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Leortis, der siebte Sohn eines Elfen Lords, und Sai, die Tochter eines mysteriösen Elfenbarden mit Robin-Hood-Charme, sind Außenseiter in einer Welt voller Magie und Gefahren. Leortis wird aus seinem Stamm verbannt, als er versucht, seinen besten Freund vor einem grausamen Ritual zu retten, und reist in den Norden, wo er Druiden und ihrer Magie begegnet. Sai verliert ihre Familie durch einen Überfall und wird nach Jahren in der Wildnis Schülerin eines Druidenmeisters. Doch bei einem Ritual wird sie zur Spielfigur der Göttin Verdaine, die sie für ihre dunklen Pläne benutzt. Traumatisiert und auf der Flucht kreuzen sich ihre Wege, und ein mysteriöser Wolf wird Sais Gefährte – ohne dass sie weiß, dass es Leortis ist. Gemeinsam stellen sie sich den Herausforderungen ihrer Welt, während sie die Grundlagen für ein größeres Abenteuer legen, das sie weit über ihre eigenen Schicksale hinausführen wird. Eine Geschichte über Verlust, Mut und die Macht, in der Dunkelheit Hoffnung zu finden. Mit Fokus auf Leortis' Vergangenheit, seinen Weg ins Exil und die Begegnung mit Sai als Schwarzpfote im ersten Band der Geschichte.
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Seitenzahl: 321
Veröffentlichungsjahr: 2025
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Im Netz der Götter Band 1
Roman
von
N.C.K. Leitgeb
N.C.K. Leitgeb
Brandjochblick 5
6176 Völs
Für Daniel, der Pryne erfunden hat und
Doris, die alles gelesen hat.
Disclaimer
Dieses Buch ist ein Werk der Fiktion. Alle im Buch beschriebenen Charaktere, Orte, Ereignisse und Handlungen sind das Produkt der Vorstellungskraft der Autorin/des Autors oder werden zu rein fiktionalen Zwecken verwendet. Ähnlichkeiten mit realen Personen, lebend oder verstorben, tatsächlichen Ereignissen oder existierenden Orten sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.
Alle Rechte an diesem Werk, einschließlich der Handlung, der Charaktere und der Welt, liegen bei der Autorin/dem Autor. Ohne ausdrückliche Genehmigung dürfen keine Teile dieses Buches in irgendeiner Form vervielfältigt, verbreitet oder verändert werden.
Dieses Buch dient ausschließlich der Unterhaltung und erhebt keinen Anspruch auf wissenschaftliche, historische oder faktische Genauigkeit.
Es gibt Geschichten, die einen nicht mehr loslassen. Sie begleiten uns über Jahre, verändern sich mit uns, wachsen mit uns – und irgendwann werden sie zu etwas Größerem, als wir es uns je gedacht hätten.
Dieses Buch ist genau eine solche Geschichte. Es begann vor vielen Jahren als eine Rollenspielkampagne – unsere erste gemeinsame Kampagne. Die Charaktere, die hier ihre Abenteuer erleben, waren unsere ersten Helden, die wir als Gruppe erschaffen haben.
Und wie die erste große Liebe vergisst, man sie nie wirklich. Sie sind ein Teil von uns geworden, haben uns durch unzählige Abenteuer begleitet und sind zu etwas Besonderem geworden.
Doch wie es manchmal im Leben passiert, blieb diese Kampagne unvollendet.
Jahre später, in einer schwierigen Zeit, entschied ich mich, die Geschichte doch noch zu Ende zu erzählen. Nicht nur für mich, sondern auch für all die Freunde, die damals mitgespielt haben, für unseren Spielleiter, der diese Welt zum Leben erweckt hat, und für alle, die sich jemals in einer fesselnden Fantasywelt verloren haben.
Dieses Buch ist eine Vorgeschichte zu weiteren Bänden, die folgen werden. Es erzählt die Hintergrundgeschichte zwei Charaktere, die den Grundstein für vieles legen, das noch kommen wird.
Viele Charakter, die hier auftaucht, war irgendwann einmal eine Figur, die von jemandem am Spieltisch mit Leben gefüllt wurde.
Es ist ein Herzensprojekt, eine Hommage an unvergessliche Spielabende und an die Magie des gemeinsamen Erzählens.
Ich danke allen, die mit uns gespielt haben, die diese Welt mit uns geteilt haben. Ich danke unserem Spielleiter, der uns diese Geschichte ermöglicht hat. Und ich hoffe, dass die Leser genauso viel Freude an dieser Geschichte haben, wie wir sie damals beim Spielen hatten – und immer noch haben.
Die Geschichte selbst ist eine klassische Fantasygeschichte: Eine schicksalhafte Begegnung, die das Schicksal einer ganzen Welt verändern wird. Vielleicht genretypisch – aber mit all der Leidenschaft geschrieben, die ich für diese Charaktere und ihre Welt empfinde.
Viel Spaß beim Lesen!
Prolog
1041 NEK (Observanz 1817) – 80 Jahre nach dem Sturz der falschen Götter – Archive des Corpus Arcanum, Stadt des suspendierten Unglaubens
Im gedämpften Licht des Archivs stand Trom Brash neben einem massiven Tisch, auf dem eine handtellergroße Kugel aus verschlungenen Holzranken und leuchtenden Kristallen lag. Die Kugel wirkte schlicht, doch voller Magie.
Ihre Oberfläche schimmerte, und unter den hölzernen Ranken und eingebetteten Kristallen pulsierte Energie.
Aggi, eigentlich Agathe Winnifred Apfelkern, klein und lebhaft, beugte sich fasziniert über das Artefakt. Ihre Augen weiteten sich. „Das ist also die Musikkugel?“ Flüsterte sie ehrfürchtig. „Das magische Gerät, das General Baern, Sohn von Rosetta Steinherz, für die Erzdruidin Sariel vom Kethra-Gebirge anfertigen ließ…“
Trom nickte, runzelte die Stirn. „Ja, das scheint sie zu sein. Weißt du, warum sie erschaffen wurde?“
Aggi gluckste und klatschte in die Hände. „Aber natürlich, mein Lieber. Druiden überliefern ihre Geschichten mündlich, und die Erzdruidin wollte mit dieser Kugel Geschichten und Lieder für ihre Kinder hinterlassen. Also los, aktivieren wir sie!“
Sie wippte auf den Zehenspitzen, die Hände fest an der Tischkante. Trom drückte mehrere eingelassene Kristalle, bis die Kugel zu leuchten begann.
Ein warmes, vertrautes Licht entflammte, und ein sanfter Klang erfüllte den Raum. Stimmen hallten leise, als sei der Raum selbst Zeuge der Vergangenheit geworden.
„Leo, dieses Mal mache ich es besser...,“ klang Sais Stimme, sanft und von Traurigkeit durchdrungen. „Es tut mir leid, dass ich damals einfach gegangen bin. Dieses Mal möchte ich es richtig machen und nicht mit einem Brief, der dir nichts sagt…“
Aggi und Trom tauschten verblüffte Blicke. Sie, die kleine Halblingfrau mit einem herausstehenden Dutt, und er, der grobschlächtige Ork in der Robe des Corpus Arcanum, der so fehl am Platz wirkte, wie eine Rose in einem Hain voller Unkraut.
Es fühlte sich an, als hätten sie einen intimen Moment gestört. Aggi verspürte das Bedürfnis, die Aufzeichnung zu beenden, doch der Gedanke war unsinnig – niemand würde sie schelten, weil sie die alte Aufzeichnung eines längst vergangenen Geständnisses anhörten.
Die Kugel begann, sich sanft zu drehen, und die Botschaft fuhr fort. Trom und Aggi standen regungslos da, gebannt von der Magie der Kugel.
„Ich muss gehen,“ fuhr Sai fort. „Verdaine will mich... Ich kann nicht bleiben, aber wisst, dass ich euch alle liebe.“
Ein leises Klopfen riss Aggi aus ihrer Konzentration. Trom, dessen Hand die Kugel im Vergleich klein erscheinen ließ, schaltete sie hastig ab, als wollte er verhindern, dass jemand bemerkte, was sie getan hatten.
Aggi schob sich ihre Brille zurecht, als sie zur Tür ging, die nur angelehnt war. Der Raum in den Tiefen des Archivs war über die Jahrzehnte zu ihrem eigenen Arbeitsbereich geworden, gefüllt mit ihren Funden und persönlichen Gegenständen.
An der Tür stand eine junge Elfe, und Aggi bemerkte, wie ihre Wangen leicht erröteten.
„Entschuldigen Sie… ich dachte, ich hätte die Stimme meiner Mutter gehört und musste nachsehen…“ erklärte die Elfe leise.
Trom trat heran, überragte beide und vermittelte mit seinen ungebändigten schwarzen Haaren eine beeindruckende Präsenz.
„Wir haben die Musikkugel, die Ihr uns freundlicherweise zur Verfügung gestellt habt, untersucht. Dabei spielte sich diese Aufzeichnung ab.“
Lif Wolfbane nickte verständnisvoll. „Ich habe nach einem Pergament für meinen Vortrag gesucht… aber soll ich euch von diesem Tag erzählen? Ich erinnere mich an ihn, als wäre es gestern gewesen – der Tag, an dem wir die Kugel mit den Briefen und dem Amulett meiner Mutter fanden.“ Die Elfen-Magierin befingerte den Anhänger an einer feinen goldenen Kette, um ihren Hals.
„Ja, bitte!“, rief Aggi aufgeregt. Wann würde sie je wieder die Gelegenheit haben, eine Geschichte dieser mächtigen Magierin aus erster Hand zu hören?
Aggi machte den Weg frei. Trom deutete auf einen bequemen, alten Ohrensessel, der seine besten Tage schon gesehen hatte, jedoch von Nostalgie zeugte. Lif lächelte sanft, setzte sich, und Aggi legte ihr die Kugel in die Hand, die perfekt in ihre feingliedrigen Finger passte.
Lif ließ die Kugel behutsam zwischen den Händen rollen und begann ihre Erzählung:
30 Jahre früher
Die letzten Strahlen der Abendsonne drangen durch das dichte Blätterdach der mächtigen Esche Sithrâel und tauchten die versteckte Lichtung im druidischen Hain am Kethra Gebirge in goldenes Licht. Der Duft von feuchtem Moos und blühenden Wildblumen hing in der Luft, während ein sanfter Wind das Flüstern der Blätter trug.
Zwei Gestalten standen sich gegenüber: ein Elfenkrieger und ein gewaltiger Bär mit einer Narbe, die sein dichtes braunes Fell von der Schulter zum Ellenbogen teilte. Sie waren Brüder, einst einander wie Spiegelbilder, nun bereit, ihre Kräfte im spielerischen Wettstreit zu messen.
Ohne ein Wort zu verlieren, begannen sie.
Der Krieger, schnell und gewandt, führte zwei gezückte Duellklingen. Der Bär brüllte, seine mächtigen Pranken weit ausgeholt. Der Elf duckte sich knapp unter der herabsausenden Pranke hindurch, zog eine Klinge nach oben und schnitt durch das dichte Bärenfell. Der Bär brüllte wütend, drehte sich und rammte seinen massigen Schädel gegen den Krieger, der durch die Luft geschleudert wurde. Geschickt, wie eine Katze, landete der Elf und sprang sofort wieder auf die Beine. Er wirbelte die Klinge, schnellte empor und schlug mit der Breitseite auf das riesige Tier ein. Doch der Bär ließ sich nach hinten fallen, drehte sich überraschend flink und packte den Krieger am Lederstiefel. Mit einem kraftvollen Wurf schleuderte er ihn quer über die Lichtung, wo er gegen einen Baum prallte und keuchend liegen blieb.
Als er wieder zu Atem kam, fluchte der Elf leise, rappelte sich auf und änderte seine Taktik. Er wechselte vom Angriff zur Verteidigung, umkreiste seinen Bruder und suchte geduldig nach einer Öffnung. Die beiden kämpften weiter, Angriff und Parade in perfekter Harmonie, jede Bewegung kontrolliert und präzise. Sie zählten die geglückten Treffer als Punkte – es war eine Wette, die sie am Lagerfeuer des Vorabends geschlossen hatten, um den zweitbesten Krieger unter den Geschwistern zu ermitteln. Ihre Schwester hatte den ersten Platz bereits für sich beansprucht.
***
Unweit entfernt, im verlassenen Wohnbaum der Familie, kniete Maribellis vor dem verzauberten Bogen ihres Vaters, der neben dem Druidenstab ihrer Mutter in der Ankleide- und Waffenkammer lehnte. Das Holz fühlte sich warm und vertraut unter ihren Fingerspitzen an, die von der Hornhaut einer Bogenschützin gezeichnet waren. Ein Schauer lief ihr über den Rücken, als sie die wohlbekannten Waffen betrachtete. Erinnerungen an gemeinsame Stunden mit ihren Eltern fluteten sie: Das erste Mal, als ihr Vater ihr zeigte, wie man einen Bogen hält, das leise Lachen ihrer Mutter, als sie versuchte, die Magie des Hains zu spüren, obwohl das Talent dafür fehlte.
In all den Jahren, die die Waffen hier ruhten, hatte niemand gewagt, sie zu berühren. Der Hain war ein sicherer Ort, geschützt durch die Barriere, die ihre Mutter einst errichtet hatte.
Tiefe Trauer flutete die Halb-Elfen Kriegerin, doch sie drängte sie beiseite, als sie eilige, tapsige Schritte hinter sich hörte.
„Schau mal, Mari, was ich gefunden habe!“, rief Lif aufgeregt. Ihre roten Locken hüpften um ihr sommersprossiges Gesicht, und ihre smaragdgrünen Augen funkelten vor Neugier. Von allen Kindern sah sie ihrer Mutter am ähnlichsten.
Maribellis drehte sich um und lächelte. „Zeig mal her!“
Lif reichte ihr eine kleine, abgenutzte Kiste aus dunklem Holz. „Was ist da drin?“
Maribellis betrachtete die Kiste genauer. „Das ist Eisenborke aus dem Wald vor Tenebras“, murmelte sie. „Ich spüre einen Hauch von Illusionsmagie. Mutter muss sie versteckt haben.“
„Mach sie auf! Bitte! Bitte!“, drängte Lif mit kindlicher Ungeduld.
Vorsichtig öffnete Maribellis die Kiste. Im Inneren lagen mehrere Briefe, ein vertrautes Amulett und eine Kugel aus ineinander verschlungenen hölzernen Ranken, verziert mit leuchtenden Kristallen.
„Briefe? Das ist ja langweilig!“, rief Lif enttäuscht.
Maribellis schmunzelte. „Warte mal.“ Sie hob die Kugel heraus. „Ich erinnere mich an die Kugel!“
Lif schüttelte den Kopf. „Was macht sie?“
Sie reichte die Kugel an Lif weiter. „Hier, drück mal auf den leuchtenden Stein.“
Lif tat es, und plötzlich erfüllte die vertraute Stimme ihrer Mutter die Luft.
„Leo, dieses Mal mache ich es besser ...“, begann Sai. Ihre Stimme war sanft, doch ein Hauch von Traurigkeit lag darin. „Dieses Mal möchte ich es richtig machen und nicht mit einem Brief, der dir nichts sagt… Dieses Mal möchte ich es richtig machen. Deshalb habe ich Baern gebeten, diese Kugel zu bauen, und Daryl hat ihre Lieder für die Kinder darauf hinterlassen.“
Ein kurzes Schweigen folgte, dann fuhr Sai mit zitternder Stimme fort: „Aber ich muss gehen, und diesmal gibt es kein Zurück. Verdaine will mich für ihre Zwecke benutzen, und das muss ich verhindern – für euch und für unsere Welt. Beschütze die Kinder, beschütze, was am wichtigsten ist.“
„Ich liebe dich, Leo. Vom ersten Moment an, als ich dich im Traum im Spiegel sah, bis in alle Ewigkeit. Du hast mir einmal gesagt, ich wäre die Einzige, die jeden Teil von dir lieben kann, aber das stimmt nicht. Deine Kinder, deine Freunde – sie alle lieben dich so, wie du bist.“
Eine Pause, dann richtete sich Sais Stimme direkt an Lif. „Vergib mir, dass ich dir keine Mutter sein kann, wie ich es für deine Geschwister war. Aber sei dir sicher, dass ich dich nicht weniger liebe. Auch wenn du uns nicht siehst, wir sind immer bei dir. Ich bin so stolz auf dich, meine kleine Prinzessin.“
Eine einzelne Träne rollte über Lifs Wange. Maribellis zog sie sanft in ihre Arme. „Alles ist gut“, flüsterte sie, während sie ihrer Schwester übers Haar strich.
In diesem Moment näherten sich Schritte, und die Zwillinge, Abbild ihres Vaters Leortis, traten durch das Wurzeltor in das Innere der Esche, wo die Schwestern den Worten ihrer Mutter lauschten. Vanan, athletisch und mit kurzen Haaren, hielt sich die Seite, während Heinan, schmaler und mit struppigem Haar, ruhig neben ihm ging.
„Was ist denn hier los?“, fragte Vanan, seine Augen wanderten von den Schwestern zu der offenen Kiste.
„Lif hat eine Kiste von Mutter gefunden“, erklärte Maribellis leise. „Mit Briefen und der magischen Kugel.“
Heinan hob überrascht die Augenbrauen. „Ich dachte, wir hätten schon alles gefunden.“
„Der Illusionszauber hat nachgelassen“, sagte Maribellis. „Mutter wollte wohl, dass wir es jetzt entdecken.“
Die Brüder setzten sich zu ihren Schwestern. Gemeinsam spürten sie die Präsenz ihrer Eltern, geteilt in Trauer und Liebe.
Nach einer Weile brach Maribellis die Stille. „Und? Wer von euch hat den Kampf gewonnen?“
Heinan grinste schief. „Der Bär natürlich.“
Vanan verzog das Gesicht. „Es ist unfair, wenn er sich verwandelt!“
Maribellis lachte leise. „Vielleicht solltet ihr es ohne Verwandlungen und ohne Waffen versuchen. Lif kann die Punkte zählen und dafür sorgen, dass alles fair bleibt.“
Lif nickte eifrig, die Traurigkeit wich aus ihren Augen. „Ich passe auf!“
Die Brüder standen auf, halfen einander hoch. Heinan legte eine Hand auf Vanans verletzte Seite, ein sanftes Leuchten heilte die Wunde.
„Hättest du das nicht schon vor einer Viertelstunde tun können?“, neckte Vanan.
Heinan grinste. „Meine Lektion für dich, großer Krieger.“
„Kanincheneintopf, wie von Pa, danach?“, schlug Maribellis vor.
„Unbedingt“ antworteten die Zwillinge gleichzeitig.
Gemeinsam traten sie nach draußen, wo die Dämmerung hereinbrach. Die Luft war kühl, und ein leichter Wind raschelte durch die Blätter. Lif stellte sich am Rand der Lichtung auf, hob die Hände, und plötzlich erfüllten schwebende Lichter den Raum und tauchten alles in ein sanftes Leuchten.
Die Geschwister blieben erstaunt stehen.
„Seit wann kannst du das?“, fragte Vanan ungläubig.
Lif zuckte mit den Schultern und lächelte schüchtern. „Ich weiß nicht. Es fühlt sich einfach richtig an.“
Maribellis legte eine Hand auf Lifs Schulter. „Du bist etwas ganz Besonderes.“
Die Geschwister tauschten Blicke voller Stolz und Zuneigung. Sie wussten, wie wahrhaft besonders Lif war, die nur knapp ihre eigene Geburt überlebt hatte und von Göttlichkeit berührt worden war. Sie waren stolz auf sich, dass sie es geschafft hatten, ihre Schwester großzuziehen und mit Optimismus weiterzumachen, wo andere verzweifelt wären.
„Bereit?“, fragte Maribellis und nahm eine geschmeidige Haltung ein.
Vanan grinste. „Immer doch.“
Heinan nickte konzentriert. „Möge der Beste gewinnen.“
Der Kampf begann. Die Geschwister bewegten sich mit beeindruckender Geschicklichkeit, ihre Schritte fließend und synchron. Maribellis wich Vanans Angriffen aus, konterte mit schnellen Bewegungen und setzte Heinan mit unerwarteten Manövern unter Druck. Das Lachen und die Rufe erfüllten die Lichtung, während die schwebenden Lichter um sie herumtanzten.
Nach einer Weile rief Lif: „Zeit! Das reicht!“
Atemlos ließen sie voneinander ab und versammelten sich um ihre kleine Schwester.
„Und? Wer hat gewonnen?“, fragte Heinan neugierig.
Lif legte den Finger an die Lippen und lächelte geheimnisvoll. „Das verrate ich erst beim Kanincheneintopf.“
Die Geschwister lachten und machten sich auf den Weg zurück zum Wohnbaum, während die ersten Sterne am Himmel erschienen. Der Duft von frischem Gras und der Klang der Nacht erfüllten die Luft.
Maribellis legte einen Arm um Lif. „Du hast das großartig gemacht.“
„Du auch“, erwiderte Lif strahlend und lehnte sich an ihre Schwester.
Die Magie des Hains umgab sie, und in diesem Moment fühlten sie sich ihren Eltern näher denn je, während die Sterne über dem Hain funkelten. In Gedanken waren sie irgendwo dort oben am Firmament und blickten auf sie herab, freuten sich darüber, dass es ihnen gelungen war, das Wichtigste in der Welt – ihre Kinder – vor dem Bösen zu bewahren.
1
Holzschwerter krachten klackend aufeinander. Das helle Echo hallte über die staubigen Pfade zwischen dem Audienzzelt des Lords und dem Trainingsplatz. Kinderstimmen, ausgelassen und fröhlich, riefen Namen und Kommandos, während die sie, bewaffnet mit Übungsschwertern, über versteckte Pfade zwischen den Zelten zum Übungsplatz liefen.
Im Zelt des Lords herrschte stickige Stille, die nur durch die ungeduldigen Blicke von Lord Azaine Wolfbane durchbrochen wurde. Der alterslose Elfen Lord der Darkhir-Elfen saß würdevoll hocherhoben auf seinem Ebenholzthron und durchbohrte seinen Sohn mit stahlblauen Augen. Der Klang der Kinder draußen war wie ein ferner Ruf in die Freiheit. Zu kindlichem Kräftemessen, Anerkennung und Spielen.
Azaines jüngster, siebter Sohn, Leortis. Ein schmächtiger Elfenjunge mit ungewöhnlichem Aussehen stand stattdessen hier, gefangen unter dem kritischen Blick seines Vaters.
Vor der Zeltöffnung hielten die Elfen-Gardisten in prunkvollen Rüstungen in starrer Haltung wache, als würden sie die Welt draußen aussperren oder Leortis daran hindern wegzulaufen.
Leortis spürte die feuchte Hitze seines Hemds, das unangenehm an seiner Brust und am Rücken klebte. Nervös zupfte er an weiten hellen Hemdärmel und versuchte verzweifelt, sich auf die Fragen seines Vaters zu konzentrieren.
Aber wie sollte er, wenn draußen die anderen Kinder hörte und bei ihnen sein wollte?
Erneut, ein kurzer, lauter Schlag von Holz auf Holz – und für einen Moment schloss er die Augen. Er stellte sich vor, wie er einer von ihnen sein könnte, mit einem Holzschwert in der Hand, frei, weit weg von diesem stickigen Zelt und den Erwartungen, die er nie erfüllen konnte.
Zumindest dort konnte zeigen, was in ihm steckte. Ein mächtiger Krieger mit Schwert und Schild oder mit dem Bogen, der ihm lag. Bereits jetzt verfehlte er kaum ein Ziel.
„Leortis!“ Der scharfe Ton seines Vaters riss ihn aus seiner Fantasie. Azaine hob eine Augenbraue, seine Stimme war kühl und streng, wenn auch nicht laut. Azaine wurde nie laut. Seine Stimme zerschnitt die Luft, wie blanker Stahl.
„Wir wiederholen: Was hat Meister Luthain gesagt, was du bis jetzt wissen solltest?“
„Also“ schnitt die Stimme des Elfen Lords, seines Vaters, durch seine Gedanken.
Leortis zuckte zusammen und spürte den prüfenden Blick seines Vaters und neben ihm die kummervolle Mine seiner Mutter.
Er musterte seinen Sohn mit einer Mischung aus Strenge und geduldigem Warten.
„Hat es dir die Sprache verschlagen? Antworte oder bist du einen Stillgeburt, Junge.“
Leortis blickte zu ihm auf. Er wollte antworten, doch die Worte blieben ihm wie ein Kloß im Hals stecken. Sein Herz hämmerte in seiner schmalen Brust, und seine Gedanken wanderten wieder nach draußen. Er versuchte, angestrengt sich zu konzentrieren, doch sein Verstand weigerte sich und schweifte ständig ab. Leortis sah zu Boden, presst die Augen zusammen ebenso sehr wie seinen Kiefer und ballte die Hände zu Fäusten, dann sah er auf. Mit neuem Mut, ernste Gesichtsausdruck, der ihn älter aussehen ließ. Einen Hauch von dem Elfenkrieger auf die kindlichen Züge zauberte, der er einst werden würde.
Er starrte Azaine trotzig entgegen. Dem Elfen Lord, wie aus dem Bilderbuch. Hochgewachsen, feingliedrig, mit hüftlangen platinblonden Haaren überragte er den dürren Jungen mit den abgeschorenen aschgrauen Haaren und den markant Elfenohren, wie eine der unzähligen Steinstatue im Steinpalast in der Oase der Erneuerung.
Sie hätten nicht gegensätzlicher sein können.
Leortis Blick wanderte zu einem Punkt an der Zeltwand hinter seinen Eltern.
Lord Azaine ließ seine stahlblauen, scharfen Augen auf Leortis ruhen und begann die Anhörung.
„Wie heißt die Welt, auf der wir leben?“
„Aeos“, schoss es aus Leortis heraus. Er freute sich. Das war einfach gewesen.
„Kontinent?“
„Pryne!“
„Gebiet?“
„Asharkan Wüste!“ Rief er mit aufkeimender Euphorie.
Leortis grinste stolz, sein Blick glitt umher, bis er an dem schwachen Lächeln seiner Mutter hängen blieb.
Erethril Wolfbane war seine vierte Frau Erethril aus dem Elfenstamm der Ooarthan und Tochter von Lord Damodred Radovan. Sie war von makelloser Schönheit und saß auf weichen Kissen, die Hände ineinander verschränkt neben ihrem Lord. Sie war seine jüngste, unerfahrenste Frau, von denen zwei große ehrfurchtgebietende Magierinnen – oder wie man sie hinter vorgehaltener Hand nannte: Wüstenhexen – waren.
Ein nachtblaues, schimmerndes Seidenkleid schmiegte sich an ihre anmutige Gestalt, deren einziger Makel – wenn dies den als solcher gesehen werden durfte – die Wölbung ihres Unterleibs war, wo sie ihr zweites Kind erwartet.
Sie liebte ihren Sohn, aufrichtig und innig, doch für seinen Vater war er eine Enttäuschung und ständiger Streitpunkt in ihrer lieblosen, politisch motivierten Ehe. Erethril hatte Angst, um ihren Sohn, der die hohen Erwartungen seines Vaters nicht erfüllte und manchmal eine rebellische Ader zeigte.
Sie fürchtete um Leortis, mehr als um sich selbst – doch heimlich nagte die Angst an ihr, dass auch sie einen Makel trug, da sie einen solchen Jungen zur Welt gebracht hatte.
Unbewusst legte sie eine Hand auf die Wölbung ihres Bauches, wo Leortis Geschwisterchen heranwuchs.
Erethril fühlte, wie ihre Unsicherheit in Gleichmaße, wie das Kind unter ihrem Herzen wuchs. Es war, als ob ein finsterer Schatten über ihrer Familie lag. Was, wenn etwas in den Wurzeln ihrer Blutlinie falsch war, etwas, das sie niemals bemerkt hatte, aber nun in Leortis zum Vorschein kam?
Ein unsichtbarer Fluch oder fremde Magie, die durch die Generationen schlich. Würde auch das Kind in ihrem Bauch diese Bürde tragen müssen? Oder war es gar nicht sie, sondern Azaine, von dem dieses Unheil ausging?
Es gab die Prophezeiung von der Wiederkehr des Wolfsprinzen, die aus dem Zeitalter der Legende, als der Stamm der Darkhir-Elfen gegründete worden, stammte. Aufgrund seines Aussehens und weil er Azaines siebter Sohn war, wurde gemunkelt das Leortis womöglich dieser prophezeite Unheilbringer war.
Solche Gedanken wagte sie nicht auszusprechen – nicht einmal vor sich selbst. Sie sah zu ihrem Sohn, ihr Blick, wie eine Entschuldigung, dafür was sie ihm womöglich unwissentlich angetan hatte.
Draußen waren die Stimmen der Kinder verstummt. Vermutlich machten sie eine Pause.
„Junge?“ Azaines Stimme wurde schärfer.
„Mhm?“ Leortis riss sich wieder zusammen.
„Hör mir gefälligst zu, wenn ich mit dir rede!“ Azaine stemmte die Arme in die Hüften. Seine luftigen, aus feinster Seide und mit aufwändigen Stickereien gefertigten, schienen ihm noch mehr Würde zu verleihen. Mit zusammengezogenen Augenbrauen und festem Blick durchbohrte er seinen Sohn.
„Während du mit deinen Gedanken anderorts warst, sprachen wir über das Fest der Erneuerung! Erkläre seinen Sinn und Zweck!“
Leortis räusperte sich. Seine Stimme brach und quietschte. Er hustete, um sie wieder unter Kontrolle zu bringen.
„Es findet einmal alle zwölf Sonnenzyklen am Tag der Wintersonnenwende statt, wenn die ...“ Azaine blieb stehen, beobachte ihn weiterhin streng mit hochgezogenen, skeptischen Augenbrauen und zu einer Linie zusammengekniffenen dünnen Lippen.
„Es findet in der Oase der Erneuerung statt und ist das wichtigste Fest unseres Stammes“, fuhr er hastig fort.
„Was macht den Tag der Wintersonnenwende besonders?“
Leortis überlegte angestrengt. Er ballte die schmalen Hände zu Fäusten. Sein Blick suchte die Antwort an den Zeltwänden, die mit dicken Teppichen, die mythologische Motive zeigten, behangen waren. Einer zeigte einen schimmernden Drachen, gegen den eine Armee aus Elfen kämpfte.
„Such die Antwort in deinem Verstand, nicht auf den Wandteppichen!“ Schimpfte Azaine.
Leortis nickte. Tränen der Frustration stiegen ihm in die Augen. Er wollte seinen Vater nicht enttäuschen. Er senkte den Kopf, damit Azaine seine Tränen nicht sah. Erethril schluchzte leise. Sie hatte die Hände vor dem Körper erhoben und ineinander verschränkt. Ihre Lippen zitterten und in ihren weit aufgerissenen Augen stand Furcht geschrieben.
„Ich... Ich...“, stammelte Leortis, „Beim Fest der Erneuerung wird ein Opfer für den Drachen ausgewählt“, platzte es aus dem Elfenjungen heraus. Er mochte sein erstes Jahrzehnt gerade hinter sich gebracht haben und war hinsichtlich der elfischen Lebenserwartung kaum mehr als ein Flämmchen, das vor kurzem entzündet worden war.
„Richtig. Aber nicht die Antwort auf meine Frage, Junge“, er betonte „Junge“ zischend.
„Es ist ein Gutes, dass du nur mein siebter Sohn bist. Jeder deiner Brüder war intellektuell versierter als du.“
Leortis schluckte hart. Sein Gesicht färbte sich rot vor Scham und Zorn. Seine bernsteinfarbenen wässrigen Augen funkelten wild, voller Hass und Verzweiflung.
Es war nie genug! Egal, wie sehr er sich bemühte – für seinen Vater war es nie genug! Was konnte er dafür, dass die Schriftzeichen vor seinen Augen verschwammen und es ihm unmöglich war, sie zu entziffern, geschweige denn selbst zu schreiben?
Er ballte die Hände zu Fäusten. Sein Gesichtsausdruck war wild, trotzig und unverschämt. Wie ein gefangenes Wildtier, das sich voller Verzweiflung aus seiner Falle zu befreien versuchte.
***
Azaine erkannte nichts von sich in diesem Jungen – weder im Aussehen noch im Wesen. Manchmal bezweifelte er seine Vaterschaft, doch die Ooarthan Prinzessin war nicht kühn genug für einen solchen Betrug, der - sollte er entdeckt werden – mit ihrem Tod bestraft werden würde.
Es raschelte neben Azaine. Erethril winkte einen Diener heran, der ihr aufhalf und sie eilte mit lautlosen Schritten auf weichen Mokassins von der erhöhten Plattform, auf der Azaines Thron stand, hinab zu ihrem Sohn.
Strähnen ihrer lockigen blonden Haare, die ihr bis zur Hüfte hinabreichten, umwehten sie. Sie hatte ein vornehmes Gesicht mit den hohen Wangenknochen und den mandelförmigen Augen. Sie kniete sich mit Bedacht neben ihn und schloss ihn tröstend in die Arme. Für einen Moment starrte er über ihre Schulter weiterhin seinen Vater durchdringend wütend an, dann vergrub er sein Gesicht an ihrer Brust und ließ den Tränen schluchzend freien Lauf.
„Nimm ihn nicht ständig in Schutz“, kritisierte Azaine seine Frau.
„Bitte, sei nicht so streng mit ihm“, flehte sie leise. „Er ist, wie er ist, und seine Makel sind nicht seine Schuld. Vielleicht wird er daraus noch herauswachsen? Und seine Kampfmeiste berichten von seinem Talent mit dem Bogen.“
„Er wird nicht ewig ein Kind bleiben,“ entgegnete Azaine mit Nachdruck. „Und er wird nicht all seine Probleme mit dem Bogen lösen können“, schnaubte er. Er ist mein Sohn und er wird Bildung erfahren und lernen, was es bedeutete Verantwortung zu tragen!“
Seine Mutter sah auf und flüsterte ihm ins Ohr: „Geh! Geh zu deinen Freunden.“ Sagte Erethril ihre Fassung bewahrend. Sie löste sich von ihm und er ließ sie gewähren. Tapfer stand er aufrecht vor seinen Eltern und wischte sich die warmen Tränen aus dem Gesicht. Er nickte: „Danke Mutter“, flüsterte er, dann nahm er die Beine in die Hand und floh.
Azaine seufzte, ließ sich in seinem gepolsterten Thron zurücksinken. Spannung verließ seinen Körper. Unerwartet fühlte er die Jahrhunderte auf sich lasten, ebenso sehr wie den anklagenden Blick seiner jüngsten Frau.
Er hätte den Jungen töten können. Niemand hätte es in Frage gestellt oder ihn verurteilt in seinem Reich. Er hätte bei seiner Geburt sterben können und niemand hätte sein Wort angezweifelt.
Azaine erinnerte sich deutlich an den Augenblick, als er Leortis zum ersten Mal in den Armen gehalten hatte.
2
Im dämmrigen Licht der Geburtsgrotte herrschte angespannte Stille. Die Luft war schwer vom Rauch der Fackeln und Räucherkerzen, die eine berauschende Wirkung hatten. Ein Schamane stand, mit seinem Gesicht in Schatten gehüllt, neben ihm und befingerte behutsam die Drachenknochen, die er auf einem Lederstück mit geheimen Runen ausgebreitet hatte.
„Aber... Aber Lord Azaine“, stammelte der Diener der Göttin in einer fließenden, erdfarbenen Robe. Er hatte eine Kette mit Knochen, um den Hals hängen, wirkte ansonsten jedoch eher wie ein elfischer Stammesältester, der ebenso gut im Rat hätte sitzen können, statt in einem Tempel. „Sie müssen zugeben“, stotterte er furchtvoll. Der Elfen-Lord überragte ihn wie eine Marmorstatue, die Arme vor den seidenen Roben verschränkt.
„Er ist ihr siebter Sohn ... Ebenso wie sie es waren ... Der Junge erfüllt eine zentrale Aussage der Prophezeiung!“
Der zweite Schamane, kleiner, jedoch gleich gekleidet und ähnlich gebaut, ebenfalls mit der Kapuze tief ins Gesicht gezogen, begann aus seiner Erinnerung zu rezitieren:
„Im siebten Zyklus geboren,
unter dem Schatten der Wolfsprinzessin,
kommt der siebte Sohn eines siebten Sohnes.
Ein Jäger, ein Krieger,
gebunden an das Rudel,
doch entfesselt von den Zeichen der Alten.
Wohl oder Weh mag er bringen,
den Weg de Sterne stärken oder verderben.
Sein Schicksal tanzt zwischen Licht und Schatten,
und was er berührt, wird sich wandeln…“
Die steinerne, kaum erodierte Statue der Göttin schien sie zu beobachten. Aus der Wand geschlagen, zeigte sie Verdaine, als wohlwollende Mutter für ihre Gläubigen, eine eher seltene Darstellung der Naturgottheit, die oft als Jägerin mit Wölfen dargestellt wurde.
In grauer Vorzeit, bevor es personifizierte Götter gab, wurden stattdessen mystische Entitäten wie Naturkräfte, Elementare und Wetterphänomene, angebetet. Konkrete Gottheiten, wie die Triade, entstanden erst später. Sie verschmolzen in den Legenden der Bewohner von Pryne mit den Erscheinungen, die früher wie Götter gehuldigt worden waren.
Verdaine gehörte mit ihren Brüdern Solain, dem Sonnengott und Thalain, dem Gott des Meeres, zur göttlichen Triade.
Es gab noch unzählige weitere Gottheiten. Die Triade waren jüngere Götter. Azaine, obwohl er Jahrhunderte alt war, erinnerte sich nicht mehr an ihre Vorgänger, hatte jedoch als er noch Durrnar, ein junger Elf vor seiner Mannwerdung, gewesen war, darüber gelernt.
Wie es üblich war, hatten die Schamanen nach der Geburt eines Elfenkindes die Drachenknochen zu seinem Schicksal befragt. Nervosität lag in der Luft. Die verhüllten Männer waren froh in weiten Roben und Schatten gehüllt zu sein. Azaine verströmte eine Aura von kontrollierter Wut.
Sie stand vor dem Altar. Die Schamanen beschrieben die Zeichen, die sie lasen. Azaine verschränkte die Arme vor der durchgedrückten Brust.
Die Götter waren real. Personen, die ihre Welt ihren Willen aufzwangen, doch er musste Stark und über allem erhaben wirken. Schwächer tötete in der Wüste.
„Prophezeiungen sind törichtes Geschwätz. Lasst mich damit in Ruhe!“ Fuhr er den Schamanen aufgebracht an.
Doch sie hatten Recht. Leortis erfüllten mehrere Aussagen der Prophezeiung, die mit der Gründung des Stammes, entstanden war. Sie sprach von einem Wolfsprinzen, der ein siebter Sohn eines siebten Sohnes und der Wohl und Weh über den Stamm bringen könnte. Jedes Kind kannte die überlieferten Worte. Und so manches Kind wünschte sich der Wolfsprinz zu sein.
Eine Heilerin in sandfarbenen Roben betrat den Altarraum, der an die Geburtsgrotte angrenzte und von einem glasklaren Grundwassersee gespeist wurde. Sie hielt ein rotes, schreiendes Bündel in den Armen und gab es behutsam seinem Vater. Gemeinsam mit der Kinderfrau, verließ die Schamanen lautlos den intimen Moment.
„Leortis“, flüsterte er scharf. Seine Stimme hallte von den Wänden wider. Die alterslosen Augen begutachteten das neue Leben. Der Junge hatte ungewöhnlich dunkel, feucht am Kopf klebende Haare und als er für einen Moment mit dem Schreien innehielt, öffnete er die Lider und bernsteinfarbene Augen blickten ziellos umher.
Er hatte bereits so viele seiner Kinder so in den Händen gehalten, aber keinen wie ihn. Dies mochte an Erethril liegen, da es ihr erstes Kind war.
Ungeachtet dessen hatte sie ihm einen gesunden Knaben geschenkt. Er würde dem Kelvaran, seinem höchsten Leibdiener und Verwalter, den Auftrag geben, sie reich zu beschenken. Sie hatte sich wertvollen Schmuck verdient.
Wie der quengelnde Knabe in seinen Armen war er ein siebter Sohn gewesen.
Er hatte keiner Aussicht auf den Titel als Lord gehabt, bis der Drache gekommen war. Mit goldenen Schwingen und zerstörerischer Magie hatte die Kreatur, zusammen mit dem Krieg, den sie heraufbeschworen hatte, Azaine zu seinem Titel als Lord der Drakhari-Elfen verholfen. Er hatte alle seine Brüder überlebt und war klug genug gewesen, den Krieg mit einem Pakt zu beenden, um sein Volk vor der Auslöschung zu bewahren.
Azaine verzog verärgert die Mundwinkel. Leortis hatte heftig zu schreien begonnen und verlangte zweifellos nach der Brust seiner Mutter. Azaine sah sich suchend nach einer Heilerin um, die den Säugling seiner Mutter bringen würde.
Eine in weiße Roben gehüllte, menschliche Frau hastete auf klappernden Holzsandalen heran. Sie nahm den schreienden Säugling entgegen. „Schhh ...“ Sie sprach beruhigend auf das Neugeborene ein und gab tröstende Laut von sich, als sie mit ihm durch die düsteren Tunnel der Grotte davoneilte, um ihn seiner Mutter zu bringen.
Azaine legte die feingliedrigen Finger an das schlanke Kinn, ballte diese anschließend zur Faust, wobei sich deutlich dicke Adern durch die Haut abzeichneten. Seine Gedanken kreisten um das Schicksal des Jungen. Die Prophezeiung, der Splitter, der dem Kind eingepflanzt wurde – alles lag schwer auf ihm. Der Schamane hatte ihm den Namen des Jungen genannt, nachdem das Ritual vollzogen worden war und die Seele in den Körper eingebunden worden war.
Unerwartet betrat Kieran, sein ältester Sohn und Erbe, lautlos die Grotte. Er deutete eine Verbeugung an, seine blonden glatten Haare fielen ihm über die Brust, die braunen Augen beobachteten devot seinen Vater. Keiran erinnerte Azaine an sich selbst in seiner Jugend. Er zog die Mundwinkel nach oben. Eine rare Geste.
„Vater?“
Azaine deutete Kieran fortzufahren.
„Meinen herzlichen Glückwunsch zu einem weiteren Sohn. Ich hoffe alles verlief gut und Mutter und Kind sind wohlauf?“
Azaine nickte: „Es geht ihnen gut“, stellt er kurz fest. „Was führt dich hierher, Keiran?“
„Die Botschafter der Ooarthan sind eingetroffen. Sie wünschen eine Audienz, aber ich kann sie unterbringen lassen und vertrösten.“
„Wir haben keine Eile.“ Er runzelte die Stirn und starrte gedankenverloren in die Ferne: „Sie sollen der Feier zur Geburt deines Halbbruders beiwohnen“, beschloss Azaine in sich gekehrt.
„Begleite mich zu meinem Zelt, Kieran, unterrichte mich, was in meiner Abwesenheit geschehen ist“, befahl er seinem Erben, der ihn in den Regierungsgeschäften unterstützte, „Anschließend werde ich mich zurückziehen. Die Botschafter der Ooarthan sollen sich gedulden oder mit dir vorliebnehmen.“
„Sehr wohl, mein Lord“, antwortete Kieran mit einer angedeuteten Verbeugung. Ausführlich berichtete er seinem Vater von den Geschehnissen der letzten Stunden, während sie die sakrale Geburtsgrotte verließen. Gemächlich schlenderten sie den ausgetretenen Pfad in Richtung ihres Lagers dahin. Keiran sprach und Azaine hörte seinem ältesten Sohn aufmerksam zu.
1
Leortis stieß die Zeltplane auf und stürmte auf den Versammlungsplatz hinaus. Dort herrschten reger Tauschhandel und geselliges Treiben.
Das Lager war in zwei Areale unterteilt: eines, das auf einer niederen Anhöhe lag und von Elfen bewohnt wurde, und einen zweiten, weitaus größeren Teil, der die Behausungen der Menschen beherbergte. Das Gebiet der Elfen war auf einer Seite durch eine Felswand vor Angreifern geschützt und schmiegte sich an diese, während das Lager der Menschen offen dalag und zu jeder Zeit von Wachen patrouilliert werden musste.
Auf einem zentralen Punkt dazwischen befand sich das Zelt des Lords - nicht das Zelt der Familie, das sich natürlich gut geschützt im Elfengebiet befand, sondern das Audienzzelt, wo er Mitglieder des Stammes mit ihren Anliegen empfing.
Leortis stürmte aus dem prunkvollen Zelt und lief wie ein flinker Schatten abseits der Hauptwege. Er hetzte zwischen den Zelten einen geraden Pfad nach Nordwesten in Richtung der Felswand entlang. So gelangte in kürzester Zeit direkt zum Trainingsplatz.
Das Ausbildungszelt war ein schlichtes Elfenzelt. In die Zeltplane, die aus dicken, robusten Stoffen gefertigt war, hatte man mit goldenen Fäden und wertvollen Farben Motive des Lernens und Lehrens gewoben und es mit Magie verstärkt.
Leortis lief daran vorbei zum Trainingsplatz. Es war ein ovales, staubiges Gelände, umgeben von einem Zaun aus runden Holzpflöcken. Am Trainingsgelände selbst standen aufgereiht Waffenständer, Trinkstellen, Attrappen und Ziele. Eine erhöhte Tribüne, die schnell und einfach auf und abgebaut werden konnte, bot Platz für Besucher, die verfolgen wollten, wie die heranwachsenden Krieger ihre Kräfte maßen.
Leortis kletterte die Treppen hinauf und setzte sich auf die schlichten Holzbänke. Mit wippenden Beinen beobachtete er die Stammeskrieger dabei, wie sie fochten.
Schrilles, scharfes Klirren zerschnitt die Stille, wenn die Klingen von Rapieren und Kurzschwertern rhythmisch aufeinanderschlugen. Zischen und Fauchen begleiteten das metallische Klacken wie ein Lied, das Gänsehaut hervorrief. Jeder Hieb war präzise in einem choreographierten, gefahrvollen Tanz. Fasziniert beobachtete der Junge jede Bewegung, jeden Schlag und jede Parade.
Er wollte ein Krieger werden. Ein Jäger, nicht wie seine Brüder.
Zwei Elfen schossen Pfeile auf runde Zielscheiben aus dickem Stroh. Dumpf schlugen die Metallspitzen, die aufschwingenden Holzstäben saßen, präzise in der Mitte der Scheiben ein.
Er hielt sich mit den Händen an der abgeschliffenen, lackierten Bank fest.
Leortis hatte einen Plan. Er wollte sich seiner Familie beweisen. Vielleicht würden sie ihn dann mit Büchern und Schriften, die er ohnehin nicht lesen konnte, in Ruhe lassen.
Er hatte trainiert und er wollte kämpfen, sich den Respekt verdienen, von dem er glaubte, dass er ihm zustand.
Es dauerte eine halbe Stunde, bis eine Gruppe von Jungen auf dem Platz erschienen. Sie waren Menschen, hatten einen dunklen Teint, Augen und Haarschopf. Manche lockig, manche glatt, die meisten trugen die Haare kurz, bis auf einen, der seinen welligen schwarzen Haarschopf mit einem Band zusammengebunden hatte.
Leortis kannte die Namen der Jungen, auch wenn nur einer von ihnen wirklich wichtig war. Ihr Anführer. Ein hochgewachsener Junge mit bemerkbar weicheren Zügen als den älteren Mitgliedern der Gruppe. Er hatte einen lockigen Haarschopf, dessen Spitzen von der Sonne gebleicht waren, und lebhafte, dunkelbraune Augen. Er hatte eine markante Nase und große Ohren, die etwas abstanden, war aber dennoch ansehnlich für einen Menschen.
Sein Name war Famir Dünenwolf und war er der Sohn von Malik Dünenwolf, dem Anführer der Jäger und Kundschafter. Malik Dünenwolf war ein angesehener Krieger und Vorbild für viele der Jungen, obwohl er ein Mensch war oder vielleicht gerade deswegen. Unter den Elfenkrieger wurde der Name Dünenwolf ebenfalls mit Respekt konnotiert.
Leortis sondierte die Lage.
Die Kinder-Gruppe hatte eine Pause gemacht. Die Sonne hatte den Zenit nicht erreicht, dennoch war es brennend heiß. Jeder der Jungen triefte vom Wasser, das sie sich ins Gesicht und auf die Haare gespritzt hatten, um sich zu erfrischen.
Warum Leortis nicht den Elfen beim Training zusah?
Das hatte er getan und die Elfenkrieger ausführlich studiert, doch es gab keine anderen Elfen-Jungen, mit denen er sich hätte messen können.
Die Knaben bemerkten ihn.
„Was willst du hier Wolfbane? Lässt sich der noble Elfenprinz zum einfachen Volk herab?“
Rief ein grober, breiter Junge zu ihm herüber und lachte herzlich. Seine Freunde, Famir Dünenwolf eingeschlossen, wandte sich ihm zu und lachten laut spöttisch über die Worte des Jungen, der auf den Namen Dunar hörte.
Leortis erhob sich.
Er war um viele Jahre älter als sie und für einen Elfenjung seines Alters nicht ungewöhnlich gebaut, eher hochgewachsen und drahtig, dennoch übertraf ein jeder der Menschenjungen ihn an Größe und Gewicht.
Elfen alterten halb so schnell, desto älter sie wurde, desto langsamer im Vergleich mit vielen anderen Rassen, daher war er ihnen noch unterlegen. Er wusste, dass sich dies ändern würde, doch dies benötigte Zeit und er war ungeduldig.
Er fühlte sich, als fehle ihm genau diese Zeit.
Aufgrund seiner Statur war ihr Gelächter über seine Herausforderung berechtigt. Er presste die dünnen Lippen aufeinander, ballte entschlossen die Fäuste.
„Ich will kein Prinz sein,“ sagte er mit fester Stimme, „Ich will auch ein Jäger werden und bin euch allen gewachsen!“ Höhnte er provokant.
Die Gruppe lachte ihn aus.
Leortis stieg die Röte ins Gesicht. Der rote Schimmer breitete sich bis zu seinen spitzen Ohren aus.
Famir schob einen seiner Freunde aus dem Weg. Einen Burschen, massiger und kürzer als er, mit dem groben Aussehen eines Schlägers.