Lavablut - Thalea Klein - E-Book

Lavablut E-Book

Thalea Klein

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Beschreibung

Es ist ein Young-Adult-Fantasy-Roman und der erste Teil der Lavablut-Reihe. Als die 16-jährige Alea Sommer von München nach Amerika zieht, um dort bei der neuen Freundin ihres Vaters zu leben, hat sie wenig Ahnung davon, welches gefährliche Geheimnis sie in sich trägt. Erst durch die Begegnung mit dem charismatischen Gabriel, fängt sie an zu begreifen, dass sie ebenso ungewöhnlich ist wie er. Denn plötzlich sind Männer hinter ihr her; Leute, die mehr über ihr Geheimnis zu wissen scheinen, als sie selbst.   In einer aufregenden Jagd nach der Wahrheit und zugleich auf der Flucht vor ihren Verfolgern, muss Alea feststellen, dass sie plötzlich niemandem mehr vertrauen kann. Nicht einmal den Menschen, die sie über alles liebt. Im Moment kann ihr nur einer helfen, Gabriel. Aber ist er ein Verbündeter oder ein Feind? Und wie gefährlich ist es wirklich ihn zu lieben?

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Thalea Klein

Lavablut

 

 

 

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Titelblatt

Impressum

Danksagung

Welcome

Café

Spare time

Clark Central High

Feelings

Oconee National Forest

Recovery

Prisoner

Research

Return

Reveal

The first time

Impressum neobooks

Titelblatt

Impressum

ImpressumCopyright: © 2017 Thalea Klein, DeutschlandThalea Klein

Umschlaggestaltung: Juliane Schneeweiss,www.juliane-schneeweiss.comMädchen © Shutterstock.com/Aleshyn AndreiTexturen © Depositphotos.comKorrektorat: Silva WickeAlle Rechte vorbehalten. Nachdruck - auch auszugsweise - nur mit schriftlicher Genehmigung von Thalea Klein.Sämtliche Personen in diesem Text sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind zufällig.Kontakt: [email protected]

Danksagung

Welcome

Meine Stirn wird schon ganz kalt, da ich sie die ganze Fahrt über an die kühle Fensterscheibe gepresst habe. Draußen ziehen die Häuser der Stadt vorbei, alles erscheint mir heute in einem fürchterlichen grau. Münchens letzter Blick lastet schwer auf meinen Schultern. Ich werde es nun eine ganze Weile nicht mehr sehen, denn in ein paar Stunden geht mein Flugzeug und bringt mich auf die andere Seite der Welt.„Woran denkst du, Alea-Schätzchen?“ Ich drehe mich mit einem schweren Seufzen zu meinem Dad um. Obwohl ich schon sechzehn bin, nennt er mich immer noch liebevoll Schätzchen. „Daran, wie sehr ich München und dich vermissen werde.“ Mein Vater kommt nicht mit nach Athens in die USA. Ein ganzes Jahr muss er noch hierbleiben, während ich bei seiner neuen Liebe wohne. Christina. Eigentlich ist sie ja ganz nett, aber bisher gab es halt nur mich und ihn. Er ist mein Fels in der Brandung, hat mich immer beschützt und getröstet. Er steht immer zu mir, wir sind seit Jahren ein eingespieltes Team. Meine Mom ist gestorben, als ich fünf war. Dad hat seine Rolle als alleinerziehender Vater hervorragend gemeistert und jetzt soll ich Abschied nehmen, ohne genau zu wissen, wann ich ihn das nächste Mal sehen werde. Es bricht mir das Herz, ihn hier zurückzulassen. In den letzten Jahren habe ich den Haushalt geschmissen, mich um ihn gekümmert und habe versucht, ihm das zurückzugeben, was ich jahrelang von ihm bekommen habe. Ein Zuhause.Auf dem großen Flughafengelände hält er an und dreht sich zu mir. „Ich werde dich auch vermissen. Ich verspreche, dass ich euch, so oft es geht, besuchen werde. Du wirst sehen, das Jahr ist ruckzuck um und dann sind wir drei zusammen.“ Seine Stimme hat mich schon als Kind beruhigt. Ich lehne meine Stirn gegen seine Schulter. Die ersten Tränen laufen über mein Gesicht. Als sein Handy klingelt, steigt er aus. Mit gesenktem Kopf folge ich auf meiner Seite des Wagens.„Hi Christina, wir sind gerade am Flughafen angekommen.“ Ich gehe um das Auto und öffne den Kofferraum, doch dann taucht Dad neben mir auf, nimmt meine Hände und dreht mich zu sich. Ich lege meinen Kopf gegen seine Brust und kann seinen vertrauten Geruch einatmen. Die Tränen laufen unaufhaltsam. „Aleas Flug geht in 45 Minuten. Bitte melde dich, wenn sie gut bei dir angekommen ist. Ich liebe dich. Bis später.“ Er steckt sein Telefon ein und legt den zweiten Arm um mich. Wir stehen eine Weile da, ohne ein Wort zu sagen. Er wartet bis ich mich beruhigt habe. Um mich von der Traurigkeit abzulenken, will ich nach meinem Koffer greifen, doch er sieht mich mit hochgezogenen Augenbrauen an. „Was hast du denn alles eingepackt?“, fragt er mit einem angestrengten Schmunzeln, als er ihn heraushebt und neben mir auf den Bordstein stellt. „Nur das Nötigste für die ersten Tage“, gebe ich dann schließlich grinsend zurück. „Ich hoffe, der Rest kommt nächste Woche nach, damit ich bis zum Schulanfang alles habe.“ Wir machen uns auf den Weg zum Schalter, um meinen Koffer aufzugeben und mein Flugticket abzuholen. Danach begleitet er mich noch zum Gate. Vorm Sicherheitsbereich bleiben wir stehen. Erst jetzt wird mir so richtig klar, dass sich hier unsere Wege für eine sehr lange Zeit trennen. Schniefend werfe ich mich um seinen Hals.„Pass auf dich auf und ruf mich jeden Tag an“, flüstere ich mit brüchiger Stimme. Sein Vertrag an der Universität in München läuft erst nächsten Sommer aus, dann wechselt er an die University of Georgia und wird dort als Dozent Geschichte referieren.Über die Lautsprecher an der Decke wird der Flug nach Atlanta aufgerufen. „Schätzchen, nicht mehr weinen. Wir sehen uns doch in ein paar Wochen zu Weihnachten.“ Er wischt mit einem Taschentuch meine Tränen weg. „Ich vermiss dich jetzt schon. Ich hab dich lieb, Dad.“„Ich dich auch.“ Sanft drückt er mich an sich. „Du musst jetzt gehen. Sie rufen deinen Flug bereits zum zweiten Mal auf.“ Nur zaghaft nehme ich meine Arme runter und wische mir dann mit dem Handrücken über die Nase. Anschließend gehe ich durch die Sicherheitskontrolle und drehe mich ein letztes Mal um. Die Angst vor dem Neuen und Unbekannten erfasst mich zum wiederholten Male, denn schon die letzte Nacht konnte ich vor Aufregung und Angst kaum schlafen. Natürlich freue ich mich auf Amerika. Es ist immerhin ein jahrelanger Traum von mir, nein von uns beiden. Schon so lange ich denken kann, sind wir ein oder zweimal im Jahr in die Staaten geflogen. Den Umzug haben wir geplant, nachdem er Christina letztes Jahr im Urlaub kennengelernt hat. Die beiden haben sich sofort ineinander verliebt und so stand schon bald fest, dass wir zu ihr ziehen. Gemeinsam haben wir dann beschlossen, dass ich die letzten beiden Jahre auf der High School absolviere und nicht nur mein Senioryear.Der Flug dauert fast elf Stunden. Zum Anfang vertreibe ich mir die Zeit mit ‚Iron Man III‘, den ich mir in dem kleinen Fernseher im Kopfteil des Sitzes vor mir ansehe. Anschließend nutze ich die verbleibende Zeit, um endlich ‚Twilight‘ zu Ende zu lesen. Ich muss über dem Buch eingeschlafen sein, denn ich schrecke hoch und werde zitternd wach, während das Buch polternd auf den Boden gefallen ist. Es dauert einige Sekunden bis ich realisiere, wo ich mich befinde. Zum Glück hat es kaum jemand mitbekommen, außer meinem Sitznachbar, der mir mit einem Lächeln das aufgehobene Buch gibt. Meine Hände sind schweißnass und kalt, als ich es ihm abnehmen will. Um mich selbst beruhigen zu können, lächle ich zurück und krächze ein „Danke“. Zu mehr ist meine Stimme in diesem Moment nicht fähig. Der Albtraum verfolgt mich seit Jahren. Auch wenn ich davon in den letzten Wochen verschont geblieben war, hat er mich eiskalt erwischt und ein großes schwarzes Loch an Angst in meinem Bauch hinterlassen. Für jeden anderen wäre er vielleicht gar nicht beängstigend, denn eigentlich passiert nicht wirklich etwas Schlimmes. Am Anfang sind es schöne Erinnerungen. Erinnerungen an meine Mom, doch dann sehe ich plötzlich diesen riesengroßen dunklen Baum. Ich muss meinen Kopf in den Nacken legen, um an ihm empor zu sehen. Von den Seiten kommen pechschwarze Wolken in mein Sichtfeld, die den Baum gruseliger und bedrohlicher wirken lassen. Ein gleißend helles Licht blendet mich so stark, dass mir dadurch große Schmerzen in den Augen zugefügt werden. Ich spüre, wie dieses Licht keinen Frieden bringt, es hinterlässt in mir ein äußerst beängstigendes Gefühl. Ich verstehe es ja selbst nicht. An dem Punkt wache ich auf, meine Beine sind wackelig. Ich habe das Gefühl, mich übergeben zu müssen und mein Herz pocht, als würde es mir aus der Brust springen wollen. Die Stimme des Piloten holt mich aus meinen Gedanken, denn ich starre immer noch auf das Buch. Wir werden gebeten, uns anzuschnallen, weil wir in wenigen Minuten landen werden. Während es in München bereits Mitternacht ist, ist es in Atlanta erst sechs Uhr abends. Ich folge der Menschenmasse aus dem Flugzeug. Es dauert eine ganze Weile, bis mein Koffer endlich auf dem schwarzen Gepäckband daher tuckert. Christina wartet mit einem großen ‚Herzlich Willkommen‘ Schild auf mich. Sie brüllt bereits über den Flughafen und hüpft vor Begeisterung auf und ab. Trotz des Gewichts meines dicken Hartschalenkoffers, werden meine Schritte immer schneller. Endlich bin ich bei ihr angekommen. Vor Freude kreischen wir beide und drücken uns ganz fest. Ihre überschwängliche Art hat mir gefehlt. Das letzte Mal haben wir uns vor Wochen gesehen. Christina ist zehn Jahre jünger als Dad. Der Altersunterschied stört mich keineswegs, denn sie könnte meine größere Schwester sein, die ich nie hatte. „Lass uns aufbrechen. Die Fahrt dauert auch noch mal anderthalb Stunden. Du wirst sicherlich von dem langen Flug geschafft sein und endlich ins Bett wollen.“ Sie zieht mich wieder in ihre Arme. „Ich bin froh, dass du da bist. Allerdings sollten wir gleich anrufen. Ian, ich meine dein Dad wird sich bereits Sorgen machen.“ Sie zwinkert mir zu, denn sie kennt ihn schon ziemlich gut. Christina reicht mir ihr Telefon, da meins in den Staaten nicht funktioniert und wir in den nächsten Tagen erst ein neues für mich besorgen müssen. Christina hat die nächsten zwei Wochen Urlaub. Sie will mir einiges zeigen, damit ich mich nachher zurecht finde, wenn die Schule losgeht. „Wollen wir noch in den Supermarkt? Ich möchte uns heute Abend etwas kochen.“, unterbricht sie meine Gedanken, während wir zum Auto laufen. „Das klingt super.“ Als wir vor dem Supermarkt anhalten, dreht sich Christina zu mir: "Kommst du mit rein oder willst du hier im Auto warten?" „Ich komme mit.“ Ein Gähnen kann ich mir dabei nicht verkneifen. In München würde ich jetzt in meinem Bett liegen und vielleicht von dem Jungen aus der Jahrgangsstufe über mir träumen. Ich steige aus dem Auto und gehe zu ihr. Sie hakt sich in meinen Arm ein, den ich in der Jackentasche habe und zieht mich mit.„Was magst du essen?“, sie ist so gut gelaunt, aber ich muss erst einmal richtig wach werden. „Ich bin unkompliziert und schnell zufriedenzustellen. Solange du Schokolade im Haus hast, ist alles gut.“ Wir sehen uns an und fangen an zu lachen. „Das habe ich mir gedacht.“ Christina holt den Einkaufswagen. „Genau mein Typ, denn Schokolade habe ich immer im Haus.“Wir passieren gerade den Eingang, als uns eine Gruppe Jugendlicher entgegenkommt. Eines der Mädchen redet dabei ohne Punkt und Komma. Sie versucht den Jungen mit den braunen, strubbeligen Haaren zu etwas zu überreden, doch dieser verdreht nur gelangweilt die Augen. Heimlich schiele ich zu ihnen durch meine vor dem Gesicht hängenden Haare. „Komm schon Gab, lass uns gehen. Es ist Samstag. Du kannst nicht immer nur zu Hause sitzen und Bücher lesen. So wirst du nie ein Mädchen kennenlernen.“ Sie klimpert mit ihren Wimpern. Erst blickt er nur mürrisch drein, doch dann erhellt sich plötzlich seine Miene. „Ich will aber niemanden kennenlernen, Sofia.“ Sie tanzt die ganze Zeit um ihn herum. Das zweite Mädchen in der Gruppe hängt an einem der anderen Jungs. Ihn interessiert es nicht wirklich, dass sie ihn anhimmelt, als wäre er der letzte Junge auf Erden. Er unterhält sich mit dem dritten Jungen. Dieser ist drei, vier Jahre älter als die anderen. „B.I.T.T.E. Gab.“ Er knurrt, doch sie wird wahrscheinlich erst aufgeben, wenn er nachgibt. Ich muss schmunzeln, denn ich bin genauso, wenn ich etwas will. „Okay, wir gehen ins Kino, aber den Film wirst du nicht aussuchen.“ Das Mädchen mit den langen braunen Haaren, zieht einen Schmollmund. Es verfehlt nicht die Wirkung, denn er lacht. Dem Jungen fällt ständig eine widerspenstige Strähne ins Gesicht, die er vergebens versucht hinter das Ohr zu klemmen. Beide haben auf der gleichen Seite ein Grübchen, wenn sie lachen, was sie sehr sympathisch macht. „Was willst du jetzt noch?“, will er genervt wissen. Ihr Mund verzieht sich zu einem breiten Grinsen, was ihre dunkelbraunen Augen zum Leuchten bringt und sie klatscht hüpfend in die Hände. „Seit Donnerstag läuft der neue Fantasyfilm, für den schon seit Wochen Werbung gemacht wird. Bitte lass uns den ansehen.“ Schlagartig sind alle acht Augenpaare auf sie gerichtet. Gab antwortet jedoch ganz gelassen. „Die letzten Male haben wir deine Filme gesehen und einer war schlechter als der andere. Aber mir ist es egal, wenn die anderen damit einverstanden sind.“ Sie mustert ihn streng. „Du wirst doch wohl nicht wieder ein Buch mit ins Kino nehmen?“ Doch auch das trübt ihre Freude nicht. Selbst ich muss dabei kichern. In dem Moment, als wir an der Gruppe vorbeigehen, wandert Gabs Blick in meine Richtung. Vermutlich als Reflex auf mein Grinsen lächelt er mich auch an. Dabei bekomme ich eine Gänsehaut und halte kurz den Atem an. Als Sofia an mir vorbeihüpft, sagt sie mit fröhlicher Stimme: „Hallo.“ Ihr Lächeln wirkt aufrichtig und ist zudem auch noch ansteckend. Gab hat mich immer noch im Auge. Er zieht fragend die Augenbrauen tiefer, als er sich zu Sofia dreht. Was sie als nächstes sagen, kann ich jedoch nicht mehr hören, da sie bereits auf den Parkplatz hinausspazieren, doch Sofia scheint wegen des Kinofilms immer noch ganz aus dem Häuschen zu sein. Ob sie auch auf die Clark Central High School gehen? „Alea kommst du?“ Ich wirble zu Christina herum, die an der Gemüsetheke steht und gerade zwei grüne Paprika miteinander vergleicht. In den nächsten zwanzig Minuten räumen wir alles Mögliche an Essbarem in unseren Einkaufswagen und verlassen den Markt mit vier vollgepackten Tüten. Als wir Christinas Haus erreichen, trägt sie eine Tüte nach der anderen hinein, während ich mich wieder einmal mit dem Koffer abschleppe. "Du kennst dich hier ja aus", meint sie nur. Mit aller Mühe schleppe ich meinen Koffer die Treppe hinauf, mache schnaufend die Tür auf und bleibe auf der Schwelle stehen. Christina hat sich wirklich ins Zeug gelegt, denn das Zimmer sieht aus wie mein altes in München. Damit habe ich nicht gerechnet und packe so schnell es geht meine Sachen aus. Christina ist allerdings schon fast fertig, als ich in die Küche komme. Sie hat eine Pilzlasagne gezaubert und dazu einen Feldsalat gemacht. Das habe ich das letzte Mal in München für uns gekocht. Wir setzen uns an die Theke zwischen Küche und Wohnzimmer. Das Essen schmeckt köstlich. „Was wollen wir morgen zuerst machen?“, erkundigt sich Christina. Ich schaue von meinem fast leeren Teller zu ihr hoch und zucke mit den Schultern, denn ich habe mir noch keine Gedanken darüber gemacht. Sie schaut mich erwartungsvoll an, also überlege ich mir schnell etwas. „Ich würde gern laufen gehen, um die Umgebung besser kennen zu lernen.“ Sie klatscht in die Hände und steht auf.„Wir können gemeinsam laufen, dann zeige ich dir gleich die Gegend.“ Ich nicke ihr zu und räume mein Geschirr ebenfalls in den Geschirrspüler. „Willst du schlafen oder wollen wir uns noch einen Film ansehen?“ Da ich schon lange über den Punkt des Schlafens hinweg bin, bin ich für einen Film. „Was hast du denn zur Auswahl?“ Sofort läuft sie ins Wohnzimmer, hält drei DVD‘s in den Händen und zeigt sie mir. Mit dem Ellenbogen zeige ich auf die rechte Hülle, ‚Kein Ort ohne dich‘, denn ich bin gerade dabei die Auflaufform abzuwaschen. Ihr Grinsen wird breiter. „Den hätte ich auch gewählt.“, dreht sich um und geht zurück.Nach dem Film gehe ich ins Bett. Ein Blick auf die Uhr sagt mir, dass es nach Mitternacht ist und ich merke jetzt erst wie anstrengend die anderthalb Tage auf den Beinen waren. Ich brauche nicht lange zum Einschlafen. Es ist schon fast elf Uhr, als ich wieder wach werde. Ich schrecke hoch, denn wir wollten am Morgen laufen gehen. Unter der Dusche spüle ich die Müdigkeit weg und fühle mich gleich besser, allerdings wird es einige Tage dauern bis ich mich an die Zeitumstellung gewöhnt habe. Unten ist der Tisch für mich immer noch gedeckt. Christina kommt in die Küche, als ich gerade den Orangensaft aus dem Kühlschrank hole. „Guten Morgen. Hast du gut geschlafen?“„Guten Morgen. Ja, hab ich. Warum hast du mich nicht geweckt?“ „Wir können auch morgen laufen gehen. Schließlich haben wir zwei Wochen Zeit. Es war erstmal wichtiger, dass du ausschläfst.“ Ich setze mich an den Frühstückstisch, während sie sich ein Glas aus dem Schrank holt und sich zu mir setzt. Sie hält mir das Glas hin, damit ich ihr was von dem Saft einschenken kann. „Dein Vater hat angerufen und gefragt, ob du dich schon eingelebt hast?“ Wir beide sehen uns an und müssen lachen, sodass mir fast die Flasche aus der Hand fällt. Das ist so typisch für ihn. Ich bin noch keine vierundzwanzig Stunden hier und er erkundigt sich, ob ich mich schon eingelebt habe. Es dauert eine Weile bis unser Lachen abklingt. „Und was hast du ihm geantwortet?“ Ich schmiere mir auf die Brötchen dick Nutella drauf. „Dass man sich nach gefühlten zwei Stunden noch nicht eingelebt haben kann. Es dir aber gut geht und du dein Zimmer klasse findest.“ Sie zwinkert mir zu. „Das stimmt. Da hast du wirklich gute Arbeit geleistet. Danke.“ Christina steht auf und räumt ihr Glas in die Spülmaschine. „Du musst dich nicht bedanken, das habe ich gerne gemacht. Ich will, dass du dich wohlfühlst.“ Sie dreht sich zu mir. „Was hältst du davon, wenn wir dir nach dem Essen ein Handy besorgen? Ich fühle mich besser, wenn ich dich erreichen kann.“ Ich beiße von meinem Nutellabrötchen ein großes Stück ab. „Hmmmm“. Schnell schlucke ich alles mit Kaffee hinunter. „Können wir machen.“„Iss in Ruhe auf. Ich muss noch schnell telefonieren und dann können wir los.“ Im nächsten Moment hat sie die Küche verlassen und ich beiße erneut ab. Nach dem Frühstück räume ich meine Sachen auf und will gerade zu ihr, als sie mir im Flur entgegen kommt. „Kann es losgehen?“, fragt sie. Auf der Fahrt erklärt sie mir die Gegend. Ihr Haus ist im Westen von Athens und mit dem Auto sind wir in zehn Minuten an der Clark Central High School. In der Nähe ist gleich die University of Georgia. Ich habe bereits in Deutschland mit dem Driver's Manual, dem Führerscheinbuch, gelernt. Ich möchte in der nächsten Woche die theoretische Führerscheinprüfung ablegen, um so schnell wie möglich hier in den Staaten meinen Führerschein zu machen. Dann kann ich alleine zur Schule fahren und muss mich nicht ständig von ihr herumfahren lassen. Aber bis dahin fährt mich Christina täglich in die Schule. Ich kenne Athens bereits aus den letzten Urlauben und es gefällt mir, doch bis jetzt war es Urlaub und nun ist es mein neues Zuhause. Das Gefühl angekommen zu sein, breitet sich langsam in mir aus. Das neue Telefon mit Vertrag ist schnell besorgt, denn zum Glück haben die Geschäfte hier immer offen. Wieder zurück speichere ich alle Nummern ein, verschicke SMS mit meiner neuen Nummer und mein Status wechselt nach über 24 Stunden von offline zu online. Als ich ganz vertieft in das Handy und dessen Funktionen bin, werde ich zum Essen gerufen. Ein leckerer Geruch von gebratenem Fleisch und Gemüse steigt mir in die Nase. Mit jeder Treppenstufe die ich runtergehe wird er intensiver. „Hmmm“ Mein Magen knurrt lauthals. Christina muss mich nicht gehört haben und erschreckt sich so fürchterlich, dass ihr fast die Schüssel aus der Hand fällt. „Dein Essen riecht lecker und ich habe einen Bärenhunger.“ Sie hat bereits alles vorbereitet, so dass ich bloß noch unsere Teller nehmen muss. Mit ihnen gehe ich zum Tisch rüber und sie kommt mit den Getränken hinter mir her. „Wollen wir vor dem Fernseher essen?“ Da kann ich schlecht nein sagen. Sie setzt sich auf die Couch und ich mache es mir auf dem Fußboden im Schneidersitz gemütlich. Im Fernsehen läuft eine Komödie. Keine Sekunde nachdem der Film zu Ende ist, springe ich auf und greife nach den Tellern. „Morgen koche ich und um mich für das Essen heute zu revanchieren, räume ich die Küche auf.“ Bevor ich das Wohnzimmer verlasse, ruft sie: „Danke, dann kann ich noch ein bisschen arbeiten. Ich habe die nächsten Tage frei, doch abends muss ich wenigstens die Mails checken.“ In der Küche fange ich gleich an, das Chaos zu beseitigen. Es ist nicht viel, wir sind ja nur zwei Personen. Danach gehe ich mit einer kalten Cola ins Wohnzimmer und zappe durch die Programme. Ich kann nichts finden, was mich interessiert, also schaue ich mir die Unterlagen für die morgige Prüfung nochmal an. Um Mitternacht gehe ich völlig erschöpft ins Bett.Am Morgen liege ich bereits eine Zeit wach und warte auf das Klingeln meines Weckers, denn die Zeitverschiebung habe ich noch nicht richtig verarbeitet. Die ganze Nacht habe ich mich hin und her gewälzt, ohne in den Tiefschlaf zu fallen. Was sich jetzt leider bemerkbar und die bevorstehende Prüfung nicht leichter macht. „Guten Morgen“, begrüße ich Christina in der Küche. Sie steht neben dem Kaffeeautomaten und trinkt einen Kaffee. Ich gehe zum Kühlschrank und nehme den Orangensaft raus. „Guten Morgen. Du siehst müde aus. Hast du nicht gut geschlafen?“ Währenddessen gieße ich mir ein und zeige mit der Flasche zu ihr, ob sie auch ein Glas möchte, doch sie schüttelt nur mit dem Kopf. „Der Jetlag macht mir noch zu schaffen.“ Den Saft stelle ich wieder in den Kühlschrank zurück. „Du hast ja noch zwei Wochen Zeit bis die Schule beginnt. Wir sollten vielleicht ab morgen immer um sechs Uhr aufstehen und joggen gehen, dann gewöhnst du dich an die Uhrzeit.“ Innerlich stöhne ich auf, denn wer steht schon in den Ferien gerne so früh auf. Doch leider hat sie damit recht. Mein Glas habe ich in einem Zug geleert, denn heute werde ich keinen Bissen herunter bringen. Ich bin viel zu nervös vor der Prüfung. „Ist ok. Fahren wir dann los?“, meine Nervosität kann ich kaum noch verbergen. Christina hält ihre Kaffeetasse in der Hand und sieht mich irritiert an. „Bist du denn schon fertig? Möchtest du gar nichts essen?“ Ich schüttle den Kopf und räume alles in den Spüler. „Wenn ich die Prüfung bestehe, darf ich dann zurückfahren?“, versuche ich es, um mich von der Aufregung abzulenken. Sie lächelt mir entgegen und schüttelt den Kopf. Na ja, einen Versuch war es auf jeden Fall wert. Ich versuche meine Enttäuschung hinter einem schiefen Lächeln zu verbergen. „Morgen nach dem Frühstück fahren wir auf einen Übungsplatz und wenn du deine Sache gut machst, kannst du uns von dort heimfahren.“ Meine Mundwinkel ziehen sich ganz von alleine nach oben. "Wirklich?" In meinem Bauch fängt es an zu kribbeln, so groß ist die Freude darüber. „Sicher, du musst in dreißig Tagen fahren können, um die praktische Prüfung zu bestehen.“ Ich könnte die Welt umarmen.Auf der Fahrt zur Prüfung nimmt die Angst allerdings überhand. Meine Finger werden eiskalt. Sie fangen an zu zittern und der Mund wird trocken. Christina hält vor dem Gebäude, in dem die Prüfung stattfindet. Ich versuche beim Öffnen der Autotür, meine Hand so ruhig wie möglich zu halten, doch ihr bleibt mein marodes Nervenkostüm nicht verborgen. Sie legt mir ihre Hand auf den Oberschenkel. „Du schaffst das schon. Ich drücke dir die Daumen und hole dich nachher wieder ab.“ Ihre Worte beruhigen mich ein bisschen, ich atme noch einmal kräftig ein und steige aus dem Auto. Das Haus vor dem wir stehen sieht wenig einladend aus, es ist in einem hässlichen khakigrün gestrichen, das durch die Umwelteinflüsse eher kotzgrün aussieht. Nicht nur die Hauswände bräuchten einen neuen Anstrich, auch an den Fenstern blättert bereits die Farbe ab. Aber was soll‘s, ich soll hier nicht häuslich werden. Ich erinnere mich, dass die Prüfung im zweiten Stock stattfindet. Halb rennend nehme ich jede zweite Stufe, reiße die Eingangstür auf, die auch schon bessere Zeiten gesehen hat. Abgehetzt und schnaufend, wie eine alte Dampflok, erklimme ich die letzten Stufen, denn ich will nicht zu spät kommen. In der zweiten Etage angekommen, biege ich um die Ecke und laufe in jemanden hinein, wodurch ich abrupt abgebremst werde. Ich stottere herum, ohne wirklich den Grund meines Zusammenstoßes zu kennen. „Entschuldigung. Es tut mir leid. Ist Ihnen etwas passiert?“ Mit unglücklicher Miene konnte ich noch sehen, wie mein Telefon auf dem Boden landet. Ich gehe in die Hocke und suche alles zusammen, doch beim Aufstehen stoße ich mit der Person ein zweites Mal zusammen, nur dieses Mal sind es unsere Köpfe, die aneinander prallen. „Aua“, jammere ich und reibe mir die Stirn. Das wird eine schöne Beule geben. Langsam hebe ich meinen Kopf, um in das Gesicht meines Gegenübers zu sehen. Aber damit ich der Person in die Augen schauen kann, muss ich meinen Kopf in den Nacken legen. Ich schrecke zusammen, mein Herz fängt an, schneller zu schlagen. Meine ohnehin schon schwitzenden Hände fangen an zu zittern.„Kannst du nicht aufpassen?“, fährt er mich grimmig an. Ich bin unfähig, etwas zu erwidern und starre ihn mit großen Kulleraugen nur an. Mein Gehirn ist wie leergefegt. Mir will absolut nichts Passendes einfallen, denn ich schaue in so schöne braune Augen. Wir stehen so dicht, dass ich seine bernsteinfarbenen Sprenkel darin erkennen kann. So langsam fange ich mich und meine Synapsen kommen wieder in Gange. Ist das nicht der süße Junge vom Supermarkt am Samstagabend? Immer noch stehen wir nur wenige Zentimeter voneinander entfernt und mir fällt auf, so aus der Nähe sieht er sogar noch besser aus. Er hat seine Augenbrauen zusammengezogen und Falten zeichnen sich auf seiner Stirn ab. Seine Gesichtszüge sind verhärtet und sehen kalt aus, aber das hält mein Herz nicht davon ab, in einem rasenden Tempo weiter zu schlagen. Wir stehen so nah, dass ich seine Körperwärme auf meiner Haut spüren kann. Seine Wärme breitet sich in meinem Körper aus und zaubert mir Schmetterlinge in meinen Bauch. Widerwillig trete ich ein Stück zurück, denn der Drang ihn zu berühren ist unglaublich groß. Sein noch immer grimmiger Blick lässt mich dann doch innehalten und die Gedanken zerplatzen, wie eine Seifenblase. Ich schaue ihm in die Augen, aber in seinem Gesicht ist keine Regung zu erkennen. Die feindselige Art verletzt mich und damit er mir meine Unsicherheit nicht anmerkt, dränge ich mich schnell an ihm vorbei, schließlich bin nicht ich allein an dem Zusammenstoß schuld. Mein Herz rast und meine Hände zittern zum zweiten Mal an diesem Tag. Was hat er nur an sich? Auch wenn sein Blick mich abstoßen sollte, hat er genau das Gegenteil bewirkt. Ich schüttle den Kopf und ärgere mich über meine Tatenlosigkeit, denn ich bin doch sonst nicht auf den Mund gefallen.Im Prüfungszimmer sitzen schon viele Jugendliche. Es sind nur noch zwei Plätze frei. Der eine ist neben einem Jungen und der andere neben einem Mädchen. Von Jungs habe ich nach dem Erlebnis auf dem Flur für heute die Nase gestrichen voll, also lege ich meine Tasche und das Buch auf den freien Platz neben dem Mädchen. „Hi, ich bin Harper“, begrüßt sie mich und hält mir ihre Hand hin. Mir fällt sofort auf, dass wir den gleichen Modegeschmack haben, denn sie trägt ebenfalls eine enge Jeans mit Turnschuhen und ein lässiges Shirt. Sofort finde ich sie sympathisch, denn wir könnten als Geschwister durchgehen, nur das ich langes braunes Haar habe und sie langes blondes. Sie trägt ein dezentes Make-up, ist hübsch, aber eher unscheinbar so wie ich. Natürlich würde ich mich nicht selber als hübsch bezeichnen. Harper sitzt lässig auf ihrem Stuhl und spielt mit einem Bleistift. Ihre Haare trägt sie offen, mit ein paar Strähnen hinter dem rechten Ohr. Sie schaut mich fragend an, als sie bemerkt, dass ich sie anstarre und mustere. Ich zucke mit den Schultern und reiche ihr meine Hand. „Alea. Darf ich mich neben dich setzen?“, erkläre ich schnell. Jetzt schaut sie mich eine Minute zu lang an und grinst. „Du kommst wohl nicht aus den Staaten. Dein Akzent klingt irgendwie fremd.“ Ich mag ihre offene Art sofort. „Ich wohne erst seit Samstag hier. Ich meine in den USA.“ Sie ändert ihre Sitzposition und fängt an auf ihrem Block zu malen, während ich mich neben ihr setze. „Machst du ein Austauschjahr hier?“ Sie schaut auf und wartet auf meine Antwort. „Nein“, das ist der Startschuss für eine wilde Fragestunde. Sie möchte unzählige Dinge zu mir und meiner derzeitigen Lebenssituation wissen. Ihre Neugierde bringt mich zum Lächeln, denn so muss es sich anfühlen, wenn man die Neue ist. Ich werde mich daran gewöhnen, denn diesen Fragen werde ich mich in den nächsten Wochen öfter stellen müssen. Wir unterhalten uns angeregt bis ein älterer Mann den Raum betritt. Wir schauen beide in seine Richtung, als er die Tür schließt und gemächlich zum Pult läuft. „In welche Schule wirst du gehen?“ Ich schaue verwundert zu ihr, denn im ersten Moment verstehe ich ihre Frage nicht. Meine Nervosität kehrt zurück beim Anblick des Prüfers. Harpers Mundwinkel heben sich, was auch mich zum Lächeln bringt. „Ich gehe auf die Clark Central High School in die 11. Klasse. Und du?“ Bitte lass sie auf die gleiche Schule gehen. „Ich gehe auch auf die Central High.“ Wenn man es könnte, dann hätten jetzt alle den Brocken auf den Boden krachen gehört, der mir vom Herzen fiel. „Wir wohnen im Woodhaven Drive. Und wo wohnst du?“ Wenn wir auch noch den gleichen Schulweg hätten, wäre mein Tag fast perfekt, abgesehen von dem Zwischenfall auf dem Flur, aber an den möchte ich momentan nicht denken. „Ich wohne mit meiner Familie auf der anderen Seite der Stadt.“ Ich lass die Schultern hängen. Es wäre doch zu schön gewesen. Sie hat sich zu mir gebeugt und stößt mich an. „Wollen wir nachher einen Kaffee trinken gehen? Gleich um die Ecke ist ein gemütliches Café.“ Ich nicke ihr zu, als der Prüfer um Ruhe und unsere Aufmerksamkeit bittet. Er erklärt uns die Vorschriften und gibt die Prüfungsbögen aus. Meine Nervosität steigt ins Unermessliche, ich kann meine Beine kaum stillhalten und mit dem Kuli trommele ich auf den Tisch. Statt meine Hand genervt festzuhalten, trommelt Harper im selben Takt mit. Wir schauen uns an und müssen grinsen, doch das vergeht uns als wir die vielen Blätter des Prüfungsbogens sehen. Es ist, als würde man einen Schalter in meinem Kopf umlegen, mein Lachen verschwindet und im nächsten Moment bin ich voll konzentriert. Ich habe gar nicht gemerkt, wie schnell die Zeit vergeht, denn schon bittet uns der Prüfer, die Fragebögen nach vorne zu bringen. „Soll ich deinen gleich mitnehmen?“ Sie wartet meine Antwort erst gar nicht ab, sondern zieht ihn unter meinen Händen weg und nimmt ihn mit. In der Zeit, in der Harper nach vorne geht, packe ich meine Sachen zusammen. Wir verlassen beide den Prüfungsraum und dabei habe ich wesentlich bessere Laune, als noch vor der Prüfung.

Café

In der Tür drehe ich mich noch einmal um, um zu schauen ob ich alles habe. „Kommst du?“ Harper wartet bereits ungeduldig auf dem Flur auf mich. Ich eile ihr hinterher und versuche mein Handy aus der Tasche zu fischen. Als ich es endlich in den Händen halte und herausziehe, will ich es einschalten, als ich höre, wie sie meinen Namen ruft, doch da ist es bereits zu spät. Ich schaffe es nicht einmal mehr meinen Kopf zu heben, als ich das zweite Mal an diesem Tag gegen ein Brett von Körper pralle. Der Aufprall ist nicht ganz so schlimm, da ich meine Hände vor mir halte und mich an der Brust des Gegenübers abstützen kann. Erst vergewissere ich mich, ob mein Handy, das ich noch immer in den Händen halte, den Zusammenstoß überlebt hat und erst dann schaue ich auf. „Scheiße!“ Ich zucke zusammen, denn ich wollte nicht, dass sich das Wort so hart anhört. Aber jetzt ist es raus und ich realisiere erst eine Sekunde später, in welcher Situation ich mich heute das zweite Mal befinde. Heute zum wiederholten Male schaue ich in diese braunen Augen. Ich glaube langsam, dass ich sie unter hunderten erkennen würde. Sie faszinieren mich und irgendwie scheint die Zeit stillzustehen. Seine Augen sind wunderschön, nur leider schauen sie mich ein weiteres Mal bitterböse an. Herrgott im Himmel, kann er nicht mal freundlicher schauen? Nicht nur ich stehe wie versteinert da, sondern auch er bewegt sich keinen Millimeter. Er steht so dicht, ich müsste nur meine Hand heben, um ihn im Gesicht zu berühren. Sein vernichtender Blick ist mein Warnschuss, gar nicht erst auf die Idee zu kommen, ihn dort anzufassen. Hinter mir vernehme ich ein leises Kichern. Ich würde mich zu gern umdrehen, doch ich kann mich nicht von ihm abwenden. Er fesselt mich und das ist die Untertreibung des Jahrhunderts. Aber, wie können so sanfte Augen, so böse schauen? Jetzt vernehme ich auch das unterdrückte Lachen von Harper. Ich drehe mich ruckartig um und sehe in sechs amüsierte Augen. Neben ihr stehen der Junge und das Mädchen, die ebenfalls die Prüfung geschrieben haben. „Komm schon Gab, es ist doch alles halb so wild. Es ist doch keinem etwas passiert.“ Alle Blicke sind auf das Mädchen gerichtet, außer der von Gab, denn der blickt immer noch mich an. Erst jetzt bemerke ich, dass ich meine Hände auf seiner Brust habe. Schnell ziehe ich sie weg, wobei mir fast mein Handy aus der Hand rutscht. Ich drängle mich an ihm vorbei und deute Harper an, dass ich so schnell wie möglich hier weg möchte. Ich verlasse im Eiltempo den Flur und das Gebäude, sodass sie ihre Not hat mit mir mitzuhalten. Draußen vor der Tür hält sie mich am Arm fest und ich atme erleichtert tief aus. Ohne es zu bemerken habe ich die ganze Zeit die Luft angehalten. „Warum mussten wir so fluchtartig weg?“, fragt sie mich schnaufend. Ich will ihr nicht antworten, denn mir ist es peinlich. Seit wann bin ich zu einem solchen Tollpatsch mutiert? „Kann ich es dir im Café erklären?“ Sie schaut mich mit hochgezogenen Augenbrauen an, aber nickt. Das Café ist nur zwei Gehminuten entfernt, was viel zu kurz ist, um sich eine neue Geschichte oder eine Ausrede auszudenken. Vor uns erscheint ein imposantes Haus. Es ist klitzeklein im Gegensatz zu den umliegenden hohen Gebäuden und es besticht durch seine außergewöhnliche Ausstrahlung. Ich bin überrascht, denn von außen sieht es sehr einladend aus. Es hat zwei kleine Schaufenster, durch die man den Innenraum gut erkennen kann. Bei jedem Öffnen der Eingangstür ist ein schrilles Bimmeln zu hören. Als Harper uns die Tür öffnet, kommt mir ein herrlich angenehmer, warmer Geruch von Kaffee entgegen. Der Innenraum lässt sich schwer beschreiben, das Café ist weder modern noch altmodisch. Die Kombination von alten und auch neuen Sitzmöbeln, Tischen und der floralen Dekoration machen das Ambiente einmalig. Ich habe mich auf den ersten Blick in das Café verliebt, denn es strahlt eine Gemütlichkeit aus, die mich in ihren Bann zieht. Der Innenraum ist brechend voll mit Menschen, die lachen und sich unterhalten. Die Geräuschkulisse, der Geruch und der Anblick rufen ein angenehmes Gefühl in mir hervor. Das Gefühl, zu Hause angekommen zu sein. Ich kann keinen leeren Platz sehen, doch Harper hat einen entdeckt und eilt sofort los. Sie ergattert einen der beliebtesten Plätze am Fenster, an dem gerade ein älteres Ehepaar am Aufbrechen ist. Mit langsamen Schritten gehe ich ihr hinterher, denn es ist gar nicht so einfach, durch die Menschenmenge hindurchzukommen. Bei ihr angekommen, muss ich feststellen, dass der Tisch neben uns mit mir bekannten Gesichtern besetzt ist, über die ich nicht gerade erfreut bin. Ich verdrehe genervt die Augen. Wie soll ich ihr hier denn die Geschichte von vorhin erzählen? Die Tische stehen so dicht zusammen, dass es keine Möglichkeit gibt, sich ungestört zu unterhalten.Mit einem großen Plumps lasse ich mich auf einen der Stühle fallen. Zum Glück sitze ich mit dem Rücken zu ihnen. Harper schaut mich stirnrunzelnd an. Wie soll ich ihr das nur alles erklären und warum sind sie eigentlich vor uns in dem Café? Mit meinen Augen versuche ich ihr zu verstehen zu geben, dass ich einfach nur genervt von unseren Tischnachbarn bin und ihr hier die Geschichte nicht erzählen will, besser gesagt nicht erzählen kann.