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Jeder Mensch bekommt an seinem 18ten Geburtstag einen Brief von seinem Zukunfts-Ich. Ein Liebesgeständnis, ein Warnruf, ein Lebensplan - für viele wird er zur Wegweisung. Für Shaun ist er ein Rätsel. Kein Trost, keine Worte. Nur eine Liste mit Zahlen und dem Satz: "Niemals aufsuchen." Getrieben von Trotz, Wut und Neugier folgt Shaun den Hinweisen und gerät auf einen Weg, der ihn nicht nur an seine Grenzen, sondern tief in eine Verschwörung führt, die größer ist als sein eigenes Schicksal. Je weiter er reist, desto mehr beginnt er zu verstehen. Was als Trotz beginnt, wird zur Mission. Und zum Kampf gegen ein System, das Zukunft verkauft und Vergangenheit besitzt.
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Veröffentlichungsjahr: 2025
Von S. M. Spitaler-Fabry
© 2025 S. M. Spitaler-Fabry Alle Rechte vorbehalten. Dieses Buch oder Teile daraus dürfen ohne schriftliche Genehmigung des Autors nicht in irgendeiner Form reproduziert oder verbreitet wer-den, auch nicht in elektronischer Form oder durch fotomechanische Verfahren.
Erstveröffentlichung: 2025
Covergestaltung: Eigene Gestaltung
Lektorat: S. Spitaler-Fabry
Herstellung und Verlag: epubli
Widmung Ich widme jede Bemaßung meiner wundervollen Frau, die nach dem Probelesen meinte: „Schreib Meilen, Fuß, Ellen oder von mir aus Waschmaschinen, aber die messen ums Verrecken nicht in Metern.“
„Shaun,“ ruft meine Mum von unten,
„dein Brief ist da.“ Mit diesem Satz fällt mir eine unglaubliche Last von meinen Schultern. Ich seufze erleichtert auf und löse mich von meinem Schreibtischstuhl, um nach unten zu gehen. Am Fuß der Treppe sehe ich meine Mum nervös grinsend mir meinen Brief entgegenstrecken.
„Siehst du“, sagt sie,
„er ist bestimmt nur bei der Post verbummelt worden.“
„Bei keinem meiner Freunde ist er zu spät gekommen, die waren immer pünktlich, warum also bei mir ganze zwei Tage?“ meckere ich ihr entgegen, während ich ihr Stufe für Stufe näher komme.
„Es sind doch nur zwei Tage, das kann passieren. Interpretiere da nicht zu viel rein. Jetzt lies ihn erst mal in Ruhe und dann sag mir, was drin steht, ich bin schon ganz gespannt!“, antwortet sie mit einer Ruhe in der Stimme, trotz der Auf-regung. Sie überreicht mir mit einem Lächeln den Brief und geht sogleich summend in die Küche, um das Mittagessen zuzubereiten. Ein unscheinbarer Brief der Firma ChronoPoint an mich adressiert, ein Brief, der meine ganze Zukunft bestimmen wird. Ein Brief … von mir selbst. Vor gut 24 Jahren wurde in einer abgelegenen Region in Nordkanada eine Anomalie entdeckt. Forscher konnten an diesem Ort mittels elektromagnetischer Impulse eine Art Zeitresonanz erzeugen. Das war DIE Entdeckung. Zunächst konnten sie nur extrem simple Signale rückwärts durch die Zeit senden, einige Zeit später bereits aufeinanderfolgende Impulse und dann ganze Sätze mittels Morse-Code. Es war den Menschen gelungen Nachrichten in die Vergangenheit zu schicken. Schier unbegrenzte Möglichkeiten haben sich plötzlich aufgetan.
Komplexere Daten wie Bilder, Sprache oder gar DNA sind allerdings gänzlich in sich zerfallen, nur die simpelsten binären Impulse waren stabil genug für den Transport. Anfangs wurde viel experimentiert, inwieweit sich die Vergangenheit damit beeinflussen lässt. Damit konnte der dritte Weltkrieg beendet werden, bevor er überhaupt angefangen hat. Der Durchbruch kam dann, als ChronoPoint die Kommunikation publik machte. Anfangs hat sich die Firma ihre Nachrichten fürstlich bezahlen lassen, einige Zeit später jedoch beschlossen sie weltweit zu expandieren und die Technologie für jedermann zugänglich zu machen. Mittlerweile steht in jeder größeren Stadt ein Terminal von ChronoPoint. Gegen eine geringe Servicegebühr darf jeder Mensch EIN MAL in seinem Leben eine Nachricht an sein früheres ich schicken. Der Mensch ist mit Vollendung seines achtzehnten Lebensjahres offiziell erwachsen und in der Lage, lebenswichtige Entscheidungen selbst zu treffen. Nur passend, dass der achtzehnte Geburtstag gewählt wurde, an dem einem die Nachricht aus der Zukunft überreicht wird. Es ist immer ein kleines Highlight, wenn junge Erwachsene ihren Brief erhalten, manche zelebrieren das Ganze sogar mit großen Feiern mit Freunden und der Familie. In meinem Freundeskreis waren nur wenige, die das Ganze groß aufgezogen haben und um ehrlich zu sein, ich verstehe gar nicht, warum überhaupt so ein Drama deswegen veranstaltet wird. Schließlich betrifft mein Brief nur mich und nicht die Leute um mich herum. Die meisten bekommen lange Texte, in denen sie sich selbst mitteilen, wann, wo und wie sie ihre große Liebe treffen und was sie tun müssen, um eben jene zu gewinnen. Andere sind eher karriereorientiert und geben sich selbst Tipps, welche Entscheidungen gut und welche weniger gut waren. Und dann ist da mein Brief. Auf dem Weg ins Wohnzimmer habe ich den Brief beiläufig geöffnet. Die erste Seite ist ein formelles Schreiben des Absenders. Lediglich wieso ich diesen Brief erhalten habe und, dass er aus der Zukunft von mir selbst kommt steht darauf, doch die eigentliche Nachricht auf der zweiten Seite, welche mich interessiert, hat mich an Ort und Stelle erstarren lassen.
65.01794725807333 -122.80203356400988 66.6117182892182 -127.17426911069664 67.7431680040013 -124.12404679033114 69.73422634060714 -129.90049269073398 69.58819464933477 -139.1322074210922 69.50477940550711 -143.86200713650726 69.2054340035697 -143.82085406767376
NIEMALS AUFSUCHEN!
<Ist das ein schlechter Scherz? Erst kommt mein Brief zwei Tage zu spät, was, soweit ich weiß, noch nie vorgekommen ist und jetzt das? Was sind das überhaupt für Zahlen? Und die einzigen Worte darunter: ´Niemals aufsuchen!´> Eine innere Wut kocht in mir hoch,
<Ich wurde betrogen!>, hallt es in meinem Kopf,
<Eigentlich interessieren mich diese Briefe nicht die Bohne, aber DAS ist eine Frechheit!> Meine Mum kam mittlerweile aus der Küche zu mir und legt aufgeregt ihre Hand auf meine Schulter:
„Na? Das, was du dir vorgestellt hast?“, höre ich sie sagen. Ich schrecke herum und sehe meiner Mum mit entsetzter Miene ins Gesicht:
„Ich habe mir alles Mögliche vorgestellt, aber das hier muss ein schlechter Scherz sein, den sich jemand mit mir erlauben will!“
„Wieso, ist es so schlimm?“
„Schlimm?! Es ergibt überhaupt keinen Sinn! Sieh selbst!“ Ich drücke ihr den Brief auf die Brust und stürme aus dem Raum, die Treppe hoch und schmeiße mich wutentbrannt auf mein Bett. Mein Smartphone vibriert irgendwo unter meinem Kissen und signalisiert mir eine neue Nachricht.
<Warum nur? Warum bekomme ausgerechnet ich so einen Witz?>, denke ich mir und wühle mit meiner Hand unter dem Kissen, um nach meinem Telefon zu suchen.
<Vielleicht hat Rick was damit zu tun, er spielt mir regelmäßig irgendwelche Streiche!> Eine neue Nachricht,
<Na, wenn man vom Teufel spricht.>
-Hey Shaun, ist dein Brief endlich angekommen? Der von Susan kam gerade an und da dachte ich, deiner war vielleicht auch mit dabei?- Susan, Rick´s Schwester, wird heute achtzehn und bei ihr kam der Brief pünktlich.
-Das Gleiche wollte ich dich auch grad fragen, du hast dich mit dem Anschreiben wirklich selbst übertroffen, hab es dir für eine Sekunde echt abgekauft, du Arsch!- Tippe ich wütend auf dem Display und schicke die Nachricht ab.
-Bro, sowas würd ich nie machen! Du weißt, wie wichtig die Briefe sind, bei sowas würd ich dich nie verarschen! Hast du deinen jetzt also bekommen oder nicht? Was steht drin?- antwortet er mir und ich bin mir nicht wirklich sicher, ob ich ihm glauben soll, oder ob er hier eine richtig miese Intrige führt. Noch bevor ich eine Antwort eintippen kann, kommt meine Mum in mein Zimmer, sieht mich gefühlvoll an und spricht mit gedämpfter Stimme:
„Shaun, ich kann mir vorstellen, wie du dich fühlst, aber Kopf hoch, vielleicht hast du in der Zukunft gute Gründe, warum du den Brief so verfasst hast.“ Ich setze mich auf und sehe ihr ausdruckslos in die Augen. Sie gibt reicht den Brief und meint:
„Denk nicht zu viel drüber nach, das Essen ist gleich fertig und du kannst dich ablenken, indem du den Tisch deckst.“ Sie zwinkert mir zu und geht wieder nach unten, um nach dem Essen zu schauen. Ich schaue auf mein Smartphone, entschließe mich jedoch, es erst mal sein zu lassen und mache mich auf, den Tisch zu decken. Wir haben keine besonders großes Haus. Wir sind auch nicht wirklich vermögend, aber das ist auch kein Wunder, da meine Mum alleinerziehend ist. Mein Dad ist vor vier Jahren gestorben, einfach weil er zur falschen Zeit am falschen Ort war. Ich dachte immer, dass eine Bank nur in Filmen ausgeraubt wird und dann immer von super organisierten Banden, doch dem ist nicht so. Wie wir von der Polizei und später aus den Medien erfahren haben, ist ein unbekannter Mann mitten am helllichten Tag in die Canadian County Bank reinspaziert, nahm sich eine Geisel und stellte Forderungen. Natürlich war die Geisel mein Dad und nachdem der Dieb bekommen hatte, was er wollte, erschoss er grundlos die Geisel.
<Wieso mein Dad? Und wieso muss es sowas überhaupt in der Welt geben? Sollten die Briefe einen nicht vor solch dummen Entscheidungen warnen?. Und er wollte nicht einmal Geld, er wollte nur einen Schlüssel für ein unscheinbares Schließfach haben. Was in aller Welt kann so wichtig sein, dass man dafür bereit ist, jemanden zu töten?> Eine Mischung aus Trauer und Wut macht sich in mir breit, während ich das Geschirr auf den Tisch stelle. Meine Emotionen werden ausdruckslos beiseite geschoben, schließlich muss ich für meine Mum da sein, ich muss für sie stark sein.
„Hackbraten, dein Lieblingsgericht“, sagt sie mit einem herzwärmenden Lächeln und bei dem Anblick macht sich tatsächlich eine angenehme Wärme in mir breit. Wir reden normalerweise kein Wort beim Essen, schließlich ist kauen und reden nicht die beste Kombination, aber heute ist es anders. Mum ist beinahe mehr fixiert auf meinen Brief als ich, aber eher, um ihn mir schön zu reden.
„Mein Brief war damals einzig und allein da, damit ich deinen Vater kennenlernen konnte. Er war so ein toller Mann. Vielleicht sind diese Zahlen bei dir nicht einfach nur willkürliche Zahlen, vielleicht steckt mehr dahinter, als du glaubst.“ Bringt sie zwischen kauen und schlucken noch heraus. Ich sehe sie etwas ausdruckslos an, schlucke mein letztes Stück Essen herunter und entgegne ihr, dass ich keinen blassen Schimmer habe, was diese Zahlen zu bedeuten haben.
„Dann weißt du es einfach jetzt noch nicht. Aber da du diese Zahlen eh niemals aufsuchen sollst, ist es im Moment auch gar nicht so wichtig, was sie bedeuten.“
„Vielleicht hast du Recht“, drücke ich gedämpft unter der Serviette hervor, mit der ich mir gerade die Mundwinkel abwische, um sie anschließend zerknüllt auf meinen Teller zu legen. Ich helfe noch beim Abwasch bevor ich wieder in meinem Zimmer verschwinde. Der restliche Tag verläuft beinahe wie jeder andere. Mum ist in den Haushalt vertieft und bereitet sich dann auf ihre Schicht im Krankenhaus vor. Ich habe Rick nochmal zurückgeschrieben, dass wir das Thema erst mal auf Eis legen sollen und habe ihn gefragt, ob er noch vorbeischauen will um eine Runde zu zocken und zu quatschen. Es dauert nicht lange, da steht Rick auch schon vor der Haustür und meine Mum, die sich gerade aufs Gehen vorbereitet hat, öffnet die Tür.
„Guten Abend, Miss McKinley“, sagt Rick in einem freundlichen Ton.
„Ach hallo Rick, Shaun ist oben, geh´ ruhig rein, ich muss gleich los“, entgegnete sie ihm hektisch, rief noch ein schnelles
„Ich bin dann weg, passt auf euch auf!“ nach oben und läuft Richtung Auto. Rick kommt die Treppe hoch gestapft und schlendert in mein Zimmer.
„Und alles klar bei dir?“ Grinst er mir entgegen.
„Klar, könnte nicht besser sein“, sage ich ironisch über meine Schulter hinweg und starre dann weiter auf meinen Monitor.
„Was ziehst du dir denn wieder rein, planst du einen Ausflug?“ Ich drehe mich um und schaue jetzt Rick direkt an. „Ausflug? Wie kommst du denn auf den Mist?“
„Na, die Koordinaten da, oder wofür sind die denn sonst gut?“ Rick zeigt auf den Brief mit den Zahlen, den ich auf meinem Schreibtisch unter einigen losen Zetteln halb begraben habe.
<Koordinaten?>, schießt es mir durch den Kopf und ich starre mit zusammen gekniffenen Augen auf den Brief.
<Könnten das wirklich Koordinaten sein?> Hastig schließe ich mein Spiel und öffne den Browser, um die Theorie zu kontrollieren. Ich tippe die Zahlen ein und drücke Enter. Eine gefühlte Ewigkeit später wird mir ein Ort nicht all zu weit von mir angezeigt. Meine Augen kleben förmlich auf dem Monitor und eine unbeschreibliche Leere macht sich in meinem Kopf breit.
<Das sind wirklich Koordinaten?>, mein Gehirn versucht verzweifelt zu begreifen, was das zu bedeuten hat. Warum bekomme ich Koordinaten? Was ist an diesen Orten? Warum darf ich sie unter keinen Umständen aufsuchen? Jede Koordinate wird von mir überprüft und ich stelle fest, dass die meisten dieser Orte mitten im Nirgendwo sind.
<Wo ist der Zusammenhang?>, frage ich mich angestrengt. Ich zucke zusammen, als Rick mir seine Hand auf die Schulter legt, um einen besseren Blick auf den Monitor erhaschen zu können. Er schaut ebenfalls fragend hin und versucht zu erraten was das für ein Ort ist.
„Das ist ja irgendwo im Nirgendwo, was soll da sein?“ „Wenn ich das wüsste… Aber scheinbar ist der Ort gefährlich, wenn ich mich selbst davor warne…“ entgegne ich ihm und schiebe dabei seine Hand von meiner Schulter. Wir schauen uns einige Sekunden lang an, bis Rick unbeeindruckt abwinkt: „Mitten in der Pampa ist nichts interessantes, also gibt es auch gar keinen Grund, da nachzuhaken. Somit hast du dein Ziel schon erreicht, oder?“
„Wenn du meinst…“ kommt es aus mir heraus und meine Gedanken driften ab, versuchen logische Schlüsse zu ziehen aus dem Ganzen, aber schließlich gebe ich auf.
„Lass ‘ne Runde zocken, das ist bedeutend interessanter als die eiskalte Einöde da im Norden“, sagt Rick mit einer Vorfreude in der Stimme und schnappt sich einen Controller. Der Abend verläuft nicht besonders spektakulär, einige Runden an der Konsole, zwei bestellte Pizzen und bedeutungslose Konversationen. Wie sonst üblich, doch langsam macht sich in meinem Hinterkopf ein Gedanke unbemerkt breit. Es ist mittlerweile spät geworden und ich habe Rick gerade verabschiedet, doch Mum kommt erst in ein paar Stunden zurück. Während ich die Treppe hochlaufe, um mich erschöpft in mein Bett zu werfen, kreisen meine Gedanken.
<Was ist an diesen Orten?> Es ist Montag, Alltag kehrt ein. In der Uni versuche ich mich einigermaßen abzulenken, doch der Brief schwirrt mir ständig im Kopf herum. Natürlich nerven mich zusätzlich meine Freunde, wie es denn jetzt mit meinem Brief ausschaut, da er ja nicht wie sonst pünktlich am Geburtstag ankam. Es fällt mir schwer dem Dozent zu folgen, denn jede Gleichung an der Tafel erinnert mich an diese verdammten Koordinaten. Feierabend, endlich etwas Zeit für mich. Meine Mum hat mich gebeten, noch einige Dinge einzukaufen. Da der Supermarkt auf dem Weg liegt, ist das auch keine große Sache, schließlich will ich sie ja im Alltag entlasten. Der Supermarkt liegt nicht allzu weit von unserem Haus weg, daher kann ich einfach zwei Stationen früher aus dem Bus steigen und bin quasi schon da. Während ich durch die Regale laufe, um noch Milch, Gemüse und Zucker zu holen, stechen mir die Preisschilder unter jedem Produkt ins Auge. All die Zahlen reihen sich in meinem Kopf aneinander und bilden lange Ketten, Dezimale und … Koordinaten?
<Der Brief!> Er lässt mich nicht los.