Leonore Griebel - Hermann Stehr - E-Book

Leonore Griebel E-Book

Hermann Stehr

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Beschreibung

Lesern, die an einer tiefgründigen und einfühlsamen Darstellung des ländlichen Lebens interessiert sind, wird 'Leonore Griebel' von Hermann Stehr wärmstens empfohlen. Mit einer meisterhaften Erzählkunst und einem feinen Gespür für die menschliche Seele gelingt es Stehr, den Leser in eine vergangene Welt zu entführen, die trotz ihrer Abgeschiedenheit von zeitloser Relevanz ist. Tauchen Sie ein in die Geschichte einer außergewöhnlichen Frau und lassen Sie sich von Stehrs eindringlicher Sprache und tiefgründigen Charakterstudien faszinieren.

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Hermann Stehr

Leonore Griebel

Die Geschichte einer Liebe
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Inhaltsverzeichnis

I.
II.
III.
IV.
V.
VI.
VII.
VIII.
IX.
X.
XI.
XII.
XIII.
XIV.

Doch uns ist gegeben, Auf keiner Stätte zu ruhn, Es schwinden, es fallen Die leidenden Menschen Blindlings von einer Stunde zur andern, Wie Wasser von Klippe Zu Klippe geworfen,

I.

Inhaltsverzeichnis

Es gibt starke Geschlechter, deren Leben in gleicher Gestalt durch Jahrhunderte schreitet. Die Grundsätze der Vorväter verpflichten und zwingen wortlos, wie die blinden Gesetze des Stoffes das Wohl des Leibes bauen.

Aus einer solchen Familie stammte der Tuchmacher Joseph Griebel aus Altenrode.

Das große Haus auf der Walkergasse, welches er bewohnte, war seit Menschengedenken so. Durch das zweiflügelige Hausthor gingen immer dieselben Menschen aus und ein. Behäbige Männer, mit eigentümlich kurzen, dicken Beinen, langsam und gravitätisch —, und ihre großen Hände fuhren von Zeit zu Zeit liebkosend über die feisten Wangen. Dazu blickten die blauen Augen milde und lieb.

Die Mütter und Töchter waren groß und breithüftig, recht zur Rührigkeit geschaffen, mit derben, graden Gesichtern, über die sich mit der Zeit ein strenger Zug legte.

Das aber war absonderlich. Das Haus lebte die Geschichte des Geschlechtes mit. Nicht so, daß es restlos in ihr aufging, nein, in geheimnisvollen Linien senkte es den Zwang seines fertigen Wesens in die bildsame Seele der Menschen, die dauernd in den Bannkreis seiner Fundamente kamen.

Mit Lachen füllte allemal, wenn ein Alter hinausgefahren war auf den Totenacker, das junge Weib seine weiten, hohen Räume. Sie schmückte die hohen Fenster mit weißen Vorhängen und zwang den steifen, kalten Mauern mit ihrer Lebensfreude einen heiteren Ton ab:

Dann gingen die großen Thüren leise und schwingend. Die Hausthore sprangen auf und die Sonne vertrieb mit leichtem, sonnigem Atem den kalten Dunst, der sonst im Hausflur lag. Wie dann selbst die Stufen der Stiege neckisch quietschten, wenn flinke Kinderfüßchen über sie hineilten, und die Traillen des gebräunten Geländers schnurrten vergnügt dazu. Selbst der alte Löwenkopf am Ende der Stiege, der sonst so grimmig mit weitem Rachen auf die Straße schrie in stummer Wut, blinzelte verschmitzt mit den stieren Augen, in deren Winkeln die Kruste seines hohen Alters lag.

Ja, der alte Bau wurde sogar geschwätzig. Er verlockte die Kinder in das Dämmern seiner verwinkelten Bodenkammern. Diese waren mit vielen verstaubten Laden und Kasten angefüllt, in denen verblichene Gewänder lagen: Spitzenhauben mit blumigen Bändern und mattem Goldgewebe, Schnebbentaillen, Radröcke, lange, blaue, ernste Tuchröcke mit ehrwürdigen, breiten Kragen.

Dann erzählte er den Kindern verklungene Geschichten, süße, verschnörkelte Märchen. Er holte mit seiner breiten Feueresse ächzend Atem, um dann wieder mit der summenden, heißen Stille weiterzumummeln. Die Kleinen aber saßen vor den bunten Sachen und lauschten mit leuchtenden Augen.

Das alte Leben tanzte mit wehenden Röcken und fliegenden Bändern auf hohen Hackenschuhen über die Dielen der Dachkammern. Es schritt in Kniehosen einher und das spanische Rohr klopfte bedächtig auf. Nur wenn es auf einen Ast traf, klang es schrill und der ganze Spuk verschwand plötzlich.

Drunten in den Stuben, die nun auch nicht mehr so kühl und düster waren, schritt das junge Weib leichten Ganges umher, und der junge Meister lächelte ein stilles, zufriedenes Lächeln.

Die Sonne hatte ihre helle Freude über das steinalte, große Haus und malte ihre gleißenden Ringe mit glückzitterndem Goldfinger auf das trübe Grau seiner hohen Jahre, daß es davon in verhaltener Wonne bebte, und die Bäume des weitläufigen Gartens an der Hinterwand ermunterte sie aus ernster Versunkenheit. Der alte Birnbaum, unter dem die Laube stand, lachte noch einmal mit seinem kümmerlichen Gezweig und schmückte sich mit einem dürftigen Sträußchen weißer Blüten. Die jungen Bäumchen aber wiegten sich im Tanz eines leichten Windes und warfen mit vollen Händen den Übermut ihrer rotblühenden Jugend in das stilllauschende Gras.

Die Leute von Altenrode schüttelten die Köpfe, denn sie konnten die Wandlung nicht begreifen, die mit dem alten Haus in der Walkergasse vor sich gegangen war.

Allein niemand, selbst die Bewohner eingeschlossen, wußte, daß es seine Rückfälle in den angeborenen, steifen lastenden Ernst hatte.

Ganz war es ihn nie los geworden, selbst mit dem süßesten Lächeln des jüngsten Kindes nicht. Denn in der verborgensten Tiefe seines Innern lag er ungeschwächt, in seinen Kellern. Wohl hauste er dort von den schweren Steinen ihrer Rundungen gefangen. Aber plötzlich, am lachendsten Tage oft, wenn der Absatz eines schreitenden Fußes zu hart auf die Quadern des Flures stampfte, fuhr er auf und polterte dumpf über die Stiege hinauf in alle Räume. Dann erwachte ein geheimes Murren in so manchem Winkel, wo es verborgen geruht hatte und dehnte sich in leisezähen Lauten.

Und wenn dann das Lämpchen der Kinderstube, dieses wachsame Mutterauge, erlosch, weil es von keiner Wiege mehr den Schreck abzuwehren hatte, gewann des Hauses düstere Seele immer mehr die alte Herrschaft sich zurück.

Es trotzte mit eintönigen, harten Umrissen in alle Nächte hinein wie ehedem immer, und selbst der milde Mond vermochte nicht von seiner grauen Stirn die Miene stolzer Herbheit zu wischen. Und alle schweren, rauhen Gedanken erwachten in seinen Räumen. Mit dem großen, tiefen Schatten seiner hohen, kalten Gemächer beugte es sich über das Lager der Schlafenden und flüsterte ihnen finstere Träume in die Seele. Die Erwachsenen rührten sich nur seufzend davon in ihren Betten; die Kinder fuhren erschreckt auf und starrten furchtsam in die Nacht. Aber sie hörten nichts als den Schlag der einsamen Uhr auf dem Gange draußen huschend hinklingend und schliefen aus Angst wieder ein.

Am Morgen waren alle bedrückt und sagten, daß sie eine schlechte Nacht gehabt hätten, weil sie nicht wußten daß das Haus begann, seine Macht über ihre bildsame Seele auszuüben.

Auch am Tage überfiel das Haus nun öfter der alte, stille Ernst. Das war in den Stunden, in denen die Kinder in der Schule saßen. Dann duldete es keinen lauten Ruf. Den tiefen Ton der Mannesstimme ertrug es noch eher; dann kam nur ein dumpfer Verweis aus seinen hohen Hallen. Aber bei dem Ruf eines Weibes heulte es gequält auf auf, daß es allen durch Mark und Bein ging, die es hörten.

Darum gewöhnte man sich einen leisen, gleitenden Gang an, sprach flüsternd, oft nur durch Handbewegungen oder die Mienen des Auges. Wohl scheuchten die heimkehrenden Kinder es aus seiner einsamen Kühle auf, daß es ihren jungen Stimmen antwortete mit heiteren, seelenvollen Lauten.

Aber diese frohen Stunden wurden immer seltener.

Die Seelen der Erwachsenen sind dem Fertigen näher, als die der Kinder. Sie unterwarfen sich auch zuerst dem stummen Zwange des ernsten Hauses. So verstummten die Lieder des Weibes nach und nach. Die Blumenhüte und bunten Kleider, der leichte Putz der Jugend, wanderte in die bestaubten Kisten der Bodenkammern und ward gemach verklungene Geschichte, süßes, verschnörkeltes Märchen. Nun lachte das Weib nur, indem es stumm und freundlich die Oberlippe hochzog. In seinem Herzen sprangen keine Fluten mehr auf; fest, sicher und gerade glitt das Fühlen aus und ein, daß auf dem Gesicht ein ersnter, derber Zug sich dauernd eingrub.

Den Mann änderte es weniger; er ging nur noch etwas gravitätischer, trug den Stock noch würdevoller, sprach noch gewichtiger als in den Tagen seiner freieren Jugend.

Alle lachenden Geister verließen nach und nach das Haus. Zuletzt herrschte in allen Seelen und Räumen derbe Nüchternheit, ernste Pflichttreue, strenge Nützlichkeit und harter Biedersinn, der unverfälschte Geist jenes längstvergessenen Ahnherrn, der des Hauses Erbauer gewesen.

Die weißen Vorhänge verschwanden von den Fenstern, die mit dem schwarzen Glase nun wieder gleichgültig ins Weite sahen. Die Stuben wurden schmucklos und düster. Die Stiege lag schweigsam da. Der Löwenkopf an deren Ende verlor jeden gutmütigen Ausdruck. Nur selten öffneten sich die Flügel des Hausthores. In dem unteren Flur lag wieder die alte, feuchte Dumpfheit.

Selbstbewußt, in protzigem Stolz ragte das große Haus über die winzigen Häuslein zur Rechten und Linken. Und während diese aus engen Feueressen mühsam die dünnen Rauchfahnen bliesen, schmauchte ihr großer Nachbar in mächtigen Wolken. Die Atemstöße seines Zuges fuhren schwer durch seine massige Esse.

Indessen sann das Haus nach, was es den kommenden Geschlechtern mit den Reliquien seiner Dachkammern erzählen würde.

***

Durch den alten Konstantin Griebel war die Tradition seines Hauses gestört worden. Er hatte sich erst mit achtzig Jahren zum Tode bequemt, und das war auch nicht in der hergebrachten Weise vor sich gegangen. Anstatt still mit einem verklärten Gesichte segnend auszulöschen, war eine wilde Unruhe über ihn gekommen, als er den Tod an die Thür seines Krankenzimmers klopfen hörte. Es hatte ihm die Augen aus dem Kopf getrieben; sein mageres Gesicht war in Schreck noch mehr eingefallen. Wie kämpfend war es aufgesprungen und hatte mit seinen abgezehrten Armen leidenschaftlich in die Luft geschlagen, als gälte es, feman zu vertreiben, Während ihn Joseph in die Kissen niedergedrückt hatte, waren von den Lippen des Alten angstvollr Röcheltöne geklungen und unter wiederstreitenden Zuckungen war er endlich gestorben, als habe ihn der Tod von dem unvollendeten Mahle des Lebens hinweggerissen,

Erschüttert stand der Sohn am Bette und vergaß, dem Toten die Augen zuzudrücken, die stier, wie im gebrochenen Schrei eines Vorwurfes auf ihn blickten. Dann aber strich er behutsam die Lider über die leeren, angstvollen Augen und ging zitternd hinaus.

„Er wollt mir wås1 sän“, sann er. „Åber wås wårsch? Klang’s nicht wie hei . . . ., wie: Suhn . . . du . . . åch . . .? Wås hots, dåß er mich ei der Angst ånsåh met sen’n tuta Auja?“

Und er brachte es nicht vor seinen Ohren weg, das qualvolle Lallen des Sterbenden, und sah fortwährend den Schreck der gebrochenen Augen.

Auch als der Tote von seinen Innungsgenossen hinausgetragen worden war; als jeder Geruch der Beerdigung in der weiten Stille des großen Hauses untergegangen war, änderte es sich nicht.

Oft huschte neben ihm ein Schatten an der Wand entlang, wenn er durch den dämmrigen Flur schritt; oder er fuhr abends, vor dem Einschlafen zusammen; denn er erwachte irgendwo im Hause ein rasselndes Geräusch, ganz leise, als ob es schon lange seinem tauben Ohr gerufen habe und nun in zuckender Enttäuschung stoßweise verhauchte, da er seine Aufmerksamkeit darauf richtete.

Schon ergriff ihn öfter eine Furcht, wenn er, aus der Werkstätte zurückkehrend, die draußen vor der Stadt lag, sein Haus erblickte.

Einmal aber ereignete sich etwas ganz absonderliches. Er schritt, über seine Arbeit nachsinnend, die blaue Schürze umgebunden, die Treppe hinab und fühlte plötzlich den blinden Drang in sich, aufzusehen. Aber, was war denn das im Hausflur?! — — Das konnte doch von den beiden runden Fenstern im Hausthore nicht sein: zwei müde Augen lagen auf den ausgetretenen Flurquadern. Über ihrem halberloschenen Blau zitterte ein stumpfglasiger Schimmer, glitzernde Ringe stiegen aus ihrer Tiefe und verliefen leise an der Oberfläche wie zögernde Thränen.

Daß kaum seine Bluse knisterte, drehte sich der Tuchmacher um, winkte die fast taube Wirtschafterin aus der Küche und wies ihr die Erscheinung mit bebendem Arm.

Aber diese begriff nicht, schüttelte den Kopf und wischte sich dabei mit zwei Fingern ihre magere Nase.

„Dat!“ hauchte er.

„Wås?“ schrie sie endlich aus Leibeskräften nach Art der Tauben.

Von dem groben Laut aber begann das erlöschende Blau leise fortzugleiten, und als er noch einmal dringender darauf hinwies: „Dat!“ waren es schon wieder die zwei Lichtflecken geworden, die immer in dem feuchten Hausflur lagen.

„Dås?“ schrie sie, „dås sein de zwee ronda Fensterfleckla. Weiter nischt. – Und Sie, Herr Joseph, Sie warn åm besta thun, Sie heiråta.“

Damit wandte sein sich um und indem sie langsam hinaufschlürfte, lachte sie dünn und schüttelte wackelnd mir dem Kopf.

Es aber schritt dem Ausgange zu und wich dabei den Flecken sorgsam aus. Aber es war trotzdem vorhin ein müdes, weinendes Auge gewesen, jeder der beiden Flecken.

„Fensterfleckla,“ redete er in sich hinein, „heiråta . . . ., haha! . . . . und wenn de Weiber Pulverholz warn, wessa se nischt andersch. — — Ich? — nu ja, ja, amal schon; — åber warum a so bale? Bin ich achtunddreißig gewor’n, kån ich auch neununddreißig war’n. — — Åber ’s is egal, wås is nich richtig, seit dr Våter tut is.“

Und er widersetzte sich der Forderung, die die Tradition seines Geschlechtes verlangte, deren Unabweislichkeit er nur die Bequemlichkeit seines zunehmenden Alters entgegenstellte, so lange es ging. Auch sein Vater hatte vielleicht dasselbe von ihm gewollt unter den Qualen seiner letzten unruhigen Tage.

Zuletzt kam auch der alten Wirtschafterin derselbe Gedanke.

Unverzüglich nahm sie den Zauderer deswegen ins Gebet: „A sel‘ga Herrn Våter hab ich noch gekannt, wie er ein junger Femfbiehmer wår, of deitsch gesät. Un wie der ale Herr, Joseph hieß er wie Sie, Ihr Grußvåter, ich weß noch åls wenns heite wär, un wie er un er låg auf m Sterbebette, s wår verz‘ Taje vir Ållerheilijen – acht Taje drnåch brannte der Ruffert-Gerber åb – wie’s mit’m Odm immer genauer wur, då kåm dr selje Herr Våter mit seim Schåtze, wås drnoch Ihre Mutter worn is, zu n’m åns Bette.

Då hätten Se sehn sollen, wie er glecklich fläschelte! Er reckte de hand zum Betteraus, åls wenn er sagte: Jetz sterb ich gerne, Kinder! fläschelte noch a mol un starbe. –

Warum kunnde dr selje Herr Våter nich sterba? — Weil er Sie nich versorgt wußte. Un ein Mån ohne Weib – då steckt immer wås Bieses dahinder; da trau ich nie.“

„Nu ich kån mirsch woll denka – hm – haha!“ lachte Joseph malitiös.

„Åch nu - - ich håb halt ken’n gekriejt, - Nee, ohne zu spaßa: Dås Haus ohne Wieb is zum sterba. – Ån mich håts jå ken’n Fug. Mir is Bichla vertreijt. Åber sehn Sie sich vor – Herr!“ –

So sagte sie ihm, was ihre einsame Seele lange gesonnen hatte.

In der That schien es, als ob das alte Haus seine tiefe Einsamkeit wieder einmal satt habe und darnach verlange, daß ein Menschenfrühling durch seine Gemächer hinhüpfe auf kleinen Kinderfüßchen; so wehe Stimmen wurden laut, so redete es brummend mit seinen hohen Thüren, so schreckte es mit seinen langen, unerträglichen Schatten, so rief es sehnsüchtig mit der Totenstille seiner großen, kalten Stuben. Endlich mundete dem Tuchmacher seine Verlassenheit selbst nicht mehr. Die Sehnsucht nach seiner Jugend erwachte in ihm. In diesem Verlangen heiratete er.

Die alte Wirtschafterin, die so tapfer dafür gestritten hatte, erlebte es nicht mehr.

Kurz vor der Hochzeit starb sie.

————

II.

Inhaltsverzeichnis

Sein junges Weib hieß mit ihrem Mädchennamen Leonore Marsel.

Ihr längst verstorbener Vater war der letzte Sprosse eines seit Geschlechtern verarmten freiherrlichen Hauses gewesen, Karl August Theodor von Marsal, seines Zeichens Bäcker.

Er hatte in einem der kleinen Häuser auf der Walkergasse geräuschlos seine Semmeln und sein Brot verkauft; mit einem scheuen, betretenen Gesicht.

Eine Reihe seiner Vorväter war durch den Glanz der großen Vergangenheit wild und toll geworden. Allmählich hatten die engen Räume der Armut den Trägern des großen Namens die stolzen Flügel gebrochen; und die Sehnsucht lag in ihnen wie ein unabwendbarer Kummer, eine zwecklose, stets neugeborene Qual.

Sie verkümmerten nach und nach an den kleinen Fenstern und dem dürftigen Hausgerät. Das kärgliche Essen sog ihnen die Kraft aus, und die Gesundheit und Fülle ihrer Leiber schrumpfte zusammen unter dem unbarmherzigen Drucke schlichter Gewänder.

Der Wohlklang ihrer kraftvollen Glieder artete zu krankhafter Zierlichkeit aus. Der lange, freie Gang verengte sich zum Trippeln, und das schwingende Spiel der feinen Hände verdarb zur prahlerischen Grimmasse.

— Mit den Wunden ihrer Seele zeugten sie die Kinder und das Gift ihrer Einbildung reichten sie ihnen als die Milch der ersten Märchen.

Das geheimste, tiefste Leben ihres Herzens ward ein ohnmächtig verzitternder, dünner Ton.

Nur an dem schönen Haar ging der Verfall des Geschlechtes spurlos vorüber. Ja, je trostloser seine Trümmer wurden, um so reicher floß die Fülle seines goldgleißenden Glanzes.

Und auch die großen, leise singenden Augen schmückte der verheimlichte Wahn, an dem sie langsam hinsiechten, immer glänzender.

In dem letzten des verwucherten Stammes, dem Bäcker Karl August Theodor, waren die Wunden blutleer geworden; die Einbildung ein trocknes, würgendes Fieber.

Dies reichte gerade noch aus für die Seele eines zarten Mädchens, dessen Leben wie das Verlöschen einer Flamme einsetzte.

Schon auf dem Todbette liegend empfing der Vater die Nachricht von der Geburt einer Tochter. Ein Schreck machte ihn noch blasser. Dann winkte er die Hebamme mit einer matten Handbewegung näher zu sich:

„Leonore Marie von Marsal“, hauchten seine Lippen und ein kraftloses Lächeln krümmte seinen Mund.

Das Weib aber ging wieder zu dem Kinde.

Dieses that den ersten, dünnen Schrei.

Davon starb der Kranke.

Niemand bemerkte es. Denn er schlich sich mit dem Zittern eines abgefallenen, dürren Blattes aus der Welt, das unter dem ersten, armen Morgenstrahle erbebt, weil der Reif einer langen Nacht sich von ihm zu lösen beginnt.

***

Mit dem Mitleid kleiner Seelen, das so demütigt, ermöglichten die Bewohner der Walkergasse es der jungen Witwe, das Geschäft ihres Mannes mit Hilfe eines älteren Gesellen fortzuführen.

Noch ganz im Glanze einer peinlichen Liebe war August Theodor von seinem Weibe gegangen. Nicht einmal den ersten, kraftlosen Mutterstolz hatte er aus ihren Augen trinken dürfen.

So wuchsen die Schauer ihres einzigen Glückes aus dem Grabe ihres Mannes.

In der Blüte ihres Hoffens geknickt, um die Erfüllung ihrer Sehnsucht durch das Schicksal betrogen, immer mit den verborgenen Waffen der Muttersorge um das Leben ihres Kindes kämpfend, ward sie ein Glied des unglücklichen Geschlechtes, das in ihrem Manne unter leisen Zuckungen sich unter die Erde geflüchtet hatte.

Er war ihr in jener Zeit der Ehe gestorben, wo der Verstand noch ohnmächtig gegen die Bilder ist, die das junge Blut in das bunte Herz schreibt. So nahmen seine Gestalt und die Geschichte seiner Familie übertriebene Dimensionen und Farben an.

Die stückweisen Erzählungen aus den Truhen seiner Erinnerung klangen in ihr wieder wie rätselhaft große Töne, die ein Luftzug aus gnädigleiser Ferne trägt. Die häßlichen Geräusche des Trümmerfalles blieben ihr verborgen.

Wie sieches Morgenrot über einem kümmernden Blümchen, wachte ihre Seele über Leonore, ihrem einzigen Kinde.

Nur an Sonntagen, wenn das Feiertagslicht in müßiger Schöne vor dem stilleren, kleinen Bäckerladen spielte, spann sie Glanfäden in die traumsüchtige Seele des kleinen Mädchens.

In der Woche, wenn der Fleiß auf klappernden Holzschuhen durch die engen Räume eilte, prägte sich das Kind dann die gehörten Geschichten in tausend verschwiegenen Spielen ein. – Leonore war zu gebrechlich zart, an der gesunden Kost der derben Spiele gleichaltriger Nachbarkinder teilzunehmen. Der Instinkt ihrer Schwäche hielt sie auch davon zurück.

Die Mutter mußte den Hunger ihrer Erkenntnis nur immer mit den zeitfernen, großen Geschichten füttern, die, vielfältig persönlich verändert, sie von den Erzählungen ihres Mannes behalten hatte.

So ging Leonoren das engzellige Leben früher Kindheit verloren, die Gesundheit unmittelbarer Wallungen, die Frische selbstthätigen Erlebens.

Ihr Inneres wurden maßlose, verdämmernde Räume, rätselhafte Schwingungen, geheimnisvolle, unirdische Töne und Farben, ein Vorrat unendlich duftiger Schemen, an den sich nichts anschließen, der nichts klarthätiges gebären konnte.

Mit einer unverdienten Last, wie wir alle, kam sie zur Welt; mit einer Verscheuchtheit trat sie ins Leben; ihre Klarheit begann mit einer Friedlosigkeit.

Still dasitzen, mit den langen, schmalen Fingern im Schooß spielen, indessen ihre Augen in Fernen schauten, die hinter allen Gegenständen lagen, das behagte ihr.

Als die Mutter merkte, was ihre Liebe angerichtet hatte, war es zur Besserung schon zu spät.

Ihr Wesen, das eine Kristallisation von Splittern darstellte, war schon in den Grundlinien der Regellosigkeit erstarrt.

Mit Gewalt wurde das Mädchen nun zu allen häuslichen Verrichtungen angehalten. Sie fügte sich auch den Geboten der Mutter, fegte, wusch, stand hinter dem Ladentisch, half beim Backen; aber sie that es mit dem leidenden, geheimen Widerstreben kraftloser Naturen.

Dieses emsige Leben, mit seinen lauten, rücksichtslosen Geboten; unruhigen, wimmelnden Wünschen; brennenden Fragen; heftigen Entscheidungen ertrug sie wie ein lästiges Klappern. Und je weiter es durch Übung in ihr vordrang und sich mit Härte festsetzte, um so inbrünstiger war das Zurückschnellen in das bunte, weiche, unräumliche Rätsel ihrer innersten Seele.

Wie in langen Glockentönen hätte sie reden mögen; es war ein weitergreifendes Ausspannen in ihr, wie wehender Wind, gleitende Wellen.

Wenn ein geheimnisvolles Brausen in den Höhen wach wurde, das die Wolken geräuschlos faltete wie große, steife Gewänder und den Bäumen ein würdig-leises Neigen abnötigte, fühlte sie sich wohl und heimisch.

Und aus all der Hilflosigkeit ihrer blinden Sehnsucht wuchs ein traumweinender Wunsch nach Macht.

Der Spott hatte ihr den Stolz an dem adligen Namen zur Freude der Mutter bald geraubt. Die Märchen ihrer Jugend verschwanden unter dem Geräusch mühsamer, oft kümmerlicher Jahre. Nie kam es ihr später in den Sinn, etwas anderes sein zu wollen, als die Tochter der Marsel-Bäckerin.

Aber mit geheimem Weinen, mit Beklemmung und dem beengenden Gefühl der Fremdheit und Verlassenheit ertrug sie den Zwiespalt ihrer Natur.

So disharmonisch war auch ihr Leib; zart. Aber es war nicht die abgerundete Zierlichkeit eines Vogels. Denn sobald sie ging, breitete das Spiel ihrer langen Arme eine steife Würde über die spitze Beweglichkeit ihrer Glieder, die an das Komische streifte.

Ein herber Zauber lag auf ihrem Körper, dem alle weibliche Fülle fehlte. Ihr reiches Haar hatte die Farbe der müden Novembersonne.

Eines ihrer weichblauen, singenden Augen lag halbverdeckt von einem kraftlosen Lide und stand oft starr, indeß das andere sich still bewegte, als klinge durch seine Regungen ein geheimnisvolles Lied herauf aus den maßlosen, verdämmernden Räumen ihrer Seele.

————

III.

Inhaltsverzeichnis

Joseph Griebel war ohne jede Ferne. Sein genügsames Hoffen hatte stets fertige Verhältnisse vorgefunden. Noch nie in seinem Leben war er zu tiefen, fiebernden Atemzügen gekommen. Er hatte seine Jahre genossen wie ein immer gleichmäßig gebackenes Brot.

Die Gesetze seiner Väter waren die Gesetze seines Willens.

Er unterschied sich von ihnen wie ein jüngerer von einem älteren Balken. Behauen, zugerichtet, ausgetrocknet, haltbar, mit allen hergebrachten Kanten und Schnörkeln versehen, nur von hellerer, empfindsamerer Farbe, lag er an seinem Platze.

Der Tod seines Vaters hatte ihn dahingetragen mit hastigem, stürzendem Griff und ein paar erschütternden Schlägen seines Hammers.

Da war ein Stöhnen und Knirschen durch das feste Gefüge seines Wesens gegangen, und von den Hammerschlägen des Todes war ein langer, tiefer Ton in dem Holze seiner Seele erwacht. Durch alle Zellen seiner Vergangenheit pflanzte er sich fort und als er bis an den dünnen Markfaden seiner Jugend gelangt war, mit einem immer leiseren, aber innigeren Vibrieren, ward ein letztes Hauchen von Sehnsucht daraus. Der dünne Faden lebendigen Markes begann noch einmal mitzuschwingen mit dem wärmeren Pulsen schon müder Säfte.

Leise Bilder glommen durch einen weißen, zarten Schleier zu ihm her mit verblaßten, reinen Farben. Eine Flut leichter Töne lag in dem Duft, der von ihnen ausging.

Da sein Wesen noch von keinem Fehltritt mißtrauisch, von keiner Enttäuschung zweifelnd, von keiner seelischen Verwicklung verknorrt worden war, erhob er sich in seiner plumpstrotzenden Gesundheit und überließ sich rückhaltlos dem weichen, schönen Taumel. Unter dem Einfluß dieses letzten, frühlingswarmen Sonnenblickes nahm der würdige, fertige Balken noch einmal die Formen eines Menschen an.

Sein ganzes biedere, nützliche, nüchterne Leben kam ihm wie eine große, leblose Lücke vor. Nur das Zarte, Fremde, Leise hatte Gewicht für ihn. So mußte er Leonore finden.

Wie eine Frühlingsblume, die ein gnädiger November der kraftlosen Erde abgeschmeichelt hat, fand er sie.

Und er trug sie sich mit bebender Hand heim in die große, leblose Lücke seines Lebens. Das ernste Haus auf der Walkergasse nahm sie auf mit dem frohesten Dröhnen seiner vielkammerigen, weiten Brust.

————

IV.

Inhaltsverzeichnis

Das Leben traf Leonore immer ganz ratlos. Sie schlug wohl mit den Flügeln ihres Wollens; aber das Schicksal kam dann und führte sie ganz wo anders hin, wie einen Vogel, den ein Wetter verschlägt. Dann pochte ihr das Herz in angstvoller Neugier, während sie den Wind des Geschickes in den Segeln ihres Wesens fühlte.

„Heiråta, Mutter?“ frug sie und schüttelte langsam den Kopf, denn sie begriff nichts.

Ein milder Abend lag in dem Bäckerladen, und die gelben Regale, die bis an die Decke reichten, glommen stumpf durch das lichte Dunkeln.

Die Mutter saß hinter dem Ladentisch. Das Mädchen lehnte mit aufgestützten Armen darauf.

„Heiråta . . . .“ wiederholte sie ganz zaghaft.

„Nu ja, du bist doch zwanzich.“

„Åber warum?“

Damit stand sie auf und ging durch den schmalen Raum von der Thür bis zu den Mehlballen an der gegenüberliegenden Wand, ein paar mal.

Die Mutter aber lachte überlegen und schwieg eine Weile.

„Bist du ihm nie gutt?“ frug sie dann.

Leonore stand still und sah sinnend zu Boden.