Liebe - Veronika Fischer - E-Book

Liebe E-Book

Veronika Fischer

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Beschreibung

Liebe ist ein komplexes Phänomen. Wenn wir all ihre Bedeutungen verstehen, entdecken wir eine Fülle von Möglichkeiten, wie wir lieben können. Wenn es um die Liebe geht, wird es oft kompliziert. Viel zu schnell verbinden wir damit eine romantische Beziehung. Veronika Fischer seziert, was mit Liebe alles gemeint sein kann, wie man mit ihren Facetten achtsam umgeht und Klarheit gewinnt. Das Verständnis von Liebe prägt unseren Alltag, in allen gesellschaftlichen und kulturellen Ordnungen. Und nicht zuletzt ist es relevant für die Achtung der Menschenrechte, steht Sexismus und Diskriminierung entgegen – über Liebe zu sprechen ist ein politischer Akt.

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Liebe

Veronika Fischer

Dieses Buch ist für heimlich Verliebte, frisch Verlobte und diamantene Eheleute, für Getrennte, Herzschmerzleidende und Langzeitsingles, für Liebesbriefschreibende und Scheidungsanwältinnen, für Traumtänzerinnen und Wolkengucker, für Lustmolche und Turteltäubchen, für Don Juans und Herzensbrecherinnen, Verehrer und Kavalierinnen, für Regenbogenlover, Lieblingsmenschen, für friends with and without benefits. Du kannst es lesen, wenn du geübt bist in der Wortakrobatik und auch, wenn du nur ganz selten zu Büchern greifst. Lies es im Darkroom, zwischen zerwühlten Bettlaken oder in einer Kajüte des Traumschiffs. Allein, zu zweit, in wilder Ménage-à-trois oder in einer Lese-Orgie. Es ist ein Buch für dich und mich und alle – denn es ist ein Buch über die Liebe!

„Wer nicht mit der Liebe anfängt,

wird niemals wissen, was Philosophie ist.“

Platon

Inhalt

Let’s talk about Love

Liebe als Idee

Liebe als Aktion

Liebe als Erotik

Liebe als Person

Liebe als Institution

Liebe als Utopie

Reality Check

Danksagung

Anmerkungen

Books I had and liked

Let’s talk about Love

Ein Buch über die Liebe – wird das nun eine Hommage oder eine Abrechnung? Die Antwort ist: beides! Die Liebe ist vielfältig, wir finden sie in unzähligen Bereichen und Kontexten. In ihr liegt die Kraft, uns in die höchste Euphorie zu katapultieren, die Welt aus den Fugen zu heben und Berge zu versetzen. Durch genau dieselbe Kraft können aber auch ganze Lebensentwürfe vernichtet, Familien zerstört und Existenzen ausgelöscht werden. Wir benennen es immer gleich: „Liebe.“

Wenn wir diesen Begriff unhinterfragt benutzen, herrscht schnell großes Chaos und es wird kompliziert. Lösen wir aber auf, was wir meinen, wenn wir „Liebe“ sagen, so gewinnen wir Klarheit, auch für die Gestaltung von Liebesbeziehungen auf praktischer Ebene. In diesem Buch geht es deshalb darum, was „Liebe“ bedeuten kann und wie man mit diesem Begriff achtsam umgeht. Es ist ein komplexes Phänomen mit vielen Bedeutungen, man kann sich ihm auf viele unterschiedliche Arten nähern: psychologisch, neurobiologisch, anthropologisch, evolutionstheoretisch und so weiter – aber all diesen Disziplinen liegt die Philosophie als Mutter der Wissenschaft zugrunde. Mit ihr werden wir den Begriff zerlegen, in all seine Einzelheiten. Und wir werden herausfinden, dass allein in dieser sprachlichen Analyse alle anderen Zugänge enthalten sind. Es steckt eben alles in diesem einen Wort. Die Philosophie eignet sich letztlich am besten zur Erforschung der Liebe, da sie selbst Liebe ist, denn „Philosophie“ bedeutet „Liebe zur Weisheit“.

Werden wir gefragt „Und? Wie läuft’s mit der Liebe?“, dann denken wir doch meistens sofort an eine Partnerschaft, in der Regel an eine einzige Person, und übersehen dabei, was Liebe noch alles sein kann und wo sie uns überall begegnet. Eine große Herausforderung, wenn wir über die Liebe nachdenken, ist, dass es keine kurze, einheitliche Definition von Liebe gibt. Und daran scheitern die meisten Werke über die Liebe, wenn sie versuchen, eine Definition von Liebe zu finden, eine, die möglichst gut passt. Da der Begriff aber in einer solchen Bedeutungsvielfalt funktioniert, ist das der falsche Ansatz. Wir brauchen viele Definitionen von Liebe, wir müssen verstehen, was mit Liebe alles gemeint sein kann. Wir dürfen uns bei der Suche nicht einengen und beschränken lassen, sondern müssen das Feld öffnen, in die Weite gehen und eine Fülle von Bedeutungen zulassen. Wir werden uns also ansehen, wie mit diesem Wort bereits umgegangen wurde – in philosophischen Abhandlungen und soziologischen Theorien, in literarischen Bestsellern, in Filmen, Popsongs und Comics.

Wo begegnen wir dem Wort „Liebe“ eigentlich? Im Alltag fliegt es uns nahezu inflationär um die Ohren. Lovesongs trällern aus dem Radio, Walt Disney und Hollywood produzieren Dramen mit und ohne Happy End, die Boulevardzeitschriften und Groschenromane an Bahnhofskiosken leben von Liebesgeschichten, und in der Werbung sehen wir massenhaft frisch verliebte Paare oder glückliche Kleinfamilien. Wir hören von der Liebe in Slogans wie: Wir lieben Lebensmittel (Edeka), Wir lieben Technik (Saturn), Wir lieben Fliegen (Condor), Wir lieben Autos (VW), Weil wir Schuhe lieben (Deichmann), aber Liebe ist es eigentlich nur, wenn es Landliebe ist. Echte Liebe findet man beim BVB Dortmund, beim FC Saarbrücken kennt Liebe keine Liga und bei McDonald’s? I’m loving it!

Hier werden wir also nur noch verwirrter, wenn wir nach einer einheitlichen Bedeutung des Begriffs „Liebe“ suchen. Er wird so beliebig gebraucht, dass er alles und nichts meinen kann.

Schauen wir also lieber in die Vergangenheit unserer Kulturgeschichte. Seit wann gibt es eigentlich Liebesbeziehungen, wie wir sie heute führen? Die Idee der Liebe zwischen zwei Menschen ist schon sehr alt und tief in unserer Kultur verwurzelt. Adam und Eva, Orpheus und Eurydike, Sisi und Franz, Siegfried und Roy, Barbie und Ken … – um nur ein paar Beispiele für Liebespaare zu nennen. Ein Blick in die Welt der Sagen, Mythen und Märchen aller Welt zeigt, dass Liebe überall ein zentrales Thema ist. Die Verbindung zwischen Menschen, Göttern und Naturkräften findet sich als Motiv in den Entstehungsmythen der Welt, im Mittelalter finden wir sie in unzähligen Minneliedern. Der Unterschied zu heute liegt darin, dass die Liebe im Minnesang nicht zu einer Beziehung führte.1

Über eine lange Zeit wurden Ehen auch im westlichen Kulturkreis von den Familien arrangiert, um Reichtum, Besitz und Ländereien zu erhalten und zu vermehren. Die Liebe ist dann bestenfalls das Ergebnis einer Heirat – oder eine große Bedrohung für diese, sofern sie die „falsche“ Person betrifft. Bis heute hat sich dieses Konzept stellenweise erhalten: Familien der Oberschicht oder Adelshäuser heiraten immer noch weitgehend untereinander und es führt zum Skandal, wenn bürgerliche Personen in diesen Kreis aufgenommen werden sollen – siehe Lady Di oder Meghan Markle.

In vielen anderen Kulturen sind arrangierte Ehen ein fester Bestandteil der Liebespraxis, bei deren Nicht-Befolgung ein Verstoßen aus der Gemeinschaft droht. Für den Großteil der westlichen Bevölkerung ist heute aber die Liebe der Hauptgrund, eine romantische Beziehung oder Ehe einzugehen. Diese Idee etabliert der Philosoph Jean-Jacques Rousseau im Jahr 1761 in seinem Briefroman Julie oder Die neue Heloise. Er schreibt darin über eine junge Frau, Julie, die sich in ihren Hauslehrer verliebt, aus Vernunftsgründen aber einen anderen Mann heiratet. Es entsteht ein lebenslanges Hin und Her, bis Julie dann eines tragischen Todes stirbt, ohne dass ihre Liebe je in eine Beziehung geführt hat. Das Werk gilt als flammendes Plädoyer für die Liebesheirat. Die Bevölkerung Frankreichs im Zeitalter der Aufklärung war begeistert von Rousseaus Idee. Sein Buch konnte gar nicht schnell genug nachgedruckt werden und wurde in Buchhandlungen stundenweise vermietet, so hoch war die Nachfrage. Die amour passion eroberte die Herzen im Sturm und breitete sich in ganz Europa aus. Der Roman war Vorbild für Goethes Die Leiden des jungen Werther oder Schlegels Roman Lucinde. Eine Lesesucht erfasste vor allem die Frauen und ein Umschwung im Denken war in Gang gesetzt. Die Liebe in die Hände der Liebenden zu legen, erschien als ein kühnes Unterfangen – und zugleich als eine ungeahnte Freiheit. Bis zur breitflächigen Durchsetzung des Konzepts „Ehe, weil Liebe“ dauerte es aber noch bis weit ins 19. Jahrhundert hinein.2

In Liebesdingen halten noch immer so viele an einer Idee fest, die sich seit damals nicht wirklich weiterentwickelt hat. Es geht nach wie vor um die Beziehung zweier Menschen, die ihr Leben miteinander teilen und romantische Gefühle füreinander empfinden. Diese Art von Liebe gilt als erfolgreich umgesetzt, wenn man mit der Person, in die man sich verliebt hat, eine Beziehung eingeht, die möglichst lange, im besten Fall bis zum Tod, bestehen bleibt. Das Schema finden wir bei Rousseau und auch in den meisten aktuellen Romanen, Filmen oder Abhandlungen über Liebe.

Es ist, als würden wir in einer historischen Pferdedroschke auf die Autobahn fahren. Im 18. Jahrhundert kam die Industrialisierung gerade in Schwung. Diese Zeit ist mit unserem jetzigen Alltag kaum noch vergleichbar. Wo heute Elektroautos über asphaltierte Fahrbahnen gleiten, trabten damals Pferdekutschen über Feldwege. Wo man heute mit Smartphones global vernetzt ist, wurden früher Telegramme getippt und Briefe per Postkutsche verschickt. Heute arbeiten Frauen in Regierungssitzen, bis vor einigen Jahrzehnten durften sie nicht einmal zur Wahl gehen. Und wo in der Arbeitswelt Zunftzwänge herrschten und Menschen für ihr gesamtes Leben an den meist väterlichen Beruf fesselten, sind wir heute ziemlich frei in der Wahl unserer Arbeit. Eine Modernisierung der Liebe ist also längst überfällig.

Die Filmindustrie reproduziert diese alte Idee von Liebe bis heute in immer gleichen Narrativen, und so wachsen wir mit einem ganz bestimmten Bild über die Liebe auf – danke, Walt Disney! Wir lernen von klein auf wie Romantik, Hochzeiten und erste Küsse abzulaufen haben. Auch in der Popindustrie wird besungen, was Liebende alles füreinander bieten sollen: Vertrautheit und Unterstützung, Freundschaft und Loyalität, Romantik und die Erfüllung erotischer Träume, oder wie es Meredith Brooks in einen Song packt:

„I’m a little bit of everything, all rolled into one, I’m a bitch, I’m a lover, I’m a child, I’m a mother, I’m a sinner, I’m a saint, I do not feel ashamed, I’m your hell, I’m your dream, I’m nothing in between, you know you wouldn’t want it any other way.“3

Und aus der männlichen Perspektive haucht Leonard Cohen mit seiner rauen Stimme:

„If you want a boxer, I will step into the ring for you, and if you want a doctor, I’ll examine every inch of you, if you want a driver, climb inside, or if you want to take me for a ride, you know you can, I’m your man.“4

Begleitet wird dieses Ideal von einem enormen Druck, denn wenn die Liebesbeziehung endet, wird dies als Scheitern empfunden. Der Schmerz ist groß und ganze Lebenskonstrukte zerbrechen. Nicht wenige sehen sich nach einer Trennung vor dem Scherbenhaufen eines ehemals gemeinsamen Zuhauses, eines geteilten Freundeskreises, gemeinsamer Finanzen und geteilter Erlebnisse stehen. Das Ende einer Liebe kann ganze Existenzen vernichten. Solche Tragödien finden sich zahlreich in Romanen. Hier ein paar prominente Beispiele:

„Emma Bovary, Anna Arkadjewna Karenina und Effi von Innstetten, geborene Briest. Sie teilen ihr Schicksal im doppelten Sinne. Zum einen riskieren und verlieren sie ihre Männer, ihre bürgerliche Existenz und dann ihr Leben, weil sie der Versuchung durch einen anderen Mann nicht widerstehen konnten oder wollten.“5

Die Liebe außerhalb der bestehenden Beziehung ist bis heute eine Bedrohung. Gleichzeitig geht eine große Anspruchshaltung mit dem Wort „Liebe“ einher. Wir wollen sie durchschauen, kontrollieren und verbessern. Und zudem wollen wir von ihrer Unberechenbarkeit überrascht und verzaubert werden. Dass dieses Liebesideal überstrapaziert ist und in der Praxis oftmals eine große Überforderung durch die ambitionierte Umsetzung darstellt, wurde längst erkannt, und es gibt einige Lösungsvorschläge.

In den 1960er Jahren etablierte sich in den USA und Europa auch aus diesem Grund die Hippie-Bewegung, in der die Erotik von den Ansprüchen an eine konventionelle Liebe entkoppelt wurde. Viele Menschen leben heute in offenen Beziehungen, lieben polyamorös, haben mehr oder weniger heimliche Affären oder praktizieren eine serielle Monogamie, indem sie mehrere Liebesbeziehungen hintereinander führen. Es ist also schon als Fortschritt zu sehen, die Anforderungen, die eine Liebesbeziehung mit sich bringt, nicht mehr auf einer Person abzuladen, sondern auf mehreren Schultern zu verteilen. Dennoch handelt es sich immer noch um das etablierte Konzept, das inhaltlich kaum verändert wird. Da gibt es aber noch mehr Spielraum für Veränderungen! Die italienisch-amerikanische Philosophin Silvia Federici, die sich seit Jahrzehnten mit den Thematiken von Reproduktionsarbeit, feministischer Revolution und Kapitalismus beschäftigt, schreibt in einem Mailwechsel mit der deutschen Autorin Şeyda Kurt in deren Buch Radikale Zärtlichkeit:

„Die romantische Liebe ist nicht die einzige Form der Liebe. Und Liebe ist nicht fix und statisch. Ich glaube daran, dass wir in dem Kampf für gleichberechtigte Beziehungen zwischen Frauen und Männern und in dem Kampf für eine nicht-misogyne Gesellschaft neue Formen der Liebe entdecken werden.“6

Wenn uns klar ist, dass unser derzeitiges Liebeskonzept zum einen sehr veraltet und zum anderen vollkommen überlastet ist, müssen wir neue Formen der Liebe zu etablieren. Der Begriff „Liebe“ beinhaltet viel mehr als nur eine romantische Idee. Liebe findet sich in ganz