Lichtgesang - Gabriele Prattki - E-Book

Lichtgesang E-Book

Gabriele Prattki

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Beschreibung

Licht und Schatten ... Persönliche Grenzerfahrungen könnten auf der Schattenseite verlaufen – eine schockierende Diagnose oder das plötzliche Ende einer ›himmlischen‹ Leidenschaft. Doch das Wunder ist nicht fern. Beobachtungen, die sich in Mosaiken zu Reiseberichten fügen (Türkei 2015, Usbekistan 2017), spiegeln das Licht des Südens jenseits gängiger Licht- und Schatten-Bilder. Märchen weisen den Weg aus dem ‚Reich des Schattens‘. - Sehnsucht / treibt mein Leben / auf Reisen / fern und nah / findet es mich / im Schatten / im Licht

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L i c h t g e s a n g

- Collage -

Gabriele Prattki veröffentlichte ihr erstes Buch Magische Momente Marokko mit eigenen Fotos 2011 im Selbstverlag. 2013 wurde das kunstvoll gestaltete Buch Der Tanz geht weiter – Gedichte und Bilder mit Werken der Malerin Inge Schnoor-Sturm bei epubli.de veröffentlicht, wo 2013 auch das E-Book Ein Teppich aus Andacht erschien.

Vom Engelsdorfer Verlag Leipzig wurde 2015 die Erzählung Namaste geht immer – Impressionen beim Reisen durch Indien herausgegeben und 2016 der Gedichtband Wolkenvögel und Schwarze Kristalle.

Mehr unter www.prattki.wordpress.com

Gabriele Prattki

LICHTGESANG

- Collage -

Engelsdorfer Verlag

Leipzig

2018

Bibliografische Information durch die Deutsche Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

Copyright (2018) Engelsdorfer Verlag Leipzig

Alle Rechte beim Autor

Hergestellt in Leipzig, Germany (EU)

www.engelsdorfer-verlag.de

Inhalt

Öffnung

Suche nach dem Glück

Pfütze

Sturzflug

Altertümer

Marathon Türkei

Symbole des Glaubens

Usbekistan 2017

Und doch du

Diagnose CML

Lichtgesang

Der Palast der Mondgöttin

Anhang

ÖFFNUNG

Aufbruch wagen

wachsam

Wege erkunden

bedacht

Grenzen weiten

achtsam

SUCHE NACH DEM GLÜCK

Es war einmal ein junger Mann, der hieß Lukas. Mit seiner schönen jungen Frau Lena lebte er in einem kleinen Haus am Waldrand. Er liebte sie sehr und las ihr jeden Wunsch von den Augen ab. Lena aber hatte an allem und jedem etwas auszusetzen. Lukas wurde immer trauriger und stiller, während Lena ihn immer öfter beschimpfte.

Eines Nachts warf er seiner schlafenden Frau einen Blick voller Liebe zu und machte sich auf den Weg. Er wollte das Glück für Lena suchen. Schweigend umhüllte ihn die mondlose Dunkelheit. Mit unsicheren Schritten ging er durch den Wald. Er meinte, schattenhafte Bewegungen wahrzunehmen und fürchtete sich. Doch es waren nur die Zweige der Bäume, die ihn streiften. Er lief weiter. Plötzlich stolperte er. Der Boden unter ihm gab nach, und er stürzte in die Tiefe.

Als er sich von seinem Schrecken erholt hatte, traute er seinen Augen nicht: Er befand sich in einer riesigen, hell erleuchteten Höhle. Köstliche Speisen auf einem festlich gedeckten Tisch verbreiteten lockende Düfte. Drei Elfen saßen an dem Tisch, eine jünger und schöner als die andere. Die Jüngste trug ein kurzes goldfarbenes Kleidchen, die Zweite ein rubinrotes Abendkleid, und die Dritte war in eine schwarze Lederhaut gehüllt.

»Wo bin ich?«, fragte Lukas.

»Du befindest dich im Paradies. Alles, was dein Herz begehrt, wirst du hier finden«, sprach die Elfe in Rubinrot und lächelte verführerisch. »Wir erfüllen Männerträume«, lachte die Jüngste, und ihre Zunge umspielte die Lippen. »Wir haben Erfahrung mit gelebten Männerfantasien.« Die Älteste der Elfen schaute ihm tief in die Augen.

Lukas wurde traurig und schüttelte den Kopf. »Alles, was ich begehre, ist meine Frau. Sie ist jung und schön, aber unzufrieden und nörgelt an mir und unserem Leben herum. Ich weiß nicht ein noch aus. Jetzt suche ich das Glück für sie.«

Aus dunklen Sternenaugen strahlte die jüngste Elfe ihn an. »Wenn das dein einziger Wunsch ist, junger Mann, wollen wir dir helfen.«

Die zweite Elfe erhob sich, strich über ihr elegantes Abendkleid und sprach: »Jede von uns wird dir eine Frage stellen. Überlege gut, denn wir lassen nur eine Antwort gelten.« Langsam schritt die in schwarzes Leder gewandete Elfe um den Tisch und strich Lukas über die Wangen. »Wenn du die drei Fragen richtig beantwortest, kannst du zu deiner Frau zurückkehren und wirst sie glücklich und zufrieden vorfinden. Sind deine Antworten aber falsch, dann musst du bleiben und uns als Spielzeug dienen.«

»Ihr freundlichen Elfen«, rief Lukas aus, »wie schön ihr auch seid und so verlockend sich die Alternative anhören mag - es ist nicht mein Wunsch, bei euch zu bleiben. Um Lenas und meiner Liebe willen bitte ich euch: Stellt mir eure Fragen.« Da boten ihm die Elfen Speisen und Getränke zur Stärkung an.

»Nun die erste Frage«, wandte sich die schöne Jüngste danach an ihn. »Wen liebt deine Frau mehr als dich?« Verwirrt starrte Lukas erst sie, dann die Höhlendecke an. Er dachte an all die Menschen, mit denen Lena Kontakt hatte, bedachte die Art, wie sie Begegnung mit Menschen suchte und sagte schließlich: »Ich glaube nicht, dass sie einen anderen Menschen mehr liebt als mich. Aber mir scheint, ihr Kummer ist ihr wichtiger als alles andere.«

»Nun gut. Und sag uns, was ist die Ursache ihres Kummers?«, fragte die elegante zweite Elfe. ›Oh Gott‹, dachte Lukas. ›Das weiß sie doch selbst nicht; wie kann ich es dann wissen?‹ Und er ging in der erleuchteten Höhle auf und ab und suchte nach einer Antwort. Er versuchte, sich an alles zu erinnern, was Lena je über ihre Befindlichkeiten ihm gegenüber geäußert hatte. Ihm fielen Sätze ein wie: »Du weißt so vieles, ich komme mir oft dumm vor.« Oder: »Ich möchte das machen, was du machst.« Häufig fielen Bemerkungen wie: »Ich kann gar nicht glauben, dass jemand wie du mich gern hat.« Oder sie fragte: »Findest du mich wirklich in Ordnung?« Er schüttelte den Kopf. Wie unsicher sie war! Wie schwer tat sie sich, etwas Gutes an sich selbst zu sehen, wie sehr schwärmte sie oft für ihn und andere Menschen, um danach an ihnen herumzumäkeln.

»Und?«, fragte die elegante Elfe.

»Ich glaube, die Ursache für ihren Kummer ist ihre große Unsicherheit. Lena sieht nichts Gutes an sich selbst.« Lukas blickte verzweifelt zu Boden.

Schweigend sahen die drei Elfen sich an. Dann trat die schwarz-gewandete dritte Elfe zu ihm und stellte die letzte Frage. »Sag uns: Was kann deine Frau glücklich machen?« Lukas’ Augen füllten sich mit Tränen. Was hatte er nicht alles versucht, um seine junge Frau glücklich zu machen. Er hatte ihr Geschenke gemacht, einen Ring mit edlen Steinen, eine goldene Halskette, eine kunstvolle Brosche, wertvolle Bücher. Er hatte Reisen in ferne Länder mit ihr unternommen, um sie auf andere Gedanken zu bringen. Gesungen und gedichtet hatte er für sie. Er wollte gern Kinder mit ihr haben. Nichts war ihr ein Grund gewesen, glücklich zu sein.

Er weinte und sagte: »Ich bitte euch um Bedenkzeit. Denn alles, was mir möglich war, habe ich getan.«

Die Augen der Elfen verdunkelten sich. Die Lichter in der Höhle erloschen. Lukas erschrak. Dann wurden seine Augenlider schwer, und er fiel in einen tiefen Schlaf. Im Traum sah er Lena als Kind, glücklich, ungestüm und zufrieden in ihrer Welt. Dann wurde diese von Dunkelheit überschattet und ein schreckliches Unwetter zog über sie hinweg. Danach war Lena verwandelt, so, wie Lukas sie kannte.

Er erwachte und schaute in drei erwartungsvoll geöffnete Augenpaare. Er sagte: »Ihr wundersamen Wesen, ich glaube, wenn Lena das unbeschwerte Kind in sich wiederfinden könnte, das sie einmal war, dann würde sie glücklich werden.«

Die Elfen strahlten ihn an. »Auch wenn wir hier gern Spielzeug haben«, sagte die in schwarzes Leder gehüllte Älteste augenzwinkernd, »ist es für uns ein Fest, solche Liebe und Treue zu erfahren. Lass uns feiern, bevor du zu deiner geliebten Lena zurückkehrst. Denn wir werden uns nie wieder begegnen.« Und sie feierten mit Gesang und Tanz und köstlichen Speisen.

Kurz darauf fand sich Lukas im Wald wieder. Die Sonne schien. Er eilte nach Hause. Schon von weitem hörte er Musik. Lena trug ein buntes Kleid, lachte fröhlich und flog ihm in die Arme.

PFÜTZE

in

der tiefe

das schimmernde licht

der himmel down under

nah erscheint die tiefe

doch bergab fällt

man nicht

weich

STURZFLUG

Ich war stolz wie selten in meinem Leben. Beim sommerlichen Schauspringen des Fallschirmsportclubs im Sauerland durfte ich zum ersten Mal aktiv dabei sein, mit dem Strato Star, einem damals neuen Fallschirmtyp. Mit ihm war ich zum Ende der Saison im Herbst zwei oder drei Mal gesprungen und hatte ein fantastisches Erlebnis in Erinnerung, unvergleichlich besser als mit dem schwerfälligen Rundkappen-Schirm. Nach privaten und beruflichen Rückschlägen glaubte ich, nur im Sport gut zu sein. Das Training und die Wochenenden mit Fallschirmspringen lenkten mich von meinem inneren Chaos ab. Kalle, der Ausbilder, forderte und protegierte mich.

Seine Anweisungen vor dem Abflug der Cesna, dem Vereinsflugzeug, waren klar: In siebenhundert Metern Höhe sollte ich die Bremsen des Fallschirms einmal ausprobieren. »Du ziehst die Steuerleinen langsam nach unten«, erklärte Kalle. »Damit du nach der Winterpause wieder ein Gefühl für den starken Bremseffekt dieses Schirmtyps bekommst.«

Bei Sonnenschein und wolkenlosem Himmel ratterte die kleine Cesna los und hob ab. Die Maschine stieg und kreiste, stieg und kreiste. Außer mir und dem Piloten waren noch drei Clubkameraden an Bord. Wir erreichten die Höhe von dreitausendachthundert Metern. Der große blonde Theo kniete in der Türöffnung und hielt Ausschau nach dem Zielkreis. Als er ihn entdeckt hatte, flogen wir noch eine Strecke darüber hinaus.

Nach dem Öffnen des Fallschirms würden die Fallschirmspringer in Windrichtung auf den Zielkreis zusteuern, darüber hinweg fahren und dann versuchen, ihn im Gegenwind bremsend zu erreichen. Wer das schaffte, war gut. Super war es, die »Null«, die Mitte des Zielkreises zu erreichen. Auch ich hatte bei meinen Sprüngen versucht, so nah wie möglich an den Zielkreis heran zu fahren. Ob es dann ein nahe gelegenes Getreidefeld oder ein Blumenbeet in größerer Entfernung war, in dem ich landete, oder immerhin der Sprungplatz nahe dem Zielkreis, war mir egal. Ich liebte das aufregende Gefühl beim freien Fall, freute mich jedes Mal, wenn der Fallschirm sich öffnete und über jede glückliche Landung.

Mit einem Erlebnis zogen mich die Vereinsmitglieder gern auf: Auch an jenem Tag im Jahr zuvor hatte ich einen Fallschirm gehabt, der mir nicht vertraut war. Der Griff zum Öffnen des Schirms hatte versetzt zur linken Seite statt, wie ich es kannte, rechts gelegen. Nach dem freien Fall hatte ich, wie ich glaubte, den Griff zum Öffnen des Fallschirms gezogen. Doch war es die Vorrichtung zum Abwerfen des Hauptschirms! Sofort spürte ich damals die überraschende Erleichterung im Rücken, als der Hauptschirm sich von mir verabschiedete und als purzelndes Paket seinen Weg zur Erde antrat. Etwas beunruhigt öffnete ich den auf dem Bauch befestigten Reservefallschirm und hing dann in leichter Rückenlage in der Luft, die Leinen vor meinem Gesicht. Ich musste mich treiben lassen. Weit entfernt vom Sprunggelände ging es gemächlich auf einen großen Wald zu. Bald streifte ich die Baumkronen mit den Springerstiefeln, sank tiefer und tiefer zwischen die Bäume und blieb stecken. Mit nach oben verdrehten Händen hielt ich die Leinen des Fallschirms, mein Kopf mit dem verrutschten Helm steckte dazwischen. Auf meine gequält klingenden Rufe hatten die besorgt suchenden Clubkameraden mich gefunden und bei meinem jämmerlichem Anblick schallend gelacht, bevor sie mich aus der misslichen Lage befreit hatten.

Theo hob den Daumen, das Signal für den Piloten, den Motor zu drosseln und Signal zum Absprung für die Fallschirmspringer. Tom juchzte, rollte mit einem Purzelbaum hinaus – fort war er. Ich war die Zweite.

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Eintrag im Tagebuch:

»Ich kniete in der Öffnung und ließ mich kopfüber hinaus gleiten. Im freien Fall sah ich den blauen Himmel bis zur weit entfernten Linie des Horizonts. Ich zog Beine und Arme ein wenig an und fühlte mich als Widerstand zur Luft schwer wie Blei. Durch leichtes Herunterziehen des linken Armes kam ich in eine blitzschnelle Drehung, die gleich in die nächste überging, weil ich sie nicht schnell genug stoppte. Dann versuchte ich die Drehung nach rechts. Der Wind zerrte und knatterte an meiner orangefarbenen Springer-Kombination. Dann lag ich stabil in der Luft.

Sanfte Langsamkeit im unendlichen Raum, ein zeitloser Augenblick, Sekunden-Ewigkeit in Himmelsnähe. Wie ein flauschiger, grün-brauner Flickenteppich schwebte die Erde mir entgegen. Dann folgte ein Zischen und Rauschen wie tosende Meeresbrandung, als ich meine Arme eng an den Körper legte: Wie ein Pfeil schoss ich, Kopf als Spitze, der Erde entgegen. Ein Rausch erfasste mich, Glücksgefühl in jeder Pore. Für einige Sekunden gab ich mich dem rasenden Fall hin, spürte, wie meine Gesichtshaut nach oben gezogen wurde und die Lippen sich im Luftwiderstand öffneten. Im Zeitlupentempo hob ich dann die Arme, bis ich in die stabilisierende Bauchlage kam. Eintausendzweihundert Meter zeigte der Höhenmesser an. Ich öffnete den Hauptschirm, spürte einen leichten Ruck im Rücken und hörte das laute ›Plopp‹, als der Fallschirm aufsprang. Stille umgab mich, ein krasser Gegensatz zu den starken Geräuschen vorher. Über der weiten Landschaft schwebte ich leicht wie ein Blatt im Herbstwind. Leise rauschten über mir die Kammern des Strato Stars. Ich fuhr einige Zeit mit dem Wind, schraubte mich dann herunter. Ein tolles Gefühl, als der Körper ausschwang.

Dann drehte ich gegen den Wind, sah den Zielkreis, den Platz, die Zuschauer. Schock und Schreck! Einhundert Meter Höhe, ich hatte vergessen … Schnell die Bremsübung! Zack, zog ich die Leinen herunter, spürte, wie der Schirm mich nach hinten in die Rückenlage warf, hörte Trainer Kalle brüllen, er brüllte wie ein Tier: »Mensch, lass’ die Bremsen los!« Zack, ließ ich sie los, viel zu schnell schossen sie nach oben. Meine Augen riesig wie Wagenräder, der Boden raste auf mich zu. Grün, Grün, Grün. Ein stumpfes Bong. Meine Füße schienen sich in den Boden zu bohren.

Seit zehn Tagen liege ich im Krankenhaus, meine Füße sind heftig gebrochen. Die Ärzte meinen, das sei es wohl mit dem Springen gewesen.

Immerhin landete ich direkt neben dem Krankenwagen der Malteser.«

ALTERTÜMER

Die Wurzeln gar tief in der Erde,

dort liegen die Ahnen sehr kalt

und helfen mir wachsen. Ich werde

bestimmt wie ein Stein so alt.

MARATHON TÜRKEI

Eine Woche Weltkulturerbe plus

Istanbul 2015

Ankunft – Angebote – Abendessen

Muezzins begannen rund um das Hotel zu singen. Kurz nach unserer Ankunft war das, gegen halb sieben am frühen Abend, erst zwei, dann drei, aus einer anderen Richtung weitere. Bis zu acht verschiedene Stimmen erklangen. Die Gebete wurden von dem ersten Muezzin mit einem Gebetsteil eröffnet und von den anderen jeweils mit anderen Sätzen aus dem Gebet beantwortet.

Die Gegend um das Hotel war unwirtlich und im Dunkeln ein wenig unheimlich: Abfallhaufen, Berge von Autoreifen, Lagerhallen, verfallene Häuserkästen. In einigen Hochhäusern verbreiteten Imbissbuden im Erdgeschoss kaltes Licht. Wo lebten die Menschen? Das Hotel fiel in dieser Gegend auf, deplatziert, würde ich sagen. Die Investoren hatten sicher scharf kalkuliert.

Nach dem Abendessen wartete ich mit vielen anderen Gästen lange, bis ein Lift kam, der mich in den sechzehnten Stock des Hotels hinauf fuhr. Auf einer kleinen Terrasse wurde mein Blick von zahllosen Leuchtpunkten in der früher auf sieben Hügeln erbauten Metropole angezogen, die man mehr als 1000 Jahre lang Byzanz und später Konstantinopel nannte. Sieben Hügel, das ist heute allein die Fläche der Altstadt Istanbuls. Weit zogen sich die Straßen aus Licht hin. In der Ferne ahnte man auf einer Anhöhe berühmte Gebäude, die besonders hell angestrahlt wurden. Es war diesig und kühl.

Um 22 Uhr fiel kurz der Strom aus. Die Hochhäuser in der Umgebung des Hotels wirkten wie ausgelöschte Fackeln.

Auf der Fahrt vom Flughafen zum Hotel hatte der Reiseleiter eilig ein außerplanmäßiges Angebot eröffnet: »Morgen Nachmittag möchte ich mit Ihnen eine Bootsfahrt inklusive Abendessen unternehmen. Das Boot wird nur unsere Gruppe durch die Meerenge des Bosporus fahren, bis zu den berühmten Brücken zwischen Europa und Asien, die über den Bosporus führen. Anschließend werden wir, wenn der Verkehr es zulässt, eine Lichterfahrt durch einen Teil Istanbuls machen. Das kostet pro Person neunundsechzig Euro.« Dem Angebot folgte ein zweites: »Wer noch dreißig Euro drauf legt, erhält an den folgenden vier Tagen mittags ein Menü.« Nach Alternativen zur Bootsfahrt gefragt, antwortete er in leicht pikiertem Tonfall, den wir öfter hören sollten: »Wer an der Bootsfahrt nicht interessiert ist, wird zum Hotel gefahren.« Als wenige Gäste dennoch nach Möglichkeiten fragten, sich selbst in Istanbul umzusehen, reagierte er unwirsch: »Meine Verantwortung für Sie bezieht sich auf Bus und Hotels. Wenn Sie selbständig etwas unternehmen, habe ich nichts damit zu tun.« Ich meldete mich für die Bootstour.

Das Buffet des ersten Abends war verführerisch vielfältig, ich etwas desorientiert. Menschenschlangen an jedem Teil des üppigen, unüberschaubaren Speisegeländes mit rohem Gemüse, angemachtem Gemüse, Suppen und Fleisch, Fisch, mit Nudeln, Pfannkuchen, Kartoffeln, gratinierten Speisen. Ein großes Angebot an zuckerig dekorierten Süßspeisen lockte, egal wie satt man schon war: Puddings, Torten, Joghurtspeisen, frisches Obst … Und wer weiß, was ich alles in der Fülle nicht wahrnehmen konnte!

Ein Glas Bier kostete laut Getränkekarte neun Euro. Echt teuer, dachte ich. Dann fiel mir ein, dass es Alkohol offiziell in islamischen Ländern nicht bzw. für Touristen nur in entsprechenden Örtlichkeiten zu kaufen gibt. So war ein erhöhter Preis in Ordnung, fand ich, bestellte aber kein Bier. Einen jungen Kellner fragte ich zweimal, was Danke auf türkisch heißt, doch ich versuchte vergeblich, es nachzusprechen, so fremd waren mir die Laute.

Sechs Reisebusse mit deutschen Touristen waren im Hotel eingetroffen, um die Fahrt entlang der Westküste zu berühmten historischen Stätten zu erleben, pro Bus um die vierzig Personen. Eine Künstlerin in unserer Gruppe erklärte ihre Anwesenheit damit, dass sie die Welt weitgehend bereist und genug Elend erlebt habe. Jetzt wolle sie nur Schönes genießen. Unangenehme Nachrichten erreichten sie indes von ihrer Schwester, die sich zum Zeitpunkt eines Terroranschlages des sogenannten IS, der während unserer Reise stattfand, in Paris am Flughafen aufhielt und von dort nicht weiterfliegen konnte. Zum Glück meldete sie sich später aus Deutschland; ihr war nichts passiert.