Liebe, gut gekühlt - Linda Große - E-Book

Liebe, gut gekühlt E-Book

Linda Große

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Beschreibung

Zwei ahnungslose Männer und drei abenteuerlustige Frauen. Kann das etwa gut ausgehen? Die brave Cora verschwindet spurlos und taucht danach mit einer Amnesie wieder auf. Wirklich? Oder ist das lediglich ein Vorwand dafür, nicht mehr brav zu sein? Jeanne hat nach sieben Jahren Ehe mit dem Künstler Max Rahn genug davon, das nette Anhängsel zu sein und taucht einfach ab. Die hochintelligente Jurastudentin Tanja hat alles, was sich andere Frauen wünschen und will mehr, viel mehr. Der verlassene Ehemann Max Rahn beauftragt den abgehalfterten Privatdetektiv Theo Emmerich damit, seine geliebte Jeanne zu finden. Theo nimmt nach einem Hinweis von Tanja die Spur des russischen Weltenbummlers Greg auf. Die Ermittlungen führen ihn bis auf die griechische Insel Korfu, wo er Jeanne wirklich findet. Ein scheinbar einfacher und lukrativer Fall. Doch die folgenden Ereignisse wirbeln sein Weltbild total durcheinander. Wird der unverbesserliche Romantiker Theo es schaffen, das Knäuel zu entwirren? Oder ist er auf weibliche Unterstützung angewiesen?

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Linda Große

Liebe, gut gekühlt

 

 

 

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Kapitel 40

Kapitel 41

Kapitel 42

Kapitel 43

Kapitel 44

Kapitel 45

Impressum neobooks

Kapitel 1

DER PLAN

Was ist der Plan? Action!

Action for me. Action for my life!

ACTION

Was für eine Art von Action? Geld? Geld ist langweilig. Der Job ist langweilig. Menschen? Menschen sind langweilig. Stinklangweilig!

Na gut, nicht alle. Nicht alle Menschen sind langweilig. Was also ist der Plan?

TOD DER LANGEWEILE

Ja, das ist es. Wie tötet man die Langeweile? Womit? Karriere und Geld, das hatten wir schon, damit ganz sicher nicht. Beides schafft Langeweile.

Was dann????

Kapitel 2

Schlagartig verschwand das kleine rote Männchen von ihrer Netzhaut. Dafür erschien ein grünes, mit weit ausgreifendem Schritt. Obwohl sie den Wechsel nicht bewusst wahrnahm, holte er sie doch aus ihrer Paralyse. Sie stand direkt an der Bordsteinkante. Ihr Blick senkte sich langsam und fixierte nachdenklich ihre rechte Sandalette. Ein Riemchen war abgerissen und ihre Zehen schoben sich über die Ledersohle hinweg auf das Pflaster.

Ärgerlich hob sie das Bein an, presste den Absatz gegen die linke Fußspitze bis ihr rechter Fuß in die Sandale zurückrutschte. Zufrieden stellte sie beide Füße wieder nebeneinander.

Die Sonne verbreitete trotz der frühen Uhrzeit angenehme Wärme und versprach einen schönen Tag. Sie blickte über die große Kreuzung. Nirgendwo ein Fußgänger in Sicht. Dafür breite Ströme von Fahrzeugen. Die von der Sonne erzeugten Reflexe auf den Windschutzscheiben bohrten das Licht mit glänzenden Nadeln in ihre Augen.

Erst jetzt fiel ihr auf, dass die Fahrzeuge standen. Irgendjemand spielte ungeduldig mit dem Gaspedal. Wie auf einen Startschuss hin fuhren die Wagen gemeinsam an und rollten mit zunehmender Geschwindigkeit über den Zebrastreifen.

Das rote Männchen erschien erneut auf ihrer Netzhaut.

Sie seufzte auf, trat von einem Bein aufs andere und prompt rutschten ihre Zehen in der beschädigten Sandalette wieder nach vorn. Ungeduldig wiederholte sie die Prozedur und schob den Fuß erneut zurück.

Es schien unendlich lange zu dauern bis die Fußgängerampel auf grün sprang und dieses Mal überquerte sie die breite Kreuzung zügig, das rechte Bein etwas hinter sich herziehend.

Auch auf dieser Seite war kein Mensch zu sehen, jedenfalls keiner der sich wie sie zu Fuß die Straße entlang bewegte.

Knapp einhundert Meter nach der Kreuzung zweigte eine Nebenstraße ab. Sie bog rechts ein und registrierte aus den Augenwinkeln heraus die Leuchtziffern an einer Sparkassenfiliale. Im stetigen Wechsel zeigten sie Temperatur und Uhrzeit an: 9.15 Uhr, 21°C. Ein Seitenblick durch die breite Glastür zeigte einen Raum mit den typischen Automaten. Auch hier kein menschliches Wesen.

Aufkeimende Nervosität beschleunigte ihren Schritt, den kaputten Schuh über den Bürgersteig schleifend. Sie war unendlich müde und wollte sich nur noch ausruhen.

Da, endlich der Hauseingang mit dem Zahnarztschild auf der rechten Seite. Erleichtert stieß sie die Tür auf und erblickte den Eingang zur Praxis. In der Anmeldung saß eine Frau mit graumeliertem Kurzhaarschnitt am Computer. Ihre Finger glitten über die Tastatur, während ihre Augen auf den Bildschirm gerichtet waren. Die Frau ließ sich durch ihr Erscheinen nicht von der Arbeit ablenken.

Erschöpft lehnte sie sich gegen die Theke aus Wurzelholz, stützte ihren rechten Unterarm auf und fühlte, wie ihr die Beine langsam wegsackten. In diesem Moment gab die Frau ein routiniertes “guten Morgen“ von sich, während sie endlich vom Bildschirm hochschaute.

„Cora, meine Güte, Cora!“

Die Stimme der Frau überschlug sich fast, während Cora aus ihrem Blickfeld verschwand und auf den Boden rutschte. Der Aufschrei drang unüberhörbar bis in das Wartezimmer sowie die angrenzenden Behandlungsräume.

Bis auf einen Mann in mittleren Jahren war das Wartezimmer leer. Er blickte leicht verärgert über die Störung von seiner Illustrierten hoch und sah durch die offene Tür zwei lange, wohlgeformte Beine auf dem Teppich liegen. Verblüfft beugte er sich vor um besser sehen zu können.

Eine ziemlich ramponiert wirkende junge Frau mit schulterlangem blonden Haar saß auf dem Teppichboden während ihr Oberkörper im Zeitlupentempo zur Seite rutschte. Der Mann unterdrückte den Impuls aufzuspringen, denn der Aufschrei alarmierte das gesamte Praxispersonal. Nur der Bohrer im benachbarten Behandlungsraum surrte unbeeindruckt vor sich hin.

Zwei Arzthelferinnen hockten jetzt auf dem Boden. Eine hielt den Kopf der zusammengebrochenen Frau und jammerte laut: „Cora, Cora, sag doch was!“

„Sie ist ohnmächtig“, meinte die grauhaarige Frau, während sie an Coras Rocksaum herumzupfte.

„Was ist los? Was machen sie da, Frau Friedrichs?“, fragte der Zahnarzt, der unvermittelt die Behandlung seines Patienten eingestellt hatte.

„Sie hat keinen Slip an, ist nackt unter dem Kleid“, erklärte Frau Friedrichs verlegen und zupfte erneut am Rocksaum des bunt bedruckten Minis, der nur knapp den Po der Frau bedeckte.

Der Arzt bückte sich, suchte den Puls am Handgelenk und zog mit der anderen Hand die Augenlieder hoch.

„Sie ist nicht ohnmächtig“, konstatierte er. „Wir sollten einen Krankenwagen rufen. Sie hat einen großen blauen Fleck am Oberarm.“

„Cora, was ist mit ihnen passiert?“

Der Arzt schaute seine Sprechstundenhilfe an, doch Frau Friedrichs machte in ungewohnter Weise keinen Vorschlag. Jetzt warf er einen Blick durch die Tür zum Patienten, der immer noch auf dem Behandlungsstuhl lag und ergeben auf seine Füllung wartete.

„Rufen sie Dr. Emmerich an, er soll kurz runterkommen!“

Gehorsam griff Frau Friedrichs über die Theke hinweg zum Telefon und wählte die Nummer des Arztes, der seine Praxis in der 2. Etage über ihnen hatte. Es dauerte eine Weile bis jemand ans Telefon ging. Scheinbar hatten sie oben schon Hochbetrieb. Frau Friedrichs erklärte die Lage, doch ihre Kollegin am anderen Ende der Leitung hielt die ganze Angelegenheit wohl nicht für einen dringenden Notfall.

„Wir sollen ihr die Beine hochlegen“, wiederholte Frau Friedrichs die telefonische Anweisung und schaute ihren Chef ratlos an. Der stemmte sich mit einer Behändigkeit hoch, die man ihm bei seiner Figur nicht zugetraut hätte, nahm ihr den Hörer aus der Hand und bellte verärgert hinein:

„Dr. Kretschmer am Apparat. Schicken sie sofort Dr. Emmerich! Wir haben einen Notfall!“

Ohne eine Gegenreaktion abzuwarten, schmiss er den Hörer auf den Apparat zurück. Er ging erneut in die Hocke. Sein Bauchansatz im weißen T-Shirt quoll über die viel zu enge weiße Jeans. Er spürte, wie der Hosenbund in seinen Magen schnitt und fluchte unterdrückt vor sich hin.

„Halten sie ihr den Rock fest, wir wollen sie auf den Rücken legen“, wies er Frau Friedrichs an. Doch in diesem Moment erschien schon der Internist aus der 2. Etage mit seinem Notfallköfferchen. Mit einer Hand am Reißverschluss seiner Jeans stemmte der Zahnarzt sich hoch, überließ seine ramponierte, drei Wochen spurlos verschwunden gewesene Arzthelferin erleichtert dem Kollegen und kehrte zu seinem Patienten zurück.

Der Internist wirkte gestresst und ungeduldig. Er reagierte mit Erleichterung, als die blonde Frau ihre Augen aufschlug.

„Wo bin ich?“, fragte sie.

Ihre Freundin Sabrina beugte sich über sie.

„Du bist in der Praxis, Cora. Wo warst du die ganze Zeit? Was ist passiert?“

Die Frau schaute sie an mit einem Gesichtsausdruck, als habe sie ihre Freundin noch nie gesehen.

„Welche Praxis?“, fragte sie.

Der Internist hatte inzwischen seine kurze Untersuchung abgeschlossen und wies Frau Friedrichs an sofort den Krankenwagen zu rufen.

„Auf jeden Fall Gehirnerschütterung“, diagnostizierte er, „aber da ist auch noch irgendetwas anderes.“

Kapitel 3

Theo Emmerich musterte sein schlaftrunkenes Spiegelbild. Der schmale rechteckige Spiegel hing hochkant über dem Ausguss in der Küche. Das zerkratzte, vergilbte Porzellanbecken hatte, seiner schmuddeligen Patina zum Trotz, im Laufe der Jahre nichts von seiner Stabilität eingebüßt. Nach wie vor hielt es Theos Körpergewicht mühelos. Seine Hände umschlossen den wulstigen Rand der Spüle während er sein Gewicht nach vorne verlagerte, um die Spuren der letzten Wochen genauer zu erforschen. Spätestens mit Fünfzig hat jeder das Gesicht, das er verdient. Er war vor kurzem sechsundfünfzig geworden und doch sah man ihm die regelmäßigen Aufenthalte in seiner Lieblingskneipe normalerweise wirklich nicht an. Was wohl auch Rosis hervorragender, zwölf Jahre währender fürsorglicher Pflege zu verdanken war. Er vermisste sie und ihre beträchtliche Witwenrente schmerzlich.

Die Unzufriedenheit mit seinem morgendlichen Aussehen machte ihn wach, obwohl er sich lieber wieder in seinem Bett verkrochen hätte, das direkt neben der Spüle stand, gegenüber dem schmalen Küchentisch aus Weichholz mit den gedrechselten Beinen. Die letzten Wochen hatten enorme, stark sichtbare Spuren hinterlassen. Sichtbar und fühlbar. Seine Knochen schmerzten, er fühlte sich steif und ungelenk. Sein müder Körper kapitulierte und ließ ihn auf die durchgelegene Matratze zurück sinken. Das Bett ächzte und knarrte aufdringlich unter seinem Gewicht, stimulierte sein Gehirn, seine erlahmte Willenskraft.

„Verdammt, du lässt dich hängen“, hörte er sich laut sagen. „Das muss aufhören!“

Rosi hatte ihn vollkommen unerwartet vor die Tür gesetzt. Nach zwölf komfortablen Jahren musste er ihre hochherrschaftliche 5-Zimmerwohnung in der Charlottenburger Schlossstraße verlassen. Als nicht mehr geliebter, plötzlich verschmähter Versager! Dabei war seine finanzielle Situation auch schon zu der Zeit nicht besonders rosig gewesen, als Rosi wie ein wärmender Sonnenstrahl in sein verlebtes Dasein einfiel. Vierundvierzig Jahre alt war er damals gewesen und hatte die Einkünfte seiner guten Zeiten mit stetig wechselnden Freundinnen verprasst.

Als Rosi ihm über den Weg gelaufen war, konnte er sich nur noch seine Einzimmerwohnung im Hinterhof eines verwohnten Altbaus mit schmutzig dunkelgrauer Fassade leisten. Das Wohnzimmer diente als Büro. Außer Aktenschränken, einem Ikearegal, Schreibtisch, Bürostuhl und zwei Besuchersesselchen (Chippendale vom Sperrmüll), enthielt es noch ein uraltes Sofa mit nostalgischem Charme sowie einen wuchtigen Kühlschrank in distanziertem Edelstahlglanz, erworben in besseren Zeiten, der aus Platzgründen im Büro prangte. Die Küche diente als Schlaf- und Esszimmer. Die winzige Speisekammer fungierte als Kleiderschrank.

Mit fünfundzwanzig Jahren hatte er das eher armselige Ambiente noch als originell empfunden, obwohl es damals den imposanten Kühlschrank natürlich noch nicht gab. Vielleicht, weil er damals seiner ersten Freundin eine hübsche Wohnung mit Balkon finanzieren konnte.

Tja, die fetten Jahre waren unwiederbringlich dahin gewesen, als ihm Rosi über den Weg lief. Ihre pralle Mütterlichkeit war Balsam pur für seine, von der verfrüht beginnenden Midlifecrisis verwundeten Seele gewesen. Irgendwie ahnte er, dass die Zeit für einen Privatschnüffler seiner Art abgelaufen war. Aus Rosis weitläufigem Bekanntenkreis waren dann noch vereinzelte Aufträge gekommen, die zumindest die Miete für sein Büro garantierten. Bis sich gar nichts mehr tat.

Eine Zeitlang fütterte sie ihn noch durch, nahm 3o kg zu, verlor völlig das Interesse an Sex und erkannte schließlich an ihren Kontoauszügen, dass es für einen Theo Emmerich keinerlei Existenzberechtigung mehr gab in ihrem Witwendasein!

Ach, vergiss Rosi, dachte er.

Er musste was tun. Sein Dispokredit war ausgeschöpft und dieses beschämende Austragen von Werbeblättchen reichte nicht zum Überleben, obwohl er sich zum ersten Mal in seinem Leben Blutblasen an den Füßen eingehandelt hatte. So viel konnte man von den Dingern gar nicht verteilen damit es zum existieren oder besser, dahinvegetieren reichte!

Er musste was tun! Er musste endlich was tun!

Sein Schlafanzugoberteil fiel auf das zerwühlte Bett. Die Hose ließ er einfach auf den Fußboden rutschen während er den Bauch einzog und einen Blick in den kleinen Spiegel warf. Er reckte sich und stellte sich auf die Zehenspitzen um einen Blick auf seine Leibesmitte werfen zu können. 6 oder 7 Kilo weniger und er hätte wieder eine ganz passable Figur für sein Alter. Rosis Kochkünste hatten ihm nicht so zugesetzt wie ihr selbst.

Sechs oder sieben Kilo, das müsste doch wirklich zu schaffen sein. Die Welle der Entschlossenheit trieb ihn unter die Dusche. Eingehüllt in den schwülen Duft eines stark parfümierten Duschgels rieb er seinen Körper ab bis sein Kreislauf auf Hochtouren lief.

Er würde es schaffen!!!

Der Typ aus Aachen, dem die Frau abhanden gekommen war im Dschungel der Großstadt, hatte sich nicht mehr bei ihm gemeldet. Wahrscheinlich war sie inzwischen reumütig wieder aufgetaucht. Sonst hätte er bestimmt erneut von ihm gehört. Irgendwo musste seine Visitenkarte noch herumliegen. Mit dem Handtuch um die Hüften tappte er barfuß in sein Büro. Eine aufgeschlagene, alte Zeitung verdeckte die Fläche des Schreibtischs und lenkte ihn für einen Moment ab. Warum lag sie da noch? Was war so interessant gewesen? Er überflog beide Seiten, konnte aber nichts entdecken, was seine Aufmerksamkeit erregte. Automatisch faltete er sie ordentlich zusammen und sah darunter die einsame, farbige Plastikkarte. Max Rahn, freischaffender Künstler, Aachen.

Er kanalisierte seine neu gewonnene Entschlossenheit in die Absicht hinein, einen voraussichtlich zwecklosen Telefonanruf zu tätigen.

Doch das Glück war ihm gewogen!

Max Rahn höchstpersönlich am Telefon. Und seine junge Frau war inzwischen auch noch nicht aufgetaucht. Die Polizei tappte nach wie vor im Dunkeln. Was konnte da ein Privatdetektiv erreichen?

Theo mobilisierte seine ganze Überzeugungskraft um den Auftrag zu bekommen. Doch das Glück meinte, es habe für heute wohl genug getan. Der Künstler ließ sich nicht einmal überreden als er ihm anbot, ohne Vorschusszahlung an die Arbeit zu gehen.

Theo beendete frustriert das Gespräch und schielte nach der Cognacflasche im Bücherregal. Viel war nicht mehr drin. Eher ein kläglicher Rest, zu wenig für eine kleine Aufmunterung. Verdrossen rieb er mit der Handfläche über seine Bartstoppeln. Das kratzende Geräusch unterdrückte die aufkommende Woge von Selbstmitleid.

Künstler! Künstler hatten nie Geld. Wusste doch jeder. Der Typ konnte sich wahrscheinlich gar keinen Privatdetektiv leisten. Deswegen die Abfuhr. Na klar. Das war der Grund. Keinen Vorschuss, und noch weniger eine Erfolgsprämie. Aber die Kleine hatte doch Eltern. Wenn er sich richtig erinnerte, war sie kaum halb so alt wie ihr Mann. Vierundzwanzig Jahre. Also waren ihre Eltern wahrscheinlich so um die Fünfzig. Irgendwo lagen doch noch ein paar Notizen herum, die er sich gemacht hatte. Während er nach seinem, in letzter Zeit so selten gebrauchten Block suchte, fielen ihm einige Dinge wieder ein. Die Kleine stammte aus den Niederlanden, aber ihre Eltern führten einen Campingplatz in der Provence. Die hatten bestimmt Geld. Wenn er ihr Mädchen auftrieb, würden sie garantiert was springen lassen. Welche Eltern täten das nicht!

Der Notizblock lag aufgeschlagen in einer Schublade des Schreibtischs. Sein Blick fiel auf den Eintrag Hotel Haus & Hof. Origineller Name, passend zum Ambiente. Ein schmaler Altbau mit überdachtem Garten im Hinterhof, wo die Gäste ihr Frühstück einnehmen konnten. Klein aber fein. Als Max Rahn das Zimmer gebucht hatte, war er wohl gerade nicht klamm gewesen.

Okay, dachte Theo Emmerich. Rasieren, anziehen und auf zum Hotel. Ermitteln, Herr Privatdetektiv!

Kapitel 4

Urania klatschte den Hefeteig auf das Holzbrett und presste ihre Handballen mit der vollen Wucht ihrer aufgestauten Wut hinein, so als wolle sie jedem einzelnen der kleinen emsigen Sprosspilze die Luft abwürgen.

Sie hasste diesen Greg. Sie hatte ihn von Anfang an gehasst. Glaubte er wirklich, er könne eine alte Frau wie sie mit seinem schmierigen ‚ich bin ein netter großer Junge Charme‘ beeindrucken? Lachhaft! Ihre Finger krallten sich um den Teigklumpen, während ihre Handflächen die Gare herauspressten und sich klebrige Fäden an ihrer Haut festsetzten. Automatisch griff sie zu dem Blechkanister mit Mehl, stäubte den flachgekneteten Teig ein und begann die unerbittliche Prozedur erneut von vorne.

Seit seinem Anruf war gerade eine Stunde vergangen. Sie verfluchte dieses Telefon. Der schrille Ton der neuen Anlage, ganzer Stolz ihres Ehemannes Stavros, schnitt jedes Mal wie eine Säge in ihr gereiztes Nervenkostüm. Und ausgerechnet heute. Sie liebte diese Tage, an denen Stavros gemeinsam mit Christos zum Einkauf in die Stadt fuhr. Heute war sie gleich nach seiner Abfahrt in den Garten gegangen, um mit einer kleinen Hacke den Boden um ihre Paprikapflanzen aufzulockern. Sie bewunderte die kleinen weißen Blüten, die wie Sternchen im dunklen Grün der Blätter leuchteten. Die ersten winzigen Früchte hingen bereits vereinzelt in den gut gepflegten und sehr geliebten Pflanzen. Behutsam war sie mit den Fingerspitzen über jede einzelne kleine Schote geglitten um die leuchtendglänzende smaragdfarbene Glätte der Oberfläche zu spüren.

Bis dieses verfluchte Telefon ihre morgendliche, andächtige Ruhe zerstört hatte! Greg, diese eingebildete Nervensäge! Erneut brachte die aufklatschende Hefekugel das Holzbrett zum Erzittern, während Urania halblaut vor sich hinzeterte.

Hündin Sophie mit den graumelierten Lefzen schlich unauffällig durch die Tür nach draußen und ließ sich nach zwei Drehungen um die eigene Achse auf ihren Lieblingsplatz unter dem Feigenbaum nieder. Ihre Augen aufmerksam auf die Küchentür gerichtet, während das aufgebrachte Gemurmel ihrer Herrin in ihre steil aufgerichteten Ohren strömte. Sie wartete geduldig in dieser Position, bis der Wortschwall verebbte, erst dann ließ sie den Kopf auf die Vorderpfoten sinken und schloss die Augen.

Es war ein Tag wie Samt und Seide. So wie vor zwei Jahren, als diese Yacht auftauchte und draußen vor der Bucht die Anker fallen ließ. Nichts Außergewöhnliches eigentlich. Bis die Geräusche eines heftigen Gelages in der Nacht ungebremst über die Fläche des stillen Meeres in die Häuser der Dorfbewohner schlitterten. Laute Touristen waren wahrlich nichts neues, aber das brach alle Rekorde. Urania hatte die ganze Nacht kein Auge zugetan. Stavros, der Glückliche übertönte mit seinem üblichen, lauten Schnarchen gnädiger Weise jede nächtliche Ruhestörung in seinen eigenen Ohren. Sogar diese!

Irgendwann nach Sonnenaufgang war der Lärm abgeflaut und sie hatte wenigstens noch etwas schlafen können. Auf der Yacht blieb es mucksmäuschenstill. Den ganzen wunderschönen Tag lang. Bis am Nachmittag das Beiboot vollbesetzt an den Strand tuckerte und eine, schon wieder sehr ausgelassene Menge ausspuckte. Einige wagten sich in das, um diese Jahreszeit noch recht kalte Wasser und tobten ausgiebig herum. Die meisten jedoch wanderten zielstrebig zur Bar von Christos. Seine Espressomaschine lief fast heiß an diesem Tag, während die Russen ihre angewärmten Gedärme anschließend prompt mit Strömen von Ouzo und Metaxa kühlten.

Christos machte an diesem Tag das Geschäft seines Lebens und fuhr gleich am nächsten Morgen mit Stavros in die Stadt um seine Regale mit einer neuen Batterie Alkoholika jeder Art aufzufüllen. Er mochte die Russen. Selbst die zerschlagenen Gläser minderten seine Sympathie kaum. Nur seine Frau war nicht glücklich darüber, am nächsten Tag all die Scherben aus dem Sand fischen zu müssen.

Das Gejohle der Yachtbewohner nahm mit sinkendem Sonnenstand sehr schnell wieder unerträgliche Dimensionen an. Die Handvoll Engländer, die es um diese Jahreszeit hierher verschlagen hatte, versuchte mit stoischer Gelassenheit die Präsenz dieser, in ihren Augen neureichen Proleten zu ignorieren. Doch dieses Mal kapitulierten sogar sie sehr schnell, packten die Badeutensilien zusammen, schwangen sich auf ihre gemieteten Motorroller und fuhren zurück zu den Quartieren.

Zur Freude aller, mit Ausnahme von Christos, legte die Yacht am nächsten Tag um die Mittagszeit ab. Nur einer blieb zurück. Greg. Er mietete sich in Christos Bar ein, in einem winzigen Verschlag mit Bett, das während der Hochsaison einer Aushilfe als Unterkunft diente. Und schon in der nächsten Nacht schloss Stavros mit ihm das Geschäft für die Nutzung des verfallenden Häuschens ab, das Uranias Großeltern bewohnt hatten.

„Männer!“ Wutschnaubend landete der Teigklumpen erneut mit klatschendem Geräusch auf der Unterlage.

Sophie schreckte hoch und stimmte ein verhaltenes Geheul an. Urania hörte es nicht. Männer! Eine gemeinsam durchsoffene Nacht und schon waren sie die dicksten Freunde!

Der Ärger über ihren Untermieter, wie sie Greg insgeheim nannte, wollte einfach nicht abebben. Mittlerweile färbte sich ihr Gesicht puterrot; Stavros würde bei diesem Anblick einen Herzinfarkt befürchten, aber Stavros war nicht da. Heute war er mit Christos nach Igoumenitsa gefahren, das taten sie immer einmal im Monat. Sie fuhr schon lange nicht mehr mit, die Stadt war ihr zu laut, zu unruhig. Selbst die wöchentlichen Einkäufe in Korfu-Stadt erledigte Stavros in der Regel alleine. Ab und zu hatte Greg ihn schon begleitet, nachdem er einmal mit seinem Motorrad eingesprungen war, als ihr Auto in die Werkstatt musste. Er suchte offenkundig Familienanschluss! Dabei hatte er doch Familie in Russland. Das Foto war ihr nach wie vor gut in Erinnerung. Er hatte es ihnen wohl als vertrauensbildende Maßnahme präsentiert, bevor er mit Stavros per Handschlag den Mietvertrag besiegelte (Eingeweiht wurde er mit russischem Wodka von Greg, Moussaka von ihr, wozu ihr Mann sie mit Nachdruck überreden musste, sowie Rotwein in Strömen).

Obwohl Urania der Begriff Körpersprache fremd war, blieb dieses irritierende Familienfoto in ihrem Gedächtnis haften: Greg hockte zwischen seinen beiden Söhnen, die Arme um ihre Schultern gelegt, ein jungenhaftes Lachen enthüllte seine strahlendweißen Filmstar-Zähne, während die Jungen sehr selbstbewusst in die Kamera schauten (Den Begriff cool kannte Urania ebenfalls nicht). Aber seine Frau zeigte nur ihr abgewandtes Profil, der Körper neigte sich zum Bildrand, so als wolle sie aus dem Foto herausfallen. Es verwunderte sie also nicht, dass er seine Frau in den zwei Jahren noch niemals mit hierher gebracht hatte. Aber seine Söhne auch nicht, obwohl er sie regelmäßig besuchte.

Er konnte gut mit Jungen umgehen, das musste sie widerwillig anerkennen. Während der Sommerferien ihres Enkels hatte Greg ihn mehrmals auf seinem eigenartig aussehenden Motorrad mitgenommen. Leider hatte er Stavros um Erlaubnis dafür gefragt!

Und nun brachte er das erste Mal nach zwei Jahren jemanden mit, eine Frau, eher ein Mädchen, jedenfalls nicht seine Ehefrau!

Urania klatschte die zerteilten, runden Teigklumpen auf die vorbereiteten Backbleche und bedeckte sie mit den Küchentüchern. Dann hob sie einen Zipfel ihrer Schürze hoch und rieb sich über ihr erhitztes, feuchtes Gesicht. Mit einem erleichterten Aufseufzen stellte sie den Küchenwecker und nahm ihn mit hinaus auf die Veranda. Sophie verließ ihren Platz unter dem Feigenbaum und trottete freudig zu ihrer Herrin, die sich schweratmend in ihren Liegestuhl sinken ließ.

„Ich bin fast fertig“, sagte sie zu der Hündin und tätschelte den Kopf des Tieres. „Hätte er nicht Brot auf die lange Einkaufsliste schreiben können, die er Stavros mitgegeben hat?“

Kapitel 5

Den linken Fuß auf der durchgetretenen Kupplung, spielte der rechte mit dem Gaspedal seines Porsches. Ben genoss diesen satten Sound ebenso wie das erschreckte Zusammenzucken der Fußgänger. Seine Welt glich einer Scheibe und sie war wieder voll in Ordnung! Nicht das sie jemals wirklich in Unordnung geraten wäre. Oh, nein! Nicht wirklich. Nachdem Cora vor ein paar Wochen so abrupt ihre Beziehung beendete, war er sich ganz sicher gewesen, sie würde zu ihm zurückkommen. Reumütig zurückkehren! Zu fabulous, exciting Ben! Ihre Amnesie steigerte sein wahrscheinlich hauptsächlich horizontal ausgerichtetes Selbstbewusstsein ins Unendliche. Zum zweiten Mal hatte sich Cora in ihn verliebt! Das war die gelungenste Quadratur des Kreises überhaupt, die vollendete Drehung um 360°, der verdiente Neuanfang. Seine Fantasie vollführte übermütige Purzelbäume auf der endlos weiten Ebene seiner so übersichtlichen Weltanschauung. Jedenfalls hatte Sabrina ihn von Anfang an nicht leiden können, und jetzt würde sie ihn am liebsten auf den Mond schießen!

Er pfiff leise vor sich hin, California dreamings, obwohl der CD-Player gerade Pat Benaters Love is a battlefield spielte. Sabrina entging seine gute Laune nicht, obwohl sie in Gedanken heftig mit Cora schmollte. Sie rutschte noch etwas tiefer in den Beifahrersitz, so als könne sie dadurch dem musikalischen Wirrwarr ausweichen, um in Ruhe wegen des Verhaltens ihrer Freundin grübeln zu können. Sie verstand das einfach nicht. Wie hatte Cora, als Ben völlig unerwartet im Krankenhaus auftauchte, bloß so heftig mit ihm flirten können? Dabei konnte sie sich an ihn genauso wenig erinnern wie an sie, ihre beste Freundin seit Jahren, Sabrina Sommer. Amnesie, meinten die Ärzte. Aber erstaunlicherweise hatte die flirtende Cora plötzlich sehr lebendig gewirkt, sehr gesund. Aber angeblich blieben erworbene Reflexe auch bei einer Amnesie erhalten. Cora würde demnach sogar ihren Beruf als Zahnarzthelferin weiter ausüben können.

Ben lenkte den Wagen geschickt in eine Parklücke, griff mit der Hand über Sabrina hinweg und öffnete die Beifahrertür.

„Katze füttern“, forderte er sie auf.

Gehorsam kletterte Sabrina aus dem tiefliegenden Porsche und kramte in ihrer Handtasche nach Coras Hausschlüssel. Zu ihrem Erstaunen stieg Ben ebenfalls aus. Offensichtlich wollte er mit in die Wohnung. Das war ihr ziemlich unangenehm, schließlich hatte ihre Freundin vor der Amnesie Schluss mit ihm gemacht. Zu Recht, wie Sabrina fand. Sie hatte Coras Abneigung gegen Ben voll verinnerlicht. Und nun das! Sie verstand die Welt nicht mehr. Schließlich war die Beziehung zwischen beiden sehr schnell wieder zu Ende gewesen, eigentlich schon bevor sie richtig begann. Cora empfand Ben bereits nach kurzer Zeit als Langeweiler schlechthin. Während ihrer Dates klebte er ständig mit einem Ohr an seinem Handy um belangloses Zeug mit irgendjemand auszutauschen. Vergeblich versuchte Cora ihm das abzugewöhnen. Doch ihr endgültiger Ausflipp kam, als sein Vater ihm den neuesten Porsche spendierte. Er holte sie stolz damit ab, führte sie in ein teures Restaurant aus, extra zur Feier des Tages und baute dann seinen Laptop auf zwischen Champagnergläsern und Porzellangedeck, nur um das Modell, das draußen vor der Tür parkte, auf den Bildschirm zu holen. Das hatte damals dann das endgültige Aus für Ben bedeutet. Und nun das.

Unschlüssig spielte Sabrina mit dem Schlüsselbund. Ben stand bereits vor der Haustür, ungeduldig mit den Füßen auf und ab wippend.

„Hey Mädel, mach schon! Ich habe nicht den ganzen Abend Zeit!“

Er nannte sie konsequent nur Mädel, konnte sich ihren Namen einfach nicht merken. Oder wollte nicht. Arrogantes Bürschchen.

Mit zusammengebissenen Zähnen schloss Sabrina die Tür auf. Im Fahrstuhl standen sie schweigend nebeneinander bis Ben wieder mit California dreaming anfing. Allerdings pfiff er diesmal ganz altmodisch vor sich hin, froh und ziemlich falsch. Seine Vorliebe für Oldies war der einzige Bruch in Bens, auf Hochglanz gestylten Persönlichkeit. Für Sabrina lediglich der minimale Resthauch einer menschlicher Aura.

Tiffanys Mauzen ertönte bereits beim Aufschließen der Tür. Die rotgetigerte Katze strich so eng um Sabrinas Beine herum, dass sie sich nach ihr bückte und sie auf den Arm nahm. Dann marschierte sie schnurstracks in die Küche, ohne sich um Bens Anwesenheit zu kümmern. War schließlich Coras Problem, nicht ihres! Während sie die Dose mit dem Katzenfutter öffnete, hörte sie Ben im Wohnzimmer kramen und plötzlich erklang Musik. Fühlt sich schon wie zu Hause, dachte sie. Kein Benehmen, der Typ.

Morgen würde Cora aus dem Krankenhaus entlassen werden. Abholen würde Ben sie mit seinem silberfarbenen Porsche. Also konnte sie sich etwas anderes vornehmen. Dabei hatte sie sich extra den Vormittag dafür frei genommen. Aber Cora war geradezu begeistert auf Bens Angebot eingegangen. Wer hatte ihm bloß verraten, dass sie im Krankenhaus lag? Sogar von ihrer Amnesie hatte er gewusst.

„Brauchst du noch lange?“, hörte sie plötzlich seine Stimme hinter sich.

Erschrocken zuckte sie zusammen. Eigentlich wollte sie noch einiges tun, Pflanzen gießen, Katzenklo säubern.

„Na, was ist? Bist du taub?“, hakte Ben ungeduldig nach.

„Ja, wir können los.“

Sabrina war von ihrer eigenen Antwort überrascht, spürte Trotz in sich aufsteigen. Sollte ihre Freundin doch sehen, wie sie klar kam. Seit Wochen kümmerte sie sich um die Katze und nicht einmal ein Danke schön für ihre ganze Mühe. Im Gegenteil, plötzlich war sie abgeschrieben.

„Wo wohnst du eigentlich?“, wollte Ben von ihr wissen, als er den Porsche startete.

„Tempelhof, Manfred von Richthofen Straße.“

„Das ist ja am anderen Ende der Welt“, meinte Ben. „Ich lass dich an der nächsten U-Bahn Station raus. Will noch ins Fitness Studio.“

„Die nächste ist gleich da vorne. Ich hoffe, das ist nicht zu weit für deinen Silberpfeil, sonst laufe ich hin“, erwiderte Sabrina mit ungebremsten Sarkasmus.

„Auch gut.“ Sarkasmus rutschte an seinem polierten Edelstahlego ab, als wäre er Butter in der Sonne. Wie schon vorhin griff er über sie hinweg und öffnete die Beifahrertür. „Hopp, hopp Mädel.“

Sie stand kaum auf dem Bürgersteig, da jaulte schon der Motor auf und Bens schicker Porsche schoss davon.

Soviel zum besten Freund meiner besten Freundin, dachte Sabrina resigniert. Was bin ich doch für eine wahrhaft blöde, wahrhaft gutmütige dumme Kuh!

Kapitel 6

Schwarzfahren, während seiner Studentenzeit war das ein Sport gewesen, verbunden mit einer linksliberalen Abneigung gegen das Establishment. Zu mehr Abneigung war er, im Gegensatz zu anderen Kommilitonen nicht fähig und nicht willens gewesen. Jetzt war es zu einer bloßen Überlebensstrategie mutiert. Und es war schwieriger geworden. Die Kontrolleure waren mittlerweile nur noch für das geübte Auge erkennbar, wenn überhaupt. BVG-Leute undercover.

Froh, wieder nicht erwischt worden zu sein, näherte sich Theo dem Hotel auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Vor einem Schaufenster blieb er stehen, musterte die Auslage ohne sie wirklich wahrzunehmen, wandte sich dann langsam auf dem Absatz um und musterte das mehrfarbige, nostalgisch wirkende Schild über dem Eingang. Haus & Hof in Schreibschrift, darunter in Druckbuchstaben Hotel & Bistro.

Er überquerte die Straße. Die Eingangstür stand auf, daneben hing eine schwarze Tafel. Mit weißer Kreide in schwungvoller Schrift stand die Mitteilung, dass der Biergarten geöffnet sei. Schmerzhaft wurde sich Theo seines leeren Portemonnaies erneut bewusst. Er versuchte den Gedanken zu verdrängen indem er sich auf seinen selbst erteilten Auftrag konzentrierte. Zielstrebig näherte er sich dem Empfang, hinter dem eine aparte junge Frau stand. Sie lächelte ihm freundlich entgegen, was bei Theo die typische Kette von Gesten in Gang setzte, die für attraktive Frauen reserviert war. Er straffte seine Haltung, zog unbewusst den Bauch ein und fuhr mit einer lässigen Handbewegung durch seine graumelierte Lockenmähne, wobei er den Kopf leicht nach hinten warf. Seine Haare waren im Nacken kurz geschnitten, doch die Vorderpartie war so lang, das sie fast bis ans Kinn reichte. Als er den Tresen erreichte, nickte er der Schönen mit einem einnehmenden Lächeln zu, wobei eine breite Haarsträhne nach vorne rutschte, was er beabsichtigt hatte. Erneut strich er sie mit einer wohlgeformten Hand zurück. Die Frauen liebten seine Hände.

Er ließ ihr Zeit, ihn zu begutachten, während er eine Visitenkarte aus seiner Brieftasche, einem edlen Lederstück aus besseren Zeiten, zog und sie ihr mit einem freundlichen „Guten Tag“ überreichte. Sie warf lediglich einen kurzen Blick darauf, behielt sie aber in der Hand, was ein gutes Zeichen war.

Eine Mondfrau, dachte er. Dunkel und geheimnisvoll. Sein gesamtes vergangenes Leben war bevölkert gewesen von diesem Typus Frau. Brünett, mit einer starken erotischen Ausstrahlung. Für solche wie sie hatte er sein Geld mit vollen Händen ausgegeben. Nein, er bereute es nicht. Das Bedauern in seiner Seele rührte vielmehr von seinem Alter her. Er war zu alt für dieses Weib, viel zu alt. Und vor allem viel zu arm. Er würde sie zu gerne zum Essen einladen. Einfach so, ohne übertriebene Erwartungen. Es würde schön sein, sich mit ihr zu unterhalten, das wusste er.

„Was kann ich für sie tun, Herr Emmerich?“, eröffnete sie leicht amüsiert die Konversation.

Er erklärte den Grund seiner Nachforschungen. Natürlich erinnerte sie sich an die verschwundene junge Frau aus Aachen.

„Sie ist aber nicht aus unserem Hotel verschwunden“, korrigierte sie ihn. „Sie hat ganz normal ausgecheckt.“

„Verzeihen sie einem alten Herrn“, entschuldigte er sich, mit seinem Alter kokettierend. Zu seiner Freude ging sie auf das Spiel ein.

„Wenn sie ein alter Herr sind, bin ich eine Frau in mittleren Jahren!“

Sie flirtete tatsächlich mit ihm. Wenn er doch bloß Geld hätte, um sie zum Essen einzuladen. Sollte er dafür seine Prinzipien aufgeben und zum ersten Mal seinen Bruder anpumpen, den ehrenwerten Dr. Emmerich? Oder doch lieber wieder Frau Krygier? In der Regel ließ die sich das Geld nicht zurückgeben, sondern in Form von kleinen Dienstleistungen, meistens handwerklicher Art, abarbeiten. Doch um diese Klassefrau auszuführen benötigte er mindestens einen Hunderter, und um solch eine Summe hatte er seine Nachbarin bisher noch nie angepumpt.

„Ich kann ihnen leider gar nichts dazu sagen. Ich arbeite hier nur ab und an als Aushilfe. Ich habe diese vermisste Frau gar nicht zu Gesicht bekommen.“

„Oh, sie sind sicher die Hoteldirektorin“, mutmaßte er und ärgerte sich schon, als es noch nicht ganz ausgesprochen war. Viel zu plumpes Kompliment für so ein Rasseweib. Er versuchte, die fatale Wirkung durch ein kurzes Auflachen abzumildern. Doch sie zierte sich kein bisschen.

„Ich habe ganz andere Ziele, studiere an der TU. Ich werde mal den Nobelpreis bekommen.“

Soviel unverkrampfte, jugendlich naive und überzeugte Zielstrebigkeit schwemmte bei Theo die letzten Hemmungen fort.

„Ich würde sie gerne zum Essen einladen.“

„Warum gerade mich? Ich kann ihnen doch bei ihren Ermittlungen nicht weiter helfen!“, entgegnete sie mit kühler Logik.

Theo suchte blitzschnell nach einem überzeugenden Argument. Logik war schließlich sein ureigenstes Spezialfach!

„Die verschwundene Frau ist 24 Jahre alt, seit 6 Jahren mit einem Künstler verheiratet, der Mitte Vierzig ist. Ich denke, Sie sind etwa im gleichen Alter wie diese Frau. Weshalb ist sie verschwunden? Entführt, verschleppt, gar ermordet? Oder hat sie einfach ihren Gatten sitzen gelassen? Darüber würde ich liebend gern mit ihnen ein wenig philosophieren. Vielleicht hilft mir das irgendwie weiter. Die Polizei hat jedenfalls bis jetzt nichts herausgefunden. Ich brauche irgendeinen Ansatzpunkt. Inspiration wäre da nicht schlecht.“

Sie dachte einen Moment darüber nach, dann lachte sie ein kleines, amüsiertes Lachen: „Einen Privatdetektiv inspirieren. Sowas erlebt man wirklich nicht jeden Tag. Okay. Aber heute geht nicht. Wie wäre es mit morgen Abend?“

Nachdem sie einen Treffpunkt ausgemacht hatten, ging Theo hoch erfreut davon. Wieder einmal war er für die, von seiner rumänischen Mutter ererbte Begeisterungsfähigkeit dankbar. Trotzdem überraschte ihn die Wirkung heute: Das bei solch einer Traumfrau, die doch seine Tochter sein könnte. Nun musste er nur noch seine Nachbarin davon überzeugen, ihm einen Hunderter zu leihen. Oder sollte er doch seinen kleinen Bruder bitten? Angeboten hatte der ihm das schon mehrfach. Ach, verfluchter Stolz, dachte er. Ich werde Victor anpumpen. Und nicht bloß um einen Hunderter, mindestens zwei!

Theos Tatendrang wuchsen Flügel durch das Date mit Tanja. Ach was Flügel, Schwingen! Die Schwingen eines Adlers. „Sagen Sie ruhig Tanja zu mir, alle nennen mich hier Tanja.“ Tanja und Theo, Theo und Tanja. Morgen würde er mit ihr essen gehen. Das Blatt wendete sich, seine Pechsträhne versickerte, blieb in der Zeit stecken. Wurde festgehalten von der Vergangenheit!

Im Treppenhaus hing der schwere Geruch von gekochtem Basmatireis. Erinnerte Theo irgendwie an Schweißfußsocken, denn er mochte keinen Reis. Er war ein ausgesprochener Kartoffelfreak: Pommes, Pellkartoffeln, Stampfkartoffeln, Kartoffelgratins aller Art, Bechamelkartoffeln, nur keine Salzkartoffeln. Sein beflügeltes Gehirn setzte die Visionen prompt um, trotz Reisgeruch schoss ihm das Wasser in den Mund.

Aber erst der unangenehme Teil. Victor anrufen. Es war kurz nach Halbdrei. Da war die Praxis noch geschlossen. Also Handynummer wählen.

Victor freute sich richtig über den Anruf.

„Du treulose Tomate! Wann kommst du mal wieder? Wie wär’s heute Abend? Marianne ist mit ihrer Gymgruppe unterwegs. Haben wir sturmfreie Bude. Ich koch uns was Feines!“

„Nicht schlecht. Aber eigentlich rufe ich an, weil ich dringend Geld brauche. Arbeite gerade an einem Fall, aber ohne Vorschuss…..“

„Wie viel brauchst du?“, unterbrach Viktor ihn.

„Zwei Hunderter mindestens“, erklärte er, ermutigt durch die positive Reaktion seines Bruders.

„Kein Problem. Heute Abend, 20°° Uhr bei mir. Bring Zeit mit! Nach dem Essen können wir meinen neuen Whisky verkosten.“

„Neu? Nicht mehr Glenfiddich?“

„Seit ich in einem Roman gelesen habe, dass Glenfiddich für den wahren Whiskykenner nur Spülwasser ist, bin ich umgestiegen. Allerdings konnte ich mich bisher nicht für eine Sorte entscheiden, entweder Bruichladdich oder Glenlivet.“

„Spülwasser, das darf doch nicht wahr sein! Sag mal, haben die Leute von Glenfiddich denn nicht den Verlag verklagt, der sowas druckt?“

„Keine Ahnung“, lachte Victor, „aber ich habe noch eine angebrochene Flasche, kannst du gerne haben! Auf jeden Fall brauchen wir eine gute Grundlage, also bring Hunger mit!“

Noch eine Verabredung zum Essen, nicht schlecht. Victor kochte sehr lecker, so wie Mama, viel Butter und Sahne. Deswegen ließ Marianne ihn so ungern an den Kochtopf. Sie hatte mal gesagt, Victor suche vergebens nach einem Ernährungsratgeber, der Fritten mit Majo sowie Schokolade für gesund erklärt. Und das als Facharzt für Inneres. Metabolismus oder ‘Metabeulismus‘, das war die entscheidende Frage. Trotz Geldmangel neige ich im Moment mehr zum ‘Metabeulismus‘, dachte Theo und schaute an sich hinunter. Sein Bauch wölbte sich unübersehbar nach außen, trotzdem knurrte sein Magen jetzt vernehmlich. Automatisch öffnete er die Kühlschranktür, obwohl er wusste, was ihn erwarten würde: gähnende Leere.

Aber im Küchenschrank musste es noch Tütensuppen geben, die Notration. Einen Kanten Brot gab es auch noch im Steintopf, in dem er sein Brot aufbewahrte. Damit würde er bis heute Abend durchhalten können.

Während die Suppe köchelte, kramte er unter seinem Bett nach den Hanteln. Eingesponnen in einer, von Staubfäden durchzogenen, grauen Schicht, wirkten sie wie die Requisiten eines Horrorfilms. Er hielt sie unter den laufenden Wasserhahn, trocknete sie dann sorgfältig mit seinem Frotteehandtuch ab und begann mit Armbeugen für den Bizeps.

Die Suppe machte ihn erst richtig hungrig. Da half nur noch Ablenkung. Er schob den leeren Teller von sich, sprang auf und flüchtete vor dem Essensgeruch ins Büro. Automatisch drückte er auf den Knopf für den Anrufbeantworter. Überraschend erklang die Stimme einer unbekannten Anruferin. Eine Frau Müller-Schlomkat bat dringend um Rückruf.