Lesereise Obere Adria - Stefanie Bisping - E-Book

Lesereise Obere Adria E-Book

Stefanie Bisping

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Beschreibung

An den Ufern der italienischen Oberen Adria liegt die Geschichte Europas ausgebreitet wie in einem begehbaren Bilderbuch. Zugleich befinden sich hier einige der schönsten Landschaften Europas. Uralte Fischerdörfer, traditionsreiche Städte, Inselwelten, Lagunen und feinsandige Strände wechseln einander ab und locken seit jeher Literaten, Künstler, Regisseure und Erholungssuchende an die seit der Antike besiedelte Küste. Heute wird die Liebe zu ihren Landschaften von Generation zu Generation weitergegeben. Denn unzählige Deutsche und Österreicher erlebten hier mit dem ersten Blick aufs Mittelmeer den Beginn einer lebenslangen Liebe.

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Seitenzahl: 120

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Stefanie Bisping

Lesereise Obere Adria

Das Spiel des Lichts in der Lagune

Picus Verlag Wien

für Julius

Copyright © 2024 Picus Verlag Ges.m.b.H., Wien

Alle Rechte vorbehalten

Grafische Gestaltung: Dorothea Löcker, Wien

Umschlagabbildung:© Nikolay N. Antonov/Adobe Stock

ISBN 978-3-7117-1120-5

eISBN 978-3-7117-5512-4

Informationen über das aktuelle Programm des Picus Verlags und Veranstaltungen unter www.picus.at

Inhalt

Mit achtzehn

Ein Gepard am Strand und ein Verbrecher im Bergdorf: Der Weg an die Obere Adria

Zwischen den Inseln steht die Zeit

Einst führten Fischer in der Lagune von Grado ein karges Leben. Heute ist sie Naturschutzgebiet und Standort eines Museums für Pier Paolo Pasolini

Der Sommer duftet nach Pinien

Eine Liebe fürs Leben: Warum die Obere Adria für Kinder unwiderstehlich ist

Süße Sünden im Römerhafen

Antike Ruinen und ein frühchristliches Fußbodenmosaik machen Aquileia zum lohnenden Ziel. Auch Schokoladenfans können sich auf einiges gefasst machen

Die Seele bleibt am Mittelmeer

James Joyce schätzte Triest, weil es hier liberaler zuging als in Irland. Alles sollte die Hafenstadt dem trinkfreudigen Genie aber auch nicht durchgehen lassen

Hemingway fischt hier nicht mehr

Nahe seiner Mündung in die Adria liegen bunte Hausboote auf dem Tagliamento. Die Gäste teilen sich die Ruhe auf dem Wasser mit Reihern, Enten und Fröschen

Geheimnisse der Lagune

Bibione zählt zu den beliebtesten Badeorten der Oberen Adria. Heute setzt die Halbinsel mit Biosphärenreservat und Fahrradflotten auf Nachhaltigkeit und Natur

Tiramisu zum Frühstück, Prosecco jederzeit

Treviso liegt auf dem Festland, besitzt aber wie Venedig Kanäle, Brücken – und bietet zahlreiche kulinarische Genüsse

Die Lehrerin hat vier Köche

Bei Venedig liegt ein Riesenschiff: Sprachliche Urlaubsvorbereitung mit dem Smartphone

Ein Sonnenplatz im Schatten Venedigs

Cavallino-Treporti ist für Campingplätze und zwölf Kilometer Strand bekannt. Doch auch für Radler und Naturliebhaber besitzt die Halbinsel besonderen Reiz

Pasta unterm Glockenturm

Immer zog es Amerikaner nach Venedig. Auch Ezra Pound, Ernest Hemingway, Peggy Guggenheim und Donna Leon erlagen dem Zauber der Stadt

Nicht ohne meine Maske

Einst versteckten sich Venezianer hinter ihren Masken vor Gläubigern. Kostüme, Masken und Roben sind hier aber noch immer zu finden – nicht nur im Karneval

Sieben Strände, dreizehn Inseln, noch mehr Aal

Das Po-Delta und die Lagunen von Comacchio bilden eine kaum berührte Naturlandschaft mit faszinierendem Kulturerbe. Am besten lässt sie sich per Rad erkunden

Da Vincis Hafen

Cesenatico ist ein Epizentrum adriatischen Badelebens und zugleich im Herzen ein Fischerdorf mit Geschichte geblieben

Mosaiken und Meeresrauschen

Besuch bei Dante: Zwischen Ravenna und Milano Marittima verbindet sich Strandleben mit Kulturgenuss

Das Bad der Frauen

Zwei Schwestern und ihre beste Freundin sind die ersten weiblichen Strandbadbetreiber im ewig jungen Rimini

Lasst ab vom Strand

Federico Fellini, der große Sohn Riminis, hat in seiner Heimat ein multimediales Museum erhalten. Tatsächlich ist die ganze Stadt eine Fellini-Gedenkstätte

Die Autorin

Mit achtzehn

Ein Gepard am Strand und ein Verbrecher im Bergdorf: Der Weg an die Obere Adria

Es war keine Liebe auf den ersten Blick. Den Strand, weniger breit, als ich mir eine adriatische Urlaubskulisse vorgestellt hatte, bedeckten Liegen, Stühle und Sonnenschirme nahezu lückenlos. Das Meer war jenseits der dichten Bestuhlung nur zu erahnen, die Bebauung im Rücken näher als erhofft. Die Titel der Bücher, die in der Nachbarschaft gelesen wurden, waren deutlich zu erkennen. Auf dem Weg ins Wasser musste man aufpassen, sich nicht die Schienbeine an fremdem Mobiliar zu stoßen. Das war also dolce vita an der Adria. Genauer gesagt: in Misano Adriatico.

Wehmütig dachte ich an den südfranzösischen Plage de Pampelonne zwischen Ramatuelle und Saint-Tropez, wo diese Reise begonnen hatte. Goldener Sandstrand, an dem jeder seine Handtücher ausbreiten konnte, statt straff organisierter Strandbadarchitektur. Ein Gefühl von Freiheit und Weite, vergoldet von einem Schuss Glamour. Der Strand meiner Kindheit. Und der meines Lebens, so dachte ich. Dennoch hatte ich zugestimmt, die Reise in Italien fortzusetzen. Denn dort lagen die Kindheitsstrände meines Freundes, einer in der Toskana, die meisten an der Adria. Also machten wir uns, achtzehn- und neunzehnjährig, auf den Weg. Nach einer kurzen, im geparkten Auto in Monaco verbrachten Nacht querten wir die Grenze, aßen spaghetti in Ventimiglia und bohrten bald am winzigen Strand von Alassio die Zehen in den Sand. Abends saßen wir in einer Hollywoodschaukel auf der Promenade und tranken Campari. Ich erfuhr, was es mit dem coperto in Restaurants auf sich hatte, mit dem man sich Brot, Grissini und Besteck erkaufte, und lernte, dass am Spülsaum auch in Italien jeder gebührenfrei Handtuch oder Strandmatte ausrollen durfte.

Weiter ging es nach Forte dei Marmi, wo immerhin ein deutlich breiterer Strand auf uns wartete als in Alassio. Auch in diesem eleganten Badeort standen die Liegen akkurat nebeneinander aufgereiht, allerdings recht luftig. Das war auch gut so, hatte doch eine italienische Familie, die in der Nähe ein halbes Dutzend Liegen belegte, einen jungen Geparden dabei. Angeleint zwar, aber ein wenig Distanz schien dennoch erstrebenswert. Es waren noch die Achtziger, das Halten exotischer Tiere im Haus und am Strand ging als exzentrisch durch, ohne die Gemüter von Tierschützern zu erregen. Morgens deckten wir uns im alimentari mit Salami, Parmaschinken und Mozzarella fürs Frühstück ein, abends saßen wir in einer Pizzeria unter Bäumen und aßen hauchdünne, wagenradgroße Pizzen. Doch das Beste, frohlockte mein Freund, lag ja immer noch vor uns: die Adria. Wir bauten das Zelt ab, verstauten unseren Hausstand im Kofferraum, ließen die toskanische Küste hinter uns, hielten kurz in Florenz am Ufer des Arno und trieben den staubbedeckten Fiat Panda über den Apennin. Die teuren italienischen Autobahnen mieden wir und folgten steilen Serpentinen. In der Bar eines einsamen Bergdorfs hielten wir an, um uns mit caffè und panini zu stärken. An der Wand vermeldete ein dröhnender Fernseher den Tod von Rudolf Heß. Wir senkten die Stimmen, um nicht mit dem teuflischen Toten im Berliner Kriegsverbrecherknast assoziiert zu werden. Dann fuhren wir weiter durch finsteren Wald, bis mitten im Gebirge ein Wegweiser im Scheinwerferlicht aufleuchtete: »Rimini«, stand darauf.

Und nun waren wir an der Adria. Das war also das Kindheitsglück, Sand, Sonne, Fußball am Strand, piepsende Spielautomaten, neue Freunde, frittierte Tintenfischringe, lange Abende in der Stadt. Ich sah nur einen Wald aus Stühlen. Am liebsten wäre ich sofort zurück nach Frankreich gefahren. Zu weit. Doch hier schien es mir beklemmend eng. Wir beschlossen, die Küste nach Norden hinaufzufahren, anderen Kindheitsstränden entgegen, wo die Reihen der Sonnenschirme womöglich lichter wären. An einem Straßenrand stellten wir unterwegs den Panda ab und nahmen ein Boot nach Venedig. Auf der Piazza San Marco nahmen wir im Café Platz und bestellten cappuccino, der umgerechnet zehn Mark pro Tasse kostete. Trotzdem: Das hier konnte sich durchaus sehen lassen. Paläste, Marmor, Brücken, Kanäle – eine geradezu märchenhafte Szenerie mitten im trubeligen, schweißtreibenden August.

Im weiteren Verlauf dieses ersten italienischen Küstenurlaubs, in dem die Zeit keine Rolle spielte, sich vielmehr ein Tag an den anderen reihte, ohne dass ein Urlaubsende aufs Gemüt drückte, fand ich an der Grenze der Regionen Veneto und Friaul-Julisch Venetien meinen oberadriatischen Glücksort. Ganz anders als Saint-Tropez, aber ein hübsches Städtchen mit breitem Strand, das freundliche Heiterkeit ausstrahlte. Später sollte ich auch andere Adriastrände schätzen lernen. Liegen, Schatten spendende Schirme und Duschen alle dreißig Meter bedeuten schließlich auch Annehmlichkeiten, an die man sich leicht gewöhnt. Duftende Pinien, verträumte Lagunen, Fischerdörfer, seit der Zeit der Römer bewohnte Städte und ein hoch entwickelter Lebensstil machen diese Seite des Stiefels für mich noch heute, da ich längst dem ganzen Land verfallen bin, zum Inbegriff des Urlaubsglücks.

Zwischen den Inseln steht die Zeit

Einst führten Fischer in der Lagune von Grado ein karges Leben. Heute ist sie Naturschutzgebiet und Standort eines Museums für Pier Paolo Pasolini

Nie erklang der Sopran der Sängerin in der Lagune von Grado. Dabei verbrachte Maria Callas während der Dreharbeiten zu »Medea« im Sommer 1969 mehrere Wochen in der Inselwelt im äußersten Nordosten der Adria. Vierzehn Leinwandminuten entstanden, während die Crew in Grado im Hotel Argentina logierte und morgens das Städtchen in Richtung der winzigen Mota Safon verließ – Inseln werden hier mota genannt, barene die flachen Streifen Land, die aus dem Wasser ragen. Die Mota Safon spielte im Film, der recht frei der Tragödie des Euripides folgt, die Heimat des Zentauren Cheiron. Regisseur Pier Paolo Pasolini hatte das Inselchen beim Segeln mit einem Freund entdeckt, dem Maler und Autor Giuseppe Zigaina. Sofort identifizierte er es als ideale Kulisse nicht für einen Ort, sondern eine Epoche: die Antike.

Abends schwelgten die Ensemblemitglieder in Boreto al graisana, einer lokalen Spezialität, für die Fischer einst weniger edle Teile ihres Fanges verwendeten, dessen Geschmack Essig, Knoblauch und reichlich Pfeffer gnädig ummantelten. Dazu gab es Polenta. Für die verwöhnten Filmleute durften es auch Aal, Seeteufel oder Taschenkrebse sein. So nahm ein weiterer Arbeitstag, in dessen Verlauf man zumeist mit Fruchtbarkeitsriten, Zerstückelung und Rache zu tun hatte, ein versöhnliches Ende.

Dem Produzenten Franco Rossellini und Pasolini war gelungen, was andere vergeblich versucht hatten – Maria Callas zu ihrem Leinwanddebüt zu bewegen. Zuvor hatte sie mit dem Werk des Regisseurs so wenig anfangen können wie mit seinen politischen Überzeugungen. Doch trotz Hitze, Mücken und eines kolportierten Zusammenbruchs der Diva an einem drückenden Julitag war das Einvernehmen immerhin so groß, dass Pasolini seinem Star einen Ring schenkte. Dies sollte indessen keine eherechtlichen Folgen zeitigen.

Auf Mota Safon sind die Erinnerungen an diese Sommertage auch mehr als fünfzig Jahre später noch frisch. »Dies ist die Insel, auf der Pier Paolo Pasolini den Film ›Medea‹ drehte«, sagt Giorgetto Guzzon, Präsident des Gradeser Kulturvereins Graisani de Palù mit stillem Stolz. Vor ihm liegt Wasser, hinter ihm ein cason, ein Häuschen mit Schilfdach. Kaum ragt es über die Baumkronen. Kurz hinter dem cason funkelt wiederum Wasser. Mota Safon ist nur ein Flecken in der von rund dreißig Inseln und noch viel mehr Sandbänken gespickten Lagune von Grado im äußersten Nordosten Italiens. Sie ist Schutzgebiet und eines der am besten erhaltenen Feuchtgebiete im Mittelmeerraum. Neunzig Quadratkilometer misst es, zusammen mit der anschließenden Lagune von Marano umfasst das Gebiet sogar hundertsechzig Quadratkilometer Lebensraum für Fauna und Flora. Menschen hingegen müssen sich anpassen: Hochwasser schwappt in der Landschaft aus Wasserflächen, Kanälen, Sumpf und Land leicht bis an die Fensterbretter der casoni.

Guzzon öffnet die Tür zum Ein-Zimmer-Museum. Auf Schwarz-Weiß-Fotos an den Wänden sind Pasolini, Callas und Kollegen bei den Dreharbeiten auf dem Inselchen und bei abendlichen Gelagen zu sehen. Auf einem Tisch in der Ecke ist ein Pasolini-Schrein entstanden. Ein Album bewahrt Fotos und Zeitungsausschnitte, darüber hängen Porträts des Regisseurs. Alles, was noch mit den Drehtagen von einst verbindet, ist in diesem Fünfzig-Quadratmeter-Museum zusammengetragen – und dazu Angelutensilien, Öllampen, ein aus Treibholz gefertigtes Kruzifix mit einer Muschel als Heiligenschein des Gekreuzigten, ein ausgestopfter Fasan, Grappaflaschen und eine Amphore, die bei niedrigem Wasser zutage trat. Fotos aus den zwanziger Jahren dokumentieren das Leben der Lagunenfischer, die ihre Hütten nach jedem schweren Sturm neu bauen mussten. An Weihnachten, Ostern und zur Wallfahrt nach Barbano tauschten sie die Fischerkleidung gegen einen schwarzen Anzug, ein weißes Hemd, Krawatte und Hut.

»Wir wollen das Erbe bewahren und die Lagune als Lebens- und Kulturraum bekannter machen«, erklärt Giorgetto Guzzon. Lange schon hatten sie die Reste der Schilfhütten in solide Häuschen verwandelt und das größere mit Tischen, Bänken, Erinnerungsstücken und Fotos an den Wänden liebevoll ausstaffiert, halb Vereinsheim, halb Heimat- und Filmmuseum. Schließlich entstand die Idee, es der Öffentlichkeit mittels organisierter Bootstouren zugänglich zu machen. 2019, fünfzig Jahre nach der Premiere von »Medea«, kamen die ersten Gäste. Dann kam die Covid-19-Pandemie, und die eben ins Leben gerufenen Touren mussten erst einmal ausgesetzt werden. Doch schon im zweiten Corona-Sommer wurden sie unter gewissenhaften Sicherheitsvorkehrungen wieder aufgenommen.

Ein Gast war indessen schon vorher erschienen, und es war nicht sein erster Besuch: Ninetto Davoli, ein Lieblingsdarsteller Pasolinis, kehrte an den Drehort zurück. »Er war ziemlich beeindruckt«, so Guzzon. »Damals waren die Hütten ja ganz einfach.« Die Vereinsmitglieder hatten das Material einer alten Brücke hergebracht, um die Häuschen zu bauen. Alles andere aber sei kaum verändert gewesen. »Die Ruhe, das Gefühl, in einer anderen Welt zu sein, das ist ja alles noch da«, so Guzzon. Ninetto Davoli, Star vieler Pasolini-Filme, hatte seinerzeit einen Teil seiner Militärzeit im nahen Triest verbracht und daher keine Rolle übernehmen können. Doch er stahl sich oft genug an den Set, um als lokaler Assistent Pasolinis in die Geschichte von »Medea« einzugehen.

Zu Lebzeiten wurde der 1922 geborene Pasolini, der im friaulischen Dorf Casarsa unvergessliche Kindheitsferien bei den Großeltern und weitere prägende Jahre als junger Lehrer verbrachte, nicht von allen verehrt. Ein kritischer Geist, kommunistische Gesinnung und offen gelebte Homosexualität bedeuteten in den sechziger und siebziger Jahren nicht nur in Italien schweres Gepäck. Als Publizist behandelte Pasolini dazu heikle Themen wie illegale Machenschaften von Unternehmen und organisiertes Verbrechen. Am 2. November 1975 wurde er in Ostia ermordet aufgefunden. Sein mutmaßlicher Mörder wurde verurteilt, doch Umstände, Motiv und Täterschaft nie wirklich geklärt – zumal der Verurteilte später sein Geständnis erst neu formulierte und im Auftrag gehandelt haben wollte, es später komplett zurückzog und sich im Jahr 2017 durch Ableben weiteren Nachforschungen entzog.

Auf Mota Safon und in Grado steht Pier Paolo Pasolini bis heute in höchstem Ansehen. Der Mittsiebziger Guzzon, der bis zu seiner Pensionierung als Stadtgärtner tätig war, und seine Vorstandskollegen treffen sich regelmäßig, um die Insel in Ordnung zu halten, nach Hochwasser aufzuräumen und immer wieder auch ein Festmahl zuzubereiten, wie es auch Ninetto Davoli mit den sehr rüstigen Herren einnahm. Dann gibt es Salami und Schinken, Muscheln, Spaghetti Fasolarimit in Knoblauch marinierten Muscheln und zum Abschluss einen Santonego, einen Grappa auf Basis von Strandbeifuß. Die meisten von ihnen waren um die zwanzig, als Pasolini die Lagune zum Drehort erkor. Seither mag viel Wasser in die Adria geflossen sein, doch einiges ist geblieben, wie es war: das Funkeln des Meeres im Morgenlicht, die Stimmen der Wasservögel, das vernehmliche Summen der Mücken.

Anderes muss erzählt werden, um zu überdauern. Dafür sind die Herren aus dem Vorstand da. Meist stehen zwei Schilfhütten auf einer Insel; in einer wohnte man, die andere diente als Werkstatt und Materialschuppen, erklärt Oscar, der als Kraftfahrer häufig in Deutschland unterwegs war und sein Deutsch nicht vergessen hat. Eine Hütte ist so erhalten, wie sie die letzten Bewohner, eine Familie mit drei Kindern, zurückließen: eine winzige Wohnung, wenige Schritte vom Wasser entfernt.