Liebe in  letzter Minute - Isabell Rohde - E-Book

Liebe in letzter Minute E-Book

Isabell Rohde

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Beschreibung

Die Familie ist ein Hort der Liebe, Geborgenheit und Zärtlichkeit. Wir alle sehnen uns nach diesem Flucht- und Orientierungspunkt, der unsere persönliche Welt zusammenhält und schön macht. Das wichtigste Bindeglied der Familie ist Mami. In diesen herzenswarmen Romanen wird davon mit meisterhafter Einfühlung erzählt. Die Romanreihe Mami setzt einen unerschütterlichen Wert der Liebe, begeistert die Menschen und lässt sie in unruhigen Zeiten Mut und Hoffnung schöpfen. Kinderglück und Elternfreuden sind durch nichts auf der Welt zu ersetzen. Genau davon kündet Mami. Das Hotel Brioni Palace galt als eines der schönsten im weiten Umkreis. Es lag weit von einem Bergmassiv auf einer Anhöhe, sodass die Sonne viele Stunden auf die von frischem Schnee bedeckten Abhänge schien. Ski-Läufer, die schwierigere Pisten bevorzugten, hatten es nicht weit zu den Liftstationen, und die weniger geübten Urlauber begnügten sich mit den Abfahrten direkt vorm Haus. Oder sie fanden sich vor der Eis-Bar ein, um dort morgens in Liegestühlen die Sonne zu genießen. Jetzt im Frühling, während im Tal schon Märzenbecher und Primeln blühten, herrschte im Brioni Palace Hochsaison. Alle Zimmer waren belegt, und wie jedes Jahr galt das Hotel als Treffpunkt wohlhabender oder prominenter Zeitgenossen, die sich von der gesunden Luft, dem strahlenden Wetter und dem hervorragenden Service verwöhnen ließen. Oben im vierten Stock, wo die Räume nicht ganz so luxuriös eingerichtet waren, befanden sich die Geschäftsräume. Claus Jansen, der Hotelchef, konnte von hier aus das bunte Treiben seiner Gäste im Schnee beobachten. Seit einigen Minuten stand er am Fenster, hatte die Hände in seinen Hosentaschen verborgen und zog dabei ein Gesicht wie sieben Tage Regenwetter. Das fröhliche Getümmel da unten schien auf seine Stimmung zu drücken. Claus Jansen fürchtete nämlich, einen riesigen Fehler begannen zu haben. Mit seinen knapp vierzig Jahren war er beruflich ein absolutes Ass. Aber wenn es ums Private ging, kam er nicht immer mit dem Leben zurecht. Und wenn sich auch noch Privates mit Beruflichem verhakte, kam es schon vor, dass er in eine Falle tappte. Nun war es so weit. Er saß tief in der Falle. So tief, dass er nur noch hoffte, seine Schwester Ilona könne ihm da heraushelfen. Es klopfte kurz, und bevor er antworten konnte, trat Ilona Becker ein. Sie war älter als er, vor einigen Jahren Witwe geworden und als ihre Kinder erwachsen wurden, wieder in ihren Beruf als Erzieherin zurückgekehrt. Bis Claus eines Tages auf die Idee kam, dem Brioni Palace ein Kinderhotel, das Brioni Junior, anzugliedern und ihr die Leitung des kleinen, aber feinen Betriebs anzuvertrauen.

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Seitenzahl: 132

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Mami – 2112 –

Liebe in letzter Minute

Ulli entdeckt ihr Herz für Kinder

Isabell Rohde

Das Hotel Brioni Palace galt als eines der schönsten im weiten Umkreis. Es lag weit von einem Bergmassiv auf einer Anhöhe, sodass die Sonne viele Stunden auf die von frischem Schnee bedeckten Abhänge schien. Ski-Läufer, die schwierigere Pisten bevorzugten, hatten es nicht weit zu den Liftstationen, und die weniger geübten Urlauber begnügten sich mit den Abfahrten direkt vorm Haus. Oder sie fanden sich vor der Eis-Bar ein, um dort morgens in Liegestühlen die Sonne zu genießen.

Jetzt im Frühling, während im Tal schon Märzenbecher und Primeln blühten, herrschte im Brioni Palace Hochsaison. Alle Zimmer waren belegt, und wie jedes Jahr galt das Hotel als Treffpunkt wohlhabender oder prominenter Zeitgenossen, die sich von der gesunden Luft, dem strahlenden Wetter und dem hervorragenden Service verwöhnen ließen.

Oben im vierten Stock, wo die Räume nicht ganz so luxuriös eingerichtet waren, befanden sich die Geschäftsräume. Claus Jansen, der Hotelchef, konnte von hier aus das bunte Treiben seiner Gäste im Schnee beobachten. Seit einigen Minuten stand er am Fenster, hatte die Hände in seinen Hosentaschen verborgen und zog dabei ein Gesicht wie sieben Tage Regenwetter. Das fröhliche Getümmel da unten schien auf seine Stimmung zu drücken.

Claus Jansen fürchtete nämlich, einen riesigen Fehler begannen zu haben. Mit seinen knapp vierzig Jahren war er beruflich ein absolutes Ass. Aber wenn es ums Private ging, kam er nicht immer mit dem Leben zurecht. Und wenn sich auch noch Privates mit Beruflichem verhakte, kam es schon vor, dass er in eine Falle tappte.

Nun war es so weit. Er saß tief in der Falle. So tief, dass er nur noch hoffte, seine Schwester Ilona könne ihm da heraushelfen.

Es klopfte kurz, und bevor er antworten konnte, trat Ilona Becker ein. Sie war älter als er, vor einigen Jahren Witwe geworden und als ihre Kinder erwachsen wurden, wieder in ihren Beruf als Erzieherin zurückgekehrt. Bis Claus eines Tages auf die Idee kam, dem Brioni Palace ein Kinderhotel, das Brioni Junior, anzugliedern und ihr die Leitung des kleinen, aber feinen Betriebs anzuvertrauen.

Das Brioni Junior befand sich in einem Seitentrakt des Hauptgebäudes, nahm nie mehr als zehn kleine Gäste zwischen zwei und zwölf auf und wurde schnell zu einem Bombenerfolg.

»Na endlich, Ilona«, mäkelte er sie an. »Ich habe vor zehn Minuten um deinen Besuch gebeten. Sonst bist du doch nicht so langsam!«

Ilona war eine patente Person von fast fünfzig. Ihr üppiges dunkles Haar durchzogen schon einige graue Strähnen, aber aus ihrem breiten, immer freundlichen Gesicht lachten die dunklen Augen jung und munter hervor. Jetzt blitzten die ihn vorwurfsvoll an.

»Du hast Nerven, Claus! Wenn einer meiner kleinen Gäste mich braucht, denkt er doch nicht an dich! Und Leon van Hoven ist so liebebedürftig. Ständig tappst er hinter mir oder einer der Mitarbeiterinnen her und ruft ›Küsschen, Küsschen!‹ So ein süßes Kerlchen kann man nicht abschieben wie einen Gegenstand.« Sie seufzte. »Ich frage mich jetzt schon, wie es wird, wenn er merkt, dass seine Mutter abgereist ist. Sie meinte ja, wenn sie von ihm Abschied nimmt, macht sie ihm und sich das Herz nur schwer.«

»Hm!«, machte Claus. »Denise van Hoven kehrt doch schon in einigen Tagen zu uns zurück.«

»Das hoffe ich. Sie wollte ja nur mit ihrem Bruder an einem Motorbootrennen an der Riviera teilnehmen. Hoffentlich plant sie danach nicht noch einen Strandurlaub ein. Sie kann den kleinen Leon nicht wochenlang allein bei uns zurücklassen! Er ist gerade mal drei.«

»Für einen Strandurlaub ist es an der Riviera noch zu kühl.« Claus gab sich kurz angebunden, und sein Blick wich ihrem aus. »Das ist bedauerlich!«, spottete er grimmig. »Aber ich bin froh, dass ihr Bruder, dieser Ronaldo Verani, endlich mit ihr verschwunden ist.«

»Aber Claus! Das Ehepaar van Hoven und ihre Verwandten, die Veranis, sind seit Jahren unsere Stammgäste!«

»Hm.« Sein Gesicht verschloss sich. Ilona hätte nun gern gewusst, was er von ihr wollte. Während sie darauf wartete, stellte sie mal wieder fest, dass ein Hoteldirektor es nicht immer leicht hatte.

Sie schmunzelte. »Musste ich meine kleinen Lieblinge etwa nur verlassen, um mir deine Bemerkung über die van Hovens und die Veranis anzuhören?«

Claus Jansen hatte hellbraunes Haar, das an den Schläfen auch schon von einzelnen ergrauten Härchen durchzogen war. Sein Gesicht wirkte dagegen noch recht jugendlich, weil es meist sonnengebräunt war, sodass seine blauen, von einem dichten dunklen Wimpernkranz umrandeten Augen eine starke Wirkung auf das weibliche Geschlecht ausübten.

Aber er gab nicht viel auf sein gutes Aussehen. Als weltgewandter Chef des Hotels setzte er sein Erscheinungsbild und seinen Charme gern ein, aber im privaten Kreis zeigte er sich schüchtern und zurückhaltend. Dann benahm er sich fast wie ein Außerirdischer, der einfach nicht wusste, wie er mit Frauen umgehen sollte, die etwas anderes als den perfekten Hotelservice von ihm erwarteten. Damit hatte Ilona ihn schon häufiger aufgezogen.

»Ich brauche deine Hilfe, Ilona. Es geht um Ulrike Dargast.«

»Sooo? Um deine neue, so hinreißend tüchtige Assistentin!«

»Sie ist …, nun ja, attraktiv und sehr tüchtig. Aber leider auch über-eifrig.«

»Das hast du doch erwartet?! Wolltest du ihr nicht den gesamten Bereich Verwaltung Fitness und Sportlehrer anvertrauen?«

»Ja, ja. Das klappte ja auch gut. Nur … Übereifer beweist sie leider nur beim Flirten!«, schnaufte er. »Das kann ich nicht länger dulden. Unser Haus hat einen hervorragenden Ruf. Wenn jemand vom gehobenen Personal sich einbildet, hier den Mann fürs Leben einfangen zu können, schadet das unserem Renommee.«

»Ach! So eine ist das!«, staunte Ilona scheinheilig und setzte sich auf die Lehne eines Sessels. »Dabei warst du doch so begeistert von ihr! Fünf Sprachen, beste Referenzen, gehobener Stil im Auftreten und Äußeren, dazu ausreichend internationale Erfahrung … Was hast du denn noch an ihr auszusetzen?«

»Nur ihr Verhalten unseren männlichen Gästen gegenüber. Am liebs-ten würde ich sie gleich rausschmeißen. Aber ihr Einstellungsvertrag schließt das kurzzeitige Beenden des Arbeitsverhältnisses leider aus!«, grummelte er, zog die Hände aus den Hosentaschen und lehnte sich gegen seinen Schreibtisch. Nun sah er ihr auch endlich offen in die Augen. »Darum musst du sie drüben im Junior übernehmen. In Organisation und Buchführung ist sie ja perfekt! Du wirst sie schon brauchen können.«

»Du willst sie loswerden? Die charmante, bildhübsche und so tüchtige Ulrike Dargast?! Na hör mal! Wer hat denn gerade vor einigen Tagen eine Ski-Tour mit ihr unternommen, angeblich, um ihr die Umgebung zu zeigen?«

»Das tat ich, damit sie die Pisten kennen lernt, um unsere Skilehrer einweisen und unsere Gäste beraten zu können!« Richtig trotzig sah er aus, weil sich seine Stirn in Sorgenfalten legte.

»So, so! Und die idyllische Hütte unten am Bärwald musste sie wohl auch bis weit nach Mitternacht kennen lernen? Dort sind unsere Gäste und die Skilehrer kaum anzutreffen.«

Wie ein ertappter Spitzbub stampfte er leicht mit dem Fuß auf.

Ilonas Brauen hoben sich. »Warum gibst du nicht zu, dass du dich in sie verliebt hast? So eine Leidenschaft, die wie ein Blitz einschlägt, kann eben gefährlich werden!« Sie lachte lautlos. »Ausgerechnet du, der sonst so schüchtern ist und es sich damit schon bei den tollsten Frauen verdorben hat?! Also, Claus, sei ehrlich! Was ist los?«

Sein Telefon klingelte. Er musste sich kurz einem beruflichen Problem widmen. Und das tat er wie immer – konzentriert, professionell und überzeugend.

»Mehr als einige Küsse waren es an jenem Abend nicht!«, gestand er danach schweren Herzens. »Ich sehe keinen Anlass, dir oder mir etwas vorzumachen. Ja, Ulli und ich sind uns sehr nahe gekommen.« Mit langen Schritten ging er wieder zum Fenster zurück. »Umso unverständlicher war ihr Verhalten in den letzten Tagen. Erst hat sie sich dem

Bruder von Frau van Hoven … diesem … diesem Playboy Verani nahezu an den Hals geworfen. Und dann … Lothar Schönherr, ein Politiker und dreißig Jahre älter als sie! Der war ja ganz aus dem Häuschen!«

»Das nennt man bei älteren Herren den dritten Frühling, Claus. Bei dir ist noch nicht mal der erste ausgebrochen!«

»Nenn es, wie du willst. Ich möchte sie rauswerfen, kann sie aber nicht entlassen. Also übernimmst du sie?«

Wie ein schuldbewusster Junge schaute er sie an. Er, Claus Jansen, der das beste und erfolgreichste Luxushotel weit und breit leitete und in der Branche als Musterbeispiel für erfolgreiches Hotel-Management galt, saß wirklich in der Klemme.

Ilona stieß die Luft aus. Was sollte sie mit der attraktiven Ulrike Dargast, die ein höheres Gehalt als ihre Angestellten bezog, anfangen? Wobei sollte die sich in ihrem Hotel nützlich machen? Im Brioni Junior ging es hauptsächlich darum, den Kindern ein Gefühl der Geborgenheit zu vermitteln, damit deren Eltern ihren Nachwuchs in bester Obhut wussten und sich auf den Pisten, abends an der Bar oder beim Tanzen unbesorgt und ungestört amüsieren konnten.

»Sie ist auffallend attraktiv, Claus. Und viel eleganter als meine Betreuerinnen und das Küchenpersonal. Womit soll ich sie denn beschäftigen?«

»Sie kann mit den Kleinen im Schnee herumtollen. Oder Bilder mit ihnen malen oder Kasperle spielen. Sie singt auch ganz nett.«

Ilona warf einen Blick an die Decke. »… und küssen kann sie auch gut, nicht wahr?«

»Dazu findet sie drüben im Brioni Junior ja kaum Gelegenheit!«, knirschte er gereizt.

Ilona glitt von der Sessellehne. Lächelnd trat sie auf ihn zu und strich ihm flüchtig über die Wange. »Vielleicht doch? Der kleine Leon wird bestimmt traurig sein, wenn er merkt, dass seine Mami abgereist ist. Dann braucht er jemanden zum Schmusen. Wenn du meinst, Ulrike kann schmusen, ist sie bei mir richtig!«

Das fand er gar nicht lustig. »Lass ihr nicht das Geringste durchgehen, Ilona! Sonst finde ich doch noch einen Grund, sie hinauszusetzen.«

»Das glaube ich dir nicht. Du willst sie doch gar nicht loswerden. Du willst ihr nur beweisen, wer hier der Boss ist! Und warum? Weil sie dir verdammt gut gefällt.« Sie zog zum Spaß an seiner Krawatte. »Aber du hast es ihr nicht eingestanden, oder? Einige Küsschen besagen ja nicht viel. Vielleicht hat sie sich mehr erhofft. So etwas wie ein heißes Liebesgeständnis, einen Heiratsantrag …!«

»Unsinn! Jede intelligente Frau weiß doch, dass ein Mann wie ich sich nicht innerhalb von Tagen zur Ehe entschließt!«

»Das sagst du seit zehn Jahren, mein lieber Bruder!« Sie hauchte ihm ein Küsschen auf die Wange und eilte aus seinem Chefzimmer.

Denn nachmittags, wenn ihre kleinen Schützlinge sich im Freien aufhielten, hielt sie sich lieber in ihrer Nähe auf.

Ilona erreichte ihr Kinderhotel, ohne einen Fuß außerhalb des Hauses zu setzen. Nach einem langen Gang im obersten Geschoss an den Personalzimmern vorbei stieg sie in den Lift nach unten. Dann ging es hinter den Salons entlang, einige Stufen wieder hinauf und schließlich über eine Treppe in den Trakt ihres Reichs.

Hier war alles hell und schlicht, aber mit exzellentem Geschmack gestaltet und ganz auf Kinderfreuden eingestellt. Es gab für die größeren Doppel- oder Dreier-Zimmer, die Kleineren konnten sich auch nachts auf eine Betreuerin verlassen.

Im Vorbeigehen warf Ilona durchs Sichtfenster einen Blick in jeden der liebevoll gestalteten Räume. Sie freute sich, als sie eines der Hausmädchen beim Pflegen der Pflanzen im Wintergarten bemerkte, und kaum hatte sie ihr Büro betreten, schaute sie hinaus in den sonnigen Tag. Leon und der zweijährige Ralfi tummelten sich nicht weit vom Haus mit zwei Betreuerinnen im Schnee. Alle anderen Kinder verbrachten die Nachmittagsstunden mit ihren Eltern.

Ilona seufzte mit einem Lächeln, als sie sah, wie Leon nun die Betreuerin Karin umarmte und sich an sie presste. Karin hob ihn hoch und warf den blond gelockten Racker in die Höhe, sodass Leons Lachen bis hierher zu hören war. »Hoffentlich bleibt er so fröhlich, wenn er merkt, dass seine Mami abgereist ist«, dachte Ilona mit einem Seufzen.

*

»Das Zimmer ist natürlich kleiner als Ihr Appartement drüben im Personalbereich des Hauptgebäudes«, meinte Ilona entschuldigend, als sie Ulrike Dargast eine Tür im ersten Stock ihres Kinderhotels öffnete, damit sie einen Blick in den bescheidenen Raum werfen konnte.

Ulrike holte nur einmal tief Luft. Was war denn das?! Die Zimmerdecke war niedrig, und aus mehr als einem Bett, einem Tisch mit einem Stuhl und einem Schrank, der mehr einem Spind glich, bestand die Möblierung nicht.

»Unmöglich!«, hauchte sie entsetzt.

Ilona wandte sich ihr zu. »Unsere Wäsche-Kraft Sonja wohnte hier. Aber mein Bruder konnte sie drüben im Haupthaus in einem Praktikantinnen-Zimmer unterbringen. Das war nicht aufwändig, weil unsere Kinder-Bettwäsche ja immer im großen Haus gemangelt wird. Um die kleineren Wäscheteile kümmert sie sich dann täglich hier bei uns.«

Ulli hielt die Luft an. Natürlich wollte sie sich nicht anmerken lassen, wie gedemütigt sie sich durch die Entscheidung von Claus Jansen fühlte. Als ihr Chef hatte er natürlich das letzte Wort. Aber als Mann, in den sie sich auf den ersten Blick bis über beide Ohren verknallt hatte, enttäuschte er sie wirklich! Der war ja ein kaltherziges und berechnendes Ungeheuer!

Dabei hatten sie zwei romantische Abende verbracht. Am zweiten Abend gegen Mitternacht auf dem Heimweg im Mondlicht und dichten Schnee hatte er sie sogar geküsst. So heiß und liebeshungrig küsste also ein Mann, der die Frau in seinen Armen danach nur noch demütigen will? Es war zum Verzweifeln!

Aber Claus Jansen war eben nicht zu durchschauen, und leider war sie darauf reingefallen, weil sie glaubte, ihn umgebe ein Geheimnis, das sie schon lüften könnte. Nix Geheimnis! Eine Wand aus Eis umgab den nur!

»Wenn Sie diese Unterkunft ablehnen, bleibt Ihnen natürlich die Möglichkeit, sich eine andere Anstellung zu suchen«, schlug Ilona vor, wie ihr Bruder es ihr geraten hatte. Sie wusste nur zu gut, dass die ehrgeizige Ulrike nicht darauf eingehen würde.

»Ich denke nicht daran!«, plusterte sie sich auch sofort auf. »Ich habe einen Arbeitsvertrag mit dem Brioni.«

»Ja, ich weiß. Zudem gefällt Ihnen wahrscheinlich auch unsere herrliche Umgebung zu gut.« Ilona vermied ein Schmunzeln. Am besten gefiel der hübschen Ulrike doch wohl ihr Bruder Claus, der großartige Chef des Brioni Palace! Nur kam sie nicht mit dessen Schüchternheit und Bedachtsamkeit zurecht.

Ilona kannte ihn doch! Claus zögerte immer viel zu lange, bis er sich an eine Frau band. Das war nicht immer unvernünftig, hatte ihm aber schon einige Enttäuschungen eingebracht.

Ulrike Dargast hatte wunderbar glänzendes Haar in einem sanften Blondton. Ihre Augen waren grün und die Brauen darüber zart und sehr hoch angesetzt, was ihrem feinen Gesicht einen mädchenhaften Zug verlieh. Sie trug einen sportlichen Hosenanzug mit einem dicken modischen Schal dazu und ließ sich jetzt auf dem Bett nieder, um mit einem behutsamen Wippen die Matratze zu prüfen.

»Ja, die Berge sind herrlich«, gab sie kleinlaut zu. »Und das Brioni ist einsame Spitze.« Sie seufzte, dann sah sie Ilona lange an. »Leider kann ich überhaupt nichts mit Kindern anfangen. Ich habe keine Geschwis-ter und keine Verwandten mit Kindern. Außerdem weiß ich gar nicht, welche Aufgaben ich hier im Junior übernehmen soll.«

»Ganz einfach. Vormittags stehen Sie mir im Büro zur Seite oder vertreten mich dort, und nachmittags helfen Sie bei der Betreuung unserer kleinen Gäste.«

»Das kann ich nicht.«

»Sie werden es lernen. Eine Frau wie Sie wünscht sich doch bestimmt mal Nachwuchs.«

Ulli antwortete nicht. Sie richtete ihren Blick auf das quadratische Fenster. Die zartgeblümten Vorhänge mit dem pastellfarbenen Blumenmuster erinnerte sie an ihr Jungmädchenzimmer in ihrem Elternhaus. Dabei hatte sie doch geglaubt, dieser Zeit längst entwachsen und auf dem Sprung in die große Karriere zu sein.

»Daran habe ich noch nicht gedacht, Frau Becker.«

Ilona war nicht erstaunt. »Übrigens … Ulrike«, sagte sie mit einem herzlichen Lächeln, »hier im Junior sprechen wir uns alle mit Vornamen an. Das macht es unseren kleinen Gästen leichter, sich an neue Betreuerinnen oder Bezugspersonen zu gewöhnen. Außerdem ist Ulrike ein ausgesprochen hübscher Name.«

»Wenn schon – nennen Sie mich bitte Ulli!«

»Auch sehr hübsch. Und frisch und lustig dazu«, erwiderte Ilona erleichtert, weil ihre neue Angestellte doch nicht so abweisend und miss-launig war, wie sie gefürchtet hatte. Sie warf einen Blick den Flur entlang. »Da kommt der Boy aus dem Palace mit Ihren Koffern, Ulli. Na, hoffentlich finden Sie im Schrank genug Platz vor.«