Liebe geht durch den Makler - Anne Tinius - E-Book

Liebe geht durch den Makler E-Book

Anne Tinius

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Beschreibung

Anna ist 32 Jahre alt, erfolgreich und völlig ratlos als ihre Jugendliebe Jonas sie und die gemeinsame Wohnung nach vielen Jahren Beziehung verlässt. Zurück lässt er nur eine Matratze, einen Kühlschrank und Annas gebrochenes Herz. In einer viel zu großen und leer geräumten Wohnung muss sie sich eingestehen, dass sie eine neue Bleibe braucht. Sie engagiert den Immobilienmakler Henrik Konrad, der ihr eine neue Wohnung in Oldenburg vermitteln soll. Der attraktive Makler verspricht Anna, rasch etwas Passendes für sie zu finden. Doch bald hofft Anna, dass er ihr nicht nur auf der Suche nach einer neuen Bleibe behilflich sein könnte…

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Seitenzahl: 239

Veröffentlichungsjahr: 2016

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Anne Tinius

Liebe gehtdurch denMakler

© 2016 Anne Tinius

Verlag: tredition GmbH, Hamburg

ISBN

Paperback:

978-3-7345-7108-4

Hardcover:

978-3-7345-7109-1

e-Book:

978-3-7345-7110-7

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Anna ist 32 Jahre alt, erfolgreich und völlig ratlos als ihre Jugendliebe Jonas sie und die gemeinsame Wohnung nach vielen Jahren Beziehung verlässt. Zurücklässt er nur eine Matratze, einen Kühlschrank und Annas gebrochenes Herz. In einer viel zu großen und leer geräumten Wohnung muss sie sich eingestehen, dass sie eine neue Bleibe braucht. Sie engagiert den Immobilienmakler Henrik Konrad, der ihr eine neue Wohnung in Oldenburg vermitteln soll. Der attraktive Makler verspricht Anna, bald etwas Passendes für sie zu finden. Doch bald hofft Anna, dass er ihr nicht nur auf der Suche nach einem Domizil behilflich sein könnte…

Über die Autorin:

Anne Tinius lebt mit ihrem Mann und Kind in der norddeutschen Großstadt Oldenburg, die auch Schauplatz dieses Romans ist. Es handelt sich hierbei um ihr Debüt. Wenn Sie mehr von Anne Tinius lesen möchten, besuchen Sie doch einmal ihre Präsenz bei Facebook.

www.facebook.com/AnneSTinius

Dort führt sie einen gern gelesenen Blog

"Annegret schreibt"

über ihr Leben als Mutter.

Um dieses Thema wird sich auch ihre nächste Veröffentlichung drehen.

Für meinen kleinen und meinen großen Mann.

Wir stürzen uns in Fluten,

wir streiten bis wir innerlich bluten.

Wir hoffen viele Jahre,

haben oft schon graue Haare.

Wir gehen und wir meiden,

wir weinen weil wir leiden.

Wir hassen und wir raufen,

bis wir in Liebeskummer ersaufen.

Wir vermissen,

obwohl wir es besser wissen,

wir haben und wir wollen,

wir sagen und wir sollen,

hetzen und verletzen,

geben und nehmen,

kommen und gehen,

liegend und im Stehen.

Ein Wink bringt uns zu Fall,

ein Lachen fort und überall.

Kein Buchstabe ist zu viel,

es gibt immer nur zu wenig,

wir fühlen nie gleich,

wir sind höchsten ähnlich.

Wir schlafen nicht mehr und essen kaum noch,

wir träumen zu sehr und verlieren unseren Kopf.

Wir machen Fehler und haben immer noch Mut,

wir lieben einander,

doch tun uns nicht gut.

Wir sagen ja und meinen nein,

wir sind mittendrin doch wollen ganz woanders sein.

Wir schreien, wimmern, wälzen uns im Bett,

verstehen nichts- doch begreifen den Zweck.

Der Liebe wegen werden wir zu Helden.

Und trotzdem vergessen wir dann und wann,

was die Liebe alles kann.

Prolog

Irgendwann im Februar…

Für das, was er sich vorgenommen hatte, erforderte es keinen besonderen Mut. Es war eher eine zwingende Konsequenz aus den vergangenen vier Jahren, die sie gemeinsam erlebt hatten. Er ging in Gedanken immer wieder seine Worte durch, spielte einzelne Situationen nach, überlegte wie sie reagieren könnte und versuchte sich eine passende Antwort parat zu legen. Er wollte unbedingt vorbereitet sein; das war sein Anspruch, so wie im Job. Er war ziemlich unaufgeregt, fokussiert und dennoch wollte er einfach nichts vermasseln. Seine Entscheidung fällte er über einen langen Prozess hinweg. Sie war klar und deutlich, genau abgewägt und völlig rational, so wie ihre Beziehung zueinander oft war. Für andere Menschen vielleicht nicht emotional genug, nicht leidenschaftlich genug und möglicherweise hatten sie sogar recht damit. Aber für ihn war es genau das, was er so sehr an ihr schätze. Rationalität, Loyalität, Zufriedenheit und ihre Art trotzdem immer die richtigen Worte zu finden. Er war immer wieder aufs Neue von ihr beeindruckt, starrte sie manchmal stundenlang an und war in ihre Augen völlig vertieft. Ihr war das meistens unangenehm, schaute verlegen zur Seite oder schubste ihn aufs Bett; küsste ihn dann um die Situation zu unterbrechen. Trotz ihrer Schönheit war sie immer noch manchmal unsicher gewesen, als wüsste sie nicht mit seiner Aufmerksamkeit umzugehen. Sie erwartete keine Rosen zum Jahrestag, rief nicht mitten in der Nacht an, wenn er mit seinen Freunden unterwegs war, zitierte ihn nicht wie einen Pudel nach Hause weil sie Sehnsucht hatte oder einfach nur ihre Schäfchen ins Trockene bringen wollte. Sie freut sich, wenn er sich amüsierte und sie zierte sich nicht, es auch zu tun. Sie nahm sich ihre Freiheiten, ging viel mit ihren Freundinnen aus und kam davon gut gelaunt und oft angetrunken zurück. Aber sie war nie unangenehm, machte selten Vorhaltungen und selbst wenn sie betrunken war, war sie beständig und einfach nur etwas redseliger als sonst. Sie redete gern, aber nicht viel. Oft saßen beide nach der Arbeit stundenlang vor dem Fernseher, waren vertieft in Serien oder irgendwelche Filme, aßen dabei Chips und tranken Bier. Wein war nichts für sie. Denn trotz ihres vielleicht spießigen Berufes, war sie alles anderes als spießig. Sie kleidete sich außerhalb des Büros immer sportlich und leger; trug Turnschuhe und manchmal sogar eine Cappy. Zuhause war ihr der Jogginganzug heilig, sie hatte mehrere davon. Er liebte es aber am Meisten, wenn sie sich in ihrem viel zu großen Chicago-Bulls-Shirt, was bis zu den Knien ging, zu ihm aufs Sofa fallen ließ; mit einer Tafel Schokolade in der Hand und einer Flasche Wein unter ihrem Arm. Dann sagte sie meist „Auch einen Schluck?“ in der sicheren Erwartung, dass er ja sagte und sie gab ihm einen Kuss. Sie schliefen oft gemeinsam auf der Couch ein, der Fernseher lief bis in die Morgenstunden noch vor sich hin, bis er sich irgendwann von allein ausschaltete. Sie war kein Püppchen und wahrlich keine Hausfrau mit Netz auf dem Kopf und in Kittelschürze; eher der niedliche Kumpeltyp. Eine Frau, die er gern bei sich hatte und die ihm nie das Gefühl gab, nicht gut genug zu sein. Da sie sich sogar täglich auf der Arbeit begegneten, hatte er zu anfangs die Befürchtung, dass es mit ihnen nicht lange anhalten könnte. Aber auch hier zeigte sich, dass es sich mit ihrer Übereinkunft, Zuhause nicht über die Arbeit zu sprechen, hervorragend regeln ließ. Diese Regel wurde penibel eingehalten. Wenn es Stress auf der Arbeit gab wurde das entweder noch im Büro an Ort und Stelle oder mit den Freunden geklärt. Andersherum besprachen beide keine privaten Dinge auf Arbeit, dies war jedoch eine unausgesprochene Regel. Keiner von Ihnen hatte das Bedürfnis ihren gemeinsamen Fernsehabend oder den Besuch der Schwiegereltern abzusprechen, wenn sie eigentlich noch im Arbeitsmodus waren.

In seltenen Momenten fragte er sich, ob ihre Art vielleicht ein Zeichen mangelnden Interesses sein könnte. Er selbst wäre wohl nie darauf gekommen, wenn nicht seine Freunde ihn immer wieder darauf gestoßen hätten. „Mal ehrlich, das ist doch nicht normal, dass es ihr total egal ist, wann du nachts nach Hause kommst.“, sagten sie ihm immer aber er wusste es eben besser. Und die Blumen. Ja, das war etwas, was keiner von ihnen verstehen konnte.Sie fragte nie nach Blumen oder Pralinen und er war sich ziemlich sicher, dass sie es nie persönlich nahm, wenn er es zum Jahrestag bei einer kurzen „ich liebe dich. Alles Gute zum Jahrestag“- SMS beließ. Sie schien frei von solchen Erwartungen und Befindlichkeiten zu sein, freute sich ihn zu sehen und machte nie den Anschein, dass ihr etwas fehlte. Die Bedenken seiner Freunde tat er immer als eine Mischung aus Neid und Engstirnigkeit ab. Ihre Beziehung ließ sich eben nicht in einen Rahmen pressen und war weniger von Leidenschaft und überquellenden Gefühlen, sondern mehr tief verbundener Freundschaft gekennzeichnet. Und einem felsenfesten Vertrauen darauf, dass man den anderen so liebt wie er ist.

Er positionierte die Vasen mit den Blumen, die er für den heutigen Abend besorgt hatte, mittig auf dem Esstisch. Trotz der Tatsache, dass sie beide eher Essen gingen als Zuhause zu kochen, wagte er sich an ein Lachsrisotto und befand, dass es gar nicht mal so schlecht schmeckte. Er legte noch zwei Basilikumblätter auf den Rand des Tellers und stellte beide Teller auf dem Esstisch ab, schob die Servietten und Weingläser wie beim Tetris noch ein bisschen hin und her, bis es für ihn ansprechend genug aussah. Heute sollte nämlich mal alles etwas anders laufen. Er trug keinen Anzug, aber eine frisch gewaschene Jeans, seinen Lieblingspullover, in dem er ihr immer am besten gefiel und hatte sich rasiert. Er war zwar pragmatisch, aber wusste durchaus einzuschätzen, dass er heute durchaus etwas dicker auftragen durfte. Einen Heiratsantrag macht man schließlich nicht mit Chipsfett an den Händen und in zerlatschten Hausschuhen. Es sollte unkompliziert, aber perfekt sein. So wie ihre Beziehung es war. Vielleicht etwas unkonventionell aber keineswegs planlos. Sie sollte in ein paar Minuten Zuhause sein und er erwartete schon das Geräusch, wie sie den Schlüssel ins Schloss steckte, noch ein paar Sekunden hektisch herum fingerte und dann zur Tür herein kam. Ihre erste Amtshandlung war immer der Gang ins Bad, meist noch ohne ihm vorher eine Begrüßung zukommen zu lassen. Nur um dort ihren Anzug auszuziehen und sich in ihre Alltagsklamotten zu schmeißen. Erst dann schlich sie sich zum ihm in die Küche oder auf die Terrasse und küsste ihn. „Was schauen wir heute?“ war dann ihre erste Frage und sie schnappte sich meist die Fernbedienung und wedelte schon mit der Decke auf dem Sofa umher. Es war eben ihr gemeinsames Ritual und sie genossen es. Er beschloss für diesen Abend ihr Ritual jedoch zu unterbrechen, alles andere hätte er als unangemessen empfunden. Gerade als er sich nochmal hinsetzte um auf sie zu warten, klingelte sein Telefon. Sie schrieb ihm eine Nachricht, dass es heute wieder etwa eine Stunde später werden würde. Sie habe noch einiges im Büro zu klären. Das durchbrach seine Pläne just und er musste sich daher schnell neu organisieren. Er ging in die Küche, schnappte sich eine Gabel, aß ein wenig von dem Risotto und nuschelte ein „schade drum“ vor sich hin während er überlegte, was er jetzt machen sollte. Er war nicht der Typ, der jetzt völlig die Fassung verlor. Er rief bei dem Italiener um die Ecke an, reservierte zwei Tische für neun Uhr und zog den Strauß weißer Rosen aus der Vase. Er warf sich die Jacke über die Schulter und lief zügig die Treppe hinunter; schnell zu seinem Auto und fuhr los. Als er am Büro ankam, sah er noch das Licht in ihrem Büro brennen und wunderte sich über das unbekannte Auto, welches noch vor der Villa parkte, in der sie ihr Büro angemietet hatten. Ihr Auto war in der Werkstatt und sie fuhr seit Tagen mit dem Bus zur Arbeit. Sie hatten selten gemeinsame Termine, weshalb sie immer ablehnte, wenn er ihr anbot, sie zur Arbeit mitzunehmen. Er ging durch den Flur, vernahm das dumpfe Geräusch ihres Sessels, wie er über den Parkettboden umher geschoben wurde. Er hörte ihr unterdrücktes Lachen und umschloss den Strauß Rosen immer fester. So kurz vor dem großen Moment spürte er doch so etwas wie eine positive Aufregung. Als er die Klinke zu ihrer Bürotür griff war er sich dennoch so sicher wie nie zuvor, dass er die richtige Entscheidung getroffen hatte und trat ein ohne vorher anzuklopfen. Es sollte in jeder Hinsicht eine Überraschung sein. Entsprechend überrascht war sie auch als er plötzlich in ihrem Büro stand, mit einem Strauß Rosen in der Hand und aufgeregt und fassungslos durch den Raum starrend, bei dem verzweifelten Versuch, die Situation einzuordnen. Sie lag auf ihrem Schreibtisch, nur noch mit ihrem Blazer bekleidet, die Beine von sich gestreckt. Ein älterer Mann kniete zwischen ihren Beinen und versuchte gerade eifrig ihren Slip nur mit seinen Zähnen herunter zu ziehen.

Er starrte verzweifelt auf den Herrn, der untenrum schon voll entblößt war und seine immer noch auf dem Rücken liegende, fast schon entspannt drein blickende Freundin. Sie drückte den Mann zur Seite, der anscheinend nur widerwillig seine Tätigkeit beendete und zog sich den Slip wieder nach oben. „Du solltest jetzt gehen“, sprach sie zu dem Mann und bewegte sich vom Schreibtisch auf ihren immer noch völlig regungslosen Freund zu. „Wir sollten das Zuhause besprechen“, sagte sie nur und er ging wortlos aus dem Zimmer ohne sie noch einmal anzusehen.

Irgendwann im September…

Sie stieg in den Bus und war mal wieder genervt, weil er bis zum Anschlag voll mit Menschen war. Kein einziger Platz war mehr frei, die Menschen standen in dem engen Gang dicht aneinander gedrängt und waren gereizt. Die Spätsommersonne drang durch die Busfenster und wärmte die ohnehin schon stickige Luft zusätzlich auf. Die Scheiben des Busses waren von innen beschlagen und es roch nach Schweiß von Menschen, die den ganzen Tag auf den Beinen waren. Sie stellte sich neben einen kleinen Schuljungen, der unsicher zu ihr hoch blickte. Sein Ranzen rammte sich bei jeder Kurve in ihren Oberschenkel und sie verlor beinahe die Fassung. Der Schuljunge schaute sie entschuldigend an und verließ kurze Zeit später den Bus bis dieser sich irgendwann wieder leerte. Vier Haltestellen später stieg sie aus und lief zu ihrer Wohnung, schlurfte müde und kaputt durchs Treppenhaus aber allmählich normalisierte sich ihr Pulsschlag wieder. Sie freute sich auf einen entspannten Abend mit ihrem Buch. Im Treppenhaus begegneten ihr zwei in blauen Latzhosen gekleidete Männer, die mehrere Umzugskartons vor sich her hievten. Sie machte bereitwillig Platz und wunderte sich, weshalb sie von einem Umzug der Nachbarn nichts mitbekommen hatte. Auf der obersten Etage angekommen, stand die Wohnungstür bereits offen und ein weiterer Herr mit blauer Latzhose werkelte an ihrem Schuhschrank herum. „EntschuldigenSie, was geht denn hier vor sich?“, fragte sie ihn aber schaute dabei nur auf ihren Freund, der gerade mit einer weiteren Umzugskiste im Flur stand und nach draußen gehen wollte. Er erschrak ein wenig, aber fasste sich schnell wieder und stellte den Umzugskarton auf den Boden. „Ich hab es dir mehrmals gesagt, Anna, ich will das alles nicht mehr.“

Sie stutzte und versuchte alles in ihren Gedanken zu ordnen. „Und jetzt ziehst du einfach aus? Haust du jetzt einfach so ab? Ist das dein Ernst?“ Sie rannte in die Wohnung, sah wie das Unheil seinen Lauf nahm. Beinahe alles war bereits abgebaut und stand zur Abholung bereit. Die Wohnung glich einer leerstehenden Ruine, überall Staub und Holzbalken, auseinander gebaute Möbel und Abdeckfolien. Offenbar war alles genau geplant und organisiert. Er machte offenbar ernst. „Ich fasse es einfach nicht. Nach all den Jahren lässt du mich jetzt hier stehen? Ohne Erklärung? und… und gehst einfach?“

Er stand im Türrahmen und zog hektisch am Klebeband herum, schnappte sich einen Stift und schrieb in Großbuchstaben „bleibt hier“ darauf. Er lief in die Küche zum Kühlschrank, dem einzigen Gegenstand, der noch an seinem alten Platz stand und klebte das Stück beschriebenen Klebestreifen darauf. „Das war deiner, wenn ich mich recht entsinne. Du hast ihn von deinen Eltern geschenkt bekommen, selbstverständlich kannst du ihn behalten.“ Dann ging er wieder in den Flur und nahm den Umzugskarton auf. Er schaute sie an,wie sie langsam in sich zusammen sank und bekam fast so etwas wie Mitleid. „Es ist besser so. Vielleicht werden wir beide glücklicher“, sprach er nochmals und lief die Treppen hinunter. Sie saß eine Weile in ihrem alten Wohnzimmer, legte ihren Kopf zwischen die Knie und wartete darauf, dass die blauen Männer endlich verschwanden. Sie hörte Jonas noch einmal unten im Hausflur wie er den Männern Anweisungen gab, aber er kam nicht nochmal nach oben. Im Schlafzimmer standen Kartons und Kleidersäcke, alles ordentlich zusammen gelegt, sortiert und gestapelt mit ihrem Hab und Gut. Er hatte das Bett mitgenommen, aber die Matratzen auf den Boden gelegt und frisch bezogen. Sie legte sich noch voll bekleidet und ohne vorher die Handtasche abzulegen auf die Matratzen, weinte noch ein bisschen und schlief dann erschöpft ein.

Kapitel 1

Irgendwann im November…

Die ständig hüftkranke Bettina hüpfte in ihrem viel zu knappen Oberteil von Tisch zu Tisch. Man hatte den Eindruck, dass sie an diesem Abend alle Register zog. Der schreiend blaue Lidschatten zu den feuerrot gefärbten Haaren, die gefühlten hundert Goldringe an den Fingern und die goldenen Armreifen an beiden Handgelenken. Sie erinnerte an diesem Abend an eine in die Jahre gekommene Bauchtänzerin mit schütterem Haar. An Tagen wie heute fühlte sich Bettina pudelwohl, denn es war die alljährliche Weihnachtsfeier der Firma, in der sie seit immerhin acht Jahren arbeitete. Dieses Jahr hatte der Chef etwas tiefer in die Tasche gegriffen als sonst; immerhin bestand die Firma nun seit zehn Jahren. Dass es erst November und eigentlich noch niemand so richtig in Weihnachtsstimmung war, wusste man geflissentlich zu ignorieren. Schließlich war das Firmenjubiläum ebenfalls ein Anlass für das Fest und der Chef war wie eine schwäbische Hausfrau stets darauf bedacht keine unnötigen Kosten zu verursachen. Weihnachtsfeiern im November. Das war doch nichts Ungewöhnliches oder? Er hatte extra für diesen Anlass ein ganzes Restaurant gemietet und sogar ein kleines Streichquartett gebucht, was die ganze Zeit im Hintergrund vor sich hin fiedelte und dem sonst etwas kirmesartigen Getümmel eine bourgeoise Note verlieh.

Mit schwingender Hüfte wanderte Bettina an den Tisch ihres Chefs und sprach ihn fröhlich an. Sein Blick verriet, dass er keine Ahnung hatte, wer sie war und als was sie in seiner Firma arbeitete. Er bat Bettina, die sich schon längst zu ihm gesetzt hatte, dennoch höflichkeitshalber an den Tisch und fragte, was sie trinken möchte. Sie antwortete mit einem burschikosen „Ach, Herr Johsten, lassen sie uns doch mal einen richtigen Schnaps trinken, nur wir beide, hä?“ und winkte den Kellner euphorisch zu sich heran. Sie bestellte zwei Obstler und sie tranken ihn später in einem Zug aus. Augenscheinlich glaubte er, damit seiner Pflicht als Chef der Mitarbeiterherzen genüge getan zu haben und wendete sich prompt wieder den Kollegen aus der internen Verwaltung zu, die das Schauspiel missmutig beäugten. Wahrscheinlich hatte der Chef gehofft, Bettina würde sich nun den anderen Kollegen widmen, doch sie saß geduldig mit über einander geschlagenen Beinen neben ihm, obwohl er sich bereits von ihr weggedreht hatte und angestrengt ein neues Gespräch führte. Sie hatte sich leicht nach vorne gebeugt, um dem Gespräch zwischen ihm und der Chefsekretärin zu lauschen. Diese grüßte sie zwar höflich, wendete den Blick jedoch sofort wieder von ihr ab als wolle sie unbedingt vermeiden, von Bettina angesprochen zu werden. Noch etwa fünf Minuten saß Bettina in dieser Haltung; dann begann es ihr jedoch langweilig zu werden. Sie entschuldigte sich beim Chef, der sie längst nicht mehr neben sich vermutete und setzte sich zu den Kollegen aus der Personalabteilung wo auch Anna saß.

Anna starrte auf die aufwendige Dekoration an den Decken, die man offensichtlich nur für diesen Abend angebracht hatte. Überall Lampen, Fähnchen und Vorhänge. Zwischendrin hingen immer wieder übergroße Plakate mit der Firmenaufschrift. Sie fragte sich zum wiederholten Male, warum sie sich schonwieder hat überreden lassen zu dieser Weihnachtsfeier zu gehen. Es war die Chefsekretärin, die sie vor einer Woche ansprach, weil sie feststellte, dass sie bisher den Unkostenbeitrag für das Catering noch nicht gezahlt hatte. Anna überlegte kurz, was sie antworten sollte. Sollte sie ihr sagen, dass ihr Freund sie vor sechs Wochen verlassen und die Wohnung leer geräumt hatte und sie deshalbwenig Lust verspürte sich mit den Speichelleckern aus der Chefetage zu unterhalten und sich deshalb nicht angemeldet hatte und aufgrund dessen logischerweise auch noch nicht bezahlt hatte? Sollte sie ihr sagen, dass es ihr hundeelend geht und sie eigentlich momentan niemanden sehen will? Sie entschuldigte sich mit einem aufgesetzten „Ach wie peinlich, das tut mir leid, wo habe ich nur manchmal meinen Kopf.“ und drückte ihr ihre letzten zwanzig Euro Bargeld in die Hand. Prima Anna, warum nicht gleich eine Wurzelbehandlung oder ein Besuch einer öffentlichen Haushaltsdebatte in Brüssel? Da dürfte der Spaßfaktor für dich etwa gleich hoch sein.

Seit fünf Minuten faltete sie die Serviette auf dem Tisch. Sie spürte ab und zu die Blicke ihrer Kollegen, die sich schon seit Wochen fragten, was mit mir los ist. Sie hatte immer wieder das Gefühl, dass sie versuchten ein Gespräch zu beginnen und sie spürte, dass die Kollegen sie allzu gern gefragt hätten, was mit ihr los ist. Die ratlosen, analytischen, ja fast schon mitleidigen Blicke, waren ihr jedoch unangenehm. Sie versuchte sich die Melancholie nicht anmerken zu lassen, doch sie konnte kein Lächeln formen, nicht mal ein klitzekleines aufgesetztes Grinsen. Ihre Mundwinkel weigerten sich beharrlich, sich auch nur einen Millimeter zu bewegen bis sie sich entschied, dass es ihr vorerst scheißegal war, welchen Eindruck sie am heutigen Tag hinterließ. Fröhlich sein war für Anfänger. Wer will schon gute Laune haben wenn man stattdessen allen Anwesenden den Abend gehörig vermiesen kann? Sie war gerade auf dem Höhepunkt ihrer Selbstbemitleidungsarie angekommen als Bettina plötzlich mit einem Kräuterschnaps in der Hand neben ihr Platz nahm. Sie schaute irritiert zu ihr und hoffte, dass Bettina ihre Abneigung sah, doch diese ignorierte ihre Blicke absichtlich und stellte ihr das Schnapsglas fordernd vor ihre verschränkten Arme. „Los, runter damit. Damit du überhaupt mal eine Miene verziehst.“, polterte Bettina los und setzte selbst zum Schluck an. Anna kniff die Augen zusammen und kippte es mit einem Zug die Kehle runter. Das Zeug schmeckt wie die Hölle, dachte sie, doch sie spürtewenigstens, dass ihre Gesichtsmuskeln sich überhaupt einmal bewegten. Bettina bestellte gleich noch zwei Gläser hinterher. Anna lehnte dankend ab, doch Bettina ignorierte das ebenfalls. Grazil wie ein Nilpferd stürzte sie auf den Kellner zu und riss ihm die Schnapsgläser aus der Hand. „Los, stell dich nicht so an. Das kann man ja nicht mit ansehen, wie du da vor dich hin leidest. Mensch. Schau mal, der Chef ist auch endlich mal da, der lässt sich sonst nie blicken. Nicht, dass du sonst als unser firmeneigener Spaßvogel bekannt wärst, aber da kannst du doch nicht so trostlos aus der Wäsche gucken.“

Damit hatte Bettina nicht ganz Unrecht. Anna war sich durchaus bewusst, dass sie keinen erheiternden Anblick bot, was sie wiederum zu der Frage verleitete, was sie eigentlich hier wollte. Sie beschloss, dass der Abend ohnehin nicht mehr schlimmer werden konnte und trank daher auch das zweite Glas mechanisch mit. Bettina schaute zufriedener aus. Ihr aufwendig hergerichtetes Dekolleté erschien direkt vor Annas Augen. „Kindchen, was ist denn los? Ist doch ein netter Abend heute. Liebeskummer?“ Anna nickte unsicher und antwortete knapp:„Vielleicht, aber das wird schon wieder.“ Mensch, das klingt ja richtig überzeugend, Anna. Bettina schien mit dieser Antwort ebenfalls nicht zufrieden zu sein und bestellte vorsorglich Nachschub. Anna trank irgendwann ohne Widerstand zu leisten. Es hätte sich eh nicht gelohnt, denn offenbar war an diesem Abend nicht nur Anna scheißegal was Andere vonihr hielten. Sie spürte langsam, dass der Alkohol seine Wirkung zeigte und gestand sich ein, dass sie sich tatsächlich über die ungewohnte Aufmerksamkeit von Bettina freute. Sie unterhielten sich eine Weile und besprachen nacheinander die jeweiligen Kleider und Frisuren der Sekretärinnen. Anna vergaß zeitweise, dass sie eigentlich traurig zu sein hatte, nach allem was in den letzten Wochen passiert war. Nach dem vierten Schnaps und der Cola, an der sie den ganzen Abend nippte, musste sie sich schließlich erleichtern. Sie entschuldigte sich und rannte hastig zwischen den Stühlen zur Toilette. Dort angekommen war sie nun zum ersten Mal an diesem Abend allein mit ihren Gedanken und fühlte sich wieder sichtlich unwohl. Wie jedes Mal, wenn sie in den letzten Tagen allein war, begann sie zu heulen. Ihr Anblick war ihr augenblicklich peinlich und sie sagte gebetsmühlenartig Reiß dich zusammen! laut vor sich hin. Als sie ans Waschbecken ging, um sich das verschmierte Augen Make-Up weg zu wischen, öffnete Bettina die Tür. „Ach hier steckst du. Mein Gott, jetzt ist aber mal gut hier, wer wird denn gleich heulen.“ Sie schaute sie an und Anna begann wieder zu weinen. „Komm Mädchen, wir gehen mal kurz raus an die frische Luft. Und wenn wir wieder drinnen sind, ist dein Kummer vergessen und wir tanzen dann mit dem Chef. Geh schon mal vor, ich komme gleich nach.“

Sie hatte sich auf eine Bank vor dem Lokal gehockt und betrachtete gedankenverloren die Laternen am Straßenrand. Sie versank mit ihrem Gesicht in den Händen als Bettina mit einer Flasche Wodka und zwei Gläsern fröhlich auf sie zu watschelte. Bei Bettinas Anblick musste sie sich ein Lächeln verkneifen. Jede Ente wäre neidisch gewesen über so einen gekonnten Watschelgang. „So Kindchen. Nun erzähl mal, was ist denn los?“, fragte Bettina forsch, dennoch verständnisvoll.

Während Anna den Wodka trank erzählte sie, wie Jonas eines Tages vor ihr stand und ihr sagte, dass er sie einfach nicht mehr liebte. Es sei nicht wegen ihr persönlich, hatte er gesagt, er glaube einfach nur, dass die Lebensplanung beider nicht konform gehe. Sie sei zu karrierefixiert und ständig nur auf Arbeit. Er könne sich nicht vorstellen, eine Familie mit mir zu gründen. Nein, sie sei nicht die Mutter seiner Kinder. Er brauche Abstand. Die Möbelnehme er mit; schließlich habe er sie ja bezahlt und Anna habe genug Geld sich eine neue Einrichtung anzuschaffen. Einen Tag später zog er aus, verließ wortlos die Wohnung und sie sah ihn nicht mehr. Seitdem schlief Anna auf einer Matratze. Dieser Umstand störte sie kaum, da sie tatsächlich viel arbeite und wirklich nur zum Schlafen nach Hause kam. Und seitdem schien die Firma umso mehr der perfekte Ort zu sein, denn überall war es schöner als Zuhause. „Du arbeitest zu viel, Kindchen, das weiß hier jeder.“, sagte Bettina sorgenvoll. „Ja ich habe schon darüber nachgedacht, meine Matratze einfach ins Büro zu legen“, entgegnete sie zynisch „aber da ist ja noch Magda.“ Bettina gestand Anna ein Lächeln zu.Magda. Die ukrainische Putzfrau, die in allem wirklich gründlich war. Sie verstand es vor allem, Anna gründlich die Laune zu vermiesen. Sie putzte nicht nur die Fenster oder saugte den Boden, Magda räumte auch den Schreibtisch auf, sodass Anna manchmal den ganzen Vormittag damit verbrachte ihre Unterlagen zu suchen und neu zu sortieren. Sie schmiss auch die ihrer Meinung nach nicht mehr benötigten Schmierblätter in den Mülleimer und versprühte einen chemischen Zitronenduft durch die Luft, bei welchem einem geruchsempfindsamen Menschen auch mal speiübel wurde. „Riecht gutt, seeehr gutt. Machen frische Luft, machen weg Rauch in Kopf“, pflegte Magda immer zu sagen und fuchtelte dabei wild mit ihren behandschuhten Händen umher als wolle sie den Zitronenduft im Raum verteilen. An manchen Tagen wünschte sich Anna dieser Magda ein lebenslanges Karpaltunnel-Syndrom Besonders die Sache mit den weggeworfenen Stichpunkten für die Rede des Chefs zum 10.Jubiläum der Firma nahm sie ihr immer noch sehr übel.

Während der Wodka langsam seine Wirkung zeigte, hatte sich Anna regelrecht in Rage geredet. Sie nannte Jonas Arschloch und rücksichtslosen Egoisten und wischte sich zwischendurch immer wieder die Tränen aus dem Gesicht. Dann irgendwann wurde sie kleinlaut „Wie kann er mir das nur antun? Am liebsten würde ich ihn anrufen und sagen, was für ein Arschloch er ist. Man kann doch über alles reden oder nicht?“ und schaute fragend zu Bettina. Bettina hörte ihr die ganze Zeitaufmerksam zu während sie sich mit dem Blick einer erfahrenen und schon oftmals verlassenen Frau den Wodka einflößte. „Warum tust du das nicht einfach?“ und nippte an ihrem Wodka.„Ich meine was hast du zu verlieren? Weg ist er ja schon und wenn es dir hilft, deinen Frust abzubauen solltest du es unbedingt tun, Kindchen.“, fügte sie schnell hinzu. Daraufhin nahm Anna einen kräftigen Schluck und wählte zittrig Jonas’ Nummer. Am anderen Ende hörte sie nur seine vertraute Stimme: „Hey Anna, es ist elf Uhr. Was ist los? Kann ich dir helfen? Ist was passiert?“ Sie überlegte kurz ihre Worte. Im Hintergrund hörte sie plötzlich eine unbekannte Frauenstimme, die ihm genervt „Was will die denn jetzt? Hast du es ihr immer noch nicht gesagt?“ zurief. Anna schwieg eine Weile und versuchte die Informationen zu verarbeiten. „Hallo? Anna?“, tönte es wieder von anderen Ende. Wie Schuppen fiel es Anna plötzlich von den Augen und die gesamte Wut und Aggression der letzten Wochen bündelte sich in dieser einen Sekunde. Sie fluchte prompt ins Telefon: „Du…du feiges Arschloch, du mieser Betrüger. Wie lang geht das denn schon? Wie konntest du mir das nur antun? Du bist echt das Allerletzte, weißt du das? “

Am anderen Ende wurde es schlagartig still. „Hey Anna, beruhige dich. Was ist denn nur mit dir los? Geht’s noch? Ich wollte es dir ja sagen, aber…“. Sie schrie durch das Telefon: „Klar geht’s noch. Bei mir geht alles. Ich will dich nie, nie wieder sehen! Ach ja und viel Spaß mit deinem neuenFlittchen.“