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Ihre Liebesgeschichte steht im Drehbuch, aber die Chemie zwischen ihnen ist echt.
Vor zwölf Jahren spielten Cynthie und Jack in einem Regency-Drama ihre ersten Rollen. Am Set flogen die Fetzen, aber vor den Kameras war ihre Chemie so prickelnd, dass sie auf der Promotour für den Film eine Beziehung vorspielen mussten. Jetzt ist Cynthie eine Oscar-nominierte Schauspielerin und Jack der Star in einem Vampirdrama. Doch ihr Film von damals hat Kultstatus erreicht. Die Fans wünschen sich eine Fortsetzung und das Studio möchte diesen Wunsch erfüllen. Für zwölf Wochen treffen sich Cast und Crew von damals wieder, begleitet von einem Dokumentationsteam. Cynthie und Jack sind nicht begeistert. Doch was, wenn dieses Mal echte Gefühle im Spiel sind?
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Seitenzahl: 711
Veröffentlichungsjahr: 2025
Als Schauspielerin Cynthie Taylor ihre erste Rolle ergattert, ist sie überglücklich. Es gibt nur ein Problem: Cynthies arroganter und leider sehr gutaussehender Co-Star Jack hasst sie, und das Gefühl beruht eindeutig auf Gegenseitigkeit. Während sie hinter den Kulissen Krieg führen, sind die Funken, die zwischen ihnen sprühen, vor der Kamera unübersehbar. Das Studio hat eine Idee: Die beiden jungen Stars sollen eine Romanze vortäuschen, die die Fans begeistern und die Kinokassen füllen wird.
Dreizehn Jahre später wird ihnen dann ein überraschendes Angebot für eine Fortsetzung des Kultklassikers unterbreitet, der ihre Karrieren ins Rollen gebracht hat. Für Cynthie kommt das Angebot wie gerufen, denn ihr neuestes Projekt ist gerade geplatzt. Es gibt nur einen Haken: Sie soll ihre vorgetäuschte Beziehung mit Jack wieder aufleben lassen. Und dieses Mal wird jedes ihrer Worte von einem Dokumentarfilmteam aufgezeichnet.
Laura Wood veröffentlichte bereits erfolgreich Kinder- und Jugendbücher, bevor 2024 mit Under Your Spell ihr erster Roman für Erwachsene erschien. Sie ist promovierte Literaturwissenschaftlerin und lebt in Warwickshire mit ihrem Mann und ihrem Hund Bea. Laura liebt Reisen, Kochbücher, Herbstlaub, neue Schreibwaren, salziges Karamell und Ginger Beer.
Under Your Spell
Let’s Make a Scene
LAURA WOOD
ROMAN
Aus dem Englischen von Bettina Hengesbach
Wilhelm Heyne Verlag München
Die Originalausgabe Let’s Make a Scene erschien erstmals 2025 bei Simon & Schuster UK Ltd, London.
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Deutsche Erstausgabe 10/2025
Copyright © 2025 by Laura Wood
Copyright © 2025 der deutschsprachigen Ausgabe
by Wilhelm Heyne Verlag, München,
in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,
Neumarkter Str. 28, 81673 München
(Vorstehende Angaben sind zugleich
Pflichtinformationen nach GPSR.)
Redaktion: Anita Hirtreiter
Umschlaggestaltung: www.buerosued.de
unter Verwendung von www.buerosued.de
Satz: satz-bau Leingärtner, Nabburg
ISBN 978-3-641-31810-9V001
www.heyne.de
Für alle, die ebenfalls weichherzig und introvertiert sind, sich traurig und überwältigt fühlen. Ich hoffe, dieses Buch ist der Freund für euch, der es auch für mich war. Ich hoffe, auf diesen Seiten werdet ihr Freude, Ablenkung und einen Safe Space finden, an dem ihr alle Gefühle zulassen dürft. Ich hoffe, ihr wisst, dass wir euch genau so mögen, wie ihr seid.
Ich bin mir zu neunzig Prozent sicher, dass meine Personal Trainerin versucht, mich umzubringen, aber wenn das wirklich ihre Absicht ist, muss sie sich hinten anstellen, denn die Liste der Leute, die mich gern tot sehen würden, ist derzeit ziemlich lang.
»Hör auf, rumzuheulen wie ein Baby, und mach noch fünf Sit-ups!«, ruft Petra.
»Ich heule doch gar nicht«, stoße ich hervor und klammere mich an dem kleinen bisschen Würde fest, das mir noch geblieben ist, während ich über meine Matte krieche. »Ich schwitze. Ich glaube, sogar meine Augäpfel schwitzen. Ist das überhaupt möglich?« Ich nehme einen tiefen, zittrigen Atemzug. »Rein wissenschaftlich betrachtet, meine ich.«
»Ich bin nicht für eine Biostunde über deinen verschwitzten Körper hergekommen!«, versetzt Petra. »Ich bin hier, um dich stark zu machen! Und im Moment bist du nicht stark, sondern schwach und schlapp! Wie ein Wurm! Oder ein Salatblatt!«
Jeder Satz, der aus Petras Mund kommt, klingt so nachdrücklich, dass ich die Worte fast durch die Luft auf mich zufliegen sehe, was allerdings auch daran liegen könnte, dass ich vor Erschöpfung schon im Delirium bin.
Wie sie über mir steht, in ihrer pinken Work-out-Kleidung aus Lycra, sieht sie aus und klingt wie die gemeinste Cheerleaderin überhaupt. Petra ist klein und blond, hat perlweiße Zähne und die Haare zu einem hohen Pferdeschwanz gebunden und sieht damit wie eine serbische Prom-Queen mit dem dunklen, verkümmerten Herzen von Wednesday Addams aus. Ich liebe sie abgöttisch. Zumindest tue ich das, wenn sie nicht aktiv versucht, mich zu zerstören.
Durch die Lautsprecher singt Mary Poppins fröhlich über ein Löffelchen voll Zucker, denn Petra ist besessen von Julie Andrews, und heute war sie an der Reihe, die Musik auszuwählen. Auch wenn ich früher nicht gedacht hätte, dass Julies Repertoire der perfekte Soundtrack für ein Work-out sein könnte, muss ich mittlerweile zugeben, dass tatsächlich ein paar Knaller dabei sind.
Ich versuche, meinen Oberkörper zu einem weiteren unerträglichen Sit-up hochzustemmen, zu dem Petra mich zwingen will. »Das tut weh«, wimmere ich.
»Das Leben besteht aus Schmerz, Hoheit«, erwidert sie unbeirrt.
»Hey, ich liebe diesen Film«, sage ich so versöhnlich wie eine Geisel, die versucht, eine zwischenmenschliche Beziehung zu ihrem Entführer aufzubauen.
Sie runzelt die Stirn. »Welchen Film?«
»Das Leben besteht aus Schmerz, Hoheit«, wiederhole ich. »Ist das nicht ein Zitat aus Die Braut des Prinzen?«
»Oh.« Petra legt den Kopf schief und nickt. »Ja, den habe ich auch gesehen. Die riesige Ratte gefiel mir am besten.«
Natürlich schlägt sich diese Frau auf die Seite der überdurchschnittlich großen Nager.
»Ich schätze mal, du warst auch Team Darth Vader?«, murre ich, lasse mich mit gummiartigen Gliedern auf den Boden zurückfallen und weigere mich, auch nur noch einen Finger zu rühren.
»Sein Cape ist megacool«, erwidert sie anerkennend, bevor sie mein Bein mit dem Fuß anstupst. »Und jetzt gehen wir zu den leichten Hanteln über.«
Als ich ächze, wird ihr Grinsen nur noch breiter – wie ein Hai, der all seine Zähne zeigt. »Wir machen die Stöße und Aufwärtshaken, und du tust so, als würdest du dem Typen ins Gesicht boxen.«
Ich muss nicht erst nachfragen, um zu wissen, welchen Typen sie meint. »Okay«, stimme ich ihr zu und lasse mich von ihr auf die Füße ziehen.
Als ich ihr mit den Hanteln in den Händen gegenüberstehe und die gleiche Haltung eingenommen habe wie sie, beginne ich, meine Arme zu bewegen und über Kreuz in die Luft zu boxen.
»Das kannst du besser!« Petra ist höchstmotiviert und hüpft auf ihren Fußballen auf und ab. »Schlag ihm ins Gesicht! Verpass ihm eine auf den Mund! Und jetzt in die Eier! Brich diesem Arschloch die Nase!«
»Ja«, stoße ich hervor, während ich meine Arme im Takt von »The Lonely Goatherd« aus The Sound of Music durch die Luft schwinge. »Scheiß auf ihn.«
»So ist es richtig.« Sie nickt. »Lauter!«
»Scheiß auf ihn!«, brülle ich und stelle mir vor, wie meine Fäuste auf Shawn Hardys nervtötendes schönes Gesicht treffen.
Petra feuert mich an und stößt eine Reihe von serbischen Flüchen aus.
»Was heißt das?«, frage ich, als ich fertig bin und nach Luft schnappend meine Hände in die Hüften stemme.
Sie denkt einen Moment nach. »Es heißt so viel wie: Ich hoffe, der Donner des Himmels fickt dich so lange, bis du tot bist.«
Ich blinzele.
»In Serbien sind alle verdammt gut im Fluchen«, fügt sie stolz hinzu.
»Eindeutig.«
»Wir sind fertig für heute. Trink aber bitte noch dein Wasser, und vergiss nicht, dich zu stretchen.« Petra wirft sich ihren Pferdeschwanz über die Schulter und schaltet Julie mitten im Jodeln ab. »Heute war es schon viel besser«, lobt sie mich, während ich aus meiner Flasche trinke. »Vielleicht blamierst du dich ja doch nicht bis auf die Knochen.«
Ich beginne, die Rückseiten meiner Oberschenkel zu dehnen. »Ich weiß nicht recht.« Mit einem Mal werde ich nervös. »Bisher habe ich noch nie ein Training dieser Art gemacht. Es wird ganz schön hart werden – mir stehen noch so viele Stunden Kampfsport und Waffentraining bevor. Ich werde eine Axt schwingen müssen.«
»Cool.« Petra trinkt einen Schluck aus ihrer eigenen Flasche. »Darfst du auch einen Umhang tragen?«
»Wahrscheinlich«, erwidere ich, weil sie mich so hoffnungsvoll anschaut, und nun weiß ich endlich, was ich ihr zu Weihnachten schenken werde. »Aber sie meinten, sie wünschen sich ein muskulöseres Erscheinungsbild«, fahre ich fort und spanne meinen Bizeps an, der definitiv beeindruckender ist als noch vor ein paar Wochen. »Also steht mir noch einiges an Arbeit bevor.«
In letzter Zeit habe ich mit Petra hart trainiert, was mir nur recht war. Bis der Skandal vergessen ist, werde ich auf keinen Fall das Haus verlassen, daher war mein Heimfitnessstudio der beste Ort, um mich abzureagieren.
Als ich das Haus in L.A. gekauft habe, habe ich dem großen Trainingsraum im Keller keine große Beachtung geschenkt, obwohl der Makler vollkommen entzückt davon war. Aber wie Petra es einmal so treffend ausgedrückt hat, bin ich weder ein Naturtalent noch sonderlich motiviert, wenn es um Sport geht.
Viel mehr hat mich die helle, sonnige Küche interessiert, ebenso wie die Zimmer, die sich nicht anfühlten wie große, leere Glaskästen, sondern mir dank des englischen Revival-Baustils der 1920er-Jahre zumindest ein wenig vertraut vorkamen. Ein Anwesen in L.A. unterscheidet sich natürlich stark von einem Reihenhaus mit zwei Schlafzimmern in Wiltshire, aber dennoch erinnerte es mich eher an meine Heimat als die meisten anderen Immobilien, die ich besichtigt hatte.
Nachdem ich mehr als zwanzig Jahre ausgeklügelte Pläne geschmiedet habe, so weit wie möglich von diesem Ort wegzukommen, ärgerte es mich wahnsinnig, dass ich plötzlich Heimweh hatte.
Wie dem auch sei, der Makler sollte am Ende recht behalten, denn nun war ich extrem dankbar für den schlichten, gut ausgestatteten Raum, den ich einst als »den Kerker« bezeichnet hatte. Mich auf meine nächste Rolle in einer großen Comicverfilmung vorzubereiten, war die perfekte Ablenkung von meinem ansonsten so desaströsen Leben.
Desaströs ist vielleicht das falsche Wort. Katastrophal? Nein, was könnte schlimmer sein als eine Katastrophe? Es klingt, als könnten nur die Serben mit ihren meisterhaften Flüchen den letzten Wochen verbal gerecht werden.
Mittlerweile ist es vier Wochen her, seitdem meine Affäre mit Shawn Hardy in den Klatschspalten gelandet ist. Vier Wochen, in denen alle ihre gnadenlose Aufmerksamkeit auf mich richteten, in denen Paparazzi vor meiner Tür campierten, Schlagzeilen, die zunehmend lächerlicher wurden, tiefgründige sowie analysierende Artikel, Tweets, Briefe und E-Mails, die von Ich bin total enttäuscht von dir bis hin zu Ich wünschte, du wärst tot rangierten. Ich wurde als Schlampe, Hure und – vermutlich in Anlehnung an meinen ersten historischen Film – sündhaftes Frauenzimmer tituliert. Sogar bei Saturday Night Life gab es einen Sketch über mich – zumindest ist mir das zu Ohren gekommen. Ich habe ihn mir nicht angesehen, weil Hannah meine ganzen technischen Geräte konfisziert hat, nachdem ich die erste Woche weinend und Eis essend unter einer Decke verbracht hatte.
»Wenn man es schmelzen lässt, kann man es direkt aus der Packung trinken«, hatte ich ihr mit verwirrtem Blick und überzuckert erzählt. »Die Packung hat ja schon eine Becherform, dann muss man nicht spülen. Es ist die perfekte Methode. Meinst du, die Leute wissen davon?«
»Du spülst doch nicht mal selbst«, hatte Hannah gezischt und mir das Telefon aus der Hand gezerrt, die sich nach stundenlangem geistlosem Scrollen wie eine Kralle um das Gerät gelegt hatte.
Als hätte ich sie mit meiner Erinnerung herbeibeschworen, kommt Hannah in diesem Moment in den Raum gerauscht. »Oh, gut, du bist fertig. Gayle ist hier und will mit dir sprechen.«
Dass meine Agentin unangemeldet auftaucht … kann nichts Gutes bedeuten.
»Habe ich Zeit, um noch schnell zu duschen?«, frage ich. Petra mag nach ihrem Training nur einen leichten, ästhetischen Glanz annehmen, aber ich bin rot wie eine Tomate, und meine Haare sind zu einem verschwitzten Knäuel zusammengerafft. Was einen noch größeren Kontrast zu Hannah darstellt, die einen schicken weiten Jumpsuit trägt und mit einem perfekt geschwungenen Eyeliner und rotem Lippenstift schön geschminkt ist. Von ihrer aus Bangladesch stammenden Mutter und ihrem italienischen Vater hat sie strahlend goldene Haut und hohe Wangenknochen geerbt, mit denen sie mühelos Model hätte werden können, wenn sie – ich zitiere – »nicht auf jedem Foto blinzeln und auf Kohlehydrate schwören würde«.
»Natürlich«, erwidert Hannah hastig, denn … wie gesagt, ist mein Anblick nicht gerade hübsch. »Ich mache Gayle einen Kaffee.«
»Ich beeile mich«, verspreche ich, verabschiede mich von Petra und renne nach oben, wo ich dusche und mir eine Yogahose und einen Kaschmirpullover anziehe.
Meiner Ansicht nach kann man von Personen mit einem gebrochenen Herzen und geschädigtem Ruf nicht erwarten, dass sie etwas tragen, das keinen elastischen Bund hat. Die Tatsache, dass ich mir überhaupt die Mühe mache, einen BH anzuziehen, beweist, wie unumstößlich professionell ich bin.
»Da ist sie ja!«, begrüßt mich Gayle, als ich wieder nach unten ins Wohnzimmer komme. »Schätzchen, du siehst wunderhübsch aus.«
Wenn man bedenkt, dass ich das letzte Mal, als Gayle mich gesehen hat, in eine leere Chipstüte hyperventiliert habe (wer hat heutzutage noch Papiertüten im Haus?), bin ich mir sicher, dass mein aktueller Zustand durchaus eine Steigerung ist.
Hannah und Gayle sitzen nebeneinander auf dem hufeisenförmigen rosafarbenen Samtsofa, das in den letzten Wochen, in denen ich so deprimiert war, als mein zugemüllter Rückzugsort gedient hat – wahrscheinlich nicht ganz das, was meine Innenarchitektin im Sinn hatte –, aber im Augenblick ist es recht sauber und ordentlich. Es liegt kaum Schokoriegelpapier herum, und in den Ritzen zwischen den Sitzpolstern stecken bloß ein paar zerknüllte Taschentücher.
Gayle Salt ist eine der besten Agentinnen der Welt und repräsentiert eine ganze Schar von Filmstars, sowohl in Großbritannien als auch hier in den Staaten. Als ich sie vor dreizehn Jahren auch für mich gewinnen konnte, kam es mir vor wie ein Wunder, und an den meisten Tagen tut es das immer noch. Sie sieht aus und kleidet sich wie Iris Apfel, hat jedoch erstaunlich rote Haare, beherrscht jeden Raum, den sie betritt, und kann auf eine mehr als fünfzigjährige Karriere zurückblicken (obwohl sie nur extrem vage Angaben über ihr Alter macht, à la »Schätzchen, ich war noch ein Kind, als ich damals anfing – ich lag praktisch noch in den Windeln!«). In jeder Unterhaltung lässt sie tausend Namen fallen, aber ohne jegliche Affektiertheit, denn sie kennt nun mal einfach jeden.
»Es gibt gute und schlechte Nachrichten«, verkündet sie jetzt ohne Umschweife, direkt wie immer.
Mein Blick huscht zu Hannah. Die Frau ist meine beste Freundin, seit wir im Kindergarten waren, und normalerweise ist sie für mich wie ein aufgeschlagenes Buch, nun vereint ihre Miene jedoch eine merkwürdige Mischung aus Angst und Freude.
Dem Sofa zugewandt, lasse ich mich in einen Sessel sinken und greife nach dem Kaffee, den Hannah mir gemacht hat. »Okay. Schieß los.«
»Die schlechte Nachricht«, sagt Gayle schnell, als würde sie möglichst rasch ein Pflaster entfernen, »ist, dass dich das Studio nicht mehr bei Iron Maiden dabeihaben will.«
Ich habe gedacht, ich wäre auf alles gefasst, aber da habe ich mich getäuscht, denn jetzt stellt sich heraus, dass ich doch noch nicht ganz am Boden war, sondern es durchaus noch Spielraum nach unten gibt.
»Das Studio will … was?«, frage ich. Die Kaffeetasse wackelt gefährlich in meinen plötzlich tauben Fingern.
Gayle zuckt mit den Schultern. »Es ist ein Familienfilm, und ihnen gefallen die Schlagzeilen über dich nicht.«
»Aber … wir haben doch einen Vertrag«, gebe ich mit schwacher Stimme zu bedenken.
Ich kann einfach nicht glauben, dass das hier wirklich passiert. Meine Arbeit ist das Einzige, was mich bisher aufrecht gehalten hat, oder zumindest die Vorbereitungen auf meine Arbeit. Dass mich der Gedanke daran, am Set zu sein und tatsächlich zu drehen, mit einem Anflug von wachsender Panik erfüllt, die ich versuche, zu unterdrücken, habe ich Gayle bisher verschwiegen.
»Sie behaupten, du hättest die Moralklausel verletzt.« Gayle klingt ungeduldig. »Das ist natürlich absoluter Blödsinn, aber auf solche Leute können wir ohnehin scheißen. Wenn sie nicht die Eier in der Hose haben, um nun hinter dir zu stehen, dann willst du sowieso nicht mit ihnen arbeiten.«
»Die Moralklausel«, wiederhole ich matt. »Wegen der Affäre.«
»Kannst du bitte endlich aufhören, das Wort Affäre zu benutzen?«, unterbricht mich Hannah ungehalten.
»Warum?« Ich seufze. »Es war doch eine Affäre. Shawn ist verheiratet.«
»Aber er hat dir erzählt, er wäre getrennt.« Hannah bebt förmlich vor Wut. »Er hat behauptet, es seien schon Scheidungsanwälte eingeschaltet, dass es bereits seit Jahren vorbei sei.«
»Und ich war so blöd, ihm zu glauben.« Ich presse mir die Fäuste vor die Augen, denn ich bin zu erschöpft, um mich einer weiteren Welle aus Schuldgefühlen und Reue zu stellen. »Ich hätte es besser wissen müssen. Ich hätte … Tja, es gibt eine Menge Dinge, die ich hätte tun sollen, aber nicht getan habe.« Ich stoße zittrig die Luft aus. »Das war’s dann also? Ich bin draußen, einfach so?«
Gayle beugt sich mit einem Funkeln in den Augen vor. »Frag mich nach den guten Neuigkeiten.«
»Was sind die guten Neuigkeiten?«
»Jasmine Gallow hat sich bei mir gemeldet«, verkündet Gayle, was in der Tat mein Interesse weckt, denn Jasmine war Co-Regisseurin bei meinem ersten Film und ist diejenige, die den Kontakt zu Gayle für mich hergestellt hat. Ich habe es geliebt, mit ihr zu arbeiten.
»Hat sie ein neues Projekt?«, frage ich.
»So was in der Art«, kommt Gayles kryptische Antwort. Sie nickt Hannah zu, die mir über den zwischen uns stehenden Couchtisch hinweg ein iPad zuschiebt. Auf dem Display sehe ich das Standbild eines Videos.
Als ich auf Play tippe, bin ich überrascht, mein Gesicht zu sehen. Es ist ein Trailer für einen historischen Liebesfilm, ich kann mich jedoch nicht erinnern, ihn gedreht zu haben.
»Was ist das?«, murmele ich.
»Sieh es dir einfach an«, fordert Gayle mich ruhig auf.
Als Jack Turner-Jones’ Gesicht den Bildschirm ausfüllt, lasse ich das iPad fast fallen. »Ich … Was?«, presse ich hervor.
Da es unglaublich gut gemacht ist, brauche ich einen Moment, um zu erkennen, dass der Trailer aus Szenen von anderen Filmen, in denen ich mitgespielt habe, zusammengeschnitten wurde – eine kleine, aber hoch gelobte Adaption von Die Abtei von Northanger, ein paar Ausschnitte eines Fantasy-Streifens, in dem ich eine Prinzessin mit tragischem Schicksal verkörpert habe, und A Lady of Quality, womit damals alles begann. Auch einige Szenen von Jacks Vampirserie Blood/Lust wurden verwendet – hauptsächlich die historischen Rückblenden.
Als die Musik ihren dramatischen Höhepunkt erreicht, werden die Worte A Lady of Quality 2: Coming soon über der Szene eingeblendet, in der wir zwei uns im ersten Teil küssen. Ich spüre, wie sich mein Magen zusammenzieht.
Ein langer Augenblick der Stille folgt, und als ich die beiden Frauen, die mir gegenübersitzen, betrachte, stelle ich fest, dass sie mich erwartungsvoll anschauen.
»Ich verstehe nicht ganz«, sage ich langsam.
»Wie du weißt, ist A Lady of Quality seit letztem Jahr auf Netflix.« Gayle trommelt mit den langen Nägeln, die so spitz wie Dolche sind, auf ihr von Seide bedecktes Knie. »Und der Film steht bei den Sechzehn- bis Vierundzwanzigjährigen richtig hoch im Kurs. Auf Social Media gibt es Hunderte von diesen zusammengebastelten Trailern, Filmpostern, Fan-Collagen … Und dieser Moment bei den MTV Awards ist schon wieder viral gegangen.« Jetzt liegt erneut ein Funkeln in ihren Augen. »Es gibt eine Onlinepetition, in der die Leute eine Fortsetzung fordern, und bisher hat sie bereits mehr als hunderttausend Unterschriften. Es lässt sich immer schwer voraussagen, wann so etwas passiert – wann ein alter Film auf der Beliebtheitsskala nach oben schießt, aber im Augenblick nimmt die Sache richtig Schwung auf. Die Leute wollen mehr.«
»Den Streifen haben wir vor dreizehn Jahren gedreht«, erwidere ich. »Soll das etwa heißen, Jasmine will … eine Fortsetzung?«
»Es soll heißen, dass zumindest die Finanzierung in trockenen Tüchern ist.« Gayle klingt höchst erfreut, und das zu Recht – jeder weiß, dass die Finanzierung eines Projekts Jahre der ungewissen Verhandlungen, Verschiebungen und Enttäuschungen mit sich bringen kann.
»Netflix will die Fortsetzung, und Jasmine hat das Drehbuch seit Jahren fertig. Ehrlich gesagt, warst du der einzige Faktor, der ihr dabei im Weg stand: Du bist mit einem Mal zu berühmt und zu beschäftigt gewesen. Und ohne Cynthie Taylor gibt es keinen Film.« Sie beugt sich vor. »Aber das Drehbuch ist klasse, Cyn. Wirklich, es ist etwas ganz Besonderes. Und nun hast du plötzlich eine Lücke in deinem Kalender.«
»Sie wollen sofort mit den Dreharbeiten beginnen?« Ich komme kaum noch hinterher.
»In zwei Monaten, wenn du eigentlich am Set von Iron Maiden antreten solltest«, erklärt Gayle und wirkt dabei fest entschlossen.
»Das ist doch Wahnsinn! Es kann auf keinen Fall funktionieren.«
»Es ist nicht so verrückt, wie es klingt«, beeilt sie sich hinterherzuschieben. »Wie gesagt, das Drehbuch kursiert schon seit einer Weile. Außerdem wollen sie fast ausschließlich wieder denselben Cast und dieselbe Crew engagieren – ihr alle wart ja mit dafür verantwortlich, dass der Film so ein Publikumserfolg geworden ist –, also muss keine Zeit darauf verschwendet werden, die Produzenten davon zu überzeugen, wer wofür die ideale Besetzung ist. Und zeitlich hat sich alles besser gefügt, als sie sich hätten träumen lassen. Zudem sind auch noch die Originaldrehorte in England zugänglich, und der Rest soll im selben Studio in der Nähe von London gefilmt werden. Glaub mir, es ist Schicksal. Sogar Logan ist dabei.«
»Logan?« Ich runzele die Stirn. »Ich dachte, er arbeitet am nächsten Marvel-Film.«
Logan Gallow ist Jasmine Gallows Zwillingsbruder. A Lady of Quality war der erste und letzte Film, bei dem sie zusammen Regie geführt haben, und diese Erfahrung war … interessant. Danach hat Logan Regie bei einer Reihe von Action-Blockbustern geführt, Jasmine dagegen bei Arthousefilmen.
»Moment.« Erst jetzt fügt sich das letzte Puzzleteil ins Bild. Daran, dass es so lange gedauert hat, muss der benebelte Zustand meines Gehirns schuld sein. Als ich Hannah ansehe, schaut sie unschuldig zur Seite, bedacht darauf, bloß nicht meinem Blick zu begegnen. Ich muss mich erst beruhigen, ehe ich die alles entscheidende Frage stellen kann. »Was ist mit Jack?«
Seinen Namen auszusprechen, bringt meinen Magen erneut dazu, sich schmerzhaft zusammenzuziehen.
Wäre ich nicht mit einem Mal besonders aufmerksam, hätte ich Gayles leichtes Zögern vermutlich nicht bemerkt. »Das ist das Beste an der ganzen Sache. Er hat gerade die aktuelle Staffel seiner Serie abgedreht«, erwidert sie fröhlich. »Wenn du dabei bist, ist er es auch.«
Auf keinen Fall kann ich einen Film mit Jack Turner-Jones drehen. Ich kann nicht mal im selben Raum sein wie er.
Vor dreizehn Jahren haben wir einander geschworen, dass wir uns nie wiedersehen würden, und daran haben wir uns bisher gehalten.
Ich schließe die Augen.
Offenbar wird sich das bald ändern.
»Das ist noch nicht alles«, fährt Gayle fort.
»Natürlich nicht«, murmele ich und reibe mir die Schläfen, denn ich spüre, dass Kopfschmerzen im Anmarsch sind. Es kann schließlich nicht alles sein, wenn mein Erzfeind wieder auf der Bildfläche erscheint. Eindeutig muss es noch einen weiteren Haken geben – vielleicht eine Szene, in der ich mich erst in Honig wälzen und mich dann von einem Schwarm wütender Bienen jagen lassen muss.
Was mir übrigens lieber wäre als wieder mit Jack zusammenzuarbeiten.
»Die Finanzierung des Films ist an ein paar Bedingungen geknüpft.« Die gehetzte Art, auf die Gayle die Worte ausspricht, lässt mich hellhörig werden.
»An was für welche?«
»Nichts Alarmierendes.« Gayle nippt elegant an ihrem Kaffee. »Im Grunde sollte sogar alles zu unserem Vorteil sein.«
»Sag es mir einfach.«
Mit einem Mal verunsichert, fährt Gayle mit einem Finger über den Rand ihrer Porzellantasse. »Neben dem Film sind die Produzenten daran interessiert, noch ein anderes Projekt auf den Weg zu bringen, und zwar eine Dokumentation.«
»Eine Dokumentation?« Ich muss wirklich aufhören, ihr alles nachzuplappern, aber die Situation wird einfach immer bizarrer. Vielleicht ist ja alles nur Einbildung, und im wahren Leben liege ich immer noch auf meiner Trainingsmatte, während Petra über meinem dehydrierten, schlaffen Körper steht und schadenfroh lacht.
»Ein Behind-the-Scenes über die Dreharbeiten. Der Cast und die Crew nach dreizehn Jahren wiedervereint für eine Second-Chance-Romance – du und Jack nach so langer Zeit endlich wieder gemeinsam vor der Kamera, vor der ihr in Erinnerungen an den Film schwelgt, mit dem eure Karrieren begonnen haben. Und hinter der gesamten Produktion steht eine Schar neuer junger Fans – das liefert uns einen spannenden Blickwinkel.« Gayle klingt aufgeregt, so als wäre es längst beschlossene Sache. »Du weißt ja, wie schnelllebig die heutige Zeit ist. Die Studios können kaum mithalten. In diesem Fall können sie einfach auf einen fahrenden Zug aufspringen, und uns bringt es noch mehr Ruhm ein. Eine Win-win-Situation würde ich sagen.«
Ich sehe sie misstrauisch an. »Es soll eine Second-Chance-Romance werden?«
Gayle winkt ab, als sei das keine große Sache. »Der erste Film hatte ja ein Happy End, also muss ein Konflikt erzeugt werden. Im zweiten Teil geht es darum, dass die beiden Liebenden in der Zwischenzeit durch äußere Umstände voneinander getrennt wurden, und nun werden sie wiedervereint: älter, weiser und ein wenig verletzlicher. Es ist ein toller Plot, Cyn. Einfach wundervoll! Der Film heißt A Woman of Fire und ist eine Mischung aus Überredung und Wie ein einziger Tag. Zum Dahinschmelzen!«
Das schafft meinem Misstrauen keine Abhilfe, denn mittlerweile schrillen bei mir sämtliche Alarmglocken. »Dann … geht es in dem Film also um eine zweite Chance der beiden Hauptfiguren«, fasse ich vorsichtig zusammen.
Gayle blinzelt nicht, aber Hannah ist sichtlich unbehaglich zumute. Sie hatte noch nie ein gutes Pokerface.
»Nun«, Gayle beugt sich vor und stellt ihre Kaffeetasse mit einem entschlossenen Klappern ab, »damit kommen wir zu der anderen Bedingung. Die Thematik des Films hat die Leute im Studio natürlich zum Nachdenken angeregt. Ein früheres Paar, das wiedervereint wird … eine zweite Chance … eine junge Liebe, die erneut zum Leben erweckt wird …« Sie lässt ihre Worte mit einem bedeutungsvollen Blick im Raum schweben.
Das Herz rutscht mir in die Hose, als ich schlagartig erkenne, worauf sie schon die ganze Zeit hinauswollte. »Falls du von Jack und mir sprichst, möchte ich dich noch mal daran erinnern, dass es für uns noch nicht mal eine erste Chance gab. Es war alles nur Publicity. Und außerdem«, mein Atem geht jetzt schneller, »kann ich nicht glauben, dass du das alles überhaupt zur Sprache bringst, obwohl du weißt, wie beschissen es zwischen uns gelaufen ist.«
»Aber, aber«, tadelt Gayle. »Du weißt ganz genau, dass die Öffentlichkeit das Ganze vollkommen anders wahrgenommen hat, also kannst du es dem Produktionsteam nicht verübeln, dass sie diese Idee im Sinn haben, um den Erfolg des Films zu garantieren.« Der Blick hinter ihrer rot gerahmten Brille mit den dicken Gläsern wirkt scharfsinnig. »Eine Fake-Beziehung zwischen zwei Kollegen kann doch nicht so schlimm sein. Sie erwarten nicht mehr als ein paar öffentliche Auftritte, damit man euch zusammen fotografieren kann und sich die Neuigkeiten schnell verbreiten. Und sosehr du dich auch dagegen sträubst, du kannst nicht leugnen, dass auf der Leinwand die Chemie zwischen euch stimmte – es hat ordentlich geknistert.« Sie fächert sich mit der Hand Luft zu. »Diese Art von Feuer kann man nicht spielen.«
»So was nennt man Schauspielern«, erwidere ich. »Wir haben uns abgrundtief gehasst.«
»Mehr steckte folglich nicht dahinter?« Gayle zieht eine Augenbraue hoch, und nun bin ich es, die den Blick abwendet. »Wie dem auch sei«, fährt sie fort, nachdem sie einen Moment lang bedeutungsvoll geschwiegen hat. »Ihr zwei habt es auf jeden Fall grandios hinbekommen, den anderen etwas vorzuspielen, warum macht ihr es nicht einfach noch mal? Ihr seid beide Profis, also wisst ihr, wie so was geht.« Als sie mich plötzlich mit einem eindringlichen Blick bedenkt, ist nichts mehr von ihrer gelassenen, charmanten Art zu spüren, sondern hinter der Fassade kommt die abgebrühte Geschäftsfrau zum Vorschein. »Ganz im Ernst, Cyn, wir müssen etwas für dein Image tun. Wenn wir nicht sofort aktiv werden, ist Iron Maiden vielleicht erst der Anfang unserer Probleme. Ich biete dir einen einfachen Ausweg an.«
»Okay. Also nur um das klarzustellen …« Ich schließe kurz die Augen und lasse die mir dargelegten Tatsachen sacken. »Ich soll nicht nur mit einem Mann, den ich nicht ausstehen kann, die Fortsetzung eines dreizehn Jahre alten Films drehen, sondern wir beide sollen auch noch so tun, als würden wir eine Beziehung führen … Vor einer Dokufilmcrew, die uns auf Schritt und Tritt folgt.«
Gayle nickt.
»Eine Frage.« Nun lehne ich mich vor, stütze die Ellbogen auf die Knie und lasse das Kinn in meiner Hand ruhen, während ich forschend ihr Gesicht betrachte. »Bist du high?«
Gayle bricht in brüllendes Gelächter aus. »Na ja, ich habe meinen morgendlichen Marihuanakeks gegessen, aber das harte Zeug habe ich schon vor Jahren aufgegeben, das weißt du doch. Ich bin so clean, wie man es in Kalifornien nur sein kann, Schätzchen! Dass du Vorbehalte hast, ist verständlich, aber wenn du dir Zeit nimmst, um darüber nachzudenken, wirst du, glaube ich, zu dem gleichen Schluss kommen wie ich.« Sie erhebt sich, wobei ihre Ketten mit den klobigen Perlen laut klackern.
»Ich kann nicht glauben, dass sich Jack dazu bereit erklärt hat!«, platze ich heraus.
Gayles Miene wird sanfter. »Natürlich hat er das! Du bist Cynthie Taylor. Jeder Mann könnte sich glücklich schätzen, mit dir in einer Beziehung zu sein – selbst wenn es bloß gespielt ist. Du bist brillant, wunderschön, scharfsinnig und hast ein Talent, wie es nur einmal in jeder Schauspielerinnengeneration vorkommt.« Sie schüttelt den Kopf und verzieht empört ihre Oberlippe. »Shawn Hardy hat dich gewaltig hinters Licht geführt, dieser Scheißkerl, und dafür würde ich ihn am liebsten ohrfeigen, aber er wird nicht deine Karriere ruinieren. Nicht solange ich dich unter meine Fittiche nehme.«
Mit einem Mal treten mir Tränen in die Augen, doch ich bemühe mich, sie schnell wegzublinzeln.
»Ich habe Hannah schon eine Kopie des Drehbuchs zugeschickt.« Gayle greift nach ihrer riesigen Hermès-Handtasche. »Ich gebe dir ein bisschen Zeit, um es zu lesen und dir Gedanken zu machen, dann unterhalten wir uns noch mal darüber. Jetzt treffe ich mich mit Leo zum Lunch.« Sie verdreht die Augen. »Der Mann ist so was von anhänglich.«
Mit diesen Worten rauscht Gayle davon und lässt mich mit Hannah allein.
»Was war das denn?!«, stoße ich aus.
Hannah gibt ein keuchendes Lachen von sich. »Ich weiß.« Sie zieht ihre Füße neben sich auf das Sofa.
»Ich kann immer noch nicht fassen, was gerade passiert ist«, sage ich kopfschüttelnd. »Unglaublich, dass Gayle das Ganze für eine gute Idee hält. Und offenbar noch diverse andere Leute.«
»Na jaaa …«
»Findest du etwa auch, dass ich es tun sollte?«
Einen Moment lang zögert Hannah, dann beugt sie sich vor und fährt sich in einer ungeduldigen Geste mit der Hand durch die Haare. »Okay. Willst du die abgeschwächte Version hören, oder kann ich Klartext reden?«
Am liebsten würde ich mich in eine Decke einrollen, die Augen schließen und mich vor der ganzen Welt verstecken, aber Hannah sieht mich erwartungsvoll an.
Es hätte sich als Riesenfehler erweisen können, vor vielen Jahren meine beste Freundin als meine Assistentin einzustellen, denn es hätte auf tausend unterschiedliche Arten schiefgehen können, doch das ist zum Glück nicht eingetreten. Stattdessen hat es sich nie so angefühlt, als würde Hannah für mich arbeiten, sondern es ist genauso wie immer gewesen, seit wir Kinder waren: Wir sind ein Team, Cynthie und Hannah gegen den Rest der Welt.
Ich mag zwar diejenige sein, die vor der Kamera steht, aber Hannah ist bei jedem Schritt an meiner Seite, ist in jeden praktischen Aspekt meines Jobs involviert, organisiert mein ganzes Leben und sorgt dafür, dass ich den Verstand nicht verliere. Ohne sie könnte ich niemals das schaffen, was ich jeden Tag zustande bringe, und das wissen wir beide. Ich vertraue ihr mehr als jedem anderen Menschen auf der Welt, und das ist der einzige Grund, weshalb ich mir das anhören werde, was sie zu sagen hat, auch wenn ich den Verdacht habe, dass Gayle nicht die Einzige ist, die heute schon einen Marihuanakeks gegessen hat.
»Na schön.« Ich schnaube. »Sag mir ehrlich, was du denkst.«
Hannah bedenkt mich mit einem langen abschätzenden Blick und schürzt dabei die Lippen, als würde sie sich überlegen, wie viel ich tatsächlich vertragen kann. Schließlich nickt sie zufrieden, als hätte ich ihren Test bestanden.
»Okay.« Sie greift wieder nach ihrem iPad, tippt auf den Bildschirm und wendet ihn mir zu.
HEILIGEODERCYNDERIN?, besagt die Schlagzeile in großen Lettern. Ich stoße ein Ächzen aus.
»Ich lass dich jetzt den Artikel lesen«, verkündet Hannah entschlossen, »weil wir beide wissen, dass es Bullshit ist, und eine schlechte, erfundene Story, die nur Klicks einbringen soll, von der Realität unterscheiden können. Richtig?«
»Richtig«, bestätige ich, meine Stimme klingt jedoch zittriger, als mir lieb ist.
Nachdem Hannah eine weitere Sekunde gezögert hat, reicht sie mir ihr iPad, damit ich in Ruhe lesen kann.
Es ist vier Wochen her, seitdem die heilige Cyn mit ihrem verheirateten Regisseur Shawn Hardy abgelichtet wurde, setzt der Artikel ein.
Ich verziehe das Gesicht, denn ich hätte es nicht für möglich gehalten, aber die heilige Cyn – der schrecklichste Spitzname überhaupt – klingt in diesem veralbernden, ironischen Kontext noch fürchterlicher. Unter dem Einleitungsabschnitt sind die unscharfen Fotos von Shawn und mir zu sehen – die mein Leben völlig auf den Kopf gestellt haben. Darauf ist deutlich zu erkennen, dass wir heftig miteinander rummachen. Ich habe meinen ganzen Körper förmlich um ihn geschlungen, seine Hände ruhen auf meinem Hinterteil, und unsere Gesichter kleben aneinander. Die Tatsache, dass wir nicht in der Öffentlichkeit waren, war offenbar irrelevant, denn keiner von uns beiden hat die Drohne über uns bemerkt.
Beim Anblick der Fotos überkommt mich eine Welle der Übelkeit. Unter den Bildern steht: Die Sünden der heiligen Cyn! Cynthie Taylor, 33, und Shawn Hardy tauschen heiße Küsse aus.
Es ist nicht das erste Mal, dass ich die Fotos sehe, doch auch diesmal ertappe ich mich dabei, sie zu studieren wie eine Detektivin, die einen grausigen Tatort untersucht. Es fühlt sich an, als würde ich eine andere Person beobachten, dabei wünsche ich mir, die Frau auf den Fotos hätte gewusst, was für einen gravierenden Fehler sie begeht.
Taylor wurde nicht mehr in der Öffentlichkeit gesichtet, seit die heiße Affäre ans Licht gekommen ist, und das aus gutem Grund. Während Hardy (der die Beziehung angeblich beendet hat) sich öffentlich bei seiner Frau entschuldigt und derGQein bewegend ehrliches Interview gegeben hat, in dem er sich reumütig zeigte, hält sich Taylor verdächtig bedeckt, was zu Spekulationen darüber führt, dass die geschmähte Frau verletzt ist, weil sie öffentlich abserviert wurde. Es könnte allerdings auch mit der Tatsache zusammenhängen, dass Hardys Ehefrau – das dreißigjährige Ex-Model Karyn – im vierten Monat mit ihrem zweiten gemeinsamen Kind schwanger ist.
Ich spüre, dass mir Galle in der Kehle aufsteigt, aber ich drücke mir eine Hand an den Bauch und zwinge mich dazu, die Fassung zu wahren. »Ach, glaubst du das, ja?«, murmele ich. Ich betrachte das Foto von Shawn und seiner Frau, das kürzlich auf einem Event ihrer Wellnessmarke entstanden ist. Sie ist wunderschön und strahlt in die Kamera, und er legt ihr schützend eine Hand auf den Bauch, während er mit einem unglaublich zärtlichen Ausdruck in den Augen zu hier hinabschaut. Das ist die Ehe, die laut ihm angeblich seit Jahren beendet ist.
Während sich viele Leute sichtlich schockiert über die Geschehnisse zeigten, wiesen andere darauf hin, dass die englische Schauspielerin, die lange als Everybody’s Darling galt, schon immer eine Schwäche für Bad Boys hatte – was sich unter anderem zeigte, als sie eine On-Off-Beziehung mit dem Womanizer Theo Eliott führte, bevor dieser eine feste Beziehung mit einer anderen einging.
»O Mann!«, rufe ich. »Jetzt ziehen sie auch noch Theo in dieses Chaos mit rein?« Ich schaue zu Hannah auf, die mich mitfühlend ansieht. »Ich muss ihn anrufen«, murmele ich und nehme mir vor, dies später zu tun.
Theo und ich haben uns vor langer Zeit getrennt, und mittlerweile ist er einer meiner besten Freunde. Als die ersten Schlagzeilen die Runde machten, schickte er mir einen riesigen Schokoladenkuchen mit Vanilleglasur von meiner Lieblingsbäckerei, den die Worte SCHEISSAUFDENKERL! zierten. Ich habe gleichzeitig gelacht und geweint, während ich über den Kuchen regelrecht hergefallen bin. Es war kein Moment, auf den ich sonderlich stolz bin, aber davon hatte ich in letzter Zeit ohnehin nicht viele.
Ich zwinge mich, meine Aufmerksamkeit wieder auf das Gerät in meinen Händen zu lenken und weiterzulesen.
Da Gerüchte kursieren, dass Taylors nächstes großes Hollywoodprojekt platzen wird, sieht es so aus, als sei die turbulente Zeit für sie noch lange nicht vorbei. Quellen aus dem näheren Umfeld der Schauspielerin haben angedeutet, dass der Grund für ihren Rückzug aus der Öffentlichkeit nicht ausschließlich die Affäre ist, denn angeblich entspricht dieses impulsive Verhalten einem bekannten Muster. Familienmitglieder sollen Taylor angefleht haben, sich in eine Entzugsklinik einweisen zu lassen. Was auch immer die Wahrheit ist, es kommt nur selten vor, dass die Öffentlichkeit den dramatischen Absturz einer berühmten Person so hautnah miterleben kann. Wieder einmal zeigt sich, dass man nie weiß, was hinter verschlossenen Türen vor sich geht und dass selbst Celebritys mit tadellosem Image eine dunkle Seite verbergen können.
Für einen Moment sitze ich mit dem iPad auf meinem Schoß da. Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich in diesem Augenblick irgendetwas fühlen sollte, aber das tue ich nicht, außer einem Kribbeln in den Fingern und einem Rauschen in meinen Ohren.
»Cyn?« Hannah steht auf, hockt sich neben mir hin und nimmt meine Hände. Ihre Finger sind warm … oder vielleicht sind meine auch einfach nur kalt. Sie beißt sich auf die Lippen. »Bitte, bitte verschließ dich nicht. Ich habe dir den Artikel nicht gezeigt, um dich zu verletzen, sondern weil du nicht zulassen darfst, dass dieses Arschloch das Leben niedertrampelt, das du dir aufgebaut hast. Diese Story ist doch so weit von der Wahrheit entfernt, dass es schon verrückt ist! Du darfst dich von diesen blöden Lügen nicht kaputtmachen lassen, sondern musst dich aufraffen und zurückschlagen.«
Ihre Worte klingen sanft, rütteln mich aber wach und bahnen sich einen Weg durch meine lähmende Angst, denn sie hat recht. Als ich wieder auf den Artikel hinabschaue, spüre ich es erneut – den leisen Anflug von Wut, das kurze Aufflackern von Zorn. Und daran klammere ich mich fest.
Ich mag ein paar ausgesprochen beschissene Entscheidungen getroffen haben, doch davon werde ich mich nicht definieren lassen. Nach der ganzen Zeit und der ganzen Arbeit darf ich mich nicht ins Abseits drängen lassen, während Shawn Hardy ungeschoren davonkommt.
»Das ist doch Bullshit!« Mir ist nicht bewusst, dass ich die Worte laut ausgesprochen habe, bis Hannah meine Hand drückt.
»Ja«, ruft sie, »es ist totaler Bullshit! Also lass uns was dagegen unternehmen.«
»Okay«, erwidere ich und versuche mich anschließend sofort noch einmal an dem Wort, diesmal mit festerer Stimme. »Okay.«
Hannah erhebt sich mit einem entschlossenen Lächeln. »Gut.« Sie tippt etwas in ihr iPad ein und reicht es mir zurück. Nun starrt mich eine andere Person vom Bildschirm an. Jack Turner-Jones.
Es ist ein Foto von ihm, das vor Kurzem auf dem roten Teppich entstanden ist; darauf hat er eine Hand entspannt in seine Hosentasche geschoben, während er über irgendetwas zu lachen scheint, das ihm jemand zugerufen hat.
Er sieht wahnsinnig gut aus, das lässt sich nicht leugnen – besser sogar noch als vor dreizehn Jahren. Für seine Rolle in Blood/Lust hat er sich mehr Muskelmasse antrainiert, sodass seine Schultern breiter sind. Im Gegensatz zu früher lässt er sich mittlerweile einen attraktiven Dreitagebart stehen, der sein markantes Kinn zur Geltung bringt. Seine hellbraunen Haare sind zurückgekämmt und ein bisschen länger als damals, und um seine lebhaften blauen Augen herum haben sich derweil winzige Fältchen gebildet, die früher noch nicht da waren. Er sieht glücklich aus.
»Ich kann einfach nicht glauben, dass … Jack?« Nicht in der Lage, meinen Blick von dem Bild abzuwenden, berühre ich gedankenverloren sein Gesicht mit den Fingern. »Und du glaubst wirklich, Gayles Plan ist die richtige Vorgehensweise?«
»O ja.« Hannah kehrt wieder an ihren Platz zurück und schlägt die Beine übereinander. »Und ich verrate dir auch, warum.« Sie hat ihren Organisationstonfall angeschlagen, und ich wäre nicht überrascht, wenn sie sogar eine PowerPoint-Präsentation in Erwägung gezogen hat, mit der sie ihre Motivationsansprache untermauern wollte, sich jedoch im letzten Moment dagegen entschieden hat, um mich nicht zu überwältigen. Ich wette, sie enthielt Tortendiagramme. »Egal was in deinem Leben los war, du hattest immer den Ruf der unantastbaren englischen Rose. Elegant, bescheiden und mit dir selbst im Reinen.« Sie zählt mir die Punkte an den Fingern auf. »Und auf diesem Image basiert auch die Marke, die wir um dich herum aufgebaut haben und mit der die Leute vertraut sind.«
Ich nicke, denn so naiv bin ich nicht – in diesem Business begreift man schon nach fünf Minuten, dass es in erster Linie darauf ankommt, wie die Öffentlichkeit einen wahrnimmt. Die wahre Cynthie Taylor hat relativ wenig mit dem zu tun, was Fans und Presse sehen. Und auch wenn ich das Image, von dem Hannah spricht, nicht sonderlich mag, bedeutet das noch lange nicht, dass ich es nicht oft zu meinem Vorteil genutzt hätte. Zusammen mit Gayle und einem ganzen Team aus Publicitymanagern haben wir über die Jahre diesen Charakter erschaffen. Es klingt zynisch, ich weiß, aber ich betrachte die Sache rein geschäftlich.
»Und das ist auch der Grund, warum sich die Klatschpresse mit so einer Schadenfreude auf diesen Skandal stürzt und das Drama einfach nicht abklingt.« Hannah deutet auf das iPad. »Dich zurückzuziehen, funktioniert nicht, weil sie sich auch dazu Geschichten ausdenken und die Lücken mit irgendeinem Unsinn füllen. Stattdessen müssen sie sehen, dass du glücklich, gesund und viel beschäftigt bist.«
Das kann ich nachvollziehen. Ich nicke langsam. »Aber ist das ein guter Zeitpunkt, um mich öffentlich mit einem anderen Mann blicken zu lassen? Ich meine … besteht nicht die Gefahr, dass sie mich dann noch mehr als männermordendes Biest betrachten?« Ich schneide eine Grimasse, denn es widerstrebt mir, so denken zu müssen.
»Aber das ist ja gerade der Grund, warum Jack die perfekte Lösung ist«, erwidert Hannah ernst. »Er ist nicht nur irgendein Kerl, sondern – zumindest in den Augen der Öffentlichkeit – der Richtige für dich. Der Erste. Der, für den du eigentlich bestimmt warst. Gayle hat recht, die Presse wird sich darauf stürzen.«
Ich lasse mir die Sache kurz durch den Kopf gehen, und langsam ergibt alles auf eine besorgniserregende Art Sinn.
»Und außerdem«, fährt Hannah fort, »bekommen sie dann nicht das Bild, das sie wollen – auf dem du traurig und ausgemergelt aussiehst und einen fleckigen Jogginganzug trägst …« Sie bedenkt mich mit einem vielsagenden Blick.
»Hey, das ist ein sehr hübsches Lounge-Outfit«, protestiere ich.
»… sondern ein Bild, auf dem du glücklich wirkst und mit einem unfassbar attraktiven Mann zu sehen bist«, fährt sie unbekümmert fort, ohne auf meinen Einwand einzugehen. »Einem, dem du dreizehn Jahre lang nicht aus dem Kopf gegangen bist, weil du so verdammt toll bist, dass er nie über dich hinweggekommen ist.«
»Hmmm«, mache ich. »Ja, ich glaube dieser Teil gefällt mir ganz gut.« Ich runzele die Stirn. »Abgesehen von der Tatsache, dass es Jack ist. Warum muss es ausgerechnet er sein?«, jammere ich.
»Vielleicht ist er ja gar nicht mehr so schlimm«, erwidert Hannah diplomatisch. »Dreizehn Jahre sind eine lange Zeit.«
»Nicht lange genug«, murre ich, während ich erneut sein Bild betrachte – und diese blauen Augen mit den Lachfältchen. Mit einem Mal schlägt mein Herz schneller.
Weil ich ihn so verabscheue, rede ich mir ein.
»Es gibt aber auch ein paar Vorteile, die du noch gar nicht bedacht hast«, erklärt Hannah.
»Zum Beispiel?«
»Die Idee ist, den Cast und die Crew von damals wieder zusammenzubringen, also arbeitest du zwar mit einem Wichser, den du nicht leiden kannst, aber dafür mit sehr vielen Leuten, die du sehr schätzt.«
Darüber habe ich tatsächlich noch nicht nachgedacht. Abgesehen von Jacks Gegenwart waren die Dreharbeiten zu A Lady of Quality eine der tollsten und wichtigsten Erfahrungen meines Lebens.
»Und«, Hannah lehnt sich vor und reißt die Augen auf, »das Drehbuch ist einfach genial! Du wirst noch dankbar sein, dass du aus der Nummer mit Iron Maiden rausgekommen bist.«
»Wirklich?«, frage ich skeptisch.
»Ich habe es abgespeichert.« Hannah gestikuliert zu dem iPad in meiner Hand. »Lies es und überzeug dich selbst davon. Aber ganz ehrlich, Cyn: Gayle hat nicht übertrieben. Die Sache könnte dir echt guttun.«
»Na schön, ich werde es lesen, aber versprechen kann ich nichts.«
Hannah schmunzelt. »Ich bring dir noch einen Kaffee.«
Ich mache es mir in meinem Sessel gemütlich, schiebe ein Kissen an meinem Rücken zurecht und werfe einen letzten langen Blick auf das Foto von Jack.
Eins ist sicher: Wenn Jack Turner-Jones wieder in mein Leben tritt, wird alles nur noch komplizierter werden.
VOR DREIZEHN JAHREN
Auf keinen Fall werde ich zu meiner allerersten Leseprobe zu spät kommen. Das darf nicht passieren, ich werde es nicht zulassen. Furchtbar nervös sitze ich oben in dem doppelstöckigen Bus, der aufgrund des stockenden Verkehrs im Schneckentempo über die Piccadilly kriecht. Es ist Hochsommer und in der Londoner Innenstadt stickend heiß. Mit meiner feuchten Hand streiche ich über den zerknitterten Leinenstoff meines Rockes. Hannah und ich sind jedes einzelne Teil unserer Kleiderschränke durchgegangen, ehe wir uns für den Rock mit dem hübschen Blumenmuster und ein schwarzes T-Shirt entschieden haben. Zu diesem Zeitpunkt fand ich, dass ich in dem Outfit einen künstlerischen Boho-Vibe ausstrahle, aber nach der langen Reise bei dieser Hitze wirkt es eher so, als würde ich ein altes Geschirrspültuch tragen. Zumindest sollte aber das schwarze T-Shirt verbergen, wie verschwitzt ich bin.
Außerdem kann ich spüren, wie sich meine Haare zu allen Seiten ausdehnen, denn Feuchtigkeit richtet immer ein Chaos mit meiner dicken, nicht richtig glatten, aber auch nicht richtig gewellten Mähne an. Für einen kurzen Moment schließe ich die Augen und frage mich zum hundertsten Mal, was mich geritten hat, mir die Haare abzuschneiden.
Nun, im Grunde weiß ich, was dahintersteckte. Es war die Absicht und der fehlgeleitete Glaube, dann auszusehen wie Audrey Tautou – elfenhaft, chic, französisch. Ich habe ernsthaft angenommen, ich würde mich in die verdammte Amélie verwandeln und Leute würden mich mit Wörtern wie »spitzbübisch« beschreiben, während sie mir elegante, dünne Zigaretten anbieten, die ich daraufhin auf überaus kultivierte Art (ohne zu husten) rauchen und ihnen meine Gedanken zum Existenzialismus darlegen würde.
(In diesem erfundenen Szenario hatte ich – aufgrund meines Haarschnitts, versteht sich – begriffen, was Existenzialismus ist.)
Stattdessen ist meine Frisur ein krauses Dreieck, das droht, die Weltherrschaft an sich zu reißen.
Und der Bus bewegt sich immer noch nicht vorwärts.
Scheiße. Scheiße. Scheiße.
Ich zögere einen weiteren langen Moment, dann hebe ich die Hand und betätige die Klingel. Den Rest des Weges werde ich zu Fuß gehen, und wenn ich sage gehen, meine ich rennen. So weit ist es schließlich nicht. Immerhin habe ich noch – ich schaue auf die Uhr und schneide eine Grimasse – sieben Minuten.
Ich springe zur Tür hinaus, sobald sie sich öffnet, und sprinte – hoffentlich in die richtige Richtung – die Straße hinunter. Die Karte mit der Wegbeschreibung umklammere ich mit meiner verschwitzten Hand, wobei ich zu den unfassbar hohen Gebäuden hinaufblicke, um den Straßennamen zu suchen. Diese verdammte Stadt mit ihren verdammten riesigen Häusern und den unzähligen Passanten, die selbstbewussten Schrittes durch die Straßen marschieren, als wüssten sie ganz genau, wo alles ist.
Zu dem Zeitpunkt, zu dem ich das protzige Hotel erreiche, in dem die Leseprobe stattfinden soll, keuche ich, und meine voluminösen Haare sind ebenfalls feucht und stehen in diversen Büscheln in alle Richtungen ab. Aber ich bin angekommen; ich habe es geschafft. Ungefähr fünf Sekunden vor dem offiziellen Beginn.
Bisher habe ich die Bedeutung des Satzes »er betrachtete mich über seine Nase hinweg« nie wirklich verstanden, doch es ist genau das, was der Mann an der Rezeption tut. Ich wische mir über mein klebriges Gesicht und schenke ihm ein strahlendes Lächeln.
»Hallo«, sage ich und versuche, meine Atmung unter Kontrolle zu bringen. »Ich bin wegen der Leseprobe hier. A Lady of Quality?« Als er schweigt, blinzele ich. »Der … Film?« Das Wort kommt mir zitternd über die Lippen, denn wenn das Ganze ein eingebildetes Paralleluniversum wäre, in dem ich gefangen bin, wäre es immer noch weniger merkwürdig als die Situation, in der ich mich befinde: auf dem Weg zu einer Leseprobe für einen echten Film, in dem ich – Cynthie Taylor – der Star bin.
»Da bist du ja«, erklingt eine Stimme hinter mir.
Als ich mich umdrehe, sehe ich, dass Marion, die erste Regieassistentin, mit einem Klemmbrett auf mich zukommt. Ich habe sie bei der Audition kennengelernt, sie aber nicht mehr gesehen, seit mir die Rolle angeboten wurde.
»Hi«, stoße ich aus. »Sorry, der Bus hat im Stau gesteckt und …«
Der Blick aus ihren stahlblauen Augen zuckt zu mir, und sie legt die Stirn in Falten. »Warum hast du den Bus genommen?«, fragt sie. »Wir hätten einen Wagen schicken können.«
»Oh. Ich wusste nicht, dass das eine Option ist.«
Sie zieht die Augenbrauen zusammen. »Jasmine hat doch für dich den Kontakt zu Gayle hergestellt, oder?« Marion spricht genauso, wie sie sich bewegt – forsch und knapp, als sei sie eine viel beschäftigte Frau, die keine Zeit für irgendeinen Unsinn hat.
»Ja.« Ich schlucke, denn ich kann immer noch kaum glauben, dass die legendäre Gayle Salt mich repräsentieren will. »Ich meine, ich habe bisher noch nicht mit Gayle … Miss Salt gesprochen, aber dafür mit einem ihrer Assistenten. Wir müssen uns noch um den Papierkram kümmern, da alles so schnell ging. Ich habe den Anruf erst vor zwei Tagen bekommen …«
»Nun, dann kümmere dich schleunigst darum.« Marion packt mich am Arm und führt mich durch die opulente Lobby in einen Flur. Obwohl ich ein wenig größer bin als sie, muss ich neben ihr her trippeln wie ein kleiner Hund, um mitzuhalten. »Du musst dir so bald wie möglich eine Agentin und eine Managerin zulegen.« Für einen flüchtigen Moment wird ihre Miene sanfter. »Achte darauf, dass du ein Team an deiner Seite hast, das in deinem Sinne agiert. Die Filmbranche ist wie der Wilde Westen, da brauchst du Leute, die ganz in deinem Interesse handeln.«
»Das werde ich«, versichere ich ihr eifrig. Allein der Gedanke daran, dass es um meine Interessen gehen soll, ist aufregend.
»Gut.« Marion hat mich weiterhin fest im Griff und zieht mich mit. Als stämmige Frau Ende fünfzig mit einem Schopf grauer Haare hat sie die Energie einer Person, die mühelos ein kleines Imperium regieren könnte, eine Filmcrew sollte also erst recht kein Problem darstellen. »Da sind wir.« Sie bleibt vor einer Tür aus glänzend poliertem Holz stehen, an der nur ein kleines Messingschild darauf hinweist, dass es sich um einen Besprechungsraum handelt.
»Ich dachte, ich könnte mich vielleicht erst noch ein bisschen frisch mach…«, setze ich an, doch sie öffnet bereits die Tür und schiebt mich hinein.
»Habe sie gefunden«, verkündet Marion laut, woraufhin die leisen Gespräche, die noch bis soeben zu hören waren, abrupt enden und mir alle ihren Blick zuwenden.
O Gott, so viele Augenpaare! Der Raum ist überfüllt mit Menschen, die sich am Rand in Gruppen zusammengefunden haben und sich Tee und Kaffee einschenken. In der Mitte sind Tische in Form eines großen Vierecks aufgestellt.
Ich versuche, meinen Rock zu glätten, aber vergeblich. »Hallo, zusammen«, sage ich und hebe meine Hand zu einem halbherzigen Winken, wobei mein ohnehin schon rotes Gesicht noch heißer wird.
»Cynthie, da bist du ja!« Jasmine Gallow kommt auf mich zu, was Erleichterung in mir auslöst. Obwohl sie nicht sonderlich viel Wärme ausstrahlt, hatte ich von Anfang an den Eindruck, dass sie auf meiner Seite steht, deshalb verspüre ich den übereifrigen Wunsch, sie mit einer Intensität, die an fanatisch grenzt, zu beeindrucken.
Jasmine ist gertenschlank und hat blasse, elegante Hände, die sich lebhaft bewegen, wenn sie redet. Trotz der Hitze ist sie von Kopf bis Fuß in Schwarz gekleidet, und ihre silberblonden Haare sind zu einem strengen Zopf zurückgebunden, der ihr schmales Gesicht freigibt. Sie ist knapp über dreißig, strahlt eine ruhige Autorität aus und riecht leicht nach Zigaretten und Sandelholzparfüm. Als sie den Blick aus ihren grauen Augen über mich wandern lässt, verrät nur der leicht verkniffene Zug um ihren Mund, dass mein Erscheinungsbild … nicht gerade optimal ist.
»Komm, ich stell dich allen vor.« Im Gegensatz zu Marion packt sie mich nicht am Arm, sondern tritt lediglich einen Schritt nach vorn, denn sie weiß ohnehin, dass ich ihr folgen werde. »Wir haben den Kreis heute ziemlich klein gehalten. Cast, Regie- und Produktionsteam, Marnie vom Casting und ein paar leitende Angestellte aus unserer Abteilung.«
Sie bewegt sich im Raum umher und nennt mir unzählige Namen, die ich versuche, mir einzuprägen. Von den hier Anwesenden habe ich bisher kaum jemanden kennengelernt. Als die Schauspielerin, die eigentlich die Hauptrolle übernehmen sollte, in letzter Minute aus zeitlichen Gründen absagen musste, haben sich die Gallow-Geschwister entschieden, zu einem offenen Casting einzuladen – eine eher ungewöhnliche Vorgehensweise, die mir den Job verschafft hat.
Obwohl ich es mir mehrmals fast anders überlegt und mich nicht beworben hätte, ging am Ende alles ganz schnell. Nachdem ich mich doch dazu durchgerungen hatte, eine Szene mit der Videokamera von Hannahs Dad aufzunehmen, schickten wir die Datei über meinen klobigen Laptop ab, nicht jedoch, ohne zuvor ein Glücksritual vollzogen zu haben. Dabei verwendeten wir so viel Salbei, dass die ganze Tastatur beschmiert war und es eine Woche lang derart aus meinem Zimmer stank, dass mein Dad einen unbeholfenen Versuch unternahm, mit mir eine Unterhaltung über Drogenmissbrauch zu führen – eine ziemliche Überraschung, wenn man bedenkt, dass wir zwei normalerweise kaum miteinander sprechen, obwohl wir unter einem Dach leben.
Niemals hätte ich damit gerechnet, persönlich eingeladen zu werden, denn die einzige Schauspielerfahrung, die ich hatte, sammelte ich bei ein paar Rollen in Amateurtheaterproduktionen und der Synchronisation einer Zahnpastawerbung, was für mich bereits der Gipfel des Glamours war. Fast ein Jahr lang hatte ich gespart und Geld zusammengekratzt, um letzten Sommer an einem sechswöchigen Schauspielintensivkurs teilzunehmen, der jedoch nicht zu der A Star is Born-Erfahrung wurde, die ich mir erhofft hatte. Als ich allerdings die wenigen Seiten für die Audition las, verliebte ich mich sofort in Emilia, die Protagonistin von A Lady of Quality. Selbst dieser kleine Einblick in ihren Charakter hatte irgendetwas in mir zum Leben erweckt.
Und genau das mussten auch die Gallow-Geschwister und Marnie, die Castingdirektorin, erkannt haben, denn schon bald luden sie mich nach London ein, um persönlich vorzusprechen.
Hannah und ich kreischten hysterisch, nachdem ich den Anruf erhalten hatte, und sie schlug vor, dass wir nur noch in altmodischem Englisch miteinander kommunizieren sollten, bis die Audition vorbei war, damit es mir leichter fiel, mich in die Rolle einzufinden. (Das hatte letztendlich dazu geführt, dass mein Dad – eindeutig erschöpft von seinen vorherigen Bemühungen – mir die Broschüre einer Selbsthilfegruppe für Suchtkranke auf der Arbeitsplatte der Küche hinterließ.)
Bald nach der Solo-Audition bekam ich eine Einladung für eine Testszene mit dem Hauptdarsteller.
Apropos …
»Und Jack kennst du ja schon«, sagt Jasmine in dem Moment.
Jack Turner-Jones ist noch genauso umwerfend schön wie beim letzten Mal, als ich ihn gesehen habe. Als ich damals den Raum für das Vorsprechen betrat und ihn sah, verkrampfte sich mein Magen mit einem Mal und fühlte sich an, als wäre ich soeben durch den Looping einer Achterbahn gesaust – eine Empfindung, die sich heute wiederholt.
Er ist groß und schlank, hat hellbraune Haare, die an den Seiten kurz geschnitten, jedoch oben am Kopf länger sind, und lebhafte blaue Augen. Als Outfit hat er ein dunkles T-Shirt zu einer dunklen Jeans gewählt und sich eine schwarze Ray-Ban-Sonnenbrille in den Halsausschnitt geschoben. Am Handgelenk trägt er ein geflochtenes Lederarmband und an den Füßen teure, aber abgetragene Sneakers. Seine Zähne, die zum Vorschein kommen, als er Jasmine anlächelt, sind makellos gerade, und seine Haltung ist entspannt. Alles an ihm strahlt aus, dass er in diesen Raum gehört.
Das Lächeln, das er Jasmine schenkt, gerät ein wenig ins Wanken, als er meinen tragischen Haarschnitt sieht, doch er fängt sich schnell wieder.
»Cynthie, hi.« Seine Stimme klingt cool und ein wenig rau, scheint ein Versprechen zu enthalten, bei dem ich ganz weiche Knie bekomme.
»Schön, dich wiederzusehen.« Ich nicke und bemühe mich, vollkommen gelassen zu wirken.
In Wahrheit war Jack mit ein Grund dafür, dass ich den Mut aufgebracht habe, mein Audition-Video einzusenden. Als Sohn zweier großer Leinwand- und Theaterlegenden – Max Jones und Caroline Turner – ist es vielleicht keine große Überraschung, dass er in ihre Fußstapfen getreten ist.
Zum ersten Mal habe ich ihn auf der Bühne gesehen, als ich ein günstiges Ticket für das RSC Theatre in Stratford-upon-Avon gekauft habe, um mir die neueste Produktion von Verlorene Liebesmüh anzuschauen.
Jack spielte Berowne, und seine Darbietung nahm mich so gefangen, dass ich das Programmheft nach Informationen über ihn durchforstete. Mit zweiundzwanzig hatte er gerade seinen Abschluss an der RADA gemacht und spielte bereits Hauptrollen in der Royal Shakespeare Company – das war so beeindruckend, dass sich meine Begierde in Neid verwandelte, als ich zusah, wie er die Bühne für sich beanspruchte und das Publikum dazu brachte, an seinen Lippen zu hängen.
Im darauffolgenden Jahr ergatterte er eine kleine Rolle in einer BBC-Adaption von Charles Dickens’ Eine Geschichte aus zwei Städten, was ihn mehr ins Rampenlicht rückte, besonders bei den weiblichen Fans.
»Ebenso«, erwidert er jetzt. »Hast du gut hergefunden?« Es ist eine höfliche Frage, die er mir im Tonfall eines reichen Jungen, der eine Privatschule besucht hat, stellt.
»Ehrlich gesagt, war es der reinste Albtraum«, gebe ich zu, denn meine Nervosität macht mich redselig. »Alle Züge hatten Verspätung, weil es so heiß ist, was ich nicht mal verstehe. Ich meine, Schnee auf den Gleisen – klar, aber es ist zu sonnig, um die Züge rechtzeitig losfahren zu lassen?« Ich schüttele den Kopf. »Das britischste Problem aller Zeiten. Wusstest du, dass wir auch einen Sonderfahrplan für den Zeitraum haben, in dem die ersten Blätter im Herbst von den Bäumen fallen? Als wäre es schlichtweg unmöglich, eine effiziente Lösung dafür zu finden, was wir mit den Blättern machen, die jedes Jahr zur gleichen Zeit von den Bäumen fallen.«
Er wirkt ein wenig erschrocken über meine atemlose Tirade. »Ich glaube, das hat etwas damit zu tun, dass sich die Gleise bei Hitze ausdehnen«, erwidert er schließlich.
»Ah. Ja, das ergibt Sinn.« Ein unangenehmer Moment der Stille entsteht (was schwer zu glauben ist, wenn man bedenkt, dass ich den klassischen Zugverspätungs-Small-Talk halte). »Dann nehme ich mal an, du bist bereit loszulegen?« Ich zeige auf den Tisch.
A Lady of Quality ist seine erste Hauptrolle in einem Film, und da seine wachsende Fangemeinde und sein berühmter Name für die Finanzierung des Projekts gesorgt haben, war er von Anfang dabei. Mia Greenlake – eine Amerikanerin, die kürzlich in einem Film die junge Königin Elizabeth I. mit perfektem britischem Akzent verkörpert hatte – hatte kurz danach zugesagt. Als sich die Dreharbeiten ihres letzten Films jedoch erheblich verlängerten, war sie gezwungen, bei A Lady of Quality auszusteigen, was das Filmteam wiederum dazu gezwungen hatte, auf die Schnelle eine Schauspielerin zu casten, die kurzfristig Zeit hatte. Ich glaube, das offene Vorsprechen war eine Notlösung, die überstürzt organisiert worden war.
Er nickt. »Es war ja genug Zeit, sich vorzubereiten. Für mich jedenfalls. Bei dir ging wohl eher alles Knall auf Fall.« Obwohl sein Blick freundlich wirkt, schwingt in seiner Stimme eine Anspannung mit, die vorher noch nicht da war.
»Hmmm, kann man so sagen.«
»Unsere gemeinsame Testszene lief aber gut«, fährt Jack fort, was aus irgendeinem Grund allerdings eher klingt, als müsste er sich selbst beruhigen und nicht mich.
Meine Testszene mit ihm kam mir vor wie ein Fiebertraum, fast unwirklich. Am Ende hatten sie uns zwei Szenen mehrmals lesen lassen, während Jasmine und Logan immer wieder kryptische Dinge von sich gaben. »Lasst und das noch mal versuchen, aber … gib uns diesmal was anderes.« Und das versuchte ich zu tun.
Am Anfang brachte mich Jacks Anwesenheit aus dem Konzept, doch schon bald nahm ich ihn gar nicht mehr wahr, sondern betrachtete ihn als Edward, den reservierten jüngeren Bruder des Mannes, den Emilia heiraten soll. Nach ein paar Minuten hatte ich mich darin verloren, in dem berauschenden Gefühl, in eine andere Rolle zu schlüpfen, eine andere Person zu spielen. Ich hatte so große Freude daran, dass die Zeit wie im Flug verging. Es war schwierig, Emilias Gedanken und Gefühle abzulegen und den Raum um mich herum langsam wieder wahrzunehmen.
Alles in allem war es eindeutig gut gelaufen … So gut, dass sie mir die Rolle anboten. Ich wünschte mir nur, dass ich in diesem Moment nicht mit dem Imposter-Syndrom zu kämpfen hätte.
»Ja«, erwidere ich. »Ich glaube schon – meine Erinnerung ist ein wenig schwach, was wahrscheinlich am Adrenalin liegt.«
Er runzelt die Stirn. »Aber du bist für heute vorbereitet, oder? Ich meine, du kannst gleich loslegen?«
Ich schenke ihm ein strahlendes Lächeln. »Oh, und wie«, antworte ich, obwohl sich mein Magen immer mehr verkrampft.
Hannah hat mich mal als »peinlich selbstbewusst« beschrieben, was, wenn man darüber nachdenkt, natürlich kein Kompliment ist, jedoch stimmt. Ich habe es schon immer geliebt, im Mittelpunkt zu stehen. Mein ganzes Leben habe ich davon geträumt, professionelle Schauspielerin zu werden, und auf jede erdenkliche Art dafür gekämpft, wobei mir mein offen gestanden abgefahren ausgeprägtes Selbstbewusstsein geholfen hat, und nun ist der große Augenblick endlich gekommen. Ich habe das bekommen, was ich immer wollte … Und zum ersten Mal frage ich mich, ob ich tatsächlich dafür geschaffen bin.