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Kurt Marti schreibt über Verstorbene ohne Floskeln und ohne Phrasen. Brillante Texte, die gegen den Tod und billigen Trost protestieren und das Leben feiern. Überraschend, politisch und poetisch. »Nein, er war nicht tüchtig, nein, er war auch nicht fleißig. Er arbeitete nur, sofern es nicht anders ging. Im Sommer lag er gut geölt im Schwimmbad und für den Winter suchte er sich eine Beschäftigung und eine Freundin, denn er war über die Feiertage nicht gern allein. Welche Wohltat in einer Welt, die vor Tüchtigkeit aus den Fugen gerät: Ein Mann, der sich gute Tage zu machen wusste, bevor der letzte Tag für ihn kam.« So schreibt Kurt Marti und bricht mit jeglichen Floskeln und Konventionen in der Rede über Verstorbene. Er benennt, was alle denken, aber sich niemand zu sagen traut. Anstelle von steifen Gepflogenheiten macht Marti sich stark für das Leben, für Menschen und ihre Biografien, ihre Schwächen, ihre Sorgen, ihre Stärken und Freuden. Er spricht von der Not eines dicken Mädchens und wie traurig es ist, nicht unbedingt, dass dieser Mann gestorben sei, sondern, dass er nie gewagt hatte, glücklich zu sein. Er schreibt von der Frau, die ein Leben lang gehorcht statt gelebt hatte, und davon, wie bitter es ist, sterblich zu sein. Martis brillante Texte protestieren gegen Tod und gegen billigen Trost und feiern das Leben –und den Gott der Lebendigen.
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Seitenzahl: 26
Veröffentlichungsjahr: 2025
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Kurt Marti
Leichenreden
Mit einem Nachwort vonZora del Buono
Herausgegeben vonBigna Hauser
Wallstein Verlag
Umschlag
Titel
Kurti Marti: Leichenreden
»Wir leben zu wenig«. Nachwort von Zora del Buono
Impressum
Am Anfang des menschlichen Lebens steht die befruchtete Eizelle, ein winziges Gebilde von etwa 1 /2 mm Durchmesser und 1 /200 mg Gewicht.
Zeitschriftenaufsatz
Alles ist Wunder
Alles außer dem Tod –
Gesegnet der Tod, der das Ende aller Wunder ist.
Manuel Bandeira
es ist ein wunder
was ist ein wunder?
gezeugt zu werden
zu zeugen
geboren zu werden
zu gebären
gelebt zu werden
zu leben
geschaffen zu werden
zu schaffen
geträumt zu werden
zu träumen
geliebt zu werden
zu lieben
gebraucht zu werden
zu brauchen
gedacht zu werden
zu denken
gefühlt zu werden
zu fühlen
gestorben zu werden
zu sterben
es ist ein wunder
ist es ein wunder?
es ist
Gerhard Debus
Er (der Pfarrer) ist zunächst »nolens volens« Funktionär des Brauchtums, und zwar amtiert er als »Zeremonienmeister«. Dieser Begriff enthält nichts Abschätziges. Wenn wir einmal eingesehen haben, dass jeder Mensch auf die Hilfe der Gesellschaft und ihrer Riten angewiesen ist, sträuben wir uns nicht dagegen, dass das Zeremoniell einen Leiter haben muss, der seinen Ablauf mit Befehlsworten, Gesten und Symbolen lenkt und es mit der Rezitation von traditionellen oder originalen, aber situationsgerechten Texten bereichert. Der Dienst des Zeremonienmeisters ist bei dieser Veranstaltung so wichtig wie der des Totengräbers oder des Wirtes, der das Beerdigungsmahl zubereitet.
Walter Neidhart
das largo von händel
ist wie
das largo von händel
ein cello
ist wie
ein cello
eine trauerfeier
ist wie
eine trauerfeier
eine abdankungspredigt
ist wie
eine abdankungspredigt
ein gebet
ist wie
ein gebet
ein zuspruch
ist wie
ein zuspruch
Alle, die mich auf dem letzten Gang begleiten, sollen nur während der Predigt und der Versenkung der Urne besinnlich sein. Danach ist Gemütlichkeit und Humor an der Reihe. Ich habe bei Frau Jenni in der ›Grünegg‹ ein Säli reserviert und im voraus ein Zvieri mit Hamme und natürlich einem rechten Tropfen Roten bezahlt. Da denkt alle an mich zurück, indem ihr bei Frohsinn und Geselligkeit meine Geschichten auffrischt. Zum Abschluss des Mahls, das wünsche ich mir ausdrücklich, singt für mich noch einmal ›Wie die Blümlein draussen zittern‹. Ich werde mein liebstes Lied hören.
Letztwillige Verfügung von Karl (Kari) Dällenbach, Coiffeurmeister und Stadtoriginal in Bern, kremiert am 12. August 1931
lasst
die toten ihre toten begraben
aber
die toten sind in den streik getreten
sie fordern mitbestimmung und kürzere ferien
so bleibt uns keine andere wahl
wir müssen die arbeit selber besorgen
lasst
die toten ihre toten begraben
aber
wir sind nach der arbeit
herzlich zum leichenmahle geladen
schon werden die tische im hirschen gedeckt
der wein ist bereit der schinken geschnitten
lasst
die toten ihre toten begraben
aber
wir wollen uns mit dem leben verbrüdern
mit onkeln und tanten mit vettern basen und
freunden
so kommt denn und lasst uns zusammen
tafeln und trinken reden und lachen
Sonderbares Leben:
Bruchstücke eines Textes in den beständig andere
Bruchstücke eingeschoben werden.
Aber welches ist der richtige Text?
Helmut Heißenbüttel
Der Gesang der Schöpfung erhebt sich aus
den Trümmern irdischen Bemühens.
Henry Miller
die stühle
auf denen wir sitzen
sind nicht