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Die Geschichte von Ella und Robert geht weiter.... Licht und Dunkelheit - Unsterblichkeit Ella Morgenstern und Robert von Lohenstein studieren in Berlin. Ein ganz normales Paar? Ella ist eine angehende Großhexe, Robert ist ein Vampir. Normalerweise haben Hexen und Vampire wenig miteinander zu schaffen, aber seit Ella und Robert die Schattenkönigin Andomera und ihre Anhänger besiegt haben, wird ihre Beziehung in der magischen Welt geduldet. Die Schattenkönigin! Ella und Robert haben keine Ahnung, dass Andomeras Partner Dracon, ein Vampir, einen Plan ausheckt, um ihren Geist aus der Schattenwelt zurückzuholen. Nur dazu braucht er ausgerechnet Ellas Hilfe! Als Roberts Vater entgegen aller Regeln ein Kind verwandelt und Ellas Freundin Lira, eine kluge Hexe, auf mysteriöse Weise verschwindet, nimmt der Kampf zwischen Gut und Böse, zwischen Licht und Dunkelheit wieder Fahrt auf. Ist es wirklich allein Ellas Verantwortung, ihre Freundin Lira zu retten? Liegt es allein in ihren Händen, ob die Schattenkönigin wiederaufersteht und die Menschheit als Blutspender versklavt? Ella hat keine andere Wahl, als auf Dracons Forderungen einzugehen. Ob das klug ist? Ellas und Roberts zweites Abenteuer ist ein spannender, flotter Roman, der den Leser in hoher Geschwindigkeit in die magische Welt entführt - und dort magisch fesselt.
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Seitenzahl: 226
Veröffentlichungsjahr: 2022
Susanna Herrmann
Licht und Dunkelheit
Unsterblichkeit
© 2022 Susanna Herrmann
Umschlagillustration: Susanna Herrmann
Lektorat, Buchsatz: Anja-Nadine Mayer
Verlag: tredition GmbH, Hamburg
ISBN:
Taschenbuch: 978-3-347-69721-8
Hardcover: 978-3-347-69722-5
E-Book: 978-3-347-69723-2
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Kapitel 1
Unruhig lief er durch die langen dunklen Gänge seines Schlosses. Wut, Trauer, Zorn durchfluteten seinen Körper. Er wollte nur noch seine Fänge in einen kleinen wehrlosen Menschen schlagen und ihn aussaugen. „Grrr …“ Sein Grollen war furchterregend und ließ die alten Mauern erzittern. Dann hatte er die Tür erreicht. Er verharrte einen Moment vor ihr und hielt inne. Mit geschlossenen Augen schob er die schwere Eisentür auf, als sei sie nur ein leichter Vorhang. Da lag sie. Seine Liebe. Das einzige Wesen, für das er je so etwas wie Liebe empfunden hatte. Seine wunderschöne Königin. In der Mitte des Gewölbes war ein Sarg aufgebahrt und in ihm lag eine Frau mit bleicher, fast weißer, makelloser Haut, pechschwarzen langen Haaren, gehüllt in einen schwarzen Umhang aus Samt und Seide. Sie sah aus, als ob sie friedlich schliefe. Er betrachtete diese Frau und sein Herz schlug wieder etwas langsamer und die Wut und der Zorn verflogen für einen Moment und machten einem warmen Gefühl der aufrichtigen Liebe Platz.
Ihre Haut sah ein wenig eingetrocknet aus. Sie brauchte Blut. „Meine geliebte Andomera. Wie konnten sie dir das nur antun? Es ist alles meine Schuld! Ich hätte da sein müssen. Ich hätte sie alle umbringen müssen. Ich hätte dich beschützen müssen. Verzeih, meine Geliebte! Verzeih!“
Neben dem Sarg stand eine kleine Maschine, an der zwei Schläuche angeschlossen waren. Ein Schlauch führte in die Vene der schlafenden Frau. Er setzte sich in den danebenstehenden, mit rotem Samt bezogenen Ohrensessel. Er nahm den anderen Schlauch, stach sich die daran befestigte Kanüle in seine eigene Vene und stellte die Maschine an. Ein leises Surren erklang. Er lehnte sich zurück und schloss die Augen. Es würde nun eine halbe Stunde dauern, bis sein Blut ihren Körper vollständig ausgefüllt hatte. Nur so konnte er sie vor dem Verfall retten. Nur auf diese Weise konnte sie bei ihm bleiben. Das Blut eines Vampirs konnte heilen. Wunden heilen, nicht die Toten zum Leben erwecken. Vor seinen geschlossenen Augen sah er wieder die Ereignisse jenes schicksalhaften Tages vor zwei Jahren. Er hatte sie gefunden. Sie hatten ihr den Kopf abgeschlagen und da lag sie auf dem kalten blutdurchtränkten Boden und war tot. Die Magie war vollständig aus ihrem Körper gewichen. Das Buch der Schatten war weg, der Mondstein zerstört. Er hatte sofort den Schwarzen Zirkel aufgesucht und um Hilfe gebeten. Nein, er hatte sie gefordert. Sie sollten sie mit schwarzer Magie zurückholen, aber ohne das Mondsteinamulett, ohne das Buch der Schatten und ohne, dass noch ein Funke Magie in ihrem Körper weilte, war es auch den schwarzen Hexenmeistern und Hexen nicht möglich. Sie konnten einzig ihren Körper wieder zusammensetzen. „Gib ihr dein Blut und sie wird in einem ewigen Schlaf verweilen. Mehr können wir nicht für dich tun, Dracon. Ihren Geist und die Magie in ihren Körper zurückzuholen, erfordert dunkle, schwarze, jahrhundertealte Magie. Die Magie der schwarzen Urmeister und Urhexen. Jener, die euch Vampire bei dem Versuch, Unsterblichkeit zu erlangen, erschufen. Aber um diese Mächte heraufzubeschwören, braucht es das Mondsteinamulett und das Buch der Schatten. Einen anderen Weg gibt es nicht. Und da das Amulett zerstört ist, ist unsere Schattenkönigin verloren.“
Er hatte sie mitgenommen, hierher in sein Schloss. Und da lag sie, in seinem Sarg, und sah so wunderschön aus wie eh und je. Nie zuvor hatte er so etwas wie Liebe für ein Wesen empfunden. Nie. Er war einer der Urvampire und wandelte schon viele Jahrhunderte auf dieser Erde. Kriege, Katastrophen, die Entwicklung der Menschen, ihren Aufstieg, ihre Zerstörungswut, ihre Ignoranz und Dummheit, all das hatte er erlebt. Er hasste die Menschen. Für ihn waren sie einzig und allein dazu da, zu dienen. Sie waren nicht besonders. Und dieses ganze magische Volk von Guthexen und feinen Magiern, die sich in dieser Welt da draußen integriert hatten, die die Menschen beschützten und sich dabei selbst verleugneten, waren für ihn einfach nur Abschaum. Selbst sein eigenes Volk, das Volk der Unsterblichen, der Wesen am Ende der Nahrungskette, hatte sich untergeordnet. Sie waren jetzt alle Freunde, die Vampire und Hexen und Menschen. Eine Welle des Zorns drohte sich in ihm auszubreiten.
Die Tür wurde aufgestoßen: „Herr, verzeiht die Störung, aber Victor ist soeben eingetroffen und wünscht euch zu sprechen.“
Dracon öffnete die Augen und blickte auf seine Königin. Ihre Haut wirkte wieder jung, blass und schön. Sie hatte genug Blut für heute. Er entfernte die Kanüle aus seinem Arm und gab ihr einen Kuss auf die Stirn. „Ich werde einen Weg finden, dich zu mir zurückzuholen,“ murmelte er in ihr Haar. Dann verließ er den Raum und folgte seinem Diener in die große Halle. „Bring mir frisches Blut. Ich muss trinken,“ befahl er dem etwas hager wirkendem Jungen, der ihn gerufen hatte. Mit einer tiefen Verbeugung verschwand dieser in einem der dunklen Gänge.
„Victor, alter Freund. Ich hoffe du hast gute Neuigkeiten für mich?“
Der Besucher nickte: „Wie Ihr mir aufgetragen habt, konnte ich mit dem Schwarzen Zirkel unsere gemeinsamen Pläne abstimmen. Ich habe zugesagt weitere Truppen nach Syrien zu schicken und wir werden weitere Kampfvampire ausbilden.“
„Gut“, knurrte Dracon zufrieden. „Wann ist die große Befreiungsaktion geplant?“
„Beim übernächsten Vollmond.“ Victor machte eine kurze Pause. Dracon schritt langsam auf und ab. Er dachte nach. Es war ihm gelungen, seinen Einfluss und seine Macht im Verborgenen zu festigen. Er hatte erkannt, dass man die Menschen nur besiegen konnte, wenn man sich in ihre Gesellschaftsstrukturen einschleuste, sich unter ihnen bewegte und im Verborgenen die Welt langsam zu Grunde richtete. Das alles geschah vor den Augen der ganzen magischen Welt und sie hatten keine Ahnung! Es verschaffte ihm etwas Befriedigung, wenn er von seinen kleinen, für die Menschenwelt da draußen schmerzhaften Triumphen hörte. Aber seinen eigenen Schmerz über den Verlust seiner Liebe konnte er damit nicht betäuben. Die Menschen waren der irrigen Annahme, Vampire seien gefühllose Bestien. Man vermittelte ihnen dieses Bild in Büchern und Filmen. Es wurde Angst in ihnen gesät und das wiederum war gut. Aber es stimmte nicht. Vampire waren verwandelte unsterbliche Menschen. Sie hatten Gefühle, und diese Gefühle waren so viel intensiver als sie ein Mensch je empfinden konnte.
„Herr, ich habe noch etwas für euch.“ Victor riss den noch immer umherlaufenden Vampir aus seinen Gedanken. Er reichte ihm eine sehr alt aussehende kleine Tonflasche und ein vergilbtes Pergament.
„Was ist das?“ Dracon sah ihn fragend an.
„Die alte Hexe Agata hat es mir für euch gegeben.“
Er nahm die Flasche in die Hand und drehte sie auf der Suche nach einer Beschriftung hin und her. Er rollte das Pergament auf, aber es war leer.
„Sie sprach mit letzter Magie zu mir, bevor sie starb. ‚Sie wird kommen, die eine Nacht, in der sich die Erde zwischen den Mond und die Sonne schiebt. In jener Nacht wird der Mars der Erde besonders nah sein. Dann muss er das Fläschchen öffnen und die mächtigste der Großhexen, die Auserwählte, die das Blut des Vampirs getrunken hat, muss den Zauber sprechen. Der Zauber wird sich nur ihr offenbaren. Dann muss er unserer Königin den Trank geben. Und wenn der Mond sich ihres Blutes annimmt, ist es vollbracht und die Königin wird auferstehen.‘ Sie reichte mir dazu dieses Pergament.“
Dracon atmete schwer. Der Zirkel hatte also gelogen. Es gab eine Möglichkeit, seine Andomera zurückzuholen. „Hat sie gesagt, was in dem Fläschchen ist? Welcher Zauber muss gesprochen werden? Auf dem Pergament steht nichts geschrieben? Wie viel Zeit bleibt mir?“
„Herr, es tut mir leid. Ich konnte diese Fragen nicht mehr stellen. Die Magie verließ sie endgültig nach diesen gesagten Worten.“
Dracon lief nun ein bisschen aufgeregter durch die Halle.
„Gut, wir werden es herausfinden. Der Schwarze Zirkel ist mir wohl ein paar Antworten schuldig.“
Seine Miene war grimmig. Plötzlich hielt er inne und hielt seine Nase in die Luft. „Victor, du hast deine Sache gut gemacht. Bleib doch zum Essen.“ Seine Fänge blitzten auf. Die große Tür wurde aufgestoßen und sein etwas tollpatschig wirkender Diener trat mit zwei schlafenden Babys im Arm ein.
Kapitel 2
Hmm, mein Liebster hat Frühstück gemacht, wie schön. Mein erster Gedanke an diesem Morgen. Es duftete in unserer kleinen Dachgeschosswohnung mitten in Berlin herrlich nach Kaffee und frischem Toast. Die ersten warmen Strahlen der Frühlingssonne kitzelten mir übers Gesicht. Ich hörte, wie Robert fröhlich in der Küche ein Lied pfiff. Ich räkelte mich noch einmal und wie aus dem Nichts stand er plötzlich über mich gebeugt und drückte mir einen warmen Kuss auf den Mund. „Guten Morgen mein Morgenstern. Frühstück ist fertig.“
Ich konnte mir ein verliebtes Lächeln nicht verkneifen. Ja, ich war Ella Morgenstern, eine angehende Großhexe, und ich liebte einen Vampir. Meinen Vampir, meinen Robert. „Nun komm schon, steh auf. Der Zug fährt in einer Stunde.“
Er hatte recht. Es waren Semesterferien und wir fuhren nach Hause. Wir waren lange nicht zu Hause gewesen. Und meine Schwester Nora würde auch mit ihrer Freundin Kara zu Besuch kommen. Es sollte das erste Familienwochenende seit langem werden und ich freute mich wahnsinnig darauf. Ich aß mein Toast und trank meinen Kaffee, während Robert einen Becher Blut genoss. Es war leicht hier in Berlin, frisches Blut zu besorgen. Es gab einen Schlachthof ganz in der Nähe. Robert kannte den Werkleiter gut und so war es kein Problem, jederzeit frisches Blut zu erhalten. Der Werkleiter war auch ein Vampir, wie ich später erfuhr, und er versorgte ziemlich viele Vampire in Berlin mit Blut. Wir waren überrascht, wie viele Vampire und auch Hexen und Magier in der Hauptstadt lebten. Früher dachte ich immer, meine Familie seien die einzigen magischen Wesen weit und breit, aber ich hatte aufgrund der Ereignisse vor zwei Jahren erstaunt feststellen müssen, dass es sehr viele von uns gab. Und auch Robert hatte nichts von all den Vampiren gewusst, die friedlich mitten unter den Menschen lebten. Vampire waren eher Einzelgänger. Sie lebten meist in kleinen Gruppen zusammen, aber nie konzentrierten sie sich an einem Ort. Viele von ihnen lebten auch allein. Robert hatte anfangs bei Helen und Arthur gelebt, seinen Vampireltern. Helen hatte ihn damals gefunden und Arthur hatte ihn verwandelt. Seitdem hatten sie als kleine Familie zusammengelebt – bis er zu mir zog.
Wir schafften pünktlich unseren Zug in Richtung Heimat. Robert war noch immer angespannt, wenn er sich unter all den Menschen bewegte. Der Hauptbahnhof war voll mit Menschen. Ich roch den Schweiß, Alkohol, Zigaretten, Urin … Es war schon wirklich eklig. Seit ich Roberts Blut beim Ritual der ewigen Verbundenheit getrunken hatte, konnte ich all die Gerüche genauso intensiv wahrnehmen wie er. Ich empfand das oft als sehr nachteilig, gerade an Orten, wo so viele Menschen aufeinandertrafen. Aber ich hatte auch einige Vorteile erlangt. Meine Reaktionsfähigkeit zum Beispiel. Ich konnte nicht so schnell reagieren wie ein richtiger Vampir, aber deutlich schneller als jeder Mensch und jede Hexe. All meine Sinne waren schärfer als früher. Noch dazu besaß ich als Hexe die Fähigkeit, die Gedanken anderer zu hören. Die Kombination aus beidem machte mich unglaublich stark. Nur Robert schaffte es, mich zu überraschen, da er es verstand, seine Gedanken vor mir zu verschließen – was er meistens tat. Das Studium in der Großmetropole Berlin war eine enorme Herausforderung für uns beide. Ich musste lernen mich auf wesentliche Dinge zu konzentrieren. Das hatte ich bereits bei Tante Ethna in der Unterrichtung über die Magie gelernt. In Schottland, in einem abgelegenen Schloss, mutterseelenallein, war das nicht schwer gewesen. Hier in der Stadt, wo Millionen Menschen lebten, die Luft mit Gerüchen und Geräuschen gesättigt war und die Sinne ständig überflutet wurden, war es unfassbar schwer, das richtige Geräusch, den entscheidenden Geruch und den interessanten Gedanken herauszufiltern. Dazu kam, dass Robert sich nicht wohlfühlte unter den Menschen. Aber er hatte einen Job als Securitymanager in der Universität gefunden und arbeitete überwiegend nachts. Nachts war es ruhig, es war nie still, aber ruhig. Oft saßen wir abends auf dem Dach unseres Mietshauses und blickten über die Dächer der Stadt. Wir hatten so viel durchgemacht und mussten doch noch so viel lernen. Ich studierte Geschichte. Nicht nur die von Menschen geschriebene Geschichte. Nein, auch die magische Geschichte. In der Universität gab es neben der normalen Bibliothek auch eine geheime magische Bibliothek. Sie befand sich im Verborgenen unterhalb der großen Bibliothek und wurde durch Magie vor dem Zutritt nichtmagischer Wesen geschützt. Ich war sehr erstaunt, wie viele Hexen und Magier hier studierten. Einige kannte ich bereits aus Schottland. Auch sie hatten damals ihre Hexenprüfung bei Tante Ethna abgelegt. Es war das erste Mal gewesen, dass ich so viele Hexen getroffen hatte. Ein erster Eindruck, wie viele es von uns geben musste.
Meine Eltern Cornelia und Jaron hatten mich sehr behütet aufwachsen lassen. Laut einer Prophezeiung würde ich als Auserwählte das magische Volk und die ganze Welt retten. Vielleicht hatten sie geglaubt, wenn sie mich nur lange genug von der magischen Welt fernhielten, würde sich das Schicksal eine andere Auserwählte suchen. Wobei so richtig glaubte ich ohnehin nicht an diese Prophezeiung. Zwar hatten wir die Schattenkönigin Andomera besiegt, das Mondamulett zerstört und das Buch der Schatten zurück nach Andor gebracht, aber das war ich nicht allein gewesen, sondern meine Freunde und ich hatten es gemeinsam geschafft, die Vampire und Hexen im Kampf zu vereinen. Nur so konnten wir siegen.
Ich saß am Fenster des Zuges und sah die Welt an mir vorbeiziehen. Diese Welt da draußen hatte sich verändert. Es war nicht mehr die ruhige bunte Welt aus meiner Kindheit.
Robert hatte seine Hand auf meinem Oberschenkel platziert und die Augen geschlossen. Ich wusste, dass er versuchte ruhig zu bleiben und seine Gedanken abzulenken. Auch wenn er kein Menschenblut trank, sondern tierisches, so war es doch eine schwierige Situation, in einem kleinen, beengten Zugabteil voll mit Menschen, deren Halsschlagadern pulsierten, zu sitzen. Er hatte sich so verändert. Als wir uns trafen, war er noch erfüllt von Hass auf die Menschen gewesen. Sein Hass war geprägt gewesen von seiner eigenen Vergangenheit. Er selbst war ein Mensch gewesen, den er, wie er selbst sagte, verachtete. Aber er hatte Frieden geschlossen mit seiner menschlichen Vergangenheit. Und wir hatten gemeinsam gegen die Schattenkönigin und gegen menschenbluttrinkende Vampire gekämpft. Er hatte meine Freundinnen kennengelernt und meiner menschlichen Welt eine zweite Chance gegeben. Ich konnte ihn dazu bringen, die Welt mit meinen Augen zu sehen. Diese wunderschöne, schützenswerte Welt. Es gab auch so viel Liebe und Gutes bei den Menschen. Es fiel ihm im Laufe der Zeit immer leichter, sich unter ihnen zu bewegen. Und letztlich war es sein Vorschlag gewesen, in Berlin zu studieren. Er war wissbegierig und wollte genau wie ich unsere Welt vor den Schatten und der Dunkelheit schützen. Dass unser Kampf ein stetiger sein würde, wussten wir beide. Trotz des Sieges über Andomera war die Welt dunkler geworden. Die Schattenkönigin hatte die dunklen Mächte gerufen und sie waren ihrem Ruf gefolgt. Und auch wenn ihre Anführerin, ihre Königin nicht mehr am Leben war, so waren die dunklen Mächte, die sie entfesselt hatte, noch immer da draußen. Bei dem Gedanken an die blutdürstigen Vampire, die ihr Gefährte Dracon um sich geschart hatte, lief mir ein kalter Schauer über den Rücken. Wir wussten, dass wir zwar die Dunkelheit für einen Moment aufgehalten hatten, aber wir waren uns auch darüber im Klaren, dass das Böse wieder stärker geworden war und da draußen nur darauf wartete, erneut zuzuschlagen. Unsere Semesterferien würden wir nicht am Strand verbringen oder auf Partys. Nein, wir würden weiter nach Andor reisen und die neusten Geschehnisse in der Welt analysieren. Wobei, ein bisschen Urlaub würden wir haben. In Andor würden wir Lira und Tyron treffen, meine Großeltern, und ich konnte endlich meine Freundin Aquarella wiedersehen. Ich freute mich auf zu Hause. Auch Andor war mein Zuhause geworden.
„Schatz, wir sind gleich da.“
Huch, ich war tatsächlich über meine Gedanken ein bisschen eingenickt. Der Zug fuhr bereits in den Erfurter Hauptbahnhof ein.
Kapitel 3
Wider Erwarten war von meiner Familie weit und breit niemand zu sehen. Das war sehr untypisch, da meine Mutter eigentlich immer ein Riesentamtam veranstaltete, wenn eine ihrer Töchter nach Hause kam. Aber vielleicht bereitete sie auch zu Hause eine Willkommensparty vor. Bitte nicht, betete ich still vor mich hin. Wenn ich da an die letzte Party dachte, die sie zu Ehren meiner bestandenen Hexenprüfung veranstaltet hatte. Überall Luftballons, Luftschlangen und Konfetti, wie zu einem Kindergeburtstag einer Dreijährigen. Ich schüttelte schnell die Gedanken ab und freute mich, Helen und Arthur am Ende des Bahnsteigs zu sehen. „Sieh mal, da stehen Helen und Arthur.“
Robert nickte lächelnd. „Ich weiß. Heute fahren wir zuerst zu mir nach Hause. Ich habe Cornelia in dem Glauben gelassen, wir reisen erst morgen an.“
Ich sah ihn fragend an. „Warum?“
Er zuckte entschuldigend mit den Schultern. „Helen hatte mich darum gebeten. Sie wollen uns unbedingt etwas zeigen, was keinen Aufschub duldet. Und du weißt, was für ein einnehmendes Wesen Cornelia ist. Sie hat wenig Verständnis, wenn wir erst zur Vampirfamilie fahren.“
Er hatte recht. Meine Mutter hatte sich schwergetan zu akzeptieren, dass ich einen Vampir liebte und mit ihm verbunden war. Sie hatte sich damit abgefunden und ich war mir sicher, dass sie Robert und seine Familie mochte, aber es fiel ihr an manchen Tagen schwer, mich mit den „Blutsaugern“ gehen zu lassen. Die seit Jahrhunderten andauernden Vorurteile verschwanden nicht von heute auf morgen, aber beide Seiten gaben sich Mühe, ihre Gräben zu überwinden und sich gegenseitig den nötigen Respekt entgegenzubringen. Und ganz sicher hätte sie es nicht verstanden, wenn wir zuerst zu Helen und Arthur nach Hause gefahren wären. Da stimmte ich Robert zu.
Es war eine angespannte Stimmung auf der Fahrt nach Hause. Helen und Arthur lebten in einem alten Kupferschlösschen. Es war der Familiensitz der Familie von Lohenstein. Ich liebte die alten Gemäuer des Schlosses, die große Bibliothek und vor allem die modern und so funktional gestalteten Bäder. Helen hatte einen tollen Geschmack und sie verbrachte unwahrscheinlich viel Zeit im Badezimmer für einen Vampir. Ich fand sie unfassbar schön. Diese makellose Haut, ihre glänzenden langen blonden Haare, diese tiefblauen Augen. Vampire waren von Natur aus schön. Ich erklärte mir das Phänomen mit dem Urinstinkt des Lebens. Der Jäger musste auf das Opfer schön, vertrauenswürdig und harmlos wirken. Daher konnten sie auch so unscheinbar unter den Menschen leben. Sie wirkten immer freundlich und liebenswert. Dass sie gefährliche Jäger sein konnten, nahmen die Menschen nicht wahr. Nur wir magischen Menschen konnten sehen, wer oder was sie waren. Auf die meisten von uns wirkten sie bedrohlich. Sehr bedrohlich. Und die Geschichten von blutdürstigen Vampiren, die Hexen aussaugten, um sich an dem magischen Blut zu laben und ihre Kräfte zu stärken, und von Hexen, die Vampire mit ihren bloßen Gedanken töten konnten, taten ihr Übriges, um das Misstrauen auf beiden Seiten zu schüren. Als wir in die Einfahrt bogen, spürte ich, wie Helen immer unruhiger wurde. Sie bemühte sich krampfhaft an verrückte Dinge zu denken, nur damit ich nicht las, was sie tatsächlich so nervös machte. Ihre Gedanken drehten sich um Eiscreme und dann wieder um Blumen und um eine lila Kuh auf einer grünen Wiese. Sie gab sich wirklich Mühe. Helen beherrschte das Gedankenverschließen nicht so gut wie Robert und Arthur. Sie war eine Frau. Frauen dachten immer und ständig über alles nach. Die Steuerung der Gedanken fiel Frauen deutlich schwerer als Männern.
Robert verzog das Gesicht, als wir in die große Eingangshalle traten. Auch ich konnte den veränderten Geruch wahrnehmen. „Ihr habt Besuch?“ Er sah Helen misstrauisch an. Helen und Arthur empfingen eher selten Gäste. Freundschaften zu Menschen vermieden sie, da sie ja nicht wie die Menschen alterten. Auch die unter Menschen üblichen gesellschaftlichen Freizeitgestaltungen wie zum Beispiel das gemeinsame Essengehen waren für Vampire eher ungeeignet.
Es roch nach Blut. Arthur ergriff das Wort. „Ich habe auf meiner letzten Reise in den skandinavischen Wäldern jemanden gefunden. Es war verletzt und drohte zu sterben. Aber ich konnte es nicht sterben lassen. Wir brauchen Antworten. Deshalb habe ich es mitgenommen.“
Robert durchbohrte ihn mit scharfen Blicken. „Was oder besser gefragt wen hast du mitgenommen?“
Helen ging zur großen Flügeltür, die in das geräumige Wohnzimmer führte. Vorsichtig schob sie sie auf. In der Mitte des Raumes stand auf dem weichen Hochflorteppich eine Art Laufgitter und darin saß ein kleines Mädchen, das höchstens drei Jahre alt war, und spielte mit einer kleinen Maus. Sie warf das Tier immer wieder in die Luft und fing es mit den Zähnen auf. Dabei jauchzte das Kind fröhlich.
„Ein Kind? Ihr habt ein Kind hierhergebracht? Wessen Kind ist das? Wieso ist es hier? Ist es verwandelt?“ Roberts entsetzter Gesichtsausdruck sprach Bände.
Auch ich war völlig überfordert von der Situation. Es war ein niedliches Kind. Aber ich wusste, dass es verboten war, Kinder zu verwandeln. Kinder waren unberechenbar, auch wenn man sie noch so gut erzog, konnten und durften sie nie mit Menschen zusammentreffen. Menschen wären niemals vor Vampirkindern sicher. Kinder handelten emotional, sie hatten ihre Gefühle, wie Wut oder Zorn, nicht im Griff. Ich hatte erst in der vergangenen Woche einige Berichte aus der Zeit des Dreißigjährigen Kriegs gelesen, wo man auch Versuche mit unsterblichen Kindern gemacht hatte. Immer wieder las man in den alten Schriften, dass unsterbliche Kinder eine ganze Generation ausgerottet hatten, weil sie nicht ihren Willen bekommen hatten. Als die Mittelzeitvampire damals einen Pakt mit den Menschen geschlossen hatten, der den Dreißigjährigen Krieg beendete, wurde unter anderem auch beschlossen, dass Vampire keine unsterblichen Kinder haben und niemals Kinder verwandelt werden durften. Und nun saß mitten in Arthurs und Helens Wohnzimmer ein verwandeltes Kind.
Das kleine Mädchen drehte sich zu uns um und sah verängstigt zu Robert und mir. Helen ging auf sie zu. Sofort hob das Kind seine Arme und Helen nahm es hoch. Es klammerte sich fest an Helens Hals. „Du brauchst keine Angst zu haben. Das sind Robert und Ella. Ich habe dir doch erzählt, dass sie heute kommen. Ella wird dir helfen.“ Noch immer blickte das Mädchen mit ihren großen brauen Kulleraugen verängstigt in unsere Richtung.
„Ich habe sie gefunden, völlig durchnässt und halb erfroren.“ Arthur sprach ruhig. „Sie hatte eine riesige Bisswunde am Hals. Ich habe gleich gesehen, dass sie von einem Vampir gebissen worden sein muss. Sie hat unglaublich viele Bissnarben am Körper. Offensichtlich wurde sie als Spender missbraucht. Sie wäre gestorben, wenn ich ihr nicht mein Blut gegeben hätte. Und ich muss wissen, wer ihr das angetan hat.“
Robert verharrte in einer Art Schockstarre. „Aber es ist verboten“, flüsterte er.
„Das weiß ich und wir brauchen eure Hilfe.“
Das kleine Mädchen löste langsam die krampfhafte Umarmung um Helens Hals.
„Na siehst du. Du brauchst keine Angst haben. Ella und Robert werden dir nicht wehtun.“ Helen schien die neugewonnene Mutterrolle zu genießen. Behutsam streichelte sie der Kleinen über den Rücken und strich ihr eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Plötzlich, wie aus dem Nichts, riss sich die Kleine los und hüpfte in meine Arme. Sie umfasste mit ihren kleinen Händen meinen Hals und schlang ihre Beine um meine Hüften. Noch bevor sie ihre Fänge in meinen Hals schlagen konnte, packte ich ihre Arme und riss sie zurück. Gierig blickten mich ihre eben noch so unschuldig dreinblickenden Augen an. Speichel tropfte an ihren Fängen hinunter. Helen kam sofort, löste ihre Beine und hielt sie nun fest in ihren Armen. „Nein“, sagte sie laut und streng. Erschrocken entspannte sich das Gesicht des Kindes und nun füllten sich ihre Augen mit dicken Tränen. „Du brauchst nicht weinen, kleiner Schatz, aber nein. Niemals fallen wir andere Menschen an und trinken von ihnen. Hast du das verstanden?“
Die kleine nickte und vergrub ihr Gesicht wieder in Helens Haaren. Helen sah mich an. „Alles in Ordnung, Liebes?“
Ich nickte.
„Ella, wir brauchen wirklich Hilfe. Das Kind redet noch nicht. Es kann reden, davon bin ich überzeugt, aber es muss schwer traumatisiert sein und wird noch einige Zeit brauchen, bis es uns sagen kann, woher es kommt und was ihr widerfahren ist.“ Arthur sah mich bittend an.
Robert schwieg noch immer.
„Okay. Ich habe in den letzten Wochen viel gelesen und mich an verschiedenen neuen Hexensprüchen probiert. Ich kann sie mit einem Zauber belegen, damit die Anziehungskraft menschlichen Blutes ihren Reiz verliert. Der Zauber hält allerdings bislang nur ein paar Tage. Ich werde ihn mit einem Trank verbinden müssen, so weit bin ich aber noch nicht. Ich forsche ohnehin an dem Thema und wollte mit meiner Mutter über Zaubertränke reden, mir fehlt irgendein Kraut und ich weiß nicht welches.“
Helen schöpfte Hoffnung. „Danke, Ella, das wäre ein Anfang. Und könntest du vielleicht das Schloss mit einem Zauber belegen, damit Trixi nicht ausbüxen kann? Sie soll sich im Schloss frei bewegen können, aber nur im Schloss.“
„Trixi?“ Robert hatte seine Stimme wieder. „Du hast ihr einen Namen gegeben?“
„Ach Robert, komm schon. Du hast jetzt eine kleine Schwester.“ Helen wollte dieses Kind ganz offensichtlich behalten.
„Ich habe jetzt eine kleine Schwester? Ist das dein Ernst? Wenn der Hohe Rat davon erfährt, werden sie unsere Familie töten. Es ist absolut verboten, Kinder zu verwandeln. Wie konntet ihr das nur tun? Arthur? Wie konntest du das tun?“
Arthur fühlte sich offensichtlich nicht sonderlich wohl in seiner Haut. Er wusste, dass Robert recht hatte, aber ich spürte, dass er die Rettung des Kindes sehr bedacht abgewogen hatte. „Ella, als Robert sich damals deiner Familie vorgestellt hatte …“, Robert ließ ihn nicht ausreden. „Was bitte soll das, Arthur? Ich bin erwachsen, ich bin trainiert, ich wurde ausgebildet? Und warum zieht ihr Ella mit rein? Glaubst du, ihre Familie wird begeistert sein über ein Kind, das unberechenbar wahllos Menschen anfällt?“ Er kochte innerlich.
„Robert, lass ihn ausreden. Ich bin sicher, dein Vater hatte sehr gute Gründe, dieses Kind zu retten. Und ich möchte diese Gründe hören.“ Ich ließ eine Welle der Ruhe und Zufriedenheit über ihn fließen. Seine Herzschläge verlangsamten sich wieder und er nickte ruhig.
„Erzähl weiter, Arthur“, forderte ich ihn auf.