Leutnant Hornblower - C. S. Forester - E-Book

Leutnant Hornblower E-Book

C. S. Forester

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Beschreibung

Der Klassiker unter den Seefahrerepen: Horatio Hornblowers zweites Abenteuer. Der junge Leutnant Hornblower nimmt an Bord der ›Renown‹ Kurs auf Westindien. Gefahr droht ihm nicht nur von den feindlichen Truppen Napoleons, auch sein despotischer Kapitän stellt ihn auf die Probe. Als dieser die Mannschaft in den Untergang zu führen droht, ist es an Hornblower das Ruder noch einmal herumzureißen ... Der zweite Band der berühmten Romanserie um Horatio Hornblower, einem Meilenstein der maritimen Literatur, ist ein großes Seeabenteuer und ein Lesevergnügen, das bereits Generationen von Lesern begeistert hat.

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Seitenzahl: 511

Veröffentlichungsjahr: 2012

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Cecil Scott Forester

Leutnant Hornblower

Horatio Hornblower Band 2

 

Aus dem Englischen von Eugen von Beulwitz

 

Mit Illustrationen von Samuel H. Bryant

Über dieses Buch

 

 

Eine schwere Aufgabe steht dem jungen Hornblower bevor, als er an Bord der ›Renown‹ Kurs auf Westindien nimmt. Die Mission der Fregatte im englischen Seekrieg gegen Napoleon ist schon gefahrvoll genug; aber nun sieht sich Hornblower auch noch einem Kapitän ausgesetzt, der seine Mannschaft mit despotischer Härte befehligt. Als junger Offizier ist es ihm unmöglich, seinem Vorgesetzten zu wiedersprechen. Aber er erkennt, dass dieser einen strategischen Irrtum begeht, der für die ganze Crew fatal sein könnte. Hornblower muss alles daransetzen, die drohende Niederlage abzuwenden, und nur seiner Tapferkeit ist es zu verdanken, dass die ›Renown‹ siegreich in den Hafen von Kingston einläuft. Hornblower wird zum Commander befördert und erhält ein Prisenschiff.

 

 

Weitere Informationen finden Sie auf www.fischerverlage.de

Biografie

 

 

Cecil Scott Forester wurde 1899 in Kairo als Sohn eines ägyptischen Regierungsbeamten geboren. Schon bald schickte ihn der Vater ins weit entfernte England, wo er neben dem Medizinstudium zunehmend Gedichte verfasste, bis er der Medizin schließlich den Rücken wandte, um sich ausschließlich der Literatur zu widmen. Mit dem Zyklus seiner Seeabenteuerromane um Horatio Hornblower schuf Forester ein unvergängliches Epos, das ihm Weltruhm einbrachte und ihn bis heute zu einem der großen Erzähler des 20. Jahrhunderts macht. Während des Zweiten Weltkrieges ging Forester nach Hollywood, wo er 1966 starb.

 

Die Gesamtserie um Horatio Hornblower:1 ›Fähnrich Hornblower‹2 ›Leutnant Hornblower‹3 ›Hornblower auf der Hotspur‹4 ›Kommandant Hornblower‹5 ›Der Kapitän‹6 ›An Spaniens Küsten‹7 ›Unter wehender Flagge‹8 ›Der Kommodore‹9 ›Lord Hornblower‹10 ›Hornblower in Westindien‹11 ›Zapfenstreich‹

 

Weitere Informationen finden Sie auf www.fischerverlage.de

Inhalt

1 LEUTNANT BUSH

2 RUM FÜR ALLE MANN

3 VERLESUNG DER KRIEGSARTIKEL

4 TRAGÖDIE AM NIEDERGANG

5 UNTER NEUEM KOMMANDO

6 BUCKLAND LIEST DIE ORDER

7 DIE BUCHT VON SAMANÁ

8 HORNBLOWERS PLAN

9 STURM AUF DAS FORT

10 MIT GLÜHENDEN KUGELN

11 DER PARLAMENTÄR

12 ORTEGAS BEDINGUNGEN

13 DIE DONS KAPITULIEREN

14 REVOLTE DER GEFANGENEN

15 AUF JAMAICA

16 COMMANDER HORNBLOWER

17 AUF DER RETRIBUTION

18 HALBSOLD

19 DIE WHISTSPIELER

20 GEGEN BONEYS LANDUNGSFLOTTE

Karten

ERKLÄRUNG SEEMÄNNISCHER AUSDRÜCKE

VORBEMERKUNG

RANGFOLGE ZUR ZEIT HORNBLOWERS

DIENSTSTELLUNGEN

1LEUTNANT BUSH

Leutnant William Bush kam an Bord HMS Renown, als das Schiff auf dem Hamoaze vor Anker lag, und meldete sich beim Wachhabenden Offizier. Der war ein großer, fast hagerer junger Mensch mit hohlwangigem Gesicht und einem melancholischen Zug um die Augen. Der Uniformrock schlotterte ihm um den Leib, als wäre er im Dunkeln hineingeschlüpft und hätte noch keine Zeit gehabt, ihn zurechtzuziehen.

»Ich freue mich, Sie an Bord begrüßen zu können, Sir«, sagte der Wachhabende. »Mein Name ist Hornblower, der Kommandant ist an Land, der Erste Offizier ist vor zehn Minuten mit dem Bootsmann nach vorn gegangen.«

»Besten Dank«, sagte Bush.

Sein Blick wanderte voll Spannung und Neugier über das bunte Getriebe der verschiedenen Arbeitsgruppen, die die Aufgabe hatten, das Schiff für große Fahrt in fremden Gewässern auszurüsten.

»Heda! Die Leute an den Stagtaljen! Vorsichtig! Nicht so wild! Belegen!« Hornblower schrie über Bushs Schultern hinweg. »Mr. Hobbs, passen Sie gefälligst auf, was Ihre Leute dort machen!«

»Aye, aye, Sir«, gab dieser mürrisch zurück.

»Mr. Hobbs, kommen Sie einmal zu mir her!«

Ein rundliches Mannsbild, dem ein dicker grauer Zopf im Nacken hing, kam mit schlingernden Schritten auf das Fallreep zu, wo Bush und Hornblower standen. Als er zu Hornblower aufsah, mußte er blinzeln, weil ihm die Sonne in die Augen schien. Ihr grelles Licht fiel auf den sprießenden grauen Stoppelbart, der die Wülste seines Kinns bedeckte.

»Mr. Hobbs«, sagte Hornblower ganz ruhig und doch mit so viel verhaltenem Nachdruck, daß Bush überrascht aufhorchte, »Sie wissen ganz genau, daß das Pulver vor Dunkelwerden an Bord sein muß. Lassen Sie also gefälligst diesen Ton, wenn Sie auf einen Befehl antworten. Wie wollen Sie Ihre Leute zur Arbeit anhalten, wenn Sie selbst zu erkennen geben, daß Sie keine Lust haben? Gehen Sie wieder nach vorn und kümmern Sie sich um Ihre Aufgabe!«

Hornblower hielt sich beim Sprechen etwas vorgebeugt, seine hinter dem Rücken verschränkten Hände schienen als Gegengewicht für das vorgestreckte Kinn zu dienen. Gemessen an der schneidenden Schärfe seiner Worte, wirkte diese Haltung geradezu zwanglos, obwohl er so leise sprach, daß ihn nur Bush und der Angeredete selbst verstanden.

»Aye, aye, Sir«, sagte Hobbs und wandte sich zum Gehen. Bush stellte gerade im stillen fest, daß dieser Hornblower den Teufel im Leibe haben müsse, als er seinem Blick begegnete und zu seiner Überraschung entdeckte, daß es in der schwermütigen Tiefe dieser Augen humorig blinkte und geisterte. Da blitzte die Erkenntnis in ihm auf, daß dieser scharfe junge Leutnant in Wirklichkeit alles andere war als scharf, und daß die Entrüstung in seinen Worten von eben gar nicht echt gewesen war – es schien fast, als hätte sich Hornblower dabei in einer fremden Sprache auszudrücken versucht.

»Wenn die Kerle einmal die Lust verlieren, kann man nichts mehr mit ihnen aufstellen«, erklärte Hornblower. »Dieser Hobbs ist der Schlimmste von allen – nennt sich zwar Feuerwerker, ist aber keinen Pfifferling wert, eine richtige Niete.«

»So«, sagte Bush.

Die schauspielerische Verstellungskunst des jungen Leutnants machte Bush im ersten Augenblick argwöhnisch. Wie sollte man einem Mann Vertrauen schenken, der sich so wütend stellen konnte und im nächsten Augenblick wieder ganz gleichmütig war? Aber es ging nicht anders, das lustige Zwinkern dieser braunen Augen forderte die offenen blauen Augen seines Gegenübers gleich zu einer verständnisinnigen Antwort heraus. Bush fühlte sich stark zu Hornblower hingezogen, aber er war von Natur ein vorsichtiger Mann und verstand es daher, diese Regung sofort zu zügeln. Man hatte schließlich eine lange Reise vor sich, und da bot sich sicher noch genug Gelegenheit, ein besser begründetes Urteil über den Mann zu gewinnen. Einstweilen hatte er nur das Gefühl, daß er von dem anderen neugierig gemustert wurde. Offenbar hatte dieser schon eine Frage auf den Lippen, und es war auch für Bush nicht schwer zu erraten, worauf sie abzielte. Der nächste Augenblick zeigte ihm schon, daß er sich nicht geirrt hatte.

»Welches Datum hat Ihr Patent?« fragte Hornblower.

»Juli 96«, sagte Bush.

»Danke«, gab Hornblower so wenig mitteilsam zurück, daß Bush an ihn die gleiche Frage richten mußte.

»Und das Ihre?«

»August 97«, sagte Hornblower. »Sie sind rangälter als ich, Sie sind auch älter als Smith – er hat Januar 97.«

»Dann sind Sie also der jüngste Leutnant an Bord?«

»Ja«, sagte Hornblower.

Sein Benehmen verriet zwar nicht die geringste Enttäuschung darüber, daß sich der Neue als rangälter erwiesen hatte, aber Bush konnte sich seine Gefühle nur zu gut vorstellen. Er wußte ja aus eigener Erfahrung, was es hieß, jüngster Leutnant auf einem Linienschiff zu sein.

»Sie sind also im Dienstalter der dritte«, fuhr Hornblower fort, »Smith ist der vierte, und ich bin der fünfte.«

»Also Dritter«, wiederholte Bush halb im Selbstgespräch.

Jeder junge Leutnant verstand sich darauf, Zukunftsträume zu spinnen, auch wenn er so wenig Phantasie besaß wie unser Bush. Eine Beförderung lag zum mindesten theoretisch im Bereich der Möglichkeiten; die Raupe Leutnant konnte sich eines Tages in einen stolzen Schmetterling, Kapitän genannt, verwandeln, wobei es ihr sogar zuweilen gelang, das Puppenstadium des Commanders zu überspringen. Ohne Zweifel kam es manchmal vor, daß ein Leutnant befördert wurde, aber dann konnte man immer sicher sein, daß er im Parlament oder bei Hof mächtige Freunde besaß, es sei denn, er hätte das unwahrscheinliche Glück gehabt, irgendeinem hohen Admiral vorteilhaft aufzufallen und diesem Admiral gerade dann zu unterstehen, wenn eine Stelle frei wurde. Die meisten Kapitäne der Rangliste verdankten ihre Beförderung irgendeinem solchen Glückszufall. Gelegentlich kam es allerdings sogar vor, daß sich ein Leutnant seine Beförderung wirklich selbst verdiente – oder daß sich wenigstens eigenes Verdienst und eine Portion Glück dazu die Hand reichten –, wie es eben der blinde Zufall wollte. Zeichnete sich zum Beispiel ein Schiff in einem Gefecht von historischer Bedeutung besonders ruhmvoll aus, dann konnte man unter Umständen erleben, daß der älteste Leutnant zum Kapitän befördert wurde (was seltsamerweise als Auszeichnung des Kommandanten galt). Und wenn der Kommandant in einem Gefecht fiel, dann genügte schon eine leidliche Bewährung, um dem ältesten überlebenden Leutnant, der für den Ausgefallenen eingesprungen war, Nachfolge und Beförderung zu sichern. Auch eine schneidige Bootsunternehmung, ein kühnes Landungsmanöver, konnte dem Leutnant, der dabei die Führung hatte – dem rangältesten, wohlgemerkt! –, den ersehnten Aufstieg bringen. Immerhin, es gab Gelegenheiten, wenn sie auch, weiß Gott, reichlich dünn gesät waren.

Aber diese an sich schon geringen Aussichten kamen wiederum vor allem dem ältesten der Leutnants, dem Ersten Offizier, zugute, für die jüngeren boten sie sich natürlich doppelt selten. So kam es, daß sich kein Leutnant dazu versteigen konnte, von einer Beförderung zum Kapitänsrang mit seinen sicheren Einkünften, seinem Ansehen, seinen reichen Prisengeldern zu träumen, ohne alsbald bei nüchternen Erwägungen über sein Rangdienstalter als Leutnant zu enden. Wurde die Renown während ihrer gegenwärtigen Indiensthaltung in Gewässer entsandt, wo es keinen Admiral gab, der Bush irgendeinen Günstling vor die Nase setzen konnte, dann hatte er fortan nur noch zwei Vorderleute, die ihn von dem aussichtsreichen Rang des ältesten Leutnants trennten. Selbstverständlich gingen Bush diese Dinge durch den Kopf, ebenso selbstverständlich dachte er keine Sekunde daran, daß der Mann, mit dem er sprach, sogar mit zweimal so vielen Vorderleuten rechnen mußte.

»Immerhin, wir gehen nach Westindien«, sagte Hornblower philosophisch. »Da gibt es Gelbes Fieber, Faulfieber, Hurrikane, Giftschlangen, schlechtes Wetter, tropische Hitze – und zehnmal mehr Gelegenheiten, ins Gefecht zu kommen, als in der Kanalflotte.«

»Das stimmt«, pflichtete ihm Bush bei.

Leutnants mit drei und vier Jahren Dienstzeit und mit ihrer jugendlichen Vorstellung von der unendlichen Ferne des Todes konnten eben auch den Gefahren des Dienstes in Westindien mit gelassenem Gleichmut entgegensehen.

»Kommandant hat abgelegt«, meldete der Fähnrich der Wache voll Diensteifer.

Hornblower nahm den Kieker ans Auge und richtete ihn auf das näherkommende Werftboot.

»Richtig«, sagte er. »Laufen Sie nach vorn und melden Sie es Mr. Buckland. Bootsmannsmaate! Fallreepsgäste! Los dafür!«

Kapitän Sawjer trat durch die Fallreepspforte, grüßte mit der Hand am Hut zum Achterdeck und sah sich argwöhnisch um. Gewiß, das Schiff befand sich in einem greulichen Durcheinander, aber das war bei den letzten Vorbereitungen für ein längeres Auslandskommando nur natürlich und bot Sawjer kaum Veranlassung, seine Blicke so unstet und verkniffen bald da-, bald dorthin zu senden, wie er es jetzt tat. Er hatte ein grobgeschnittenes Gesicht mit vorspringender Hakennase, die sich sichernd nach allen Richtungen wandte, als er nun auf dem Achterdeck stand. Jetzt fiel sein Auge auf Bush; der trat auf ihn zu und meldete sich.

»Sie sind also während meiner Abwesenheit an Bord gekommen, nicht wahr?« fragte Sawjer.

»Jawohl, Sir«, sagte Bush leicht verwundert.

»Wer hat Ihnen gesagt, daß ich an Land war?«

»Niemand, Sir.«

»Woher wußten Sie es dann?«

»Ich wußte es nicht, Sir. Als ich an Bord kam, sagte mir Mr. Hornblower, daß Sie an Land seien.«

»So, Mr. Hornblower? Sie kennen sich also schon?«

»Nein, Sir. Ich meldete mich bei ihm, als ich an Bord kam.«

»Jedenfalls haben Sie sich ohne mein Wissen privat mit ihm unterhalten.«

»Nein, Sir.«

Im letzten Augenblick verkniff sich Bush das ›Ich dachte nicht daran‹, das er schon auf den Lippen hatte. Er war durch eine harte Schule gegangen und hatte gelernt, jedes unnötige Wort zu unterdrücken, wenn er es mit Vorgesetzten zu tun hatte, die ihn ihre bei so hohen Herren nicht ungewöhnlichen Eigenheiten fühlen ließen. Immerhin, im vorliegenden Fall schienen ihm diese Eigenheiten denn doch reichlich weit zu gehen.

»Hören Sie, Mr. – äh – Bush, ich dulde nicht, daß meine Offiziere hinter meinem Rücken miteinander konspirieren. Merken Sie sich das ein für allemal.«

»Aye, aye, Sir.«

Bush begegnete dem forschenden Blick des Kommandanten mit dem Gleichmut eines Mannes, der sich keiner Schuld bewußt ist. Allerdings gab er sich zugleich die größte Mühe, seine Überraschung über diesen Vorwurf zu verbergen, und da er kein Talent zum Schauspieler besaß, merkte man ihm das wahrscheinlich an.

»Die Schuld steht Ihnen ja im Gesicht geschrieben, Mr. Bush«, sagte der Kommandant. »Gut, ich werde mir das jedenfalls merken.«

Damit wandte er sich ab und ging unter Deck. Bush löste sich aus seiner militärischen Haltung und wandte sich zu Hornblower, um ihm seine Überraschung auszudrücken. Er brannte darauf, von ihm eine Erklärung für dieses seltsame Benehmen des Kommandanten zu bekommen, aber schon die erste Frage erstarb ihm auf den Lippen, als er Hornblowers verschlossenen Ausdruck sah. Betroffen und leicht gekränkt, wie er war, fühlte er sich schon versucht, Hornblower für einen üblen Speichellecker oder gar selbst für einen Verrückten zu halten, als er plötzlich gewahr wurde, daß der Kopf des Kommandanten wieder aus dem Luk auftauchte. Sawjer mußte am Fuß des Niedergangs kehrtgemacht haben und wieder hochgeklettert sein, um seine Offiziere zu überraschen, wenn sie sich unbeobachtet glaubten und Bemerkungen über ihn machten. Hornblower wußte eben besser über diesen Mann Bescheid als er. Jetzt gab sich Bush die größte Mühe, so ungezwungen wie möglich aufzutreten.

»Kann ich ein paar Mann bekommen, die mir meine Seekiste unter Deck schaffen?« fragte er und hoffte dabei, daß seine Redeweise dem Kommandanten nicht ebenso gespreizt erscheinen möchte wie ihm selbst.

»Natürlich, Mr. Bush«, sagte Hornblower mit dienstlicher Förmlichkeit. »Veranlassen Sie das, Mr. James.«

»Ha!« knurrte der Kommandant und verschwand wieder im Niedergang.

Hornblower zwinkerte Bush mit einem Auge zu, das war auch jetzt das einzige Zeichen, aus dem man entnehmen konnte, daß er selbst das Verhalten des Kommandanten ein bißchen wunderlich fand. Während Bush nun hinter seiner Seekiste her in seine Kammer hinunterstieg, gab er sich bestürzt darüber Rechenschaft, daß sich auf diesem Schiff offenbar kein Mensch getraute, seinen Standpunkt rückhaltlos und entschieden zu vertreten. Aber die Renown rüstete mit der üblichen Eile und Betriebsamkeit zum Auslaufen, und Bush war unwiderruflich mit an Bord. Er war nach Recht und Gesetz einer der Offiziere des Schiffes, und darum blieb ihm nichts anderes übrig, als sich mit philosophischem Gleichmut in sein Schicksal zu fügen. Wenn nicht einer der von Hornblower in ihrem ersten Gespräch erwähnten üblen Zufälle eintrat und ihm einen Teil des bevorstehenden Kummers ersparte, dann mußte er dieses Kommando eben durchstehen, bis es eines Tages zu Ende war.

2RUM FÜR ALLE MANN

HMS Renown pflügte hart am Wind unter gerefften Marssegeln ihre Bahn nach Süden. Ein frischer West legte sie über, während sie mühsam jenen niederen Breiten zustampfte, wo ihr der Nordostpassat erlaubte, das Ziel in den westindischen Gewässern auf geradem Kurs anzusteuern. Der Wind sang in den steifen Luvwanten und Pardunen, er pfiff auch Bush um die Ohren, der auf dem Steuerbord-Achterdeck stand und breitbeinig die Bewegungen des Schiffes abfing, während die mächtigen grauen Seen eine nach der anderen heranrollten. Der Steuerbordbug empfing sie zuerst und kletterte daran hoch, bis das Bugspriet in den Himmel ragte, aber ehe dieser Aufschwung noch sein Ende erreichte, begann das Schiff zugleich zu rollen. Langsam, langsam holte es über, langsam hob sich das Bugspriet immer steiler gen Himmel. Endlich, während die Neigung noch immer zunahm, stieß der Bug durch den Kamm der See und glitt auf ihrer Rückseite schäumend und gischtend zu Tal. Damit begann das Bugspriet seinen Abwärtsbogen, und zugleich richtete sich der gekrängte Rumpf wieder zu seinem alten Neigungswinkel auf. Die durchlaufende See drückte achtern auf den Kiel und ließ das Schiff ein wenig luven, zuletzt aber faßte sie unter das Heck und hob es an, so daß der Bug tief niedertauchte. Auf diese Art schraubte sich die Renown wie ein Korkenzieher durch die aufgewühlte See und entwickelte dabei jene schwerfällige Würde, die ihrem gewichtigen Rumpf und den fünfhundert Tonnen Artillerie in ihren Decks entsprach.

Steigen – Überholen – Sinken – Überholen, das war herrlich, das hatte Rhythmus und Majestät, und Bush, der sich dank zehnjähriger Erfahrung mit vollendeter Sicherheit über das schwingende Deck bewegte, hätte seine Wache mit vollen Zügen genossen, wäre nur nicht der Wind immer frischer und frischer geworden. Das hieß nämlich, daß in absehbarer Zeit ein zweites Reff eingesteckt werden mußte, und dazu wiederum bedurfte es nach den ständigen Schiffsbefehlen vorher einer Meldung an den Komandanten.

Aber noch waren ihm ein paar gnädige Minuten geschenkt, noch stand er unbehelligt auf dem schrägen Deck und ließ seine Gedanken wandern, wie sie wollten. Nicht, daß Bush den Drang in sich gefühlt hätte, zu meditieren – ein verständnisloses Lächeln wäre wohl seine einzige Antwort auf jeden Vorschlag dieser Art gewesen. Aber die letzten Tage an Land waren ihm vergangen wie ein ununterbrochener Wirbel. Es hatte damit angefangen, daß er seine Kommandierung erhielt und von Mutter und Schwestern Abschied nahm, bei denen er nach der Außerdienststellung der Conqueror drei Wochen verbracht hatte. Dann war er Hals über Kopf nach Plymouth geeilt, voll Sorge, ob der Rest seines Geldes ausreichen würde, die Postkutsche zu bezahlen.

Auf der Renown war alles auf den Beinen gewesen, um die Ausrüstung des Schiffes für die westindische Station zu beenden, und während der sechsunddreißig Stunden, die bis zum Auslaufen noch blieben, hatte auch Bush kaum Zeit gefunden, sich einmal hinzusetzen, geschweige denn zu schlafen – die erste wirkliche Nachtruhe hatte er erst gefunden, als das Schiff endlich hart am Wind durch die Biskaya stampfte. Vom ersten Augenblick seines Anbordkommens an ging ihm vor allem das seltsame Gebaren des Kommandanten auf die Nerven, der sich bald argwöhnisch zeigte wie ein Verrückter, bald wieder alles mit stumpfer Gleichgültigkeit hinnahm. Bush hatte nicht viel Empfinden für Atmosphäre – er war eine einfache, männliche Seele und tat in jeder schwierigen Lage, die der Dienst auf See mit sich brachte, mit stoischem Gleichmut seine Pflicht –, hier aber konnte auch er nicht umhin, die angstvolle Spannung herauszufühlen, die das ganze Leben auf der Renown beherrschte. Genau gesagt, fühlte er sich unbefriedigt und irgendwie bedrückt, aber er wußte eben nicht, daß sich Spannung und Angst bei ihm in dieser Form äußerten.

Während der drei vergangenen Seetage hatte er seine Kameraden kaum näher kennengelernt. Soweit er bis jetzt sagen konnte, war Buckland, der Erste Offizier, ein ruhiger tüchtiger Mann, zeigte Roberts, der Zweite, ein freundliches, umgängliches Wesen. Hornblower schien ihm besonders tatkräftig und klug zu sein, und Smith war wohl ein bißchen schwach. Aber dies waren letzten Endes alles nur Vermutungen. Die Mitglieder der Offiziersmesse – Leutnants, Profoß, Arzt und Zahlmeister – gaben sich sehr verschlossen und schienen offenbar nicht geneigt, viel von sich zu erzählen. Im großen und ganzen war das durchaus in Ordnung – Bush war ja auch selbst alles andere als ein oberflächlicher Schwätzer –, aber das allgemeine Schweigen wirkte nachgerade bedrückend, wenn sich die Unterhaltung auf ein halbes Dutzend Worte, und die nur streng dienstlichen Inhalts, beschränkte. Bush hätte rasch so manches über das Schiff und seine Besatzung erfahren können, wenn die anderen Offiziere willens gewesen wären, ihm die Erfahrungen und Beobachtungen mitzuteilen, die sie in ihrer bereits ein Jahr währenden Dienstzeit an Bord hatten sammeln können. Abgesehen von dem einzigen Wink Hornblowers bei seinem Anbordkommen, hatte jedoch noch kein Mensch ein Wort über diese Dinge fallenlassen. Hätte Bush zu Flügen ausschweifender Phantasie geneigt, dann hätte er vielleicht geglaubt, er pflügte als Seegespenst inmitten anderer Gespenster durch endlose Meere einem unbekannten Ziel entgegen, abgeschnitten von der Welt und seinen Leidensgenossen.

Nach Lage der Dinge konnte er vermuten, daß die Verschlossenheit seiner Messekameraden auf die sonderbare Eigenart des Kommandanten zurückzuführen war. Diese Überlegung riß ihn plötzlich wieder in die Wirklichkeit zurück. Kein Zweifel, der Wind frischte immer mehr auf, kein Zweifel, es war Zeit für das zweite Reff. Noch einmal lauschte er auf das Heulen der Takelage, fühlte er das Schwingen des Decks unter seinen Füßen, dann schüttelte er bedauernd den Kopf. Er durfte nicht länger warten.

»Mister Wellard«, sagte er zu dem jungen Freiwilligen an seiner Seite, »melden Sie dem Kommandanten, daß ich ein zweites Reff für nötig halte.«

»Aye, aye, Sir.«

Es dauerte nur Sekunden, bis Wellard wieder an Deck erschien.

»Der Kommandant kommt selbst, Sir.«

»Gut«, sagte Bush.

Er blickte Wellard nicht an, als er dieses gleichgültige Wort aussprach; er wollte nicht, daß Wellard sah, wie er die Nachricht aufnahm, und wollte ebensowenig sehen, was Wellard für ein Gesicht dazu machte. Schon erschien der Kommandant; in seinen langen, schütteren Haaren zauste der Wind, seine Hakennase sicherte wie üblich nach allen Richtungen.

»Sie wollen noch ein Reff einstecken, Mr. Bush?«

»Jawohl, Sir!« sagte Bush und wartete schon auf die scharfe Gegenbemerkung, auf die er gefaßt war. Er war angenehm überrascht, als nichts dergleichen erfolgte. Der Kommandant schien sogar in bester Laune.

»Ausgezeichnet, Mr. Bush. Lassen Sie ›Alle Mann‹ pfeifen.«

Die Pfeifen der Maate schrillten durch die Decks.

»Alle Mann auf! Alle Mann auf! Ein Reff in die Marssegel! Alle Mann auf!«

Die Männer strömten an Deck, der Ruf ›Alle Mann!‹ scheuchte die Offiziere aus der Messe und den Kammern und dem Fähnrichshock. Die Rollenzettel in der Tasche, eilten sie auf ihre Stationen, um sicherzustellen, daß die neueingeteilte Mannschaft sich zurechtfand. Die Befehle des Kommandanten drangen durch das Sausen des Windes, Fallen und Refftaljen wurden bemannt. Das Schiff stampfte und rollte so stark in der grauen See unter dem grauen Himmel, daß es einer Landratte unmöglich erschienen wäre, an Deck einen festen Stand zu finden, geschweige denn, in die Takelage zu entern. Plötzlich, mitten im Manöver, hörte man, wie eine junge Knabenstimme, hell und schrill vor Aufregung, die Befehle des Kommandanten überschrie: »Fest holen da!«

Der Befehl hatte so durchdringend und scharf geklungen, daß die Männer gehorsam zu holen aufhörten. Gleich darauf brüllte der Kommandant vom Achterdeck herab:

»Wer gibt hier Gegenbefehle?«

»Ich, Sir –, Wellard.«

Der junge Freiwillige blicke nach achtern und brüllte mit voller Lungenkraft in den Wind, um sich verständlich zu machen. Bush konnte von seiner Station auf dem Achterschiff aus sehen, wie der Kommandant jetzt an die Querreling trat und vor Wut am ganzen Körper zitterte. Seine große Nase stach nach vorn, als suchte sie sich ihr Opfer.

»Das werden Sie mir bereuen, Mr. Wellard, ja, mein Junge, das werden Sie mir bereuen!«

Plötzlich tauchte Hornblower an Wellards Seite auf. Er war vor Seekrankheit ganz grün im Gesicht; daran hatte sich nichts geändert, seit die Renown aus dem Plymouth Sound ausgelaufen war.

»Ein Reffbändsel sitzt im Refftaljenblock, Sir – in Luv!« schrie er. Bush trat an die Reling und konnte sehen, daß es wirklich so war. Hätten die Männer weiter an ihrer Talje geholt, dann wäre wahrscheinlich das Segel zerrissen.

»Wie kommen Sie dazu, sich einzumischen, wenn ich einen Mann wegen Ungehorsams zur Rede stelle?« schrie der Kommandant. »Versuchen Sie nicht erst, ihn zu decken, es hat keinen Zweck.«

»Dies ist meine Station, Sir«, gab Hornblower zur Antwort.

»Mr. Wellard hat nur seine Pflicht getan.«

»Das ist eine Verschwörung!« schrie der Kommandant. »Sie beide stecken unter einer Decke!«

Angesichts einer so unsinnigen Behauptung blieb Hornblower nichts anderes übrig, als militärische Haltung anzunehmen. Sein weißes Gesicht hielt er starr auf den Kommandanten gerichtet.

»Sie gehen unter Deck, Mr. Wellard!« brüllte der Kommandant, als er innewurde, daß er keine Antwort mehr bekam.

»Und Sie ebenfalls, Mr. Hornblower. Ich werde in wenigen Minuten auf den Fall zurückkommen. Haben Sie verstanden? Unter Deck mit Ihnen! Ich werde Sie schon lehren, sich gegen mich zu verschwören!«

Das war ein klarer Befehl, der befolgt werden mußte. Hornblower und Wellard gingen langsam nach achtern; man konnte Hornblower anmerken, daß er sich eisern in acht nahm, ja keinen Blick mit dem Fähnrich zu tauschen, damit ihm nicht aufs neue vorgeworfen würde, er hätte konspiriert. Der Kommandant folgte den beiden mit den Blicken. Erst als sie im Niedergang verschwunden waren, zielte er mit seiner großen Nase wieder nach oben.

»Schicken Sie einen Mann auf die Rah, um die Refftalje zu klarieren«, befehl er so ruhig, wie es die Windstärke zuließ.

»Hol weg!«

Die Marssegel hatten ihr zweites Reff, und die Männer auf den Rahen begannen einzulegen und niederzuentern. Der Kommandant stand an der Querreling seines Achterdecks und blickte über sein Schiff. Er wirkte so normal wie jeder andere Mensch.

»Der Wind raumt«, sagte er zu Buckland. »Großtopp! Lassen Sie das Backstag vom Mars freisetzen! Luvbrassen! Achtergäste! Hol die Luvgroßbraß! Hol weg! Hol weg! Fest die Vorbraß! Fest die Großbraß! Belegen!« Alle diese Befehle waren mit Ruhe und Vernunft gegeben worden, jetzt standen die Leute an Deck herum und warteten darauf, daß die Freiwache entlassen würde.

»Bootsmaat der Wache. Meine Empfehlung an Mr. Lomax, er möge die Güte haben, an Deck zu erscheinen.«

Mr. Lomax war der Zahlmeister. Die Offiziere auf dem Achterdeck fühlten sich wieder einmal versucht, verwunderte Blicke zu tauschen, weil sich kein Mensch vorstellen konnte, was der Zahlmeister ausgerechnet jetzt an Oberdeck sollte.

»Sie haben nach mir geschickt, Sir?« fragte der Zahlmeister, als er, kurzatmig keuchend, auf dem Achterdeck anlangte.

»Ja, Mr. Lomax. Die Männer haben die Großbraß geholt.«

»Ja, Sir?«

»Jetzt wollen wir sie spleißen.«

»Bitte, Sir?«

»Sie haben doch gehört, wir wollen die Großbraß spleißen. Eine Portion Rum für alle Mann, ja, die Schiffsjungen eingeschlossen.«

»Wie meinen Sie, Sir?«

»Haben Sie mich nicht verstanden? Eine Portion Rum, sagte ich. Muß ich meine Befehle wiederholen? Eine Portion Rum für alle Mann. Ich geben Ihnen fünf Minuten, Mr. Lomax, und keine Sekunde länger.«

Der Kommandant zog mit bedeutsamer Miene die Uhr und las die Zeit ab.

»Aye, aye, Sir«, sagte Lomax. Er hätte beim besten Willen nichts anderes sagen können, aber er zögerte doch noch ein, zwei Sekunden und blickte erst nach dem Kommandanten und dann nach der Uhr, bis die große Nase in seine Richtung schwenkte und die buschigen Augenbrauen bedrohlich zusammenrückten. Als er das sah, ergriff er schleunigst die Flucht.

Wenn dieser ausgefallene Befehl befolgt werden mußte, dann waren fünf Minuten recht knapp bemessen, mußte er doch in dieser Zeit seine Leute zusammenbringen, die Schnapskammer öffnen und den Rum an Deck schaffen. Kaum mehr als ein halbes Dutzend Menschen konnte die Unterredung zwischen Kommandant und Zahlmeister mit angehört haben, aber die ganze Besatzung hatte sehr wohl gesehen, was vorging. Die Männer sahen einander ungläubig an, und einige zeigten ein Grinsen, das Bush am liebsten sofort aus ihren Gesichtern getilgt hätte.

»Bootsmaat der Wache! Laufen Sie zu Mr. Lomax und sagen Sie ihm, daß zwei Minuten um sind. Mr. Buckland, bitte alle Mann achteraus!« Die Männer schlenderten das Großdeck entlang, Bush fand ihre Haltung schlapp und zuchtlos, aber vielleicht bildete er sich das in seinem überreizten Zustand nur ein. Der Kommandant trat an die Querreling des Achterdecks, seine zornige Miene von eben war wie durch Zauberei verschwunden, er strahlte über das ganze Gesicht. »Ich weiß, wo es noch Treue gibt, Männer«, rief er, »ich habe es gesehen, und ich sehe es jetzt. Ich schaue in eure treuen Herzen, ich weiß um eure unermüdlichen Leistungen. Ja, glaubt mir, ich weiß darum, ich weiß um alles, was an Bord dieses Schiffes vorgeht. Ich weiß alles, sage ich. Die Verräter trifft ihre Strafe, eure Treue empfängt den verdienten Lohn. Laßt euer Hoch ertönen, Männer!« Die drei Hurras wurden ausgebracht, einige waren nur mit halbem Herzen dabei, andere kannten sich nicht vor Überschwang. Lomax erschien in der Großluke; es folgten ihm vier Mann, von denen jeder ein Zweigallonenfäßchen trug.

»Höchste Zeit, Mr. Lomax, Sie hätten sich auf allerhand gefaßt machen müssen, wenn Sie zu spät gekommen wären. Sie stehen mir dafür gerade, daß die Verteilung nicht so knauserig gehandhabt wird, wie das auf manchen Schiffen Mode ist. Mr. Booth, kommen Sie achteraus.« Der massige Bootsmann kam eilends auf seinen kurzen Beinen angewackelt.

»Ich hoffe, Sie haben Ihren Stock bei sich.«

»Aye, aye, Sir.«

Booth zeigte seinen langen silberbeschlagenen Stock, der alle zwei Zoll durch einen Ring mit harten Buckeln verstärkt war. Die Lässigen unter der Besatzung kannten diesen Stock nur zu genau, und nicht nur sie, denn in der Rage pflegte Mr. Booth ganz einfach alle in Mitleidenschaft zu ziehen, die sich in seiner Reichweite befanden.

»Suchen Sie sich die zwei kräftigsten Ihrer Maate aus. Jetzt soll dem Recht Genüge geschehen.«

Der strahlende Ausdruck war aus dem Gesicht des Kommandanten verschwunden, aber er sah auch nicht zornig drein. Um seine schweren Lippen spielte ein Lächeln, das aber kaum viel zu bedeuten hatte, weil es aus seinen Augen nicht widerschien.

»Folgen Sie mir«, sagte der Kommandant zu Booth und seinen Maaten. Damit überließ er das Deck wieder Bush, der jetzt Zeit fand, Betrachtungen über die Störung der Schiffsroutine und die Lockerung der Manneszucht anzustellen, die sich aus dieser seltsamen Laune des Kommandanten ergaben. Als der Schnaps endlich ausgegeben und getrunken war, konnte er die Freiwache unter Deck schicken und hatte dann alle Hände voll zu tun, die Wache wieder zu Dienst und Arbeit anzutreiben, wobei er es nicht an harten Worten fehlen ließ, um die Trägheit und Gleichgültigkeit der Männer zu geißeln. Jetzt war es auf einmal kein Genuß mehr, auf dem schwankenden Deck zu stehen und die mächtigen Bewegungen des Schiffes, die anrollenden Atlantikseen, den Stand der Segel und die Bedienung des Ruders zu verfolgen – Bush war sich zwar nicht bewußt, daß man aus diesen Dingen des seemännischen Alltags echte Freude schöpfen konnte, aber er hatte jetzt doch ein Empfinden dafür, daß etwas Gutes aus seinem Leben geschwunden war.

Er sah, wie Booth und seine Maate wieder nach vorn gingen, dann erschien Wellard auf dem Achterdeck.

»Melde mich zum Dienst, Sir«, sagte er.

Das Gesicht des Jungen war weiß und starr, Bush musterte ihn mit einem scharfen Blick und entdeckte eine Spur von Feuchtigkeit in seinen Augen. Sein Gang war auffallend steif, er hielt sich kerzengrade, und es schien, als nähme er aus Stolz die Schultern so zurück und hielt den Nacken so steif. Aber es gab noch einen anderen Grund, weshalb er die Hüften nicht beugen wollte.

»Danke, Mr. Wellard«, sagte Bush.

Er dachte an die Buckel an Booths Stock. Wieviel Unrecht hatte er nicht schon erlebt! Es kam oft genug vor, daß man nicht nur Jungen, sondern auch erwachsene Männer grundlos mit Schlägen traktierte. Bush hatte nur weise und überlegen genickt, wenn so etwas vorkam, weil er der Ansicht war, daß es in einer Welt, die im wesentlichen aus Unrecht bestand, einfach zur Erziehung gehörte, auch einmal mit dem Unrecht Bekanntschaft zu machen. Die Erwachsenen nickten einander verständnisinnig zu, wenn Jungen geschlagen wurden, denn sie waren sich darüber einig, daß denen so etwas nur gut bekam. Seit es eine Geschichte gab, hatte man die Jungen geschlagen, und man war der Meinung, es müsse ein Unglück für die ganze Welt sein, wenn man unbegreiflicherweise eines Tages damit Schluß machte. Das war alles goldrichtig, und doch – der arme Wellard tat ihm plötzlich leid. Glücklicherweise fand er gleich eine Arbeit für ihn, die seiner Gemütsverfassung und seinem körperlichen Zustand angemessen war.

»Die Stundengläser müssen miteinander verglichen werden, Mr. Wellard«, sagte Bush und wies nach dem Kompaßhaus.

»Messen Sie das Minutenglas am Halbstundenglas, sobald dieses bei sieben Glasen umgedreht wird.«

»Aye, aye, Sir.«

»Aber machen Sie für jede Minute einen Strich auf die Schiefertafel, weil Sie sich sonst todsicher verrechnen.«

»Aye, aye, Sir.«

Das war jedenfalls ein gutes Mittel, Wellard von seinem Kummer abzulenken, ohne ihn körperlich anzustrengen. Er mußte verfolgen, wie der Sand durch das Minutenglas lief, und dieses rasch umdrehen, wenn er zu Ende war, dann einen Strich auf die Tafel machen und weiter beobachten. Bush hatte seine Zweifel, ob das Halbstundenglas wirklich stimmte, da war es gut, wenn man die beiden Gläser einmal miteinander verglich. Wellard stelzte mit steifen Beinen zum Kompaßhaus und bereitete die befohlene Beobachtung vor.

Plötzlich tauchte der Kommandant wieder auf, seine große Nase zielte erst nach Backbord, dann nach Steuerbord. Offenbar war seine Stimmung wieder umgeschlagen, die ruhelose Geschäftigkeit von vorhin war verflogen, und er benahm sich eher wie ein Mann, der gut gegessen hat. Wie es die Bordetikette vorschrieb, entfernte sich Bush von der Luvreling des Achterdecks, als der Kommandant erschien, und dieser begann, nun langsam in Luv auf und ab zu gehen. Aus langer Gewohnheit paßten sich seine Schritte dem Stampfen und Rollen des Schiffes an. Wellard warf nur einen kurzen Blick nach ihm und wandte dann seine ganze Aufmerksamkeit wieder den Sanduhren zu. Eben ertönten die sieben Glasen, und das Halbstundenglas wurde gewendet. Der Kommandant ging noch ein paar Minuten auf und ab. Dann blieb er stehen, warf einen prüfenden Blick nach Luv und auf das Wetter, fühlte mit der Wange die Windrichtung, peilte aufmerksam nach dem Flögel und nach den Marssegeln, um zu prüfen, ob die Rahen richtig getrimmt waren, und kam endlich nach mittschiffs, um einen Blick auf den Kompaß zu werfen und nachzusehen, welcher Kurs anlag. Das war ein durchaus normales Verhalten, jeder Kommandant eines Schiffes handelte so, wenn er an Deck kam. Wellard wurde gewahr, daß der Kommandant neben ihn trat, und gab sich Mühe, jedes Zeichen von innerer Unruhe zu vermeiden, er stürzte das Minutenglas und machte einen Strich auf die Tafel.

»Sieh da, Mr. Wellard! An der Arbeit, wie?«

Seine Stimme klang belegt und etwas verschwommen, das waren nicht mehr die scharfen Töne von vorhin, aus denen Angst und innere Unruhe gesprochen hatten. Wellard hielt seine Augen auf den rinnenden Sand geheftet und zögerte mit der Antwort. Bush sagte sich sofort, daß er wohl in aller Eile überlegte, wie er dem Kommandanten geziemend antworten sollte, ohne eine neue Gefahr heraufzubeschwören.

»Aye, aye, Sir.«

In der Marine konnte man nicht weit fehlgehen, wenn man einem Vorgesetzten diese Antwort gab.

»Aye, aye, Sir«, wiederholte der Kommandant. »Ja, ja, vielleicht hat sich Mr. Wellard jetzt eines Besseren besonnen, vielleicht hat er gelernt, was es heißt, sich gegen seinen Kommandanten zu verschwören, der durch persönliche Order unseres allergnädigsten Königs Georg II. eingesetzt und zu seinem Vorgesetzten bestellt wurde. Wie, Mr. Wellard?«

Es war alles andere als leicht, darauf die richtige Antwort zu finden. Nein oder ja, eins konnte so schlimme Folgen haben wie das andere.

»Mr. Wellard ist verdrießlich«, sagte der Kommandant.

»Vielleicht denkt Mr. Wellard noch an das, was hinter ihm liegt. Ja, hinter ihm. Weinend saßen wir an den Wassern Babylons – aber Mr. Wellard ist stolz und hat fast gar nicht geweint. Jetzt will er sich auf keinen Fall setzen, nein, er hütet sich ängstlich davor, Platz zu nehmen. Sein Hinterquartier, das schamhaft versteckte, hat ja für seine Schamlosigkeit bezahlen müssen. Erwachsene Männer, die in Ehren etwas ausgefressen haben, traktiert man auf den Rücken, aber ein Junge, ein ungezogener, niederträchtiger Bengel wird eben anders behandelt. Stimmt’s, Mr. Wellard?«

»Jawohl, Sir«, murmelte Wellard. Etwas anderes war nicht darauf zu sagen, und eine Antwort mußte gegeben werden.

»Mr. Booth’ Stock war genau das richtige Instrument dazu. Er hat nützliche Arbeit getan. Der Sünder konnte seine Missetat bedenken, während er über der Kanone lag.«

Wellard kippte von neuem das Glas um, der Kommandant gab sich anscheinend endlich zufrieden und nahm zu Bushs Erleichterung seinen Spaziergang wieder auf. Aber plötzlich verhielt er von neuem neben Wellard seinen Schritt und begann wieder zu reden. Er sprach jetzt in einem höheren, lauteren Ton.

»Sie haben sich doch gegen mich verschworen, nicht wahr?« fragte er. »Sie wollten mich vor den Mannschaften lächerlich machen, ja oder nein?«

»Nein, Sir«, sagte Wellard, aufs neue zu Tode erschrocken, »nein, Sir, bestimmt nicht, Sir.«

»Sie und dieser Bursche, dieser Hornblower, Verzeihung, Mr. Hornblower, haben gemeinsam den Plan ausgebrütet, meine gesetzliche Autorität zu untergraben.«

»Nein, Sir.«

»Nur die Mannschaften sind mir auf diesem Schiff treu ergeben, alle anderen arbeiten gemeinsam gegen mich. Und jetzt gehen sie gerissen darauf aus, auch mein Ansehen bei den Leuten zu zerstören, mich zu einer lächerlichen Figur zu machen. Gestehen Sie es nur.«

»Nein, Sir, so etwas ist mir nie in den Sinn gekommen.«

»Warum versuchen Sie noch zu leugnen? Es liegt doch alles auf der Hand, man braucht nur logisch zu denken. Wer ist denn auf die Idee gekommen, das Reffbändsel in den Block der Refftalje zu klemmen?«

»Niemand, Sir, es hat sich …«

»Wer hat es denn gewagt, auf meinen Befehl Gegenorder zu geben? Wer hat mich vor beiden Wachen beim Allemannmanöver blamiert? Für mich gibt es keinen Zweifel, das Ganze war ein wohlvorbereiteter Anschlag, alle Anzeichen sprechen dafür.«

Der Kommandant stand sicher auf dem schwankenden Deck, er hielt die Hände hinter dem Rücken verschränkt, der Wind spielte mit seinen Rockschößen und wehte ihm die Haare ins Gesicht. Bush bemerkte, daß er wieder am ganzen Körper zitterte, wahrscheinlich aus Wut, vielleicht aber auch vor Angst. Wellard drehte wieder sein Minutenglas um und machte einen neuen Strich auf die Tafel.

»Aha, Sie verstecken wohl Ihr Gesicht, weil Ihnen die Schuld auf der Stirn geschrieben steht?« brüllte der Kommandant plötzlich los. »Jetzt spielen Sie wieder den Eifrigen, um mir Sand in die Augen zu streuen. Ich verbitte mir diese Heuchelei!«

»Ich habe Mr. Wellard befohlen, die Gläser miteinander zu vergleichen, Sir«, sagte Bush.

Es widerstrebte ihm, sich ins Mittel zu legen, aber er fand es am Ende doch weniger peinlich, einzugreifen, als den unbeteiligten Zuhörer zu spielen. Der Kommandant starrte ihn an, als wäre er vorher gar nicht dagewesen.

»Sie, Mr. Bush? Ich sage Ihnen, Sie täuschen sich gewaltig, wenn Sie glauben, daß dieser Bursche auch nur einen Pfifferling taugt. Es sei denn …«

Der Ausdruck des Kommandanten verriet, daß ihn plötzlich argwöhnische Angst befiel.

»…. es sei denn, Sie hätten bei diesem infamen Anschlag ebenfalls die Hand im Spiel. Aber Sie gehören nicht dazu, nicht wahr, Mr. Bush? Sie doch nicht? Ich habe immer große Stücke auf Sie gehalten.«

Die Angst in seinem Gesichte verwandelte sich plötzlich in schmeichelnde Liebedienerei.

»Nein, Sir.«

»Alle Welt ist gegen mich, Mr. Bush, um so mehr habe ich immer auf Sie gezählt«, sagte der Kommandant und blickte unstet und flackernd unter seinen Brauen hervor. »Jetzt werden auch Sie froh sein, wenn dieser Ausbund aller Bosheit endlich den verdienten Lohn erhält. Wir werden ihn schon dazu bringen, daß er uns die Wahrheit eingesteht.«

Bush hatte das Empfinden, daß ihm diese plötzliche Zuneigung des Kommandanten hätte helfen können, den armen Wellard aus seiner traurigen Lage zu befreien, wenn er nur etwas gewandter und schlagfertiger gewesen wäre. Er brauchte dazu nur den ergebenen Gefolgsmann des Kommandanten zu spielen, der mit ihm durch dick und dünn ging, und sich zugleich mit einem Scherzwort über die angebliche Gefahr einer Verschwörung hinwegzusetzen. Auf diese Art wäre es ihm vielleicht gelungen, die Ängste des Mannes zu beschwichtigen. Gefühlsmäßig war ihm das alles klar, allein es fehlte ihm an Selbstvertrauen.

»Er weiß bestimmt von nichts, Sir«, sagte er und zwang sich zu einem Grinsen. »Der Junge kann ja kaum das Vorstag vom Besanbaum unterscheiden.«

»Meinen Sie wirklich?« sagte der Kommandant zweifelnd und wippte auf den Hacken, als das Schiff einmal besonders heftig rollte. Er schien fast überzeugt, aber dann kam er plötzlich auf einen neuen Gedanken.

»Nein, Mr. Bush, Sie sind nur zu anständig für diese Welt. Das habe ich schon gemerkt, als ich Sie das erste Mal sah. Sie haben ja keine Ahnung von der abgründigen Bosheit, deren die Menschen fähig sind. Der Bursche hier hat Ihnen Sand in die Augen gestreut, er hat sie gründlich hinters Licht geführt!«

Die Stimme des Kommandanten erhob sich wieder zu heiserem Geschrei, Wellard sah bleich und hilfeflehend auf Bush, der Junge war offenbar ganz außer sich vor Angst und Schrecken.

»Sie können mir glauben, Sir …« begann Bush und grinste krampfhaft weiter wie ein Totenkopf.

»Nein, nein, nein!« brüllte der Kommandant. »Die Gerechtigkeit muß ihren Lauf nehmen, die Wahrheit muß an den Tag! Ich werde den Kerl zum Sprechen bringen. Bootsmaat der Wache! Bootsmaat der Wache! Laufen Sie nach vorn und sagen Sie Mr. Booth, er soll sofort achteraus kommen! Mit seinen Maaten.«

Der Kommandant wandte sich ab und begann wieder auf und ab zu gehen, als wollte er damit dem Überdruck seines Zornes ein Ventil schaffen, aber er kam gleich wieder zurück.

»Ich bringe noch aus ihm heraus, was ich wissen will, oder er springt über Bord! Haben Sie mich verstanden! Wo bleibt denn der Bootsmann?«

»Mr. Wellard ist noch nicht fertig mit dem Vergleichen der Gläser, Sir«, sagte Bush. Es war sein letzter schwacher Versuch, den üblen Auftritt wenigstens hinauszuschieben.

»Das spielt keine Rolle«, sagte der Kommandant.

Schon kam der Bootsmann auf seinen kurzen Beinen achteraus geeilt, seine beiden Maate folgten ihm mit langen Schritten.

»Mr. Booth«, sagte der Kommandant und hatte mit einem Schlage wieder sein freudloses Lächeln auf den Lippen, »nehmen Sie diesen Missetäter in Empfang. Die Gerechtigkeit verlangt ein weiteres Exempel. Er bekommt nochmal ein Dutzend Hiebe mit Ihrem Stock, behandeln Sie ihn, wie sich’s gehört. Noch ein Dutzend, und er plaudert wie ein Papagei.«

»Aye, aye, Sir«, sagte der Bootsmann, aber er zögerte noch, den Befehl auszuführen.

Es war ein seltsames Bild: Hier der Kommandant mit seinen fliegenden Rockschößen, dort der Bootsmann mit einem hilfesuchenden Blick auf Bush und hinter ihm seine beiden Maate, reglos wie riesige Statuen, am Rad der Rudergänger, der wie ein Unbeteiligter die Speichen drehte und den Blick aufmerksam auf die Segel gerichtet hielt, und endlich am Kompaßhaus der arme, verstörte Junge – das alles unter einem grauen Himmel inmitten einer schäumenden Wasserwüste, die sich endlos und erbarmungslos bis an den fernen Horizont erstreckte.

»Nehmen Sie ihn mit aufs Großdeck, Mr. Booth«, sagte der Kommandant.

Es gab keinen Ausweg mehr. Hinter den Worten des Kommandanten stand die ganze Autorität des Parlaments und das Gewicht jahrhundertealter Tradition. Kein Einwand kam dagegen auf. Wellard klammerte sich an das Kompaßhaus, als müßte man ihn mit Gewalt davon losreißen. Dann aber ließ er ergeben die Arme sinken und ging hinter dem Bootsmann her. Der Kommandant folgte ihm lächelnd mit dem Blick.

Als willkommene Ablenkung für Bush erschien jetzt der Bootsmaat der Wache und meldete: »Zehn Minuten vor acht Glasen, Sir.«

»Schön, pfeifen Sie die Freiwache an Deck.«

Hornblower erschien auf dem Achterdeck und ging auf Bush zu.

»Wieso das? Sie sind doch nicht meine Ablösung?«

»Doch, Befehl des Kommandanten.«

Hornblowers Worte waren ganz ohne Ausdruck, aber Bush war es jetzt schon gewöhnt, daß sich auf diesem Schiff jeder Offizier ängstlich davor hütete, etwas Unvorsichtiges zu sagen. Er kannte ja ihre Gründe dafür nur zu genau. Dennoch trieb ihn die Neugier, ihn zu fragen: »Warum das?«

»Ich gehe Wache um Wache«, sagte Hornblower unbewegt, »bis es anders befohlen wird.«

Er hielt den Blick beim Sprechen nach der Kimm gerichtet und verriet mit keiner Miene, was in ihm vorging.

»Das ist Pech«, sagte Bush und fragte sich im gleichen Augenblick, ob er mit diesem Ausdruck des Mitgefühls nicht schon zu weit gegangen war. Aber es befand sich niemand in Hörweite.

»Die Schnapsration in der Messe ist für mich gesperrt«, fuhr Hornblower fort. »sowohl die eigene wie die von Kameraden. Ebenfalls bis auf weiteres.«

Es gab Offiziere, für die das eine schlimmere Strafe gewesen wäre, als Wache um Wache gehen zu müssen, das heißt bei Tag und Nacht abwechselnd vier Stunden Dienst und vier Stunden frei zu haben – aber Bush kannte Hornblower noch nicht gut genug, um zu wissen, ob das auch bei ihm zutraf. Er wollte grade wieder sagen: ›Das ist Pech‹, als plötzlich ein gellender Schrei an ihr Ohr drang, der das Sausen des Windes und das Rauschen der See übertönte. Eine Sekunde später wiederholte er sich, noch gellender, noch verzweifelter.

Hornblower blickte wieder nach der Kimm, er machte auch jetzt einen völlig unberührten Eindruck. Bush las in seiner Miene und nahm sich vor, nicht mehr auf die Schreie zu achten.

»Ja«, sagte er, »das ist Pech.«

»Es gibt Schlimmeres«, meinte Hornblower.

3VERLESUNG DER KRIEGSARTIKEL

Sonntag morgen. Die Renown hatte den Nordostpassat erreicht und rauschte jetzt mit höchster Fahrt durch den Atlantik. Ihre Leesegel standen an beiden Seiten, der heulende Passat trieb sie in gleichmäßigem Auf und Nieder vor sich her, vor ihrem massigen Bug schäumte zuweilen eine Gischtwolke hoch und zauberte das flüchtige Bild eines Regenbogens in die Luft. Die Riggen pfiffen und heulten in hellen, klaren Tönen, ihr Diskant und Tenor vermischte sich mit dem Bariton und Baß des knarrenden, ächzenden Rumpfes zu einer wahren Symphonie des Meeres. Im Blau des Himmels schwammen einzelne, leuchtend weiße Wolken, hoch über ihnen strahlte verjüngend und belebend die freundliche Sonne und spiegelte sich mit tausend tanzenden Lichtern im königlichen Blau des Ozeans.

In dieser herrlichen Umrahmung erschien auch das Schiff selbst als ein Werk von vollendeter Schönheit, aber seine mächtigen Flanken und die drohenden Reihen der Geschütze gaben dem Bild, das es bot, darüber hinaus noch eine besondere Note: Die Renown war nicht nur schön, sie war außerdem geradezu ein Inbegriff von Macht und Kampfkraft, sie war eine Königin in jenen blauen Weiten, die sie stolz und einsam durchmaß. Grade die Einsamkeit um sie her sprach die deutlichste Sprache. Die feindlichen Flotten drängten sich in ihren Häfen, blockiert von wachsamen Geschwadern, deren Admirale darauf brannten, sie vor ihre Geschütze zu bekommen. So konnte die Renown in aller Freiheit die Meere durchsegeln, sicher, daß sie nichts zu fürchten hatte. Kein heimlicher Blockadebrecher kam ihr an Kampfkraft gleich, nirgendwo auf den sieben Meeren gab es noch ein feindliches Geschwader, das sie zum Kampf stellen konnte. Sie durfte sogar der Küsten des Feindes spotten, denn dessen Schiffe waren hilflos eingesperrt, dagegen konnte sie die eigene geballte Macht an jedem Punkt der Erde in einem vernichtenden Schlag zum Einsatz bringen. Man durfte annehmen, daß sie die Lords der Admiralität auch diesmal über den Ozean gesandt hatten, um einen solchen Schlag zu führen.

An Oberdeck war die Mannschaft des Schiffes in langen Gliedern angetreten, das waren die Männer, denen die nie endende Aufgabe oblag, dieses mächtige Wunderwerk ständig in höchster Form zu halten, die immer neuen Schäden zu beheben, die ihm Wind und Wetter zufügten und die auch bloße Abnutzung im Lauf der Zeit hervorrief. Schneeweiße Decks, blitzende Farbe, kunstvoll aufgeschossenes Tauwerk und sauber gelaschte Spieren, das alles gab Zeugnis von der gewissenhaften Sorgfalt, mit der sie ihre Arbeit taten. Und wenn eines Tages der Augenblick für die Renown gekommen war, ihrer Herrschaft über die Meere mit eisernen Argumenten Nachdruck zu verleihen, dann standen die gleichen Männer an den Geschützen. Die Renown besaß eine unerhörte Kampfkraft, gewiß, aber sie konnte diese Kampfkraft letzten Endes doch nur dank der Tapferkeit und Tüchtigkeit der Menschen entfalten, die sie bedienten. Und wie die Renown selbst, so waren auch diese Menschen nur kleine Rädchen im Getriebe des Riesenapparates Royal Navy, und die meisten von ihnen waren im Lauf der Jahre so innig mit der altehrwürdigen Disziplin und Routine ihres Dienstes verwachsen, daß sie sich damit zufriedengaben, Rädchen zu sein, die Decks zu waschen, ihr Schiff zu takeln, ihre Geschütze zu richten oder mit dem Entermesser in der Faust eine feindliche Bordwand zu stürmen. Sie machten sich wenig daraus, ob der Bug nach Norden oder nach Süden zeigte, ob ihre Kugel einem Franzosen, einem Spanier oder einem Holländer galt. Auch heute wußte nur der Kommandant um den Auftrag, mit dem die Renown von den Lords der Admiralität – wahrscheinlich im Einvernehmen mit dem Kabinett – auf die Reise geschickt worden war. Das Ziel war Westindien, soweit war man allgemein im Bilde – aber wohin das Schiff in jenem großen Seegebiet bestimmt war und welche Aufgabe es dort zu erfüllen hatte, das war bis jetzt nur einem einzigen von den siebenhundertvierzig Männern bekannt, die die Decks der Renown bevölkerten.

An diesem Sonntagmorgen war jeder verfügbare Mann der Besatzung auf dem Oberdeck angetreten, nicht nur die beiden Wachen wie sonst, sondern auch alle sogenannten Freiwächter, die nicht zur Wache eingeteilt waren – die Hellegattsgäste, die ihre Arbeit so tief unter Deck taten, daß sie zum Teil buchstäblich von einem Sonntag zum anderen die Sonne nicht sahen, der Küfer und seine Maate, der Büchsenmacher und seine Maate, Segelmacher, Köche und Stewards. Sie alle steckten in ihren besten Uniformen, die Offiziere standen im Dreispitz und mit umgeschnalltem Säbel am rechten Flügel ihrer Divisionen, nur der Wachhabende Offizier, der Deckoffizier der Wache, die Rudergänger und Ausguckposten sowie die Handvoll Leute, die man brauchte, um das Schiff in einem dringenden Notfall zu manövrieren, standen nicht mit in den Gliedern, die in straffer militärischer Haltung mittschiffs angetreten waren und nur im Takt mit den Bewegungen des Schiffes leise schwankten.

Es war Sonntag morgen, alles hatte den Hut in der Hand und lauschte mit entblößtem Kopf auf die Worte des Kommandanten. Der hielt aber nicht etwa Gottesdienst ab, die barhäuptigen Männer beteten also diesmal keineswegs zu ihrem Schöpfer. Gottesdienst gab es an drei Sonntagen des Monats, aber dann dachte kein Mensch daran, das Schiff so gründlich durchzukämmen, daß auch der letzte Mann mit antrat – die tolerante Admiralität hatte letzthin sogar verfügt, daß Katholiken, Juden und sogar Dissenter überhaupt befreit sein sollten. Heute war der vierte Sonntag, da unterblieb die Verehrung Gottes, und an ihre Stelle trat eine besonders ernste und strenge Feierlichkeit, der man ebenfalls im sauberen Hemd und barhäuptig beizuwohnen hatte. Nur die Augen brauchte man nicht niederzuschlagen. Heute standen die Männer mit dem Hut in beiden Händen und blickten starr geradeaus, während ihnen der Wind in den Haaren zauste. Sie hörten den Wortlaut des Gesetzes, dem sie unterstanden, eines Gesetzes, das das ganze Leben umfaßte wie die Zehn Gebote, das so streng war wie der Levitikus. Denn am vierten Sonntag eines jeden Monats hatte jeder Kommandant die Pflicht, der ganzen Besatzung die Kriegsartikel vorzulesen, damit sich auch der ungebildetste Analphabet nicht damit entschuldigen konnte, er hätte ihren Inhalt nicht gekannt. War der Kommandant ein frommer Mann, dann blieb ihm unbenommen, vor- oder nachher einen kurzen Gottesdienst zu halten, aber die Kriegsartikel mußten unter allen Umständen verlesen werden.

Der Kommandant schlug eine neue Seite auf.

»Artikel neunzehn«, las er. »Ein Angehöriger der Flotte, der gegen vermeintlich erlittenes Unrecht dadurch zur Selbsthilfe greift, daß er sich mit anderen in meuterischer Absicht zusammenrottet oder den Versuch dazu unternimmt, wird durch Urteil eines Kriegsgerichts mit dem Tode bestraft. Die Mittäter trifft dieselbe Strafe wie den Rädelsführer.«

Bush stand neben seiner Division und hörte diese Worte mit an wie schon dutzendemal zuvor. Er hatte sie schon so oft gehört, daß er gar nicht mehr darauf zu achten pflegte. Die Worte der vorangegangenen achtzehn Artikel waren auch diesmal fast spurlos an ihm vorübergegangen. Aber jetzt, beim neunzehnten, horchte er unwillkürlich auf. Vielleicht las der Kommandant diesen Abschnitt mit besonderem Nachdruck vor, zudem blinzelte er gerade in diesem Augenblick in die köstlich warme Sonne und entdeckte dabei Hornblower, der als Wachoffizier an der Achterdecksreling stand und ebenfalls angespannt lauschte. Da war auch schon der Satz: ›Wird mit dem Tode bestraft.‹ Er klang Bush in den Ohren wie der Donner des Jüngsten Gerichts, so gnadenlos endgültig wie das Aufklatschen eines Steines, den man in einen Brunnen wirft. Das war seltsam, denn in den anderen Artikeln, die der Kommandant vorgelesen hatte, war dieser gleiche Satz schon reichlich oft vorgekommen: ›Wer Gefahr aus dem Wege geht, wird mit dem Tode bestraft‹, ›Wer im Dienst oder auf Wache schläft, wird mit dem Tode bestraft.‹

Der Kommandant fuhr in seiner Vorlesung fort:

»Wer aufrührerische oder meuterische Reden führt, wird mit dem Tode bestraft …

Ein Offizier, Seesoldat oder Mann, der seinem Vorgesetzten die gebührende Achtung verweigert …«

Diese Worte gewannen für Bush eine besondere Bedeutung, weil Hornblower auf ihn herabsah. Er fühlte sich von einer seltsamen Unruhe gepackt. Sein Blick fiel auf den Kommandanten, der ungekämmt und in schäbigem Aufzug vor ihm stand, dabei fiel ihm unwillkürlich alles ein, was in den letzten Tagen geschehen war. Wenn je ein Mann gezeigt hatte, daß er unfähig war, seinen Dienst zu versehen, dann war es dieser Kommandant, und doch sicherten ihm die Kriegsartikel, die er eben vorlas, eine praktisch unbegrenzte Machtbefugnis. Bush warf wieder einen Blick zu Hornblower hinauf, er glaubte bestimmt zu wissen, was jener dort an der Reling des Achterdecks dachte, und fand es eigentlich seltsam, daß er sich so zu diesem widerborstigen jungen Leutnant hingezogen fühlte, obwohl er ihn eigentlich noch kaum kannte.

»Ein Offizier, Seesoldat, Mann oder sonstiger Angehöriger der Flotte –« Kapitän Sawjer war inzwischen bis zum Artikel zweiundzwanzig gekommen – »der mit einem seiner Vorgesetzten in Streit gerät oder einen nach Recht und Gesetz erteilten Befehl nicht befolgt, wird mit dem Tode bestraft!« Bisher war es Bush noch nie aufgefallen, daß die Kriegsartikel auf diesem einen Thema geradezu herumritten. Er hatte sich bis jetzt zufrieden in die Disziplin geschickt und für seine Person immer den philosophischen Standpunkt vertreten, daß alle Ungerechtigkeit und schlechte Behandlung eines Tages ein Ende nahm. Jetzt erst erkannte er, daß alle diese Bestimmungen doch ihre ganz besonderen Gründe hatten. Wie zur Bekräftigung seiner Erkenntnis las der Kommandant jetzt noch den Schlußartikel vor, der dazu bestimmt war, auch die letzte noch vorhandene Lücke zu schließen:

»Alle anderen, in diesem Gesetz nicht besonders erwähnten Verbrechen, die durch einen oder mehrere Angehörige der Flotte begangen werden …«

Bush kannte diesen Artikel. Mit seiner Hilfe konnte ein Vorgesetzter einen Untergebenen auch dann noch zugrunde richten, wenn dieser gewandt genug gewesen war, sich den Fallstricken aller anderen Artikel zu entwinden.

Der Kommandant verlas die letzten feierlichen Worte und hob dann den Blick von seinem Buch. Seine große Nase wanderte im Kreis herum wie eine Kanone, der man Seitenrichtung gibt, als er die Offiziere der Reihe nach durchdringend ansah. Sein unrasiertes Gesicht strahlte im Gefühl eines billigen Triumphes, und es sah fast aus, als hätte ihm diese Vorlesung der Artikel ein wenig Rückgrat in seinen ewigen Ängsten gegeben. Er blähte seine Brust, er schien sich auf die Zehenspitzen zu heben, als er zu seinem Schlußwort kam:

»Ich möchte keinen Mann der Besatzung im unklaren lassen, daß meine Offiziere den Kriegsartikeln in genau der gleichen Weise unterworfen sind wie jeder andere Mann.«

Bush konnte kaum glauben, diese Worte wirklich gehört zu haben. Es war doch unvorstellbar, daß ein Kommandant einen solchen Ausspruch vor versammelter Mannschaft über die Lippen brachte. Gab es ein besseres Mittel, die Disziplin zu untergraben, als derartige Reden? Aber den Kommandanten focht das nicht an, er dachte nur noch an das Dienstreglement.

»Danke, Mr. Buckland, übernehmen Sie das Kommando.«

»Aye, aye, Sir.«

Buckland trat einen Schritt vor und war nun selbst ganz Dienst. »Hüte auf!«

Der feierliche Akt war beendet, Offiziere und Mannschaften setzten die Kopfbedeckungen wieder auf.

»Divisionsweise wegtreten!«

Die Seesoldatenkapelle hatte auf diesen Augenblick gewartet. Der Tambourmajor schwang seinen Stock, die Trommelschlegel krachten auf die Felle und schlugen einen langen Wirbel, dann fielen hell und durchdringend die Pfeifen ein, und schon erklang die lustige Melodie des ›Irischen Wäschermädels‹. Patsch – patsch – patsch schulterten die Seesoldaten ihre Musketen, und Whiting, ihr Hauptmann, gab die Kommandos, die die scharlachrote Kolonne unter der strahlenden Sonne in Zug und Gegenzug über den schmalen Raum des Achterdeckes lenkten. Der Kommandant verfolgte als Zuschauer den ordnungsmäßigen Ablauf aller dieser routinemäßigen Verrichtungen. Dann ließ er sich wieder vernehmen:

»Mr. Buckland!«

»Sir?«

Der Kommandant stieg ein paar Stufen der Treppe zum Achterdeck hinauf, daß er auch von allen gut zu sehen war, und sprach so laut, daß ihn möglichst viele hörten:

»Heute ist Bauernsonntag!«

»Aye, aye, Sir.«

»Und meine braven Männer bekommen eine doppelte Portion Rum.«

»Aye, aye, Sir.«

Buckland gab sich alle Mühe, seine Stimme zu meistern, daß sie seine innere Empörung nicht verriet. Erst jene unglaubliche Bemerkung, und nun dies – es ging denn wirklich zu weit. Ein Bauernsonntag bedeutete, daß die Leute den Rest des Tages untätig verbummeln durften. Gab man ihnen dabei obendrein einen doppelten Rum, dann konnte man darauf rechnen, daß es zu Streitigkeiten und Schlägereien kam. Als Bush über das Oberdeck nach achtern ging, konnte er deutlich beobachten, wie sich die von ihrem Kommandanten verwöhnte Besatzung bereits über Zucht und Ordnung hinwegzusetzen begann. Es war eben unmöglich, eine straffe Disziplin zu halten, wenn der Kommandant von den Meldungen seiner Offiziere überhaupt keine Notiz nahm, so daß üble Elemente und notorische Drückeberger unbestraft blieben. Die Guten und Willigen begannen sich bereits über diesen Zustand aufzuregen, während die Aufwiegler und Unruhestifter natürlich immer mehr Oberwasser bekamen.

›Meine braven Männer‹, hatte der Kommandant gesagt. Nun, diese Männer wußten nur zu genau, wie schlecht sie sich während der vergangenen Woche geführt hatten. Wenn sie der Kommandant dennoch ›brav‹ nannte, dann konnte man sich in den nächsten acht Tagen auf einiges gefaßt machen. Überdies wußte die Mannschaft natürlich genau Bescheid, wie übel der Kommandant mit seinen Leutnants umsprang. Es hatte sich längst herumgesprochen, wie hemmungslos er sie zusammenstach und welche brutalen Strafen er über sie verhängte. ›Der Messebraten von heute ist das Mannschaftshackfleisch von morgen‹, sagte das Sprichwort. Das hieß, daß alles, was achtern vorging, bald darauf im Vorschiff in entstellter und verstümmelter Form durchgehechelt wurde. Wie konnte man erwarten, daß die Mannschaften ihren Offizieren gehorchten, obwohl sie wußten, daß der Kommandant den gleichen Offizieren die Achtung und das Vertrauen versagte? Bush machte sich ernstliche Sorgen, als er die Treppe zum Achterdeck hinaufstieg.

Der Kommandant war in seine Kajüte unter dem Halbdeck gegangen, Buckland und Roberts standen in ein Gespräch vertieft an den Finknetzen, Bush trat zu ihnen heran.

»Diese Artikel gelten für meine Offiziere – wohlgemerkt«, sagte Buckland eben, als er sich den beiden näherte.

»Bauernsonntag und doppelten Rum«, fügte Roberts hinzu, »alles für die braven Männer.«

Buckland warf einen verstohlenen Blick über das Deck, ehe er weitersprach. Es war jammervoll zu sehen, wie sich der Erste Offizier eines Linienschiffes ängstlich in acht nehmen mußte, daß niemand hören konnte, was er sagte. Aber Hornblower und Wellard standen weit genug entfernt an der anderen Seite des Ruders. Und ganz am Heck standen, um den Steuermann geschart, die Fähnriche der Navigationsgruppe mit ihren Sextanten, um mit ihm die Mittagsbreite zu nehmen.

»Er ist verrückt«, sagte Buckland so leise, wie es der Nordostpassat zuließ.

»Das wissen wir alle«, meinte Roberts.

Bush sagte nichts. Seine Vorsicht mahnte ihn, sich jetzt nicht bloßzustellen.

»Clive rührt keinen Finger«, sagte Buckland. »Er ist der jämmerlichste Tropf auf Gottes Erdboden.«

Clive war der Schiffsarzt.

»Haben Sie mit ihm gesprochen?«

»Ich habe es versucht. Aber es war kein Wort aus ihm herauszubringen. Er hat ganz einfach Angst.«

»Rühren Sie sich nicht von der Stelle, meine Herren«, fuhr plötzlich eine laute, barsche Stimme dazwischen, es war das wohlbekannte Organ des Kommandanten. Die Worte kamen von unten her, aus der Höhe des Decks, auf dem sie standen. Die drei Offiziere fuhren erschrocken zusammen.

»Die Schuld steht Ihnen im Gesicht geschrieben«, brüllte die Stimme. »Sie sind mein Zeuge, Mr. Hobbs.«

Die drei blickten sich um. Das Skylight der vorderen Kommandantenkajüte war um einige Zoll angehoben, und durch den Spalt spähte der Kommandant zu ihnen heraus. Man sah nur seine Augen und seine Nase. Er war ziemlich groß und brauchte daher nur auf irgendeinen niedrigen Gegenstand, zum Beispiel ein Buch oder einen Fußschemel zu treten, wenn er von unten her über das Süll des Skylights hinwegschauen wollte. Die Offiziere hatten sich noch nicht von der Stelle gerührt, als neben dem Kommandanten ein zweites Paar Augen erschien. Sie gehörten Hobbs, dem Feuerwerker.

»Warten Sie, bis ich komme, meine Herren«, sagte der Kommandant. Bei dem Wort ›meine Herren‹ verzog sich sein Mund zu einem hämischen Grinsen. »Ich danke Ihnen, Mr. Hobbs.«

Die beiden Gesichter verschwanden aus dem Spalt des Skylights, den Offizieren blieb kaum Zeit, einen verzweifelten Blick zu wechseln, denn gleich darauf kam der Kommandant den Niedergang heraufgepoltert und trat auf sie zu.

»Na, eine meuterische Zusammenrottung, wie mir scheint«, sagte er.

»Nein, Sir«, gab ihm Buckland zur Antwort. Jetzt kam es darauf an, alles eisern in Abrede zu stellen. Jeder nicht bestrittene Vorwurf war so gut wie ein Geständnis seiner Schuld, und dabei ging es immerhin um seinen Kopf.

»Wie, Sie wagen es, mich auf meinem eigenen Achterdeck anzulügen?«brüllte der Kommandant. »Jetzt weiß ich, daß ich recht habe, wenn ich meinen Offizieren mißtraue. Was tun Sie denn den ganzen Tag? Nichts als die Köpfe zusammenstecken, wispern und dunkle Pläne schmieden! Und obendrein verweigert man mir jetzt in gröblicher Weise die schuldige Achtung! Ich werde dafür sorgen, Mr. Buckland, daß Sie ab sofort Gelegenheit haben, gründlich über die Folgen Ihrer Haltung nachzudenken.«

»Ich habe Ihnen die Achtung nicht verweigert«, wandte Buckland ein.

»So? Jetzt lügen Sie mir schon wieder ins Gesicht! Und Sie beide? Sie stehen dabei und spielen die stummen Helfer, geben ihm Rückgrat, ja? Bis heute habe ich eine bessere Meinung von Ihnen gehabt, Mr. Bush.«

Bush hielt es für das beste, keine Antwort zu geben.



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