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Diese Sammlung vereint zwanzig unterhaltsame Geschichten zu sehr verschiedenen Themen. Es finden sich märchenhafte, fantasievolle Texte neben solchen, die autobiografische Einblicke bereithalten. Stets vermitteln die locker und oft humorvoll geschriebenen Kurzgeschichten im Hintergrund auch manches Wissenswerte. Der Leser kann die jeweiligen Protagonisten auf Reisen begleiten und deren Abenteuer miterleben. Er sieht sich überraschenden und spannenden Szenarien gegenüber und wird sich vielleicht auch in Kindheits- und Jugenderinnerungen wiederfinden. Manche Erzählung wird den Leser nachdenklich zurücklassen, über andere wird er herzhaft lachen oder zumindest schmunzeln können. Entstanden sind die Kurzgeschichten – wie schon in der Sammlung "Schreiblust" – bei der Mitarbeit in einem Internet-Schreibforum, in dem monatlich eine Schreibaufgabe zu einem immer wieder neuen Thema gestellt wurde, die der Autor mit Fantasie ausgeführt hat.
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Seitenzahl: 152
Veröffentlichungsjahr: 2025
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Leselust
Kurze Geschichtenüber dieses und jenes
FRANCK SEZELLI
Copyright © 2025 Franck Sezellihttp://franck-sezelli.jimdo.com
Alle Rechte vorbehalten.
Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung und Vervielfältiging oder Übersetzung - auch auszugsweise oder für Trainingszwecke von KI-Software - ist nur mit schriftlicher Genehmigung des Autors gestattet
VORWORT
1 Selbst dran schuld
2 Momo
3 Nächsten Dienstag
4 Plauderei zwischen Seerosen
5 Lagerfeuer in der Chartreuse
6 Wind of Change
7 Die Bleistiftskizze
8 Krass
9 Le couple diabolique
10 Ungewöhnlicher Bädertag in Bad Kreuznach
11 Nathalies Tochter
12 Ich war neunzehn
13 Streiflichter aus dem Leben Charlys
14 Adam putzt
15 Glück und Stolpersteine – Aus dem Leben gegriffen
16 Schicksalhafte Begegnung
17 Hascherl. Ein modernes Märchen
18 Das verbotene Zimmer
19 C’est la vie!
20 Die böse Hexe
ÜBER DEN AUTOR
VOM GLEICHEN AUTOR
Nach dem Erfolg von »Schreiblust. Kurze Geschichten über dieses und jenes« präsentiere ich hier zwanzig weitere ausgewählte unterhaltsame Geschichten zu breit gefächerten Themen, die ich in den Folgejahren zuerst in verschiedenen Schreibforen zur kritischen Begutachtung vorgestellt hatte.
So entstand die Kurzgeschichte Selbst dran schuld zum Beispiel zu der Aufgabe, etwas zum Stichwort »Verlaufen« zu schreiben. Zum Thema »Nebenverdienst« habe ich Adam putzt entworfen und die Vorgabe »Charly im Wintermantel« führte mich nach entsprechenden Recherchen zu einem Jubiläums-Bädertag in Bad Kreuznach.
Weil ich in Südfrankreich wohne, ist es auch nicht verwunderlich, dass manche Geschichten in Frankreich spielen.
Während des Lesens wünsche ich Ihnen viel Vergnügen, auch beim Herausfinden, was in den Geschichten real, was autobiografisch ist und was allein meiner Fantasie entsprungen ist.
Südfrankreich im Mai 2025
Ihr Franck Sezelli
»Lukas, komm mal bitte!«, ruft Mama aus der Küche. Und gleich danach noch einmal, schon ungeduldiger: »Lukas, komm mal! Hilf mal der Mama!«
Was ist denn nun schon wieder? Nie kann ich in Ruhe spielen. Die Autos stehen doch fast alle noch so rum, ich muss sie noch ordentlich in die Schlange einreihen. Ich kann doch nicht alles so stehen und liegen lassen, bloß weil Mama das so plötzlich einfällt.
»Lukas, Lukas! Hörst du denn nicht? Du sollst zu mir kommen, wenn ich rufe!« Mamas Stimme klingt ein bisschen laut. Da gehe ich mal lieber.
»Was ist?« Ich sehe Mama am Herd stehen und in einem Topf rühren.
»Du kannst mal anfangen, den Tisch zu decken. Das Essen ist bald fertig und du bist doch schon ein großer Junge, der seiner Mama helfen kann. Papa wird auch gleich kommen. Dort auf dem Schrank habe ich schon das Geschirr herausgestellt.«
Na gut, da schaffe ich halt die Teller ins Wohnzimmer. Da fliegt vor der offenen Terrassentür ein großer Schatten vorbei. Ob das der schöne bunte Vogel ist, den wir hier schon oft beobachtet haben? Eichelhäher heißt der, glaube ich. Ich schaue nach links.
Mist, da stolpere ich und falle hin. Die Teller fliegen mir aus der Hand und krachen auf den Boden. Es klirrt schrecklich, ein Haufen Scherben liegt da und dazwischen ein Teller, der heil geblieben ist.
»Was ist da los?«, ruft es aus der Küche. »Was hast du da angestellt?«
Die Mutter kommt zur Stube herein und schlägt die Hände über dem Kopf zusammen. »Oh je! Was bist du nur für ein Trampel. Kannst du nicht einmal ein paar Teller tragen?«
Ich merke, wie mir die Tränen kommen. Ich habe das doch nicht mit Absicht gemacht. Hätte sie mich fertig spielen lassen, wären die Autos aus dem Weg geräumt gewesen. So musste ich ja drüber fallen.
»Das gute Geschirr! Wie soll ich das Madame Duval erklären? Verschwinde jetzt hier! Du bist ja zu nichts zu gebrauchen!«
Das ist so etwas von ungerecht! Madame Duval hat mich ja gern, sie wird da nicht schimpfen. Wir sind im Urlaub ja immer hier in diesem französischen Dorf im Gebirge und Madame Duval ist immer lieb zu mir gewesen.
»Das sage ich Papa, wie böse du zu mir bist«, rufe ich meiner Mutter zu und stürme aus dem Haus.
Ich glaube, Papa wollte zu unserem Freund, zu Onkel Sébastien, zu den Schafen gehen. Auch Onkel Sébastien ist immer lieb zu mir, wie auch die Bäckersfrau und die Verkäuferin im Lebensmittelladen. Eigentlich alle im Dorf. Auch wenn ich nur wenig verstehe, was sie sagen, weil sie hier in Bonac natürlich alle französisch sprechen. Aber einkaufen kann ich. Von wegen, ich bin zu nichts nütze. Das sage ich dem Papa. Ich will zu ihm …
Hier diesen Waldweg muss es hineingehen. Ich war mit Papa ja schon mehrmals bei den Schafen. Einmal hat mich Onkel Sébastien allein mitgenommen und ich durfte seine Schafe hüten. Mit seinen Hunden natürlich. Aber ich glaube, da war er mit seinen Schafen an einer anderen Stelle.
Jetzt geht es erst einmal hier entlang. Der Weg steigt etwas an und wird schmaler. Es ist, als wenn die Tannen rechts und links immer näher rücken. Ich muss mich beeilen, um Papa noch bei den Schafen zu erreichen. Nicht, dass er einen anderen Weg nach Hause, ich meine in unsere Urlaubswohnung, zurückgeht. Ich weiß gar nicht, ob es einen anderen Weg gibt. Schneller, schneller. Mist, so eine blöde Wurzel, habe ich gar nicht gesehen und mir nun das Knie aufgeschlagen. Es blutet, aber tut nicht sehr weh. Papa wird sich freuen, wenn ich ihn extra abhole. Der Weg macht so einen seltsamen Knick, links eine Felswand, rechts dichter Tannenwald. War ich schon einmal hier? Ist das nicht der richtige Weg? Nein, das muss er sein! Im Dorf bin ich doch richtig abgebogen und auf dem Waldweg ging es nirgends woanders hin.
War es keine gute Idee, alleine loszurennen? Aber Mama war doch so böse zu mir. Ich möchte zu Papa …
***
»Hallo, Liebes, ich bin zurück. Oh, das riecht ja gut. Was gibt es zum Abendessen?«
»Tobias, schön, dass du da bist, das Essen ist gleich fertig. Hast du Lukas mitgebracht?«
»Wieso Lukas mitgebracht? Der Junge war doch hier, ist nicht mit mir gegangen.«
»Lukas wollte zu dir. Ich war wohl etwas ungehalten zu ihm, habe ihn ausgeschimpft. Da ist er weggerannt und wollte zu dir, sich über mich beschweren.«
»Bei mir war er nicht. Ich war bei Sébastien, bei den Schafen. Was hat Lukas denn angestellt?«
»Zwei dieser schönen Teller sind ihm runtergefallen und zu Bruch gegangen.«
»Da hast du geschimpft? So etwas passiert halt. Da kaufen wir halt neue für Madame Duval. Wenn man vermietet, muss man mit solchen kleinen Schäden rechnen.«
»Ja, ich weiß, ich habe vor Schreck zu heftig reagiert, war etwas grob zu unserem Kleinen. Aber wo ist er bloß?«
»Er wird wohl bald zurückkommen, wenn er mich nicht antrifft. Schließlich kennt er sich doch schon hier aus. Außerdem wird es bald dunkel.«
»Das ist es ja, es wird bald dunkel. Nicht, dass er sich verlaufen hat …«
»Weißt du was? Ich gehe nochmal los, zu Sébastien. Unterwegs finde ich ihn bestimmt oder bei Sébastien. Er ist ja wie ein guter Freund für ihn.«
***
Ich müsste schon lange bei den Schafen sein und bei Papa. Aber der Weg sieht so unheimlich aus und ist so lang, wie er nie war. Dummerweise sehe ich fast gar nichts mehr, es ist schon dunkel geworden. Ist es denn schon Nacht? Oder ist es der Wald, der alles so dunkel macht? Ich setze mich dort mal auf den Baumstamm und ruhe mich aus. Meine Füße tun mir schon ein bisschen weh. Bin ich schon so lange gelaufen?
Da, es knackt ganz unheimlich. Dort in der anderen Richtung noch einmal. Eine schwarze Gestalt schleicht sich von links an. Sie will mich packen. Ich springe auf und renne davon. Aua, mein Fuß! Er ist gegen einen Stein gestoßen, beinahe wäre ich hingefallen. Da hätte mich der schwarze Mann gekriegt.
Dort – eine Lücke zwischen den dicht stehenden Bäumen, da verstecke ich mich.
Was soll ich machen? Mama hat mal erzählt, wie sich Papa hier verlaufen hatte. Er ist dann in einer Höhle in ein Wasserloch gefallen und beinahe ertrunken. Nach zwei Tagen hat ihn Onkel Sébastien gefunden. Seitdem sind sie befreundet. Am besten, ich bleibe einfach hier, nicht dass ich auch in einer Höhle lande. Vielleicht sucht mich Onkel Sébastien auch und findet mich.
Was ist das für ein Geräusch? Vielleicht ein Käuzchen? Oma hat immer erzählt, die kommen, wenn jemand stirbt. Muss ich hier im Dunkeln sterben? Ob Mama und Papa da traurig sind? Mama wäre dann selbst dran schuld! Warum ist sie nur so gemein zu mir gewesen? Das stimmt doch nicht, dass ich ein unnützer Trampel bin!
Da hinter den Bäumen schnieft etwas. Was mag das sein? Hoffentlich kein Bär. Ich rühre mich nicht. Vielleicht bemerkt er mich nicht. Papa hat erzählt, dass es hier in den Pyrenäen Bären gibt. Und auch Wölfe! – War das nicht Wolfsgeheul? Zum Glück ganz weit weg.
Ich bin so müde, muss mich hinlegen. Hier ist es weich.
***
»Habt ihr ihn gefunden?« Mit tränenverschmierten Augen stürzt Julia auf ihren Mann zu. Hinter ihm steht Sébastien und sieht traurig aus.
»Leider nein! Es ist zu dunkel geworden. Sébastien hat viele Männer im Dorf alarmiert. Gleich morgen bei Sonnenaufgang setzen wir die Suche fort. Wir finden ihn schon.«
***
Was ist das für ein Lärm? Wo bin ich? Ach so, ich habe mich im dunklen Wald verlaufen. Aber da kommen Leute. Ob die mich gesucht haben? Ich stehe auf und sehe, dass ich in einer kleinen weichen Kuhle gelegen habe. Dann rufe ich: »Hallo, hallo, hier bin ich!«
Eine Frau kommt angerannt, ich erkenne meine Mama. »Oh, mein Kleiner, mein Schatz, haben wir dich endlich gefunden. Was hast du nur gemacht? Jetzt haben wir dich endlich wieder.« Sie schließt mich mit Tränen in den Augen in die Arme und drückt mich so, dass mir die Luft wegbleibt.
Papa steht dahinter. Er freut sich auch, das sehe ich, und drückt mich an seine Brust. Viele Leute aus dem Dorf umringen mich und lachen glücklich. Nur Sébastien sehe ich nicht.
»Wo ist Onkel Sébastien? Hat er mich nicht mitgesucht?«
»Aber natürlich hat er dich mitgesucht. Gestern Abend bis in die Nacht. Dann mussten wir umkehren. Heute Morgen konnte er nicht mitkommen. Ein Wolf hat seine Schafherde angefallen. Da musste er hin.«
***
»Lukas! Lukas! Wo willst du hin?« Julia rief aufgeregt ihrem Jungen hinterher, der sich plötzlich umgedreht hatte und wie der Blitz den Weg entlangrannte.
»... zu den Schafen ... Onkel Sébastien ... wieder da bin ...« Man konnte ihn kaum verstehen, wie er das so im Laufen seinen Eltern zurückrief. Da war er schon um die nächste Biegung verschwunden.
Julia schaute Tobias erschrocken an. »Ist das nicht die falsche Richtung?«
Am Nachmittag hatte das Wetter mitgespielt. Der leichte Wind war nicht stärker geworden, wie zunächst befürchtet. Renate und Charly, die zum Apéro auf unserer Terrasse waren, sind gerade gegangen.
Während Elisabeth die Teller und Gläser ins Haus trug, legte ich die Tischdecke mit dem Olivenmuster zusammen.
»Vergiss nicht, die Schildkröte reinzubringen«, rief mir Elisabeth zu.
Als wenn ich das gute Stück draußen lassen würde, ein Geschenk von unserer französischen Freundin Danielle, deren Schwester das Keramikreptil für uns gefertigt hatte. Wir hatten schon manche Vasen, Krüge und Skulpturen von dieser Hobbykünstlerin bewundern können. Nun dient die Keramik regelmäßig als Tischtuchbeschwerer – in unserer windigen Gegend sehr zweckmäßig – und als schmückendes Accessoire im Wohnzimmer. Gleichzeitig ist sie Erinnerung an unseren Momo, die Schildkröte, die wir bei unserem Umzug mit nach Frankreich gebracht hatten und die Danielle noch kennengelernt hat.
Die paar Minuten vor dem Abendbrot saß ich auf der Couch, wischte neugierig auf dem Handy herum und stieß dabei auf eine Schlagzeile von FOCUS Online: »Schildkröte überlebt Jahrzehnte auf dem Dachboden«. Der reißerische Artikel berichtete von einer Familie in Brasilien, die nach 30 Jahren ihre seinerzeit verschwundene Rotfußschildkröte beim Entrümpeln des Dachbodens in einer Holzkiste gefunden hatte. Sie hatte die lange Zeit ohne richtiges Essen überlebt. Wahrscheinlich haben ihr kleine Insekten und Kondenswassertropfen genügt. Was für eine Anpassungsfähigkeit!
Beim Abendessen erzählte ich meiner Frau von diesem Wunder. »Wenn das nicht ein Fake ist!«, meinte sie kopfschüttelnd.
»Fraaanck, Fraaaanck«, rief da jemand mit leiser, aber seltsam durchdringender Stimme. Ich schaute mich um, konnte aber nicht klären, woher der Ruf kam.
»Hörst du das auch?«, fragte ich flüsternd meine Frau.
»Was soll ich hören?«, fragte sie zurück, ohne ihre Stimme zu senken.
Ich legte den Finger auf die Lippen und antwortete: »Da, jetzt wieder. Da ruft jemand leise nach mir.«
Elisabeth schaute angestrengt, lauschte wohl auch. Dann zuckte sie mit den Schultern. »Da ist nichts!« Sie stand auf und ließ mich im Wohnzimmer allein.
Da war es wieder, »Fraaa-aanck …«, begleitet von einem leisen Keuchen. Und noch einmal, ganz deutlich und etwas lauter: »Fraaa-aanck!«
Ich schaute wieder im Zimmer herum – und da sah ich es. Die Schildkröte auf dem Schränkchen neben dem Fernseher bewegte langsam ihren Kopf. Sie war es! Die Keramikschildkröte rief mich. Deutlich sah ich, wie ihr Maul dabei auf und zu ging. Ja, ich weiß, Schildkröten haben einen Schnabel, keinen Mund oder Maul! Egal! Und Keramikfiguren können nicht sprechen …
Aber unsere Schildkröte, die immer da auf dem Schränkchen steht, wenn sie nicht draußen die Tischdecke vor dem Wegfliegen bewahrt, die bewegte sich. Ich sah es ganz deutlich, starrte sie an. Da bewegte sich auch das linke Vorderbein, dann das rechte. Die Hinterbeine zogen nach. Die Schildkröte kam näher. Ihr Kopf streckte sich weiter aus dem Panzer, schaute nach links, dann nach rechts. Ich sah ihren faltigen Hals, die Zunge schlängelte rot aus ihrem Schnabel. Die Keramikoberfläche glänzte nicht mehr, nein, sie sah echt aus, echt – wie eine richtige lebendige Schildkröte. Ich war völlig erstarrt. Es gab keinen Zweifel mehr: Das war Momo! Momo, der vor zehn Jahren gestorben war und den ich schweren Herzens im Garten begraben hatte.
Momo fixierte mich mit seinen lebhaften Augen. »Das hättest du dir nicht träumen lassen, dass ich eines Tages wiederkomme und Rechenschaft verlange. Ihr habt mich einfach aus meiner Heimat entführt und eingesperrt.«
Ich erwachte aus meiner Trance. Das konnte ich nicht auf uns sitzenlassen. »Wir haben dein Leben gerettet! Das war auf einem Gemüsemarkt in Tunesien, wo du mit anderen in einer Kiste angeboten wurdest. Eine Suppe hätte man aus dir gemacht, wenn unsere Tochter nicht so gebettelt hätte und wir dich dem Händler abgekauft hätten.«
»Woher weißt du das? Vielleicht hätte mich auch eine süße kleine Zuleika gekauft und mich in den maurischen Bergen wieder freigelassen? Schließlich bin ich eine maurische Schildkröte.«
»Bestimmt haben wir dir dein Leben gerettet! Eine Zuleika oder ihre Mutter hätte dich in den Kochtopf gesteckt. Aber mindestens auch eingesperrt, um mit dir zu spielen.«
»Aber was war das dann ein paar Tage später? Ihr habt mich röntgen lassen …«
»So kann man das nicht sagen. Wir mussten dich schließlich irgendwo im Gepäck verstauen vor dem Heimflug. Beim Einchecken wird das Handgepäck eben durchleuchtet. Bestimmt haben die Zöllner dich für ein Fischbrötchen gehalten. Das mit dem Artenschutz haben wir erst später erfahren. Heute könnte uns die Tocher nicht mehr überreden. – Na ja, würde sie auch nicht mehr machen, mit ihren über 40 Jahren.«
»Ihr habt mich dann einfach eingesperrt!«
»Wir haben dir ein sehr großes Terrarium beschafft und haben dich viel laufen lassen. Auf dem Balkon, auch in der Wohnung. Erinnerst du dich, wie du uns immer in die Zehen beißen wolltest, vor allem, wenn wir barfuß waren?«
»Ja, ich weiß. Mein Schnabel braucht auch mal etwas Festes zum Beißen. Sonst wird er zu lang.«
»Unsere Mädchen haben dich auch gern nach draußen auf die Wiese mitgenommen. Du warst nicht dauernd im Terrarium. Einmal bist du sogar ausgerissen, obwohl wir den Kindern immer eingeschärft hatten, gut auf dich aufzupassen.«
»Die dachten, Schildkröten sind langsam. Aber hallo, das stimmt gar nicht! Ich dachte schon, ich bin wieder in Freiheit. Dummerweise haben sie mich wieder gefunden.«
»Oh ja, wir haben dich wie verrückt gesucht. Die Kleinste hat dich dann Hunderte Meter weiter gefunden, unter einem Strauch.«
»Das war ärgerlich! Ich habe mich dort wohlgefühlt.«
»Das hättest du aber nicht überlebt. Spätestens im Winter hätten dir die Krähen den Garaus gemacht.«
»Du weißt offenbar gar nicht, was Schildkröten alles aushalten. Hast du nichts von meiner Kollegin in Brasilien gehört, die 30 Jahre fast ohne Fressen ausgekommen ist?«
»Das ist etwas anderes als ein Winter mit Schnee und Frost! Deswegen dachten wir ja auch, dass es dir im Süden Frankreichs, wieder im Mittelmeerraum, gut gefallen wird.«
»Nun ja, die Temperaturen waren schon gut. Aber langweilig war es manchmal doch. Ich war ja immer allein.«
»Ich habe dir ein schönes Gelände eingezäunt, mit einer Höhle zum Verstecken, mit Steinen und einem Hügel zum Klettern. Und einem Netz über allem wegen der Möwen und streunenden Katzen. Wir hatten immer den Eindruck, dass du dich wohlfühlst.«
»Es hat mir auch gefallen, aber manchmal habe ich mir auch Gesellschaft gewünscht.«
»Entschuldige bitte, das wussten wir nicht. Es hieß immer, Schildkröten sind Einzelgänger.«
»Ja, meistens. Aber manchmal juckt es einen eben … Du verstehst?«
»Ich glaube zu verstehen. Aber woher sollten wir denn ein Weibchen für dich bekommen? Wir waren ja auch noch gar nicht lange in Frankreich, als du eines Morgens bewegungslos am Käfigzaun lagst. Du hattest dich nachts gar nicht in deine Höhle zurückgezogen wie üblich.«
»Und da habt ihr mich einfach so eingebuddelt!«
»Aber nicht doch! Wir haben dich angestupst, dich untersucht. Und dann haben wir tagelang gewartet, dich immer wieder versucht, zum Leben zu erwecken. Ich glaube, über zwei Wochen …«
Die Schildkröte wurde immer größer, bewegte sich auf einmal schnell auf mich zu, sodass ich Angst bekam, sie würde vom Schrank herunterstürzen. Mit lauter, empörter Stimme rief Momo plötzlich: »Siehst du denn nicht, dass ich gar nicht tot bin!«
Schweißgebadet fuhr ich auf und stieß mir den Kopf am Schrank, der unser Bett überbaut. Panisch blickte ich im Schlafzimmer umher, das vom Licht des Vollmonds erhellt war. Neben mir lag Elisabeth und atmete ruhig.
Nachdem sich mein wie wild schlagendes Herz beruhigt hatte, legte ich mich wieder hin.
»Ich bereite das Frühstück vor, holst du uns ein Baguette?« Eigentlich musste Elisabeth mich nicht auffordern. Das war unsere morgendliche Routine.
»Na klar, wie immer! Une tradition oder ein normales?«
»Wie du willst!«