Lehrgerüst und Meistersang - Hans Hermann Cordes - E-Book

Lehrgerüst und Meistersang E-Book

Hans Hermann Cordes

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Beschreibung

Der Autor von »Bi us wöör dat so« begibt sich diesmal auf Fährtensuche in seine eigene Vergangenheit und lässt den Leser dabei auf eine sehr nachdenkliche und heitere, besinnliche und zuweilen ernste Art an nicht selten allzu menschlichen Erlebnissen und Begebenheiten teilhaben. Die Spurensicherung auf dem Weg in die neue Zeit beginnt Mitte der fünfziger Jahre mit der Ausbildung in den bremischen Häfen, führt in die noch wenig aufmüpfige, eher beschaulich zu nennende Studienzeit nach Frankfurt, zum schweißtreibenden und muskelzerrenden Praktikum in den Bergbau und erstreckt sich schließlich nach der Rückkehr ins Berufsleben auf besondere Aufgaben in der öffentlichen Verwaltung.

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EPUB

Seitenzahl: 99

Veröffentlichungsjahr: 2013

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Hans Hermann Cordes

Lehrgerüst und Meistersang

Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek:

Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet unter http://dnb.ddb.de abrufbar.

Alle Rechte liegen beim Autor

Bremen 2007

Herstellung und Verlag:

Engelsdorfer Verlag, Leipzig

eISBN: 978-3-86901-396-1

Inhalt

Auf ein Wort

Lehrzeiten – Lernzeiten

Klassentreffen

Onkel Willem und der Kaiser

Schieblehre und Darmhaspel

Schuppen 14 und Speicher XI

Otto und sein Dackel

Wegzeichen

Das Jahr 1961

Das Technion – 1961 und heute -

Moshavim und Kibbuzim

Die Histadrut

Zwischenspiel

La Cucaracha

Kennen Sie Spitz?

Curaçao um acht

Orientierungen

Geschichte und Auftrag

Die Akademie der Arbeit

Austerity ist nicht gleich Authority

Katernberg und Reeperbahn

Die Hugenotten

Orchideen im Palmengarten

Dr. Marks und Bertold Brecht

Abschied

Meistersang

Der Zukunft eine Chance

Geschichten aus der Heimat – Fünf Fälle

Die 11. LDV – LA

Dem Leid so nah

Der Mann aus Slavonski Brod

Wege zum Glück

Eine junge Familie

Ferien mit Sonnenschein

In die Jahre gekommen

Das Richtige tun

Die Taufe

Ein Wort zum Schluss

Glossar

Auf ein Wort

Der Dichter Jean Paul hat einmal den Sinnspruch geprägt:

‚Die Erinnerung ist das einzige Paradies, woraus wir nicht vertrieben werden können.'

Das sagt uns aus heutiger Sicht wenig, und doch trifft dieser bildliche Vergleich schon zu. Es kann auch weniger poetisch ausgedrückt werden:

‚Die Erinnerung an das, was wir erlebt haben, kann uns niemand nehmen.'

Mehr als fünfzig Jahre sind seit der Schulentlassung vergangen. Ich frage mich manchmal, wo die Jahre geblieben sind. Jeder wird für sich diese Überlegung schon einmal angestellt haben. Fünf Jahrzehnte, die angefüllt sind mit Erinnerungen, Hoffnungen und Enttäuschungen, Erfüllung und Zufriedenheit, aber auch an Kummer und Leid. Alles liegt so dicht beieinander.

Und Christian Morgenstern (1871-1914) hat einmal gemeint, dass der Mensch ein kurzer Augenaufschlag, ein Blinzeln, ein Blick sei.

Fünfzig Jahre und mehr sind ein wunderbares Geschenk, ein lange andauerndes Glück, das nicht jedem von uns beschieden worden ist.

Lehrgerüst und Meistersang

Mit diesem zweiten Teil wird die Erinnerungsreihe fortgesetzt, mit dem ein Brückenschlag von der Vergangenheit zur Gegenwart versucht werden soll.

Wir wohnten damals in der Bürgerei, dem kleinsten Teil unseres Dorfes. Ganz früher war unser altes Fachwerkhaus einmal Rathaus gewesen. Der Ortsteil mit seinen großen Häusern und seinen noch größeren Gärten liegt an einem kleinen Fluss. Im Laufe der Zeit wurden in den schönen großen Gärten immer mehr neue große schöne Häuser gebaut und der Fluss begradigt. Die neue Zeit hatte auch hier endgültig Einzug gehalten.

Lehrzeiten – Lernzeiten

Lehrgerüst

Ein Lehrgerüst ist ein behelfsmäßiges Bauwerk, das zur Formgebung, Abstützung, Rundung und als Arbeitsbühne beim Bau von Brücken und Gewölben dient.

Es hatte sehr lange gedauert, bis ich mich vor einigen Jahren dazu entschließen konnte, in den ehemaligen Überseehafen unserer Stadt zu fahren, mir die Verfüllung des Hafenbeckens mit Millionen Kubikmetern Außenwesersand anzusehen, wusste ich doch längst vom Ende des hier einst so pulsierenden Hafenbetriebes.

Meine Gedanken gingen zurück in die Zeit vor mehr als 40 Jahren, als ich hier in die Lehre ging und mir das erste berufliche Rüstzeug erwarb. Ich dachte an die Menschen von damals, mit denen ich zusammengearbeitet hatte. Sie waren es, die das Lehrgerüst geformt hatten. Ich musste an die Kollegen Klaus und Horst, an Walter, den Tallymann, an Küpermeister Mahlmann, an den Skatkönig, an den Festmacher Schröter und an die vielen anderen denken, die hier einmal ihren täglichen Dienst verrichtet hatten.

In den folgenden Jahren wurde an dieser Stelle der Großmarkt angesiedelt, zuzugeben, es hat sich viel getan in der neuen Überseestadt.

Überseestadt ist aber nicht Überseehafen.

Klassentreffen

Fünfzig Jahre und einen Tag

Fünfzig Jahre, wahrlich eine sehr lange Zeit, in der sich so vieles geändert hat und wir selbst auch. Einige von den ehemaligen Mitschülern weilen schon nicht mehr unter uns, von den Lehrern von damals wohl kaum noch einer.

Bei einem Klassentreffen sollten alte Erinnerungen wieder aufgefrischt und Begegnungen neu belebt werden. Daraus wurde eine schöne, in angenehmer Weise verlaufene Wiedersehensfeier. Man verabredete, sich im Abstand von jeweils drei Jahren zu treffen. Man könne ja nicht wissen. Niemand der Anwesenden kam mit den sonst eher üblichen Erfolgsgeschichten daher, über die man doch nur gelächelt hätte. Und dann sprudelten nur noch so die Erinnerungen an damals, zu denen auch jene Episode im heißen Sommer am Meer gehörte:

Erinnert Ihr euch noch an unseren Schulausflug an die Ostsee, wurde gefragt, als unseren Mädchen ob ihres schändlichen Anbändelns mit den Hamburger Jungs Verweise ins Zeugnis geschrieben wurden und einem als Aufpasser mitgereisten Lehrer beim kühnen Sprung in die kühlen Fluten die Badehose abhanden gekommen war. Und ob man sich erinnerte und dabei herzlich lachte, als zu allem Unglück auch noch nach den Dritten gesucht werden musste.

Im Verlaufe des Abends, nach Beendigung des nachmittäglichen Spazierganges, hatte ein jeder eine möglichst kurze Anekdote aus seinem Leben nach Schulabschluss oder beim Einstieg in das Berufsleben zum Besten zu geben, fünf Minuten und ja nicht länger. Man kam dabei aus dem Schmunzeln und Staunen nicht mehr heraus.

Da fiel mir jene Geschichte zweier Mitschüler ein, die sich nach etlichen Jahren anlässlich eines Schuljubiläums wieder begegnen, aber nicht gleich wieder erkennen, weil sie sich in ihrem Äußeren doch sehr verändert haben.

„Sie waren in meiner Klasse? Was haben Sie denn unterrichtet?“

Dann kam ich an die Reihe:

„Wohin hat’s dich denn verschlagen?“

Die Jahre im Hafen

Onkel Willem und der Kaiser

Stillgestanden und Augen geradeaus

Onkel Willem betrieb mit seiner Frau Dora einen kleinen Obst-, Gemüse- und Kolonialwarenladen mitten im Dorf. Frühmorgens fuhr er mit seinem dreiräderigen Tempo-Lieferwagen zum Großmarkt nach Bremen, um Gemüse und Obst, besonders Südfrüchte, einzukaufen. Pünktlich zur Geschäftsöffnung stand der Onkel wieder hinter der Ladentheke. Wenn der Motor ihn einmal im Stich ließ, dauerte es ein wenig länger und seine Dora hatte sich dann mehr um den Verkauf anderer Waren zu kümmern und die Kundschaft zu vertrösten. Willem bekam es häufiger mit den Tücken der Technik zu tun. Er war eine Seele von Mensch und ein wunderbarer Geschichtenerzähler, dem man stundenlang zuhören konnte.

Ich hatte gerade eine Anstellung als Lehrling in der Hafenverwaltung mit der Lizenz zum Kaufmannsgehilfen bekommen. Die verkehrs- mäßige Anbindung an die große Stadt war damals schlecht, was man sich heutzutage kaum noch vorstellen kann. Einen fahrbaren Untersatz konnten sich zu der Zeit nur wenige leisten.

Ich musste vor fünf Uhr morgens aus den Federn, damit ich um fünf Minuten nach sechs pünktlich den Zug erreichte, den alle liebevoll Pingelheini nannten. Ein Junge von gerade einmal siebzehn Jahren hat so seine Probleme mit dem rechtzeitigen Aufstehen. So kam es manchmal vor, dass der Zug nicht auf mich warten konnte. Zum Glück gab es den Onkel, der mich dann bereitwillig mitnahm, einen kleinen Umweg in Kauf nahm und ich kurz vor acht noch rechtzeitig in der Firma ankam.

Onkel Willem, wie ich ihn nannte, war für mich zu einer richtigen Mitfahrgelegenheit geworden. Er griff dann während der Fahrt oft in seine unerschöpfliche Geschichtenkiste und erzählte mir einmal, so wahr er Wilhelm hieße, seine Begegnung aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg mit seinem gekrönten Namensvetter. Nun sei er im Gegensatz zu ihm nicht gerade groß geraten, dafür könne er ja nichts. Man hatte Wilhelm eine Uniform verpasst und in Stiefel gesteckt, in denen gut und gern zwei Kameraden Platz gefunden hätten. Da traf es sich nun, dass er an einer Parade teilzunehmen und dabei vor Wilhelm II zu salutieren hatte. Auch wenn es mit dem Gleichschritt nicht recht klappen wollte, so kam er doch rechtzeitig zu stehen, besser gesagt, zu liegen, denn bei dem etwas plötzlichen Befehl „Stillgestanden und Augen geradeaus“ seien die Stiefel in einem nicht zu erklärenden Bogen dem Kaiser vor die erlauchten Füße gefallen. Er habe wirklich gedacht, nun sei alles zu Ende. Der vom Gottesgnadentum beseelte oberste Deutsche habe sich aber wider Erwarten ganz menschlich gezeigt, zu ihm hinabgebeugt, sich nach seinem Namen erkundigt und dem Adjutanten die Order erteilt, für den guten Mann aus dem Volke eine ordentliche Uniform und tragbare Stiefel zu besorgen, was dann auch geschehen sei.

Wir waren angekommen, Onkel Willem brachte mich noch bis zum Bahnhof in der Neustadt und setzte mich dort mit den Worten ab:

„Junge, mok di foorts up’n Padd! Un snack ok noch mol platt! Junge, mach’ dich auf den Weg!“

Ich lief über die Brücke bis zur nächsten Straßenbahnhaltestelle, stieg in die Elektrische ein und fuhr zur Arbeit.

Schieblehre und Darmhaspel

Lehrjahre sind keine Herrenjahre

Der leicht abwertende Begriff Schuppen wird in keiner Weise einem solchen Gebäude gerecht. Wir verbinden in aller Regel mit dem Wort Schuppen einen größeren Abstellraum für häusliche Gerätschaften. Bei einem Hafenschuppen handelt es sich jedoch um eine hochtechnisierte Anlage mit einem dazugehörigen Betriebsgebäude zum Lagern und Fördern von Stückgütern, die bereits gelöscht wurden oder noch für den Bahn- und LKW-Verkehr zu verladen sind. Flurfördermittel waren lange Zeit Elektrokarren, die später von Gabelstaplern abgelöst wurden. So oder so ähnlich wird meistens ein Schuppen sachlich und fachmännisch erklärt und die darin zu erledigenden Arbeiten beschrieben.

Die Eisenbahnzüge gelangten damals direkt zu den Kaischuppen, bremisch Kajeschuppen genannt, wurden hier sofort be- oder entladen und verließen dann unmittelbar den Hafen wieder. Bremen war ein Eisenbahnhafen und deshalb bei der Abfertigung besonders schnell.

Als ich meine Lehre im Hafenumschlagsbetrieb antrat, lernte ich noch die alten Stückgutschuppen kennen, in denen man sich irgendwie wohlfühlen konnte. Über dem ganzen Betrieb lag ein Hauch von Romantik, so recht nach dem Geschmack eines Jungen mit ausgeprägtem Fernweh.

Am 1. April wurde ich eingestellt und bekam sofort den etwas eigenartigen, aber nicht sonderlich witzigen Humor der neuen Kollegen in der Buchhalterei zu spüren. Ich sollte mir aus dem Technischen Betrieb eine Schieblehre zum Vermessen der Kajeanlagen auf der linken Seite des Hafenbeckens besorgen, mit Schuppen 14 beginnend. Kam mir dies schon ziemlich abwegig, mindestens aber merkwürdig vor, verbannte ich ihren zweiten Auftrag, auch gleich noch eine Darmhaspel mitzubringen, ins Reich buchhalterischer Fantasie. Seemannsgarn könnten sie anderen aufbinden, aber nicht mir, bemerkte ich wohl ein bisschen zu vorlaut. Von da beäugten mich die Buchhalter misstrauisch und bezeichneten mich als leicht aufsässig. Zur Entschuldigung der männlichen Kollegen sei allerdings bemerkt, dass sie alle aus der Zeit unbedingten Gehorsams stammten und wohl nicht anders konnten. Ein Stift mit eigener Meinung, wo gäbe es denn so ’was, das passte nun wirklich nicht in ihr geordnetes Weltbild. Dieses erste Jahr ging denn auch ziemlich spurlos an mir vorbei, soll heißen, richtige Spuren hat es nicht hinterlassen. Buchhaltung war nun etwas, mit dem ich so gar nichts anfangen konnte. Die Beurteilung fiel nicht besonders wohlmeinend aus.

Ich hatte schon die große Befürchtung, dass aus solch’ einem Lehrgerüst dauerhaft ein behelfsmäßiges Bauwerk werden könnte. Bloß den Eltern keine Schande bereiten. Aber mit Zuspruch des Skatkönigs, der sich aus vollem Herzen eher seinem Landesverband verpflichtet fühlte und gutmeinenden Ratschlägen der Kollegen Klaus aus dem Export, Horst aus dem Import und Otto von der Eisenbahnabteilung überstand ich dieses erste Lehrjahr dann doch noch halbwegs bei der nicht gerade üppigen Lehrlingsvergütung von 25 Mark im Monat.

Tatsächlich entwickelten sich die beiden nächsten Lehrjahre in der Lager– und dann in der Eisenbahnabteilung positiv. Ich fand endlich die richtige Einstellung zur Arbeit. Das Betriebsklima war hier ganz anders und vor allem kollegial.

„Hier wird’s dir bestimmt gefallen.

Un kiek nich in’t Muuslock, kiek in de Sünn“, meinte Horst.

Schuppen 14 und Speicher XI

Maragogype oder Elefantenbohne

Im zweiten Lehrjahr hatte ich oft in den verschiedenen Schuppen und im Speicher XI zu tun, musste unter Anleitung Verzollungen vornehmen, zog Baumwoll- und Kaffeeproben, versuchte mich mit einigem Erfolg als Expedient bei der Abfertigung von Warenpapieren und hielt mich bei alkoholischen Verprobungen eher zurück. Das hätte einem Stift im zweiten auch nicht so gut zu Gesicht gestanden. Die Leute konnten wirklich einen Stiefel vertragen, geradezu abenteuerlich. Aber die Feuertaufe stand auch mir noch bevor, so nannte man ein ordentliches Besäufnis.