Leon - Der Schlangenmagier von Tarronn - Sina Blackwood - E-Book

Leon - Der Schlangenmagier von Tarronn E-Book

Sina Blackwood

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Beschreibung

Fast neunzehn Jahre sind vergangen, seit die vereinte Raumflotte aus Atlan, Tarronn, Asen und Helion Seth in die Knie gezwungen hat. Trotzdem trainieren die Magier täglich weiter, denn es existieren noch unzählige Caiphas-Splitter, die buchstäblich überall aufzutauchen vermögen. Und auf handfesten Ärger durch diese müssen die Atlan nicht einmal lange warten, denn Leon, der junge Schlangenmagier, trifft in blanker Selbstüberschätzung eine verhängnisvolle Entscheidung, die ihn und andere fast in den Tod reißt.

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Sammlungen



Inhaltsverzeichnis

Kleine und große Geheimnisse

Lauras Entscheidung

Absturz im Eismeer

Ein neuer Magiermeister

Die Strafe

Magische Monde

Leon, der Handwerker

Der letzte Funke Magie

Die Schuld ist abgetragen

Chima wird erwachsen

Abenteuer auf Asgard

Findet Sachmet!

Heimkehr nach Neu-Atla

Month im Glück

Der Caiphas-Staub

Am Ziel aller Wünsche

Das große Magier-Lexikon

Kleine und große Geheimnisse

Fast neunzehn Jahre sind vergangen, seit die vereinte Raumflotte aus Atlan, Tarronn, Asen und Helion Seth in die Knie gezwungen hat.

Trotzdem trainieren die Magier weiter, um auch zukünftig ihren neuen Heimatplaneten und die befreundeten Sternenvölker verteidigen zu können, denn es existieren noch unzählige Caiphas-Splitter, die buchstäblich überall aufzutauchen vermögen.

„Bereit machen zum Andocken!“, befahl Horus und beobachtete, wie Ron den Raumgleiter in die ideale Position brachte. „Das war’s, Leute! Endlich acht Wochen Urlaub!“

„Hier oder in Neu-Atla?“, fragte Jako mit lustigem Blinzeln.

Der Commander grinste. „Na, was denkt ihr, warum ich außen andocken und nicht in den Hangar fliegen lasse?“

Begeisterter Beifall von allen Seiten. Darina lächelte still in sich hinein. In zwei Tagen war die nächste Nacht der magischen Monde und ein wenig Unterstützung auf dem Weg zu dem so lange ersehnten Baby konnte sicher nicht schaden. Vielleicht erlaubten es die Drakon, dass sie mit Horus diese Nacht am See, tief im Urwald, verbringen durfte.

Sie werden sicher nichts dagegen haben, hörte sie Horus in ihren Gedanken, als er ihr den Arm um die Taille legte.

Gemeinsam betraten sie das Schleusensystem, an dessen Ende sie sein Sohn Duamutef, als ranghöchster Offizier, herzlich zu Hause willkommen hieß.

„Warten, Treibstoff auffüllen und startklar machen“, wies Horus an.

„Zu Befehl, Commander!“

Jetzt flog ein Lächeln über Horus’ Gesicht. Er schloss seinen Sohn in die Arme. „Schön, dich wiederzusehen.“

„Ganz meinerseits. Bleibt ihr noch zum Essen oder fliegt ihr gleich auf die gute alte Kugel weiter?“ Duamutef reichte Darina beide Hände zum Gruß.

„In drei Stunden machen wir uns davon“, erklärte Horus. „Gibt es irgendwelche Neuigkeiten?“

„Wie man es nimmt.“ Duamutef öffnete die Tür zur Kommandozentrale. „Hier ist alles in Ordnung. Auf Tarronn ist auch alles bestens.“

„Aber?“

„Na ja, die Drakonat treten seit ein paar Tagen einzeln gegen beide Drakon gleichzeitig an.“

„Wie?“ Horus und Darina schauten Duamutef völlig verblüfft an.

„Könnt ihr ruhig glauben. Wir registrieren die Energieausbrüche sogar hier in der Station, obwohl die anderen Magier da unten Schutzschilde errichten, bevor es zur Sache geht.“ Duamutef amüsierte sich über die entsetzten Gesichter. „Dem großen Rest der Familie geht es blendend. Unser Jüngster musiziert in vollendeter Perfektion und deine Enkel werden immer wieder in den Rat mit einbezogen.“

„Wir waren doch aber nur drei Jahre weg!“, rief Darina, nachdem sie argwöhnisch die Anzeigen der Messinstrumente abgelesen hatte.

Horus lachte herzlich, wobei ihm der Stolz deutlich anzusehen war. „Wundert dich das wirklich? Es sind Sobeks und Zaids Kinder. Denk nur daran, auf welche Weise Leon damals Neris Heiligtum gegen jeglichen Zugriff gesichert hatte.“ Sich an Duamutef wendend, fragte er: „Gibt es sonst noch wissenswerte Neuigkeiten?“

„Seschat ist von Helion zurück.“

Horus machte eine wegwerfende Handbewegung. „Ich werde kaum dienstlich mit ihr zu tun haben und der Rest ist Schweigen.“

„Nachrichten über den Verbleib von Sachmet?“

„Keine.“

„Das macht mir eher Sorgen. Wohin, um alles im Universum, hat sie sich verzogen? Fatal wäre, wenn sie in den Besitz eines Splitters gelangen würde.“

„Meinst du, dass sie aktiv danach suchen könnte?“ Darina verzog das Gesicht.

„Es ist nicht ausgeschlossen“, entgegneten die Männer synchron.

„Meine Güte! Das Leben könnte jetzt so friedlich und so harmonisch sein!“

„Wenn da nicht gewisse Kriegsgötter wären“, vollendete Horus Darinas Gedankengang. „Unsere beiden Geheimwaffen werden nicht zulassen, dass sie Unheil stiften.“

„Du meinst die Drakonat?“

„Nein. Ich meine die Paare Imset/Neri und Sobek/Zaid. Die schaffen es, auch ohne Fusion, mit den schwarzmagischen Brocken fertig zu werden, wenn sie alle vier gemeinsam agieren. Reden wir lieber von etwas Schönem.“

Duamutef hob den Zeigfinger. „Im Palastgarten gedeihen die Erdenpflanzen prächtig und die Honigspringer haben begonnen, auch außerhalb des Areals wieder Nester zu bauen. Osiris hat offiziell zum achtzehnten großen Sonnenfest nach seiner Genesung aufgerufen und die Atlan liefern den begehrten Honig. Auch wenn wir das Gebäck mit echten Zutaten etwas rationieren müssen, wird es wieder ein Ereignis werden, das man so schnell nicht vergisst.“

„Das höre ich mit äußerstem Wohlbehagen“, freute sich Horus. „Zaid hat den Stein ins Rollen gebracht und Isis hat ihm zusätzlichen Schwung gegeben. Ein Hoch auf die Frauen!“

„Da stimme ich gern ein, zumal du eine an deiner Seite hast, die deiner wirklich würdig ist.“

Darina schenkte dem zweitältesten Horussohn ein dankbares Lächeln. „Ich bin glücklich, dass ihr mich nicht als Fremdkörper in der Familie betrachtet.“

Duamutef schüttelte amüsiert den Kopf. „Hätte ich ernsthaft solche Gedanken, dann müsste ich Prügel bekommen. Du bist die erste und wohl auch einzige Frau, die ihm jemals das Gefühl von Sicherheit gegeben hat. Du hast nach seinem Befinden gefragt, als er völlig am Boden lag und du hast ihn wieder aufgerichtet. Ich hoffe inständig, dass Neris Wunsch bald wahr wird.“

„Wirklich?“ Darina schaute ihn erstaunt an.

„Ja, natürlich. Neid hat es bei uns noch nie gegeben. Wir vier Großen teilen Vaters Liebe gern mit Ihi, warum also nicht mit einem weiteren Geschwisterchen? Da fällt mir übrigens noch was ein. Die Drakon stehen kurz vor der Paarungszeit.“

Horus hob die Augenbrauen. „Interessant! Ein rundum gesundes und kräftiges Drachen-Junges haben wir ja schon. Das wäre Neris zweiter Wunsch, der sich in allen Punkten erfüllt hätte.“

„Wieso der zweite? Bist du wirklich sicher, dass die Schicksalsgötter die Atlan in Ruhe lassen?“, fragte Duamutef.

„Ganz sicher. Es könnte ihren Tod bedeuten, würden sie zwei so mächtige Wesen wie die Drakonat verraten.“

Darina lachte. „Klingt vielleicht verrückt, aber mich beruhigt diese Tatsache.“ Sie lehnte sich an Horus’ Schulter. „Ach, ich freue mich auf die Clanmitglieder und all unsere Freunde. Uuuuund“, sie dehnte das Wort genüsslich, „auf eine deftige Kürbissuppe mit echten Zutaten.“

„Auf geröstete Kürbiskerne und frisch gebackenes Brot mit jenen Kernen und …“

Horus kam nicht zum Weitersprechen, denn Duamutefs Magen knurrte lang und anhaltend.

Der Horussohn lachte. „Wenn der wüsste, dass er jetzt nur Automatenkost bekommt, dann würde er glatt noch jämmerlicher winseln.“

„Lass Darina die Tasten drücken“, schlug Horus vor. „Dann schmeckt es fast so gut wie in Neu-Atla.“

Bester Laune machten sie sich in den großen Saal auf, wo die Mannschaft des Gleiters schon vor gefüllten Tellern saß.

Darina entlockte dem Automaten für Duamutef ein Menü aus gegrilltem Fisch mit verschiedenen Beilagen. Dankend, mit leuchtenden Augen, nahm er es entgegen. Der Duft ließ einige neugierig die Köpfe heben und hingebungsvoll schnuppern.

„Ah! Die Genießer sind zurück!“, rief Torn, der Chef der Reparaturbrigade. „Wie ich euch kenne, fliegt ihr doch sicher gleich weiter. Grüßt die Atlan von uns!“

„Das machen wir gern“, antwortete Tim.

Horus wechselte amüsierte Blicke mit seinem Sohn und Darina. Die Frage, ob jemand von seiner Crew den Urlaub lieber hier in der Taris-Raumbasis verbringen wolle, brauchte er eigentlich nicht zu stellen, tat es aber, der Dienstvorschrift wegen, trotzdem.

Duamutef lachte. „War ja klar.“

„Ich brauche einen Freiwilligen“, sagte Horus laut, sich erhebend.

„Hier!“ Ehe überhaupt jemand zum Nachdenken kam, sprang Torn auf. Der Commander hatte ihm so oft Sonderwünsche erfüllt, dass ihm diese Gelegenheit, sich zu bedanken, sehr zu passe kam.

„Gut. Du wirst für die nächsten acht Wochen deinen Vertreter in alle nötigen Aufgaben einweihen und pünktlich in einer Stunde mit vollem Gepäck in meinem Gleiter zum Dienst antreten“, wies Horus an.

Torn salutierte überrascht und verschwand eilends, um zu packen und den Dienstplan ändern zu lassen.

„Ich glaube, das hat er sich auch redlich verdient“, warf Duamutef lakonisch ein. „Er spricht so oft von Sobek und Maris, dass ich ihm den Job bei dir von Herzen gönne.“

„Kommst du auch ein paar Tage runter nach Tarronn?“

„Das dürfte zu machen sein. Die anderen sind bestimmt froh, wenn ich ihnen nicht ständig auf die Finger schaue.“

Horus klopfte seinem Sohn auf die Schulter. „Hab mir aus berufenem Mund sagen lassen, du hättest viel von deinem Vater. Ich kann mir schlecht vorstellen, dass sich jemand durch deine Anwesenheit eingeengt fühlen sollte.“

Duamutef zuckte als Antwort fröhlich mit den Schultern.

Torn folgten unzählige Blicke, als er den Saal verließ, um packen zu gehen. Die Abenteuer der Horus-Mannschaft hatten sich nach jedem Einsatz wie Lauffeuer verbreitet und die meisten hätten sonstwas dafür gegeben, wenigstens ein Mal mit ihm fliegen zu dürfen. So war es auch nicht verwunderlich, dass sich der Glückspilz des Tages besonders freute, obwohl er keinen blassen Schimmer hatte, wofür ihn der Commander einsetzen werde. Er meldete sich pünktlich an Bord des Langestreckengleiters, bezog sein Quartier und harrte der Dinge, die kommen sollten.

Kurz darauf war die Mannschaft vollzählig versammelt und Horus bat um Starterlaubnis. Staunend registrierte Torn, wie der Planet Tarronn im Panzerglas des Cockpits immer größer wurde.

„Wo fliegen wir denn eigentlich hin?“, fragte er Jako mit tiefster Verwunderung in der Stimme.

„In den Urlaub nach Neu-Atla!“, lautete die Antwort aus einem genüsslich grinsenden Gesicht.

„Wie?“, rutschte es dem verdatterten Chef der Reparaturbrigaden heraus, wobei er Horus einen schon fast verzweifelten Blick hinüber sandte.

Der lachte. „Das entspricht, Buchstabe für Buchstabe, der Wahrheit. Meine Crew würde mich unter Tränen anflehen, käme ich auf die Idee, sie acht Wochen auf Taris einzusperren. Du wirst den ganz normalen Überwachungsdienst in dieser Zeit übernehmen.“

„Zu Befehl!“, strahlte Torn. Das hieß, er würde nach den täglichen sechs Stunden Dienst das Raumschiff auf Automatik setzen und bis zum nächsten Morgen eine Menge Spaß mit seinen Freunden haben können. „Schnelligkeit als Freiwilliger zahlt sich eben doch aus!“, lachte er dann.

„Unbestritten.“ Jako klopfte ihm auf die Schulter.

Darina, die Kommunikationstechnikerin, übergab Horus einen Hologrammwürfel mit den Worten: „Direkt vom Palast.“

Horus nickte dankend, zog sich in einen Nebenraum zurück und sichtete sofort den Inhalt. Mit einem Schmunzeln deponierte er den Quader schließlich zugriffsicher in seinem Privatquartier. Osiris’ Heilung und die Gefangennahme Seths hatten genügt, um die Atlan im ganzen Universum zu Übergöttern aufsteigen zu lassen. Dass die beiden Drakonat diesen Stand tatsächlich erreicht hatten, lag außer jedem Zweifel.

Ron schaute auf die Uhr, was die anderen mit einem breiten Grinsen quittierten. Sie zählten ja selbst schon die Minuten bis zur Landung. Nur war die, ab diesen Koordinaten, noch immer exakt sechs Stunden, zwanzig Minuten und vier Sekunden entfernt.

Darina schien plötzlich zu lauschen. Auf Horus’ fragenden Blick legte sie den Zeigefinger auf die Lippen und schloss die Augen. Offensichtlich konzentrierte sie sich auf eine telepathische Unterhaltung. Bisher hatte sie sich mit solchen Dingen sehr schwergetan. Dann öffnete sie die Augen. „Das war gerade Zaid. Sie wollte wissen, wie viele Gäste sie zum Essen einplanen soll. Ich habe gesagt, dass wir zu sechst antraben werden.“

„Zaid?“, fragten alle völlig überrascht.

„Und die zweite Frage wäre: Seit wann kannst du auf die Entfernung telepathieren?“, fügte Horus, überaus zufrieden, hinzu.

„Seit gerade eben, wenn ich es recht bedenke“, kicherte Darina amüsiert.

„Interessant, interessant“, murmelte Horus. „Zaid hat also die höheren Weihen der Magie ganz nebenbei empfangen und du offensichtlich auch. Es sind nicht viele, die, außerhalb der alten guten Kugel da unten, miteinander kommunizieren können.“ Er fasste sie um die Taille, grinste in die Runde: „Alle mal wegschauen!“ Dann gab er ihr einen zärtlichen Kuss, wohl wissend, dass die anderen nun gerade dabei zusehen würden. „Dann werden wir heute also einen ganz gemütlichen Abend erleben“, sinnierte er behaglich vor sich hin.

Darina lachte hellauf. „Na klar, aber mit den Bewohnern der ganzen Siedlung auf dem Festplatz. Die Drakon sind schon auf Fischfang und Cheiron ist bereits mit Imset unterwegs, um ein Schaf zu schlachten.“

Tim rieb sich vergnügt die Hände. „Alles andere hätte mich auch fast schon gewundert. Hmmm! Gegrilltes Schaf! Frisches Gemüse! Fische, Eier und Honig aus der Natur!“

Die Crew brach in Gelächter aus. Darina hatte ihnen zwar täglich leckere Spezialitäten am Automaten erzeugt, aber was war das schon gegen die Gaumenfreuden mit echten Zutaten bei den Atlan.

Lauras Entscheidung

Nach fast zwölf Stunden Flug trat der Langstreckengleiter in die Atmosphäre des Heimatplaneten ein, wo er sofort von den beiden erwachsenen Drakon im Empfang genommen und zum Landeplatz eskortiert wurde. Die Magier warteten mit ihren Familien schon auf die Gäste, allen voran Imset und Sobek. Torn wandte sich den Monitoren zu, als er eine Hand auf der Schulter spürte.

„Die Begrüßung darfst du nicht verpassen, deinen Job kannst du auch in einer halben Stunde antreten“, hörte er Horus sagen, der ihn einfach herumdrehte und zur Rampe dirigierte.

„Heh, heh, schau, schau! Wen haben wir denn da?!“, rief Maris bei seinem Anblick. „Brauchst wohl mal ein paar Tage, in denen du keine Technik siehst?“

Torn reichte ihm beide Hände. „Unsinn! Ich habe Sehnsucht nach euren Flatterhemden“, womit er für Heiterkeit bei den Versammelten sorgte.

Jeder hatte noch gut die Berichte von Sobek, Maris und Horus im Ohr, wie skeptisch der Chef der Reparaturbrigaden gegenüber den beiden jungen Männern in ihren Faltengewändern, ähnlich denen der späteren römischen Tuniken, gewesen war und wie er wenig später Horus förmlich bekniet hatte, um die beiden Magier noch länger im Team behalten zu dürfen.

Ein rötlicher Drache segelte heran und landete neben dem Großgleiter.

„Siri hatte ich irgendwie größer in Erinnerung“, sagte Torn nachdenklich.

Maris lachte. „Das ist ihre Tochter Chima. Die beiden Großen sitzen da hinten.“

„Ach, stimmt! Ich hatte schon wieder vergessen, dass ihr drei Drakon habt. Lässt sie sich streicheln?“

„Aber nichts lieber als das! Chima, komm schmusen!“, lockte Maris.

Erfreut schob sich das Drachenjunge an die Rampe heran. Mit großen grünen Augen musterte es Torn, befand ihn für sympathisch, rieb die Wange an seiner Schulter und schnurrte fast wie eine übergroße Katze, als er es zwischen den Hörnern kraulte.

„Wie heißt du?“, fragte es neugierig.

„Ich bin Torn.“

„Und du bist ein Tarronn, wenn ich mich nicht irre.“

„Stimmt.“

„Bleibst du ein paar Tage hier oder musst du gleich wieder wegfliegen?“

„Ich bleibe eine Weile“, schmunzelte Torn.

Siri und Drakos waren heran gekommen. „Fragt sie dir Löcher in den Bauch?“, witzelte Drakos.

Torn lachte. „Sie muss doch schließlich wissen, welche Fremden sich hier plötzlich herumtreiben.“

Chima nickte heftig, dann machte sie sich lieber davon, ehe Vater vielleicht doch noch schimpfte, weil sie so neugierig gewesen war.

„Wie alt ist sie jetzt?“, wollte Torn wissen.

„Siebzehn“, entgegnete Siri. „In wenigen Wochen wird sie sich eine eigene Höhle suchen müssen. Sie ist eine gute Jägerin und beherrscht die Regeln des Zusammenlebens in unserer Vielvölkergemeinde.“

Der Tarronn schaute Siri nachdenklich an.

Siri erwiderte den Blick, genau fühlend, welche Frage er nicht aussprach. „Keine Sorge, eines Tages, wenn sie alt genug ist, wird auch sie eine Chance auf Nachwuchs haben. Hat es Drakos früher geschafft, mehr als zwanzig Weibchen für sich zu begeistern, dann schafft er das spielend bei zweien. Bis dahin werden nur noch rund dreißig Jahre vergehen.“

„So lange?!“, staunte Torn.

„Gut Ding will Weile haben.“ Drakos blinzelte ihm zu. „Auch wenn wir in jeder Saison fliegen werden, wird es trotzdem höchstens alle zweihundert Jahre ein Junges geben und nicht einmal das ist ganz sicher.“

Torn schüttelte ungläubig den Kopf.

„Der Paarungsflug gilt nicht nur neuem Nachwuchs, sondern auch dazu, die tiefe Liebe immer aufs Neue zu besiegeln“, erklärte Siri.

„Klingt plausibel“, murmelte Torn. „Egal, was auch immer, ich bin froh, dass es euch endlich wieder gibt.“ Er streichelte beide. „Nun muss ich aber wieder rein, ich bin im Dienst.“

Maris und Sobek versüßten ihm die erste Stunde durch ihre Anwesenheit.

„Jetzt, wo die Kinder erwachsen sind, ist es nicht ganz abwegig, dass wir wieder mal nach Taris kommen“, bemerkte Sobek ganz nebenbei.

„Haben sie schon feste Partner?“

„I wo! Die lassen sich viel, viel Zeit. Sogar mit dem Erwachsen werden“, kicherte Maris. „In dem Alter haben wir schon Bäume ausgerissen.“

„Wie steht es mit dem magischen Potenzial?“

Maris wiegte mit dem Kopf. „Messbare Kräfte haben nur Sobeks Zwillinge. Mein Sohn beschäftigt sich zwar mit Heilkunde, aber eben nicht mit dem Eifer, mit dem ich damals bei der Sache war. Aber schließlich kann nicht ein ganzes Volk nur aus Magiern bestehen. Neue Kämpfer gibt es gar nicht mehr.“

„Dafür sind die Mädchen durchweg sehr geschickt, wenn es um die Handarbeit geht. Sie weben, nähen, spinnen und sticken, da kann man nur staunen“, fügte Sobek zur Ehrenrettung der jungen Leute an. „Die Männer arbeiten auf den Feldern oder bereiten die begehrten Quark- und Käsesorten zu und zwei oder drei haben sich von Arko zu Handwerkern ausbilden lassen.“

Torn schaute auf. „Hat es auch schon mal jemand mit solcher Technik versucht?“ Er deutete auf das Steuerpult des Großgleiters.

„Aber natürlich“, schmunzelte Sobek. „Da fallen mir zuerst Leon, Ariel, Ihi, Sami und Laura ein. Die haben schon ein paar kurze Probeflüge hinter sich. Osiris hatte das ganze interessierte junge Volk für ein paar Tage in den Palast eingeladen, wo ihnen Jamal Intensivunterricht gegeben hat. Besonders Solons Sami hat sich da ein paar Belobigungen außer der Reihe eingehandelt. Ihm würde er jederzeit einen Gleiter anvertrauen, hat Jamal gesagt und das ist mehr, als nur ein Lob. Die anderen, im selben Alter, haben es mal probiert und wissen, wovon die Rede ist.“

„Nicht übel“, freute sich der Tarronn.

Horus und Darina erreichten irgendwann ihr Häuschen, nachdem sie unzählige Fragen beantworten und genau so viele Hände schütteln mussten. Imset hatte das geahnt, kurzerhand das Gepäck der beiden vor die Hautür teleportiert und ihnen einen Korb mit frischen Nahrungsmitteln daneben gestellt.

Darinas Augen strahlten freudig auf, als sie gewahrte, was die heimlichen Helfer schon für sie getan hatten. „Wir sind zu Hause“, seufzte sie dankbar und aus allertiefster Seele.

Maris teleportierte Torns persönliche Dinge auch gleich in das, diesem zugedachte, Gästehäuschen. Chima überflog mehrfach die Siedlung, traute sich aber nicht zu landen. Talos winkte sie schließlich heran.

Er hielt ihr einen Liksia-Korb entgegen. „Hast du Lust ein bisschen Obst für unsere Gäste zu pflücken?“

„Oh, natürlich.“ Sie betrachtete ihre Krallen. „Schimpft auch niemand, wenn vielleicht nicht alles ganz heil bleibt?“

„Bestimmt nicht“, versprach der Magier und das Drachenweibchen verschwand mit dem Korb in Richtung der Pflanzungen.

Für die Gäste, hatte Talos gesagt! Vorsichtig, wie wohl nie zuvor, griff sie mit den schuppigen Klauen nach den Früchten.

„So geht das nicht“, murmelte sie, als der erste Apfel völlig zermatschte. Verzweifelt aß sie ihn schnell auf. Dann nahm sie den Nächsten ins Visier. Sie legte ihre Klaue darunter und schloss die scharfkralligen Finger wie einen Käfig. Ein leichter Ruck und schon riss der Stiel vom Zweig, der Apfel war unversehrt geblieben. Behutsam ließ sie ihn zwischen Daumen- und Zeigefingerkralle hindurch in den Korb rollen. Flink griff sie noch einen und noch ein paar und – sie erschrak.

Talos hatte Obst gesagt, nicht Äpfel. Also wechselte sie zu den Birnbäumen hinüber, später zu den Apfelsinen. Als der Korb voll war, trennte sie zwei große Melonen mit einem Stück Ranke ab, an denen sie die Früchte gut festhalten konnte, ohne mit ihren scharfen Krallen Risse in die Schalen zu machen. In den Henkel hakte sie einen Eckzahn ein, um nicht zufällig noch Schaden am Transportbehälter zu verursachen.

Schwer beladen hob sie ab und steuerte direkt den Festplatz an. Siri und Drakos kamen soeben vom Meer, in den Fängen zwei riesige Golddorsche. Neugierig schauten sie ihrer Tochter entgegen. Die landete auf zwei Beinen, legte die Melonen ab, dann setzte sie den Korb auf den Boden.

„Bin wieder da!“, rief sie fröhlich zu Talos hinüber.

Der kam sofort zu ihr und untersuchte staunend die Früchte. „Alles in Ordnung, keine Risse, keine Druckstellen. Ich bin sehr stolz auf dich.“

Chima rieb ihre Wange an der seinen und flüsterte kaum hörbar. „Ich bin auch ganz stolz auf mich.“

Natürlich schauten sich auch alle anderen an, was die Kleine mit etwas Geduld zuwege gebracht hatte und lobten sie sehr.

„Wenn du das jetzt an drei Tagen hintereinander schaffst, dann kannst du auch bald Fische für uns fangen“, erklärte Imset.

Die grünen Drachenaugen leuchten in Vorfreude wie kleine Laternen. Bisher hatten Chimas Mitbringsel ja nur als Hundefutter getaugt.

Inzwischen füllte sich der Festplatz. Die Magier saßen mit ihren Familien bei den Drakon, die, wie immer, den Grill bewachten. Sami, der stille Sohn Solons, drehte lieber mit Cheiron und Safi das Grillgut, statt sich mit den anderen jungen Leuten wilde Abenteuer auszudenken. Ein grünliches Leuchten zog über den Festplatz und im nächsten Augenblick standen Isis und Osiris am Tisch des Clans.

„Ich dachte schon, ihr habt heute keine Lust auf Party!“, witzelte Imset und machte auf der Bank Platz für die beiden.

„Ha! Das glaubst du doch wohl selber nicht!“, rief Osiris lachend. „Habe ich, seit ich wieder richtig leben kann, auch nur eine kleine Feier verpasst?“

Sobek zog ein gespielt komisches Denkergesicht. „Äh, lass mich mal überlegen…“

Kebechsenef grinste. „Wer so hochgradig vom Atla-Virus infiziert ist, der heißt mit zweitem Namen Party.“

„Eben!“ Isis nahm dankend ihren Fischteller von Sami entgegen.

Als Nachtisch suchte sie sich einen duftenden roten Apfel aus der flachen Schale in der Mitte des Tisches. Sie strich mit den Fingerspitzen über die Schale. „Unser Obst wächst ja auch prächtig, aber eures schmeckt trotzdem besser.“

„Und diesmal ist es mit besonderer Liebe und Vorsicht geerntet worden“, erklärte Talos und deutete mit dem Kopf zu Chima hinüber, die am Rande des Platzes mit den Hunden spielte.

„Erstaunliche Fortschritte in den letzten Wochen“, murmelte Osiris. „Wie läuft der Unterricht?“

„Bestens. Sie wird sowohl von ihren Eltern, als auch von Solon, mir und natürlich auch Cheiron unterrichtet. Wenn Thor seinen jährlichen Erlebnisurlaub macht, lernt sie auch etwas über die Geheimnisse von Asgard. Sobald sie die Drachenflamme erzeugen kann, werden Imset und Sobek das Kampftraining mit ihr aufnehmen.“

„Wie steht es mit der Teleportation?“, fragte Isis.

„Wir werden sehen“, antwortete Imset nachdenklich. „Nicht alle Drakon beherrschten früher diese Technik. Wir dürfen sie nicht überfordern. Wenn es ihr wirklich gegeben ist, dann wird sie diese Fähigkeit auch irgendwann für sich entdecken.“

„Apropos Technik und entdecken!“, rief Leon vom anderen Ende des Tisches. „Wir würden gern einen kurzen Ausflug zum Nordmeer machen.“ Er zeigte auf sich, Laura, Ihi und Ariel.

„Darüber lässt sich reden“, entgegnete Horus. „Mein kleiner Viersitzer steht im Hangar des Palastes.“

Laura machte eine überraschte Geste, die nur Sami auffiel, weil er ihr soeben ein Stück Fischfilet vom Grill reichte. Auch den sorgenvollen Zug in ihrem Gesicht konnte nur er für einen winzigen Moment sehen.

Probleme? Hörte sie seine Stimme im Kopf, obwohl er geschäftig mit Tellern hin und her eilte.

Die Antwort war ein telepathisches Seufzen.

Sag, wenn du Hilfe brauchst, kam sofort zurück.

Sie quittierte es mit einem winzigen Lächeln.

Als die erste Sättigungsphase etwas Ruhe brachte, kam Sami am Grill endlich dazu, sich selbst ein Menü zusammenzustellen. Laura brachte ihm eine Schüssel Gurkensalat.

Er fasste nach ihrem Handgelenk. „Leistest du mir ein wenig Gesellschaft? Zu zweit schmeckt es besser.“

Laura ließ sich neben ihm nieder. „Das ist allerdings wahr.“

„Probleme lassen sich mitunter auch gemeinsam besser lösen“, sagte Sami, ihr tief in die Augen blickend. „Was ist passiert?“

„Es ist wegen des Ausflugs“, flüsterte Laura. „Reden wir in einer halben Stunde bei einem kleinen Strandbummel darüber.“

Sami nickte. Wenn sie sich so schwertat, dann musste sie handfeste Gründe haben. Da Imset und Safi den Platz am Grill übernahmen, fiel es auch nicht weiter auf, dass er sich vom Festplatz entfernte. Laura wartete schon am Strand. Schweigend gingen sie eine Weile nebeneinander her.

Laura atmete tief durch. „Du weißt ja, dass ich manchmal Bilder aus der Zukunft empfange“, begann sie endlich, zu erklären. „Noch lange nicht so perfekt wie Neri, aber immerhin…“ Laura blieb stehen und schaute zu den Sternen auf. „Ich habe Horus’ Gleiter gesehen – mit meinem Bruder, Ihi und Ariel an Bord – er kam nicht mehr hierher zurück.“

Sami schaute sie erschrocken an. „Was war passiert? Oder vielmehr was wird passieren?“

„Ja, das weiß ich eben nicht“, murmelte Laura verzweifelt. „Ich habe Leon gesagt, dass ich ein ungutes Gefühl habe, wenn die drei allein unterwegs sind, und dass ich mit will.“

„Wie???“ Sami packte sie am Arm.

Laura nickte. „Ich kann meinen Bruder doch damit nicht allein lassen. Er ist zwar ein Magier, aber er sieht das Unglück nicht kommen. Vielleicht habe ich zeitig genug eine Vision, damit er es abwenden kann.“

„Wer wird den Gleiter fliegen?“

Laura zuckte völlig hilflos mit den Schultern.

Sami schüttelte ungläubig den Kopf. Keiner der vier hatte genügend Kenntnisse, um den Silbervogel zu bedienen. „Ich werde mit Leon reden.“

„Was willst du ihm sagen? Dass ich Albträume habe?“ Sie winkte traurig ab.

Sami streichelte tröstend ihre Hand. „Er weiß doch besser als jeder andere, dass du die Gabe hast, in die Zukunft zu schauen.“

„Er ist ein Magier und wird sich wegen meiner dummen Ängste kaum umstimmen lassen. Tut mir leid, dass ich dich damit belaste.“

„Schon in Ordnung“, wiegelte Sami ab, obwohl für ihn überhaupt nichts in Ordnung war.

Er begleitete Laura zum Festplatz zurück. Sie kamen gerade noch rechtzeitig, um den Feuerzauber der Drachenwesen in voller Länge zu erleben. Die Drachen und die Drakonat standen sich, wie meist, diagonal gegenüber. Sie spien zuerst Flammen, dann farbige Energieimpulse in den Himmel, die sich genau in der Mitte des Platzes zu einem Wirbel verbanden. Wie zufällig ging Imset genau ins Zentrum. Plötzlich schossen die beiden Drakon gleichzeitig ihren Feueratem auf den Drakonat ab. Die Zuschauer schrien entsetzt auf. Es dauerte einige Sekunden, bis sie begriffen, dass dies ein Teil der grandiosen Show war. Unverletzt, aber mit rot glühendem Drachenpanzer, stand Imset am Ende vor ihnen. Sobek warf ihm einen dicken Ast zu, welcher im Bruchteil eines Lidschlags als Asche zu Boden rieselte. Dann tauschten sie die Plätze. Zuletzt ging der glühende Drakonat Sobek von Holzstapel zu Holzstapel, um sie, allein durch die Berührung mit den Händen, zu entflammen. Frenetischer Jubel brandete auf.

„Meine Güte! Ihr habt mir zwar erzählt, dass sie einzeln gegen die Drakon kämpfen, aber wenn man dies hier gesehen hat, dann kann man sich erst wirklich ein Bild davon machen!“, rief Osiris beeindruckt.

Isis ging vorsichtig auf die beiden zu. „Kann man euch wieder anfassen?“

Nicken.

„Exoten! Nur Exoten in diesem Clan! Und ihr zwei seid mit Abstand die Verrücktesten!“ Mit einem Jubelschrei fiel sie ihnen um den Hals.

Torn bekam große Augen. Er hatte die Königin nie zuvor so voller Überschwang erlebt. Schon die Tatsache, dass sich das Königspaar hier überhaupt nicht von den anderen abhob, imponierte ihm. Osiris schmuste mit den Hunden, die überall zwischen den Tischen herumschlichen und auf schmackhafte Bröckchen warteten, streichelte Chima, die immer wieder neugierig am Tisch der Magier auftauchte und freute sich, wenn ihn Hippomaia mit ihrem weichen Maul freundschaftlich anstupste.

Meist war die Stute mit ihrer ungleichen Zwillingsschwester Eos unterwegs, die wie eine Amazone auf ihrem Rücken saß. Die beiden betrachteten den König, seit er ihnen das Leben gerettet hatte, als Patenonkel. Osiris kauerte aber auch immer wieder unter den Schwingen der Drakon, wo er den kleinen Kindern Legenden der Tarronn erzählte. Wenn es dabei um den Caiphas, den Planeten des Bösen ging, gesellte sich auch immer wieder Leon mit dazu.

Irgendwann, das war nun schon fast ein halbes Jahr her, wurde Sobek aufmerksam.

„Sag mal, Laura, gibt es irgendwas, das ich wissen sollte?“

„Wie meinst du das?“

Sobek deutete auf Leon, der interessiert den Ausführungen seines Urururgroßvaters Osiris lauschte. „Er hat die Berichte doch schon tausendmal gehört.“

„Ich habe zumindest keine Visionen gehabt, wenn du das meinst“, antwortete sie ihrem Vater, Leon nun ebenfalls genauer beobachtend.

Auch am heutigen Abend lauschte er wieder einem Bericht, wie vor Zehntausenden von Jahren die damals lebenden Drakon die schwarzmagischen Reste des explodierten Planeten auf Tarronn eingesammelt und schließlich vernichtet hatten.

Leon wollte gerade wieder gehen, als ein kleines Mädchen fragte: „Waren die bösen Splitter überall?“ und Osiris antwortete: „Auf dem Land waren wenige, die meisten lagen auf dem Grund des Nordmeeres. Die Stellen werden bis heute immer wieder auf Reststrahlung kontrolliert. Aber wir fliegen nur über dieses Gebiet, wenn es gar nicht anders geht.“

„Denkst du, was ich denke?“ Leon grinste Ihi breit an.

„Dass wir mal nachschauen sollten?“

Laura trat zu den beiden. „Ich kann euch sagen, was Sobek denkt – nämlich, dass sich Leon, für seinen Geschmack, zu auffällig über den Caiphas und das Nordmeer erkundigt.“

Der Angesprochene fuhr herum, seine Schwester erschrocken musternd. „Er hat mich vor einiger Zeit darauf angesprochen.“

„Wirklich?“

„Würde ich es sonst sagen?“ Laura schaute ihrem Zwillingsbruder tief in die Augen. „Was heckt ihr aus?“

Ertappt seufzte Leon. „Wir wollen eine kurze Spritztour machen, wenn Horus wieder da ist. Sicher leiht er uns seinen kleinen Flitzer.“

Laura zog die Augenbrauen zusammen. „Du willst immer noch genau wissen, was damals mit Tabea passierte?“

„Ja, natürlich! Ist das so abwegig?“

„Ich will mit.“ Laura drehte sich um und ging. Die beiden jungen Männer schauten verblüfft hinterher. Damit hatten sie nun wirklich nicht gerechnet.

Absturz im Eismeer

Spät in der Nacht ging das Begrüßungsfest für Horus und Darina zu Ende, ohne dass Sami eine passende Gelegenheit gefunden hatte, mit Leon über Lauras Sorgen zu sprechen. Er nahm sich vor, am nächsten Morgen die Augen und Ohren weit offen zu halten. Hilfe holte er sich bei Chima.

„Gibst du mir bitte sofort Bescheid, wenn irgendein neuer Gleiter hier landet?“, flüsterte er ihr zu.

„Versprochen!“

Drei Tage später war es so weit. Gleiter im Anflug, hörte Sami die telepathische Stimme des Drachenweibchens.

Danke! Ich revanchiere mich, gab er zurück, sich sofort auf den Weg zum Landeplatz machend. Hinter einem Felsblock beobachtete er ungesehen, was sich zutrug. Der Pilot, ein Mann aus Jamals Team im Palast, verriegelte von außen das Fluggerät.

Als Horus eintraf, übergab er es an Leon. „Alle Systeme gecheckt und flugbereit.“

Leon schaute ihn fragend an. Horus begann zu lachen.

„Reinkommen müsst ihr schon selber! Wie wollt ihr fliegen, wenn ihr nicht mal dazu in der Lage seid?“

Leon warf Ihi und Ariel verlegene Blicke zu.

Gib den telepathischen Code gelb-orange-blau-dreizehn an das System, hörte er plötzlich Samis Stimme in seinem Kopf.

Der Tipp funktionierte und Leon enterte die ausklappende Rampe. Seine Freunde folgten ihm mit Horus. Es dauerte nicht lange, da fragte Leon bei Sami nach dem Startcode an. Mit einem Kopfschütteln gab dieser Auskunft. Ein paar Minuten später hob der Gleiter im Normalflugmodus ab.

Sami schaute nachdenklich hinterher. Hier ging es wohl nicht mehr darum, mit Leon über Lauras Gedanken zu sprechen, sondern darum, zu verhindern, dass ihr ein Leid geschähe, wenn sie mit diesen drei Crashpiloten flöge. Bestärkt wurde er in dieser Annahme durch die vielen hilflosen Nachfragen ihres Bruders während des zwanzigminütigen Testfluges.

Sami gab Auskunft unter Anwendung jeglicher Abschirmung, sodass Horus zu der Überzeugung kommen musste und schließlich auch kam, dass Leon durchaus in der Lage sei, selbstständig diesen Gleiter zu fliegen. Soeben landete er wieder.

„Viel Spaß“, wünschte Horus, ehe er sich auf den Weg zu Darina machte.

„Ich hole Laura“, rief Ihi.

Ariel und Leon blieben neben dem Gleiter stehen, wobei Letzterer ziemlich nervös wirkte.

Ariel wandte sich ihm zu, kaum dass Horus außer Hörweite war. „Meine Güte! Du hast dir den ganzen Krempel gemerkt? Magier müsste man sein!“

„Eben nicht!“, gab Leon kleinlaut zu. „Sami war unser eigentlicher Pilot. Ich wäre weder in das Ding rein, noch damit klar gekommen. Wäre Sami nicht gewesen, dann hätte ich mich voll zum Idioten gemacht.“

„Dann sollten wir ihn bitten, mit uns zu fliegen“, riet Ariel.

„Geht nicht. Ist nur ein Viersitzer und Laura kann ich nicht hier lassen.“

„Pass auf! Klartext: Ich habe erstens das große Flattern, wenn keiner von uns den vollen Durchblick hat. Zweitens wollt ihr was aus der Vergangenheit eures Clans herausfinden, wo ich nicht unbedingt dabei sein muss. Drittens solltest du auf meinen Rat hören und auf der Stelle Sami als Pilot anheuern. Tust du es nicht, werde ich dich als Viertes bei Horus verpfeifen oder noch besser, bei deinem Vater. Alles klar?“

„Erpresser!“, grollte Leon, dabei klopfte er Ariel dankbar die Schulter.

Im nächsten Moment hörte Sami seine Bitte, sofort zum Landeplatz zu kommen. Solons Sohn hatte der gesamten Unterhaltung gelauscht. Nun ließ er sich Zeit. Nach zehn Minuten kam er gemächlich hinter seinem Felsem hervor, als wäre er gerade von der Schafweide über die Wiesen gelaufen.

„Wo brennt es denn?“, fragte er gespielt naiv.

Leon schluckte. „Ich brauche einen fähigen Piloten.“

„Und da kommst du zu mir?“ Sami setzte ein so ungläubigstaunendes Gesicht auf, dass ihm Leon das Theater problemlos abkaufte.

„Hast mir vorhin den Hintern gerettet“, gab der junge Magier unumwunden zu. „Würdest du bitte das Ding für uns fliegen?“

„Wenn es nicht zu vermeiden ist. Wo soll es denn hin gehen?“

„Zum Nordmeer.“

Sami blieb seiner Rolle treu. „Oh-ha!“

Leon winkte ab. „Mann! Ich bin ein Magier!“

Sich am Ohr kratzend, fragte Sami: „Mit Magie lässt sich der Silbervogel wohl nicht bedienen?“

Statt einer Antwort schnaufte Leon nur unwillig, denn Ihi tauchte soeben mit Laura auf.

Ariel klopfte Sami auf die Schulter. „Bring sie gut ans Ziel.“

„Ich werde mir Mühe geben.“ Sami betrat wortlos den Gleiter, um vor dem Start noch einmal die Instrumente zu checken.

„Habt ihr euch überworfen?“ Laura deutete auf den davoneilenden Ariel, der ihr im Vorbeihuschen zugewinkt hatte.

„Eigentlich nicht. Er wollte nur nicht mit Dilettanten fliegen und hat gemeint, ich solle lieber Sami mitnehmen, weil der etwas von der Sache versteht.“

„Horus hat euch doch aber sein Flugzeug gegeben, weil der Probeflug erfolgreich war“, murmelte Laura irritiert. Sie schaute unbewusst in die Richtung, in welche Ariel verschwunden war.

Leon grinste breit. „Wir hatten eine Fernsteuerung und die habe ich als Piloten angeheuert. Sami sitzt schon im Cockpit.“

„Wenigstens einer, der vernünftig ist“, seufzte die junge Frau, „Hoffentlich nimmt das hier ein gutes Ende.“

„Du immer mit deinen Befürchtungen. Vergiss nicht, ich bin ein Magier und nicht einmal ein schlechter.“

„Eindeutig größenwahnsinnig“, murmelte Laura und ging zu Sami hinein.

Ein kurzer Blickwechsel, dann wussten beide, dass Reden sinnlos war und man einfach das Beste aus der verfahrenen Situation machen musste.

„Es kann losgehen!“, rief Leon beim Betreten der kleinen Zentrale.

Sami nickte. „Systeme gecheckt, Luken geschlossen, Start in drei Sekunden.“

Sanft hob der Gleiter ab, drehte um 180 Grad und flog direkt auf das offene Meer hinaus.

„Genaue Zielkoordinaten…“

„Keine“, grinste Sami. „Geradeaus, dann links zum Nordmeer und einfach Spaß haben.“

„Sag mal, spinnst du?“ Laura funkelte Leon wütend an. „Wenn du einen Piloten brauchst, dann gib ihm gefälligst in ordentlichem Ton die nötigen Daten.“ Nach einem kurzen Blick auf den Monitor mit der Karte der nördlichen Regionen wandte sie sich an Sami. „Flieg bitte die Randsiedlung direkt an, dann fünf Grad nordwestlich, Kurs auf die letzte Messstation im Eis.“

„Danke.“ Sami programmierte um. „Automatisches Positionssignal alle fünf Minuten“, gab er bekannt.

„Warum denn das?“, fragte Leon überrascht und ziemlich unangenehm berührt.

„Weil das so Vorschrift ist.“ Sami drehte sich nicht einmal zu ihm um. „Hier gelten die Regeln für gesperrte und extrem gefährliche Gebiete.“ Seine Miene blieb völlig reglos und auch sein Energielevel auf kompletter Abschottung, seit er die Flugmaschine betreten hatte.

Laura versuchte, von der Seite in seinem Gesicht zu lesen – ohne Erfolg, was sie noch mehr erstaunte. Solche Beherrschung der Energien war eigentlich nur einem Magier möglich. Sami war bisher durch keinerlei besondere Fähigkeiten hervorgetreten. Sie beschloss, später mit ihm darüber zu reden.

„Wir erreichen die letzte Station in zehn Sekunden“, gab Sami bekannt.

Alle schauten aus dem gepanzerten Panoramafenster. Der Gleiter überflog das Nordmeer, genau an der Stelle, wo Zaids Mutter vor tausenden Jahren den tödlichen Unfall erlitten hatte.

„Keine Anomalien“, gab Ihi, nach einem kurzen Blick auf die Instrumente, bekannt.

„Mag sein, hier lauert trotzdem was“, murmelte Leon. „Ich kann es fühlen.“

Sami warf Laura einen schnellen Blick zu. Sie, die Enkelin Neris und mit fast den gleichen Gaben ausgestattet, hatte nur ihm von ihrer Vision erzählt, die sie für einen banalen Traum gehalten hatte. Sie war auf den letzten Kilometern immer stiller und in sich gekehrter geworden.

„Und ich wette, Laura geht es ebenso“, fügte Leon gerade noch hinzu.

„Zweifellos“, pflichtete ihm Sami bei. „Sie sie dir nur an! Wenn es nach ihr gegangen wäre, dann hätten wir eine andere Flugroute eingeschlagen oder wenigstens einen der Drakonat gebeten, uns auf dem ersten eigenständigen Abenteuer zu begleiten.“

Ihi versuchte abzuwiegeln. „Noch ist ja nichts passiert.“

„Noch. Genau, wie du sagst.“ Sami ließ die Finger rasch über die Tasten des Steuerpultes gleiten. Tausende zusätzliche Scanns erstellten ein genaues Bild des Untergrundes, der hier löchrig wie Käse zu sein schien. Dabei drangen diese Öffnungen mehrere hundert Meter tief in den Boden des Planeten ein.

„Weiß eigentlich jemand, wie diese Kanäle entstanden sind?“, fragte Ihi plötzlich.

Allgemeines Kopfschütteln antwortete ihm.

„Wisst ihr es nicht oder weiß es keiner?“, präzisierte er grinsend.

Laura verdrehte die Augen. „Männer!“, schnaufte sie. „Ich schau einfach mal nach. Irgendwo in den Speichern muss es ja geologische und geschichtliche Daten geben.“ Ein paar Minuten verstrichen, in denen sie die Texte äußerst intensiv zu studieren schien. Dann hob sie langsam den Kopf. „Caiphas!“

„Oh, oh!“, die jungen Männer umringten sie, um mitzulesen. Ein unangenehmes Kribbeln im Nacken ließ Leon plötzlich herumkreiseln.

„Achtung! Hinlegen!“, schrie er und riss Laura zu Boden. Ob die anderen schnell genug waren, konnte er nicht sehen. Kunststoff splitterte, der Antrieb setzte immer wieder aus und das Geräusch zerreißenden Metalls malträtierte die Ohren.

„Aufschlag in etwa drei Sekunden“, schrie Sami und zählte an: „Eins – zwei…“

Bei drei bohrte sich der Rumpf des Fluggerätes in die Eisdecke des Ozeans. Die Abenteurer wurden wie Stoffpuppen herumgeschleudert, knallten gegen die Reste des Steuerpultes und rissen sich an den unzähligen Splittern der Panzerglasscheibe tiefe Wunden. Einer fluchte, der andere stöhnte. Sami biss die Zähne zusammen und robbte bäuchlings zu Laura, die mit geschlossenen Augen verkrümmt in der Ecke lag und keinerlei Lebenszeichen von sich gab.

„Raus hier!“, flüsterte Leon. „Sofort raus!“

Er half Ihi auf die Beine, um sich gleich darauf Laura zuzuwenden,