.
Du fehlst mir so.
Kapitel 1 - Kassy
Kapitel 2 - Die Fremde
»Deutsches Reitpferd mit Top Abstammung«
Kapitel 3 - Nina
Kapitel 4 - Unruhe
Kapitel 5 - Eskalation
»Deutsches Reitpferd zu unschlagbarem Preis!«
Kapitel 6 - Chris und Anni
Kapitel 7 - Eingesperrt
Kapitel 8 - Allein
»Dt. Reitpferd in rohem Zustand abzugeben«
Kapitel 9 - Aline
Kapitel 10 - Berührung
Kapitel 11 - Routinen
Kapitel 12 - Rückschlag
Kapitel 13 - Falsche Hoffnung
»Deutsches Reitpferd sucht liebevolles Zuhause«
Kapitel 14 - Neuanfang
Nachwort
Ich bin Selfpublisherin
Endlich!
Der Mensch, der mich aus der Box geholt hatte, löste den Strick von meinem Halfter. Die Wiese lag noch leicht feucht und in Nebel eingehüllt vor mir. Ich setzte zu wildem Galopp an und raste über die weite Fläche, schüttelte die angestaute Energie von mir und schlug glücklich mit dem Kopf. Ich liebte es, so frei zu sein.
Einige Stunden später schien die Sonne mit voller Kraft und wärmte mit ihren Strahlen mein braunes Winterfell. Um mich herum grasten meine Freunde und genossen es ebenso. Der Winter war endlich vorbei.
Ich schnaubte und senkte ein Mal mehr an diesem Tag den Kopf, um auf dem kargen Boden etwas Essbares zu finden. Schon bald würde wieder frisches, saftiges Gras aus der Erde sprießen, darauf freute ich mich sehr. Bis dahin allerdings reichte das Bisschen aus, das wir auf der Weide fanden, zusammen mit dem Heu der Menschen.
Gerade hatte ich eine gute Stelle ganz nah an dem Zaun gefunden, der uns auf diesem Wiesenstück einschloss, da knackte es neben mir. Mein Kopf schnellte nach oben und ich sprang instinktiv zur Seite.
Was war das?
Mit geblähten Nüstern stand ich da, alle Muskeln meines Körpers angespannt und bereit zu flüchten. Eine Katze saß mit funkelnden Augen im Dickicht neben dem Weidezaun und starrte mich an. Ich prustete noch ein letztes Mal, dann entspannte ich mich etwas. Von diesem kleinen Tier ging offensichtlich keine Gefahr aus.
Dennoch blieb ich achtsam und richtete meine Ohren neu aus; hin und her, mal nach vorn, mal nach hinten. So konnte ich keine Gefährdung übersehen oder überhören.
Wir waren schon lange auf der Weide. In der Früh hatten uns Birk und Heike nach draußen gebracht. Sie waren jeden Tag da, besorgten Futter, begleiteten uns am Morgen hinaus und holten uns am Abend wieder zurück.
Da der Tag schon weit vorangeschritten war, würde es sicher jede Minute dunkel werden. Dann würden sie wiederkommen und uns holen. Und Kassy würde da sein – um mich zu reiten. Bei der Vorstellung daran verkrampfte ich mich.
Schon lange musste ich damit leben, dass Menschen zu mir kamen und mich dann für ihre Zwecke ausnutzten. Sie zwängten mich in Schnüre und Riemen, steckten mir kalte Dinge in den Mund, an denen sie zogen, legten schwere Teile auf meinen Rücken – um sich schließlich auf mich zu setzen. Schon als Fohlen hatte ich das beobachten können.
Manche Pferde mochten diese menschlichen Praktiken. Ihnen gefiel die Zusammenarbeit, sie gaben alles für ihre Menschen. Und dann gab es solche wie mich: denen es absolut nicht behagte. Ich tat dennoch, was die Menschen von mir verlangten – aber nie ohne Widerwillen. Es war eben wirklich schwierig, sich gegen sie zu wehren. Die Menschen besaßen allerlei Hilfsmittel, um uns im Zaum zu halten.
Gerade als ich darüber nachdachte, was während der letzten Reitstunde vorgefallen war, nahm ich aus dem Augenwinkel eine Bewegung wahr. In der Ferne konnte ich zwei Menschen erkennen – einer groß und breitschultrig, einer klein und schmal. Das mussten Birk und Heike sein. Nun ging es also wieder los – so wie jeden Tag.
Sogleich verzog ich mich in die hinterste Ecke der Weide, damit sie mich nicht sofort sahen und als Ersten mitnahmen. Ich wollte so gern hierbleiben, draußen, umgeben von meinen Artgenossen. Die Aussicht darauf, wieder in eine Box eingesperrt zu werden, ließ meinen Puls ansteigen und ich fühlte mich unwohl.
Zunächst klappte es auch sehr gut: immer mehr Pferde wurden von den zwei Menschen abgeholt, bis nur noch der alte Schimmel und ich übrig waren.
Nun wurde es ernst. Als ich Birk auf mich zulaufen sah, spannte ich all meine Muskeln an und wartete. Kurz bevor er den Arm ausstrecken und mich berühren konnte, drehte ich mich im Kreis und trabte in die entgegengesetzte Richtung davon.
»Ach, Ari!«, rief der Mann mit wütendem Tonfall und stiefelte hinter mir her. Sollte er nur - ich war auf jeden Fall schneller …
»Komm jetzt her!«, hörte ich ihn schimpfen. »Jeden Tag dasselbe mit diesem Pferd!«, und: »Bald hole ich dich nicht mehr rein, das kannst du mir aber glauben!«
Der Tonfall war mehr als eindeutig. Er klang gestresst und wütend. Ein weiterer Grund, um davonzulaufen.
»So ein schönes Tier und doch so eine Verschwendung«, zeterte Birk nach einer ganzen Weile. Dann blieb er einfach stehen, hektisch schnaufend und warf die Arme in die Luft. »Weißt du was? Bleib doch hier. Soll Kassy sich alleine drum kümmern! Ich mach das nicht mehr mit.«
Mit diesen Worten entfernte sich Birk von mir, schnappte nach dem Halfter des Schimmels und ließ mich auf der Weide zurück.
Zunächst war ich froh über mein Entkommen. Doch schon bald wurde ich nervös. Denn nun war ich ganz allein, kein Artgenosse weit und breit. Niemand, der mit mir zusammen nach Gefahren Ausschau hielt. Niemand, der mich warnen würde vor einer Bedrohung, die ich selbst nicht erspähte. Mein Herz schlug schneller, ich spürte die Anspannung und meine Muskeln verhärteten sich. Wo waren jetzt die Anderen? Im Stall? Oder noch weiter entfernt? Was sollte ich nun ohne sie tun?
Plötzlich in Panik galoppierte ich zum Eingang der Weide und wieherte schrill, so lange, bis mir endlich jemand antwortete. Es war das kleine gescheckte Pony, das jeden Tag mit mir auf der Wiese graste. Wenigstens einer von ihnen war da und erwiderte meine Rufe!
Ich war zunächst erleichtert, doch es reichte mir nicht. Ich wollte weiter nach all den anderen rufen, um sicherzugehen, dass sie auch wirklich in der Nähe blieben.
Nach einiger Zeit wurde ich jedoch unterbrochen. Ein Mensch näherte sich mir und ich riss den Kopf nach oben. Wer war das? Ich strengte meine Augen an und schnell wurde mir klar: Es war Kassy, das Mädchen, das jeden Tag auf mir ritt. Sie kam flotten Schrittes auf mich zu und blieb schließlich vor dem Eingang der Weide stehen. Dann stemmte sie ihre Hände in die Hüften und sah mich mit einem bedrohlichen Funkeln in den Augen an.
»Sag mal, Ari, was soll der Mist?«, rief sie und betrat die Wiese. Entschlossen kam sie mit ausgestrecktem Arm auf mich zu und griff mir in das Ding an meinem Kopf, das die Menschen ›Halfter‹ nannten.
»Ich kann nicht jedes Mal alles stehen und liegen lassen, weil dich wieder keiner einfangen kann. Die schmeißen uns raus, wenn du weiter so störrisch bist«, sprach sie mit hoher Stimme, die vor Wut strotzte. Ich tänzelte aufgeregt neben ihr her. Ich wollte einfach nur zu den anderen Pferden!
Ungeduldig zog ich an dem Strick, den Kassy an dem Halfter befestigt hatte; wofür ich sogleich eine Rüge kassierte. Unwirsch schlug das Mädchen mir auf die Brust.
»Schluss damit! Erst willst du nicht mit reinkommen und jetzt ziehst du wie ein Wahnsinniger, weil du doch in den Stall willst? Ich verstehe dich einfach nicht!«
Endlich setzte sie sich mit straffen Schritten in Bewegung und führte mich weg von der Wiese, auf der ich so allein gewesen war. Bis zum Stall war es nicht weit und ich konnte ihn in der Ferne schon bald erkennen. Einmal wieherte ich, um meine Artgenossen auf mich aufmerksam zu machen, doch auch dafür wurde ich von Kassy gerügt. Kurz bevor wir am Stall waren, spürte ich, wie sich das Mädchen anspannte. Ihre Muskeln verhärteten sich, der Gang wurde langsamer, ihre Ausstrahlung unsicher. Was war denn nun?
»Ich kann das einfach nicht mehr mit dir!«, sagte sie plötzlich leise, ohne stehen zu bleiben. »Was mache ich hier überhaupt noch? Ich wollte ein Pferd, mit dem ich auf Turnieren starten kann … und nun habe ich eins, das auf der Koppel ständig wegrennt, schreckhaft ist und mittelmäßig springt. Es nervt einfach nur.«
Wir erreichten nun das Stallgebäude. Noch bevor wir eintraten, stellte sich uns jedoch ein weiterer Mensch in den Weg. Es war das Mädchen Nika. Sie und Kassy verbrachten viel Zeit miteinander.
Nika war ein leiser, zurückhaltender Mensch, freundlich, aber auch ängstlich. Ich mochte ihr Feingefühl, fühlte mich in ihrer Gegenwart nur manchmal etwas unsicher. Ihre Angst wurde zu meiner Angst. Das gefiel mir nicht.
»Birk hat schon erzählt, dass er keine Lust mehr hat, Ari hinterherzujagen. Schon wieder. Ist ja echt doof«, sagte sie und gesellte sich zu uns. Als Dreiergespann durchquerten wir den langen Gang, der zwischen den Stallboxen hindurchführte, und liefen zu dem Platz, an dem ich immer geputzt und für das Training vorbereitet wurde.
»Ach, hör mir auf!«, antwortete Kassy und ich spürte die Wut, die erneut in ihr aufstieg. »Das war es jetzt! Ich kann mit diesem Pferd einfach nicht arbeiten. Ich werde ihn verkaufen.«
»Krass, wirklich? Ich weiß, ihr seid nicht immer glücklich miteinander … aber nur, weil er wegrennt?«, fragte Nika zögerlich.
»Nicht ganz glücklich? Ich komme mit Ari einfach nicht weiter. Wozu soll ich mich mit ihm abmühen, wenn es nichts bringt? Hab ich mit ihm schon ein einziges Mal einen Erfolg bei Turnieren gehabt? Oder mich im Training verbessert? Ich sage dir, es war ein Fehler, ihn von Monique zu übernehmen. Die hat mir das Blaue vom Himmel versprochen. Und was ist? Nichts!«, rief Kassy und ihre Stimme war so angespannt und laut, dass ich vor Unbehagen hin und her tänzelte. Manchmal wurde sie sehr grob und tat mir weh.
Diesmal ließ sie es aber nicht an mir aus, sondern band mich einfach nur an einer Stange fest und entfernte sich, mit Nika im Schlepptau. Dabei redeten sie unentwegt.
Nach kurzer Zeit kamen die zwei wieder zurück und Kassy begann, mich mit schnellen, groben Bewegungen zu putzen. In den seltenen Fällen, wenn mir einer der Menschen ganz ruhig mit diesen Putzdingern über das Fell strich, konnte ich das sogar genießen. Doch Kassy war für so etwas nicht zu haben. Sie ging nie liebevoll mit mir um. Es schien für sie wichtiger zu sein, dass ich ausreichend Leistung brachte. Sie forderte jeden Tag von mir, über bunte Stangen zu springen, die sie höher und höher anbrachte. Stieß ich mit meinen Beinen dagegen, schmerzte das. Noch mehr schmerzte es jedoch, wenn sie mich danach für meinen offensichtlichen Fehler bestrafte. Dazu nahm sie ein langes, schwarzes Ding, was wie der Ast eines Baumes aussah und schlug mich damit. Vor langer Zeit war mir klar geworden, dass die Menschen dieses Teil als ›Gerte‹ bezeichneten. Ich hatte großen Respekt davor. Während Kassy mich also für den Ritt vorbereitete, sprachen sie und Nika weiterhin miteinander.
»Ja, und nun? Willst du ihn im Internet zum Kauf anbieten?«, fragte Nika.
»Ja, ich habe ja jetzt schon einige Wochen darüber nachgedacht. Es hat einfach keinen Sinn mehr mit Ari und mir. Keiner hat etwas davon. Ich habe auch schon eine Verkaufsanzeige vorbereitet, allerdings ist sie noch nicht online. Eine Sache möchte ich nämlich noch versuchen: Ich werde Nina fragen, ob sie mir Ari abkaufen will.«
»Nina?«
»Na, du weißt doch, die Dicke, mit der wir immer beim Training waren im letzten Jahr. Die unbedingt ein hübsches Pferd will und kein passendes findet.«
»Aber Nina hat doch immer so eine Angst beim Reiten. Das ist doch nichts für Ari.«
»Na und?«, sagte Kassy ungehalten und bei ihrem Tonfall zuckte ich vor Schreck zusammen. »Ich weiß genau, dass sie Ari toll findet. Jedes Mal erzählt sie mir, wie glücklich ich mich schätzen kann, so ein wunderschönes Pferd zu haben. Soll sie ihn doch nehmen! Ein Problem weniger.«
»Sie sucht doch schon eine Weile nach einem passenden Pferd. Vielleicht hat sie jetzt schon eins gefunden?«, fragte Nika.
»Das wäre echt blöd. Ich glaube es aber nicht. Die traut sich doch nicht alleine in einen fremden Stall und guckt sich dort Pferde an und macht einen Proberitt. Nein, Nina wartet. Also ob man so an sein Traumpferd kommt.«
»Wenn du meinst, dass es so einfach klappt – dann schreib ihr doch, dass sie heute mal vorbeikommen soll. Da kann sie sich gleich auf Ari setzen und ihn ausprobieren. Vielleicht reicht das schon, damit sie ihn nimmt.«
»Weißt du was? Das mache ich jetzt wirklich. Ich ruf sie an. Vielleicht ist sie ja zu Hause.«
Kassy entfernte sich von uns. Nika blieb bei mir und strich, offensichtlich in Gedanken ganz woanders, über meinen Hals. Da Kassy weg war, fühlte ich mich gleich etwas wohler. Ihre negative Ausstrahlung belastete mich und mein ohnehin schon angespanntes Gemüt.
»Du armes Mäuschen«, sagte Nika leise. »Nina ist zwar auch nicht die beste Wahl, aber mit Kassy wirst du nie froh sein. Sie erwartet einfach zu viel von dir. Wer weiß, vielleicht täusche ich mich ja auch in Nina und sie ist gar nicht so ängstlich. Ich würde es mir für dich wünschen.«
Nika streichelte meine Nüstern und ließ ihre Hand schließlich darauf ruhen. »Wenn das mit Nina nicht klappt – dann wird sich schon ein anderer finden. Hauptsache, du kommst von Kassy weg, und sie von dir. Ihr passt einfach nicht zusammen.«
Nikas Stimme war weich und warm. Ich genoss diesen Moment der Ruhe. Doch er hielt nicht lange an, denn sogleich kam Kassy zu uns zurück. Sie schien sich zu freuen, ihre ganze Ausstrahlung hatte sich verändert.
»Ha! Hab ich es dir nicht gesagt? Kaum hat Nina gehört, dass ich Ari loswerden will, hat sie angebissen.«
»Echt?«, fragte Nika verblüfft. »Kommt sie vorbei?«
»Ja, zwar erst übermorgen - Aber egal. Ich bringe Ari jetzt in seine Box. Dann gehe ich Birk fragen, ob ich heute mit Letti trainieren kann. Mit der kann ich wenigstens über etwas Höheres als ein Cavaletti springen.«
Plötzlich geschah etwas Unerwartetes. Nika und Kassy bereiteten mich nicht weiter für das Training vor, sondern brachten mich in meine Box. Sie war voll frischem Stroh und Heu. In dem dunkelgrünen Teil, das auf Höhe meines Halses angebracht war, lagen einigen Mohrrüben. Sofort stürzte ich mich darauf und sah kauend zu dem trüben Fenster hinaus. Wie erleichtert ich war, dass ich heute nicht geritten wurde!
***
Nach vielen Tagen, an denen kein Mensch etwas von mir gefordert hatte, kam Kassy wieder einmal zu mir. Sie hatte sich plötzlich lieber mit der Fuchsstute befasst, die mir gegenüber im Stall ihre Box hatte. Was war das für eine schöne Zeit gewesen.
Doch dann stand Kassy wieder vor mir und ihre strenge Art sorgte dafür, dass ich unsicher von einem Huf auf den anderen trat. Nun ging es also erneut mit dieser Reiterei los.
Kassy nahm mich mit zu dem Ort, an dem ich angebunden und vorbereitet wurde. Sie säuberte mit schnellen, ruppigen Bewegungen mein Fell, warf das große Ding namens ›Sattel‹ auf meinen Rücken und zog mir die straffen Riemen über den Kopf. An deren Ende war ein kaltes, hartes Teil befestigt, auf dem ich herumkauen musste – die Trense.
Zudem fixierte sie an diesen beiden Ausrüstungsgegenständen noch etwas, was sich Ausbinder nannte. Damit wurde mein Kopf ein Stück nach unten gezogen. Besonders diese Dinger störten mich in meinem natürlichen Bewegungsablauf sehr.
Gerade als ich dachte, Kassy würde mich wie immer in die Reithalle führen, gesellte sich ein anderes Menschenmädchen zu uns. Mit lauter Stimme hörte ich sie sagen: »Hallo, Kassandra! Danke, dass ich kommen darf. Du glaubst gar nicht, wie sehr mich dein Anruf gefreut hat.«
»Doch, das habe ich schon erwartet, du hast doch schon immer ein Auge auf Ari geworfen.«
»Wer auch nicht? Arola ist so ein Hübscher. Es gibt ja Leute, die meinen, ein deutsches Reitpferd wäre langweilig und viel zu normal, aber ich denke nicht so. Sieh doch, wie wunderschön er ist.«
Die Person war offensichtlich sehr aufgeregt. Ich konnte mich überhaupt nicht entscheiden, wer von beiden die unangenehmere Stimme besaß. Wenn sie nun endlich aufhören könnten, so laut und ohne Unterlass zu sprechen …
»Also, Nina, Proberitt?«, fragte Kassy. Auf einmal kippte die Stimmung bei der anderen Menschenfrau.
»Nun, weißt du … ich wollte heute gar nicht unbedingt reiten. Ich wollte ihn mir nur ansehen. Also, wie er unter dir läuft und so was …«, kam es als Antwort. Das Mädchen war nun nervös. Unruhig tänzelte ich auf der Stelle. Nervosität bedeutete nie etwas Gutes.
»Echt, du willst Ari haben, aber nicht mal einen Proberitt versuchen?«
»Das passt schon, echt!«, kam es von der Unbekannten, die zunehmend hibbeliger wurde.
»Na, wenn du meinst – dann setze ich mich halt drauf.«
Mit diesen Worten zog Kassy mich an den Zügeln in die Reithalle. Unruhig folgte ich ihr und sah mich genau um. Diese andere Person war sicher nicht grundlos nervös – ob hier irgendwo eine Gefahr lauerte? Meine Ohren wechselten von vorn nach hinten, zur Seite und wieder vor. Ich konnte kein beängstigendes oder unbekanntes Geräusch ausmachen. Doch ich blieb wachsam.
Kassy schwang sich auf meinen Rücken und kaum dass sie saß, spürte ich ihre Beine an meinem Bauch, die starken Druck ausübten. Zeitgleich zog sie vorne an dem Ding in meinem Maul. Das machten die Menschen oft – mir das Kommando geben, vorwärtszulaufen und gleichzeitig so an den Zügeln zu ziehen, dass ich dachte, anhalten zu müssen. Es war verwirrend. Doch ich wusste aus der Erfahrung mit Kassy, dass ich trotzdem vorwärtslaufen sollte.
Ich setzte mich in Bewegung und wir drehten einige Runden in straffem Schritt durch die Halle. Dann bekam ich das Kommando von meiner Reiterin, schneller zu laufen, also verfiel ich in einen zügigen Trab. Ich hatte mir angewöhnt, jede Gangart zackig auszuführen, wenn Kassy sich auf mir befand, da sie es offenbar nicht mochte, wenn ich mich langsamer fortbewegte. In solchen Momenten spürte ich die Gerte an meinem Hinterteil und um das zu umgehen, lief ich von vornherein schnell.
Nachdem wir also eine Weile kreuz und quer durch die Halle getrabt waren, sollte ich angaloppieren. Ich setzte ihren Befehl sofort in die Tat um und spürte kurz Kassys Hand an meinem Hals, um mich zu streicheln. Ihr Lob war zwar immer recht grob und kurz, dennoch freute ich mich darüber – ich hatte offensichtlich mal nichts falsch gemacht.