Liebe braucht Liebe - Oskar Holzberg - E-Book
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Liebe braucht Liebe E-Book

Oskar Holzberg

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  • Herausgeber: Kailash
  • Kategorie: Ratgeber
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2023
Beschreibung

»Wir können es in der Liebe nicht richtig machen. Aber wir können lernen, es weniger falsch zu machen.« Oskar Holzberg

Die große Liebe, die uns dauerhaft auf Wolke sieben schweben lässt, und der auch unsere Reibungspunkte nichts anhaben können – oft halten wir an dieser Vorstellung fest, obwohl wir früher oder später feststellen, dass sie dem Alltag nicht standhält. Der Diplom-Psychologe und Paartherapeut Oskar Holzberg schlägt vor, dass wir uns endlich von den unerfüllbaren Illusionen unserer romantischen Liebesideale befreien. Und uns stattdessen auf den Weg der »kleinen Liebe« begeben, auf dem Beziehungen nachhaltiger und dauerhaft befriedigender werden können.
Dafür entwirft er eine Landkarte der Liebe, die fünf Bereiche abdeckt:
• Bindung,
• Kommunikation,
• Emotionen und Sexualität,
• die Beziehung zu uns selbst sowie
• Verletzlichkeit.
In diesen Bereichen können wir unsere Liebesbeziehungen ausbalancieren und so die Liebe wachsen und dauerhaft werden lassen. Dabei ist es zentral, dass wir uns verletzlich voreinander zeigen. Nur wenn wir das Risiko eingehen, uns für einander zu öffnen, auszusprechen und zu teilen, was wir denken, fühlen und erleben, hat unsere Liebe eine Chance.
Mit Experimenten und Inspirationen zum Download.

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Seitenzahl: 413

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Zum Buch

Die große Liebe, die uns dauerhaft auf Wolke sieben schweben lässt, und der auch unsere Reibungspunkte nichts anhaben können – oft halten wir an dieser Vorstellung fest, obwohl wir früher oder später feststellen, dass sie dem Alltag nicht standhält. Der Diplom-Psychologe und Paartherapeut Oskar Holzberg schlägt vor, dass wir uns endlich von den unerfüllbaren Illusionen unserer romantischen Liebesideale befreien. Und uns stattdessen auf den Weg der »kleinen Liebe« begeben, auf dem Beziehungen nachhaltiger und dauerhaft befriedigender werden können.

Dafür entwirft er eine Landkarte der Liebe, die fünf Bereiche abdeckt: Bindung, Kommunikation, Emotionen und Sexualität, die Beziehung zu uns selbst sowie Verletzlichkeit.

In diesen Bereichen können wir unsere Liebesbeziehungen ausbalancieren und so die Liebe wachsen und dauerhaft werden lassen. Dabei ist es zentral, dass wir uns verletzlich voreinander zeigen. Nur wenn wir das Risiko eingehen, uns für einander zu öffnen, auszusprechen und zu teilen, was wir denken, fühlen und erleben, hat unsere Liebe eine Chance.

Mit Experimenten und Inspirationen zum Download.

Zum Autor

Oskar Holzberg, geboren 1953, zählt zu den bekanntesten Paar- und Sexualtherapeuten Deutschlands. Der Diplom-Psychologe arbeitet als approbierter Psychotherapeut sowie als Supervisor und Dozent. Seit vielen Jahren schreibt er eine feste Kolumne in der »Brigitte«, in der er sich mit den vielen Facetten der Liebe beschäftigt. Als Autor veröffentlichte er zahlreiche Bücher, zuletzt »Neue Schlüsselsätze der Liebe«. Oskar Holzberg ist seit fast 40 Jahren verheiratet und berät seit über 30 Jahren Paare. Er hat drei erwachsene Kinder und lebt und arbeitet in Hamburg.

OSKAR HOLZBERG

Liebe

braucht

Liebe

Beziehungen auf Dauer lebendig halten

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© 2023 Kailash Verlag, München

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81673 München

Lektorat: Antje Korsmeier

Umschlaggestaltung: ki 36 Editorial Design, München, Daniela Hofner

Autorenfoto: © Christian Kerber

Satz und E-Book Produktion: Satzwerk Huber, Germering

ISBN 978-3-641-30225-2V002

www.kailash-verlag.de

Für Pepe und all die anderen Kleinen, die die Liebe und das Leben weitertragen

Inhalt

Einführung

Die kleine Liebe und die große Liebe

TEIL I

Bindung

Commitment

Partnerschaft

Wohlwollen

TEILII

Kommunikation

Konfliktfähigkeit

Zuwendung

Nähe

TEILIII

Gefühle

Erotik

Sexualität

Intimität

TEILIV

Selbst

Achtsamkeit

Macht und Dominanz

Autonomie

TEILV

Verletzlichkeit

Experimente – Übungen, Aufgaben, Möglichkeiten zum Download

Danksagung

Literaturverzeichnis

Anmerkungen

Register

Es ist die große Überraschung, die die Natur für uns in petto hat, die Liebe mit ihrer beschleunigten Pulsfrequenz und ihrer bodenlosen Überschätzung des Liebesobjekts. Aber das war es dann auch, ein zweites Bonbon hat uns das Leben nicht zu bieten, es sein denn, man zählt Bridge mit und den Tod.John Updike

Wenn dich nicht irgendetwas lieben würde, gäbe es dich nicht.

Cormac McCarthy

Die große und die kleine Liebe treffen sich in einer Bar, um sich kennenzulernen. Sagt die große Liebe: »Ich dachte, du seist ein Scherz!« Antwortet die kleine Liebe: »Du warst schon immer einer, aber keiner hat es gemerkt!«

Einführung

Für uns bleibt nur das Ausprobieren. Der Rest ist nicht unsere Sache.

T. S. Eliot

Niemand muss sich eine langjährige, feste Liebesbeziehung antun. Aber die meisten von uns tun genau das. Sie suchen jemanden, den sie lieben können, mit dem sie ihr Leben teilen. Zusammenziehen. Gemeinsam wirtschaften. Vielleicht Kinder bekommen. So, wie es aussieht, scheint es nicht die beste Idee zu sein. Aber sie ist die beste, die wir haben. Das ist gleichzeitig beruhigend und beunruhigend. Und so sind ja Liebesbeziehungen auch. Beruhigend, weil sie uns einen Platz im Leben geben und einen Menschen, der für uns da ist, sowie die Chance, Liebe zu leben. Beunruhigend, weil jedem klar ist, dass sich längst nicht alle unsere Sehnsüchte und Vorstellungen erfüllen werden. Und dass das Band zu unserem Lieblingsmenschen in unserer beschleunigten Moderne schneller zerreißen kann, als wir Liebe buchstabieren können.

Menschen haben grundsätzlich zwei Haltungen zu Liebesbeziehungen. Die eine Gruppe hält sie für Schicksal und ist auf der Suche nach dem richtigen, passenden Partner. Dem sie beglückenden, perfekt zu ihnen passenden Puzzleteil. Sie glauben an die große Liebe. Die andere Gruppe denkt, dass sich Liebe entwickeln und wachsen kann, und sucht eine Liebesbeziehung in der Hoffnung, sie zu ihrer Zufriedenheit formen zu können. Sie glauben an die kleine Liebe. Heillos romantische Träumerinnen gehören eindeutig zu der ersten Gruppe, hyperrationale Kopffüßler eindeutig zur zweiten. Doch abgesehen von diesen wenigen psychischen Extremsportlern gehören wir alle ganz eindeutig beiden Gruppen an – und können dieses doppelte, widersprüchliche Erleben als Fluch oder als Segen ansehen. Liebe ist dann entweder ein Projekt, von dem wir besser die Finger lassen, weil es in seiner Widersprüchlichkeit nur krachend scheitern kann. Oder wir feiern die Lebendigkeit des nicht berechenbaren Lebens und stürzen uns kopfüber ins Liebeschaos. Ich schlage vor, die kleine Liebe zu leben. Weil dann die große Liebe eine Chance hat.

Das teuerste Projekt der Deutschen Forschungsgemeinschaft ist die Pairfam-Studie, an der über 3.400 Paare teilnehmen. Ein Ergebnis davon ist, dass weitaus am meisten Menschen weiterhin eine Beziehung leben oder danach suchen und dass es keine neue »Generation Beziehungsunfähig« gibt. Aber ich finde ein anderes Ergebnis noch bemerkenswerter, obwohl es völlig unspektakulär klingt: Jede Beziehung ist anders und hat ihre eigene Dynamik. Hätten wir uns das nicht ohnehin gedacht? Aber jetzt haben wir es wissenschaftlich. Jedes Paar muss sich seinen ganz eigenen Weg durch das Unterholz der Liebe schlagen. Der Mythenforscher Joseph Campbell hat es für Individuen formuliert, doch es gilt auch für Paare: »Wenn der Weg vor dir klar und eindeutig ist, dann bist du wahrscheinlich auf dem Weg eines anderen.« Oder einfacher gesagt: auf dem Holzweg. Das ist ja gerade die Kunst: dass nicht jeder von uns beiden irgendeinem Trampelpfad folgt, sondern wir gemeinsam durch den Gefühlsdschungel wandern.

Ich lade Sie ein, statt Gewissheiten zu finden, zu lernen, mit Ungewissheit umzugehen. Statt Lösungen zu finden, das Unlösbare akzeptieren zu lernen. Statt verstehen zu wollen, um dann das Richtige zu tun, zu verstehen, dass Verstehen schon das Richtige tun ist. Statt es gut zu machen, es wiedergutzumachen. Statt es fehlerfrei hinzubekommen, es zu reparieren. Statt Erwartungen nachzugehen, zu trauern und uns von den Erwartungen zu verabschieden. Klingt das zu scheußlich?

Es soll hoffnungsvoll klingen. Denn wir können die Liebe nicht erzwingen. Aber wenn wir ihr den Boden bereiten, dann kann sie wachsen.

Ständig prasseln über die Medien neue Erkenntnisse und Untersuchungen auf uns ein. Partnerschaftstipps und Liebeserkenntnisse gehören zu den beliebtesten Rubriken und werden mit am meisten gelesen. Und Sie haben ja auch schon wieder so ein Buch in der Hand. Versuchen Sie bitte nicht, sich irgendwo einzuordnen. Bleiben Sie offen für das, was Sie erleben, was Ihnen begegnet. Falls Sie so auch diesem Buch gegenübertreten könnten, wären das Buch und sein Autor Ihnen dankbar.

Es gibt in der Liebe und in Liebesbeziehungen nur eine unumstößliche Wahrheit. Und die lautet, dass es keine unumstößliche Wahrheit in der Liebe und in Liebesbeziehungen gibt. Das gilt für alle Paare. Es gibt aber auch keine unumstößliche Wahrheit über Liebe und Liebesbeziehungen. In dem Augenblick, in dem wir Liebe und Leidenschaft so vollständig verstehen, dass wir alles richtig machen können, werden Liebe und Leidenschaft vermutlich endgültig aus unserem Leben verschwunden sein.

Wir reagieren nicht auf die Dinge selbst, sondern darauf, wie wir die Dinge verstehen. Was für ein Bild wir generell von Beziehungen haben, bestimmt, wie wir unsere eigenen Liebesbeziehungen sehen und verstehen. Und das wiederum bestimmt, wie wir unsere Beziehungen leben. Wir Menschen sind kulturelle Wesen. Wir sind durch das geprägt, was unsere Vorfahren uns hinterlassen haben. Und die Geschichte hat uns kein sauber geordnetes Verständnis von Liebe, geschweige denn von Liebesbeziehungen hinterlassen. Wir versuchen ernsthaft, mit einer Person eine befreite Sexualität zu leben (20. Jahrhundert), romantische Gefühle zu teilen (18. Jahrhundert), als Wirtschaftsgemeinschaft zu funktionieren (12. Jahrhundert), pädagogisch qualifizierte Eltern zu sein (20. Jahrhundert), ein Beziehung lebenslang aufrechtzuerhalten (5. Jahrhundert vor Christus?), gleichberechtigte Partner zu sein (20. Jahrhundert) und vielleicht noch polyamoröse Experimente zu versuchen (21. Jahrhundert). Das ist nichts, was wir uns ausdenken; das ist tief in unsere Psyche eingraviert. Die Aufgabe ist für alle gleich, aber jedes Paar muss sich in diesem Labyrinth alleine zurechtfinden.

Vielleicht führen wir ja die besten Beziehungen der Weltgeschichte. Ohne Zwänge, frei, unsere eigene Lebensform zu finden, frei, uns zu entscheiden, frei, uns auszuprobieren, bevor wir uns entscheiden. Gleichberechtigt, ohne Einmischung von Kirche, Obrigkeit oder der Familie. Sexuell frei von Moral und der Sorge, schwanger zu werden. Aufgeklärt und selbsterfahren, materiell weitestgehend unbesorgt, umgeben von Helfern und Beratern, mit Zugang zu unendlich vielen Informationen. Aber möglicherweise ist diese Freiheit auch zu viel, weil unsere Ansprüche in einem unbegrenzten Raum immer schneller wachsen, als wir sie erfüllen können. Freiheit ist ja bekanntlich die Einsicht in die Notwendigkeit. Und das müssen wir auch in der Liebe erst lernen.

Der menschengemachte Klimawandel, die Zerstörung der natürlichen Ressourcen der Erde und damit unserer Lebensgrundlage zeigen, wie unverbunden wir mit der Welt um uns herum geworden sind. Wir passen uns nicht mehr ein und leben nicht im Einklang mit der Welt. Wir versuchen, die Erde an uns anzupassen, und drohen uns selbst dabei auszulöschen. Wenn wir mehr wollen, als möglich ist, sind wir nicht die Spitze der Evolution. Dann sind wir ein Irrtum. Das gilt auch für unsere Liebesbeziehung, die ja unsere unmittelbare emotionale Umwelt ist. Wir sind aufgefordert, auch hier umzudenken. Und ökologischer zu lieben. Denn wie wollen wir den Wachstumswahn auf dem Planeten aufhalten, wenn wir den Glückswahn in unseren Liebesbeziehungen aufrechterhalten? Nachhaltigkeit, so scheint mir, könnte schon auf dem ehelichen Laken beginnen.

In psychologischen Experimenten, in denen es darum ging, eine Situation zu verbessern, fügten die Versuchspersonen immer noch etwas hinzu und machten die Situation dadurch nur noch komplizierter und schwieriger. Die beste Strategie wäre gewesen, etwas zu entfernen. Weniger ist mehr. Auch in der Liebe. Weniger Erwartungen. Weniger Falsch-und-Richtig-Denken. Weniger Ziele. Weniger Ansprüche. Weniger Mythos der großen Liebe. Mehr kleine Liebe. Denn Liebesbeziehungen lassen sich nicht optimieren. Wir bestimmen nicht, wie der Fluss des Lebens verläuft. In unserer Liebesbeziehung vereinigen sich zwei Flüsse zu einem gemeinsamen Strom, der noch weniger beherrschbar ist. Aber wir können lernen, auf unserem Beziehungsstrom gemeinsam zu driften und zu navigieren.

Glückliche Paare werden Sie deshalb in diesem Buch nicht finden. Und auch keinen Hinweis, wie Sie ein glückliches Paar werden können. Glück kann man nicht ansteuern. Glück finden wir auf unserem Lebensweg am Wegesrand. In der Ratgeber- und Paar-Literatur wird meistens zwischen glücklichen und unglücklichen Paaren unterschieden. Was nur die Illusion bestärkt, dass hinter jeder Häuserfront lauter glückliche Paare lachen und superzärtlich miteinander umgehen und nur wir mit unserem Partner im Sumpf des Paarelends stecken geblieben sind. Was ein deprimierender Gedanke ist. Und uns erst recht dazu verführt, unbedingt wissen zu wollen, was die anderen bloß so viel richtiger machen.

Meine Klientinnen haben anscheinend oft die Hoffnung, dass ich weiß, wie eine gute Beziehung geht. Sie fragen dann leicht hinterhältig: »Aber in Ihrer Beziehung gibt es solche Streitereien doch sicher gar nicht?« Vielleicht hoffen sie aber auch, dass ich genauso hilflos durch meine Beziehung rudere wie sie selbst. Und diese Hoffnung kann ich erfüllen. Auch wenn meine Frau meint, dass unsere Beziehung deutlich besser geworden sei, seitdem ich in Aus- und Fortbildungen zur Paartherapie war. Und ja, wir haben gemeinsam eine Paartherapie gemacht. Wir sind uns dabei etwas nähergekommen, weil wir beide den Paartherapeuten seltsam steif fanden. Irgendwie muss man ja wieder zueinander finden.

In einem Paartherapeuten laufen geheime Prozesse ab. Manchmal sitze ich in meinem lachsfarbenen Sessel und möchte aufgeben. »Vergesst es einfach, lasst es sein, geht beide eurer Wege!«, möchte ein Teil von mir ihnen zurufen. »Ihr versucht es nun schon so lange. Findet euch damit ab, wie es ist, oder gebt auf.« Sie sind gequält. Ich bin gequält. Aber ich bleibe sitzen und suche nach der nächsten guten Frage, versuche genauer zu verstehen, was sie erleben, wie sie sich fühlen. Kläre mit ihnen, ob sie sich von mir nachempfunden fühlen. Ich mache weiter. Und genau das ist es, was gute Paare tun: Sie machen weiter.

Eine Beziehung ist nach meinem Verständnis relativ einfach zu skizzieren. In Liebesbeziehungen suchen wir nach Bindung. Dazu kommunizieren wir miteinander, vorrangig über unsere Gefühle und unseren Körper. Und wir brauchen eine gute Beziehung zu uns selbst, um eine gute Beziehung mit anderen zu führen und uns ihnen gegenüber immer wieder zu öffnen. Damit haben wir auch schon die fünf Bereiche dieses Buches: Bindung, Kommunikation, Körper, Selbst und Verletzlichkeit. Die folgende Grafik gibt einen Überblick über diese Hauptbereiche und die ihnen zugehörigen Themen.

Aber es gibt noch etwas, das unbedingt dazugehört: Wir sind keine vernünftigen Wesen. Wir können vernünftig sein, logisch denken, klar analysieren, doch in erster Linie sind wir emotionale Wesen. Und in der Liebesbeziehung spüren wir das am intensivsten. Unsere Gefühle geben unserem Leben Farbe, wir lieben es zu lieben. Aber sie machen Liebesbeziehungen auch so komplex und schwierig.

Ich schreibe darüber, was sich für mich im Laufe meiner Arbeit und meiner Beziehungen als die wesentlichsten Aspekte herauskristallisiert hat. Die Dinge, von denen ich glaube, dass sie für Beziehungen notwendig und hilfreich sind, weil sie uns zweierlei erlauben: Verstehen und Handeln. Verständnis hilft, über uns und unsere Beziehung nachzudenken und eine andere Sicht zu gewinnen. Das kann uns beruhigen, toleranter machen, freier werden lassen, neue Möglichkeiten bieten. Und wo wir handeln können, haben wir die Möglichkeit, unsere Liebesbeziehungen zu beeinflussen. Zu stärken, zu festigen, zu verändern. Sie werden feststellen, dass sich in diesem Buch einige Themen und Einsichten in verschiedenen Zusammenhängen wiederfinden. Das muss so sein. Denn eine Liebesbeziehung ist ungeheuer komplex. Und je mehr Landkarten wir haben, um uns zu orientieren, desto weniger können wir uns verirren. Obwohl es sich zunächst wahrscheinlich erst mal genau umgekehrt anfühlt und Sie sich etwas überwältigt fühlen könnten. Vertrauen Sie auf Ihr Unbewusstes. Es wird herausfiltern, was für Sie gerade wichtig ist.

Das Leben ist voller Widersprüche. Und Sie halten gerade einen solchen Widerspruch in Ihrer Hand. Denn ich stimme ganz mit dem Entwicklungspsychologen Edward Tronick überein, dass Bücher mit praktischen, hilfreichen Tipps eher die Erwartung von Perfektion verstärken, zu Ängsten führen und Wachstum verhindern. Sich in einer Beziehung durch schwierige Situationen hindurchzuarbeiten, bis wir uns gehört und unterstützt fühlen, fördert Gesundheit und Wohlgefühl viel mehr als eine Liturgie von Tipps und Anweisungen.

Tatsächlich glaube ich auch nicht, dass ich irgendeinem Paar raten kann, was es tun soll. Ich gebe als Paartherapeut in meinen Sitzungen keine Ratschläge. Also tue ich es hier auch nicht. Ich kann aber Anregungen geben. Verständnis und Verstehen fördern. Ermutigen, etwas auszuprobieren. Wenn ich mich als Reisebegleiter verstehe, dann kann ich Ihnen nicht sagen, wohin Ihre Reise gehen soll. Aber weil ich mich im Gelände etwas auskenne, kann ich Ihnen sagen, wo Sie besser nicht hintreten sollten. Welcher Weg vermutlich nicht weiterführt, wo ich eine Sackgasse vermute und ob Sie gerade dabei sind, im Kreis zu laufen. Deshalb werden Sie unter einigen Überschriften vielleicht hoffen herauszufinden, wie es richtig zu machen ist. Stattdessen werden Sie dort erfahren, woran Paare scheitern und worauf Sie achten können, um eine Chance zu haben.

Wo kommt das her, was ich schreibe? Ich arbeite seit über 40 Jahren als Psychotherapeut und seit 30 Jahren als Paartherapeut. Ich hatte gute Lehrerinnen, Trainerinnen und Supervisorinnen. In der Paartherapie möchte ich nur Rosemarie Welter-Enderlin und Sue Johnson erwähnen. Ich habe die letzten zehn Jahre alle zwei Wochen eine Kolumne geschrieben und dabei zunächst Erfahrungen aus meiner Praxis und dann Fragen von Leserinnen als Ausgangspunkt genommen. Was mich immer wieder dazu gebracht hat, über Liebe und Paarsein nachzudenken; meine Erfahrungen in Worte zu fassen und Bücher zu Paarthemen zu lesen, in der Hoffnung, mehr zu erfahren und zu finden, was mir entgeht. Meinen Kolleginnen aus Supervision und Intervision sowie den Teilnehmerinnen in den Fortbildungsseminaren, die ich gegeben habe, verdanke ich Einsichten und Anregungen. Als Lehrender lernt man ja meist mehr als in der Teilnehmerrolle. Vor allem aber verdanke ich unendlich viele Einsichten meinen Paaren und allen Einzelklientinnen, die mich an ihren Beziehungsproblemen haben teilnehmen lassen. Ich bin dankbar, dass ich mit ihnen arbeiten durfte. Doch die wertvollsten Erfahrungen habe ich wohl in meiner eigenen Beziehung mit meiner Frau gemacht, mit der ich unfassbare 40 Jahre zusammen bin. Erfahrungen, die nicht über Einsicht und Verständnis gewonnen wurden, sondern erst mal durch Angst, Tränen und Wutausbrüche, durch Lachen, Intimität und tiefe Verbundenheit. Wir haben uns gefetzt und verletzt. Vertragen und wieder geliebt. In unserer Liebesbeziehung musste ich lernen, selbst wenn ich es nicht wollte, denn meine Frau ist nicht nur klug und eine Kämpferin, sie ist auch Psycho- und Paartherapeutin. Wir haben gemeinsam gelernt, die kleine Liebe zu leben. Und ich bin ihr dankbar, dass es sie gibt und dass sie unseren gemeinsamen Weg immer wieder mit mir sucht.

Natürlich stehe ich auf den Schultern von Vordenkerinnen. Aber auf Schultern steht man schlecht. Ich lehne mich lieber an. An die Einsichten von Sue Johnson, der Begründerin der Emotionsfokussierten Paartherapie, die dem Feld der Paartherapie durch ihr Verständnis der Bindungstheorie einen Boden gegeben hat. An den Forscher und Formulierer John Gottman, weil er viele hilfreiche Einsichten über Paarbeziehungen aufgedeckt hat. Und in der letzten Zeit an die Neurowissenschaftlerin Lisa Feldman Barrett und den bereits erwähnten Ed Tronick. An beiden schätze ich ihre Bescheidenheit gegenüber der komplexen Widersprüchlichkeit des menschlichen Lebens und unserer beschränkten Einsichtsfähigkeit.

Wir sind nicht allein auf der Welt. Fast jeder lebt in Liebesbeziehungen. Es wird darüber nachgedacht und geforscht, es sammeln sich Erfahrungen in den paartherapeutischen Praxen an. Es existiert ein Wissen, das uns helfen kann, uns in unseren Beziehungen zu verstehen. Wenn Sie durch das vorliegende Buch Ihre Beziehung besser verstehen, dann hat es seinen Zweck erfüllt.

Alle beschriebenen Paare sind wirkliche Paare, die ich so verfremdet habe, dass sie nicht zu erkennen sind und anonym bleiben. Einige Beispiele sind Verdichtungen aus Gesprächen mit mehreren Paaren und dienen dazu, typische Zusammenhänge oder Abläufe zu verdeutlichen.

Um die * : # zu vermeiden, wechsele ich immer wieder zwischen der männlichen und weiblichen Sprachform. Ich hoffe, es fühlen sich dadurch auch alle vertreten, die sich weder der einen noch der anderen Genderrolle zugehörig fühlen.

Die kleine Liebe und die große Liebe

Unser Paradies ist das Unvollkommene.

Wallace Stevens

Es ist schon ziemlich abgedreht, wenn man darüber nachdenkt: Jeden Tag arbeiten weltweit unendlich viele, überaus fähige Menschen daran, eine Angst zu erschaffen. Eine Angst, die uns niemals verlassen soll. Bislang wird sie nur im Feuilleton erwähnt, denn obwohl fast jeder daran leidet, ist sie als psychiatrische Diagnose nicht anerkannt. Auch unsere Liebesbeziehungen bleiben von ihr nicht verschont. Dabei scheinen Liebesbeziehungen eine Art Gegenmittel zu dieser Angst zu besitzen. Allerdings eines, das, wie alle Medikamente, Nebenwirkungen hat. In diesem Fall sogar eine fatale: Sie macht alles noch schlimmer. Und damit – willkommen in der Liebeswelt des 21. Jahrhunderts!

Die Mega-Angst ist FOMO. FOMO steht für »Fear of missing out«: die Angst, etwas zu verpassen. Unsere Konsumgesellschaft erschafft ohne Ende neue Dinge, die alle mit dem dringenden Hinweis versehen sind, sie auf keinen Fall zu verpassen. Ob Anti-Falten-Creme, die neueste Streaming-Serie, das noch klappbarere Klapprad, das ultimative Strandhotel oder das garantiert effektivste Glückscoaching. Alles verströmt die immer gleiche Botschaft: dass wir selbst schuld sind, wenn wir unser mittelmäßiges Leben weiterleben, statt das Beste aus unserem Leben zu machen. Was augenblicklich den Druck erhöht, unter dem wir ohnehin schon am meisten leiden. Den Druck der Selbstoptimierung, der uns so beständig begleitet wie das Meeresrauschen einen Strandspaziergang. Unsere Aufgabe in der alltäglichen Konkurrenzgesellschaft, das Beste aus uns zu machen, was auch immer das heißen mag. Um immer noch besser, ja, am allerbesten dazustehen. In unseren Liebesbeziehungen heißt das erprobte Gegenmittel: die große Liebe. Sie löst zuverlässig die Angst, etwas zu verpassen, und befreit vom Druck, das Beste aus uns zu machen. Denn sie ist das Größte, was uns passieren kann, und verwandelt uns als Liebende automatisch in die beste Version unserer selbst. Wer den idealen Seelenpartner gefunden hat, der verwirklicht sich dort, wo es wirklich darauf ankommt: in der Liebe. Sie ist ohnehin das größte aller Gefühle und letztlich das einzig wirklich Bedeutsame im Leben.

Die große Liebe ist der Schlussstein in der Logik des guten Lebens. Ein Haus, ein Auto sowieso, Reisen, ein Boot, ein Swimming-Pool, was immer uns für ein gutes Leben einfällt – ohne den krönenden Abschluss einer großen Liebe hantieren wir mit Trostpreisen. Die große Liebe, am besten in der Variante »Wir sind total glücklich miteinander« und der Fortsetzung »Wir haben die besten Kinder der Welt«. Es gibt drei Millionen Liebeslieder darüber, die Person seines Lebens gefunden zu haben, aber soweit ich weiß, kein einziges, in dem jemand mit gleicher Inbrunst bejubelt, dass er endlich das Ferienhaus in der Toskana gekauft hat, das er schon immer haben wollte.

Wenn ich mies gelaunt in den Tag starte, weil mich das unbarmherzige Handy aus dem Schlaf reißt und ich sofort weiß, dass im Wesentlichen Mist und anstrengende Arbeit auf mich warten, dann braucht mein Selbst einen Booster. Und der liegt direkt neben mir. Meine Liebe! Ich liebe diesen Menschen so. Und das Gefühl der Liebe ist ein dermaßen großartiges, meiner Seele Flügel verleihendes Gefühl, dass ich all den anderen Blödsinn des Lebens gar nicht brauche, nicht mal die Aussicht auf den nächsten Urlaub. Weil sich das Glück augenblicklich als Gefühl einstellt. Und das ist ja wirklich so.

Da evolutionsbiologisch keine Anlagen für einen Porsche, aber ein ganzes Bindungssystem für Liebe, Nähe und Geborgenheit in uns existieren, könnte selbst ein Sondermodell, das die Familie Porsche für uns in Handarbeit hätte herstellen lassen und das außer uns niemand besitzt und das schneller ist als alle, aber auch wirklich alle anderen Porsche dieser Welt und dessen Sitze mit Leder bespannt sind, auf dem die vier schönsten Frauen und Männer der Welt jeweils sechs Monate geschlafen haben, bis es durchtränkt ist von deren Pheromonen – selbst das könnte uns niemals so zufrieden und glücklich machen wie das Gefühl, neben der besten Partnerin der Welt aufzuwachen. Und das ist ja auch wirklich so.

Die große Liebe ist der Hauptgewinn im Partnerlotto. Jeder darf unentgeltlich mitspielen, Tag für Tag werden Millionen Hauptgewinne ausgespielt. Was uns skeptisch machen könnte, doch irgendwie gehen wir davon aus, dass jedem noch so verbeulten Topf der ideale Deckel zusteht und dass wir ihn auch finden werden. Irgendwie scheinen wir noch immer an Platons Idee der halbierten Kugelmenschen zu glauben, die versuchen, ihre andere Hälfte zu finden. Die große Liebe scheint sehr sozial und demokratisch zu sein. Sie steht jedem zu und ist nicht den Wohlhabenden vorbehalten.

Doch der persönliche Hauptgewinn löst unsere Ängste nur scheinbar. Denn die große Liebe geht mit dem Versprechen einher, unbedingt und ewig zu sein. Daran erkennen wir sie. Ewig und unbedingt sind die Garanten, dass es sich auch wirklich um die große Liebe handelt. Lebenslange Haltbarkeit ist aber ein überambitioniertes und unrealistisches Versprechen. Nur Schweizer Uhren bieten sie an. Und sind dabei wesentlich weniger komplex als die Liebe. Im Grunde glauben wir ohnehin nicht mehr an das Garantieversprechen. Wir sind ja nicht blöd. Wir kennen die Scheidungsstatistiken. Doch paradoxerweise klammern wir uns umso stärker an die große Liebe, je mehr unser Beziehungspessimismus sie infrage stellt. Frei nach dem Motto: Wir haben keine Chance, also packen wir es an! Wir müssen das tun, damit Liebesbeziehungen für uns nicht in allzu große Ferne rücken. Damit wir überhaupt noch den Schritt wagen, uns zu binden. Wir wollen ja nicht bei der wichtigsten Entscheidung unseres Lebens versagen und in irgendeiner zweitklassigen Liebesbeziehung stranden. Einen Kleinwagen oder eine Zwei-Zimmer-Wohnung an der Ausfallstraße müssen wir vielleicht hinnehmen, weil wir die ungerechten sozialen Verhältnisse, in denen wir leben, nicht im Alleingang verändern können. Aber in der Liebe ist es allein unsere persönliche Entscheidung.

Die große Liebe ist eine romantische Trotzreaktion und gleichzeitig die letzte Hoffnung, endlich jemanden gefunden zu haben, von dem wir glauben, dass er uns nicht enttäuschen wird. Der Glaube an die große Liebe ist also die einzige Absicherung, die wir haben, um uns auf das große Abenteuer einer Liebesbeziehung einzulassen. Eine befristete Garantie für die Dauer der großen Gefühle und Zweifel an ihrer Unbedingtheit wären realistisch. Aber das wäre so, als würden wir aus der Schweizer Uhr die Unruhe herausoperieren. Unsere Ahnen haben Zwangsheirat und Wirtschaftsehe hinter sich gelassen und uns die romantisch-leidenschaftliche Liebe vermacht. Die große Liebe. Sie ist eine unserer Lebensaufgaben, wenn nicht die wichtigste. Sie ist unser Liebesmythos, die kulturelle Erzählung, die unsere Liebesbeziehungen bestimmt. Sie bestimmt, wie wir Liebe leben.

Der Schatten der großen Liebe

Doch wir sind vermutlich die ersten Gesellschaften in der Geschichte, in denen Menschen dazu gebracht werden, unglücklich darüber zu sein, dass sie nicht glücklich sind.

Pascal Bruckner

Mit dem utopischen Versprechen der großen Liebe könnten wir ja noch ganz komfortabel leben. Denn wer an die Wirklichkeit glaubt, soll bekanntlich dazu verdammt sein, darin zu leben. Doch dummerweise boykottiert die große Liebe sich selbst. Heutzutage verlassen wir unsere Partnerinnen nicht, weil wir es nicht mehr miteinander aushalten. Wir trennen uns immer öfter, weil wir keine große Liebe mehr fühlen. Einer Untersuchung zufolge ließen sich ein Viertel aller Paare scheiden, obwohl sie sich ganz zufrieden fühlten.1 Wir werden unsicher, wenn nach sechs Monaten die Ewigkeitsgarantie abgelaufen ist und es sich eher so anfühlt, als hätten wir uns mit dem neuen Partner die Garantie auf lebenslanges Unglück eingehandelt. Doch wir trennen uns nicht, weil wir in unseren Beziehungen unglücklich sind, sondern weil wir glauben, in einer anderen Beziehung glücklicher sein zu können. Als Selbstoptimierer schauen wir ja nicht nur furchtbar kritisch auf uns und unsere Life-Performance, sondern auch auf unsere Partnerinnen. Und stellen natürlich fest, was ihnen alles fehlt. Die Idee der großen Liebe sagt uns dann, dass das, was wir hier gerade leben, ja wohl nicht das sein kann, wonach wir suchen. Und so suchen wir weiter und treffen auf idealere, perfektere, irgendwie besser zu uns passende Menschen. Doch der Unterschied, den wir erleben, ist in Wahrheit kein Unterschied in Qualität, sondern nur ein Unterschied an Information: Unsere Partnerin kennen wir einfach zu gut, sie kommt hinter dem Bild der großen Liebe hervor. Auf Unbekannte hingegen können wir alles Mögliche projizieren, da überblendet die Fantasie noch locker die Wirklichkeit.

Warum geben wir nicht endlich zu, dass Verlieben ein Wahnsinnskick ist, der vorübergeht? Und dass danach Vertrautheit entsteht und Gewöhnung kommt und Langeweile und wir trotzdem bleiben, weil es sonst zu teuer würde – emotional und manchmal auch ökonomisch. Oder weil wir Angst haben, stur sind oder annehmen, dass wir nach zwei Jahren auch in der nächsten Beziehung nicht weiter sein werden. Wollen wir vielleicht nur nicht zugeben, dass wir das »Klassenziel große Liebe« nicht erreicht haben? Und starren auf die große Liebe wie im Märchen »Des Kaisers neue Kleider« die Untertanen auf ihren Herrscher? Sie loben dessen schöne Kleider, obwohl er gar nichts anhat. Nur weil ein paar Gauner in die Welt gesetzt haben, dass alle, die die Kleider nicht sehen können, dumm und amtsuntauglich sind.

Wir brauchen die große Liebe. Denn sie vereint, was wir eigentlich nicht vereinigen können: unseren Zwang, nichts auszulassen, was uns irgendwie glücklicher machen könnte, und unser tiefes Bedürfnis nach Bindung, die wir brauchen wie Wasser und Brot. Ohne die Vorstellung der großen Liebe, die auf dem Mythos der Einmaligkeit aufgebaut ist, könnten wir unseren Wunsch nach grandioser Selbstverwirklichung einerseits und nach stabiler Bindung andererseits nicht einmal gedanklich vereinigen. Denn Bindung ist Abhängigkeit. Aber Abhängigkeit ist keine Selbstverwirklichung. Um nicht irre zu werden, gibt es die große Liebe unseres Lebens: Wir finden jemanden, der so gut zu uns passt, dass wir schlagartig selbstverwirklicht sind.

Die Idee der großen Liebe verändert die Wirklichkeit. Aber natürlich erfüllt sie sich nicht. Ein einziger Mensch kann unmöglich alles geben, wonach wir uns sehnen. Aber wir machen uns auf den Weg, den Partner zu finden, der uns alles bedeutet. Und wenn wir Glück haben, dann finden wir vielleicht tatsächlich die Liebe unseres Lebens. Und sie kann halten, wenn wir uns nicht der Verklärung hingeben, dass es keine Durststrecken im Beziehungsalltag geben darf, und wir erlauben, dass die Leidenschaft zeitweilig erlöschen wird. Wenn wir also fähig sind, uns von der großen Liebe zu verabschieden, um sie zu erhalten.

Das ist eine Sichtweise, die ich vertreten habe und immer noch vertrete. Aber mittlerweile glaube ich auch, dass die Idee der großen Liebe mehr Unglück erzeugt als Gutes bringt. Und dass wir sie aufgeben müssen, um uns für ganz andere Möglichkeiten von Beziehungen zu öffnen – etwa offenen Beziehungen, Polyamorie oder der Einsicht, dass wir durch unsere Liebesbeziehung viel Positives erfahren, ohne dass wir die große Liebe leben. Die veränderte Welt, in der wir durch die digitalen Medien leben, macht ein Umdenken noch notwendiger. Die neuen Medien bieten uns mehr denn je die Chance, Beziehungen schnell auszutauschen und immer wieder neue aufzunehmen. Und gerade die Idee der großen Liebe treibt uns an, diese Möglichkeit zu nutzen, weil wir durch sie unaufhörlich auf der Suche nach dem heiligen Gral der Liebesbeziehung bleiben. Der immer wieder vor uns aufscheint und sich wieder auflöst, wenn wir ihn einige Zeit in der Hand gehalten haben. Wir drohen, zu Konsumenten der Liebe zu werden. Die Lösung kann nur sein, dass wir umdenken. Dass wir uns von der Idee der großen Liebe in der gegenwärtigen Form freimachen. Die Herausforderung einer befriedigenden Liebesbeziehung beginnt mit dem richtigen Denken. Wir brauchen die Vorstellung einer anderen Liebe. Nennen wir sie die kleine Liebe.

Die große Liebe denken wir grenzenlos. Entgegen allem Wissen um die Begrenztheit der großen Liebesgefühle im Dauertest einer langjährigen Partnerschaft. So wie wir als Gesellschaft an grenzenloses Wachstum geglaubt haben und dabei die Begrenztheit der Ressourcen unseres Planeten nicht wahrhaben wollten. Unsere Wirtschaft muss ständig wachsen; in unseren Paarbeziehungen müssen wir ständig lieben. Schon lange gibt es Stimmen, die die Grenzen des Wachstums aufzeigen. Aber erst der Klimanotstand macht uns deutlich, dass wir für unser Überleben eine grüne Revolution brauchen und uns vom Gedanken unbegrenzten Wachstums verabschieden müssen. Unser Liebesnotstand zeigt sich in der ständigen Beschäftigung mit den Möglichkeiten und Grenzen der Liebe. Paare wollen wissen, wie man am besten liebt. Das Netz vibriert deshalb vor Liebesblogs, die Magazine interviewen täglich neue Experten, die Wissenschaft rückt unseren nächsten Verwandten auf den Schimpansen-Pelz, wir scannen unser Gehirn oder suchen bei indigenen Völkern nach der Antwort. Psychologie, Biologie, Evolutionsforschung – wo gibt es den rettenden Kompass, damit wir uns nicht mehr in der verwirrenden Landschaft der Liebe verirren? Die Kompassnadel kreiselt wie auf Koks, und es gibt keinerlei Anzeichen, wo der verdammte Liebes-Nordpol ist. Aber keine Antwort ist auch eine Antwort. Das sagt uns, dass wir die falsche Frage stellen. Wir scheitern, weil wir die romantische Liebesidee aufrechterhalten. So wie wir scheitern, wenn wir an der Idee einer grenzenlosen Ausbeutung der Erde und ihrer Ressourcen festhalten. Solange wir nur nach Lösungen suchen, die nicht infrage stellen, dass wir weiterhin alle Meere leer fischen und jede erdenkliche Menge CO2 in die Atmosphäre blasen. Der Abschied von der romantischen großen Liebe fällt also auch unter Klimaschutz und nachhaltiges Denken. Denn wie wollen wir lernen, ökologisch, ressourcenorientiert, nachhaltig, langfristig, systemisch zu denken, wenn wir im privaten Kern unseres Lebens, in unseren Liebesbeziehungen, an der Unbegrenztheit festhalten und die uneingeschränkte Ausbeutung unserer romantischen Liebesressourcen weiterverfolgen? Werden wir umdenken können und Verzicht als sinnvoll und notwendig für unser Überleben auf Mutter Erde anerkennen, wenn wir in unserem intimen Leben am uneingeschränkten Recht auf unbegrenztes Dauerglück festhalten?

Die Geschichte der romantisch-leidenschaftlichen Liebe

Liebe unterliegt der Geschichte. Sie folgte und folgt in jeder Kultur den existierenden Heiratsregeln. Bei Liebesempfindungen sind Biologie und Kultur, genetisch Angelegtes und gesellschaftlich Erworbenes untrennbar ineinander verwoben. Im Licht der voranschreitenden Neurowissenschaften ergibt es keinen Sinn mehr, Vererbtes und Gelerntes strikt gegeneinanderzustellen. Unsere Sehnsucht nach der romantisch-leidenschaftlichen Dauerbeziehung ist im Laufe der Geschichte entstanden. Wir sind die Erben einer Idee, die wir gleichwohl in jeder Körperzelle spüren können. Und solange wir diese Idee nicht infrage stellen, löffeln wir tagtäglich aus, was unsere Ahnen uns eingebrockt haben. Wie wir über die Liebe denken, bestimmt, wie wir lieben.

Die große Liebe gehört zum romantischen Diskurs. Sie ist eine idealisierte Form der Liebe und des Glücks. Schicksalhaft, überwältigend, als wirkten Himmelsmächte, an die wir nirgendwo sonst so naiv glauben wie zwischen Windeleimer, Doppelbett und Spülmaschine. Wir erfahren Liebe als schicksalhaftes Erleben, dem wir uns begeistert hingeben. Das ist eine Entscheidung, die wir nicht fällen. Wir übernehmen die romantische Liebeswahl als kulturelle Regel, die in den letzten 200 Jahren unsere intimen Beziehungen bestimmt hat.

Wir denken bei Romantik schnell an die Minnesänger des Mittelalters, doch sie schwärmten bloß und wollten nie eine reale Beziehung mit dem vergötterten Burgfräulein führen. Unsere Idee der romantisch-leidenschaftlichen Dauerbeziehung entwickelte sich im 18. Jahrhundert, einer Zeit großer geistiger Veränderungen. Die Romantik war eine Gefühlsreaktion auf die frühe Aufklärung, die Werte wie Individualität, Vernunft und Gleichheit betonte, aber eher logisch-abstrakt und kalt war. Nun wurden individuelles Glück und persönliche Entscheidungen wichtig, was sich auch auf Ehe und Liebe auswirkte. Nachdem Ehen Jahrtausende lang vor allem aus politischen oder ökonomischen Gründen geschlossen worden waren, begann die Geschichte der liebesbasierten Ehe. Wo zuvor noch große Denker wie Montaigne der Meinung waren, dass jemand, der seine Ehefrau liebt, so stumpf sei, dass niemand sonst ihn lieben könne. Seitdem arbeiten wir an unseren Ehen, bis dahin arbeitete man nur in der Ehe. Erotische Leidenschaft gab es bis dahin nur in der Literatur und für Minderheiten. Erst jetzt kam die für alle geltende Idee auf, dass man sich verlieben sollte, um legal zu heiraten. Es begann die Entwicklung des Modells der romantischen Ehe. In vielen Schritten und Pirouetten, mit Unterschieden von Land zu Land, wurde Sex aufgewertet und an die Liebe gebunden, und Liebe an die Ehe. Seither ist nur noch Liebe ein Grund zum Heiraten, und die Elternschaft wird zur Vollendung der romantischen Liebe. Das Liebesgefühl rückt ins Zentrum. Es wird als dauerhaft betrachtet und gilt nur der einen Person. Liebe entsteht durch die Magie der Begegnung und wird zum individuellen Glücksversprechen zweier Menschen. Sie ist kein einseitiges Fühlen mehr, sondern erwiderte Liebe.  

Mit der industriellen Revolution beginnt die Polarisation der Geschlechter, und in der romantischen Liebe werden zunehmend der Sinn und die Stabilität gesucht, die den Menschen verloren gehen. Je mehr die moralischen Gebote der Liebe wegfallen, desto mehr wird Lieben zur herausragenden Art zu fühlen, desto stärker wird die Leidenschaft im romantischen Erleben betont. Die 50er-Jahre des letzten Jahrhunderts sind dann die Hochzeit der Ehe, in der die Frau nur Hausfrau ist. Ab den 60er-Jahren beginnt noch einmal eine dramatische Veränderung, die es Frauen erlaubt, sich langsam aus der Abhängigkeit und Ausbeutung, der sie jahrtausendelang unterlagen, zu emanzipieren. Es findet eine – nicht nur sexuelle – Revolution statt, in der Selbsterfahrung und persönliches Wachstum gefragt sind und die herrschenden Normen infrage gestellt werden. Weil dadurch keine Kriterien mehr für Richtig und Falsch, Gut und Schlecht existieren, geben fortan das Selbst und seine Gefühle Orientierung. Die richtige Handlung ist nunmehr die, welche die aufregendste Herausforderung darstellt oder das beste Gefühl vermittelt. Selbstausdruck ersetzt Autorität, aus gut Sein wird gut Fühlen. Unter jedem Pflaster liegt ein Strand.

Angesichts der Beschleunigung des Lebens, der Abkehr von den Religionen, der Globalisierung, der sprunghaften technologischen Veränderungen, der Entritualisierung unserer Lebenswelt und der immer kleiner werdenden Kleinfamilien suchen wir heute in unseren exklusiven Liebesbeziehungen Halt. »Eine glückliche Liebe wird damit zu einem wichtigen Anker in einer unvorhersehbaren Welt«, benennt es der Paarforscher Guy Bodenmann. Doch die »glückliche Liebe« gehört schon zum Konzept der großen Liebe.

Die Historikerin Stephanie Coontz, Autorin von »In schlechten wie in guten Tagen. Die Ehe – eine Liebesgeschichte«, schreibt, dass sich die Beziehungen zwischen Frau und Mann und unsere Liebesbeziehungen in den letzten 30 Jahren mehr verändert haben als in den 3000 Jahren davor. Das ist unsere Chance. Coontz schreibt: »Heute ist unsere Herausforderung, die romantisierten Vorstellungen der Vergangenheit zurückzuweisen, die uns schuldig fühlen lassen, weil wir nicht in einer Vorabendserien-Ehe leben.«2 Erst wenn wir uns von der großen Liebe verabschiedet haben, ist der Weg frei für neue Wahrnehmungs-, Denk- und Erlebensprozesse. Wir haben verstanden, dass wir den romantischen Mythos verlassen müssen, um in langjährigen Beziehungen leben zu können. Allerdings rupfen wir bislang nur die Blätter vom romantischen Mythos, damit er nicht unser ganzes Leben überschattet, ohne am Stamm der großen Liebe zu sägen. Aber es ist Zeit. Wir brauchen eine »bunte Revolution«, um uns vom rosaroten Anspruch auf das unbegrenzte Liebesglück zu verabschieden. Eine ökologische Wende in unserem Denken über Beziehungen: weg vom Wahn der großen Liebe, hin zur kleinen Liebe.

Die große Liebe

Die Liebe beruht auf einer starken Übertreibung des Unterschieds zwischen einer und allen anderen Personen.

George Bernard Shaw

Im Grunde soll sie alles erfüllen, was uns das übrige Leben versagt. Geld macht nicht glücklich. Arbeit macht nicht glücklich. Aber die große Liebe, sie macht glücklich!

Die große Liebe existiert als Illusion jenseits der Realität. Oh, natürlich erleben wir sie. Wir sind überwältigt von den Gefühlen, die in uns aufbrechen. Die große Liebe ist die Überzeugung, dass wir endlich angekommen sind. Ein Zustand, in dem wir tatsächlich zurückgehen und an das kleine Paradies anknüpfen wollen, das wir in unserer Kindheit bewohnen durften. Dort haben wir mit etwas Glück große Liebe erlebt. Unsere Eltern waren ganz für uns da. Sie haben unsere Bedürfnisse erfüllt, aber von uns ferngehalten, wie anstrengend wir waren, wie fordernd, wie überfordernd. Es war keine Beziehung, die auf Gegenseitigkeit beruhte. Die Eltern haben für uns gesorgt, nicht wir für sie. Auch wenn es unbewusste Prozesse gibt, in denen Kinder sehr wohl die Verantwortung für das Glück ihrer Eltern übernehmen. Aber so oder so ist es eine illusionäre Form der Liebe, von der wir unbewusst erwarten, dass wir sie mit unseren Partnern wiederfinden.

Die große Liebe ist grandios und damit narzisstisch. Aller Schmerz wird abgewehrt. Und wenn sie sich nicht erfüllen lässt, dann stimmt etwas nicht mit den Menschen, die sie zu leben versuchen. Sie selbst bleibt über jeden Zweifel erhaben. Sie kann nicht infrage gestellt werden. Ihre Gedanken sind uns selbstverständlich geworden. Ihre Sprache verwundert uns nicht mehr. Danach heißt Lieben: »sich voll und ganz einlassen«, »sich voll einbringen«, »sich bedingungslos öffnen«, »mit ganzem Herzen lieben«. Geht es bitte eine Nummer kleiner?! Weniger absolut, menschlicher, nicht so fordernd, überfordernd. Wer zweifelt, so die Botschaft der großen Liebe, ist raus. Wie bei der Show »Last One Laughing«, bei der immer die Person rausfliegt, die zuerst lacht. In der großen Liebe gilt alles oder nichts. Es geht um die vollkommene Einheit. Was im Grunde völlig narzisstisch ist. Denn der Partner wird daran gemessen, ob er meinem Glücksstreben dient, was ich daran ermesse, ob ich glücklich bin. Nur dann lohnt sich die Verbindung, nur dann ist der andere ein Teil meiner Selbstverwirklichung.

In der großen Liebe leben wir unsere Konsumgesellschaft. Wir kaufen die Stiefel, die uns am besten gefallen und die wir uns leisten können. Oder auch nicht leisten können. Wenn es um Liebespartner geht, ist das nicht anders. Dann ist auch nur die oder der Beste gut genug. Fatalerweise deckt sich das mit den Gefühlen intensiver Verliebtheit. Wir haben einwandfrei das Gefühl, dass niemand sonst auf der Welt schon einmal eine so überwältigende Liebe erlebt hat. Was wahr ist, aber bloß, weil die Welt, in der wir leben, immer nur unsere kleine Welt ist.

Mit der großen Liebe ist eine Menge unrealistischer Unsinn verknüpft. Nach dem ungeschriebenen Gesetzbuch der großen Liebe muss Liebe immer wahr und aufrichtig sein. Meine Partnerin muss mich ganz und gar lieben. Sie muss meine Fehler akzeptieren und lieben, sie muss meine Wünsche erkennen und sie mir erfüllen. Streit ist ein schlechtes Zeichen, Unvereinbarkeiten sind belastend, eine Beziehung muss ewig halten, und überhaupt ist eine gute Beziehung eine endlose Romanze.

Es gibt viele Aufgaben, die wir in einer Partnerschaft bewältigen müssen, doch die große Liebe verhält sich dabei wie die strenge Erbtante, in deren Haus wir so tun müssen, als würden auch wir für die Wiedereinführung der Monarchie sein. Wo wir uns immer wieder an Veränderungen anpassen müssen, hält sie uns das Gebot der ewigen Liebe entgegen. Wo wir unsere Nähe und Distanz miteinander ausbalancieren müssen, fordert die große Liebe seelische Verschmelzung. Wo uns unsere Geschichte prägt und unsere Familien beeinflussen, verlangt sie, dass es nur uns zwei gibt. Wo wir wichtige andere Freunde und Leidenschaften brauchen, fordert sie, dass wir alle Bedürfnisse füreinander befriedigen. Wo wir stottern, stammeln und um die richtigen Worte ringen, verlangt sie wortloses Verstehen. Wo wir Partnerschaft und leidenschaftliche Gefühle unterscheiden lernen müssen, fordert sie, unterschiedsloses Zueinander-Hingezogensein. In der ständigen Bewegung unserer Empfindungen verlangt sie das unveränderte Gefühl.

Die große Liebe ist ein Monstrum, ein falscher Guru. Denn wir verehren sie und bezweifeln sie in einem Atemzug. Das zeigt sich daran, wie wir auf andere Paare schauen. Einerseits senken wir den Daumen, wenn Partner nicht wie ein Herz und eine Seele wirken, und werfen ihnen vor, sich nur aus Angst nicht zu trennen. Aber wenn sie wie ein Herz und eine Seele wirken, vermuten wir, dass sie etwas vorspielen. Denn schließlich kann es ja gar nicht sein, dass sie hinbekommen, was realistisch nicht zu schaffen ist.

Die große Liebe sucht sich endlos zu beweisen. Wissenschaftler liefern Untersuchungen und Ergebnisse, Paartherapeutinnen Rezepte und Anleitungen. Eine Nackenmassage bringt mehr Nähe als ein Problemgespräch? Also rubbeln wir doch los! Was, heute noch nicht massiert? Kein Wunder, dass die Nähe schwindet. Die große Liebe ist immun gegenüber ihren Widersprüchen und findet immer neue Gründe, warum die Menschen an ihr scheitern. Es geht immer darum, dass etwas gelöst wird, dass alle Probleme sich in Wohlgefallen auflösen.

Als Anhänger der großen Liebe sind wir wie die Menschen, die glaubten, die Erde sei eine Scheibe. Die dachten, sie müssten irgendwann an den Rand der Welt gelangen, wenn sie nur weit genug laufen würden. Doch unter falschen Voraussetzungen gibt es keine richtigen Handlungen. Sondern Qual und Zweifel. Wer glaubt, dass er Wasser durch Umrühren zum Kochen bringen kann, wird sich ständig fragen, ob er schnell genug rührt, lange genug rührt, mit dem richtigen Löffel hantiert. Und genauso fragen wir uns ständig: Liebt sie mich? Liebe ich sie wirklich? Ist es wirklich Liebe? Fragen, an denen unsere Psyche zerbröselt. Wir haben gelernt, Verliebtheit nicht mehr mit Liebe gleichzusetzen. Aber wir haben noch nicht gelernt, dass unsere große romantische Liebe viel näher am Verlieben ist als an der Liebe. Und dass wir beide unterscheiden müssen.

Die kleine Liebe

Martha: »Wahrheit und Illusion, George. Kennst du eigentlich den Unterschied?«

George: »Nein, aber wir müssen weitermachen, als ob wir ihn kennen würden.«

Edward Albee, »Wer hat Angst vor Virginia Woolf«

Die kleine Liebe tut weh. Sie bringt Abhängigkeit, Frustration, Enttäuschung, Eifersucht und Verlustangst in unser Leben. Sie aktiviert all unsere Ängste. Schmerz und Leiden sind ein Teil von ihr und kein Grund, den Scheidungsanwalt anzurufen oder ins Grübeln zu kommen. In der kleinen Liebe wissen wir, dass eine Liebesbeziehung ohne Enttäuschung und gebrochene Herzen wie ein wunderbares Gemälde ohne jeden Schatten ist. Ohne Schatten fehlt die Tiefe.

Die kleine Liebe ist weniger Schicksal, mehr Möglichkeit. Der Starjournalist Malcolm Gladwell ist einmal der Frage nachgegangen, was eigentlich Erfolg ausmacht. Und die Antwort war: zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein. Oder: Talent zu haben und dann mehr zu üben als die anderen Talentierten. Üben scheint in Beziehungen nur beschränkt zu Erfolg zu führen. Wir kennen die unglücklichen Freundinnen, die nie über das Beziehungsüben hinauskommen. Und Zweitehen scheitern trotz Üben in der Erstehe noch häufiger. Bleiben Ort und Zeit. Da besitzen wir offenbar Talent. Wir befinden einfach, jemand sei richtig, und schon stimmen Zeit und Ort. Eine Untersuchung ergab, dass wir längst nicht so wählerisch sind, wie wir denken. Wir neigen dazu, uns schnell zu verlieben und dabei Eigenschaften der Partnerin in Kauf zu nehmen, die wir eigentlich ablehnen. Sobald wir verknallt sind, sind Herzlichkeit oder Finanzstärke gar nicht mehr wichtig, auch wenn wir das vorher behauptet haben.3 Die kleine Liebe glaubt nicht an den absolut Richtigen, weshalb sich Partner auch mal falsch anfühlen dürfen, ohne dass der Beziehungsnotstand ausgerufen wird.

Die kleine Liebe will nicht perfekt sein, aber gut genug. Wünsche sind relativ, es muss sich nicht alles erfüllen. Die Gefühle dürfen schwächeln, verschwinden, eine Zeit lang unauffindbar sein. Die Lösung liegt nicht darin, dass etwas gelöst wird, sondern wie etwas gelöst wird. Die kleine Liebe ist eine ständige, sich wiederholende Entscheidung. Und eine Heirat ist nur die Entscheidung für die ständige Entscheidung. Die kleine Liebe lebt von den kleinen Gesten und Hinwendungen, die wichtiger sind als die großen romantischen Gesten.

Die kleine Liebe ist reflektiert. Sie tut nicht so, als gebe es ein Gefühl – die romantische Liebe –, dem wir, die zivilisierten und immer kontrollierten Menschen, uns blind hingeben können. Die kleine Liebe weiß um den Einfluss, den unsere Erfahrungen aus dem Elternhaus und mit anderen Partnern haben. Sie weiß, dass sie selbst eine Vorstellung ist, und sieht die unlösbaren Widersprüche, die wir in unseren Liebesbeziehungen leben. In der kleinen Liebe gibt es keinen Druck, dass sich alles erfüllen muss, und keine Schuldgefühle, wenn es nicht geschieht.

In der kleinen Liebe geht es nicht um Schuld, es geht um Verantwortung. Wir dürfen wilde, leidenschaftliche Fantasien in Bezug auf andere haben, ohne uns deswegen schlecht zu fühlen. Wenn wir uns nicht schlecht fühlen müssen, ist es leichter, verantwortungsvoll zu handeln.

Die kleine Liebe ist wehrhaft. Sie versteht, dass wir längst das Effizienzdenken der Beratergesellschaften über unsere Beziehungen gestülpt haben und Liebe zu etwas verformen, bei dem endloses Glück mit wenig Aufwand zu haben sein soll. Dagegen stellt die kleine Liebe, dass sie mühsam ist.

Die kleine Liebe ist bescheiden und demütig. Sie vertritt die »resignative Reife«, wie der Paartherapeut Arnold Retzer es genannt hat. Die wachsende Einsicht, dass wir in einer Beziehung nicht alles haben können und dass wir aufgeben, mehr vom Partner zu fordern, als er geben kann.

Die kleine Liebe unterscheidet. In einer Welt, in der die Technologie und alle Produkte immer perfekter, immer idealer werden, idealisieren wir auch unser Gefühlsleben. »Niemals in der Geschichte haben Gesellschaften gedacht, dass eine Reihe von so hohen Erwartungen an die Ehe realistisch oder gar erstrebenswert seien«, so Stephanie Coontz. Die kleine Liebe lebt nicht von der Puzzleteile-Idee, dass zusammenfindet, was zusammenpasst. Sondern dass wir uns dafür entscheiden, zueinander zu gehören. Und durch unser gemeinsames Leben zusammenfinden.

Die kleine Liebe ist emanzipativ, weil sie, wie die israelische Soziologin und Liebesforscherin Eva Illouz schreibt, »nicht berechnende Handlungsweisen wie Verzeihen oder Selbsthingabe« lebt. In einer Kultur, in der alles einen Preis hat, in der jeder seinen Vorteil sucht, lässt die kleine Liebe das Paar zunächst wie Veganer in einem Steakhaus erscheinen, weil sie verstehen, dass es nie darum geht zu siegen. Sie verweigert die kalte Rationalität der kapitalistischen Ordnung. Aber sie folgt nicht dem Romeo-und-Julia-Mythos. Wir müssen daran nicht scheitern. Wir können von dort aus wachsen.

Die kleine Liebe weiß um die Enttäuschung und den Trauerprozess, die in einer Liebesbeziehung unumgänglich sind. Mein Partner ist nicht ideal. Und ich bin nicht ideal für meinen Partner. Nicht alles an mir wird gemocht. »Wenn du einen Menschen glücklich machen willst, dann füge nichts seinem Reichtum dazu, sondern nimm ihm einige von seinen Wünschen«, sagte Epikur. Die kleine Liebe ist Epikureerin.

Die kleine Liebe erkennt den Wert an, den ein Platz in der Welt hat. Wie der US-amerikanische Entertainer Eddie Cantor unübertrefflich sagte, besteht eine Ehe darin, Probleme zu lösen, die man alleine gar nicht hätte. Aber dafür gibt sie uns einen Platz in der Welt. Den inneren Platz, den wir nur finden, wenn ihn ein anderer Mensch uns gibt. Den Platz im Herzen, in der Psyche des anderen zu haben – das ist der Platz, den wir suchen.

Die kleine Liebe erlaubt den Kompromiss. Unsere Beziehung ist nicht nur ein einziges Liebesgefühl. Wir halten auch an ihr fest, weil uns das Leben, das wir gemeinsam geschaffen haben, so viel bedeutet. Wir dürfen auch unsere Beziehung leben, weil wir das Leben lieben, das wir uns geschaffen haben: die Familie, das Leben mit den Kindern, den Wohlstand, das Haus, den Freundeskreis, unsere Urlaube, unseren Lebensstil.

Die kleine Liebe ist nicht ausschließlich. Der Partner muss uns nicht alles erfüllen, wir brauchen wichtige andere, die mit uns diskutieren, uns trösten, berühren, pflegen, bei denen wir unsere Sorgen beklagen können.

Die kleine Liebe ist unsicher. Liebe ist ihrer Natur nach nicht sicher, auch wenn wir es uns anders wünschen. Wir müssen nicht ununterbrochen lieben.

Die kleine Liebe erfüllt sich nicht. In der kleinen Liebe ist der Weg das Ziel. Das wird oft falsch verstanden, als würde der Weg das liefern, was sonst das Ziel erbringen würde. Doch wie Iris Murdoch bemerkte: »Man kommt nirgendwo hin in einer Ehe. Sie ist kein öffentliches Verkehrsmittel.«

In der kleinen Liebe kommen Paare niemals an. Eine Auseinandersetzung ist ein Schritt, und eine Einsicht bringt uns weiter. Dennoch wird immer eine unerfüllte Sehnsucht bleiben, von der wir dachten, dass sie durch die Liebe endet. Sie ist eine spirituelle Sehnsucht, die uns verrät, dass unser Leben unvollständig ist und wir Menschen Wesen sind, die aus dem Gefüge der Welt herausgefallen sind. In der kleinen Liebe verstehen wir, dass diese Sehnsucht nicht bedeutet, dass mit unserer Beziehung etwas nicht stimmt.

Die große Liebe braucht die kleine Liebe

Ist jetzt alles Illusion? Ergibt Liebe gar keinen Sinn mehr, und sollten wir von einer Liebesbeziehung nur noch Beziehung erwarten, aber keine Liebe mehr? Lieber Abstand halten, weil es ohnehin keine Erfüllung gibt? Freundschaft plus, gemeinsame Elternschaft, aber Sex lieber mit vielen anderen als auf Gedeih und Verderb alles mit einer Person? Also, adieu Zweierbeziehung?