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Heinrich Mann

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Beschreibung

Die Landstraße nach Prag führt durch das Dorf Lidice.
Es ist ein schöner Sonntagmorgen im Frühling. Die meisten Einwohner ergehen sich draußen.
Der älteste Teil des Dorfes umrandet in Winkeln und Ausbuchtungen launisch die Straße, die keine Verbreiterung zuläßt, außer, die alten Häuser, Höfe, Gärten würden abgerissen.
An dem einen Ende steht aus Urzeiten die Dorflinde mit weiter Krone und jungem Laub. Die Wiese dahinter ist von Gänsen bevölkert, der Teich, auch ein Gemeindegut, von Enten. Auf den Bänken im Umkreis der Linde sitzen Frauen, die zerarbeiteten Hände liegen im Schoß, die Stimmen sind laut, die Gemüter sonntäglich still. Sie tragen bunte Stoffe. Hell gekleidete, blonde Kinder spielen.

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Heinrich Mann

Lidice

Roman

1943

© 2022 Librorium Editions

ISBN : 9782383834229

D

ie Landstraße nach Prag führt durch das Dorf Lidice.

Es ist ein schöner Sonntagmorgen im Frühling. Die meisten Einwohner ergehen sich draußen.

Der älteste Teil des Dorfes umrandet in Winkeln und Ausbuchtungen launisch die Straße, die keine Verbreiterung zuläßt, außer, die alten Häuser, Höfe, Gärten würden abgerissen.

An dem einen Ende steht aus Urzeiten die Dorflinde mit weiter Krone und jungem Laub. Die Wiese dahinter ist von Gänsen bevölkert, der Teich, auch ein Gemeindegut, von Enten. Auf den Bänken im Umkreis der Linde sitzen Frauen, die zerarbeiteten Hände liegen im Schoß, die Stimmen sind laut, die Gemüter sonntäglich still. Sie tragen bunte Stoffe. Hell gekleidete, blonde Kinder spielen.

Das andere Ende der bebauten Straße wird von der längst schon geschlossenen Tankstelle bezeichnet. Die Mitte bildet die gestreckte weiße Front des Wirtshauses, zu seinen Seiten öffnen sich Lauben aus Geißblatt, Rosen, wildem Wein.

Zwischen Linde und Tankstelle halten und gehen die Männer von Lidice, alte und junge, die Mehrzahl sind Bergarbeiter in möglichst farbigen Anzügen, da die Woche über ihre Tracht dunkel ist. Die anderen Leute, Bauern, Gewerbetreibende, Handwerker, bewohnen die angrenzenden Häuser oder nächsten Gehöfte. Jede Gruppe hat spannende Neuigkeiten zu besprechen, ohne daß jemand seine Erregung hervorkehrt.

Jenseits dieser kleinen Ansammlung von Trachten und Gesichtern, über den blühenden Büschen, keimenden Obstbäumen, Vorväterbehausungen im Grünen, erhebt sich die Landschaft. Vom Dorf aus links erscheint droben die kahle schwarze Platte der Kohlengruben, die aufgereihten Arbeiterhäuser haben dort den grellsten Anstrich, je rauchiger die Luft, die sie umgibt. Hinter dem letzten Rauch, nicht weniger dunkel als er, verschwimmt der Umriß eines Waldes.

Aus der Gegend der Linde sind Wege gesenkt nach dem Tal und seinen Fruchtfeldern. Drüben, rechts des Dorfes, wird der Blick begrenzt von heiteren Hügeln, die wohlhabenden Villen lehnen an ihnen. Der Himmel ist nach dieser Richtung hoch und mildblau. Freie Zwischenräume der Landschaft zeigen weithin kurze Strecken der Fahrstraße.

Dies ist eine kleine Welt, wie sie dastand, bevor sie unterging, ein böhmisches Dorf, Abriß tschechischen Lebens, alle Arbeit und Mühe der vielen Geschlechter und dieses letzten. Es enthält die menschlichen Leidenschaften, dazu den einheimischen Witz. Ihm fehlen sowenig die Narren wie die Nachdenklichen und Belasteten, wer wäre nicht belastet, wo der Feind im Land über jede eurer Regungen wacht! Kein Schmerz, kein Glück ist abwesend von Lidice.

Nicht zu vergessen, die Verliebten. Zwei von ihnen erheben die Köpfe über die sanfte Talsenkung. Jetzt tauchen sie in ganzer Gestalt bei der Linde auf.

1

Pavel Ondracek, mit seiner Braut Lyda: »Da ist etwas nicht in Ordnung.«

Lyda: »Die Kinder spielen wie sonst.«

Pavel: »Die Frauen tratschen wie alle Sonntage, aber woran denken sie? An dasselbe wie wir?«

Lyda: »Stell dich nicht dumm, Pavel, du weißt, worauf die Leute neugierig sind.«

Pavel: »Dann hab ich es, meiner Seel, vergessen über deinem Anblick, Lyda.«

Lyda: »Wirklich wahr?«

Pavel: »Mit dir in blumigen Wiesen sitzen, dich Kränze flechten sehen, ringsum versinkt die Welt. Nur leider war ich nicht kühn genug.«

Lyda: »Ich will dich nicht kühn. Sei gut und treu!«

Pavel: »Ich kann doch nur treu sein. Nach den Schrecken von Prag, bei dir die Ruhe und dein liebes Herz!«

Lyda: »Wie klug, daß du zu uns herauskämest aus der Stadt, bevor die Universität geschlossen wurde!«

Pavel: »Als meine Kameraden demonstrierten und erschossen wurden.«

Lyda: »Du hast den Deutschen nichts getan, du bist in Sicherheit.«

Pavel: »Und du verachtest mich.«

Lyda: »Ich – dich verachten?«

Pavel: »Wer flieht, verdient es. Aber ich werde etwas tun, daß keiner mich schief ansieht.«

Lyda: »Rede nicht sinnlos! Alle müßten sich voreinander schämen, wenn es darauf ankäme, nutzlos zu demonstrieren gegen einen Sieger, der die Macht hat.«

Pavel: »Es kommt darauf an, im vollen Ernst etwas auszurichten, und dieser falsche Sieger muß es spüren. Es muß auf ihm sitzenbleiben untilgbar.«

Lyda: »Was könnte das sein? Du wirst es nicht tun, mein Pavel, sieh mich an, wir haben nur einander.«

Papel: »Die Leute auf der Straße blicken alle nach den Hügeln drüben.« Er sucht in derselben Richtung.

Lyda: »Nicht dorthin, mich sieh an!«

Pavel: »Drunten waren wir wundervoll allein. Schade, jetzt läßt es sich nicht länger übersehen.«

Lyda: »Was? Die kleinen Wagen, manchmal durchstreifen sie einen Ausschnitt zwischen den Bäumen, so weit dahinten.«

Pavel: »Werden schon näher kommen, das zählt nach Minuten. Ein Protektor fährt schnell.«

Lyda: »Was kümmert er dich – gerade dich, wenn Lidice ihn nichts angeht?«

Pavel: »Lidice, nichts? Da könntest du irren. Er ist der neue deutsche Protektor von Böhmen-Mähren, wie sie es nennen.«

Lyda: »Der alte soll noch in Prag sitzen. Uns hat der alte Protektor ziemlich in Ruhe gelassen.«

Pavel: »Die Studenten sprechen anders, wenn sie noch sprechen.«

Lyda: »Sei vorsichtig! Laß uns zurückkehren auf unsere stille Wiese!«

Pavel: »Es wäre nicht mehr dasselbe.« Er will gehen.

Lyda: »Halt! wohin?«

Pavel: »Auf der Straße sind sie unruhig.«

Lyda: »Du mußt wohl mittun.«

Pavel: »Warnen will ich sie.«

Lyda, hängt bis jetzt an seinem Arm: »Du bist neugierig, du läßt dich zu dummen Streichen hinreißen, früher als die anderen.«

Pavel: »Ein vernünftiger Mensch wie ich! Mein Vater ist unter den Leuten, siehst du ihn? Beim Vater werd ich mich wohl erkundigen dürfen.«

Er verläßt Lyda am Rande der Straße.

Sie kann es nicht ändern, will lieber nichts wissen, sie spielt mit den Kindern.

Pavel, bei seinem Vater: »Was haben die guten Leute?«

Jaroslav Ondracek: »Gut schon, aber zornig.«

Pavel: »Weil ein neuer Protektor hier durchkommen soll? Auch ein Grund, sich zu erzürnen.«

Jaroslav: »Mit dem neuen soll nicht zu spaßen sein.« Bevor Pavel antworten kann: »Den alten kannte man. Der Ruf des neuen ist noch schlimmer.«

Pavel: »Darum das Getümmel. Ihm den Weg versperren.« Er ruft: »Die Straße räumen!«

Der Gemeindevorsteher, tritt zu Ondracek Vater und Sohn: »Das hab ich ihnen schon geraten. So ein Protektor fährt mir nichts dir nichts in die Leute hinein. Es juckt sie nun einmal.«

Pavel: »Holen wir die Frauen! Machen wir bunte Volksmenge, festlichen Empfang! Eine Fahne!«

Jaroslav: »Was für eine Fahne?«

Der Gemeindevorsteher: »Jung ist dein Sohn, Ondracek. Seine Laune wünsch ich mir.«

Pavel, bei einer Gruppe von Bergarbeitern: »Ihr habt gewiß eure Musikinstrumente dabei, herzhaft aufspielen muß man dem Herrn Protektor. Heil werden wir rufen, oder wer es besser kann, ruft nazdar!«

Ein Bergarbeiter: »Ein Spaßvogel, der junge Doktor Pavel.«

Ein anderer: »Schön möchten wir aussehen, dem Deutschen ein Ständchen bringen.«

Der dritte: »Während alle nur an das Bier denken.«

Pavel: »Welches Bier?«

Der vierte Bergarbeiter: »Die Fässer im Keller unter der Tankstelle.«

Der fünfte: »Wir möchten wissen, ob er das vergrabene Pilsener findet.«

Pavel: »Wenn das seine Sorge ist.«

Vorüber gehen gute Bekannte.

Der Lehrer hält an: »Schlau sind unsere Leute. Ein jeder kehrt der Tankstelle seinen Rücken zu.«

Pavel: »Schlauer war es, ins Wirtshaus zu gehen und aus leeren Gläsern zu trinken. Ist wenigstens ein volles für den hohen Gast übrig?«

Der Barbier: »Der wird unser Bier nicht haben wollen. Alles nur Jux.«

Der Schneider: »Er wird denken, unser Dünnbier säuft er nicht, und anderes gibt’s keines, denkt er.«

Der Schmied: »Da irrt er gewaltig. Mit diesem neuen Herrn wird man fertig werden wie mit dem alten.«

Zunehmender Lärm von Motoren, bevor sie auf der Straße sichtbar werden.

Ein Bergarbeiter: »Mir ist immer, als hört ich was.«

Ein anderer: »Mir scheint sogar, im Wirtsgarten war es die nächste Zeit behaglicher.«

Mehrere: »Ein guter Einfall. Sag, hast du oft so gute Einfälle?«

Sie begeben sich unter die Laube neben dem Wirtshaus.

Ein Motorrad erscheint auf dem freiliegenden Teil der Straße.

Der Barbier: »Ich wäre der Meinung, das nächste nicht abzuwarten.«

Der Schneider: »Wird eh eine Kolonne sein.«

Pavel: »Eine Panzerdivision – der werden wir keinen heldenhaften Widerstand leisten.«

Er nimmt seinen Vater beim Arm. Mit dem Gemeindevorsteher und anderen guten Bekannten suchen auch sie eine Laube auf. Der Garten zu beiden Seiten des Wirtshauses ist bald besetzt.

Am Ende des Dorfes haben möglichst viele Männer die leere Tankstelle als Unterkunft benutzt.

Die Frauen schützen sich, wie es geht, mit dem überhängenden Geäst der Linde, auch hinter den Bänken und im Rasen verbergen sie sich. Die Kinder, obwohl zur Ruhe gerufen, bleiben unbefangen, gleich den Gänsen.

Lyda, späht durch das Laub der Linde, über die jetzt entvölkerte Straße ruft sie, aber zu schreien wagt sie nicht: »Schnell, kommt schnell! Ein Unglück wird geschehen.«

Die Strecke zwischen der Linde und dem Wirtshaus drüben ist etwas zu weit für den schwachen Ruf. Die Frauen wollen von Lyda wissen, was sie gemeint hat, aber da ist es schon geschehen.

Der Hund des Wirtshauses stürzt, die Stimme machtvoll erhoben, aus dem Gebäude und wirft sich dem ersten der Motorräder entgegen. Dieses bildet die Vorhut, für den Augenblick ist es allein und ohne Beistand gegen den feindlichen Überfall. Der gewaltige Fleischerhund ist nicht nur stark, er hat auch Erfahrung, er hütet sich, unter das Rad zu geraten. Er will den Fahrer umwerfen. Er springt ihn seitlich an, bringt ihn ins Schwanken und hätte ihn genötigt zu halten, aber der Soldat vermag es nicht mehr.

Ein schöner wohlgenährter SS-Mann, der er ist, beleidigt ihn um so mehr die Auseinandersetzung mit einem Hunde, ihm aufgezwungen im Bereich einer abwesenden, aber übelwollenden Bevölkerung. Nicht nur, daß zweifellos alle die Tschechen dieses »Kaffs« – so sagt er für Ortschaft – ihn heimlich belauschen. Der Protektor kommt, sogleich ist er hier, es handelt sich um Sekunden! Schon hat hinter dem ersten eine Reihe von Motorrädern die Fährt eingestellt, sie mögen ihren Kameraden nicht überholen, könnten es auch nur mit eigener Gefahr, der Hund ist zum Äußersten entschlossen.

Als es eigentlich zu spät und der angegriffene Fahrer schon im Kippen ist, faßt er nach seiner Revolvertasche. Der Hund, dies erkennen und den Mann beißen ist eins. Er beißt in die Gegend der Revolvertasche, etwas tiefer, wo es weich ist. Mann und Maschine fallen um, der eine schreit, die andere rattert, beide zusammen decken die Straße und machen sie fortan unpassierbar. Der Hund als Sieger ist nicht stolz, er zieht die Flucht vor. Die Wege hinab in das Tal, auch die Verstecke, die es bietet, sind nur ihm bekannt, nicht seinen rachsüchtigen Feinden. Diese laufen und schießen ganz vergebens, die Zwecklosigkeit leuchtet ihnen übrigens ein. Aber der Protektor hat befohlen.

Reinhard Heydrich, Protektor von Böhmen-Mähren, ist in Lidice eingetroffen.

Sein Wagen, der erste des Zuges, steht, da vor ihm seine motorisierte Mannschaft steht. Es findet statt zwischen Dorflinde und Wirtshaus, näher bei diesem, und die Wahrscheinlichkeit spricht dafür, daß von den Laubengästen einige, wenn nicht alle, um die Ecke schielen, nur merken soll man es nicht. Da sind die Frauen kühner. Nun das angekündigte Unheil ausgebrochen ist, zeigen sie sich offen, auch ihre offenen Stimmen benutzen sie wieder. Sie sagen ihre betrübte Meinung über den Unglücksfall der Deutschen, indessen sind diese in der Übermacht, gewiß zweihundert Deutsche und nur ein Hund, da kann es am Endsieg nicht fehlen.

Ob sie reden oder nicht, sie haben kaum zu befürchten, daß der Protektor oder sein Gefolge ihre Sprache verstehen. Eher wird ein Lachen verstanden, und eine hat gelacht.

Lyda spielt mit den kleinen blonden Kindern: Schau dich nicht um, der Wolf geht um!

Hier hat sie den Protektor noch gar nicht gesehen, er sitzt in seinem geschlossenen Wagen, vom Fenster vorsichtig zurückgezogen. Als das Lachen aufklingt, vergißt er die Grundsätze eines Chefs, der sich nicht aussetzen darf, er neigt sich aus dem Fenster, er erblickt den lachenden Mund eines Mädchens. Lyda schließt ihn sofort. Sie läuft davon, mit den Kindern an ihren Händen läuft sie um den Teich. Die Kinder schreien, nur weil sie laufen.

Lyda: »Seid still, der Wolf!«

Die Kinder verlangen, ihn zu sehen: »Wo ist der Wolf? Zeig ihn uns!« Ihre Neugier unterliegt Zweifeln, lieber würden sie sich verstecken, wie vorher der Hund.

Lyda ist sehr ernst geworden, der kurze Anblick, der sie überraschte, war furchtbar. Mehr könnte sie hierzu nicht sagen.

Reinhard Heydrich, Protektor von Böhmen-Mähren, sieht furchtbar aus, ob von Natur oder weil es seine Waffe ist, wer weiß über ihn Bescheid. Lyda nicht. Die anderen in Lidice, wenn er nachher seinen Wagen verläßt und sein Gesicht zeigt, werden auch nur staunen und erschrecken, wie es ihre Schuldigkeit ist.

Bis jetzt hat allein sein Adjutant, Oberst Schalk, den Wagen verlassen, er steht neben dem anderen Fenster, durch das Heydrich noch nicht ausgeblickt hat, und meldet ihm die Vorgänge, wie sie eintreten.

Oberst Schalk: »Wir haben einen Verwundeten. Der Mann ist dick und fett und schlägt um sich, wenn man ihn aufheben will.«

Heydrich, metallene Stimme, hier ohne Nachdruck: »Fesseln!«

Oberst Schalk: »Exzellenz befehlen?«

Heydrich: »Fesseln, sage ich. Aufladen. Losfahren.«

Oberst Schalk beeilt sich, den Befehl weiterzugeben. Er kehrt zurück und bedauert: »Der Mann blutet unsinnig, wer ihn anfaßt, beschmutzt sich, außerdem haut er.«

Heydrich, ohne Nachdruck: »Mit Fußtritten aus dem Weg räumen. Ich habe genug von dem Kaff. Die Bevölkerung macht sich wieder mal unsichtbar.«

Oberst Schalk: »Melde gehorsamst, die Bewohner sehen zu, was wir tun. Sie schielen um die Ecken.«

Heydrich: »Auch Lachen hörte ich schon. Als ich hinsah, war keine es gewesen.«

Oberst Schalk: »Das will ich glauben. Es ist natürlich Angst, daß die Straße leer steht.«

Heydrich: »Daß die Bevölkerung schielt, lacht und Hunde auf uns hetzt.«

Oberst Schalk: »Wenn Exzellenz mir eine unmaßgebliche Vermutung erlauben, der Hund ist selbständig vorgegangen.« Um sich zu entschuldigen: »Eure Exzellenz wünschten schnell von hier fortzukommen.«

Heydrich: »Nachgerade bekomme ich Lust, mir die Leute anzusehen.« Er macht Miene auszusteigen, scheinbar läßt die Tür sich nicht öffnen.

Oberst Schalk deutet einen Griff an, als wollte er die Tür von außen aufmachen. Er läßt es dabei: »Die Bevölkerung wird die Ehre haben, Eure Exzellenz zu begrüßen.«

Links und rechts des Wagens stellt er einen Mann und ein Maschinengewehr auf. Ein Kommissar der Geheimen Staatspolizei überwacht die Vorbereitungen und »schaltet sich ein«.

Der Geheime: »Möchte nicht verfehlen, Herr Oberst, mich einzuschalten. Die Eingeborenen fordern jeden Verdacht heraus, ich halte Leibesvisitation für unerläßlich.«

Oberst Schalk: »Das ganze Dorf bis aufs Hemd entkleiden? Sie halten den Protektor bis heute abend auf. Herr Blumentopf, das geht nicht.«

Der Geheime: »In fünf Minuten ist alles erledigt.«

Er pfeift. Sogleich ist er umgeben von mehreren Gestalten seiner Art. Mit Sturmstoßtruppen zu ihrer Verfügung besetzen sie blitzartig die drei strategischen Punkte, den Wirtsgarten, die Dorflinde, die Tankstelle. Jede vorgefundene Person wird beklopft und abgetastet. Frauen, die Einspruch erheben, werden mit Entkleiden bedroht, aber dabei bleibt es. Ihre Pflicht allein leitet die Beamten.

Von der Tankstelle treiben die wohlgenährten SS-Männer ein großes Rudel magerer Tschechen mühelos vor sich her. Anfangs stellt wohl einer sich an, als strauchelte er im Gedränge, ihn überzeugt ein Gewehrkolben von der Vergeblichkeit seiner List.

Die meisten Schwierigkeiten bietet der Wirtsgarten mit seinen verschiedenen Ausgängen nach der Küche und anderen hinteren Räumlichkeiten. Auch in die Felder flüchten mehrere, die Ankündigung, daß geschossen wird, veranlaßt sie umzukehren.

Verlassen unter einem der Tische schnarcht ein Mann. Der Geheime selbst, der einen letzten Blick auf den Garten wirft, entdeckt Pavel, er weckt ihn mit dem Fuß.

Der Geheime: »Deine Waffe her!«

Pavel, sucht schlaftrunken am Boden, bietet dem Geheimen einen Zigarettenstummel an: »Mehr hab ich gerade nicht, der Herr muß abends wiederkommen.«

Der Geheime: »Du sollst dich untersuchen lassen.«

Pavel: »Ich bin nicht krank.« Er schielt auf seine Nase, sein Gesicht ist gutmütig verblödet.

Der Geheime sieht nach Beistand um, aber seine Mannschaft führt draußen dem strengen Herrn die Herde der Eingeborenen vor, man darf nicht stören. Den Geheimen drängen die Zeit und der Vorgang, ein Mann, der bisher als harmlos nicht erwiesen ist, liegt eingeklemmt zwischen den Tischbeinen. Der Kommissar entschließt sich, er kriecht unter, er macht an dem Mann die vorgeschriebenen Griffe, nur daß der Mann kitzlig ist.

Pavel lacht, bis er stöhnt, er wirft die Arme um den neuen Freund, er verlangt zu wissen: »Wie heißen der gnädige Herr Deutsche, daß ich mir einen so lustigen Herrn merke?«

Der Geheime muß seinen Namen angeben, damit er mit seiner Person nur loskommt: »Blumentopf.«

Pavel: »Das duftet. Daran kann man in Gedanken riechen.«

Der Geheime, steht endlich auf eigenen Füßen: »An dir, mein Junge, hoffe ich nie wieder zu riechen. Wer bist du eigentlich?«

Pavel, erstaunt, blöder als je: »Das haben Sie nicht gewußt? Ich bin doch der Dorftrottel.«

Der Geheime, stampft auf, er fühlt sich hereingefallen, er eilt von dannen, den Gegenstand seines soeben erlittenen Mißerfolges wird er gleich vergessen haben, wie noch jeden seiner Fehler.

Draußen zeigt der Protektor sich nunmehr in ganzer Größe der Bevölkerung, von dem ersten Erschrecken hat sich noch keiner erholt. Sie sind gehörig umstellt und bewacht, ein Schritt vorwärts wäre niemandem anzuraten, aber das Gesicht Heydrichs genügt, sie einzuschüchtern, wie vorher ein Mädchen, das gelacht hatte. Sie finden sein Gesicht furchtbar, während Heydrich findet, daß sie es ein für alle Male betrachten müssen, für ihre weitere Führung.

Mit stelzendem Gang umschreitet er den vorderen Teil seines Wagens, er trägt Sorge, daß er auf jeder Seite des Schauplatzes zur Geltung kommt. Wenn er sich den Frauen bei der Linde vorführt, lacht wahrhaftig keine mehr. Die Leute, deren Zuflucht die Tankstelle gewesen war, fassen den Gedanken an Sicherheit überhaupt nicht mehr beim Anblick des Protektors.

Der schwersten Prüfung indessen sind die Insassen des Wirtshauses ausgesetzt, die Laubengäste sowohl wie auch die alte Wirtin mit ihrem Personal.

Oberst Schalk sucht befehlsgemäß festzustellen, wer auf den motorisierten Soldaten den Hund gehetzt hat. Er kann es nicht, vor allem, weil er seine Fragen nur scheinbar mit Energie stellt, die innere Überzeugung fehlt. Der Protektor unterstützt ihn allerdings, wenn er sein Gesicht herwendet. Dann aber verstummen alle ganz.

Dem Geheimen genügt die kürzeste Beobachtung, um zu wissen, daß es ohne ihn nicht geht. Er beschließt auch hier wieder »sich einzuschalten«. In militärischer Haltung vor Oberst Schalk: »Herr Oberst gestatten, daß ich mich einschalte.«

Oberst Schalk: »Bedienen Sie sich!« Die Erlaubnis kommt etwas zu schnell, der Adjutant tritt eine verlorene Sache ab.

Der Geheime, in die gestaute Menge beim Wirtshaus, mit der Absicht, stimmlich Eindruck zu machen, aber er krakeelt nur: »Wem gehört der Hund? Wenn der Betreffende sich nicht meldet, wird er gleich mitgenommen.«

Verblüfftes Schweigen, obwohl die Leute denken, in einiger Entfernung sogar flüstern: »Mitnehmen wird er ihn, eh daß er ihn hat. Ein Künstler!« Bei der Linde wagt eine Frauenstimme hell aufzulachen, worauf auch in Richtung der Tankstelle und beim Wirtshaus mehrfach Äußerungen von Heiterkeit stattfinden. Sie werden alsbald unterdrückt, beklommene Gesichter bereuen den Fehltritt, aber fortan ist kein Zweifel, daß der Gestapokommissar nicht völlig ernst genommen wird.

Der Geheime hat die Eingebung, selbst mitzulächeln. Er will überdies scherzen: »Der Eigentümer des Hundes hat keinen Soldaten gebissen. Nun denn?«

Die alte Wirtin, erhebt die gerungenen Hände: »Gnädiger Herr! Ich bin eine biedere Wittib.«

Der Geheime wiederholt seinen Scherz: »Haben Sie den Soldaten gebissen?«

Der Hausknecht, anstatt der Wirtin: »Der Hund kommt allweil fressen, was sonst sein Herr frißt.«

Der Geheime: »Da haben wir’s. Wer ist der Herr?«

Der Hausknecht: »Mich hat die Frau erst gestern eingestellt.«

Gemurmel in der Bevölkerung: »Wahr ist es. Der Bursche kennt den Herrn überhaupt nicht, und den Hund ganz flüchtig.«

In dem Maß, wie sie ihre eigenen Äußerungen vernehmen, werden die Leute kühner.

Stimmen, kaum noch gedämpft: »Der Hund hat den Hintern von der Gans gern. In den Soldatenhintern beißt er aus Not, die Gans war noch nicht knusprig.«

Dies verträgt offenbar keine Nachsicht mehr. Der Witz der Tschechen ist ermutigt worden, weil die deutsche Behörde scherzhaft sein wollte. Der geheime Kommissar sieht seine Autorität bedroht. Schlimm genug. Oberst Schalk schüttelt entrüstet den Kopf, immerhin darf eine innere Belustigung bei ihm vermutet werden. Unvergleichlich gefährlicher läßt der Protektor sich an.

Nicht nur, daß er aufgehört hat zu stelzen, vielmehr hinter der Schulter des Kommissars aufpaßt, was noch erfolgt. Ausschließlich diesem, bis jetzt unglücklichen Beamten gilt im gegebenen Zeitpunkt sein furchtbares Gesicht. Der Kommissar, sonst an die Maske Heydrichs gewöhnt und abgestumpft gegen ihr Höchstmaß, möchte ihr hier nicht begegnen, er hütet sich, den Hals zu zucken. Er keift die Wirtin an, warum gerade sie, könnte er selbst nicht sagen.

Der Geheime: »Sie werde ich mitnehmen zum Verhör, biedere Wittib! Heraus da!«

Die Wirtin, unter ihrer Haustür, schwankt. Sie trifft Anstalten, als wollte sie dem Befehl gehorchen, aber die Umstehenden lassen sie nicht. Unter dem Vorwand, sie zu stützen, verbieten sie ihr jeden Platzwechsel. Aus allen den gewundenen Leibern hervor reckt sie als klassische Zeugin ihrer Unschuld die kurzen Arme. Eine erstaunliche Geläufigkeit der Zunge ist ihr plötzlich zuteil geworden.

Die Wirtin: »Der Herr vom Hund ist ein so alter Gast, unser ältester, aus den Zeiten meines seligen Mannes. Aus Pietät, nichts wie fromme Sitte, bekommt der Hund die Portion, was sein Herr übrigläßt.« Das Gesicht nach oben, weint sie laut.

Eine hilfreiche Magd, die sie stützt: »Der läßt viel übrig.«

Ein hilfreicher Mann: »Der frißt fast nichts mehr.«

Der nächste: »Weil er gestorben ist.«

Noch einer: »Schon lang bevor die Deutschen uns befreit haben.«

Wieder einer, diesmal aus der ferneren Umgebung: »Ein geschickter Mensch war er, hat nicht abgewartet, bis daß er befreit wird.«

Einer von der Tankstelle: »Hatte, hör ich, im voraus seinen Hund auf den Mann dressiert.«

Ein anderer, weiter rückwärts: »Auf den Soldaten.«

Hinter der Linde kreischt eine Frau: »Für einen Herrn Protektor hat er ihn scharfgemacht!«

Eine zweite Frau, kreischt: »Wenn ein Herr Protektor uns jemals die Ehre erwiese!«

Eine große Stille tritt ein, die Rufer sind, vor sich selbst erschrocken, untergetaucht.

Jemand spricht in die Stille, eher leise, aber durchdrungen von einer weisen Milde: »Nicht glauben, Euer Gnaden! Sind blöde Tschechen.«

Woher kam dies? Jaroslav Ondracek befürchtet, daß es sein Sohn war.

Was immer Heydrich glaubt oder bezweifelt, er hat sich hinter seinen Wagen zurückgezogen. Hier decken ihn der zweite Wagen und eine motorisierte Mannschaft.

Oberst Schalk gibt vor, er habe seinen Chef zu dem Rückzug genötigt: »Exzellenz besitzen nicht das Recht, Ihre hohe Person dem Feind als Ziel zu bieten, noch dazu bei der Untüchtigkeit des Kommissars Blumentopf.«

Heydrich: »Nicht gerechnet Ihre eigene Untüchtigkeit, Oberst Schalk. Ich sehe die Sabotage von Seiten eines gewöhnlichen Dorfes, wie heißt es überhaupt, nicht mehr lange an.«

Gleichwohl folgen beide Herren gespannt dem Vorgehen des Kommissars. Er läßt seine Beamten überall in den Haufen greifen, nach den Urhebern der aufrührerischen Äußerungen. Jedesmal stoßen sie auf einen Betrunkenen, einen Heiseren oder ein halbes Kind. Die Nachbarn, ja, auch die wachthabenden SS-Männer bezeugen regelmäßig: der war es nicht.

Der Geheime, unter den Blicken des Protektors, entschlossen, den eigenen Ruf zu retten: »Dann sage ich glatt, er war es doch. Fesseln! Mitnehmen!«

Dies wiederholt sich oft, zuletzt haben die Soldaten wohl dreißig Leute an der Wirtshausmauer zusammengetrieben, diese sollen alle vereint fünf, sechs aufrührerische Bemerkungen gemacht haben. Die verdächtigen Frauen sind abgerechnet, ihre planwidrige Flucht ins Tal hat sie dem Zugriff entzogen.

Der Geheime: »Gemeindevorsteher!« Er verlangt auf gut Glück einen derartigen Funktionär, nach den bisherigen Erfahrungen wird keiner dasein.

Der Gemeindevorsteher: »Haben nur zu befehlen.« Der ältere Mann ist fügsam, er grüßt militärisch. Der Kommissar sieht in ihm den passenden Gegenstand seiner Strenge.

Der Geheime, so scharf er kann: »Sofort ein Lastauto!«

Der Gemeindevorsteher, betrachtet ihn sinnend, nicht ohne Ehrfurcht.

Der Geheime: »Verstanden? Gefangenentransport, Sie sind mir verantwortlich.«

Der Gemeindevorsteher: »Herr, es ist schon lange, daß wir kein Lastauto mehr haben, und hätten wir’s, wäre kein Benzin da, die Tankstelle hat zugemacht.« Bei der Tankstelle fallen ihm die dort versteckten Bierfässer ein. »Bier bekommen wir auch nicht, weil es nicht transportiert werden könnte, wenn es welches gäbe.«

Der Geheime: »Wenn Ihre Tante Räder hätte, war sie ’n Omnibus. Herr! Hab ich Sie gebeten, mir Schwanke aus Ihrem Leben zu erzählen? In zwei Minuten fährt das Lastauto an, oder –.«

Der Gemeindevorsteher greift an seine Mütze, er stellt jedes beliebige Oder anheim.

Der Geheime, faßt den Mann beim Knopf. Vertraulich: »Oder ich ließe Sie kurzweg niederschlagen. Einzig und allein die persönliche Anwesenheit Seiner Exzellenz des Herrn Protektors bewahrt Sie davor.«

Der Gemeindevorsteher, bekundet seinen Respekt vor der hohen Anwesenheit: »Da kann man leider nichts machen.«

Der Protektor selbst, der dort hinten unmöglich gehört hat, in demselben Augenblick befiehlt er: »Niederschlagen!«

Es ist sein erstes Wort, und ist eine erstaunliche Stimme, von so metallischer Härte, daß man erwartet, sie müßte zurückgeworfen werden, wo sie anprallt, sie müßte nachklappen, und tatsächlich klappt sie nach. »Niederschlagen!« Das Wort ertönt noch einmal, etwas hohl, aus unbestimmter Entfernung, aber es ist die Stimme, sie hat zweimal geschlagen.

Alles horcht auf, die Gefangenen, die Bewachten und ihre Wächter, sie wenden die Hälse, sie suchen, aber ungläubig, denn der zweite Anschlag kann überall gefallen sein, von einem Dach, sogar aus einer Wolke.

Der Geheime, schon gewöhnt, sich mit dem Gemeindevorsteher zu beraten, fragt ihn: »Sie haben jemanden im Verdacht, wer es ist?«

Der Gemeindevorsteher, vertraulich: »Einen Gemeindebullen haben wir immer noch, der ist imstand und dort unten auf seiner Wiese brüllt er, wenn es am wenigsten gestattet wäre.«

Der Geheime begegnet auf seiner Umschau nur einem einzigen Blick, und der schielt, was die Begegnung ungewiß macht. Schon wieder der Dorftrottel! Der Geheime gibt unwillig diesen Standort auf, infolge neuer, beunruhigender Umstände unterläßt er es, den Gemeindevorsteher niederzuschlagen.

Der Protektor selbst ist nur beschäftigt zu lauschen. Sein Oberst Schalk lauscht mit ihm.

Heydrich, bemerkt zum ersten Mal die kleinen blonden Kinder, wie sie, mit Augen voll Neugier, sich bei den Händen halten oder aufeinander hocken, die kleinsten im Nacken der etwas größeren. Ihm kommt ein Gedanke: Die Kinder als Geiseln wegführen! Er bewundert seine Geistesgegenwart. Geiseln wirken immer günstig auf das Verhalten der Bevölkerung, Kinder noch günstiger. Dabei wird sich zeigen, ob auch dieses Wort zweimal fällt, ob sogar bei diesem Wort seine Stimme nachklappt!

Heydrich, metallener Befehlston: »Die Kinder als Geiseln wegführen!«

Seine Stimme, seine eigene, wiederholt in der Art wie vorher: »Die Kinder als Geiseln wegführen!«

Heydrich und Oberst Schalk sehen sich an.

Heydrich: »Was war das?«

Oberst Schalk: »Ein Echo, melde Eurer Exzellenz gehorsamst.«

Heydrich: »Meine –« er betont: »Meine Stimme?«

Oberst Schalk: »Das Echo hält unbedingt auf Ähnlichkeit.«

Heydrich: »Nicht bei mir. Ich verbitte mir das.«

Der Geheime, ist zur Stelle: »Befehlen Exzellenz, daß ich die Leute, jeden einzeln, Stimmübungen machen lasse?«

Heydrich: »Danke. Damit Sie mich hier noch eine Stunde unnütz aufhalten. Herr Blumentopf, Sie können nur durch auffallenden Eifer meine Ungnade von sich abwenden.« Zugleich hat er noch einen Einfall: »Rufen Sie Heil Hitler! Wer nicht mitruft, wird niedergeschlagen.«

Der Geheime ruft in die versammelte Menge: »Heil Hitler!«

Die Antwort betäubt die Ohren, nach der Stärke des Geschreies kann kein einziger sich enthalten haben.

Heydrich, lauscht: »Meine Stimme war nicht dabei.«

Oberst Schalk: »Zu Befehl. Exzellenz hatten nicht gerufen.«

Heydrich: »Sie bestehen auf Ihrem Echo, das nur mich allein nachmacht. Mir mißfällt dieses Dorf, wie heißt es.«

Der Geheime greift endlich durch. Da ohnedies alle Heil Hitler gerufen haben, fragt er nicht erst, er läßt die SS-Männer zusammen mit der motorisierten Mannschaft jeden achten Eingeborenen niederschlagen. Die SS strecken ihre Erwählten gewissenhaft hin, die jungen Soldaten haben Gesichter zwischen Wut und Lachen, ihre Schläge sind selten nachhaltig.

Heydrich, betrachtet den Vorgang, er murmelt: »Mir ist ganz so, als wäre unser Besuch kein Erfolg gewesen. Jedenfalls habe ich genug von diesem –.« Laut, für Oberst Schalk: »Wie heißt das Dorf?«

Oberst Schalk: »Lidice.«

Heydrich, im Begriff seinen Wagen zu besteigen, erhebt drohend die Stimme: »Lidice sieht mich nicht so bald wieder.«

Seine Stimme noch einmal: »Lidice sieht mich bald wieder.«

Heydrich, fährt zurück, er war nicht mehr vorbereitet. Er wird ganz leise: »Ihr Echo, Oberst Schalk. Es kann Worte weglassen.«

Oberst Schalk, sorgenvoll: »Hier scheint wirklich eine Untersuchung geboten.« Er winkt den Geheimen herbei.

Heydrich: »Ich will nichts wissen. Meine Befehle, Geiseln betreffend, sind aufgehoben. Nur fort! Hier gibt es Geheimnisse, die mir kein Glück bringen.«

Oberst Schalk und der Geheime tauschen einen Blick, er bedeutet: dies läßt man gut sein. Unsere großen Herren sind abergläubisch.

Heydrich sitzt schon, Oberst Schalk steigt zu ihm ein und befiehlt abzufahren, sobald es geht. Im Weg sind die Soldaten, mit den Niedergeschlagenen, die sie beiseite tragen, aber die Niedergeschlagenen erschweren es ihnen nach Möglichkeit, alle wollen schwer getroffen sein, sie seufzen erbärmlich. Die längsten Seufzer enden mit einem innigen Heil Hitler!

Der Protektor ist abgefahren, die Tankstelle, zugleich das Dorf, liegen hinter ihm, als der Geheime, sein Wagen, seine motorisierte Truppe nur erst aufbrechen. Der Geheime hat Eile nachzukommen, von der Bevölkerung und ihrem Treiben nimmt er keine Kenntnis mehr.

Der Wagen des Geheimen und seiner Mitarbeiter erreicht nun auch die Tankstelle. Um die Ecke, wo vom Wirtshaus nichts mehr sichtbar ist, schwingt ein Mann den Arm – kein vertrauenerweckender Mann, aber er grüßt mit Heil Hitler und will eine wichtige Meldung machen.

Der Geheime, bei verlangsamter Fahrt: »Was gibt es? Schnell!«

Der Mann, läuft nebenher, schwingt immer den Arm, seine Blicke lechzen: »Gnädiger Herr! Ich bin ein Spion, ich weiß, wo sie ihr Bier versteckt haben.«

Der Geheime, durchaus nicht bei Laune: »Dann geh und sauf es!« Auf seinen Wink bekommt der Mann einen Schlag auf den Kopf, er taumelt und bleibt endgültig zurück.

Der Mann, wirft dem Wagen eine Faust nach: »Ihr Gesindel, das soll euch gereuen. Der Eger Franticek bin ich, daß ihr’s wißt! So ein braver Spion gegen die Tschechen, der alte Herr Protektor kennt mich – telefonisch. Der neue verleugnet meine wichtige Person, aber gerade ihn krieg ich! Wird lang brauchen, wird in der Zeit ein Stündchen sein, bis daß ich den Faden anziehe, daran hängt ein Protektor, er fährt im Schwung zum Eger Franticek!«

Der Besessene tanzt für sich allein, hierauf telefoniert er in der Tankstelle – nach Prag, nach der Burg. Einem Hörer, den er für den Protektor Neurath selbst hält, berichtet der Spion, wieviel sein Nachfolger Heydrich hierorts fertiggebracht habe: einige niedergeschlagen, Kinder als Geiseln genommen, Empörung herausgefordert, Hohn erregt – und gefangen nicht einmal den Hund!

Die Bevölkerung zwischen Wirtshaus und Linde hat sich inzwischen nur unbedeutend verschoben. Auch die Niedergeschlagenen behalten vorsichtig ihren Platz am Boden, solange noch Gefahr ist. Der furchtbare Protektor und sein blutiger Polizist könnten allenfalls umkehren.

Ein schwer Getroffener sagt dem Arzt, der ihn behandelt: »Glück hab ich gehabt! Nehmen wir, nur spaßeshalber, an, sie hätten das Bier gefunden, schön möchten wir ausschauen.«

Der Barbier, der zusieht: »Wo sie auf Bier so scharf sind.«

Der Schneider: »Auf Geiseln noch mehr, haben aber keine bekommen.«

Ein Bergarbeiter: »Den Hund auch nicht.«

Ein anderer: »Den Herrn vom Hund schon gar nicht. Aber wir haben ihn pflichtgemäß angezeigt.«

Doktor Holar, hat an mehreren Niedergeschlagenen seine Arbeit beendet, er steht auf: »So sorgt man sich um das Bier, nachher ist es vielmehr ein Hund, und der ist es auch nicht.«

Der dritte Bergarbeiter: »Sondern das Echo.«

Der vierte: »Das Echo war noch niemals da, gerad heute muß es sich hören lassen.«

Der fünfte: »Einmal kommt sogar das schlagende Wetter.«

Doktor Holar: »Jeden Morgen fahrt ihr ein und denkt an das schlagende Wetter. Zum Schluß werd ich gerufen, weil einer den Fuß verstaucht hat.«

Er geht weiter.

Der schwer Getroffene: »Mit den Deutschen ist es nicht viel.«

Einer, der seufzt: »Weil sie fürs erste nur dich getroffen haben.«

Doktor Holar, sucht vergebens Pavel Ondracek, endlich wendet er sich an den Gemeindevorsteher: »Noch sind einige zu verbinden. Der junge Mann könnte mir helfen, hat mehr als das gelernt.«

Der Gemeindevorsteher, sagt dem Doktor etwas ins Ohr.

Doktor Holar, erstaunt: »Das lernt er nicht auf der Universität. Sind Sie sicher, daß er es war?«

Der Gemeindevorsteher: »Das Echo war kein anderer als er. Sehen Sie nur hin!«

Tatsache ist, daß Pavel von den Seinen gedeckt und den Blicken entzogen wird. Sein Vater Jaroslav und Lyda, seine Braut, reden leis und dringend auf ihn ein.

Jaroslav: »Wie konntest du plötzlich eine fremde Stimme machen? Noch dazu diese!«

Pavel: »Hab ich sie wirklich getroffen?«

Lyda: »Ja. Aber es blieb doch deine. Von der Linde her hab ich sie erkannt.«

Pavel: »Nur du, oder noch andere? Wenn Lyda allein mich heraushört, bin ich gut, sonst muß ich besser werden.«

Jaroslav: »Sei überzeugt, daß viele es wissen. Sie halten gegen die Deutschen zusammen und schweigen.«

Lyda: »Pavel, ich bitt und beschwöre dich, fang dir mit den Deutschen nichts an!«

Jaroslav, fährt im Satz fort: »Wären sie nicht so gute Tschechen, sie könnten noch mehr erzählen als vom Echo.«

Lyda: »Was denn?«

Pavel, versucht sich zu besinnen: »Ja, was?«

Jaroslav: »Gehört hat man, und vielleicht –.«

Lyda: »Gesehen? Ich sah nichts.«

Jaroslav: »Weil ich früh genug vor ihn hintrat und mein Rücken breit ist. Keine Furcht, die Feinde sind diesmal darum betrogen.«

Lyda: »Aber was war es? Sprich, Vater!«

Pavel: »Laß, ich machte ein wenig den Blöden, Dummheit entwaffnet.«

Jaroslav: »Was du Furchtbares tatest, sag ich – nicht hier. Bei der Tankstelle ist niemand.«

Sie gehen in Richtung der Tankstelle.

Lyda: »Pavel! Was tatest du?«

Pavel: »Darauf bin ich neugierig.«

2

Die Ansammlung der Einwohner von Lidice löst sich auf. Die Niedergeschlagenen werden fortgetragen. Kleine Gruppen sprechen erst in einiger Entfernung.

Ein Bergarbeiter: »Ein sehr gnädiger Herr Protektor ist das.«

Ein anderer: »Wird’s auch lange machen bei uns.«

Ein dritter: »Ein Unglück, bei uns hält keiner vor.«

Ein vierter: »Der alte tut es nicht mehr.«

Ein fünfter: »Wenn es wahr ist, daß er gehen muß.«

Der dritte: »Wozu sonst der neue?«

Der vierte: »Du hättest lieber zwei Protektoren.«

Der fünfte: »Mir werden sie nie zuviel.«

Der erste: »Einen so gnädigen Herrn Protektor wie diesen haben wir noch keinen gehabt.«

Der zweite: »Den lassen wir nicht so einfach fort wie den bisherigen.«

Der dritte: »Du denkst dir wohl, du wirst ihn fangen und einsperren.«

Der vierte: »Du möchtest am Ende ein Held werden.«

Der fünfte: »Wie sehen aber die Helden aus, möcht ich wissen.«

Der erste: »Das weiß niemand heutzutage.« Er lacht: »Vielleicht wie der Pavel, der das Echo macht.«

Der zweite: »Er macht noch mehr, ich hab’s gesehen.«

Der dritte: »Rede nicht, was man nicht hören soll!«

Die Bergarbeiter wenden sich von der Straße nach der Arbeitersiedlung, ihren gleichförmigen Häuschen.

Es ist eine Stunde vor dem Mittagessen, alle Schornsteine im Dorfe rauchen, das Wirtshaus und sein Garten sind weit geöffnet. Auf der Straße bewegt sich außer den Gänsen nichts mehr.

Im Schatten der verlassenen Tankstelle steht noch immer der Bauer Jaroslav Ondracek bei seinem Sohn Pavel. Der Vater hält Pavel an der einen Hand, seine Braut Lyda hält ihn an der anderen.

Lyda, innig: »Pavel, bitt dich, so wahr wir uns lieb haben, mit den Deutschen darfst du dir nichts anfangen.«

Pavel: »Das will ich doch gar nicht. Weil ich ihnen in aller Unschuld einen Blöden mache?«

Jaroslav: »Die Unschuld haben sie dir geglaubt. Darauf konntest du das Echo wohl lassen, mein gewitztes Söhnchen, mein ausstudierter Pavel.«

Pavel: »Ausstudiert, nicht aber absolviert. Nachdem die Deutschen unsere Universitäten zusperren, was tu ich mit der verlorenen Zeit.«

Lyda: »Deswegen mußt du kein Echo machen. Als die Studenten demonstrierten, bliebst du sehr gescheit davon weg und kamst zu uns.«

Pavel: »Vielleicht bereu ich.«

Jaroslav: »Was? Daß du nicht auch, wie einige, tot auf dem Gehsteig liegst?«

Pavel: »Auf dem Gehsteig in Prag liegen sie, hör ich, noch heute.«

Lyda, umarmt ihn: »Mach kein Echo mehr!«

Jaroslav: »Und nicht das andere?«

Pavel: »Welches andere?«

Jaroslav, flüstert: »Die Fratze.«

Pavel: »Eine Fratze hätt ich geschnitten?«

Lyda: »Nein, davon sah ich nichts.«

Jaroslav: »Aber ich – und war gewiß nicht der einzige.« Er betritt die Tankstelle und sieht sich darin um.

Lyda: »Pavel! Sprich, welche Fratze?«

Pavel: »Ich weiß von keiner.«

Lyda: »Oh! Pavel, du traust mir nicht.«

Pavel: »Lyda, mein Bräutchen! Wenn ich dir nicht trauen könnte, wem dann. Mir selbst – nicht mehr ganz, wie es scheint.«

Jaroslav, kehrt zurück: »Niemand da.«

Paval: »Suchst du noch, Vater? Den Mann und das Öl, alles haben die Deutschen.«

Jaroslav: »Sie haben auch Horchposten. In der Tankstelle ist ein Telefon.«

Pavel: »Zu spät. Der Franticek wird es schon benutzt haben.«

Lyda, will Zuversicht dartun: »Uns kann er nichts Böses nachsagen.«

Pavel: »Der lügt auch in den Apparat. Wozu war er der Franticek Eger, ein Deutschböhme.«

Lyda: »Die meisten Deutschböhmen sind treu und brav.«

Jaroslav: »Dieser vielleicht auch, ich werde nur nicht klug aus ihm.«

Lyda: »Ihr behaltet ihn im Dienst.«

Jaroslav: »Pavel will nicht, daß ich ihn fortschicke.«

Pavel: »Spione müssen in Reichweite sein.«

Lyda: »Bei uns auf dem Hof gibt es nichts auszuspionieren.«

Pavel, ihr ins Ohr: »Außer dem Waffenlager – fast nichts.«

Jaroslav: »Gehen wir endlich!«

Lyda: »Das Essen ist auf dem Feuer.« Sie entfernt sich mit Jaroslav. Pavel bleibt hinter ihnen.

Jaroslav: »Nehmen wir die Abkürzung über das Bergwerk!«

Lyda: »Damit das Essen nicht schlecht wird.«

Jaroslav: »Und der Eger uns keinen Streich spielt. Finden wir ihn noch nicht zu Hause, dann werf ich ihn diesmal wirklich auf die Straße.«

3

Sobald alle drei außer Sicht sind, verläßt Franticek Eger sein Versteck in der Tankstelle. Er rollt die Augen, seine Bewegungen sind unbeherrscht, er redet mit sich selbst.

Franticek Eger: »Viel muß man sich sagen lassen, die Deutschböhmen sollen treu und brav sein. War ich sonst nichts! Was tut denn ihr Tschechen, habt ihr schon einen Protektor geschlachtet? Ich aber! Ich meld ihm alles, der Herr Protektor persönlich kommt ans Telefon, eine seltene Auszeichnung.«

Er macht einen Freudentanz. Zwischen Luftsprüngen, im Takt singt er: »Hab ich den guten Herrn erst mal hierher gelockt nach Lidice, wird er wie ein Hühnchen abgekragelt. Wie ein Hühnchen!«

Er stampft und schlägt sich auf die Lederhosen.

Hinter ihm auf der Straße erscheint ein Fahrrad mit einem Gendarmen.

Der Gendarm steigt ab: »Sie da! Was treiben Sie für Dinge?«

Franticek Eger: »Mit behördlicher Genehmigung freue ich mich auf den Sonntagsbraten. Nehmen Sie mich mit, Herr Wachtmeister, sonst krieg ich nichts mehr.«

Der Gendarm, zögert.

Franticek Eger: »Sie sehen mir wie ein Eingeweihter aus. Kennen sicher den Eger Franticek.«

Der Gendarm: »Sie haben mit uns schon zu tun gehabt?«

Franticek Eger: »Mit Ihrem Herrn Protektor. Ich bin sein Vertrauter.«

Der Gendarm: »Sie wollen ein Spitzel sein?« Er führt den Zeigefinger an die Schläfe: »Na sitzen Sie auf! Ein Verrückter mehr oder weniger. Aber vorn! Hinten könnten Sie Dummheiten machen.«

Das Rad mit den beiden Männern folgt der Landstraße.

4

Von der Landstraße abgewichen, gelangen Jaroslav und Lyda, Pavel ein Stück hinter ihnen, auf den Weg zum Bergwerk, das sonntäglich still liegt.

Jaroslav: »Wir gehen hinüber und durch den Wald. Daß Pavel uns nicht verliert! Armer Junge, ich mag ihn nicht stören, wenn er sich wieder versenkt hat in das Sinnen über sein unterbrochenes Studium. Die ganze Medizin studiert, bis dicht vor dem Doktor!«

Lyda: »Seiner toten Freunde gedenkt er. Aber ich hör ihn nicht mehr.« Sie wendet sich nach Pavel um.

Pavel, ist stehengeblieben, das Gesicht vorgestreckt, unbekannt gegen wen, aber es ist durchaus verwandelt ins Furchtbare und Böse.

Lyda, schreit auf: »Pavel!«

Pavel, metallene Stimme: »Die Kinder werden als Geiseln mitgenommen.«

Er beginnt zu schreiten, er setzt die Füße wie Stelzen.

Jaroslav: »Sagen wir ihm nichts! Er wird sich besinnen.«

Lyda, läuft Pavel entgegen, mit ihrer Hand bedeckt sie seine Augen: »Tu das nicht! Pavel, tu’s nicht, es ist furchtbar.«

Jaroslav: »Das war sie, die Fratze.«

Pavel, spricht natürlich: »War sie schon besser?«

Jaroslav: »Kann nicht noch besser werden. Jetzt laß es genug sein!«

Pavel: »Was du von mir verlangst, Vater! Das sind Anfälle – nicht gerade epileptoider Art, von dem Typ bin ich nicht, fehlen auch die meisten Symptome. Aber das erste Mal, als du mich dabei ertapptest, hab ich wirklich nichts gewußt.«

Lyda: »Jetzt hast du die Fratze mit Fleiß gemacht!«

Pavel: »Nicht eigentlich. Der Anfang ist unbewußt, muß es auch sein. Folgt eine Strecke der Beobachtung und Kritik. Man vergleicht und vertieft.«

Jaroslav: »Da hast du eine neue Wissenschaft.«

Pavel: »Oh! neu ist gar nichts. Im späteren Zustand scheint man sich selbst zu vergessen. Soweit bin ich noch nicht.«

Lyda: »Vergessen könntest du, daß du Pavel bist? Mein Pavel!«

Pavel, umarmt sie: »Der bleib ich! Dein Pavel unter jedem Gesicht.«

Lyda: »Mach nie wieder das andere! Versprich es mir!«

Jaroslav abgewendet: »Versprechen, versprechen.«

Lyda, hat den Zweifel des Vaters gehört: »Pavel, was willst du mit der Fratze?«

Pavel, ehrlich: »Nichts.«

Lyda: »Aus bloßer Narrheit machst du keine mehr.«

Pavel: »Gewiß werd ich kein Narr sein.«

Das Paar geht Arm in Arm voran.

Jaroslav folgt allein: »Mein gelehrter Junge, was daraus werden soll, hat er noch nicht gelernt.«

Sie betreten den Wald, dahinter liegt der Hof der Ondracek.

5

Der Wagenzug des neuen Protektors, umgeben von der motorisierten Begleitmannschaft, fährt durch Prag.

Heydrich sitzt nicht mehr im ersten Wagen, ein Mann mit möglichst vielen Orden, Litzen und dem Hoheitsabzeichen nimmt statt seiner den Platz ein, wo man den Protektor erwarten könnte. Aber weder auf den Straßen noch an den Fenstern wartet jemand. Heydrich bemerkt die Leere nicht, da er sich tief in seine Ecke drückt.

Heydrich: »Ein hoher Chef hat nicht das Recht, sich zu exponieren.«

Oberst Schalk sieht den Zustand der Stadt und sucht seinen Chef in angenehmer Art darauf vorzubereiten.

Oberst Schalk: »Ob der zurückgetretene Protektor eine Absicht damit verfolgte?«

Heydrich: »Womit? Erstens ist Neurath nicht zurückgetreten. Der Führer befiehlt, daß ich ihn ersetze.«

Oberst Schalk: »Daß Sie ihn in den Schatten stellen. Der Führer hat immer recht.«

Heydrich: »Sowieso.«

Oberst Schalk: »Als der schwächliche Herr von Neurath zuletzt doch einen kleinen Aderlaß vornahm – belanglos, aber von ihm war man es nicht gewohnt –, vielleicht wollte er Eure Exzellenz um Ihren ersten Erfolg bringen.«

Heydrich: »Sie meinen?«

Oberst Schalk: »Erreicht hat er, daß die Bevölkerung sich heute nicht auf die Straße wagt.«

Heydrich, beugt den Kopf vor: »Niemand da. Ich wußte es. Die Frage bleibt offen, ob auch die Dächer nach Schützen abgesucht sind.« Er zieht sich so tief wie möglich zurück.

Oberst Schalk: »Ihrer Gestapo ist es zuzutrauen.«

Heydrich: »Vertraue keinem blind! Mit den erschossenen Demonstranten, darüber kann ich Sie aufklären, hat der arme Neurath nichts zu tun. Die Geheime Staatspolizei und ihr zweithöchster Chef –.«

Ein Schuß fällt.

Oberst Schalk: »Ein geplatzter Reifen, melde gehorsamst.«

Heydrich, aus seiner Deckung, aber metallene Stimme: »Anhalten! Untersuchen! Im Kugelregen die Flucht ergreifen, das erlebt dies Nest nicht von dem zweithöchsten Chef der Gestapo.«

Oberst Schalk: »Protektor von Böhmen-Mähren, zu Befehl, Exzellenz.«

Wo der Wagen hält, liegen auf dem Gehsteig sieben Leichen. SS-Männer stehen bei ihnen Wache.

Heydrich hat nur einen Blick hingeworfen. Alles Weitere spricht er aus dem entgegengesetzten Fenster, für die Posten, die auch dort stehen. Einen SS-Mann fragt er: »Was tut ihr hier?«

Der SS-Mann: »Passanten vertreiben, melde gehorsamst.«

Heydrich: »Vertreiben auch noch? Herschaffen sollt ihr sie. Wer hat den blödsinnigen Befehl erlassen?«

Ein Offizier, eilt von der anderen Seite herbei: »Direkter Befehl des Herrn Protektors.«

Heydrich: »Der bin ich, und Sie melden an der zuständigen Stelle, daß ich Sie wegen Unfähigkeit fortgeschickt habe.«

Der Offizier: »Zu Befehl.« Er marschiert schon.

Heydrich: »Die Toten haben wenigstens den Anstand, mich zu begrüßen. Sie sind die einzigen.«

Oberst Schalk: »Sehr gut, Exzellenz.«

Heydrich: »Es kommt noch besser.« An die Wachmannschaft gewendet: »Ihr glaubt, ihr seid auf Urlaub. Waldeinsamkeit. Deutsche Romantik. Ich will euch helfen. In fünf Minuten ist die Straße voll von Tschechen, sie steigen in den Blutlachen umher, besonders die Damen, und singen Deutschland über alles. Sonst holt euch alle der Henker.«

Er gibt das Zeichen weiterzufahren.

Oberst Schalk: »Die erschossenen Studenten liegen mindestens seit gestern dort, es war in der Tat kein verlockender Anblick. Alte Leute sind mir in diesen Fällen lieber.«

Heydrich: »In der Tat – soll heißen, ich hätte weggesehen? Merken Sie sich, daß ich mehr vertrage als Sie.«

Oberst Schalk: »Zweifel liegen mir fern, und die Jungen sind Eurer Exzellenz lieber, was ich nur bewundern kann.«

Ankunft im großen Hof der Burg. Allein der Wagen des Protektors fährt bis vor das Hauptportal des Gebäudes. Im Schatten eines Seitenflügels nehmen Soldaten einen Imbiß.

Heydrich, begleitet von Oberst Schalk und Herren des Gefolges, stelzt dorthin: »Die Burgwache – wie ich sie mir gedacht hatte, bei Bier und Würstchen!«

Die Soldaten stehen stramm, bis auf mehrere, die sitzen bleiben.

Heydrich: »Das übertrifft allerdings meine Erwartungen.«

Ein Offizier, stürzt aus der Wachstube, er reißt die Sitzengebliebenen von der Bank.

Einer der Soldaten fällt auf die Bank zurück, ein anderer will fortlaufen.

Heydrich: »Betrunken. Ich wundere mich über nichts mehr.«

Der Offizier: »Beide nur Slowaken, melde gehorsamst, Exzellenz.«

Heydrich: »Sie aber sind deutsche Herrenrasse – gewesen. Kassiert, degradiert, drei Tage Fasten, dann an die russische Front.«

Der Offizier: »Zu Befehl. Heil Hitler!«

Heydrich: »Wie viele Gefangene haben Sie heute gemacht?«

Der Offizier schüttelt wütend die beiden betrunkenen Slowaken: »Gefangene sollt ihr machen!« Mit der linken und der rechten Hand schleudert er je einen Slowaken in Richtung des Ausganges. Sie torkeln, der Offizier befördert sie mit Fußtritten weiter. Er selbst springt bald vor, bald hinter ihnen, er feuert sie an: »Wen wir kriegen, fangen wir dem neuen Herrn Protektor. Heil Hitler!«

Oberst Schalk: »Melde Eurer Exzellenz gehorsamst, der Leutnant ist der Bezechteste von allen.«

Heydrich: »Dafür wird er als erster nüchtern werden.«

Hinter dem Ausgang des großen Hofes hat Publikum sich angesammelt, fast nur Frauen und Kinder. Der Offizier und die beiden Soldaten greifen in den Haufen. Widerstand und Flucht, ein Schuß geht los.

Heydrich, nach Oberst Schalk umgewendet: »Wieder ein Autoreifen. Nehmen Sie selbst den Leutnant gefangen! Sein Revolver war es, und er hat nach mir gezielt.«

Oberst Schalk, gibt es auf, eine andere Meinung zu äußern. Er geht.

Heydrich, ruft ihm nach: »In Eisen legen, den Leutnant!«

Worauf er das Haus betritt.