Licht im Dunkeln - Heino Falcke - E-Book
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Licht im Dunkeln E-Book

Heino Falcke

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Beschreibung

Die illustrierte Prachtausgabe des Bestsellers »Heino Falcke leistet bahnbrechende Forschung am geheimnisvollsten Phänomen des Universums und an den Grenzen von Raum und Zeit.« Aus der Jurybegründung des Spinoza Preises Es ist eine Weltsensation: Am 10. April 2019 präsentiert Heino Falcke das erste Bild eines schwarzen Lochs – ein Wendepunkt in der Astronomie. Heino Falcke erklärt uns, wie es dazu kam, von den ersten Blicken der Menschen hoch zum Himmel bis zur modernen Astrophysik, der Erforschung der schwarzen Löcher und den noch unenthüllten Geheimnissen des Universums – und was das mit ihm und uns Menschen zu tun hat. Seit Menschengedenken wenden wir unseren Blick zum Himmel. Aus dem Bedürfnis, die Welt und das Leben zu verstehen, ist die Astronomie entstanden. Heino Falcke erzählt eine kurze Geschichte des Universums und wie wir es gesehen haben bis hin zu den ganz großen Fragen, die wir an die Sterne stellen. Er beschreibt, wie er in einer nie dagewesenen globalen Gemeinschaftsleistung mit seinen internationalen Kollegen die ganze Welt in ein riesiges Teleskop verwandelt hat und so dem größten Rätsel des Universums, einem schwarzen Loch, ins Auge schauen konnte. Doch was bedeutet das für die Zukunft der Astrophysik? Welche Rolle kann der Mensch im Universum spielen? Und was können wir aus dem Weltall über Gott und die Welt, über uns selber lernen? Heino Falcke, gläubiger Christ und Wissenschaftler von Weltrang, nimmt uns mit auf eine außergewöhnliche, faszinierende und unterhaltsame Reise bis an den Horizont von Raum und Zeit. Ein Plädoyer für Demut und Neugier.   »Heino Falcke ist für mich der Mann des Jahres 2019, und das Foto, das er und sein Team vom schwarzen Loch in der M87- Galaxie gemacht haben, ist längst zum ikonischen Bild geworden. Dabei ist Falcke nicht nur ein phantastischer Wissenschaftler, sondern auch ein begabter Geschichtenerzähler.« Jim Jansen, Chefredakteur New Scientist NL

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Seitenzahl: 505

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Heino Falcke

mit Jörg Römer

Licht im Dunkeln

Schwarze Löcher, das Universum und wir

Klett-Cotta

Impressum

Dieses E-Book basiert auf der aktuellen Auflage der Printausgabe.

Klett-Cotta

www.klett-cotta.de

© 2020, 2022 by J. G. Cotta’sche Buchhandlung

Nachfolger GmbH, gegr. 1659, Stuttgart

Alle Rechte vorbehalten

Printed in Germany

Cover: Rothfos & Gabler, Hamburg

unter Verwendung eines Fotos von © Event Horizon Telescope Collaboration; shutterstock, Dima Zel

Gesetzt von Dörlemann Satz, Lemförde

Gedruckt und gebunden von CPI – Clausen & Bosse, Leck

ISBN 978-3-608-98671-6

E-Book ISBN 978-3-608-12024-0

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Inhalt

Prolog

Und wir sehen sie doch

Über dieses Buch

Teil I

Reise durch Raum und Zeit

Kapitel 1

Der Mensch, die Erde und der Mond

Der Countdown

Im All

Zeit ist relativ

Ein kleiner Junge träumt vom Mond

Kapitel 2

Sonnensystem und Weltbilder

Die Sonne – unser nächster Stern

Götter am Himmel – das Geheimnis der Planetenbahnen

Die Anfänge der Astronomie

Ein neues Weltbild

Venus, die Göttin der Liebe und der Zollstock des Alls

Teil 

II

Die Geheimnisse des Universums

Kapitel 1

Einsteins glücklichster Gedanke

Licht und Zeit

Merkurs Fingerzeig – eine neue Theorie von Raum und Zeit

Der Raum ist auch nur ein Bettlaken

Expedition zur Dunkelheit

Kapitel 2

Die Milchstraße und ihre Sterne

Das geheime Leben der Sterne

Aus Klümpchen werden Planeten

Leben im All

Kapitel 3

Tote Sterne und Schwarze Löcher

Tod am Himmel – wie ein Stern stirbt

Ein Schwarzes Loch entsteht

Im Herzen der Milchstraße

Kapitel 4

Galaxien, Quasare und der Urknall

Galaxien auf der Flucht

Ein neues Licht – Radioastronomie

Quasare – unterwegs zu den Massenmonstern

Die Vermessung des Urknalls

Teil 

III

Die Reise zum Bild

Kapitel 1

Das Galaktische Zentrum

Faszination Müllschlucker

Das dunkle Herz der Milchstraße

Ein erster Verdacht

Die schweigende Mehrheit

Der Tanz der Sterne um das Schwarze Loch

Kapitel 2

Die Idee vom Bild

Amazing Grace

Das Schwarze Loch wirft seinen Schatten voraus

Kapitel 3

Ein Weltteleskop entsteht

Auf der Suche nach Teleskopen und Geld

Das Event Horizon Telescope entsteht

Auf Expedition nach Arizona

Kapitel 4

Auf Expedition

Das große Experiment

Final Countdown

Die Heimreise

Kapitel 5

Das erste Bild

Wie aus Rauschen ein Bild wird

Die große Überraschung

Vorwehen

Teil

IV

Jenseits der Grenzen

Kapitel 1

Jenseits unserer Vorstellungskraft

Ein überwältigender Empfang

Was Schwarze Löcher über uns Menschen erzählen

Kapitel 2

Über Einstein hinaus?

Wurmlöcher

Hawking-Strahlung

Informationsverlust

Kapitel 3

Allmacht und Grenzen

Alles ist messbar?

Der Nebel der Zeit

Am Anfang – und darüber hinaus

Epilog

zur illustrierten Ausgabe, aktualisiert im Juli

2022

Anhang

Dank

Weiterführende Informationen zu Buch und Autor

Liste der

EHT

-Autoren

Glossar

Bildnachweis

Anmerkungen

Prolog (S. 7)

Teil I – Reise durch Raum und Zeit (S. 15)

Teil 

II

 – Die Geheimnisse des Universums (S. 61)

Teil 

III

 – Die Reise zum Bild (S. 149)

TEIL IV

 – Jenseits der Grenzen (S. 269)

Epilog

Personen- und Ortsregister

Tafelteil

Prolog

Und wir sehen sie doch

Plötzlich verdunkelt sich der große Pressesaal der Europäischen Kommission in Brüssel(1). Der langerwartete Augenblick ist da, für den wir alle viele Jahre und bis zur Erschöpfung gearbeitet haben. Es ist Dienstag, der 10. April 2019, 15:06 Uhr und 20 Sekunden. Noch 40 Sekunden, dann wird die Weltöffentlichkeit zum ersten Mal die Aufnahme eines riesigen Schwarzen Lochs bewundern. 55 Millionen Lichtjahre von der Erde entfernt befindet es sich im Zentrum der Galaxie Messier(1) 87 – oder kurz M87. Lange schien das tiefe Dunkel Schwarzer Löcher unseren Augen für immer verborgen zu bleiben, aber heute würde es zum ersten Mal ins helle Licht der Öffentlichkeit treten.

Die Pressekonferenz hat begonnen, aber wir begreifen noch gar nicht, was sie alles auslösen werden würde. Eine tausendjährige Entdeckungsreise der Menschheit hin zu den Grenzen unseres Wissens, revolutionäre Theorien über Raum und Zeit, modernste Technologien, die Arbeit einer jungen Generation von Radioastronomen und mein gesamtes Forscherleben werden sich heute im Bild dieses Schwarzen Lochs bündeln. Astronomen, Naturwissenschaftler, Journalisten, und Politiker verfolgen gebannt, was wir hier und in anderen Hauptstädten der Welt zeigen werden. Erst später erfahre ich, dass Millionen Menschen weltweit an Bildschirmen ausharren und dass in nur wenigen Stunden etwa vier Milliarden Menschen unser BILD sehen werden.

In der ersten Reihe des Saales sitzen verdiente Kollegen und junge Wissenschaftler, darunter viele meiner Studenten. Jahrelang hatten wir intensiv zusammengearbeitet; jeder hatte sich selbst und mich weit übertroffen; etliche waren nur für dieses Ziel, manchmal unter Lebensgefahr, in die entlegensten Weltgegenden gereist. Und heute steht das Ergebnis, der Erfolg ihrer Arbeit, im Mittelpunkt der Weltöffentlichkeit, während sie im Dunkeln sitzen. Ihnen allen möchte ich jetzt danken, denn jede und jeder von ihnen hat diesen Durchbruch ermöglicht.

Doch die Uhr tickt. Ich befinde mich in einem Tunnel, jeder Eindruck fliegt an mir vorbei wie der Fahrtwind an einem Rennfahrer. Das Handy in der dritten Reihe, dessen Linse auf mich gerichtet ist, bemerke ich nicht. Der Clip taucht später auf einer der populärsten Webseiten für Kids als »Trending Topic« auf – zwischen vulgären Witzen über den Hintern des amerikanischen Präsidenten und dem Joint eines bekannten Rappers. Die wachsame Spannung der Journalisten springt auf mich über: jeder Blick eine Erwartung. Mein Puls rast. Alle schauen mich an.

Vor mir hat Carlos Moedas(1) gesprochen, der EU-Kommissar für Wissenschaft. »Nicht zu lange reden«, hatten wir ihm eingebleut. Moedas facht mit seinen Worten die Neugier des Publikums an, und jetzt ist er zu früh fertig. Aus dem Stand muss ich die Zeitlücke füllen, versuche, meine Nervosität zu überspielen.

Synchron soll weltweit die allererste Aufnahme gezeigt werden. Punkt 15:07 Uhr mitteleuropäischer Zeit wird das Bild auf der riesigen Leinwand hier im Saal aufscheinen. Gleichzeitig stehen meine Kollegen in Washington(1), Tokio(1), Santiago de Chile(1), Shanghai(1) und Taipei(1) bereit, dieses Bild eines Schwarzen Lochs vorzuführen, zu kommentieren und Fragen der Journalisten zu beantworten. Computerserver auf allen Kontinenten sind programmiert, um Fachpublikationen und Pressemitteilungen in alle Welt zu schicken. Unaufhaltsam läuft die Zeit. Alles hatten wir zuvor präzise koordiniert und geplant – die geringste Abweichung würde alles durcheinanderbringen, so wie es auch bei unseren Messkampagnen der Fall gewesen war. Jetzt komme ich direkt am Anfang ins Stolpern.

Ich beginne mit meinen Eröffnungsworten, während ein Film hinter mir immer schneller und tiefer in das Herz einer riesigen Galaxie hineinzoomt. Vor Aufregung beginne ich mit einem dummen Versprecher. Ich verwechsle Lichtjahre mit Kilometern – keine Kleinigkeit für einen Astronomen, aber auch keine Zeit, im Boden zu versinken, es muss weitergehen.

Die Anzeigetafel springt um – es ist exakt 15:07 Uhr. Aus der Tiefe und der unendlichen Dunkelheit des Weltalls, aus dem Zentrum der Galaxie Messier(2) 87, taucht ein rot glühender Ring auf. Schemenhaft zeichnen sich seine Konturen ab, verharren leicht verschwommen auf der Leinwand, der Ring leuchtet auf, zieht alle Zuschauer in seinen Bann und lässt erahnen: Dieses Bild, das aufzunehmen für unmöglich gehalten wurde, hatte mittels Radiowellen aus 500 Trillionen Kilometer Entfernung seinen Weg endlich zu uns auf die Erde gefunden.

Supermassereiche Schwarze Löcher sind Weltraumfriedhöfe. Sie entstehen aus verglühenden, ausgebrannten und erlöschenden Sternen. Das All füttert sie aber auch mit gigantischen Gasnebeln, Planeten und Sternen. Sie krümmen durch ihre schiere Masse den leeren Raum in extremer Weise und scheinen selbst den Lauf der Zeit anhalten zu können. Was ihnen zu nahe kommt, geben Schwarze Löcher nie wieder frei – nicht einmal Lichtstrahlen können ihnen entkommen.

Aber wie können wir überhaupt Schwarze Löcher sehen, wenn kein Lichtstrahl von dort zu uns dringen kann? Woher wissen wir, dass dieses Schwarze Loch 6,5 Milliarden Sonnenmassen verdichtet hat und dadurch supermassereich geworden ist? Schließlich hüllt doch der glühende Ring die tiefdunkle Schwärze ihres Inneren ein, dem kein Lichtstrahl und kein Wort entkommen können.

»Dies ist das erste Bild eines Schwarzen Lochs«, sage ich[1], als es endlich in seiner ganzen Fülle auf der Leinwand erscheint. Im Saal brandet spontaner Applaus auf. Von mir fällt die ganze Anstrengung der letzten Jahre ab. Ich fühle mich frei – endlich ist das Geheimnis gelüftet! Eine kosmische Fabelgestalt hat jetzt für jeden sichtbar Form und Farbe angenommen.[2]

Die Zeitungen verbreiten am nächsten Tag, wir hätten Wissenschaftsgeschichte geschrieben. Uns sei es gelungen, der Menschheit einen gemeinsamen Moment der Freude und des Staunens zu schenken: Und es gibt sie doch, diese supermassereichen Schwarzen Löcher! Sie sind keine Hirngespinste abgedrehter Science-Fiction-Autoren.

Das Bild konnte nur gelingen, weil Menschen auf der ganzen Welt über alle Schwierigkeiten und Unterschiede hinweg über Jahre ein gemeinsames Ziel verfolgt hatten. Sie alle wollten Schwarzen Löchern auf die Spur kommen, einem der größten Geheimnisse der Physik. Dieses Bild hat uns an die Grenze unseres Wissens geführt. So verrückt es klingt: Am Rand von Schwarzen Löchern endet unsere Möglichkeit zu messen und zu forschen, und es ist eine große Frage, ob wir diese Grenze jemals überschreiten können.

Generationen von Wissenschaftlern hatten vor uns dieses neue Kapitel der Physik und der Astronomie aufgeschlagen. Vor 20 Jahren galt der Wunsch, das Bild eines Schwarzen Lochs einzufangen, noch als überspannter Traum. Auf der Jagd nach den Schwarzen Löchern war ich damals als junger Forscher in dieses Abenteuer hineingestolpert, das mich bis heute in seinen Bann zieht.

Wie aufregend es werden, wie es mein Leben bestimmen und verändern würde, ahnte ich nicht im Entferntesten. Eine Expedition an das Ende von Raum und Zeit, eine Reise in die Herzen von Millionen Menschen wurde es, auch wenn ich selbst dies als Letzter begriff. Mithilfe der Welt war uns dieses Bild gelungen, jetzt teilten wir es mit der Welt, und die Welt umarmte es – stärker, als ich es jemals für möglich gehalten hatte.

Begonnen hat für mich alles vor fast 50 Jahren. Seit ich als kleiner Junge zum ersten Mal ins nächtliche Firmament aufschaute, träumte ich vom Himmel, wie nur ein Kind vom Himmel träumen kann. Die Astronomie ist eine der faszinierendsten und ältesten Wissenschaften, die uns heute immer noch dramatisch neue Einsichten schenkt. Von der Frühzeit bis heute haben Forscher unser Weltbild immer wieder grundlegend verändert – angetrieben von Neugier und Notwendigkeit. Seither erkunden wir das Universum mit unserem Geist, mit Mathematik und Physik und immer neuen Teleskopen. Mit modernster Technik machen wir uns auf zu Expeditionen an alle Enden der Welt und sogar ins All, um das Unbekannte zu erforschen. Im unergründlichen Weltall, im unendlichen Universum und im göttlichen Kosmos sind Wissen, Mythen und Mythos, Glaube und Aberglaube schon immer so eng miteinander verwoben, dass heute kein Mensch in den Nachthimmel schaut, ohne sich zu fragen, was uns in dieser dunklen Weite noch alles erwartet.

Über dieses Buch

Dieses Buch ist eine Einladung auf eine persönliche Reise mit mir durch dieses – durch unser – Universum. Wir starten im ersten Teil auf der Erde, fliegen vorbei an Mond und Sonne, passieren die Planeten und lernen aus der Geschichte der Astronomie, die bis heute unser Weltbild prägt. Der zweite Teil des Buches ist eine Reise durch das Wissen der modernen Astronomie. Raum und Zeit werden relativ. Sterne werden geboren, vergehen und werden manchmal zu Schwarzen Löchern. Schließlich verlassen wir unsere Milchstraße, bis wir ein unvorstellbar großes Universum sehen, in dem es von Galaxien und monsterhaften Schwarzen Löchern nur so wimmelt. Galaxien erzählen vom Anbeginn von Raum und Zeit, dem Urknall. Schwarze Löcher stehen für das Ende der Zeit.

Das erste Bild eines Schwarzen Lochs war ein Kraftakt der Wissenschaft, für den Hunderte Forscher jahrelang zusammengearbeitet haben. Die Idee zum Bild, die von einem kleinen Senfkorn zu einem großen Experiment wuchs, die spannende Expedition zu den Radioteleskopen auf der ganzen Welt und die aufregende Zeit, bis endlich das Bild ins Licht der Öffentlichkeit trat – meine Erlebnisse dieses Abenteuers beschreibe ich im dritten Teil.

Im vierten Teil wollen wir uns dann an ein paar der letzten großen Fragen der Wissenschaft wagen: Sind Schwarze Löcher das Ende? Was passierte vor dem Beginn von Raum und Zeit und was an deren Ende? Und was macht dieses Wissen mit uns kleinen Menschen hier auf dieser unscheinbaren, aber wunderbaren Erde? Bedeutet der Triumph der Naturwissenschaft für uns, dass wir bald alles wissen, messen und vorhersagen können? Ist da noch Platz für Unsicherheiten, Hoffnungen, Zweifel und für einen Gott?

Teil I

Reise durch Raum und Zeit

Ein kurzer Überblick über unser Sonnensystem und die Frühgeschichte der Astronomie.

Kapitel 1

Der Mensch, die Erde und der Mond

Der Countdown

Machen wir uns gemeinsam auf zu einer spannenden Reise durch Raum und Zeit. Wir beginnen auf der Erde. Furchteinflößend ragt dort eine Rakete aus der grünen Landschaft empor. Vögel flattern ahnungslos um dieses Glanzstück der Technik. Befangene Stille vor dem Sturm; über dem Weltraumgelände liegt noch die Düsterheit der gerade einsetzenden Morgendämmerung. Die Natur ahnt noch nichts von dem höllischen Inferno, das sich in wenigen Sekunden hier zutragen wird.

Aufgeregt, aber noch müde versammeln sich das Personal und die Zuschauer auf einer Beobachtungsplattform. Von dort oben sehen jeder Gegenstand, die Menschen und das ganze Geschehen niedlich wie eine Puppenstube aus. Ein Zuschauer zückt sein Handy, streamt die Szene auf eine Internetseite, die mit chinesischen Zeichen und blinkenden Logos übersät ist. Genau diesen Stream verfolge ich hoffend und dankbar im Internet, während ich auf der anderen Seite der Erde mitten in der grünen Natur Irlands(1) in einem behaglichen Bed and Breakfast sitze. Gebannt beobachte ich die weiteren Ereignisse.

Aus dem Off kreischt plötzlich eine Stimme, sie ist unverständlich und abgehackt, klingt blechern und geht durch Mark und Bein. Ein Countdown wird monoton heruntergeleiert, und obwohl ich die Sprache nicht verstehe, zähle ich mit. Mit einem dröhnenden Schlag erhellt ein rötlich-gelbes Leuchten am Fuß der Rakete die Dunkelheit, die Zündung der Triebwerke löst selbst noch im beschaulichen Irland(2) einen ohrenbetäubenden Lärm aus – obwohl der Ton nur aus meinem Notebook kommt. Der Boden bebt, die Halterungen der Rakete sind gefallen, sie löst sich und hebt majestätisch ab, zieht wie ein umgekehrter Komet einen grellen Hitzeschweif hinter sich her, verschwindet aus dem Blick und schießt hinaus ins Weltall.

Ich fühle mich zum Start des Spaceshuttle »Discovery« zurückversetzt, den ich mit meiner müden, aber aufgeregten Familie am frühen Morgen des 11. Februar 1997 in Cape Canaveral beobachten konnte. Noch heute sehe ich den stolzen Blick meiner vierjährigen Tochter(1), wie sie am Tag zuvor die turmhohe Rakete von fern betrachtete. Im Leuchten ihrer Augen entdeckte ich mein eigenes Leuchten.

21 Jahre später, an diesem 20. Mai 2018, sehe ich nur eine verpixelte, stockende Liveübertragung aus China(1). Dennoch weiß ich genau, wie es sich dort jetzt anfühlt, und es ist ein ganz besonderer Start. Denn an Bord ist ein Stück von mir: ein Experiment von meinem Team in Nimwegen.(1) Wieder bin ich wie ein Kind. Die Rakete hat ein besonderes Ziel – die Rückseite des Mondes.

In Gedanken fliege ich mit – zum Mond und noch viel weiter –, so wie ich es schon viele Male zuvor getan habe. Ich fliege, wohin meine Sehnsucht mich schon immer gezogen hat: ins Weltall.

Im All

Himmlische Ruhe. Wer im Weltall angekommen ist, dem fällt als Erstes die unendliche Stille auf. Die Triebwerke sind ausgeschaltet, draußen erstirbt jedes Geräusch. 550 Kilometer über dem Erdboden schwebt das Hubble(1) Space Telescope – fast 70-mal höher als der Mount Everest –, gleitet durch eine Atmosphäre, die etwa fünf Millionen Mal dünner als auf der Erdoberfläche ist.[1] Schallwellen, eigentlich Schwingungen der Luft, sind mit menschlichen Ohren nicht mehr zu hören: Kein Rascheln, kein Wort, nicht einmal die stärkste Explosion auf Erden könnte hier vernommen werden.

Als Astronom benutze ich Weltraumteleskope, die um die Erde kreisen, lausche den Geschichten der Astronauten, die selbst dort waren, und sehe ihre Bilder, die sie zurückgebracht haben. In Gedanken schwebe ich scheinbar leise und schwerelos mit im All, dabei rase ich mit tollkühnen 27 000 Kilometern pro Stunde um die Erde. Die starken Fliehkräfte könnten mich aus der Umlaufbahn schleudern, aber die machtvolle Erdanziehung gleicht diese Kräfte genau aus und hält mich auf Kurs. Das ist das Geheimnis jeder orbitalen Bewegung um einen Himmelskörper. Schwerelosigkeit bedeutet nicht, von der Schwerkraft los zu sein. Im Orbit hat uns die Schwerkraft noch im Griff, aber wir fühlen uns schwerelos, weil Flieh- und Anziehungskraft genau austariert sind. Eigentlich befinden wir uns im freien Fall, aber wir verpassen die Erde immer wieder, weil wir auf großen, wie mit einem riesigen Zirkel gezogenen Bahnen um die Erde kreisen. Bremsten wir ab, würden die Bahnen immer kleiner und steiler, bis der freie Fall irgendwann einmal abrupt in einem Einschlagkrater auf der Erde endete. Aber das will ja keiner!

Die geringe verbliebene Luftreibung auf das Raumschiff ist so minimal, dass wir fast ungebremst noch jahrelang um die Erde kreisen könnten[2], ohne auch nur ein Mal unsere Raketen zu zünden.

Solange wir im Weltraum kreisen, können wir von dort oben den einzigartigen Blick auf die Erde genießen. Gottgleich sehen wir diese blaue Perle auf dem schwarzen Samt des Universums. Kontinente, Wolken und Meere entfesseln ein reiches, wildes Farbenspiel. Nachts erhellen Blitze, strahlende Städte wie auch glimmende Polarlichter die Weltbühne und bieten einen spektakulären Anblick. Grenzen verschwinden, und mit einem allumfassenden Blick erkennen wir die Erde als die gemeinsame Heimat aller Menschen. Klar und scharf ist der Rand, der uns von der Kälte des Weltraums abgrenzt. Wie dünn diese Luftschicht ist, die uns vor dem lebensfeindlichen Weltall schützt und das Leben ermöglicht, begreifen wir erst jetzt, erst von hier oben. Wetter und Klima spielen sich nur in einem schmalen Band oberhalb der Erde ab. Wie fragil und zerbrechlich erscheint auf einmal dieser stolze Planet! Solche faszinierenden Ein- und Ausblicke verdanken wir moderner Technologie im All. Durch ihren rücksichtslosen Gebrauch auf der Erde zerstören wir aber auch unsere Lebensgrundlage und diesen einzigartigen Blauen Planeten.

Wenn ich diese wunderschönen Bilder von der Erde sehe, spüre ich jedes Mal auch Einsamkeit und Leere, Leid und Elend, die auf ihr herrschen. »Gott spannt den Norden aus über dem Leeren und hängt die Erde über das Nichts«, rief der leidgeprüfte Hiob[3] vor Jahrtausenden aus. Mitten im Nichts des Himmels, das wie ein schwarzes Zelttuch aufgespannt ist – unser Erdball! Dieser Blick von oben war dem biblischen Schreiber nicht vergönnt, und doch nahm er die Erde in seinen Visionen bereits als Ganzes wahr. Die alten Visionen der Menschheit werden heute mit neuen Bildern gefüllt, die uns die heutige Technik liefert. Permanent peilt ein Satellitenschwarm unseren Planeten an und nimmt Wolken, Kontinente und Meere atemberaubend detailliert auf.

Hiob, der die Erde im Nichts hängen sieht, klagt vor Gott über etwas zutiefst Menschliches – das sinnlose Leiden. Auch heute noch ist dieser Planet ein Nebeneinander von Leid und Schönheit. Ein einzelner Mensch ist vom All aus nicht zu sehen. Leid begreift man nur aus der Nähe – aus der Ferne sieht auf der Erde alles erhaben und einzigartig aus. Selbst Hurrikans, Überschwemmungen und brennende Wälder entfalten von oben eine morbide Faszination. Im All ist man weit weg vom Leid der Einzelnen, das sich tausendfach dort unten abspielt, und unbegreiflich sind unsere irdischen Probleme. Geht dieser ›Allmachtsblick‹ nicht oft am Menschen selbst vorbei?

Wie nachhaltig diese nüchterne und technische Forschung selbst abgehärtete Raumfahrer verändert, ist mehr als erstaunlich. Nach dem Kosmonauten Juri Gagarin(1) 1961 waren etwa 550 Menschen im Weltall und fast alle berichten, wie ihr Staunen über die erhabene Zerbrechlichkeit der Erde sie tief beeindruckt und sie selbst persönlich tiefgreifend verändert hat. Den Globus mit einem Blick erfassen zu können scheint einem Rauschzustand gleichzukommen. »Overview Effect«, so nannte der US-Publizist Frank White(1) dieses Phänomen, das er untersuchte und psychologisch eingehend beschrieb. Was löst der Anblick der Erdkugel bei uns aus? Wie verändern wir uns? Wie können wir diesen Effekt nutzen? Mediziner erforschen den »Overview Effect«, seit er zum ersten Mal beschrieben wurde. Die Erde ist einzigartig, es gibt im Weltraum, soweit wir wissen, nichts Vergleichbares. So empfinden es auch Raumfahrer. Engelsgleich über der Erde zu schweben und alles von oben zu sehen, lässt uns Menschen nicht kalt. Lassen wir uns also von den neuen Bildern aus dem All und vom All inspirieren, ohne dabei den Menschen zu übersehen.

Zeit ist relativ

Sobald wir den Orbit erreicht haben, ändert sich aber auch unsere Perspektive auf Raum und Zeit. Wir erlangen nicht nur einen anderen Blick auf unseren Heimatplaneten, die Erde, sondern auch darauf, wie wir Tag, Monat und Jahr wahrnehmen. »Tausend Jahre sind vor dir wie der Tag, der gestern vergangen ist«[4], heißt es in einem berühmten alten Psalmvers. Zeit ist relativ. Menschen ahnen das schon seit Urzeiten, aber nirgends erleben wir das drastischer als im Weltall.

Als ich meine ersten Beobachtungsprogramme für das Hubble(2) Space Telescope schrieb, musste ich die Kommandosequenzen in 95-Minuten-Blöcke aufteilen, weil das Teleskop in dieser Zeit einmal die Erde umkreist. Alle 95 Minuten ging die Sonne auf und wieder unter. Ein solcher Tag im All dauert 95 Minuten. Auch die Astronauten auf der Internationalen Raumstation ISS erleben Sonnenaufgänge im Anderthalbstundentakt, und ich erlebte sie am Schreibtisch, als ich meine Beobachtungen vorbereitete und in Gedanken durchs Universum schwebte.

Die Relativität der Zeit bedeutet aber mehr, als nur ein anderes Maß für die Dauer eines Tages zu haben. Im Weltall gehen, auch wenn es kaum jemand für möglich hält, die Uhren tatsächlich anders als auf der Erde. In einer Umlaufbahn von 20 000 Kilometern über der Erde laufen sie 39 Mikrosekunden pro Tag schneller. In 70 Jahren gehen unsere Erduhren also eine Sekunde langsamer als unsere Weltalluhren. Das klingt wenig, aber wir können diesen minimalen Unterschied heute problemlos messen. Genau diese unscheinbare Differenz offenbart schon einen Kerngedanken der Allgemeinen Relativitätstheorie von Albert Einstein(1): Zeit ist wirklich relativ. Diese Theorie beschreibt nicht nur unser Sonnensystem, sondern auch Schwarze Löcher und das Raumzeitgewebe des gesamten Alls.

Es war ein außergewöhnlich langer Weg bis zu dieser Erkenntnis. Er beginnt im Großen mit so grundlegenden Entdeckungen wie der Struktur und den Gesetzmäßigkeiten unseres eigenen Sonnensystems und reicht bis zum Verständnis unseres ganzen Kosmos. Im Kleinen beginnt dieser Erkenntnisweg damit, das paradoxe Wechselverhalten von Licht als Welle wie auch als Teilchen zu verstehen, und ist selbstverständlich mit Einsteins berühmter Relativitätstheorie verbunden.

Der Schlüssel für all dies ist das genaue Verständnis der merkwürdigen Eigenschaften von Licht. Besonders erstaunlich ist: Licht ermöglicht nicht nur das Schauen, mit dem wir Erde, Mond und Sterne entdeckt haben, sondern Licht, Zeit, Raum und Gravitation sind auch aufs Engste miteinander verknüpft.

Blicken wir für einen Moment in die Geschichte der modernen Physik zurück. Für Isaac Newton(1), den Urvater der Gravitationstheorie, bestand Licht nur aus kleinen Korpuskeln, also kleinsten Körperchen. Im 19. Jahrhundert entwickelte dann der schottische Physiker James Clerk Maxwell(1), basierend auf den genialen Pionierarbeiten von Michael Faraday(1), die Theorie, dass Licht und alle Formen von Strahlung elektromagnetische Wellen sind. Die Radiostrahlung von WLAN, Handys oder Autoradios, die Wärmestrahlung der Nachtsichtgeräte, die Röntgenstrahlung, mit der wir Knochen sichtbar machen, oder eben das sichtbare Licht, das unsere Augen wahrnimmt – sie alle sind demnach Schwingungen elektrischer und magnetischer Felder. Nur durch die Frequenz der Schwingungen und die Art der Erzeugung und Messung unterscheiden sie sich voneinander. Aber im Grunde repräsentieren diese Schwingungen alle dasselbe Phänomen – Licht: Radiolicht, Infrarotlicht, Röntgenlicht und sichtbares Licht.

Im Bereich der Handyfrequenzen schwingen die Wellen eine Milliarde Mal pro Sekunde, und ihre Wellenlänge erstreckt sich über 20 Zentimeter. Im sichtbaren Licht schwingen die Wellen fast eine Billiarde Mal pro Sekunde und sind hundertmal kleiner als der Durchmesser eines Haares. Weil Lichtwellen einer bestimmten Farbe und Frequenz immer im gleichen Takt schwingen, ist Licht auch der perfekte Taktgeber für eine Uhr und das Maß aller Dinge, wenn es darum geht, die Zeit zu messen. Die genauesten optischen Uhren sind heute auf einen Bruchteil von 10–19 justiert.[5] Zwei solcher Uhren würden über die bisherige Lebensdauer des Universums von etwa 14 Milliarden Jahren hinweg gerade mal eine halbe Sekunde auseinandergehen! Eine Exaktheit, von der frühere Generationen nicht einmal zu träumen wagten.

Aber was schwingt da eigentlich? Lange Zeit dachte man, der ganze Weltraum sei mit dem sogenannten Äther gefüllt. Dabei handelt es sich jedoch um kein Lösungsmittel, sondern um ein hypothetisches Medium, in dem sich elektromagnetische Wellen, also Licht- und Radiowellen, wie Schallwellen in der Luft bewegen und ausbreiten.

Eine der Eigenschaften der Maxwell(2)-Gleichungen, die am meisten überrascht und bis heute Physiker verblüfft, war der Umstand, dass sich Licht jeder Couleur im leeren Raum immer mit genau der gleichen, konstanten Geschwindigkeit bewegen sollte, egal wie schnell man selbst ist. Röntgenlicht ist genauso schnell wie Radiolicht oder wie ein Laserstrahl, und die Lichtgeschwindigkeit hing in den Maxwell-Gleichungen nicht von der Geschwindigkeit des Empfängers oder Senders ab. Dass Licht nicht unendlich schnell ist, wusste man spätestens seit Messungen der Bewegungen der Jupitermonde durch Ole Rømer(1) und Christiaan Huygens(1) Ende des 17. Jahrhunderts.[6] Aber muss sich die Lichtgeschwindigkeit nicht ändern, wenn man mit hoher Geschwindigkeit durch den geheimnisvollen Äther gleitet oder relativ zu ihm stillsteht?

Bin ich mit einem Surfbrett bei stürmischem, auflandigem Wind auf dem Meer unterwegs und paddle mit dem Brett quer zur Brandung, dann kommen die Wellen mit hoher Geschwindigkeit auf mich zu – und zwar genauso schnell, wie sie auf die Küste prallen. Ändere ich aber meine Richtung und surfe rasant mit Wind und Wellen, bin ich genauso schnell wie die Welle unter meinem Surfbrett. Relativ zu meinem Surfbrett ist die Wellengeschwindigkeit gering, relativ zum Ufer ist die Surfgeschwindigkeit jedoch sehr hoch.

Genau das Gleiche gilt auch für Schallwellen. Fahre ich mit meinem Fahrrad mit Rückenwind, erreicht mich der Schall eines hupenden Autos hinter mir etwas schneller als ohne Wind, und ich werde etwas früher gewarnt. Radle ich gegen den Wind, erreicht mich das Hupen von hinten etwas später. Der Schall muss gegen den Wind laufen. Könnte ich mit Überschallgeschwindigkeit relativ zum Wind strampeln, würde ich das Hupen gar nicht erst hören. Werde ich immer schneller und überhole meinen eigenen Schall, dann durchbreche ich die Schallmauer und erzeuge einen Knall, weil viele meiner Töne gleichzeitig den Hörer erreichen. Im Gegensatz zu Jetpiloten ist der Überschallknall allerdings bis heute noch keinem Fahrradfahrer gelungen.

Radiowellen müssten sich, dachte man vor über 100 Jahren, genauso verhalten. Der Äther fülle – wie die Luft in unserer Atmosphäre – den leeren Weltraum, und die Erde entspräche meinem Fahrrad oder meinem Surfbrett, das auf seiner Bahn um die Sonne mit 100 000 Kilometer pro Stunde durch den Äther pflügt. Misst man die Lichtgeschwindigkeit in Richtung der Erdbewegung um die Sonne, müsste diese ›Lichtgeschwindigkeit‹ eigentlich eine ganz andere Größe annehmen, als wenn man sie im rechten Winkel oder genau entgegengesetzt zur ersten Richtung misst – je nachdem, ob die Erde mit Rücken- oder Gegenwind durch den Äther surft.

Genau diesen Effekt wollten die amerikanischen Physiker Albert A. Michelson[7](1) und Edward W. Morley(1) am Ende des 19. Jahrhunderts nachweisen. Sie maßen daher die relative Lichtgeschwindigkeit in zwei Röhren, die im rechten Winkel zueinander standen. Das Experiment scheiterte grandios. Kein nennenswerter Unterschied in der Lichtgeschwindigkeit ließ sich nachweisen. Damit gab es keinen Hinweis, dass der Äther existiert – er war nur eine Illusion.

Fehlschläge können bahnbrechend sein. Und dieser Fehlschlag wurde zu einem der richtungsweisenden Schlüsselexperimente für die Geschichte der Physik und der Astronomie. Denn das völlig unerwartete Scheitern der Äthertheorie ließ ganze Theoriegebäude wanken, ermöglichte es, alte Denkmuster über Bord zu werfen und nach ganz neuen Ideen Ausschau zu halten.[8] Am besten passten dazu die neuen Ideen des jungen Albert Einstein(2), der am radikalsten(3) bereit war, um- und neu zu denken und die Physik theoretisch auf ein neues Fundament zu stellen. Während andere Physiker noch mit dem Kopf gegen die Wand liefen, eilte Einstein(4) schon in ein neues Zeitalter, in dem es keinen absoluten Raum und keine absolute Zeit mehr gibt. Eine kühne Theorie entstand – die Relativitätstheorie –, und mit ihr verwarf Einstein(5) gleichsam ein jahrhundertealtes physikalisches Weltbild.

Ein kleiner Junge träumt vom Mond

Nach ausreichend vielen Erdumrundungen können wir nun endlich die nächste Stufe unserer Raumkapsel zünden und Kurs Richtung Mond nehmen. Die ›Reise zum Mond‹ ist ein alter Menschheitstraum. Am 21. Juli 1969 betrat Neil Armstrong(1) die Mondoberfläche mit dem vielleicht berühmtesten Schritt eines Menschen, und aus einem Traum wurde Wirklichkeit. Wie bedeutend dieser Augenblick war, konnte ich noch einige Jahre später spüren.

Es ist ein heißer Sommertag 1971 in der idyllischen Gemeinde Strombach(1) im Bergischen Land(1). Grüne sanfte Hügel und Wälder zieren den Horizont, fröhlich spielt eine Gruppe von Kindern auf der Straße in einer kleinen Siedlung von Einfamilienhäusern. Eimerchen und Schäufelchen, ein Dreirad mit einer Schiebestange und ein paar Bälle sind alles, was sie zum Glücklichsein brauchen. Die Erwachsenen sitzen auf Gartenstühlen im Vorgarten und schauen entspannt zu.

Nur ein kleiner, leicht pausbäckiger Junge spielt nicht mit. Allein in einem dunklen Zimmer starrt er gebannt auf die flimmernden, verrauschten Schwarz-Weiß-Bilder eines großen Röhrenfernsehers. »Falcon«, die Apollo-15-Mondlandefähre, war soeben auf dem Mond gelandet und funkte ihre Bilder zur Erde. Die große Aufregung um die Mondlandungen war in der Familie Falcke nach den ersten spektakulären und höchst erfolgreichen Weltraumfahrten schnell verpufft.

Allein, der kleine Junge kann sich nicht vom Bildschirm losreißen. Im Alter von fast fünf Jahren hat er noch keine Vorstellung von der Größe des Weltalls oder von der Entfernung, welche die NASA-Astronauten zum Mond zurücklegten. Welche Energie diese technische Meisterleistung erforderte und wie bedeutend diese wissenschaftliche Leistung war, kann er noch nicht einmal erahnen. Und doch spürt er tief in seinem Innersten, wie faszinierend und ungeheuerlich zugleich dieses verwegene Unternehmen sein musste. Jede Sekunde dieses Abenteuers saugt dieser kleine Junge in sich auf, jede Sekunde befeuert seine Phantasie. Was muss noch alles möglich sein, wenn jetzt schon ein Mensch auf dem Mond herumlaufen, springen und sogar mit einem Mondauto durch die Gegend fahren kann, wie es die Astronauten der Apollo 15 tatsächlich taten? Was könnte der Mensch in diesem unendlich großen Himmel noch alles entdecken?

Der kleine Junge war natürlich ich. Für ein paar Tage waren wir in der Wohnung meiner Großtante Gerda. Wie Superhelden aus einem Comic erschienen mir die Astronauten um Kommandant David Scott(1) damals. Er und die Crewmitglieder James Irwin(1) und Alfred Worden(1) setzten mit der »Falcon« ganz nah an den Apenninus-Bergen(1), einem der mächtigsten Mondgebirge, auf. Als David Scott seinen Fuß auf die Oberfläche setzte, sagte er etwas zutiefst Menschliches: »I sort of realize there’s a fundamental truth to our nature: Man must explore!« – »Dies ist eine grundsätzliche Wahrheit des menschlichen Wesens: Der Mensch muss forschen!« – »Ja«, denke ich, »das bin ich!«

Astronaut wollte ich werden, so wie viele Kinder. Später begriff ich wohl intuitiv, dass ich dafür nicht wirklich geeignet war. Ich bin recht vielseitig, sportlich, konnte zusammenarbeiten, war gut in theoretischen und experimentellen Arbeiten, mit Technik kannte ich mich aus und war stressresistent. Aber meine Hände zittern ganz leicht, und unter hohem Druck mache ich zu viele Fehler. Etliche Jahre später tauschte ich mich darüber bei einer Raumfahrtkonferenz mit den deutschen Astronauten Ulrich Walter(1) und Ernst Messerschmid(1) aus. Sie wussten, was sie konnten, ohne arrogant zu sein. »Wir Raumfahrer müssen uns einem endlosen Auswahlverfahren stellen – alle Parameter müssen stimmen«, sagte einer zu mir. Bei mir stimmten sie nicht alle. Trotzdem – mein Traum, dem Mond nahe zu kommen, erlosch nie.

Je nachdem, wo sich der Mond auf seiner elliptischen Umlaufbahn befindet, muss ein Raumschiff zwischen 356 000 und 407 000 Kilometer zurücklegen, um unseren Erdtrabanten zu erreichen. Nur wenige Automotoren schaffen eine solche Kilometerleistung, aber das Licht benötigt für diese Entfernung gerade einmal 1,3 Sekunden. Astronomisch gesehen ist es etwas ernüchternd, zu erkennen, dass selbst die besten Autos kaum weiter als eine Lichtsekunde fahren.

Die Lichtgeschwindigkeit ist das einzige tatsächlich konstante Maß im Universum. So ist es durchaus sinnvoll, die Größe des Weltraums in Lichteinheiten auszudrücken. Das Lichtjahr ist also in Wirklichkeit ein Längen- und kein Zeitmaß, wie man aufgrund der Bezeichnung ›Jahr‹ annehmen könnte. Welche riesigen Abstände im All herrschen, lässt sich erahnen, wenn wir im Kosmos manchmal von vielen Milliarden Lichtjahren sprechen. Für Astronomen ist der Mond weder unser kosmischer Vorgarten noch unser kosmischer Hinterhof. Er bildet allerhöchstens die Türschwelle, die wir auf unserer Reise ins Universum überschreiten.

Der Abstand einer guten Lichtsekunde bedeutet auch, dass alles, was wir vom Mond auf der Erde sehen, immer schon über eine Sekunde alt ist. Wenn wir ins Weltall schauen, blicken wir immer in seine Vergangenheit. Beim Mond ist es nur eine starke Sekunde, bei den Galaxien, die wir erforschen, schauen wir Millionen und Milliarden Jahre zurück.

Licht erreicht uns also immer mit einer ›Verspätung‹ – mit einer kleinen Verzögerung für Lichtquellen hier auf der Erde und einer enorm großen für Licht aus den Tiefen des Alls. Niemals können wir daher wissen, was genau in diesem Augenblick irgendwo anders passiert – nicht im Universum und nicht einmal hier auf der Erde.

Die Lichtverzögerung zum Mond kann man übrigens durchaus praktisch messen und wahrnehmen. Ein niederländischer Kollege von mir feierte seine Hochzeit in einem Radioteleskop und schickte sein Jawort per Radiowelle zum Mond. Dort reflektierte es der Mondboden, und nach 2,6 Sekunden kam es wieder im Kontrollraum an. Das ging so schnell, dass es der Braut nicht gelang, in der kurzen Zeit wegzulaufen – seine Ehe wurde erfolgreich geschlossen. Es war wohl die erste Moon-Bounce-Hochzeit der Welt.[9]

Aus etwas weniger feierlichen, rein wissenschaftlich-technischen Beweggründen schießt man auch heute regelmäßig Laserstrahlen auf den Mond. Diese werden an Spiegeln reflektiert, die von den Apollo-Missionen aufgestellt wurden – allen Verschwörungstheoretikern zum Trotz, die behaupten, die NASA sei nie auf dem Mond gelandet. Die Spiegel funktionieren nach wie vor. Aus der Verzögerung des Lichtechos lassen sich die Mondbewegung und der Mondabstand äußerst genau messen und so Vorhersagen der Allgemeinen Relativitätstheorie testen.

Außerdem sah man, dass sich der Mond jedes Jahr vier Zentimeter von uns entfernt und die Erde etwas langsamer rotiert. Die Gravitation bindet Erde und Mond aneinander, und die Gezeitenkräfte führen dazu, dass sie sich gegenseitig in ihrer Eigenrotation etwas abbremsen. Monat und Tag dauern jährlich einen klitzekleinen Sekundenbruchteil länger. Im Prinzip altern wir dadurch etwas langsamer, sterben aber auch etwas früher – wenn man unser Alter in Monaten und Tagen ausdrückt. Vor 4,5 Milliarden Jahren dauerte ein Tag nur sechs Stunden[10] – eine Horrorvorstellung für Workaholics wie mich!

Die Rotation des Mondes ist so schon fast vollständig abgebremst. Während seiner Reise um die Erde dreht er sich nur genau einmal um sich selbst, weshalb er uns immer nur dieselbe Vorderseite zeigt. Daher lächelt uns immer dasselbe Gesicht des freundlichen Mannes im Mond an. Die Rückseite des Mondes können wir erst seit den ersten Mondmissionen sehen. Sie ist nicht die dunkle Seite des Mondes, wie sie poetisch oft genannt wird, denn die Sonne scheint dort einmal im Monat für zwei Wochen. Die Mondrückseite ist aber immer noch eine fast unerforschte und geheimnisvolle Welt geblieben.

Mein persönlicher Traum vom Mond hat mich nie ganz losgelassen, und in gewisser Weise hat er sich mit dem LOFAR-Radioteleskop[11], das ich in den Niederlanden(1) eine Zeit lang leitete, doch noch erfüllt. LOFAR steht für Low-Frequency Array und ist ein Netzwerk aus Radioantennen, die im Niederfrequenzbereich arbeiten. Sie werden zu einer einzigen Beobachtungsstation zusammengeschaltet – ein Hochleistungscomputer bündelt die Daten und erzeugt ein virtuelles Teleskop. Es soll uns den Blick zurück bis fast zum Urknall ermöglichen und uns helfen, alle aktiven Schwarzen Löcher im Weltall zu finden.

Das LOFAR-Netzwerk besteht heute aus 30 000 Antennen an verschiedenen Standorten in Europa(1) – es ist zu einem kontinentalen Teleskop geworden. Aber der ideale Fleck, um kosmische Radiowellen störungsfrei zu empfangen, ist die Rückseite des Mondes. Denn auf der Erde ist das größte Problem der Astronomen die Störstrahlung durch Radiosender und die Verzerrung der Radiostrahlen durch die oberste Schicht der Atmosphäre, die Ionosphäre. Die Rückseite des Mondes sehen wir von der Erde aus nie, folglich ist dort auch keine Störstrahlung von der Erde zu empfangen. »Der Mond ist vielleicht der beste Platz auf der Erde, um Radioastronomie zu betreiben«, sage ich immer etwas scherzhaft. Aber dort Antennen zu errichten, schien mir lange Zeit ein unerfüllbarer Traum.

In der Raumfahrt und der Wissenschaft braucht man einen langen Atem. Und manchmal geschieht etwas Unvorhersehbares. So etwas erlebte ich im Oktober 2015, als der niederländische König Willem-Alexander(1) bei einem Staatsbesuch mit dem chinesischen Präsidenten Xi Jinping(1) eine Übereinkunft zur Raumfahrt schloss. Die Chinesen boten dabei an, eine von uns entwickelte Mondantenne mit ins All zu nehmen. Es war das erste niederländische Instrument in einer chinesischen Mondmission. Im Mai 2018 startete eine Rakete der chinesischen Raumfahrtbehörde CNSA vom Kosmodrom Xichang mit dieser Antenne an Bord. Es war genau jene Rakete, deren Start ich von meinem Urlaub in Irland(3) aus im Livestream mitverfolgt hatte – ausgerechnet in der Zeit, als das allererste Bild eines Schwarzen Lochs entstand. Damals war meine ganze Energie nur auf dieses Bild gerichtet, es war die anstrengendste Phase meines wissenschaftlichen Lebens. Deshalb musste ich meinen Kindheitstraum schweren Herzens meinen Mitarbeitern überlassen.

Unsere Radio-Beobachtungsstation ist im chinesischen Kommunikationssatelliten »Queqiao« einquartiert. Geparkt wurde die »Elsternbrücke«, so die deutsche Bezeichnung, in einer Entfernung von 40 000 bis 80 000 Kilometern hinter dem Mond. Dieser Satellit überträgt in erster Linie Funksignale von der Mondrückseite zur Erde. Aber im Herbst 2019 fuhren wir unsere Antennen aus und lauschen seither nach kosmischen Signalen. Letztlich suchen wir nach einem extrem schwachen Radiorauschen, das laut heutigen Theorien irgendwann im dunklen Zeitalter des Universums entstanden sein muss – vor vielen Milliarden Jahren und noch vor der Geburt der ersten Sterne. Es enthält ein Radioecho des Urknalls – des Beginns von Raum und Zeit. Wahrscheinlich werden wir viele Jahre für die extrem schwierige Datenauswertung benötigen, und möglicherweise werden erst zukünftige Missionen etwas finden können.

Einen besonderen Blick schenkte mir der Satellit aber schon auf dem Hinweg zum Mond. Der kleinen Bordkamera gelang ein besonderer Schnappschuss, als die »Queqiao« auf dem Weg zu ihrer Parkposition war. Das Foto zeigt den Mond und dahinter, fast genauso groß, die Erde. In die Ecke des Bildes ragt ein Teil unserer noch eingefahrenen Antenne.

Als ich das sah, fühlte ich mich wieder wie der kleine Junge vor dem alten Schwarz-Weiß-Fernseher: Dort vor mir ragte die geheimnisvolle Rückseite des Mondes auf, und ich sah, klein und verschwommen, unseren Blauen Planeten, auf dem ich jetzt saß. Bis zum Mond war ich selbst nie gekommen, doch fühlte ich mich in diesem Augenblick dort ›zu Hause‹. Seitdem schaue ich immer wieder zu ihm hinauf und denke: Dort oben ist jetzt auch ein kleiner Teil von mir.

Kapitel 2

Sonnensystem und Weltbilder

Die Sonne – unser nächster Stern

Verlassen wir den Mond, führt unser nächster Weg zur Sonne. Von der Erde müssten wir für die Reise eine Distanz von 150 Millionen Kilometern überwinden. Licht schafft das in acht Minuten – wir sind also acht Lichtminuten von der Sonne entfernt. Und wer in die Sonne schaut, blickt acht Minuten in die Vergangenheit.

Die Sonne ist der Stern, der uns in fast jeder Hinsicht das Leben schenkt. Wie kein anderes Himmelsobjekt – nach der Erde – ermöglicht sie menschliches Leben, wirkt auf das Wetter ein, beeinflusst nachhaltig die menschliche Kultur und ordnet unser tägliches Handeln durch den Rhythmus von Tag und Nacht. Den Wert der Sonne begreifen wir erst, wenn sie uns fehlt. Kein Wunder, dass eine Sonnenfinsternis in der Vor- und Frühgeschichte Menschen und Gesellschaften in helle Aufregung versetzte – und es ein klein wenig noch heute tut.

Im Sommer 1999 stehe ich beinahe bettelnd vor der Leiterin unserer Grundschule, weil ich mit meiner Tochter(2) eine Reise unternehmen will. Es ist der Morgen vor dem 11. August, an dem eine totale Sonnenfinsternis Teile Deutschlands(1) und Frankreichs(1) verdunkeln wird. Tagelang kündigten die Medien das Ereignis an. Schützende Spezialsonnenbrillen sind ausverkauft, ganz Deutschland wartet auf die kosmische Verfinsterung. Für meine Tochter(3) und mich ist es eine einmalige Gelegenheit, denn die nächste vergleichbare Sonnenfinsternis im Jahr 2081 in unseren Breiten werde ich nicht mehr erleben.

Aber die strengen Regeln der deutschen Schulpflicht nehmen keine Rücksicht auf sentimentale Details – es gibt zwar bei uns im Schulrecht Hitze-, aber nicht Sonnenfinsternisfrei. Die verständnisvolle Rektorin kratzt sich hinter den Ohren und weist mich darauf hin, dass sie laut Schulgesetz Kinder nicht einmal für ein kosmisches Jahrhundertereignis von der Schule befreien könne – auch nicht Kinder von Astronomen. »Allerdings«, fügt sie vielsagend hinzu, »die Schulpflicht besteht nicht, wenn Sie Ihren Haushalt kurzfristig aus beruflichen Gründen auflösen müssen. Dann können Sie Jana(4) mitnehmen.« Ich bedanke mich für die Auskunft und löse für einen Tag meinen Haushalt auf – zumindest auf dem Papier.

Aufgeregt und voller Neugier steige ich mit meiner sechsjährigen Tochter(5) ins Auto. Forscher sind mitunter Getriebene auf der Suche nach den Geheimnissen des Alls und begeben sich in alle Enden der Welt, um ihre Neugier zu befriedigen. Jetzt starten wir unsere eigene kleine Expedition.

Der Kernschatten der Finsternis würde gegen Mittag nur für kurze Zeit von einem schmalen Streifen in einigen Regionen im Südwesten aus zu sehen sein. Dort will ich sein, denn nur hier erfährt man den faszinierendsten Augenblick einer totalen Sonnenfinsternis: die bedrohliche Dunkelheit, die mitten am helllichten Tag die Welt urplötzlich in Finsternis taucht. Wer so einen Augenblick einmal erlebt hat, spürt fortan zeitlebens, wie wichtig Sonnenlicht für unser Leben und alles Leben überhaupt ist. Es gibt nur ein Problem, das Astronomen allzu gut kennen: Das Wetter spielt nicht mit. Es ist überall bewölkt in Deutschland(2).

Mit dem Auto fahren wir von meinem Heimatort Frechen(1) aus Richtung Westen – immer auf der Suche nach dem richtigen Standort. Verzweifelt irrlichtern wir dem Sonnenlicht hinterher, das hier und da durch die Wolken strahlt. Schließlich landen wir in Frankreich(2) auf einem Acker in der Nähe der Stadt Metz(1). Nur noch wenige Minuten bis zum Beginn der Finsternis sind es jetzt noch; genau in diesem Moment reißt der Himmel auf, und das Licht der Sonne scheint hervor. Manchmal muss man auch als kleiner Forscher einfach Glück haben im Leben. Langsam und majestätisch schiebt sich die Mondscheibe vor die Sonne und verdunkelt sie schließlich ganz. Wir sind zur richtigen Zeit genau am richtigen Ort. Es ist einzigartig und wunderbar. Im wahrsten Sinne des Wortes bekommen wir einen seltenen Moment gemeinsamer Erleuchtung mitten in der Dunkelheit geschenkt.

Eine Sonnenfinsternis offenbart einen der merkwürdigsten kosmischen Zufälle unseres Sonnensystems. Denn nur weil der so viel kleinere Mond genau im richtigen Abstand nahe an der Erde steht, gelingt es ihm, die große Sonnenscheibe genau zu verdecken. Wäre er etwas näher, würde er mehr als nur die Sonnenscheibe verdecken, wäre er weiter weg, gäbe es immer einen hellen, blendenden Rand. So aber verdeckt der Mond die glühend heiße Sonnenscheibe exakt und lässt uns etwas ganz besonders sehen: die Sonnenkorona. Sie besteht aus heißem Gas von mehreren Millionen Grad, das manchmal von gigantischen Sonneneruptionen verwirbelt und hochgeschmettert wird, die wie solare Vulkane heißes Plasma in die Korona schleudern.

Während einer Sonnenfinsternis erkennen wir augenblicklich, dass die Sonne kein ganz ruhiger Stern ist, sondern wie ein geheimnisvoller Zauberkessel in der Hexenküche vor sich hin brodelt. In den großen und kleinen Explosionen an der Oberfläche passiert aber noch etwas Besonderes und nicht weniger Magisches: Dort werden kleinste Geisterteilchen erzeugt und in den Weltraum geschossen. Dabei handelt es sich um Überreste von Atomen, die in der Hitze der Sonne zerschlagen werden und danach mit Höchstgeschwindigkeit durch das Sonnensystem flitzen. Ein Atom besteht im Kern aus den positiv geladenen schweren Protonen und den fast ebenso schweren neutralen Neutronen. Umgeben sind sie von einer oder mehreren Schalen negativ geladener, viel leichterer Elektronen.

Kosmische Strahlen nennt man diese energetischen Flitzeteilchen etwas irreführend auch. Kosmische Strahlen – oder sagen wir besser kosmische Teilchen – erzeugen beim Eintreten in die Erdatmosphäre unter anderem die spektakulären Polarlichter, die den dunklen Himmel über Lappland oder Alaska überirdisch zum Leuchten und Tanzen bringen. Die Teilchenströme heftiger Sonnenstürme sind aber noch aus anderen Gründen wichtig für uns Menschen. Sie können die empfindliche Elektronik von Satelliten zerstören, das Magnetfeld der Erde verändern sowie die Ausbreitung von Funkwellen behindern. Bei besonders heftigen Ereignissen lösen sie sogar Überspannungen in unserem Stromnetz aus und legen die Energieversorgung ganzer Städte lahm. Glücklicherweise kommen diese Stürme nur selten vor, und durch inzwischen regelmäßige Weltraumwetterberichte lassen sich rechtzeitig entsprechende Vorkehrungen treffen.

Nur bei einer Sonnenfinsternis können wir mit bloßen Augen wahrnehmen, wo die kosmischen Teilchen ursprünglich entstehen. Mich beeindruckt dieser Anblick ganz besonders. Aus meinem Studium weiß ich, dass dieselbe Teilchenphysik, die ich gemeinsam mit meiner Tochter(6) am Rand der Sonne mit eigenen Augen sehen kann, auch am Rand Schwarzer Löcher vonstattengeht, dort jedoch in viel extremerem Maße. Das Wechselspiel von magnetischen Feldern und heftigen Turbulenzen spielt mit diesen kleinsten geladenen Teilchen Pingpong, schleudert sie hin und her und gibt ihnen immer mehr Energie mit. Elektronen, die auf diese Weise beschleunigt und im Magnetfeld abgelenkt werden, lassen die Sonne, aber auch die direkte Umgebung Schwarzer Löcher im Radiolicht leuchten. Kosmische Teilchen, die bei der Explosion von Sternen und in der Nähe Schwarzer Löcher erzeugt werden, erreichen sogar noch viel höhere Energien als die der Sonne und vagabundieren durch die turbulenten Magnetfelder unserer Milchstraße und des Alls.

Manche schlagen in unserer Erdatmosphäre ein und können dort gemessen werden. Riesenexperimente, wie das Auger(1)-Observatorium in Argentinien(1), an dem ich auch beteiligt bin, messen solche Teilchen mit Detektoren, die auf Tausenden Quadratkilometern verteilt sind.

Würden wir die Physik der Sonne und der kosmischen Teilchen nicht verstehen, könnten wir auch die Physik Schwarzer Löcher nicht begreifen. Wie erstaunlich ist es doch, dass im gesamten Universum alles durch dieselben Prozesse miteinander verbunden ist und nach denselben Gesetzen abläuft: das Leuchten Schwarzer Löcher, die Ausbrüche der Sonne und das Polarlicht auf der Erde. Es ist ein endlos geflochtenes Band der Physik, das den gesamten Kosmos durchzieht.

All das steht mir während der Sonnenfinsternis vom 11. August 1999 beinahe sichtbar vor Augen. Für meine Tochter(7) ist es eine wohlige Kindheitsexpedition, gepaart mit Abenteuerlust und Neugier. Hinterher hat sie allen Leuten Brillen aus Aluminium gebastelt und sie aufgefordert, in die Sonne zu schauen. Was die Nachbarn sich wohl dabei gedacht haben?

Als ich mit meinem Kind gemeinsam in die Sonne schaue, empfinde ich Ehrfurcht vor den Kräften des Alls. Besonders hat es mir ein rot glühendes Leuchten angetan, das durch den leichten Wolkenschleier scheint. Dieser brodelnde Ring hat etwas Kraftvolles und fast Hypnotisierendes. Er wird mich später bei der Farbwahl für unsere Vorhersagen zum Radiobild Schwarzer Löcher inspirieren.

Ich habe das Privileg zu wissen, welche kosmischen Mechanismen eine Sonnenfinsternis hervorbringen. Aber Menschen von der Steinzeit bis in die Gegenwart fürchten sich davor, besonders früher graute ihnen vor solchen Ereignissen, die sie als Botschaft göttlicher Kräfte betrachteten und erlebten. Dokumente, die mehr als 4000 Jahre alt sind, berichten von einer solchen Verdunklung. Chinesische Staatsastronomen versuchten damals, diese Phänomene anhand ihrer Himmelsbeobachtungen vorherzuberechnen. Doch das gelang nicht immer. Nach einer alten Legende sollen sogar zwei Gelehrte, die den Zeitpunkt einer Sonnenfinsternis nicht exakt vorhersagten und angetrunken waren, auf Befehl des Herrschers getötet worden sein.[12] Gut möglich, dass diese bekannte Episode nicht stimmt. Heute können Astronomen Sonnenfinsternisse gefahrlos und exakt vorhersagen. Trotzdem irren wir uns noch oft genug, wenn wir an den Grenzen der Erkenntnis forschen. Die Todesstrafe haben wir zum Glück nicht mehr zu befürchten!

Die Sonne ist ein Stern wie jeder andere auch, sie ist aber eben unser Stern und damit sehr viel näher und sehr viel heller als alle anderen. Unser Mond und unsere Planeten wären ohne den heißen Giganten nicht zu erkennen, denn sie reflektieren nur das Sonnenlicht. Die Sonne ist derart mächtig, dass sie mehr als 99 Prozent der Masse unseres Sonnensystems enthält. Ihre Schwerkraft hält unser Planetensystem zusammen, und was wir über Sterne und die Gravitation gelernt haben, verdanken wir in erster Linie unserem Sonnensystem.

Die Sonne ist eine gewaltig große und furchtgebietend heiße Gaskugel, in der nukleares Feuer brennt. Als Treibstoff dient Wasserstoff, aus dem die Sonne überwiegend besteht. Das leichte Element fusioniert im Kern des heißen Sterns zu Helium; dort herrschen unvorstellbare 15 Millionen Grad Celsius. An der Sonnenoberfläche sind es immerhin noch 5500 Grad Celsius. Die Abstrahlung dieser Hitze ist letztlich die Quelle all unserer Energie auf der Erde, und ohne die Schwerkraft und den daraus resultierenden hohen Druck im Sonneninneren würde sie nicht erzeugt. Ohne Sonnenlicht könnten Pflanzen nicht wachsen; sie beziehen ihre Energie aus der Photosynthese. Auch unsere Nahrung verdanken wir der Sonne, egal ob wir Veganer, Vegetarier oder Fleischesser sind, denn auch Tiere leben von sonnenbeschienenen Pflanzen.

Wer Holz verbrennt, verbrennt Sonnenenergie. Öl, Gas und Kohle sind Überreste biologischer Prozesse aus der Urzeit der Erde – also gespeicherte Sonnenenergie. Allerdings vernichten wir in kürzester Zeit alle unsere Reserven und belasten das Klima mit Stoffen und Energie, die über viele Millionen Jahre aufgebaut worden sind. Man muss noch nicht einmal Klimawissenschaftler sein, um zu begreifen, dass dies auf Dauer nicht gut gehen kann.

Ohne Sonne könnten wir auch keinen Strom erzeugen. Dass die Photovoltaik nie erfunden worden wäre, liegt auf der Hand, aber auch Wasserkraftwerke funktionieren nur, weil die Sonne immer wieder Wasser verdunstet und Regenwolken unsere Seen und Flüsse auffüllen. Selbst Windkraftanlagen können wir nur betreiben, weil die Sonne unsere Atmosphäre erwärmt und so regionale Temperaturunterschiede erzeugt, die dann Winde anfachen. Nur Gezeitenkraftwerke beziehen ihre Energie vom Mond und Atomkraftwerke aus Elementen, die bei der Geburt Schwarzer Löcher und Neutronensterne im All erzeugt worden sind. Allerdings sind diese auch nur dank der Schwerkraft der Sonne zu uns gelangt. Alle Energie von Sonne, Mond und Sternen sowie den Elementen stammt letztlich aber aus dem Urknall, der Urenergie des Universums.

Die Sonne hat auch unseren Aufstieg zum abstrakt denkenden Zweibeiner vorangetrieben. Ihre kosmischen Teilchen, die auf die Erde prasseln, fachen nämlich die Mutationsraten in Zellen von Organismen an. Dass diese sich weiterentwickeln konnten, dass die Evolution voranschritt, dass Menschen von kleinen Säugetieren abstammen, verdanken wir deshalb ebenfalls der Sonne. Gewissermaßen sind wir kosmische Mutanten. Höhere Mutationsraten bringen aber auch Krebszellen hervor und damit Tod und Verderben. Unser Menschsein ist zutiefst auch durch dieses Leid erkämpft. Ohne die potenziell gefährlichen genetischen Veränderungen wären wir aber immer noch Einzeller.

Im Vergleich zu anderen, wilden Sternen hat die Sonne eher ein ruhiges Temperament und ist eigentlich ein Durchschnittsstern[13] – weder besonders groß noch besonders schwer noch sonderlich aktiv. Mit ihrem Alter von 4,6 Milliarden Jahren ist sie auch im besten Lebensalter. Auf die Gesamtmasse umgerechnet, läuft der Fusionsreaktor im Inneren der Sonne sogar auf Sparflamme. Die erzeugte Energie pro Volumeneinheit liegt deutlich unter dem des menschlichen Stoffwechsels. Unser Körper ist eine durchtrainierte Maschine, die permanent auf Hochtouren läuft. Dicht an dicht zusammenstehend wären wir ein kleiner Stern.[14]

Aber dank ihrer Größe überstrahlt die Sonne einfach alles. Die gesamte Weltbevölkerung müsste fast auf das Billiardenfache anwachsen, um so viel Energie aufzubringen, wie die Sonne produziert.

Die Sonne verbrennt sich praktisch selbst. Bei der Fusion von Wasserstoff zu Helium wird Materie in Energie umgesetzt. Unser Stern wird dadurch rund vier Milliarden Kilogramm leichter – pro Sekunde. Angesichts der großen Energiemengen, die sie freisetzt, verbraucht sie nur einen klitzekleinen Teil ihrer eigenen Masse und ist somit unfassbar effizient. Keine menschliche Maschine kann bisher aus so wenig Brennstoff so viel Energie herstellen. Wäre unser Körper so effizient und sparsam wie die Sonne, bräuchte jeder Mensch in seinem ganzen Leben weniger als ein halbes Gramm Nahrung. Im Weltall werden Sterne nur von Schwarzen Löchern übertroffen, wenn es darum geht, Masse effizient in Energie umzusetzen.

Trotzdem birgt das auch eine traurige Nachricht in sich: Irgendwann wird der Sonnentank leer sein. Nachtanken ist nicht möglich. Das Feuer der Sonne wird erlöschen – und spätestens damit auch das Leben auf der Erde. Aber noch ist es nicht so weit. Prognosen geben der Sonne noch fünf bis sechs Milliarden Jahre. Es ist genügend Zeit für uns, um noch in Photovoltaik oder Sonnenkollektoren zu investieren!

Götter am Himmel – das Geheimnis der Planetenbahnen

Wenn wir die Sonne verlassen und unseren Blick auf die Planeten richten, die sie umkreisen, dann werden aus Abständen von Lichtminuten schnell Lichtstunden. Hier, bei den Planeten, liegt der Schlüssel zum Verständnis der Schwerkraft und der Entwicklung unseres modernen Weltbildes. Bis zu den Planeten und ein kleines Stück darüber hinaus sind vom Menschen gebaute Raumfahrzeuge gereist. Alles jenseits unseres Sonnensystems können wir nur noch mit Teleskopen beobachten.

Während Merkur als sonnennächster Planet nur etwa 60 Millionen Kilometer von der Sonne entfernt ist, zieht Neptun als entferntester Planet bereits in 4,5 Milliarden Kilometer seine Bahn um die Sonne und ist damit vier Lichtstunden von ihr entfernt. Für eine Umrundung braucht er 165 Erdjahre. Jahrtausendelang haben unsere Vorfahren die Planeten beobachtet und sich über ihre regelmäßigen und zugleich unregelmäßigen Bahnen gewundert. Fixsterne haben einen festen Platz am Himmelszelt, während wir uns unter ihnen drehen, aber Planeten scheinen zwischen den Sternen zu wandern. Daher auch ihr Name: Planet bedeutet »Wanderer«.

An unserem Himmel bewegen sich alle Planeten und auch Sonne und Mond entlang desselben Streifens – als ob es dort eine Planetenrennbahn gäbe. Diesen unsichtbaren Himmelsstreifen nennen wir »Ekliptik«, nach dem griechischen Wort für »Verschwinden, Ausbleiben oder Finsternis«. Der Begriff geht auf Sonnenfinsternisse zurück, die in diesem Bereich zu sehen sind.

Die Ekliptik gibt es, weil alle Planeten sich in einer Ebene um die Sonne drehen. Sie markieren damit eine virtuelle Scheibe mit astronomischen Ausmaßen. Die Erdbahn selbst ist Teil dieser Scheibe, und weil wir uns auf ihr befinden, erscheint sie uns nur als schmaler Streifen am Firmament – so wie eine alte Schallplatte, die wir von der Seite betrachten. Planeten, die näher an der Sonne sind, laufen schneller um die Sonne als die Erde. Sie müssen dies tun, damit ihre Fliehkraft die stärkere Schwerkraft der Sonne ausgleichen kann. Je näher wir der Sonne sind, desto stärker spüren wir ihre Anziehungskraft. Planeten weiter außen laufen langsamer als die Erde, weil dort die Schwerkraft geringer ist. Wären sie schneller, würden sie aus ihrer Bahn um die Sonne getragen werden.

Aus unserer Sicht von der Erde aus kommt es daher zu merkwürdigen Pfaden der Planeten relativ zum Fixsternhimmel. Sie sind wie Läufer in der Kurve eines Leichtathletikstadions, in dem die Athleten außen längere Wege zurücklegen müssen und dazu noch deutlich langsamer wären. Die Planeten Merkur und Venus sind die Topsprinter auf der Innenbahn. Sie sind besonders fix und immer in der Nähe der Sonne. Daher sind sie nur morgens und abends zu sehen – die Venus ist der häufigste Abend- und Morgenstern. Die großen Planeten sind die langsameren Hobbyläufer auf der Außenbahn und werden sogar von unserer Erde regelmäßig überholt. Aus unserer Perspektive scheinen sie rückwärts zu wandern, bis die Erde sie überrundet hat und ihnen auf der gegenüberliegenden Seite des Sonnenstadions auf einmal entgegenkommt. Von dort aus gesehen scheinen sie dann plötzlich in die andere Richtung zu laufen.

Bis zu diesen Erkenntnissen brauchten wir Menschen viele Jahrtausende. Die Bahnen der mit bloßem Auge sichtbaren Planeten Merkur, Venus, Mars, Jupiter und Saturn blieben für Jahrtausende rätselhaft. Kein Wunder, dass sie unsere Weltbilder und Religionen geprägt haben.

Lange bevor die Gründe für diese kosmischen Phänomene verstanden wurden, diente die Astronomie ganz unterschiedlichen Zwecken. Menschen aller Regionen verehrten die Sterne und Himmelserscheinungen ganz natürlich, denn die Gestirne ordneten das tägliche Leben und die monatlichen und jährlichen Zyklen. Die Sonne dominierte den Tag, und der Punkt ihres Auf- und Unterganges dokumentierte den Lauf des Jahres und die Jahreszeiten. Die Phasen des Mondes geben uns das Zeitmaß des Monats, der aus ungeklärten Gründen ungefähr dem weiblichen Zyklus entspricht. Sonne und Mond schienen über die Fruchtbarkeit und das Wohl und Wehe der Menschen zu entscheiden. Diese göttlichen Mächte zu preisen, ergab sich wie von selbst.

Die Anfänge der Astronomie

Erste archäologische Hinweise auf die Erforschung des Himmels sind Zehntausende Jahre alt.[15] Himmelsbeobachter erstellten Kalender, nachdem sie den Wechsel der Tages-, Nacht- und Jahreszeiten erfasst hatten. Zunächst diente der Mondzyklus als Taktgeber, später wurde diese Zeitrechnung mit dem Lauf der Sonne synchronisiert. Ein frühes europäisches Zeugnis davon ist die berühmte Himmelsscheibe von Nebra. Die mehr als 3700 Jahre alte Bronzeplatte gilt als älteste konkrete Himmelsdarstellung.[16]

Die Menschen konnten diese scharfsinnigen Erkenntnisse für den Ackerbau nutzen oder für die Navigation auf See, ein damals höchst abenteuerliches und gefährliches Unternehmen. Heute haben wir dafür Satellitennavigation, aber deren Koordinaten hängen letztlich immer noch an astronomischen Beobachtungen – nicht von Sternen, sondern von der Radiostrahlung weit entfernter Schwarzer Löcher, die uns inzwischen als kosmische Landmarken dienen.[17]

Etwa im 3. Jahrtausend v. Chr. verfolgten gebildete Priester in Mesopotamien(1) – mit der späteren Hauptstadt Babylon(1) – die Positionen des Mondes und der Planeten regelmäßig. Sie benutzten den Mond als Kalender für ihre Festtage, aber auch für die Bestimmung von Ernte- und Steuerperioden. Der administrative Monat hatte 30 Tage und das Jahr 360 – die fehlenden Tage wurden mit Schalttagen aufgefüllt. Ihr Zahlensystem beruhte auf der Zahl 60 und nicht der 10 wie bei uns. Dass wir den Tag in zweimal zwölf Stunden einteilen und den Kreis in 360 Grad, geht somit wohl auf die Babylonier zurück.

Mit der Entwicklung der Keilschrift war es möglich geworden, kosmische Daten unabhängig vom Zeitpunkt ihrer Beobachtung miteinander zu vergleichen. Hinzu kamen ab dem 1. Jahrtausend v. Chr. ein hervorragend organisiertes Beobachtungsprogramm und eine dramatische Entwicklung der Mathematik. Zwischen Euphrat und Tigris waren Trupps von Forschern nur mit der Vermessung und Berechnung des Himmels beschäftigt. Tausende Keilschrifttafeln mit astronomischen Daten wurden gefüllt. Analysen von astronomischen Ereignissen waren mit einem Mal über Generationen hinaus möglich und nicht mehr nur vom Gedächtnis Einzelner abhängig. Dies war der Anfang des sorgfältigen Festhaltens, Speicherns und Analysierens von Daten und lässt sich durchaus schon als wissenschaftlich bezeichnen, auch wenn es hauptsächlich religiösen Zwecken diente.

Für die Mesopotamier war das Universum geordnet, aber auch dem Willen der Götter unterworfen. Deren Pläne konnte man aus Omen ablesen, wie beispielsweise eben aus der Erscheinung der Planeten.[18] Als es den Himmelsbeobachtern gelang, die Bahnen der Planeten vorauszuberechnen, versuchten sie, daraus die Zukunft zu deuten. Herrscher ließen sich Horoskope erstellen, um den besten Zeitpunkt für ihre Unternehmungen zu bestimmen.

Ich kann mir gut vorstellen, dass die neue Rechenkunst und die Vorhersehbarkeit der Planetenbewegung Menschen enorm beeindruckt haben. Wahrscheinlich ließen diese Erkenntnisse den Gedanken aufkommen, das Schicksal selbst könnte berechenbar sein. Die aus diesen Anfängen entstandene babylonische Astrologie sollte viele Kulturen beeinflussen. Selbst in der Bibel ist mit den ›Heiligen Drei Königen‹ den Sterndeutern aus dem Morgenland ein literarisches Denkmal gesetzt worden.[19] Es dauerte Jahrtausende, herauszufinden, dass die Astrologie letztlich auf einer falschen Annahme beruhte: Auch wenn sich der Lauf von einigen Himmelskörpern berechnen lässt, so gilt das nicht für das menschliche Leben.

In Ägypten (1)bestimmten die Nilüberflutungen, die den fruchtbaren Schlamm aus dem oberen Flusslauf mit sich führen, den Rhythmus der Zeit. Für die Ägypter erklärte sich der Himmel mythologisch. Die Sonne als Gott Ra wurde täglich neu geboren und stieg im Osten aus dem Wasser empor. In der Vorstellung der Menschen spendete Ra das Leben und hielt alles lebendig. Er überquert den Himmel, geht abends im Westen unter, stirbt und wird am nächsten Morgen neu geboren – ein ewig währender Kreislauf.

Himmel und Erde berühren sich am Horizont: Der um sich und über sich blickende Mensch musste in der damaligen Zeit geradezu von dem Gefühl durchdrungen gewesen sein, auf seinem Planeten in der Mitte des Kosmos zu leben. Die Vorstellung von der Erdscheibe war damals weit verbreitet und entsprach dem anthropozentrischen Lebensgefühl. Die Ägypter glaubten an einen Kosmos mit einer Ober- und einer Unterwelt. Überall hausten Götter und sorgten dafür, dass das ganze Weltgebäude stabil blieb und in sich ruhte: Unten herrschte der Erdgott Geb, oben die Himmelsgöttin Nut. Sie war die Mutter aller Gestirne. Zwischen Erde und Himmel lag das Reich von Schu, dem Luft- und Lichtgott. Er hielt den Himmel hoch und sorgte dafür, dass dieser nicht auf die Erde fiel.