Lesbisches "coming-out" in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur: Konzepte und Darstellungsformen - Sabine Lommatzsch - E-Book

Lesbisches "coming-out" in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur: Konzepte und Darstellungsformen E-Book

Sabine Lommatzsch

0,0
36,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Magisterarbeit aus dem Jahr 1998 im Fachbereich Germanistik - Neuere Deutsche Literatur, Note: 2, Christian-Albrechts-Universität Kiel (Institut für neuere deutsche Literaturwissenschaft), Sprache: Deutsch, Abstract: In der vorliegenden Arbeit untersuche ich lesbisches „coming-out” in fiktionalen Texten der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur nach inhaltlichen und formalen Gesichtspunkten. Ziel meiner Arbeit ist es, anhand exemplarischer Textuntersuchungen zu beschreiben, mit welchen inhaltlichen Konzepten und narrativen Darstellungsformen lesbisches „coming-out” literarisch umgesetzt wird, und zu hinterfragen, ob zwischen den Konzepten und Darstellungsformen aller Texte des Textkorpus ein schematischer Zusammenhang besteht. Des weiteren werde ich untersuchen, ob in den Texten ähnliche oder gleiche Handlungsmuster und Geschehensverläufe, gemeinsame Zeit-, Raum- und Figurenkonstellationen, eventuell stereotype Figurencharakterisierungen und andere gemeinsame Details auftreten. Ein weiteres Ziel ist es, mit der vorliegenden Arbeit einen Überblick über die zeitgenössischen Veröffentlichungen mit lesbischer „coming-out”-Thematik zu bieten. Im literaturwissenschaftlichen Kontext knüpft diese Untersuchung an mehrere Magistra-Arbeiten mit unterschiedlichen inhaltlichen Schwerpunkten im Bereich lesbischer Thematik sowie an die Dissertationen von Madeleine Marti und Birgit Waberski an, die mit ihren Untersuchungen einen umfangreichen Überblick über die letzten fünf Jahrzehnte lesbischer Geschichte und deutschsprachiger Literatur mit lesbischer Thematik bieten.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.


Ähnliche


Inhaltsverzeichnis
1. Erläuterung der Begriffe Lesbe, lesbisch und „coming-out
1.1. Lesbe, lesbisch.
2.1.1. Pit Umber: Eine Liebe in Ostpreußen
2.1.3. Susanne Fülscher: Vielleicht wird es ein schöner Sommer
2.2.1. Heidi Hassenmüller: Warten auf Michelle.
2.2.2. Martina Müller: Tauwetter in St. Louis
2.2.3. Petra Urban: Die Maulwürfin
2.3.1. Manuela Kuck: Lindas Entscheidung.
2.3.2. Elke Vesper: Von wegen easy
2.4. Fazit und Auswertung der Untersuchungsergebnisse für Texte mit
3.1.1. Gabriele Gelien: Eine Lesbe macht noch keinen Sommer
3.1.2. Lisa Pei: Die letzte Stunde.
3.1.3. Karin Rick: Der Rückfall.
3.2.1. Manuela Kuck: Neue Zeiten für Linda.
3.2.2. Nicole Müller: Denn das ist das Schreckliche an der Liebe
3.4. Fazit und Auswertung der Untersuchungsergebnisse für Texte mit
4. Abschluß und Ausblick.
5. Literaturverzeichnis
5.1. Primärtexte.
5.2. Sekundärliteratur
5.3. Weitere Hilfsmittel.

Page 1

Page 2

Tag der mündlichen Prüfung: 16.11.1998

Page 3

Hiermit versichere ich, daß ich die vorliegende Arbeit selbständig und ohne fremde Hilfe angefertigt habe und außer der angegebenen Literatur keine weiteren Hilfsmittel verwendet habe. Ferner versichere ich, daß diese Arbeit noch nicht zum Zwecke der Erlangung der Magistrawürde an anderer Stelle vorgelegen hat.

Kiel, den 27.06.1998

Page 5

EINLEITUNG

In der vorliegenden Arbeit untersuche ich lesbisches „coming-out” in fiktionalen Texten der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur nach inhaltlichen und formalen Gesichtspunkten. Ziel meiner Arbeit ist es, anhand exemplarischer Textuntersuchungen zu beschreiben, mit welchen inhaltlichen Konzepten und narrativen Darstellungsformen lesbisches „coming-out” literarisch umgesetzt wird, und zu hinterfragen, ob zwischen den Konzepten und Darstellungsformen aller Texte des Textkorpus ein schematischer Zusammenhang besteht. Des weiteren werde ich untersuchen, ob in den Texten ähnliche oder gleiche Handlungsmuster und Geschehensverläufe, gemeinsame Zeit-, Raum- und Figurenkonstellationen, eventuell stereotype Figurencharakterisierungen und andere gemeinsame Details auftreten. Ein weiteres Ziel ist es, mit der vorliegenden Arbeit einen Überblick über die zeitgenössischen Veröffentlichungen mit lesbischer „coming-out”-Thematik zu bieten.

Im literaturwissenschaftlichen Kontext knüpft diese Untersuchung an mehrere Magistra-Arbeiten mit unterschiedlichen inhaltlichen Schwerpunkten im Bereich lesbischer Thematik1sowie an die Dissertationen von Madeleine Marti und Birgit Waberski an,2die mit ihren Untersuchungen einen umfangreichen Überblick über die letzten fünf Jahrzehnte lesbischer Geschichte und deutschsprachiger Literatur mit lesbischer Thematik bieten.

Im folgenden werde ich zum besseren Verständnis nicht nur die Vorgehensweise und den Aufbau meiner Arbeit vorstellen, sondern zuvor auch einige allgemeine Beobachtungen zur Situation lesbischer Frauen in der heutigen Gesellschaft und zum Bereich lesbischer Thematik in der Gegenwartsliteratur vorausschicken. Lesbische Frauen sind in unserer Gesellschaft gegen Ende der neunziger Jahre sichtbarer als noch vor zwanzig bis dreißig Jahren. Dies zeigt sich unter anderem in der gewachsenen Medienpräsenz. Lesbische Frauenfiguren treten z. B. in Kino- und Fernsehfilmen sowie in Fernsehserien auf, und prominente Frauen erzählen in Talk-Shows ganz offen, daß sie lesbisch leben.

1Zum Forschungsstand vgl. Marti 1992, 11-19 und 201/202.

2Marti 1992; Waberski 1997.

Page 6

Auch in der deutschsprachigen Literatur spiegelt sich die sichtbarer gewordene Präsenz lesbischer Frauen wider. Die Zahl der literarischen, fiktionalen Texte, in denen lesbische Existenz thematisiert wird, ist in den achtziger Jahren unseres Jahrhunderts mit ca. einhundert Veröffentlichungen gegenüber den Jahrzehnten davor stark angestiegen.3Außerdem läßt sich für die achtziger Jahre eine formale Ausweitung der Texte auf alle Genres feststellen.4Für die neunziger Jahre werden sich sowohl die Zahl der Veröffentlichungen5als auch das alle Genres umfassende Spektrum halten. Die inhaltliche Bandbreite der Veröffentlichungen reicht von Texten, in denen lesbische Lebensweise als äußerst problematisch dargestellt wird, bis hin zu Texten, die Lesbischsein als eine Selbstverständlichkeit beschreiben.

Die westliche Gesellschaft allerdings, in der lesbische Frauen ein wenig an Sichtbarkeit gewinnen und auch immer mehr Texte mit lesbischer Thematik veröffentlicht werden, sieht lesbische Liebe nach wie vor nicht als eine Selbstverständlichkeit an. Auch in den neunziger Jahren ist diese Gesellschaft immer noch heterosexuell geprägt und heterosexuell normiert. Heterosexuelle Strukturen und Vorstellungen werden als selbstverständlich gesehen und durch Erziehung und Sozialisation weitergegeben. Für eine lesbische Frau bedeutet dies, daß sie von der Umwelt von vornherein und solange als heterosexuell (an-)gesehen wird, bis sie selbst deutlich macht, daß sie lesbisch ist. Weil innerhalb einer heterozentristischen6Gesellschaft Heterosexualität jedoch nicht nur von vornherein als das Selbstverständliche, als „Normalität”, gesetzt wird, sondern gleichzeitig alle anderen sexuellen Lebensweisen als „Abweichungen” definiert werden, widersetzt sich eine lesbische Frau außerdem immer gesellschaftlichen Normvorstellungen und den darin festgelegten Geschlechtsrollenforderungen. Lesbischsein bedeutet daher für eine lesbische Frau nicht nur, sich mit ihrer eigenen sexuellen Identität auseinanderzusetzen, sondern auch, sich immer wieder mit einer heterosexuell normierten Gesellschaft auseinandersetzen zu müssen. Dazu gehört auch, daß jede lesbische Frau wiederholt in eine Situation gerät, in der sie entscheiden muß,

3In den fünfziger und sechziger Jahren sind es jeweils nur fünf und in den siebziger Jahren fünfzehn Veröffentlichungen. Vgl. Marti 1992, 203 und 382.

4Vgl. Marti 1992, 205.

5Bis Mitte 1998 sind - nach eigener Zählung der fiktionalen Texte ohne Neuauflagen, Comic -Strips, Liedertexte und Filme bzw. Drehbücher - bereits etwa neunzig Titel mit lesbischer Thematik veröffentlicht.

6Die „selbstverständlich gehandhabten Vorstellungen um Heterosexualität herum werden [...] als Heterozentrismus bezeichnet” (Gissrau 1997, 36).

Page 7

ob sie sich explizit als Lesbe zu erkennen gibt oder nicht. Also sind in der Entwicklung jeder lesbischen Frau nicht nur die eigene Ahnung und das Bewußtwerden vom eigenen Lesbischsein von zentraler Bedeutung, sondern auch immer wieder die alltägliche Frage nach dem Verstecken oder Öffentlichmachen der lesbischen Identität. Auch in den Texten der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur, in denen lesbische Lebensweisen thematisiert sind, wird, unabhängig vom Grad der Problemhaftigkeit oder der Selbstverständlichkeit des Lesbischseins in der Darstellung, häufig beschrieben, wie sich eine Frau allmählich bewußt wird, daß sie lesbisch ist und ob sie dies für sich selbst akzeptiert oder nicht, wie sie ihr Lesbischsein lebt, versteckt oder offen, und welchen Situationen sie gegenübersteht, wenn ihr Lesbischsein für andere sichtbar wird. Die literarische Darstellung dieser zentralen Aspekte vom lesbischen „coming-out” ist Untersuchungsgegenstand der vorliegenden Arbeit.

Das dieser Arbeit zugrunde liegende Textkorpus setzt sich aus vierunddreißig fiktionalen Prosatexten7verschiedener Autorinnen aus der BRD, Österreich und der Schweiz zusammen. Dreizehn Texte sind kürzere Erzähltexte, und einundzwanzig sind Romane, darunter acht Kriminalromane, drei Jugendromane für Mädchen sowie ein zeithistorischer Roman. Alle Texte haben neben den Merkmalenfiktional, deutschsprachigundzeitgenössischein inhaltliches Merkmal gemeinsam:lesbisches „coming-out”.Was unter lesbischem „coming-out” verstanden wird und welche Merkmale für lesbisches „coming-out” kennzeichnend sind, ist also nicht nur innerhalb der Untersuchung, sondern bereits in deren Vorfeld, bei der Auswahl der einzelnen Texte, von Bedeutung. Daher werde ich in einem ersten Kapitel die BegriffeLesbe,

7Vielfach finden sich Darstellungen über lesbisches „coming-out” in nicht-fiktionalen Texten dokumentarischer und (auto-)biographischer Form wie z. B. in schriftlich aufgezeichneten Interviews oder Erfahrungsberichten lesbischer Frauen. Untersucht werden hier jedoch ausschließlich fiktionale Texte. Da ich die fiktionalen Texte sowohl nach inhaltlichen als auch nach formalen Gesichtspunkten betrachte, ist eine weitere Einschränkung der Texte nach Gattungen nicht sinnvoll. Unter den Texten befinden sich allerdings weder Dramen noch Gedichte, da nach meinem Kenntnisstand keine Dramen oder Gedichte mit lesbischem „coming-out” existieren. Außerdem wird aufgrund der Fülle des bereits vorhandenen Textmaterials innerhalb dieser Arbeit auf die Untersuchung von Comic -Strips, Liedertexten und Filmen bzw. Drehbüchern verzichtet.

Page 8

lesbischund „coming-out” in ihrem konkret-lebensweltlichen Rahmen erläutern und Charakteristika lesbischen „coming-outs” aufführen.8

Das zweite und dritte Kapitel bilden mit den exemplarischen inhaltlichen und formalen Textuntersuchungen den Hauptteil dieser Arbeit. Aus dem Textkorpus der von mir untersuchten vierunddreißig Texte habe ich fünfzehn Texte ausgewählt, die in bezug auf die innerhalb dieser Arbeit untersuchten Aspekte repräsentativ für weitere Texte des Textkorpus stehen. Die exemplarischen Untersuchungen dieser fünfzehn Texte werde ich im zweiten und dritten Kapitel ausführlich darstellen.9Unter dem inhaltlichen Untersuchungsaspekt werde ich die dargestellten Lebenswelten einzelner Texte beschreiben: wie eine lesbische Frau charakterisiert wird, die sich „outet”, und was ihr Umfeld und die Personen kennzeichnet, vor denen sie sich „outet”. Figurencharakterisierungen und -konstellationen sowie Zeit- und Raumkonstellationen einzelner Texte werden also untersucht, um aufzuzeigen, wie und in welchem Rahmen sich darin lesbisches „coming-out” vollzieht.

Der formale Untersuchungsaspekt bezieht sich auf die Frage, mit welchen erzählerischen Mitteln lesbisches „coming-out” dargestellt wird. Hier werden also die narrativen Darstellungsformen einzelner Texte wie z. B. Erzählinstanzen, Perspektiven, Erzähl- und Zeitebenen aufgeführt. Unter den formalen Aspekt fällt des weiteren die Betrachtung des Sprachgebrauchs in den Texten.

Über die Betrachtung der einzelnen Texte hinaus werde ich, wie bereits erwähnt, eventuelle Ähnlichkeiten und Entsprechungen, wie etwa gemeinsame Handlungsmuster und wiederkehrende Figuren- und Raumkonstellationen, zwischen den einzelnen Texten herausarbeiten.

8Die Begriffserläuterungen verstehen sich nur im Rahmen dieser Arbeit und sollen Unklarheiten und Mißverständnisse in bezug auf den Untersuchungsgegenstand von vornherein ausschließen und eine einheitliche Terminologie innerhalb dieser Arbeit ermöglichen. Es geht in dieser Untersuchung nicht um medizinische oder psychologische Erklärungsversuche zur Entstehung weiblicher Homosexualität oder darum, was weibliche Homosexualität ist, sondern einzig um die literarische Darstellung von lesbischem „coming-out” in den Texten.

9Auf die übrigen Texte des Textkorpus, die ich nicht für die exemplarisch vorgeführten Untersuchungen ausgewählt habe, verweise ich innerhalb der Untersuchungskapitel an entsprechenden Stellen in einzelnen Anmerkungen. Bei der Auswertung der Untersuchungen werden nicht nur die Ergebnisse der exemplarischen Textuntersuchungen berücksichtigt, sondern auch die Untersuchungsergebnisse der in Anmerkungen erwähnten Texte miteinbezogen.

Page 9

In die Untersuchung werden des weiteren eventuell bestehende wechselseitige Beziehungen zwischen dem Konzept einer dargestellten Lebenswelt und den dafür gewählten narrativen Darstellungsformen einzelner Texte miteinbezogen und in Hinblick auf eine eventuell mögliche Schematisierung für das gesamte Textkorpus betrachtet. Im zweiten Kapitel erfolgt zunächst die Untersuchung von Texten, in denen lesbisches „coming-out” und mindestens eine lesbische Protagonistin als Haupthandlung und zentrales Thema bzw. zentrale Figur im Mittelpunkt des Geschehens stehen. Daran schließt sich im dritten Kapitel die Untersuchung von Texten an, in denen mindestens eine lesbische Protagonistin entweder als Haupt- oder als Nebenfigur auftritt und lesbisches „coming-out” einen für d as Gesamtgeschehen des Textes eher untergeordneten Rang einnimmt, also etwa in einer Episode geschildert oder an mehreren Textstellen als Nebenhandlung thematisiert wird. Mit dieser formalen Einteilung aller Texte in die zwei Kategorien Haupt- und Nebenhandlung werde ich der unterschiedlichen thematischen Gewichtung, die sich auf die Ausführlichkeit der Darstellung von lesbischem „coming-out” in den einzelnen Texten auswirkt, gerecht. Zudem kann ich somit bereits erste formale Unterschiede bzw. Gemeinsamkeiten der Texte erfassen und deutlich machen.

Im Verlauf der Untersuchungen hat sich des weiteren gezeigt, daß insbesondere die FigurenmerkmaleAlterundFamilienstandder lesbischen Protagonistinnen zum Zeitpunkt ihres „coming-outs” von vornherein ausschlaggebend sind für die Textgestaltung. Innerhalb des zweiten und dritten Kapitels erfolgt daher eine weitere Kategorisierung der Texte nach diesen inhaltlichen Kriterien.10Diese Art der Einteilung aller Texte des Textkorpus in die zwei formalen und darin wiederum in die verschiedenen inhaltlichen Kategorien ermöglicht es, die jeweiligen Texte einer Kategorie untereinander zu vergleichen und damit bei gleicher thematischer Gewichtung von lesbischem „coming-out” sowie bei gleicher oder ähnlicher Figurencharakterisierung weitere wesentliche Übereinstimmungen und Unterschiede der Texte deutlich hervorzuheben. Die Ergebnisse dieses Untersuchungsschrittes werden von mir jeweils in kurzen Faziten innerhalb der inhaltlichen Kategorien der zwei Untersuchungskapitel zusammengefaßt.

10Die Zuordnung in die verschiedenen Kategorien - und damit auch ein Überblick über die formale und inhaltliche Gewichtung - aller vierunddreißig Texte des dieser Arbeit zugrunde liegenden Textkorpus ist dem Literaturverzeichnis dieser Arbeit zu entnehmen.

Page 10

Am Ende des zweiten und dritten Kapitels nehme ich diese Untersuchungsergebnisse jeweils in auswertenden Faziten wieder auf, um dort mögliche wesentliche inhaltliche und formale Übereinstimmungen und Unterschiede aller Texte einer formalen Kategorie aufzuzeigen. Das auswertende Fazit des dritten Kapitels umfaßt darüber hinaus einen Vergleich der Ergebnisse beider Untersuchungskapitel. Abschließend werde ich in einem vierten Kapitel offene, weiterführende Fragen ansprechen, die sich mir im Zusammenhang mit diesen Untersuchungen gestellt haben.

1. ERLÄUTERUNG DER BEGRIFFELESBE, LESBISCHUND „COMING-OUT”

1.1. Lesbe, lesbisch

Der BegriffLesbeund das dazugehörige Adjektivlesbischleiten sich von dem Namen der griechischen Insel Lesbos ab, auf der um 600 v. Chr. die Dichterin Sappho in ihren Gedichten gleichgeschlechtliche Liebe unter Frauen beschreibt. Im 20. Jahrhundert ist der BegriffLesbeursprünglich negativ konnotiert und wird erst mit der Neuen Frauenbewegung in den siebziger Jahren von homosexuellen Frauen, die sich selbstLesbennennen, positiv umgewertet.11Für den Untersuchungsbereich der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur ist der BegriffLesbeals Selbstbezeichnung homosexueller Frauen also vorwiegend mit positiver Konnotation verbunden und weit verbreitet.12Daneben wird der BegriffLesbeals Fremdbezeichnung allerdings auch immer noch im abwertenden Sinn verwendet, weshalb er trotz der positiven Umdeutung als mögliche Selbstbezeichnung von manchen lesbischen Frauen in individueller Entscheidung weiterhin abgelehnt wird.

So individuell diese Entscheidung ist, so verschieden sind auch die Auffassungen, welche und was für eine FrauLesbeoderlesbischist. Es gibt keine allgemeingültige Definition des BegriffesLesbe.

11Vgl. Marti 1992, 21. Reinberg/Roßbach schreiben in ihrer Untersuchung von 1985: „So stellt das Wort ,Lesbe’ für viele ältere und/oder nicht der Lesbenbewegung angehörende Frauen an sich schon eine Diskriminierung dar, während es für uns als organisierte Lesben unsere übliche Bezeichnung ist.” (Reinberg/Roßbach 1995, 31).

12Dies rechtfertigt auch den SprachgebrauchLesbe, lesbischin der vorliegenden Arbeit.

Page 11

Wenn ich sage, ich bin lesbisch, so produziert dieses „Coming-out” nur eine neue, andere Form des „Closet”, des Schweigens. [...] [V]orher wußtest du nicht, ob ich lesbisch „bin”, jetzt weißt du nicht, was es heißt, daß ich es bin. (Butler 1996, 18)

Dieses Zitat von Judith Butler verdeutlicht das Problem: Welche Frau sich selbst alsLesbeoderlesbischbezeichnet oder von anderen bezeichnet wird und was dann wiederum im einzelnen darunter verstanden wird, hängt von zu unterschiedlichenzeitgeschichtlichen, kulturellen, gesellschaftlichen, politischen, individuellen - Kriterien ab, als daß eine einheitliche Definition gefunden werden könnte, in der sich alle lesbischen Frauen wiederfinden.

Lesbeist also

als ein[] Begriff aufzufassen, bei dem es keine einzige universelle Eigenschaft oder Verhaltensweise gibt, über die sichalleLesben als solche definieren ließen. (Palzkill 1994, 234; Hervorhebung im Original)

Reale lesbische Existenz läßt sich nicht in Muster oder Definitionen drücken, ohne daß sie dabei Aspekte ihrer Vielgestaltigkeit verliert. Lesbischsein ist außerdem immer nur ein Aspekt der Identität, ein Charakteristikum unter vielen. Grundsätzlich halte ich es daher für richtig, den BegriffLesbeals Identitätskategorie so offen wie möglich zu halten. Das bedeutet,

„Lesbe” als ein dynamisches, unabgeschlossenes sozio-diskursives Konstrukt zu konzipieren, das es ermöglicht, eine Differenz einzufordern und zu verhandeln, ohne damit rigide Grenzziehungen und normative Subjektpositionen zu befestigen. (Engel 1996, 80)

Auch innerhalb der vorliegenden Arbeit wird das KonstruktLesbeso offen wie möglich gehalten, gleichzeitig jedoch so geschlossen wie für ein Mindestmaß an terminologischer Klarheit und Übereinstimmung nötig. Die von mir vorgenommenen Eingrenzungen verstehen sich also nur innerhalb dieses Untersuchungsrahmens. Über diesen Rahmen hinaus darf die Vielgestaltigkeit realer lesbischer Existenz nicht übersehen werden, sie ist aber in ihren Einzelzügen für die vorliegende Arbeit nicht von Bedeutung. Hier ist nur das relevant, was in den einzelnen Texten des Textkorpus auftritt. Die Kriterien, die ich innerhalb dieser Arbeit für den Begriff oder das KonstruktLesbezugrundegelegt habe, sind folgende:

Page 12

Der BegriffLesbebezeichnet eine Frau, die ihre Liebe, Zuneigung und gelebte Sexualität auf das gleiche Geschlecht richtet und somit eine umfassende Beziehung nicht mit einem Mann, sondern mit einer Frau wünscht oder lebt. Als wesentliches Merkmal einer alsLesbeoderlesbischzu bezeichnenden Frau muß also eine wie auch immer im einzelnen gestaltete soziale, emotionale und erotische Neigung dieser Frau zu Frauen gegeben sein, die eine lesbische Beziehung mit einer anderen Frau prinzipiell ermöglicht. Inwieweit eine lesbische Frau mit ihrem Lesbischsein einen politischen Standpunkt verbindet oder bewußt eine alternative Lebensform darstellen möchte, ist für die Definition innerhalb dieser Untersuchung nicht relevant. Außerdem ist es als Kriterium einer alslesbischzu definierenden Frau weder notwendig, daß diese sich selbst explizit alsLesbebezeichnet oder von anderen alsLesbebezeichnet wird, noch, daß sie ausschließlich, konsequent und konstant eine lesbische Beziehung führt. Innerhalb der vorliegenden Arbeit wird eine Frau in dem Moment, in dem sie eine lesbische Beziehung führt, auch dann alsLesbedefiniert, wenn sie vor oder nach dieser lesbischen Beziehung auch heterosexuelle Beziehungen geführt hat oder führt, also über den gesamten Zeitraum betrachtet bisexuell lebt. Wird eine lesbische Beziehung geführt, so ist diese wiederum unabhängig vom Stellenwert, den gelebte Sexualität in dieser Beziehung einnimmt: Der Begriff „lesbisch” bezeichnet eine Beziehung, in der das stärkste Gefühl und die tiefste Zuneigung einer Frau einer Frau gelten. Ob die Sexualität einen größeren oder kleineren Platz einnimmt oder aber auch gänzlich fehlt: Zwei Frauen wünschen sich, die meiste Zeit miteinander zu verbringen und die meisten Aspekte des Lebens miteinander zu teilen. (Faderman 1990, 16)

Eine Frau wird also alslesbischbezeichnet, wenn sie

über freundschaftliche, vertraute, emotionale Beziehungen hinaus auch körperliche, zärtliche Kontakte mit einer Frau pflegt oder zumindest das Bedürfnis danach verspürt. (Sasse 1995, 19)

Ebenso gilt innerhalb dieser Untersuchung, daß auch eine lesbische Frau, die ihr Lesbischsein in der Öffentlichkeit nicht offen lebt, sondern teilweise, überwiegend oder ganz versteckt, alsLesbedefiniert wird.

Page 13

1.2. „coming-out”

Der Begriff „coming-out” leitet sich von dem englischen Verbgefügeto come outab, das ins Deutsche mitherauskommenodersichtbar/bekannt/veröffentlicht werdenübersetzt werden kann. Im Zusammenhang mit Lesbischsein13bedeutet der Begriff „die Selbstentdeckung und Bejahung des eigenen Lesbischseins zunächst vor sich selbst und dann auch vor der Öffentlichkeit.” (Reinberg/Roßbach 1995, 40) In der deutschen Sprache wird der Begriff „coming-out” mit dieser Bedeutung seit Anfang der achtziger Jahre gebraucht.14

Ein „coming-out” verläuft in verschiedenen Phasen, die in der Forschung unterschiedlich bezeichnet und charakterisiert werden. Für die vorliegende Arbeit ist lediglich die Einteilung in inneres und äußeres „coming-out” von Belang. Als inneres „coming-out” wird die individuell verschieden lange Entwicklung vom Erkennen der eigenen lesbischen Gefühle bis zum Akzeptieren und Benennen des Lesbischsein vor der eigenen Person bezeichnet.15

Äußeres „coming-out” wird der Zeitpunkt genannt, an dem eine lesbische Frau ihr Lesbischsein lebt und öffentlich bekennt und sichtbar macht. Das Sichtbarmachen des eigenen Lesbischseins in der Öffentlichkeit wird auch mit dem reflexiven Verb „sich outen” bezeichnet. Ein äußeres „coming-out” bedeutet also immer ein Handeln einer Person.

Grundsätzlich können zwei Kategorien für äußeres „coming-out” erstellt werden: äußeres „coming-out” durch a) sprachliches Handeln und b) nichtsprachliches Handeln. Äußeres „coming-out” als sprachliches Handeln umfaßt alle mündlichen oder

13Diese Einschränkung erfolgt, da es in dieser Arbeit einzig um lesbisches „coming-out” geht. Der Begriff „coming-out” wird im Zusammenhang mit Homosexualität auch auf schwule Männer angewandt. Er bezeichnet darüber hinaus allgemein ein bewußtes, öffentliches Bekenntnis einer Person zu einer Sache, ist also nicht auf den Aspekt der Homosexualität beschränkt.

14Übernommen wird der Begriff „coming-out” aus den USA, wo er bereits gegen Ende der sechziger Jahre von der US-amerikanischen Homosexuellenbewegung („Gay Liberation Front”) verwendet wird. Ursprünglich bezeichnet der Begriff eine in den USA übliche Feier, die „coming-out-party”, für ungefähr vierzehnjährige Mädchen ausgerichtet, um deren Übertritt ins heiratsfähige Alter, in das Leben als Frau, öffentlich bekannt zu machen („Debütantinnenball”). Vgl. Grossmann 1981, 8.

15Dieser Prozeß kann ein bis fünf Jahre, aber auch ein Leben lang dauern. Vgl. z. B. Reinberg/Roßbach 1995, 43/44. Vgl. Reinberg/Roßbach 1995, 43-44.

Page 14

schriftlichen Äußerungen, in denen eine lesbische Frau ihr Lesbischsein direkt anspricht, umschreibt oder indirekt darauf verweist, indem sie z. B. Bezug nimmt auf lesbisch konnotierte Traditionen. Äußeres „coming-out” als nichtsprachliches Handeln ist gekennzeichnet durch gestisch-mimische Zeichen, häufig durch die Körpersprache zweier lesbischer Frauen untereinander, etwa durch Zuwerfen verliebter Blicke, Austauschen von Zärtlichkeiten oder Küssen, überhaupt durch einen sehr engen, vertrauten, zärtlichen Umgang miteinander, der Außenstehende auf eine Liebesbeziehung schließen läßt.16

Beim äußeren „coming-out” kann des weiteren näher unterschieden werden zwischen primärem und sekundärem „coming-out”. Primäre äußere „coming-outs” sind die ersten äußeren „coming-outs” einer lesbischen Frau überhaupt, die zumeist noch während des inneren „coming-outs” oder als Abschluß dieser Phase stattfinden. Sekundäre äußere „coming-outs” dagegen sind „coming-outs” einer lesbischen Frau, die schon über einen längeren Zeitraum offen lesbisch lebt und sich in ihrem Alltag bereits ein oder mehrere Male in verschiedenen Situationen als Lesbe sichtbar gemacht und somit „geoutet” hat. Beim äußeren „coming-out” ist jedoch nicht nur der Aspekt des Sichtbarmachens, sondern auch der des Sichtbarwerdens von Interesse. Für eine eindeutige Begriffsklärung innerhalb der vorliegenden Arbeit ist hierzu folgendes hinzuzufügen: Auch ein Sichtbarwerden des Lesbischseins, das von einer lesbischen Frau nicht gewollt oder beabsichtigt ist, sondern unwissentlich, versehentlich oder unfreiwillig geschehen ist, ist ein äußeres „coming-out”, solange das Handeln, das das Lesbischsein sichtbar macht, von dieser lesbischen Frau selbst ausgeht.17Weiterhin gilt, daß eine lesbische Frau nach einem äußeren „coming-out” vor anderen Personen grundsätzlich von diesen als Lesbe erkannt werden kann, weil ihr Lesbischsein sichtbar geworden ist. Unerheblich ist hierbei, ob die anderen Personen das in einem äußeren „coming-out” sichtbar gemachte Lesbischsein tatsächlich wahrnehmen und in der Frau nun eine lesbische Frau erkennen oder nicht.

16Dabei sind die Rückschlüsse, die aus diesen gestisch-mimischen Zeichen gezogen werden können, natürlich immer situationsabhängig und nicht immer eindeutig festzulegen.