Liebe Kirche... - Teresa Zukic - E-Book

Liebe Kirche... E-Book

Teresa Zukic

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Beschreibung

"Mein Herz ist übervoll von zornigen und liebevollen Gedanken für Dich, Liebe Kirche...Schwester Teresa macht ihrem Frust über die Kirche Luft. Die Skandale und die Müdigkeit machen sie wütend, von der "Frohen Botschaft" sei oft nichts mehr zu spüren. Trotzdem gibt sie ihre Hoffnung nicht auf. Mit ihren erfrischenden und berührenden Briefen möchte sie den Ehrenamtlichen und Pfarrern, Jungen und Alten, Zweiflern und religiösen Routiniers Mut machen, gemeinsam frischen Wind in die Gemeinden zu bringen. Ein Buch, das manchmal zum Schmunzeln bringt, aber vor allem ansteckt und begeistert. "Ich träume von einer Kirche, in der jede Seite ihre besonderen Talente einbringt. Wir brauchen einander und die Menschen in unserem Land brauchen uns zusammen. Alleine sind wir auf Dauer ein Flop." "Ich wünsche uns allen, dass wir den Zauber der Liebe nicht verlieren und die Kraft haben, Gottes schwache, aber frohe Gemeinschaft zu sein."

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Seitenzahl: 176

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Teresa Zukic

Liebe Kirche …

Briefe an den lieben Gott

und sein Bodenpersonal

Vollständig überarbeitete und ergänzte Neuausgabe

© Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2020

Alle Rechte vorbehalten

www.herder.de

Umschlaggestaltung: Verlag Herder

Umschlagmotiv: © Veresovich/iStock – GettyImages,

Foto der Autorin: © Patrick Liste

E-Book-Konvertierung: Carsten Klein, Torgau

ISBN Print 978-3-451-39396-9

ISBN E-Book 978-3-451-81985-8

Inhalt

Vorwort

Sei gegrüßt, Papst Franziskus!

Liebe Kirche!

Hallo, ihr vielen katholischen Gemeinden

Liebe evangelische Christen

Hallo, ihr Einsteiger im Glauben

An alle Hyperaktiven, Dauerbrennerinnen und kirchlichen Betriebsnudeln

An alle christlichen Streithammel

Liebe Lebenskünstler

Liebe Frauen

Hallo Kids

Liebe Geschiedene

Liebe Wiederverheiratete

Hallo, ihr relimüden Schülerinnen und Schüler

An alle Enttäuschten

An die Missbrauchsopfer

An alle Wagemutigen

Liebe Pfarrer

An alle Besserwisser und Nörgler in der Kirche

Liebe Ordensschwestern, liebe Mitschwestern

An alle, die schon auf ein langes Leben zurückschauen können

Ihr lieben Frommen

An alle Suchenden

Hallo, ihr Verliebten

Hallo, ihr Begeisterten

Lieber Gott

Vorwort

»Sie sprechen mir aus der Seele«, höre und lese ich immer wieder, und bis heute erreichen mich positive, liebenswerte Rückmeldungen. Es sind freche und humorvolle Briefe, ernste und nachdenkliche, und sie haben nichts von ihrer Aktualität verloren. Dass ich meine Kirche liebe und nie müde werde, voller Leidenschaft für sie zu streiten, wird ebenso in den Briefen deutlich.

Ich bin ein Kind dieser Kirche, und ich bin stolz darauf. Aber ich bin nicht blind, sondern leide auch an so vielem: ich sehe die Müdigkeit an der Basis, die übermenschlichen Anstrengungen von Priestern und pastoralen Mitarbeitern, neue Seelsorgeeinheiten mit Leben zu füllen, und ich sehe, wie uns weiterhin Menschen angesichts der Enthüllungen von Missbrauchsfällen verbittert den Rücken kehren. Da mühen wir uns täglich und setzen unsere Lebenskraft ein, die Freude am Glauben zu verkünden, und Skandale um Bischöfe und »Badewannen« lassen uns unglaubwürdig erscheinen und bringen mehr Frust als Lust auf Kirche mit sich.

Aber ich gebe nicht auf, im Gegenteil. Ich darf in unzähligen Vorträgen erleben, wie Menschen sich nach Liebe und Heil und Antworten sehnen. Sie füllen Säle und Kirchen und lassen sich von der froh machenden Botschaft anstecken. Ich darf auch vielerorts neue Aufbrüche erleben: wie z. B. überraschenderweise mehr als 150 Kinder und ihre Eltern regelmäßig zum Sonntagsgottesdienst kommen und mit Freude und Begeisterung mitfeiern.

Ich bin immer noch verliebt in meinen Gott, und ich stehe zu meiner schwachen, manchmal schrulligen und trotzdem herzlichen Kirche, wie ich sie erleben und mitgestalten darf. In ihr wohnen das Leben und die Liebe und das Heiligste. In ihr lebt Jesus Christus. In ihr wirkt die Kraft seines Heiligen Geistes. Sie ist bunt und vielfältig und dienend und hilft Tag und Nacht den Kleinen, den Kranken und Alten, den sozial Schwachen und den Hungernden auf der ganzen Welt.

Möge »Liebe Kirche, hör mal zu« noch vielen Lesern Freude machen und sie anstecken, lebendige Kirche für andere zu sein.

Sie können gern Kontakt mit mir aufnehmen und mir Ihre Erfahrungen schreiben:

Schwester Teresa Zukic

[email protected]

www.schwester-teresa.de

Sei gegrüßt, Papst Franziskus!

Gott muss Dich geschickt haben, und ich kann Dir gar nicht sagen, wie sehr ich mich über Dich freue.

Als die SMS kam, dass weißer Rauch aus dem Kamin am Petersplatz hinaufgestiegen ist und Du der neue Papst geworden bist, war ich unterwegs auf einer Vortragstour und saß gerade beim Essen. »Wir haben einen neuen Papst«, las ich da, »einen Papst der Armen.« Dieser Nachsatz von meiner Cousine ließ mir die Tränen in die Augen schießen. Ich schaute Pfarrer Franz an und wir waren sprachlos. So schnell hatten wir nicht damit gerechnet, wirklich nicht, aber der Heilige Geist ist doch immer für eine Überraschung gut.

Ich ärgerte mich, nicht irgendwo zu sein, wo es einen Fernseher gab. Mein Handy hatte fast keinen Saft mehr, und mein guter Franz lief ständig zum Auto, um es aufzuladen, damit wir wenigstens ein paar Bilder aufschnappen konnten. Und es dauerte. Wir hingen an diesem kleinen technischen Gerät und warteten wie die versammelten Menschenmassen auf dem Petersplatz und mit ihnen die ganze Welt gebannt darauf, wer denn da die Bühne der Weltkirche betreten würde.

So väterlich, fast schmunzelnd betratest Du die Loggia, und Du warst so schlicht, so freundlich, so normal.

»Guten Abend«, sagtest Du und hattest die Herzen von Millionen Menschen gewonnen.

Ja, Du hast mich berührt, mit allem, was Du die nächsten Stunden, Tage und Monate tatest. Wie freute ich mich, wenn Freunde fast täglich auf Facebook Deine neuesten Taten, Gedanken oder Worte posteten – noch größer war meine Freude allerdings, wenn dies Leute taten, von denen ich wusste, dass sie gar nicht so gläubig waren oder nicht zu unserer Kirche gehörten. Wie ein Kind klatschte ich in Gedanken in die Hände, wenn ich sah, wie Du den Daumen hochhieltest, ein Kind liebevoll segnetest oder einen behinderten Menschen umarmtest, wie Du Dich bei Journalisten bedanktest und auf allen Glamour und alle Äußerlichkeiten verzichtetest! Und ich tanzte, als Du verkündetest:

»Um es klar zu sagen: Der Heilige Geist ist für uns eine Belästigung. Er bewegt uns, er lässt uns unterwegs sein, er drängt die Kirche, weiterzugehen. Aber wir sind wie Petrus bei der Verklärung, ›Ah, wie schön ist es doch, gemeinsam hier zu sein!‹ Das fordert uns aber nicht heraus. Wir wollen, dass der Heilige Geist sich beruhigt, wir wollen ihn zähmen. Aber das geht nicht. Denn er ist Gott und ist wie der Wind, der weht, wo er will. Er ist die Kraft Gottes, der uns Trost gibt und auch die Kraft, vorwärtszugehen. Es ist dieses ›Vorwärtsgehen‹, das für uns so anstrengend ist. Die Bequemlichkeit gefällt uns viel besser.«

Weißt Du, wie lange wir schon auf solche Worte gewartet haben? Auf solche Gesten und so einen herrlich erfrischenden Wind in unserer verstaubten, müden Kirche? Wie innig bete ich für Dich und wünsche Dir Kraft, durchzuhalten. Ich wünsche Dir und mir, dass dieser Geist Gottes nicht nachlässt, uns immer wieder darauf hinzuweisen, wofür unser Herr die Kirche der Welt geschenkt hat. Ich wünsche Dir die Freiheit, Deinen Weg zu gehen, immer ungeschminkt zu sagen, was Dir auf dem Herzen liegt – und ich habe den Eindruck, Gott hat Dir eine Menge aufs Herz gelegt, was er schon lange einmal ansprechen wollte.

Ja, ich komme gar nicht mehr raus aus dem Staunen, wie Du unbeirrt Deinen Weg zu den Ärmsten und Ausgestoßenen gehst und uns alle schmerzlich daran erinnerst, dass wir nicht länger wegschauen dürfen: nicht von den Flüchtlingen, den Drogenabhängigen, den zu Tode gequälten und bedrohten Menschen.

Du hast mit der Jugend in Brasilien getanzt und so viele Kardinäle und Bischöfe dazu gebracht zu tanzen, dass es mir ganz schwindelig wurde, denen wahrscheinlich auch. Auf jeden Sicherheitsabstand hast Du verzichtet, und ich kann mir schon vorstellen, dass Deine Schweizergarde ins Rotieren kam, weil Du auf die Menschen zugingst, spontan, ungeplant, herzlich.

Stundenlang hörtest Du Dir die Sorgen der Menschen an, warst nie in Eile und hast jedem Deine kostbare Zeit geschenkt. Mein Gott, und wie war ich bewegt, als Du auf Homosexuelle angesprochen wurdest und sagtest: »Wer bin ich, sie zu verurteilen?« Lieber Papst Franziskus, ich kann Dir für diesen Satz gar nicht genug danken, der wie Balsam für Menschen war, die immer nur das Gegenteil von unserer Kirche gehört haben. Du beschönigst nichts, aber Du machst Schluss mit dem Größenwahn der Diskriminierung von Menschen. Dich muss man einfach gernhaben, und man nimmt Dir ab, was Du sagst, weil Du genau das lebst, wofür Du einstehst, sodass selbst die kritischsten Kirchengegner zahm werden.

Es ist herrlich, Dich lachen und schmunzeln zu sehen; es ist bewegend zu beobachten, wie Du Dich gegen einen Einmarsch in Syrien eingesetzt hast, und Deine Idee ist wunderbar, ungenutzte Häuser der Ordensgemeinschaften für Flüchtlinge zu öffnen. Wieso ist keiner zuvor darauf gekommen? Und dass Du Menschen einfach mal so anrufst, ist unglaublich liebenswert. Natürlich musst Du verstehen, dass sie erst mal erschrecken oder glauben, im falschen Film zu sein. Bisher hat das eben noch kein Papst gemacht. Mach weiter so!

Und während ich fortfahren könnte, Deine wohltuende Art und Dein froh machendes Wesen zu beschreiben, so sitzt mir doch auch die Sorge um Dich im Nacken. Wenn Du diesen Weg so konsequent weitergehst, wirst Du sicher vielen unbequem werden, wirst für manche zu anstrengend und zu fordernd, hast Dir bisher sicher nicht nur Freunde, sondern auch so manchen Gegner gemacht. Deshalb will ich nicht so naiv sein zu meinen, es wird schon gut gehen, sondern ich möchte meinen Teil dazu beitragen. So bete ich ganz innig für Dich, dass Du genügend Menschen in Deiner unmittelbaren Nähe hast, die Dich unterstützen, Dich tragen, Dich beschützen. Ja, ich bete zu Gott, dass es ja niemandem einfällt, Dich zu stoppen oder Dir etwas anzutun. Dass Er Dich jeden Tag mit neuer Kraft und neuem Mut beseelt, Deinen eigenen Weg zu gehen und unsere Kirche in eine Zukunft zu führen, in der alle Menschen immer mehr zusammenwachsen können, dass sich alle, die sich »draußen« fühlen, als Eingeladene verstehen. Dass »wir unten« Deinem Beispiel folgen, die Türen noch weiter aufstoßen und anfangen, auf die Menschen zuzugehen, und beginnen, die Verstoßenen zu suchen. Dass das Gejammer über uns selbst aufhört und es keine Sitzungen mehr gibt, in denen nur darüber geredet wird, was wir tun müssten, anstatt zu handeln, wo es notwendig ist. Beflügelt von Deinem Beispiel möchte ich überlegen, was ich zu viel habe und was ich abgeben kann. Ich möchte die »Armen« meiner Umgebung suchen und nicht müde werden, Deinem Beispiel an Toleranz und Offenheit zu folgen. Lieber Papst Franziskus, bitte räume auf im Vatikan mit all den Geschichten, von denen wir fürchten, sie könnten wahr sein und nicht nur ein Gerücht. Räume auf mit Vorurteilen, dass sich in unserer Kirche nichts bewegt. Räum den Staub aus unserem Denken, aus den Kirchen und Kapellen und lass uns wieder eine Kirche der Freude und Hoffnung für die Menschen sein.

Deine kleine Schwester Teresa,

die Dich gern selbst einmal drücken möchte.

Liebe Kirche!

Heute möchte ich Dir endlich einmal schreiben. Was ich Dir sagen will, trage ich schon so lange in meiner Seele umher. Jetzt ist es an der Zeit, Dir einmal ordentlich die Meinung zu sagen. Eigentlich rede ich jeden Tag zu Dir und mit Dir, aber nur heimlich, in Gedanken, in Wut, in Leidenschaft und manchmal in einem Überschwang von Begeisterung. Ich liebe Dich, Du alte Kirche, aber ich hasse Dich auch manchmal.

Ich weiß, ich weiß, ich sollte den Mund nicht so weit aufreißen! Ich habe auch schon einiges angestellt. Aber Du bist ja auch nicht ohne …

Du bist so unnahbar, stolz und muffig, so muffig wie die Anzüge Deiner Priester, die keine Haushälterin mehr haben. Du bist eben alt geworden und trägst schwer an den vergangenen Jahrhunderten. Keine Angst, Kirche, ich möchte Dir in diesem Brief nicht alle Deine Fehler und Sünden aufzählen! Das würde meinen Brief wirklich sprengen – und außerdem können das andere viel besser: Deine Kritiker, Deine Verfolger, Deine Opfer.

Ich bin nur eine kleine Mitarbeiterin in Deinem großen Universum. Ich habe keinen Auftrag, Dir Haltungsnoten zu verpassen wie beim Eiskunstlauf. Ich bin auch kein katholischer Reich-Ranicki. Aber manchmal bin ich furchtbar wütend auf Dich, mindestens so wütend wie Jesus, als er die Tische im Tempel umgeworfen hatte, weil es dort zuging wie bei Hempels. Und das muss eine ungeheure Wut gewesen sein, die Jesus da gepackt hat. Die Leute waren nicht sehr begeistert über seine Aktion. Jesus hat sich bei keinem für diesen Wutausbruch entschuldigt. Ich werde mich auch nicht entschuldigen. Soll ich mich für etwas entschuldigen, wofür ich nichts kann? Ich bin getauft und gefirmt und habe das Recht, meiner Kirche mal ordentlich was ins Stammbuch zu schreiben. Ich lasse mir ja auch von ihr etwas sagen …

Ich weiß, dass Du mir nicht böse sein wirst, meine Kirche, denn Du liebst die Wahrheit. Sollte ich dennoch übertreiben, weißt Du als gute Mutter damit umzugehen. Ehrlich: Ich lass mir etwas sagen, auch wenn es mir voll gegen den Strich geht. Und außerdem bin ich hart im Nehmen. Aber ich will Dir jetzt einfach meine Meinung sagen und diese mit einer großen Prise Humor. Hallo Kirche, kannst Du eigentlich lachen? Ich habe den leisen Verdacht, dass es Dir daran etwas fehlt …

Gut, ich gebe zu, dass ich Dich erst mit 19 Jahren kennengelernt habe. Ich gehörte nicht zu »diesem Verein«, wie viele Dich auch heute noch bezeichnen. Meine Eltern hielten nichts von Dir und ich hatte wirklich andere Interessen, als mich mit Dir zu beschäftigen. Auch bin ich erst sehr spät mit einem leibhaftigen Vertreter Deines Bodenpersonals in Berührung gekommen. Der war okay; er half mir dann, Dich in Deiner Größe und Schönheit zu betrachten.

Bevor ich mit Dir etwas angefangen konnte, habe ich Dich für eine Art Seniorenklub gehalten, einen überholten Verein, in dem die Ewiggestrigen ihre Heimat finden und ihre altmodischen Traditionen pflegen, dann für einen dunklen Geheimbund, in dem Kreuzzüge und die Inquisition an der Tagesordnung sind. Ich musste ganz schön umlernen, bis ich verstand, was Du für ein Geheimnis bist: … dass nämlich Gott in Dir wohnt – und dass gleichzeitig Platz ist für Sünder und Versager. Wie konnte Dein ganzes Wesen in meiner kleinen Seele Platz finden? Du warst faszinierend, geheimnisvoll und in Deinen vielen Falten versteckten sich immer neue, unglaubliche Abenteuer. Du hast in zweitausend Jahren so viele Millionen von Menschen beherbergt, warst ihnen Zufluchtsstätte und hast die verrücktesten Heiligen hervorgebracht. Du hast bewahrt und geheilt, vergeben und bestraft, froh gemacht und enttäuscht.

Deine Geschichte war für mich überwältigend, Deine Tradition voller Überraschungen. Du hütest einen kostbaren Schatz wie ein eifersüchtiger Ehemann und verteidigst ihn wie eine Mutter, die für das Überleben ihrer Kinder kämpft. Manchmal fauchst Du wie ein wütender Drache, wenn man an Deiner Tradition kratzt, aber Du stöhnst auch, wenn Deine Dir Anvertrauten gequält werden oder wegsterben. Ich glaube, ich war von der ersten Stunde an, als ich Dich kennenlernte, verliebt in Dich. Und wie das eben so mit Verliebten ist, schwärmte ich von Deiner Gnade und Zärtlichkeit, Deiner Stärke und Gelassenheit, Deinem prachtvollen Aussehen, und dass Du eben so ganz anders warst als alle anderen. Ich wollte nichts wissen von Deinen Fehlern, stritt mit Kritikern, die Dich herabsetzten, und verteidigte Dich wie mein Leben, denn ich glaubte an Dich. Zu Dir wollte ich gehören und ich wurde Dein Kind. ­Begeistert von Deinem Wirken und Deinen Festen und natürlich von Deinem Gründer.

Angelockt vom Zauber Deiner Botschaft, wollte ich Deine Söhne und Töchter kennenlernen. Ich war so neugierig, denn ich stellte mir vor, dass dies wahnsinnig lebendige und selbstbewusste Kinder sein müssten. So träumte ich mir ein Wolkenkuckucksheim zusammen: Christen sind bestimmt anders als alle anderen. Sie reden nie schlecht übereinander, verzeihen, gehen liebevoll mit ihren Feinden um. Sie teilen alles, was sie haben, mit anderen und sind überall beliebt. Als große Gemeinschaft haben sie Platz für Suchende und Benachteiligte. Schließlich – so dachte ich – haben die ja einen Freischein für die Ewigkeit. Das muss sich doch im Leben auswirken, meinte ich, bedingungslos geliebt und gerettet zu sein. Unter solchen Leuten hat jeder einen Platz und keiner bildet sich ein, besser oder mehr zu sein als der andere. Alle sind sie Sünder und das bekennen sie auch immer wieder, wenn sie Zusammenkommen. Sie sind auf der Sonnenseite des Lebens, nicht nur, wenn es ihnen gut geht, sondern auch, wenn es ihnen dreckig geht, wenn sie scheitern oder bekämpft werden …

»Wow!«, dachte ich. »Super!« Christen müssen den Himmel auf Erden haben. Immer haben sie einen Raum der Geborgenheit, einen Helfer, und Du, Mutter Kirche, hast immer ein wachsames und gütiges Auge auf sie. Umso größer war meine Enttäuschung, als ich mit leibhaftigen Christen zum ersten Mal auf Tuchfühlung ging. Liebe Kirche, sei mir nicht böse, aber ich musste feststellen, dass viele Deiner Söhne und Töchter keinen Deut besser sind als der Rest der Menschheit, den ich gerade hinter mir gelassen hatte, um mich in Deine Arme zu stürzen. Das ist vielleicht nur bei den Normalos so, dachte ich mir. Aber die Priester, die sind sicher top! Oh, oh, oh … Gleichgültig, ob in der letzten Pfarrei arbeitend oder berufen für die höhere kirchliche Laufbahn, ob mit modischem Schlips oder »Kalkleiste« – überall dasselbe: Menschen. Menschen, die genauso schlecht über andere redeten wie Nichtchristen, ihr eigenes Prestige suchten und manchmal ihren Geschwistern gegenüber ausgesprochen grausam handelten. Wenn sie verschiedener Meinung waren, dann verletzten sie sich und waren gleich verstritten und manche kehrten nach einer Enttäuschung Dir gleich den Rücken zu. Auch darüber bin ich wütend, dass Du es nicht geschafft hast, Deine Kinder von der Liebe, über die Du doch so viel redest, zu überzeugen und zu beseelen. Aber mittlerweile habe ich nicht nur Dich, sondern auch mich ein Stück besser kennengelernt. An Dir liegt es nicht, wenn ich noch keine Heilige bin …

Du siehst müde aus, meine Kirche, und man könnte Mitleid mit Dir haben, aber ich will das in diesem Brief nicht, denn ich habe den Eindruck, dass Du und Deine Kinder sich viel zu oft bemitleiden: »Ach, was sind wir so arm dran! Wie sind die Zeiten so böse! Und die Menschen so schwerhörig! Und der Materialismus so materialistisch! Und überhaupt …!« Hör auf!

Du beschäftigst Dich viel zu sehr mit Dir selbst, kreist nur noch um Dich und hast keine Zeit und Kraft mehr, Dich mit den Menschen, die Dich wirklich bräuchten, zu beschäftigen. Tut mir leid, Du bist nicht dafür da, Dich vor dem Spiegel zu drehen. Du hast einen Auftrag. Los, geh ran! Mach Dich nützlich! Fang endlich an zu dienen! Hör auf, die Menschen nur zu belehren und zu beschwatzen! Hilf ihnen aus dem Dreck.

Ach ja, Du bist müde geworden, und die Mauer um Dich wird immer dicker. Auch Deine Leute sind übermüdet, überfordert und überaltert. Machen wir uns doch nichts vor: Du bist so unendlich weit weg von den Menschen, so unmodern, so weit abseits vom heutigen Lebensgefühl und der Lebensfreude, dass ich mich über Deine Unattraktivität nicht mehr wundern kann. Du bist wie ein altes Mädchen, das sich wundert, dass ihm die Kerls nicht mehr hinterherpfeifen. Es ist einfach unmöglich, jungen Menschen von heute zu erzählen, dass es der Kick ist, in einer knochenharten Kirchenbank zu sitzen und ein vierhundert Jahre altes Lied zu singen. Sorry, aber das reißt wirklich keinen mehr vom Hocker. Du sagst, Du hättest die optimale Botschaft für diese Welt und für alle Menschen. Und, dass es eine frohe Botschaft ist. Aber viele verstehen nicht, wieso Deine Fröhlichkeit so ernst ist. Jedenfalls strahlst Du nicht gerade eine überwältigende Heiterkeit aus und Dein Bodenpersonal auch nicht. Ich verstehe unter Fröhlichkeit jedenfalls etwas anderes und manchmal habe ich den Eindruck, dass alles, was wirklich Spaß und Freude macht, bei Dir gar nicht gut ankommt. Jedenfalls wirken die, die zu Dir gehören, häufig so steif und sauertöpfisch, als hätten sie mithilfe von Vitriol das BGB verschluckt. Eigenartig. Christen müssten doch ausgelassen sein, müssten doch wie die Verrückten tanzen vor Freude.

Und doch, liebe Kirche, ich hänge an Dir und ich kann nicht sagen, wie. Ich möchte nie mehr von Dir lassen. Ich sehe Dich in Deiner Schwachheit, die mich gleichzeitig wütend macht und doch auch wieder tröstet. Sie tröstet, weil alle Schwachen (also auch ich) sich bei Dir aufgehoben fühlen können.

Aber meinst Du nicht, dass es an der Zeit ist, dem neuen Jahrtausend in die Augen zu sehen? Die Augen gehören den unzähligen Menschen, die Deinen Gründer brauchen. Sie verlassen Dich, weil sie ihn durch Deine Strukturen und die Art, wie Du vielerorts noch auftrittst, nicht mehr finden können. Sie suchen nicht Dich, sondern IHN. Manchmal scheinst Du das zu vergessen. Du bist nur dafür da, dass man IHN durch Dich hindurch erkennt. Du bist gut, wenn Du wie Glas bist und man möglichst wenig von Dir sieht. Verzeih mir, wenn ich noch ein anderes Bild für Dich finde: Du bist die Kiste für die Beziehung, nicht die Beziehung selbst.

Nun, mein Herz ist voll. Übervoll von zornigen und liebevollen Gedanken für Dich. Ach, liebe Kirche, hör mal zu, ich habe Dir noch viel zu sagen.

Deine treue Schwester Teresa

Hallo, ihr vielen katholischen Gemeinden,

ich staune immer wieder über Eure Vielfalt. Ihr seid alle so unterschiedlich und bunt und Ihr habt doch alle eine wunderbare gewachsene Tradition, die natürlich von Generationen von Gläubigen geprägt ist und von den Pfarrern, die sie formten. Die Seelsorger, die für Euch lebten, ihre väterliche Liebe und Eure kindliche, manchmal eifersüchtige Zuneigung zu ihnen und Eure Anhänglichkeit führten Euch zusammen. Die sonntägliche Eucharistiefeier ist das lebendige Herz Eures Zusammenlebens, der wichtigste Treffpunkt. Darüber hinaus gehören vielfältigste Veranstaltungen zu Eurem Pfarrleben. Einige von Euch (fast immer die Gleichen) sind in verschiedensten Gremien tätig, die das Ganze tragen und zusammenhalten.

Jede Gemeinde, so arm sie sonst sein mag, hat in ihrem Inneren einen glühenden Kern. Von da strahlt Wärme und Geist aus in den Lebensraum der Menschen. In diesem Raum können Kinder heranwachsen, Jugendliche ihre Erfahrungen sammeln, Erwachsene Halt und Orientierung finden und alte Menschen in Frieden sterben.

Eine Gemeinde – ist das nicht etwas Wunderbares?