Leora - Lea Lessek - E-Book

Leora E-Book

Lea Lessek

0,0
4,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.

Mehr erfahren.
Beschreibung

Wenn du die Entscheidung treffen müsstest, ob die Welt in der Form wie sie ist, weiter existieren oder untergehen soll, wie würdest du dich entscheiden? Genau vor dieser Entscheidung steht Leora in einer dystopischen Welt, in der das Leben nichts mehr bedeutet.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2024

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Leora

Am Ende wird nur dein Licht scheinen

 

 

 

Lea Lessek

 

Buchbeschreibung:

Die Welt liegt in Trümmern. Nur wenige Menschen haben überlebt. Leora ist eine von ihnen.

Doch Leora rächt sich mit Hilfe ihrer neu entdeckten Kräfte. Mit dem Auftauchen der mysteriösen Ignis beginnt die Suche nach ihrer Bestimmung.

Als Leora schließlich erfährt, dass das Schicksal der Welt auf ihren Schultern lastet, droht sie daran zu zerbrechen, denn

SIE ist das Licht ...

Impressum

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek.

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http//dnb.dnb.de abrufbar.

 

 

 

Veröffentlicht im Neubachverlag

1. Auflage

April 2024 – Leora

Alle Rechte vorbehalten Copyright © 2024 Neubachverlag

Texte: ©Copyright by Lea Lessek

Lektorat: Daniela Vogel

Cover: Schattmaier Design

Druck: scandinavian Book

 

Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und wird strafrechtlich verfolgt:

 

Neubachverlag

Inh. Daniela Neuy

Im Gansdahl 10

41540 Dormagen

Deutschland

 

ISBN Ebook 978-3-98914-017-2

Leora

Am Ende wird nur dein Licht scheinen

 

 

 

 

Lea Lessek

Glaubst du, die Menschen würden sich ändern, wenn siewüssten,

dass das Ende naht?

Doch vielleicht ist es dafür bereits zu spät!

Gewidmet allen Menschen,

die ein Licht in sich tragen,

das stärker ist,

als alle Macht dieser Welt.

Ich habe gelernt,

dass du kein Augenlicht benötigst,

um das zu sehen, was wirklich wichtig ist.

Das menschliche Leben, nur ein Aufflackern im Vergleich zum Universum. Ein kurzer Wimpernschlag und es ist Vergangenheit. Leben und Sterben. Lieben und Hassen.

Zeit, kostbar wie jeder Atemzug und ebenso vergänglich.

Es gibt keine Zukunft, ohne die Vergangenheit.

Kein Licht ohne Dunkelheit.

Kein Anfang ohne Ende.

Keine Reue ohne Sünde.

Keine Liebe ohne Glauben ...

Prolog

Alles brannte lichterloh. Erschöpft strauchelte sie die Treppe hinunter, an den Flammen vorbei, die sie verschonten, als hätten selbst sie Angst vor ihr.

Als sie draußen ankam, fiel ihr Blick auf das Waisenhaus. Während ihr Zuhause in Rauch aufging, weinte sie bitterlich, doch die Tränen würden nicht wieder gutmachen, was sie angerichtet hatte. Sie hatte nicht nur den einzigen sicheren Ort, den sie kannte, zerstört, sondern auch mit einem Schlag vielen Menschen das Leben genommen.

Was habe ich nur getan?

Aus dem unschuldigen kleinen Mädchen war eine Frau geworden, eine eiskalte Mörderin. Sie war eine sechzehnjährige Mörderin.

Ich bin böse!

Weinend fiel sie auf die Knie und beobachtete, wie das Waisenhaus in sich zusammenstürzte und mit ihm ihre Vergangenheit.

Sie bemerkte nicht einmal, wie sich eine Person näherte und auch nicht, wie mit einem Mal das Feuer verschwand.

»Du kannst jetzt nichts mehr für sie tun. Aber du hast sie gerächt.«

Diese Stimme, die in ihr tiefstes Inneres drang, war so warm und vertraut. Aber Leora hatte keine Kraft und auch nicht den Willen sich umzudrehen. Es war ihr auch egal, wer ihr diese Wärme entgegenbrachte. Vor Leora tat sich ein Loch ohne Boden auf. Dunkle Gedanken. Rache. Gedanken, die ein Inferno ausgelöst hatten.

Es war still in ihrem Kopf. Eine Ruhe, die sie sich eigentlich lange Zeit gewünscht hatte, aber nicht zu diesem Preis. Und doch war da etwas, das sie wahrnahm, wie eine kleine Flamme, ganz zart, erfüllt von Liebe und Zuneigung. Aber es war nicht ihr Gefühl, sondern es gehörte jemand anderem. In diesem Moment besann sie sich wieder, dass sie von jemandem angesprochen worden war. Schließlich sprach die Stimme erneut zu ihr.

»Steh auf Leora, lass uns gehen, du bist hier nicht sicher und es warten noch große Aufgaben auf dich.«

Langsam drehte sie sich um und erblickte eine junge Frau mit rötlichen, kurzen Haaren und dunkler Haut, wie Leora sie noch nie gesehen hatte. Sie war hübsch, obwohl Narben ihr Gesicht und, soviel Leora sehen konnte, auch ihre Hände prägten. Liebevoll streckte sie ihr die Hand entgegen.

»Mein Name ist Isi, aber als du mich gerufen hast, nanntest du mich Ignis.«

»Ignis?« Verwirrt wiederholte Leora den Namen und stand auf, ohne Isis Hand zur Hilfe zu nehmen.

»Woher kennst du meinen Namen und wann habe ich dich gerufen?« Mit verschränkten Armen beobachtete Leora ihr Gegenüber. Sie wollte jetzt einfach nur allein sein.

»Ich war lange auf der Suche nach dir und habe von dir geträumt.«

»Ich kann nicht heilen, ich will es auch nicht und wahrsagen kann ich auch nicht!«

Leora war sauer auf diese Ignis. Erkannte sie nicht, was gerade geschehen war und was sie gerade durchmachte?

Ein Lächeln erschien auf Isis Gesicht.

»Das weiß ich Leora, ich bin nicht hier, um etwas von dir zu verlangen, ich will dir helfen.«

»Ein bisschen spät, findest du nicht! Was hättest du hier schon ausrichten können? Ich brauche dich nicht! Ich konnte meine Familie nicht beschützen, aber ich habe alle dafür büßen lassen!«

Wieder blickte Leora auf ihr zerstörtes Zuhause.

Ich habe alle umgebracht!

Dieses dauerhafte und gleichzeitig verständnisvolle, traurige Lächeln löste in Leora Hass aus und sie wusste nicht, warum es so war.

Immer noch streckte ihr Ignis die Hand entgegen und erst, als Leora ihr nochmals in die Augen sah, verspürte sie den Drang Ignis` Hand zu fassen, doch irgendetwas in ihrem Inneren warnte sie davor, es zu tun. Deswegen zog Leora ihre Hand zurück.

Offenbar bemerkte Ignis Leoras Unsicherheit.

»Ich kann nachempfinden, wie du dich fühlst, und werde dir alles erklären, was ich weiß, aber nicht hier. Wirst du mich begleiten?«

»Woher weiß ich, dass ich dir vertrauen kann?«

»Ich bin Ignis, die Botin des Feuers. Ich bin hier, um dir zu helfen. Komm mit mir. Es gibt hier nichts mehr, was dich hält. Ich kann nicht rückgängig machen, was geschehen ist, aber ich werde versuchen, für dich da zu sein.« Ignis hatte recht, was sie jetzt brauchte, war ein Freund an ihrer Seite und Isi war der einzige Mensch weit und breit. Was hatte sie schon zu verlieren? Und doch war sie skeptisch. Sie betrachtete Ignis misstrauisch, vom Kopf bis zu ihren Fußspitzen, während diese das Gemüse, das vom Beet noch zu gebrauchen war, einsammelte. Leora konnte sich nicht vorstellen, dass diese Frau ihr wirklich helfen konnte. Und doch wirkte sie überlegt, perfekt vorbereitet. Vorsichtig.

Schließlich nahm Leora all ihren Mut zusammen. Sie konnte nicht dortbleiben und auch nicht allein weiterziehen. Also entschloss sie sich, den Weg mit Ignis zu gehen. Ein letztes Mal blickte sie auf die Asche ihrer Vergangenheit, dann schritt sie mit der Botin des Feuers davon.

Es war nun schon eine ganze Weile her, seit Leora mit Ignis die Überreste des Waisenhauses verlassen hatte.

In ihren Gedanken gefangen, trottete Leora hinter Ignis her. So sehr sie es auch versuchte, die Traurigkeit, die sie mit sich genommen hatte, wollte einfach nicht verschwinden. Sie hatte alle enttäuscht. Wenn sie gekonnt hätte, wäre sie sofort zu Staub zerfallen, so sehr nagte ihr Versagen an ihrem Körper. Kein Wort verließ ihre Lippen, aus Angst, das Gesagte, würde sie in Stücke reißen. Obwohl sie bemerkte, dass Ignis offenbar mehrmals versuchte, ein Gespräch zu beginnen, es dann aber bleiben ließ, konnte sie sich selbst auch nicht dazu aufraffen. Unweigerlich schoss Leora der Gedanke an eines ihrer Lieblingsmärchen in ihren Kopf. Ob Ignis womöglich ihr Weg von der hässlichen kleinen Ente zum Schwan war, wusste sie nicht. Ignis war so wunderschön, während Leora aussah, wie der Tod. Ihre Haut war nicht blass, sondern nahezu transparent. Sie war nicht weiß, sondern einfach sehr hell. Sie hatte farbloses Haar, ein blaues und ein braunes Auge und feuerrote Lippen. Sie hatte einfach nichts an sich, was man als schön empfinden konnte.

An einem kleinen Bach füllte Ignis die Trinkflaschen auf und wusch sich das Gesicht. Wie hübsch sie doch war. Das Wasser perlte an ihrer wunderschönen dunklen Haut ab. Und was war Leora? Trübselig starrte sie ins Wasser. Ihr Gesicht wurde dort kaum reflektiert, so weiß war es, so hässlich. Wie die Hexen aus den Märchenbüchern. Nur ihre Augen warfen ihren Blick zurück. Gruselig.

Mit einer forschen Handbewegung schlug Leora ins Wasser und senkte den Kopf. Es war alles so falsch.

»Leora, was geschehen ist, kann niemand ungeschehen machen. Aber ich werde versuchen, dir beizustehen. Ich denke, wir brauchen eine Pause. Wir beide. Ich kann gut nachempfinden, wie du dich fühlst. Und ich werde dir zuhören, wenn du darüber reden willst.« Sie streckte Leora die Hand entgegen, doch Leora betrachtete sie nur eine Weile schweigend.

»Du weißt gar nichts über mich.« Ignis zog ihre Hand wieder zurück und gemeinsam bauten sie sich ein Nachtlager in der Nähe des Bachs, zwischen einigen Bäumen auf.

»Uns wird wohl niemand gefolgt sein und es wird Zeit, dass du eine Nacht durchschläfst, Leora. Das wird dir guttun. Ich passe auf, dass dir nichts geschieht. Aber vorher werden wir anständig essen.«

Es wurde bereits dunkel, als sie mit der Zubereitung der Mahlzeit begannen. Leora beobachtete, wie Ignis Lebensmittel aus ihrer Tasche holte und sie behutsam vor sich legte. Allein beim Anblick des Essens erschien ein Lächeln auf Ignis` Gesicht, sodass sich tiefe Grübchen darauf bildeten. Leora bewunderte, wie derartige Kleinigkeiten sie offenbar glücklich machen konnten. Es waren schließlich nur Lebensmittel und Ignis behandelte sie, als wären sie unfassbar kostbar.

»Möchtest du mir beim Zubereiten helfen?« Leora nickte stumm.

»Was soll ich tun?«, fand nun Leora ihre Stimme wieder.

»Du kannst das Gemüse schneiden, ich hole dann Wasser.«, entgegnete Ignis ihr, während sie den Topf in die Hand nahm und zu dem kleinen Bach lief. Wenig später kehrte sie auch schon zurück.

Leora riss ihre Augen auf, als Ignis mit nur einer Handbewegung das Feuer entfachte und schließlich den Topf darauf stellte.

»Bist du fertig mit dem Gemüse?«

»Wie hast du das gemacht?«

»Das ist meine Kraft. Es muss dir seltsam vorkommen. Unwirklich oder beängstigend. So habe ich mich früher auch gefühlt. Ich habe dir versprochen, dir alles zu erklären. Vielleicht ist jetzt der Zeitpunkt gekommen.«

Leora dachte darüber nach. Sie haderte mit sich, ob sie bereit für Ignis` Geschichte und somit dieses fremde, andere Leben war. Für die vielen neuen Eindrücke, mit denen sie zu kämpfen hatte. Sie legte all ihre Hoffnung in den Wunsch, dass ihr Leben sich doch noch zum Guten wenden würde. Immerhin war es Leoras Traum, irgendwann, wie das Entlein, ein richtiges Zuhause zu finden. Vielleicht war Ignis genau der Mensch, der sie zu diesem neuen Leben geleiten konnte.

»Als Botin des Feuers ist es meine Aufgabe, dir die Kraft des Feuers zu überbringen. Ich weiß nicht, was geschehen wird, wenn du sie entgegennimmst.«

»Warum willst du mir das Feuer geben? Was soll ich damit? Ich bringe sowieso nur allen Unglück!«

»Ich denke nicht, dass meine Flamme dir schaden wird. Du musst nur meine Hand fassen, alles Weitere übernimmt die Kraft.«

»Ich will sie aber nicht! Ich habe Angst, ich kann mich nicht kontrollieren. Was ist, wenn dadurch alles noch schlimmer wird? Wenn ich dich oder andere verletze?«

»Ich bin nur die Botin. Deine Botin. Ich überbringe dir das Feuer, weil es meine Aufgabe ist, so wie es die deine ist, es entgegenzunehmen. Es ist dein Schicksal, diese Kraft zu erhalten. Hab also keine Angst. Alles geschieht so, wie es geschehen soll. Ich bin bei dir, werde dich halten und dir beistehen.«

Isi streckte ihr schweigend die Hand entgegen, doch Leora zögerte noch immer. Sie hatte Angst, dass sie diese Macht nicht kontrollieren konnte, Schicksal hin oder her. Sie wollte den Menschen nicht noch mehr Leid zufügen. Sie wollte keine böse Hexe aus einem Märchen werden.

»Ich habe solche Angst, dass ich böse bin.« Als Tränen in ihre Augen stiegen, drehte sie sich von Isi weg.

»Ich hatte auch Angst vor meinen Kräften, aber du gewöhnst dich daran und lernst, auf sie zu vertrauen. Leora, wenn du eines nicht bist, dann sicher böse. Du bist das Licht. Du musst lernen, an dich selbst zu glauben. Ich werde für dich da sein. Vertraue auf das Feuer, der Schmerz vergeht, wenn du eins mit ihm wirst.«

Leora war immer noch nicht so wirklich überzeugt und doch fühlte sie, dass sie die Kraft annehmen musste. All ihren Mut zusammennehmend, ergriff sie schließlich wortlos Ignis` Hand. Ein unermesslicher Schmerz flammte in ihr auf.

Tausende Nadelstiche brannten wie Feuer in ihrem Körper und sie breiteten sich von innen heraus aus. Schlagartig ließ sie Ignis` Hand los. Doch es hörte nicht auf. Ganz im Gegenteil. Es wurde so unerträglich, dass sie zu Boden sackte. Tief in ihrem Innern hatte sie geahnt, dass so etwas geschehen würde.

»Wehr dich nicht dagegen. Lass es zu, dann wird es leichter. Nimm das Feuer an.« Als würde eine unsichtbare Macht ihr ein Zeichen in die Hand brennen, schossen Leora Tränen vor Schmerz in die Augen. Auf ihrer Hand bildete sich tatsächlich ein Brandmal.

»Das ist das Erste von vier Malen, die du durch die Boten erhalten wirst. Dies ist das Feuermal.«

»Eines von vier? Ich muss das noch dreimal durchmachen? Warum hast du mir das nicht sofort gesagt? Es tut so weh!« Leora fühlte sich von Ignis betrogen. Diese Qualen waren kaum auszuhalten, doch Ignis saß nur da und blickte sie mitleidig an. Erst, als sich erneut Tränen in Leoras Augen bildeten, legte Ignis Leoras Kopf in ihren Schoß und streichelte ihr sanft über das Haar.

»Es wird vorübergehen. Als ich meine Kräfte erhielt, dachte ich, ich würde sterben. Nimm sie an, lass sie zu. Die Schmerzen werden dann sofort vergehen.« Und tatsächlich, je mehr sie sich entspannte und akzeptierte, dass das Feuer nun ein Teil von ihr war, umso erträglicher wurde der Schmerz. Langsam wandelte er sich in Wärme, bis diese sie einnahm und Leora endlich zur Ruhe kam.

Erschöpft hörte Leora zu, wie Ignis ihr von ihrer Vergangenheit erzählte. Offenbar war auch ihr Leben bisher nicht einfach verlaufen.

Ignis war als eine sogenannte Niedere aufgewachsen. Als ein Mensch, der auf natürlichem Weg gezeugt worden war und durch die Mutter zur Welt kam. In einer Welt, in der es zwei Arten von Menschen gab. Die Niederen, die so vielfältig waren wie die Sterne am Himmel und die elitäre Rasse, deren Kinder im Labor gezeugt wurden.

Durch Genmanipulationen wurden Krankheiten und Missbildungen gänzlich vermieden. Gab es dennoch Fehler bei der Erschaffung, wurden diese Kinder noch vor ihrer richtigen Geburt ermordet. Familien gab es bei ihnen keine. Kompatible Menschen wurden ausgewählt und die Gene zweckmäßig zusammengeführt.

Die Kinder wurden in anderen Bereichen der sogenannten Kuppelstädte durch Ausgewählte großgezogen und unterrichtet. Nur der elitären Rasse war Bildung vorbehalten, während die Niederen zur Arbeit gezwungen wurden. Ähnlich wie Leora hatte Isi Lesen und Schreiben von einer älteren Dame gelernt.

Leora hörte ihr gespannt zu, doch diese Tatsachen waren für sie nicht greifbar. Sie konnte sich das alles nicht vorstellen. Für sie war Ignis, wie aus einer anderen Welt. Auch ihre extrem dunkle Haut wirkte so unwirklich auf sie, ebenso wie ihre sehr auffallenden roten Haare. In gewisser Weise erschien sie Leora wie ihr optisches Gegenteil.

Für Isi war es jedoch völlig normal, dass die Niederen alle verschieden aussahen. Bunt, wie sie es nannte.

Im Waisenhaus war Leora diejenige gewesen, die seltsam ausgesehen hatte, doch laut Isi ähnelte sie den elitären Menschen sehr. Diese hatten alle blaue Augen. Ihre Haut war jedoch nicht ganz so farblos wie die von Leora, aber ebenfalls blass.

Ignis erzählte weiter. Bevor sie damals erwacht war, hatte sie von ihren Eltern den Namen Yoshiko erhalten. Ein Teil einer für Leora fremden Welt.

Ignis

Yoshiko, wo läufst du hin?«

»Ich will die Sterne sehen Baba!«

Ihr Vater trat einen Schritt auf seine zehnjährige Tochter zu.

»Wir dürfen nachts nicht mehr aus den Höhlen, das weißt du doch.« Yoshiko nickte ihrem Vater zu und betrachtete die feuchten, kalten Wände.

»Ja Baba, das weiß ich. Aber es ist unfair! Es ist gemein! Ich will doch nur die Sterne sehen.«

Zärtlich nahm er seine Tochter in den Arm.

»Wenn ich könnte, dann würde ich dir die Sterne vom Himmel holen.« Yoshiko lächelte ihren Vater an. Er schien von der schweren Arbeit des Tages sehr erschöpft zu sein. Sie wollte nicht mit ihm streiten.

»Weißt du Baba, lass uns zu den anderen gehen, vielleicht hat Isidora eine neue Geschichte für uns.«

Sie folgten dem langen Tunnel zurück und sprangen über ein kleines Wasserrinnsal. Nicht weit von ihnen hockten mehrere Kinder und deren Eltern dicht beieinander und hörten zu, was die alte Isidora erzählte. Sie arbeitete oberhalb, in einem Essenssaal, mit vielen Fenstern. Dort gingen täglich viele elitäre Menschen ein und aus.

Sie begann gerade mit der Erzählung einer Geschichte, die sich wohl am selben Tag zugetragen hatte. Yoshiko hörte gespannt zu.

»Ihr müsst wissen, dass die da oben aufgebracht sind. Eine von ihnen erwartet wohl ein Kind, von außerhalb der Labore.« Ein Raunen drang durch den Raum, Yoshiko rutschte aufgeregt näher heran. »Die werdende Mutter ist aber verschwunden, um ihr Kind zu beschützen.« Wieder tauschten die Kinder und Erwachsenen neugierige Blicke. »Es wird davon ausgegangen, dass sie aus der Kuppel geflohen ist. Wie ihr das gelungen ist, weiß niemand.« Isidora zwinkerte mit einem Auge. »Ich hoffe, dass sie ihr Kind beschützen kann.«

Yoshiko sprang auf.

»Es ist unfair! Warum darf sie das Kind nicht normal zur Welt bringen? Wieso wird sie dafür bestraft?«

Ihr Vater packte sie bei der Hand und bat sie, sich wieder hinzusetzen.

»Es ist ihnen nun mal verboten. So, wie es uns verboten ist, bei Einbruch der Nacht den Untergrund zu verlassen. Sie sind mächtiger als wir. Wir können uns nicht auflehnen. Und niemals dürfen diese Menschen erfahren, dass wir Abtrünnigen helfen. Verstehst du das?«

»Ja Baba. Ich verstehe. Aber es ist ...«

»Richtig Yoshiko, es ist nicht fair.«

Es vergingen Wochen, seit der Geschichte über die schwangere Frau, die geflohen war. Doch Yoshiko musste jeden Augenblick an sie denken. Sie hoffte so sehr, dass das Baby eine Zukunft außerhalb der Kuppelstadt haben würde und gesund war.

An diesem einen Tag, als Yoshiko mit ihrem Vater die Ernte auf den Feldern einholte, bemerkten sie einen Aufruhr, nahe dem großen Außentor. Noch bevor ihr Vater sie zurückhalten konnte, stürmte sie los, um zu sehen, was dort vor sich ging.

Dort angekommen, versteckte sie sich hinter einem der größeren Obstbäume. Als sie den Grund des Aufruhrs erkannte, schlug sie die Hand vor den Mund.

Die Wächter brachten die entflohene Frau zurück. Yoshiko wusste direkt, wer sie war. Nämlich die Tochter einer der elitären Männer, die in den Genlaboren arbeiteten.

Endlich holte ihr Vater Yoshiko ein. Er schnaubte ein wenig. Als die Wächter die Frau an ihnen vorbeiführten, blickte sie sich hilfesuchend um.

Dann trafen sich ihre Blicke. Diese traurigen und hilflosen Augen würde Yoshiko niemals vergessen.

»Was geschieht jetzt mit ihr, Baba?«

»Sie werden erst einmal nachsehen, ob sie das Kind noch in sich trägt.«

»Und was dann?«

»Du kennst die Antwort.«

Yoshiko senkte ihren Blick.

»Aber!«

»Ja, es ist nicht fair!«

»Können wir ihr denn nicht helfen?«

Ihr Vater schüttelte den Kopf.

»Wir haben ihr bereits geholfen. Ein weiteres Mal werden wir nicht an sie herankommen. Es war auch so schon riskant genug.«

Am Abend tauschten Isidora und ihr Vater vielsagende Blicke. Doch Yoshiko verstand das Problem sofort.

»Was ist, wenn sie euch verrät?«

Ihre Augen suchten abwechselnd die Blicke der Erwachsenen.

»Dann, mein liebes Kind, werden wir bestraft. Aber nun ist Schluss mit der Fragerei.«

Schweigend wandte sich Yoshiko ab und dachte nach.

»Was geschieht dann mit uns?«

»Du musst dann stark sein mein Kind. Dein Vater und einige andere kannten das Risiko. Wollen wir hoffen, dass es nicht so weit kommt.«

Doch der Tag, an dem die Mutter des Babys unter Schmerzen ihre Retter verriet, kam schneller und härter als Yoshiko es sich jemals hätte vorstellen können.

Die Wächter drangen in die Höhlen ein. Panische Schreie hallten an den kalten Mauern wider. Wie mit ihrem Vater besprochen, wollte sich Yoshiko mit einigen anderen Kindern verstecken, aber Isidora hielt sie einen Augenblick zurück und streichelte ihr übers Gesicht. Ihren Vater hatte sie in all dem Aufruhr nicht finden können.

»Finde das Baby, beschütze sie!«

»Sie? Woher weißt du, dass es ein Mädchen ist?«

»Sie wird dir ein Licht sein. Sie ist wie du, etwas ganz Besonderes. Beschütze sie!«

»Ich verstehe nicht! Was soll das bedeuten?«

»Geh jetzt und komm erst wieder heraus, wenn die Wächter fort sind. Wir verlassen uns auf dich.«

Dann floh Isidora und Yoshiko blieb verwirrt zurück. Sie wollte sie zurückhalten, die Wächter daran hindern, sie in die dunklen Höhlen zu bringen. Sie konnte doch nicht zulassen, dass man ihren Vater und Isidora gefangen nahm. Aber sie war ein Kind, hatte von ihrem Vater gelernt, wann es besser war, sich zu verstecken, und wann es sich lohnte, zu kämpfen. Sie musste jetzt stark sein und sich in Sicherheit bringen, damit die Wächter sie nicht ebenfalls schnappen würden. Es war keine Zeit für emotionale Entscheidungen und so hockte sie nun angespannt in ihrem Versteck, während sich der Aufruhr langsam legte. Da die Wächter abzogen, wusste sie, ihre Familie und Freunde waren geschnappt worden. Was mit ihnen nun geschehen würde, das wusste niemand. Irgendwann würden die Elitären das Gesetz sprechen lassen und sie vor Zeugen hinrichten. Manchmal geschah dies nach ein paar Wochen oder aber nach Monaten. Yoshiko war nun allein. Auf einen Schlag hatte sie alle verloren, die ihr nahestanden. Aber sie musste weiterleben, überleben, irgendwie zurechtkommen.

Ab diesem Moment mussten die Kinder für ihre Eltern auf das Feld und die schwere Arbeit erledigen. Es verging kein Tag, an dem sie nicht an ihren Vater oder Isidora dachte. Yoshikos fröhliche, unbeschwerte Art, schwand jeden Tag. Und mit jedem Weiteren, der verstrich, verlor sie die Hoffnung, ihren Vater oder Isidora noch einmal wiederzusehen.

Sie spürte, dass in ihr etwas brodelte. Eine Kraft, die hinauswollte und die sie nicht verstand. Mehrmals kam es zu Vorfällen, bei denen sich Yoshiko aufregte und irgendwo, wie aus dem Nichts, ein Feuer entfachte. Anfangs hielt sie es für einen Zufall, doch schließlich bemerkte sie, dass es von ihr kam. Kontrollieren konnte sie es nicht. Sie versuchte, es geheim zu halten, doch jedes Mal, wenn ein Feuer ausbrach, verbrannte ein Teil ihrer Haut. Sie ignorierte dann die Schmerzen und arbeitete hart weiter. Viele Monate, schließlich Jahre. Ihre Wunden wurden zu Narben.

Sie wuchs zu einer selbstbewussten jungen Frau heran, die sich selbst den Namen Isi gab. Sie hatte sich die Haare kurz geschnitten und färbte sie rot, als Zeichen für das Blutvergießen, das unter den Niederen angerichtet worden war. Das kleine Mädchen Yoshiko war vor langer Zeit verschwunden. Sie stellte sich gegen die Wächter, wenn sie unfair zu den Niederen waren. Sie setzte sich für die Schwächeren ein und ließ sich bestrafen, doch dadurch wurde sie immer stärker und härter.

Mittlerweile waren 14 Jahre, nachdem man ihren Vater und Isidora verschleppt hatte, vergangen. An einem Tag, als sie sich ausruhte und kurz in den Schlaf sank, träumte sie zum ersten Mal von dem sonderbaren Mädchen.

Es war kein schöner Traum und sie spürte, dass sie ihre Hilfe benötigte. Isi nahm nur das Licht wahr, das sie ausstrahlte, ihre wahre Gestalt war nur schemenhaft zu sehen, doch ein warmes Licht ging von ihr aus. Sie versuchte, das Kind zu rufen, aber es hörte sie nicht.

Als sie aufwachte, tänzelte eine Flamme in ihrer Handinnenfläche. Diesmal verbrannte ihre Haut nicht, denn die Flamme war ein Teil von ihr.

Seitdem träumte Isi täglich von dem Lichtermädchen. Immer etwas anders. Manchmal war sie fröhlich, dann wiederum besorgt und traurig. Aber sie war ihr nah. Fast so, als würde sie sie heimlich beobachten.

Mit jedem Traum wuchsen Isis Kräfte. Schließlich kam der Tag, an dem das Mädchen Hilfe benötigte. Isi war wie gewohnt auf dem Feld und wollte gerade Saatgut aus der Scheune holen. Es war fast Mittag, als sie vor Schmerzen plötzlich zusammenbrach.

Sie spürte deutlich die Angst des Mädchens. Ihr Name war Leora. Sie konnte ihn deutlich hören. Während sie selbst dachte, sie müsse sterben, begann sie innerlich zu brennen. Dennoch versuchte sie, Leora ihre Kraft zu schicken. Es schien zu gelingen, denn diese konnte sich aus ihrer Notlage befreien. Dann verschwand Leora und Isi fand sich selbst an einem Ort wieder, an dem sie nicht stand und auch nicht flog. Es war, als schwebte sie im Himmel, inmitten der Sterne. Und doch waren die Wolken nicht das, was sie zu sein schienen. Schließlich erschien vor ihr eine Frau, mit weißem, langen Haar. Sie stand dort im Nichts, als wäre sie die ganze Zeit dort gewesen. Seltsam und dennoch vertraut. Isi spürte die Gegenwart weiterer Geschöpfe, konnte allerdings sonst niemanden erkennen.

»Ignis! Meine Botin! Meine Wächterin des Feuers!«

»Meinst du mich? Wo sind wir hier? Was ist das hier?«

»Hier ist alles und nichts. Und während wir hier sind, ist es noch nicht geschehen und doch schon längst vorbei. Alles geschieht zur gleichen Zeit an diesem Ort, der alles ist und nicht existiert.«

Diese Frau strahlte ein warmes Licht aus, eine Wärme, die Isi kannte. Aber warum nannte diese Göttin sie bei einem anderen Namen?

»Ich verstehe nicht, was du meinst! Wer bist du?«

»Ich bin das kleine Mädchen aus deinen Träumen und doch bin ich schon viele hundert Jahre alt. Hier ist alles bereits geschehen und hier hat es noch nicht begonnen.«

»Wie kann das sein? Wer bist du?« Isi war verwirrt.

»Du wirst mich bald finden. Doch werde ich dann kein kleines Mädchen mehr sein. Und jetzt wach auf!«

Isi schreckte auf. War das wirklich nur ein Traum gewesen? Doch sie spürte, dass es nicht so war. Der Name des kleinen Mädchens war also Leora und sie würde sie bald treffen. Oder sollte es doch nicht so bald sein? Isi träumte immer wieder von Leora, dem kleinen Mädchen.

Es vergingen weitere Jahre, an denen nichts geschah. Isi glaubte nicht mehr daran, ihren Vater und Isidora jemals wiederzusehen.

Bis eine Läuterung ausgerufen wurde.

Ihr Vater, Isidora, einige andere und die Elitäre, die damals das Kind bekommen hatte, wurden hinaus hinter die Felder geführt. Sie sollten dort hingerichtet werden.

Als Isi die Elitäre genauer betrachtete, schlug sie sich vor Anspannung selbst auf den Mund, denn die Frau sah aus, wie die Erscheinung in ihrem Traum. Nur, dass sie blaue Augen und nicht ein braunes und ein blaues hatte. Deshalb war sich Isi sicher, dass diese Frau, die Mutter des Mädchens war, dass ihr ständig in ihren Träumen erschien.

Die Schriften wurden verlesen, die Anklagepunkte vorgebracht. Isi stand in der ersten Reihe. Regungslos blickte sie ihrem Vater und Isidora in die Augen.

Sie erkannten sie offenbar sofort und lächelten sie an. Beide waren stark gealtert. Auch Leoras Mutter lächelte, als wüsste sie, dass es ihrer Tochter gut gehen würde. In diesem Augenblick wünschte sich Isi nichts sehnlicher, als Isidora und ihren Vater noch ein letztes Mal umarmen zu dürfen. Doch diesen Wunsch würden ihr die Elitären nicht gewähren. Sie überlegte kurz, ob sie rebellieren sollte, ob sie sich auflehnen und für ihre Rechte kämpfen sollte, doch ein Blick ihres Vaters, der sie besser kannte als alle anderen, reichte aus, damit sie ihren Gedanken verwarf.

»Es ist nicht fair.«, formten ihre Lippen stumm. Doch ihr Vater nickte, als wolle er wieder sagen »Du hast recht, es ist nicht fair.«

Zu oft hatte Isi zusehen müssen, wie unschuldige Menschen ihr Leben auf diese Weise verloren hatten. Menschen waren nicht auf dieser Welt, um in einer Form der Sklaverei zu leben und dafür bestraft zu werden, wenn sie einfach menschlich waren. Und nun war es ihre Familie, die dort oben stand und auf die Vollstreckung des Urteils wartete. Warum nur sollten sie bestraft werden, obwohl sie Gutes getan hatten? Isi konnte das nicht akzeptieren, aber auch nichts dagegen machen.

Sie wollte nun ein letztes Mal tapfer sein und sich nicht abwenden. Zu ihnen aufblicken, ihnen beistehen, bis der letzte Moment ihres Lebens gekommen war. Immerhin das konnte sie für die Menschen tun, die sie liebte.

Stille Tränen entglitten ihren Augen. Durch eine Injektion zu sterben, war zwar eine humane Art zu sterben, wenn man die Umstände bedachte, in denen sie die letzten fünfzehn Jahre hatten leben müssen, aber es war eine Schande, dass es solche Hinrichtungen überhaupt gab.

Isi blieb stark, so, wie sie es von ihrem Vater gelernt hatte. Ihr Körper zitterte, während sie die Tränen, die sich erneut bildeten, zu verdrängen versuchte. Das fortwährende Lächeln von Isidora und ihrem Vater spendete ihr Zuversicht. Ihr Oberkörper krampfte sich zusammen, ein Schauder rann ihr über den Rücken.

Erst, als ihre Angehörigen ihren letzten Atemzug getan hatten, ließ sie ihre Tränen zu. Mit einem tiefen Atemzug schloss sie die Augen, um sie sofort wieder zu öffnen, um entschlossen und stark zu wirken.

 

Eine Beerdigung war nicht vorgesehen. Lediglich eine Umarmung der Toten wurde Isi gestattet. Doch in jede legte sie all ihre Liebe.

Nachdem sie sich von ihrem Vater und Isidora gebührend verabschiedet hatte, hielt sie nichts mehr in der Kuppel. Aber wie sie entkommen sollte, das wusste sie nicht.

Ihr Inneres drängte sie dazu, Rache zu nehmen. Die Kräfte dazu hatte sie, aber dann wäre sie nicht besser gewesen als die Elitären. Es verlangte ihr alles ab, dem Willen des Feuers nicht nachzugeben. Sie musste sich zusammenreißen, einen neuen Weg für sich finden. Der Drang, nach Leora zu suchen, wurde immer stärker und schließlich plante sie ihre Flucht. Isi war klug und rebellisch. Sie war sogar bereit, ihre Kräfte gegen die Wächter einzusetzen, wenn es notwendig wäre, auch, wenn sie sich davor fürchtete, Unschuldige zu verletzen.

Schließlich beobachtete sie die Wächter und auch die elitären Menschen. Letztendlich konnte sie durch einen Flutungstunnel fliehen. Sofort machte sie sich auf den Weg, um Leora zu suchen. Viel wusste sie jedoch selbst nicht, lediglich, dass es ihre Aufgabe war, Leora zu schützen und dass wohl noch weitere Beschützer zu ihnen stoßen würden. Das hatte sie in weiteren Träumen erfahren.

Bis Isi Leora endlich fand, war es jedoch für die Kinder im Waisenhaus bereits zu spät. Das Haus brannte und während Isi stumm vor sich hinstarrte und dabei spürte, wie ihr erneut Tränen über die Wangen liefen, löschte sie mit nur einer Handbewegung die Flammen. Wieder waren unschuldige Menschen gestorben, diesmal Kinder. Wie grausam war diese Welt nur? Wieder musste sie ihre inneren Flammen im Zaum halten, damit sich ihre Wut und der Frust nicht auf den Bäumen und Feldern der Umgebung niederlegten.

Sie wandte sich der Gestalt zu, die zusammengekauert auf dem Boden hockte. Denn dieses Mädchen war nun wichtiger als alles andere. Es war Leora, die sie ihr ganzes Leben lang bereits kannte und die sie nun zum ersten Mal wahrhaftig sah.

 

Der Bote des Wassers

Während Leora Ignis`Geschichte hörte, musste sie unentwegt an ihre Familie zurückdenken. Wie sie selbst, hatte auch Ignis jeden Menschen verloren, der ihr wichtig gewesen war. So viele Tote, so viel Ungerechtigkeit auf der Welt. Leora drückte Ignis Hand in ihrer eigenen zusammen, um ihre Wut zu unterdrücken.

»Sie haben es nicht verdient, auf dieser Welt zu leben. Wie grausam diese Kuppelmenschen sind. Was für eine schlimme Welt, in der du gelebt hast. Ich kann das alles nicht verstehen. Warum sind die Menschen so?«

Ignis` tiefes Durchatmen verriet Leora, dass auch sie ähnlich dachte.

»Weißt du, wenn du in solch einer Welt aufwächst, dann wird es irgendwann normal. Das macht es nicht weniger tragisch, aber du lernst schnell, dass du machtlos bist. Ich habe es versucht. Immer und immer wieder. Mein Vater und Isidora haben sich damals für ein höheres Wohl geopfert. Damit du geboren werden konntest. Ich bin sehr traurig deswegen, aber auch unglaublich stolz. Viele Menschen sind bereits gestorben, um dich zu schützen. Aber das alles ist nicht deine Schuld und ich bin glücklich darüber, dass ich dich endlich gefunden habe. Ich war immer bei dir. Leider war ich nicht schnell genug, um das mit deiner Familie zu verhindern, und das tut mir unfassbar leid.«

Leora war gerührt von Isis Offenheit, gleichzeitig aber auch traurig über ihre Geschichte. Seltsamerweise waren ihre eigenen Gefühle sehr viel intensiver, seit sie mit Ignis unterwegs war. Emotionen, die in beide Richtungen gingen. Sie musste in jedem Fall jetzt etwas sagen, etwas Aufbauendes. Immerhin wurde sie nur durch dieses Opfer geboren.

»Ich danke dir, Ignis. Was deine Familie getan hat, lässt mich mehr an die Menschen glauben, als zuvor. Ich hoffe, dass ich meiner Aufgabe auf dieser Welt gerecht werden kann. Was auch immer sie sein wird.«

»Ach Leora, du wirst das schaffen. Ich bleibe an deiner Seite! Immer!«

Leora lächelte, blieb aber in Ignis`choß liegen. Eine Frage brannte ihr jedoch auf der Zunge.

»Dein Feuer, warum hat es dich verbrannt? Ich dachte, es würde dir nichts tun.«

Isi schien bemerkt zu haben, dass Leora das Thema wechseln wollte, denn sie lachte kurz auf.

»Die Luft unter der Kuppel war so mit Sauerstoff angereichert, dass sich meine Flammen wie von selbst ausgebreitet haben.«

»Und daher die vielen Narben.«

»Richtig. Meine Haut verbrannte, bevor ich vollständig erwacht bin.« Seufzend blickte sie in den Himmel hinauf. »Wenigstens darf ich endlich die Sterne sehen, wann immer ich möchte.«

Am nächsten Tag waren sie aufgebrochen. Schließlich hatten sie ein heruntergekommenes, verlassenes Haus gefunden, in dem sie sich einquartierten.

Die untere Etage konnten sie wegen Feuchtigkeit und Schimmel nicht nutzen, doch zum Leben reichte auch die obere. Es war recht gut versteckt und stand zwischen einigen Bäumen. So waren sie zumindest etwas geschützt.

Im Gegensatz zu Isi hatte Leora keinerlei Fähigkeiten, zumindest keine, die sie trainieren konnte. So sehr sie sich auch bemühte, weder Licht, noch Feuer wollten ihr gehorchen. Irgendwie war sie ein wenig neidisch auf Isi. Noch dazu schmerzte das Brandmal auf ihrer Hand immer noch, mehr hatte sie von der Übertragung der Kräfte nicht zurückbehalten.

Isi übte neben ihren Gefühlsausbrüchen auch das Feuer zu kontrollieren. Meistens sah Leora ihr dabei zu, doch wenn Isi wütend wurde, dann spürte sie es ebenfalls. Irgendetwas verband sie, allerdings war ihr zu diesem Zeitpunkt noch nicht bewusst, was oder vielmehr, warum das so war. Sie wurden Freundinnen, obwohl Isi zehn Jahre älter, als sie war.

Immer mit dem Gefühl, dass sie noch nicht vollständig waren, lebten sie nun in den Tag hinein und führten ein mehr oder weniger glückliches Leben. Und dennoch spürte Leora, dass ihr Ignis nicht alles erzählte, was sie wusste. Sie schien etwas zu bedrücken, doch was es war, fand Leora nicht heraus.

»Was ist, wenn du dich irrst und es nur uns beide gibt?«

Leora saß auf einem breiten Stein und blickte Isi fragend an, doch diese starrte in den Himmel und zuckte mit den Schultern.

»Ich habe von dir geträumt Leora und auch von den anderen. Ich weiß, dass wir sie treffen werden.«

Lächelnd sah sie zu Leora hinunter.

»Aber wann das sein wird, das kann ich dir nicht sagen.«

»Ich frage mich, wofür das alles gut sein soll. Und ich verstehe nicht, warum du deine Kräfte kontrollieren kannst und ich nicht.« Wütend warf Leora einen Stein gegen einen der Bäume.

»Ich weiß es nicht, aber mach dir darüber keine Gedanken, ich bin mir sicher, dass wir das alles herausfinden werden. Ich denke, es wird Zeit weiterzuziehen.« Egal, was Ignis vor ihr verbarg, sie war sehr gut darin, es für sich zu behalten.

»Vielleicht hast du recht. Die anderen werden wohl nicht hierher kommen und ich will mehr von der Welt sehen.«

Sie einigten sich also darauf, die anderen zu suchen, und packten eilig ihre Sachen zusammen. Am nächsten Morgen zogen sie, ohne ein Ziel zu haben, los.

Ihre Motivation schwand jedoch recht schnell, denn auch nach tagelangem Fußmarsch, über teils kahle Felder, trafen sie weder einen Boten, noch irgendjemanden, der ihnen sagen konnte, wo sie sich gerade befanden. Nachts schliefen sie unter den Sternen, tagsüber machten sie einige Pausen, um zu essen und dann ihren Weg fortzusetzen. Endlos. Ziellos.

Nach einer Weile trafen sie auf eine Gruppe Fischer, die sie jedoch nicht bemerkten, da sie zu sehr damit beschäftigt waren, sich über einen jungen Mann zu ärgern, der, in ein Buch vertieft, mitten in einem kleinen Fluss stand und die wütenden Männer ignorierte.

Offensichtlich hatten sie Streit mit dem im Wasserstehenden, der in Ignis` Alter zu sein schien, vielleicht ein wenig älter. Sie versteckten sich hinter einigen Büschen und beobachteten weiter, was geschah.

»Wir fangen nichts! Das ist deine Schuld!«

Immer noch den Kopf in seinem Buch vergrabend, ignorierte der Beschuldigte die wütenden Fischer.

Empört von dessen Ignoranz meldete sich nun ein anderer zu Wort.

»Hey! Wir reden mit dir! Die Fische schwimmen zu dir! Du hast irgendwas damit zu tun! Ich habs mit meinen eigenen Augen gesehen! Solange du im Wasser stehst, fangen wir nichts!«

Isi und Leora blickten sich fragend an. Der junge Mann sah kurz auf, lächelte und widmete sich wieder seinem Buch. Die ganze Situation war äußerst komisch. Leora schmunzelte, denn sie spürte einerseits die aufsteigende Wut der Männer und diese Tiefenentspannung des Lesenden. Wie ein kleines, neugieriges Kind, reckte sie den Hals, um besser sehen zu können, wobei sie sich kichernd auf die Unterlippe biss.

»Hör auf zu kichern, sie hören uns noch.«

»Aber wenn es doch so lustig ist.« Ignis starrte den Mann im Wasser an.

»Aber du scheinst ja eher anderweitig interessiert zu sein.« Für Leoras freundschaftlich freche Aussage kassierte sie einen Seitenhieb von Isi. Aber sie schien recht zu haben.

»Ich finde schon, dass er recht nett aussieht.« Nun lachten beide, während sie sich gegenseitig die Münder zuhielten.

Doch lange gab es nichts mehr zu lachen, denn die Situation kippte und aus Spaß wurde anscheinend Ernst. Einer der Fischer warf unerwartet einen Stein auf den Lesenden, doch die Fische ließen sich ebenso wenig beeindrucken wie er und schwammen weiterhin um ihn herum. Dann hoben auch die anderen Männer Steine auf und warfen diese ins Wasser, um den Störenfried zu vertreiben. In diesem Moment griff Ignis, die anscheinend nicht mehr warten wollte, bis der Tumult eskalierte, ein.

»Hey!« Ignis sprang aus dem Gebüsch heraus. Leora stolperte hinterher, doch die Männer ließen sich nicht beirren. Einer der Steine traf den Lesenden nun am Kopf, sodass dieser kurz aufblickte. Als sich seine und Leoras Blicke trafen, stockte er kurz, senkte dann aber unbeirrt den Blick wieder auf sein Buch. Einen kurzen Augenblick hatte sich ihr Magen zusammengezogen, als würde sie ihn kennen. Doch dann besann sie sich wieder auf die Männer und wollte wie Ignis etwas unternehmen. Die Ungerechtigkeiten nicht zulassen.

»Warum macht ihr das?« Aber auch bei ihr zeigten sie keine Reaktion. Nicht nur das, sie taten so, als sei sie gar nicht da. »Was hat er euch getan?« Leora stürmte hinüber und stellte sich schützend vor den jungen Mann ins Wasser. Nun mussten sie ihr Beachtung schenken.

»Geh beiseite! Er ist selbst schuld!« Einer der Fischer ging auf Leora zu und versuchte sie zur Seite zu schieben. Doch als er im Wasser die Fische bemerkte, die nun ebenfalls um sie herum schwammen, hielt er inne.

Verwirrt blickte er ihr in die Augen und wich gleichzeitig einen Schritt zurück.

»Wer bist du?«

Auch die anderen ließen die Steine fallen und stellten sich hinter ihn, als sie sahen, dass die Fische nun Leora umkreisten. Allerdings war sie sich sicher, dass es größtenteils an ihrem Aussehen lag.

»Was ist das für ein Zauber? Bist du eine Hexe?« Warum wurde sie eigentlich jedes Mal gleich als Hexe beschimpft, wenn Dinge geschahen, die sich nicht so leicht erklären ließen. Sie hatte doch nichts getan, was diese Anschuldigung rechtfertigte. Vor allem aber hatte sie keine Lust darauf, von fremden Menschen beschimpft zu werden. »Geht einfach! Lasst ihn endlich in Ruhe!« Die Blicke der Fischer brannten auf ihrer Haut. Auf diese Weise wollte sie nicht angestarrt werden. Nicht schon wieder! Sie sollten nur verschwinden und den Mann in Ruhe lassen. Mehr verlangte sie nicht. Doch nun sah sie, dass auch dieser sein Buch gesenkt hatte und sie nun beobachtete. Er wirkte von ihr fasziniert, nicht angewidert, wie sie es bei Fremden oft gesehen hatte. Aber das brachte sie jetzt gerade nicht weiter. Innerlich begann sie sich zu wünschen, der Boden würde sich auftun und sie könnte darin verschwinden.

Während Leora verzweifelt im Wasser stand und offenbar nicht weiterwusste, begann Ignis förmlich vor Wut zu kochen.

»Habt ihr nicht gehört? Ihr sollt verschwinden!« Von Zorn gepackt bildete sich eine Flamme in Ignis rechter Hand, die sie nur schwer kontrollieren konnte. Tatsächlich begann die Flamme in ihrer Hand zu rotieren und bildete eine Kugel, die ohne Vorwarnung, und ohne, dass Ignis dies beabsichtigt hatte, den Männern entgegen schoss.

»Hexen! Alles Hexen!«, schrien die Männer wie erschrockene Hühner.

Mit einem eleganten Sprung nach vorne, fast so, als hätte ihn eine Welle dorthin getragen, wehrte der junge Mann den Feuerball mit einer Handbewegung ab. Leora sah ihn fast wie in Zeitlupe an sich vorbeiziehen. Abermals trafen sich ihre Blicke. Durch die Welle, die er verursacht hatte, wurde er ins Gras befördert und blieb dort auf dem Bauch liegen. Die Fischer stolperten unterdessen eilig davon, während sie unentwegt Beleidigungen ausstießen.

Sofort rannte Ignis zu ihm, während Leora immer noch im Wasser stand und das Geschehene verarbeitete. Dieser Fremde kam ihr so vertraut vor, obwohl sie ihn nie zuvor gesehen hatte. Wer war er nur? Auch, als Ignis zu sprechen begann, wurde Leora nicht aus ihren Gedanken gerissen. Sie hörte zwar, was sie sagten, aber sie war viel zu sehr damit beschäftigt, sich zu ordnen.

Was ist das für ein Gefühl in meinem Herzen?

»Hey, alles in Ordnung mit dir? Warum bist du dazwischen gegangen?«

Statt zu antworten oder sich gar aufzuregen, lag er da, drehte sich um und sah Isi fragend an.

»Was war das? Was hast du denen entgegengeworfen?«

Völlig fassungslos starrte Isi ihn an. Diese Ruhe, die er ausstrahlte, war unglaublich. Schnell fasste sie sich wieder.

»Das war ein Feuerball! Wir müssen mit dir reden.«

»Ein Feuerball? Wer seid ihr?«

Jetzt war er es, der sie verwirrt ansah. Da sich Isi nicht sicher war, ob er einer der Boten sein könnte, versuchte sie mit gezielten Fragen das Wissenswerte aus ihm heraus zu kitzeln. Doch auch sie spürte, wie zuvor Leora, dass er ihr vertraut war.

»Worum ging es bei dem Streit von eben.«

»Das ist unwichtig und geht euch nichts an!«

»Es ist für uns sehr wichtig.«

»Ich möchte einfach in Ruhe leben. Warum versteht das niemand?«

Isi hockte sich zu ihm auf den Boden, nahm seine Hand und drehte diese mit der Handfläche nach oben. Dort befand sich ein ähnliches Mal, wie das, das sie auf ihrer Hand trug, nur seines symbolisierte unverkennbar das Element Wasser.

»Du brauchst dich nicht zu verstellen, Bote des Wassers. Mein Name ist Ignis und ich bin die Botin des Feuers. Ich weiß, wer du bist. Dein Name ist Alveus.«

»Ja, aber nennt mich Veus. Ignis? … Ich kenne deinen Namen, ich habe von ihm geträumt. Immerzu hörte ich ihn in meinen Träumen.« Beide sahen sich an. Gleichzeitig durchzog sie ein Kraftstoß, der von ihnen zu Leora floss. Alveus Stimme zitterte plötzlich. »Aber gesehen habe ich immer nur  ....«

Sein Blick traf auf Leora, die noch immer im Wasser stand und die Situation beobachtete.

»Ich kenne dich, verzeih, dass ich dich nicht sofort erkannt habe. Ich habe es sofort gespürt, aber nicht mehr geglaubt, dich jemals wirklich zu treffen. Leora.«

Alveus war aufgesprungen und auf Leora zugegangen. In diesem Moment wuchs in ihr das Verlangen, seine Hand zu fassen und damit die Kraft des Wassers in sich aufzunehmen. Aber gleichzeitig erinnerte sie sich an die Schmerzen, die über sie gekommen waren, als sie die Kraft des Feuers in sich aufgenommen hatte.

Alveus streckte ihr jetzt seine Hand entgegen. Sie wusste genau, was er erwartete, aber sie konnte es nicht. Leora sah ihn voller Traurigkeit und Angst an. Ihre Augen füllten sich mit Tränen. Ein Schauer lief ihr über den Rücken. Die Furcht übermannte sie. Zuvor hatte sie sich so stark gefühlt und nun wollte sie nur noch weg. Die Flucht ergreifen. Aber sie wollte Alveus auch nicht vor den Kopf stoßen.

Ich kann das nicht. Nicht nochmal! Ich will das nicht! Es tut mir leid!

»Hör auf!« Mit diesen Worten stieß sie ihn grob von sich weg. Schlagartig spürte sie seine Unsicherheit, aber es ging einfach nicht. Dann lief sie davon.

Sie hatte Angst davor ihn zu berühren und die gleichen Schmerzen noch einmal zu durchleben.

Ruhelos lief sie zwischen ein paar Bäumen auf und ab, weg von den Augen der anderen, die ihr nicht gefolgt waren. Leora dachte nach und langsam wurde ihr bewusst, dass sie eine Rolle zu spielen und keine andere Wahl hatte. Aber sie wollte ein Niemand sein, der ein normales glückliches Leben führt.

Ein glückliches Leben. Allein?

Es wurde bereits dunkel, als sie mit sich wieder im Reinen war. Wohl war ihr immer noch nicht, dennoch konnte sie es kaum erwarten, mehr über Alveus herauszufinden.

Als sie die beiden entdeckte, saßen Isi und er an einem Haus. Es war anscheinend sein Zuhause. Er hatte sich seine schulterlangen welligen Haare zu einem Zopf zusammengebunden, wodurch er noch besser aussah, als zuvor. Leora lächelte einen Augenblick, als sie sah, wie Ignis ihn interessiert musterte. Die Flammen des Feuers, um das sie herum saßen, spiegelten sich im Wasser des Flusses wider. Sie sprachen ruhig miteinander. Offenbar waren ihre anfänglichen Unsicherheiten verflogen. Mehr noch, beide wirkten sehr vertraut miteinander.

Angespannt setzte sich Leora zu ihnen und begann auf der Stelle, sich für ihr Verhalten zu entschuldigen.

»Meine Reaktion tut mir leid.«

Warum sie sich entschuldigte, war ihr nicht klar. Vielleicht lag es daran, dass sie Alveus` starke Gefühle in Bezug auf sie spürte. Womöglich wollte sie aber auch einfach nicht mehr einsam sein. Was genau es war, darüber war sie sich selbst nicht im Klaren.

»Mach dir keine Sorgen, es ist in Ordnung.«

Alveus` Worte erfüllten sie mit Wärme und obwohl er ihr völlig unbekannt war, spürte sie, dass er zu ihr gehörte, deshalb löste sich ihre Angst langsam in Luft auf.

»Sollen wir es nun versuchen? Kannst du mir vertrauen?«

»Habe ich die Wahl?«

Dann reichte er ihr die Hand und sie ergriff sie, um ihre Zustimmung zu zeigen. Doch sobald sie diese berührte, ging sie auch schon zu Boden. Diesmal war es kein Feuer, wie zuvor bei Ignis. Es fühlte sich an, als würde sie ertrinken. Schmerzen durchdrangen ihren Körper. Jeder Atemzug brannte in ihrer Lunge, als würde sie das Wasser einatmen und daran ersticken. Erschöpft und nach Luft ringend kippte sie zur Seite und verlor das Bewusstsein.

Ihre Füße trugen sie über die weiten Felder. Vielmehr flog sie über diese hinweg und dennoch hörte sie das Geräusch ihrer Schritte auf dem Boden. Tock, Tock, Tock, immer im gleichen Rhythmus. Als sie ihre Hände betrachtete, wurden sie durchsichtig, sodass sie auf die Welt herunter blicken konnte. Überall war Schmerz. Derselbe Schmerz, den sie gespürt hatte, als sie Ignis zum ersten Mal berührt hatte. Flammen schossen aus der Erde. Die Welt brannte. Erdbeben sorgten für große Risse im Erdboden und die Menschen schrien. Doch Leora sah nur zu. Warum tat jemand den Menschen so etwas an? Dann wurde es still und sie sah ... nichts. Sie war allein. Nichts war mehr da. Es war, als sei es eine Erinnerung, aus längst vergangenen Tagen.

Wie ein Flackern leuchtete ein Berg auf, eine Wiese und eine große Statue, die ein Kind in den Armen hielt. Wieder ein Flackern, und das Kind fehlte mit einem Mal an der Statue. Ein starker Wind zog auf. Dann hörte sie einen Namen. AERIS…

»Leora? Alles in Ordnung?« Ignis hatte sich zu ihr hinuntergebeugt und die Hand auf ihre Schulter gelegt.

Leoras Kleidung war schweißnass und sie zitterte am gesamten Körper.

Immer noch schwer atmend hielt sie Ausschau nach Veus, dann sah sie, was seine Gabe bewerkstelligen konnte. Fische sprangen von selbst an Land, während er das Wasser zu kontrollieren schien. Leora musste unweigerlich lächeln. Dieser Anblick beruhigte sie, sie nahm die Kraft in ihr an, sodass der Schmerz endlich verebbte.

So wunderschön und ruhig.

Als Leora ihre linke Hand betrachtete, sah sie das nächste Zeichen auf ihrer Handinnenfläche.

Das Wassermal.

Doch noch immer wusste sie nicht, was das alles zu bedeuten hatte und sie fragte sich, was mit ihr geschah, wenn sie die Kräfte aller vier Elemente in sich tragen würde.

Um sich von ihren Gedanken abzulenken, beobachtete sie Veus weiter. Seine Gabe hatte nichts Zerstörendes an sich. Sie war etwas Gutes im Gegensatz zum Feuer. Er war in ihren Augen gut, Alveus, der Bote des Wassers.

In dieser Nacht schlief sie sehr unruhig. Es war fast so, als bekämpften sich die Kräfte in ihr, doch sie konnte es nicht in Worte fassen oder gar erklären. Eine innere Unruhe breitete sich in ihr aus, ebenso wie eine tiefe Traurigkeit. Leora war sich sicher, dass Alveus ihre Anspannung bereits bemerkt hatte. Sie spürte seine Blicke auf sich ruhen.

Es half alles nichts. Sie schaffte es ja doch nicht, zu schlafen. Aufgewühlt rutschte sie näher ans Feuer, das immer noch brannte, heran. Sofort leistete Veus ihr Gesellschaft und verwickelte sie in ein Gespräch.

»Was bedrückt dich Kleines?« Leora zuckte mit ihren Schultern. Sich anderen Menschen zu öffnen war nie ihre Stärke gewesen und in diesem Fall verstand sie selbst nicht ansatzweise, was in ihr vorging. Verzweifelt versuchte sie ihre Gedanken in Worte zu fassen, irgendwie zu ordnen.

»Ich habe Angst vor diesen Kräften. Ich weiß nicht, was mit mir geschieht. Ich fühle mich so machtlos.«

Ein verständnisvolles Lächeln zeichnete sich auf seinen Lippen ab.

»Das Gefühl kenne ich. Es kommt mir sehr vertraut vor. Die Angst war auch dann noch da, als das Wasser mich vor dem Tod beschützt hat. Ich war allein, als ich hier auf diese Welt traf. Ich komme vom großen Wasser, weit weg, aus einem kleinen Fischerdorf. Als ich erwachte, hatte ich alles verloren.«

Abermals teilte sie ihr eigenes Schicksal mit einem ihrer Boten. Auch er hatte anscheinend einiges erdulden müssen. Wegen dieser Kräfte?

»Veus?«

Sein liebevolles Lächeln ließ Leora kurz zögern, weil sie ihn nicht mit ihren Sorgen belasten wollte.

»Du kannst mich alles fragen«, bemerkte er, da er allem Anschein nach merkte, was in ihr vorging.

»Was wird geschehen, wenn ich alle Kräfte erhalten habe?«

»Ich weiß es nicht. Ehrlich nicht. Aber wir sind für dich da und weichen nicht von deiner Seite.« Seine Worte prallten an ihr ab. Sie war zu sehr mit ihren wirren Gedanken und Emotionen beschäftigt, als dass sie für seine ehrlichen Worte empfänglich gewesen wäre.

»Ich verstehe das alles nicht. Warum musste so viel Unheil passieren?«

»Auch die Frage kann ich dir nicht beantworten und manchmal ist es auch gut so, dass wir nicht wissen, wohin unser Weg uns führen wird. Ich kann dir erzählen, wie ich zu dir gefunden habe. Möchtest du es hören?« Veus versuchte sie offenbar abzulenken und änderte das Thema. Leora nickte. Sie wollte sehr gern wissen, was Veus erlebt hatte, bevor sie sich trafen.

---ENDE DER LESEPROBE---