Liebe wirkt Wunder - Kerstin Piribauer - E-Book

Liebe wirkt Wunder E-Book

Kerstin Piribauer

0,0

Beschreibung

Eine vernunftbasierte Herangehensweise an die fundamentalen Fragen um Leben und Gesundheit ist der zuverlässigste Garant dafür, dass wir am Ende nicht nur das Beste für unseren vierbeinigen Lebensgefährten tun wollten, sondern es auch tatsächlich getan haben! Die Loslösung von alten Glaubenssätzen ist eine der grundlegenden Voraussetzungen dafür, den eigenen Weg zu fi nden und selbstständige, verantwortungsvolle Entscheidungen für das Leben unseres vierbeinigen Partners zu treff en. Die rasante Entwicklung der Lebenswissenschaften macht vor unseren Hunden nicht halt. Mit neuem Wissen aber steigt auch die menschliche Verantwortung – nicht zuletzt für die Gesundheit unserer Hunde und für den Erhalt ihrer Lebensqualität über den längstmöglichen Zeitraum hinweg. Neben einer evidenzbasierten und am neuesten Wissensstand orientierten medizinischen Betreuung durch den Tierarzt sind dafür gerade in Zeiten der Krankheit vor allem wir selbst die wichtigste Voraussetzung. Liebe wirkt Wunder! Der Glaube daran mag in uns allen tief verwurzelt sein, und die biologischen Mechanismen rechtfertigen eine entsprechende Lebensweise auch aus naturwissenschaftlicher Sicht. Und fordern uns bedingungslos auf, unserer ethischen Verpflichtung unseren Hunden gegenüber auch in den vielleicht weniger alltäglich verlaufenden Zeiten des Lebens gerecht zu werden!

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern

Seitenzahl: 271

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Kerstin Piribauer

Liebe wirkt Wunder

Hundepatienten optimal begleiten

Mag. art. Kerstin Piribauer

www.kerstin-piribauer.at

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie. Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet unter http://www.dnb.d-nb.de abrufbar.

Das Werk mit allen seinen Teilen ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne schriftliche Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert werden.

Die Reihe „VeroCane“ erscheint im Verlag Piribauer GesbR.

© 1. Auflage 2018 by Verlag Piribauer GesbR,

8312 Ottendorf an der Rittschein 57, Austria

www.verlag-piribauer.com

Printed in Austria

Umschlaggestaltung: Dietmar Polczer, Wien

Umschlagabbildung: Helmut Piribauer, Ottendorf

Für die Inhalte der Links auf Webseiten Dritter übernehmen wir keine Haftung, da diese außerhalb unseres Verantwortungsbereichs liegen und wir lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung hinweisen.

Dieses Buch ist auch als Printausgabe (Softcover) erhältlich:

ISBN 978-3-9503970-1-7

ISBN 978-3-9503970-2-4 (EPUB)

Für diejenigen,

die dieses Denken in mir geweckt haben …

Inhalt

Warum dieses Buch?

Lernen wir uns zunächst ein wenig kennen

Gemeinsam spürten wir die Liebe …

… die alles veränderte

Der Weg zur vollständigen Lähmung

Neue Mobilität

Geschenktes Leben am Rande der Lebbarkeit

Zweifel an der menschlichen Einzigartigkeit

Gedanken aus Philosophie und Ethik zur Mensch-Tier-Beziehung

„Es gibt zwei Kategorien von Tieren“

Die freie Weitsicht

Die „Arche Noah“ als Schicksalsgemeinschaft

Ethische Diskussion zur Neuorientierung

„Können sie leiden?“

„Was dagegen über allen Preis erhaben ist, (…) das hat eine Würde“

Die vierte Kränkung der Menschheit?

Naturwissenschaftliche Basis ethischer Diskussionen

Vom Welfare-Gedanken zur Würde

So nah und so verwandt

Biologische Grundlagen einer besonderen Beziehung

Ähnliche Hirnaktivität bei Mensch und Hund

Neue Sicht auf das Hundehirn erklärt jahrtausendealte Partnerschaft

Unterschiedliche Kommunikationsebenen aktivieren rechte bzw. linke Hirnhälfte

Ähnliche Hirnmechanismen verarbeiten Inhalt und Tonfall menschlicher Sprache

Ähnlich auch im Schlaf: Auch Hunde träumen

Schlaf fördert Gedächtnisleistung und hält gesund!

Hundehirn unter Fleischfressern am leistungsfähigsten – Intelligenztest für Hunde

Lernprozess verläuft in jungen Jahren schneller als im Alter

„Like me“ – „Wie ich“: Verstehen Hunde unsere Emotionen?

Vom hundlichen „Wissen“ um Gefühle

Hunde können Perspektive des Menschen einnehmen

Hunde erkennen ungerechte Behandlung

Der Kreis zur Ethik schließt sich …

Dem LEBEN zuliebe!

Von den Möglichkeiten moderner Tiermedizin

Moderne Tiermedizin schützt Leben

Die Frage nach der Überlebenszeit

„Ein denkendes, fühlendes und sensibles Lebewesen …“

Vom ethischen Konflikt des Tierbesitzers

Damit wir unseren Hunden ins Gesicht schauen können – auch über ihren Tod hinaus

Hunde verbessern auch menschliche Gesundheit

Die Zukunft hat bereits begonnen

Mit dem Wissen wächst die Verantwortung

Von kleinen und großen Hilfsmitteln

Vom LEBEN mit dem kranken Hund

Leben heißt mehr als perfekt Funktionieren

Liebe leben …

Der ideale Tierarztbesuch

Kommunikation und Vertrauen als Schlüssel zum Erfolg

Information im Vorfeld ist aktive Vorsorge

Der Weg zum Fachtierarzt

Die Kommunikation in der Tierarztpraxis

Tierarztbesuch als selbstverständliche Routine

10 Tipps für einen entspannten Tierarztbesuch!

Der Blutbefund – (k)ein Blatt mit sieben Siegeln

Keine Angst vor der Narkose!

Wundheilungsprobleme vermeiden

Von Liebe und Harmonie …

… und ihrer Wirksamkeit auf Gesundheit und Wohlbefinden

Herausforderung für die Medizin des 21. Jahrhunderts

Ungefilterte Gefühlswahrnehmung bei Hunden?

Die biochemischen Wohlfühlfaktoren

Die Liebe liegt auch in den Genen

Chronischer Stress als Krankheitsrisiko

Stressniveau des Hundes hängt vom Menschen ab

Liebevolle Fürsorge unterstützt Heilung

Placeboeffekt beim Tier schon seit Jahrzehnten bekannt

Verhalten des Besitzers ist Teil der Therapie

Kommunikation als „Placebo“ der evidenzbasierten Therapie

Tender Loving Care

Vermeintliche Wundermittel

Liebe wirkt Wunder

Unser Einfluss auf die Gene

Neues Wissen aus der Epigenetik

Der klassische genetische Ansatz und das neue Bild der Epigenetik

Die DNA – ein kleiner Prozentsatz Gene und ein gewaltiger Steuerungsapparat

Epigenetische Mechanismen

Konsequenzen für die Hundezucht?

Umwelteinflüsse höher als gedacht

Neues Wissen bedeutet neue Verantwortung

Genetisches Wissen als Chance für die Zucht

Rassehundezucht: Wenn Leidenschaft Leiden schafft …

„Doktor Google“ und „Professor Facebook“

Vom Sinn und Unsinn medizinischer Diskussionen in Hundeforen

Wertvoller Erfahrungsaustausch und mögliche Gefahr

Die Onlineklassiker

Soziale Medien bedienen Belohnungsmechanismen

Die andere Seite: Wissen und Verstehen wecken Vertrauen

Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie Ihren Tierarzt!

Wirkungen bedingen Nebenwirkungen

Keine Angst vor der Therapie!

Antibiotika, Cortison und Co – NIEMALS ohne Tierarzt!

Chemotherapie kann LEBEN sichern

Gut gemeint, aber brandgefährlich!

Ernährungsfragen zwischen Ideologie und biologischen Lebensgrundlagen

Aus dem Menü der virtuellen Gerüchteküche

BARF ist in – aber nicht ohne Risiken

Hohe Keimbelastung in BARF-Produkten

Risiken einer unausgewogenen Nährstoffzufuhr beachten!

Getreidefrei?

Aktive Gesundheitsvorsorge vermindert Risiken

Zeckenschutz und individuelles Risiko

Wohlstandsdiskussion ums Thema Impfen

Impfen als „Schule“ des Immunsystems

Kastration der Hündin: Widersprüchliche Studienlage

Prävention gegen Mammakarzinom unumstritten

Neurophysiologische Aspekte

Endoskopie als chirurgische Alternative

Der Heilpraktiker als der bessere Tierarzt?

„Alles fließt …“

Wenn der Tag näherkommt …

Es geht uns richtig gut …

Vorbereitung auf den letzten Tag

Jenseits von Angst

Am Ende stellen sich keine Fragen mehr …

Soziale Stellung entscheidet über Umgang mit dem Tod

Unausweichliche Grenzerfahrung

Verbiete Dir die Liebe nicht

Die große Kraft

Von ärztlicher Kunst und grenzenlosem Lebenswillen

An sicherer Hand durch das Grenzland des Lebens

Triumphzug des Lebens …

Warum dieses Buch?

Lernen wir uns zunächst ein wenig kennen

Der Lebenspartner auf vier Pfoten ist erkrankt. Für viele zweibeinige Hundeeltern ist das eine äußerst belastende Situation und je nachdem, um welche Erkrankung es sich handelt, oft auch ein traumatisches Erlebnis. Unser ureigenes Denken und Tun, unsere persönlichen Erfahrungen und die Art und Weise, wie wir dem Leben und seinen Herausforderungen begegnen, gehören neben einer am neuesten Wissensstand der Tiermedizin orientierten Therapie zu den bedeutendsten Faktoren, die einen positiven Einfluss auf die Genesung unseres vierbeinigen Freundes ausüben können. Vieles, was zu seinem Wohle geschehen kann, was sein Leben erhält und schützt, liegt vor allem in unserer Hand und unserem Umgang mit den Gegebenheiten. Wir selbst sind es, die für das Leben, das sich uns anvertraut, bestmögliche Entscheidungen treffen müssen.

Der Inhalt dieses Buches basiert auf meiner inzwischen langjährigen Auseinandersetzung mit diesen Themen, die einst mit meinem Weg in die Boxerzucht ihren Anfang nahm und die mir einen breiten Einblick in die Fragen, Sorgen und Unsicherheiten schenkte, die uns alle als fürsorgliche Betreuer unserer vierbeinigen Patienten beschäftigen.

Ich möchte Sie, liebe Leserinnen und Leser, teilhaben lassen an den Ergebnissen eines langen Lernprozesses, in dem ich die Überzeugung gewann, dass die wesentliche Basis für gute Entscheidungen im Sinne unseres Hundes eine vernunftbasierte Herangehensweise an die jeweils aktuelle Fragestellung sowie eine bewusste Kanalisation und Selbstkontrolle unserer Emotionen sind. Um gerade in einer so schwierigen und emotional belastenden Situation wie der Betreuung eines erkrankten Hundes gute und ethisch vertretbare Entscheidungen zu treffen – als Geisteswissenschaftlerin kann ich diesen Satz nicht schreiben, ohne an Kants kategorischen Imperativ zu denken –, ist vor allem eines notwendig: eine frühzeitige offene Auseinandersetzung mit den Möglichkeiten der modernen Tiermedizin, die uns im gegebenen Fall die notwendige Orientierung bietet, im Interesse unseres vierbeinigen Lebenspartners zu handeln.

Am Anfang dieses Buches möchte ich Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, von Aurora erzählen. Ohne Aurora würden Sie dieses Buch nicht in Händen halten. Diese Boxerhündin und die Monate, die ich sie während ihrer Erkrankung begleiten durfte, haben mein gesamtes Denken und Tun – und damit mein Leben – wie kein anderes Ereignis verändert und geprägt. Aurora stammte aus dem ersten Wurf meiner ehemaligen Boxerzucht. Somit verdanke ich ihr Leben einer Zeit, in der ich mich von einer für mich seinerzeit absolut neuen und bis dahin unbekannten Leidenschaft für Zucht und Hundesport, die mein damaliger Freundeskreis und mein engstes Umfeld begeistert lebte, mitreißen ließ. Gut zehn Jahre lang war ich scheinbar zu Hause in einer Welt, von der mich gedanklich oft Lichtjahre trennten. Trotz vieler schöner Momente und Begegnungen, von denen einige zu echten Freundschaften führten, spürte ich über die Jahre hinweg eine zunehmende Entfremdung: Einerseits entfernte ich mich in meinem anfänglichen Enthusiasmus zunächst von meinen eigenen ethischen Überzeugungen und Vorstellungen einer erfüllenden Mensch-Tier-Beziehung, andererseits konnte ich mich später auf dem Weg zurück zu mir selbst mit dem Denken dieses Umfelds und seinen Reglements immer weniger identifizieren. Dennoch betrachte ich meine damalige Zugehörigkeit zu einem FCI-anerkannten Zuchtverein und die vielen Stunden, die ich in eine umfassende Gebrauchshundeausbildung investierte, mit all den damit verbundenen Begegnungen keineswegs als verlorene Zeit. Diese Jahre boten mir Lebenserfahrungen, die ich in dieser Form wahrscheinlich nirgends anders hätte machen können.

Auroras Erkrankung in den Jahren 2010 und 2011 aber markierte nicht nur das Ende meiner kleinen, jungen Boxerzucht, in der zwischen 2004 und 2009 insgesamt drei Würfe auf die Welt kamen, sondern wischte nahezu alles, was in den letzten Jahren scheinbar so wichtig schien, aus meinem Leben. Noch lebten ihre Töchter Braganza und Cordelia mit mir. Braganzas Gesundheit und Wohlbefinden erforderten aufgrund ihrer Allergien und hochgradigen Spondylosen zeitlebens ein umfassendes Management. Cordelia schien ganz anders: die geborene Zuchthündin – temperamentvoll, lernfreudig, kerngesund. Hier und da fragte ich mich, ob ich sie angesichts der Veränderungen in meinem Leben und des daraus folgenden Abbruchs ihrer Ausbildung nicht um ihr Leben betrügen würde – Gedanken, die sich angesichts ihres frühen Todes einen Tag vor Vollendung ihres sechsten Lebensjahres im Nichts verloren. Unser Apoll, der uns erst vor wenigen Wochen verließ, durfte das für einen Boxer außergewöhnliche Alter von fast 14 Jahren erreichen. Trotz einer Vielzahl gravierender gesundheitlicher Probleme lebte er bis zu seiner letzten Stunde in jedem Moment sich selbst – mit der ganzen Kraft seiner Persönlichkeit, mit einer umfassenden medizinischen Betreuung und beispiellosem menschlichen Einsatz durch die Universitätsklinik in Wien sowie mit der Pflege und Unterstützung, die mein Mann und ich ihm über Monate hinweg nahezu rund um die Uhr bieten konnten. Liebe wirkt Wunder!

Meine Boxer haben mich lange und intensiv gelehrt, dass nicht der perfekt funktionierende Körper das Leben ausmacht, sondern unsere Fähigkeit, das Leben auch in schwierigen Situationen anzunehmen und zu meistern. Leben heißt mehr als perfekt Funktionieren – mehr als im Hundesport erfolgreich zu sein oder gemeinsam auf der Wiese herumzutollen. Leben bedeutet auch, eine Aufgabe zu erfüllen. Leben ist Lieben – und das Gefühl, geliebt zu werden. Aurora, Braganza und Apoll ließen mich ein neues Wissen um die menschliche Pflicht gewinnen, das Lebensrecht unserer Freunde auf vier Pfoten auch in Zeiten einer unheilbaren Erkrankung bedingungslos anzuerkennen und ihnen mit allen verfügbaren Möglichkeiten eine optimale Lebensqualität zu bieten.

Die Therapiemöglichkeiten der Tiermedizin gehen heute um ein Vielfaches über das hinaus, was vor zehn oder zwanzig Jahren denkbar gewesen wäre. Diese Chancen und Potenziale zu nutzen, gehört angesichts der Stellung, die unsere Hunde als Familienmitglieder an unserer Seite einnehmen, zu unserer Verantwortung ihrem Leben gegenüber. Daneben steht die ethische Verpflichtung, die Grenzen des Möglichen zu erkennen und zu akzeptieren und dem geliebten Wesen an unserer Seite ein würdiges Ende zu bereiten, wenn der Tag gekommen ist. Ebenso wichtig wie Grenzen anzuerkennen aber ist das Wissen, dass Grenzen nicht unverrückbar sind. Wo das Limit der medizinischen Möglichkeiten heute erreicht ist, öffnen sich morgen neue Wege mit neuen diagnostischen und therapeutischen Ansätzen – Visionen, die Grenzen verschieben …

Ich weiß gut um die Unsicherheiten, um die Skepsis mancher Tierbesitzer in diesem Bereich – um die vielen, oft scheinbar unüberwindbaren Ängste, die Methoden und Möglichkeiten der modernen Tiermedizin für das Leben des eigenen Hundes zu nutzen. Mögen die Gedanken in diesem Buch Sie ermutigen, diese Wege mit Ihrem besten Freund auf vier Pfoten im Ernstfall zu gehen und Ihnen die notwendige Kraft für die eigene Entscheidung zum LEBEN mit dem kranken Hund geben … Dabei stellen sich unzählige Fragen, für die ohne jeden Zweifel immer der Tierarzt des Vertrauens der erste Ansprechpartner sein sollte. So selbstverständlich das auch klingen mag, die Realität sieht heute oft anders aus, denn das vermeintliche Wissen von „Doktor Google“ und „Professor Facebook“ kann das so unersetzliche Vertrauensverhältnis zwischen dem besorgten Hundehalter und seinem erfahrenen Tierarzt mehr oder weniger massiv belasten und ins Wanken bringen. Mögen Sie den Mut zu einem eigenverantwortlichen, vernunftbestimmten und rationalen Handeln finden und viele seit Jahrzehnten überlieferte oder auf Social-Media-Kanälen omnipräsente vermeintliche Standards kritisch und selbstbewusst hinterfragen. Sich von zahllosen Irrtümern, die auch durch beständige Wiederholung nichts an Wahrheitsgehalt gewinnen, zu distanzieren, kann gerade in der heutigen Gegenwart einer zunehmend vernetzten Welt ein wichtiger Beitrag zur Gesunderhaltung des geliebten Vierbeiners an unserer Seite sein. An die Stelle sinnloser und zeitraubender Onlinediskussionen können weit effizientere Beschäftigungen treten, sei es, sich das notwendige Wissen und die unverzichtbaren Fähigkeiten anzueignen, um verlässlich zwischen wertvollen und sinnlosen Informationen zu differenzieren – oder sei es auch „nur“, um die gewonnene Zeit in die Beziehung zu unserem vierbeinigen Freund zu investieren und mit ausgedehnten Streifzügen durch die Natur seine Bindung an uns zu festigen und nicht zuletzt unser beider physische und psychische Gesundheit damit zu stärken.

Seit vielen Jahren begleitet mich neben einer intensiven Kommunikation mit Medizinern, denen mein absolutes Vertrauen gehört, vor allem die kontinuierliche Auseinandersetzung mit Themen aus Genetik und Epigenetik, mit dem aktuellen Wissen über Zellbiologie und Tumorerkrankungen sowie über die Naturgesetze, die die Grundlagen des Lebens darstellen. Immer vertrauter wurden mir im Laufe der Zeit die so planvoll und logisch ablaufenden Vorgänge, die die Lebensfähigkeit eines Organismus im Großen und eines einzelnen Zellverbands im Kleinen erhalten. Begriffe und eine Sprache, die mir noch vor wenig mehr als einem Jahrzehnt völlig fremd schienen und mir damals Angst und Unbehagen einflößten, wurden zur Selbstverständlichkeit. Eine neue Vertrautheit machte sich breit …

Gleichzeitig führte ich unzählige Gespräche und Diskussionen mit befreundeten, bekannten oder auch gänzlich fremden Hundebesitzern, die mir einen ungeschönten Einblick in die Realität des alltäglichen Umgangs mit der Krankheit des besten Freundes auf vier Pfoten gaben. Wenn ich den ein oder anderen während dieser Zeit ein Stück weit begleiten durfte, empfand ich das als ein besonderes Vertrauen, aber auch als eine große Verantwortung, die immer im Raum steht, wenn man in einer besonders sensiblen Phase einen Blick in das Leben eines anderen Menschen werfen darf. Viele Geschichten, denen ich dabei begegnete, machen mich glücklich, weil ich dabei die Intensität einer großen Liebe zwischen Hund und Mensch spüren durfte, aber ich muss auch zugeben, dass viele Schicksale mich unendlich traurig stimmten – vor allem dann, wenn weniger die Erkrankung des Hundes als vielmehr die unterschiedlichsten Begleitumstände im Umfeld des Patienten dazu führten, dass ihm die Chance auf eine angemessene Therapie und damit auf ein weiteres lebenswertes Leben verweigert wurde. Angemessene Therapien sind finanziell zumeist sehr kostenintensiv, und aus materiellen Gründen auf eine lebensrettende Therapie für den vierbeinigen Lebensbegleiter verzichten zu müssen, kann zu einem höchst belastenden ethischen Problem für den Besitzer werden. Ich bin überzeugt, dass mit der heutigen Stellung des Hundes im Familienverbund und den fortschreitenden Möglichkeiten der Veterinärmedizin in absehbarer Zeit eine Krankenversicherung für den Hund ebenso selbstverständlich sein wird wie die heute übliche und gesetzlich vorgeschriebene Haftpflichtversicherung.

Neben der wirtschaftlichen Seite aber ist ein weiterer Aspekt von entscheidender Bedeutung: die Suche nach einer optimalen tierärztlichen Betreuung für unseren Patienten, die von gegenseitigem Vertrauen und Offenheit geprägt sein sollte – zwischen allen Beteiligten: uns zweibeinigen Hundeeltern, dem Tierarzt und dem vierbeinigen Patienten selbst. Wie oft musste ich in Gesprächen mit unzähligen Hundebesitzern zu diesem Thema erkennen, dass dieses Vertrauen als wichtigste Grundlage einer Zusammenarbeit im Sinne des Patienten nicht einmal ansatzweise vorhanden war! Ein weiteres Problem: Viele Menschen betrachten den Tierarzt noch immer als den medizinischen „Allrounder“, der in Personalunion den Kreuzbandriss zu operieren und die onkologische Betreuung vorzunehmen hat – nichts ahnend, welches Potenzial für das Leben des Hundes damit verloren geht. Die Tiermedizin hat sich innerhalb der letzten Jahrzehnte zu einem derart umfangreichen Fachgebiet entwickelt, dass Fachärzte und auf bestimmte Fragestellungen spezialisierte Experten hier heute ebenso selbstverständlich zur Verfügung stehen wie in der Humanmedizin. Keiner von uns sucht mit einem orthopädischen Problem den Augenarzt auf oder vertraut die onkologische Betreuung einer Krebserkrankung allein dem Hausarzt im Nachbardorf an. Vielleicht mag dies allzu selbstverständlich und banal klingen, aber wir sollten diesen Aspekt auch bei der Suche nach einer optimalen medizinischen Betreuung für unseren vierbeinigen Patienten berücksichtigen.

Immer wieder – oft auch in Gesprächen mit Menschen, die uns familiär nahestehen oder freundschaftlich verbunden sind – müssen wir uns bei all diesen Themen ganz bewusst der Herausforderung des eigenständigen Denkens stellen, um einerseits die traditionelle anthropozentrische Denkweise „das ist ja nur ein Hund“ oder auf der anderen Seite den kraftraubenden Nebel esoterisch angehauchten Gedankenguts nicht an uns heranzulassen. Natürlich: Unsere ehrlichen und ganz selbstverständlichen Emotionen dürfen und müssen wir in jedem Moment zulassen, Gefühlsduselei aber nutzt niemandem. Sie raubt uns Energie und gedanklichen Raum, den wir dringend für unseren Patienten benötigen, und führt letztlich ausschließlich in einen Zustand von Mut- und Hoffnungslosigkeit. Das kann dem besten Freund an unserer Seite im schlimmsten Fall wertvolle Lebenszeit kosten. Eine vernunftbasierte Herangehensweise an die fundamentalen Fragen um Leben und Gesundheit, um Krankheit und Tod ist der zuverlässigste Garant dafür, dass wir am Ende nicht nur das Beste für unseren vierbeinigen Lebensgefährten tun WOLLTEN, sondern es auch tatsächlich getan HABEN – nach Möglichkeit ein Leben lang!

Zweifellos: Manchmal ist es eine große Aufgabe, diese eigene Orientierung konsequent zu leben und sich damit auch dem vermeintlichen Mainstream der deutschsprachigen sozialen Medien entgegenzustellen. Die Loslösung von falschen Glaubenssätzen aber ist eine der grundlegenden Voraussetzungen dafür, den eigenen Weg zu finden und selbstständige Entscheidungen im Bewusstsein der vollen Verantwortung für das Leben unseres vierbeinigen Partners zu treffen. Wenn wir die Aufgabe, unseren Hund durch seine Krankheit zu begleiten, auf dieser Basis akzeptieren, werden unsere lähmenden Ängste sich schnell in kraftvolle Hoffnung transformieren. Wir werden einen Punkt erreichen, an dem wir ganz bewusst die Liebe zu unserem vierbeinigen Partner leben und dieses Leben in einer Ganzheit betrachten, zu der der Tod ganz selbstverständlich dazugehört. Genauso wie die Geburt ist auch der Tod ein Teil des Lebens – und damit ein Teil dessen, was wir lieben. Aus diesem Bewusstsein erwächst unsere Verpflichtung, auch dem Ende des Lebens, das zu LEBEN unser Hund ebenso das Recht hat wie wir, mit Würde, Respekt und Größe zu begegnen.

Dieses Denken, mit dem wir unsere Hundepatienten erfolgreich durch die gemeinsame LEBENSzeit führen können, ist wie ein Mosaik, das sich aus vielen einzelnen, kleinen Bestandteilen und Schritten zusammensetzt – ein ganzes Hundeleben lang, und viele Facetten dieser Herangehensweise sollen in diesem Buch zur Sprache kommen. Gedanken aus dem Bereich der Tierethik sowie neue Erkenntnisse der Kognitionsbiologie und der aktuellen Hirnforschung sind die wissenschaftliche Basis dessen, dass der Hund eben nicht „nur“ ein Hund ist, sondern ein denkendes und fühlendes Lebewesen. Natürlich – die liebende „Hundemama“ wusste das schon immer, aber für eine umfassende gesellschaftliche Diskussion zu dieser Thematik reicht es nicht aus, über die eigenen individuellen Empfindungen zu sprechen. Hier kann nur ein durch wissenschaftliche Arbeit und Methodik generiertes Wissen die Argumentation bestimmen und entsprechende Prozesse initiieren.

Die rasante Entwicklung der Lebenswissenschaften macht auch vor unseren Hunden nicht halt. Mit neuem Wissen aber steigt immer auch die menschliche Verantwortung – nicht zuletzt für die Gesundheit unserer Hunde und in Zeiten der Krankheit auch für den Erhalt ihrer Lebensqualität über den längstmöglichen Zeitraum hinweg. Neben einer evidenzbasierten und am neuesten Wissensstand orientierten medizinischen Betreuung durch den Tierarzt sind dazu vor allem wir selbst die wichtigste Voraussetzung. Ja, Liebe wirkt Wunder! Aber trotz dieses „farbigen“ Titels gehört dieses Buches keinesfalls ins Reich der esoterischen Literatur, sondern spricht u. a. von der auf neurophysiologischen Vorgängen basierenden gesundheitsfördernden Wirkung von Harmonie und Liebe. Der Glaube an die Macht der Liebe mag in uns allen tief verwurzelt sein, und die biologischen Hintergründe – Harmonie und Liebe können über verschiedene biochemische Mechanismen in zahlreiche Körperfunktionen des einzelnen Individuums entscheidend eingreifen – rechtfertigen eine entsprechende Lebensweise. Und fordern uns darüber hinaus bedingungslos auf, unserer ethischen Verpflichtung unseren Hunden gegenüber auch und gerade in den vielleicht weniger alltäglich verlaufenden Zeiten des Lebens gerecht zu werden!

Sachlichkeit und fundiertes Wissen sind die wichtigsten Grundlagen dafür, in jeder Situation informierte Entscheidungen für das uns anvertraute Lebewesen, den Hund an unserer Seite, zu treffen. Die Vielfalt der deutschen Sprache schenkt uns mit den Worten „Meinung“, „Glauben“ und „Wissen“ drei Begriffe, die es sorgfältig voneinander abzugrenzen gilt. Gesicherte Ergebnisse aus Wissenschaft und Statistik sind keine Meinungsäußerungen! Im Gegensatz dazu sind die pseudomedizinischen Diskussionen im virtuellen Sprechzimmer von „Professor Facebook“ in weiten Teilen ausgesprochen reich an Meinung. Da die dort bevorzugten Themen gesundheitlich von einiger Relevanz für unsere vierbeinigen Freunde sind, möchte dieses Buch versuchen, den Blick auf das evidenzbasierte Wissen zu lenken, das der verantwortungsbewusste Tierarzt uns vermitteln wird. Und immer – egal in welchem Bereich – sollten wir gerade im Zeitalter von Fake News einen wichtigen Grundsatz verinnerlichen: Wenn wissenschaftlich gesicherte Fakten einer Meinung widersprechen, sollte dies ein guter Grund dafür sein, diese Meinung noch einmal zu überdenken!

Dieses Buch ist eine Zusammenfassung dessen, womit ich mich heute in meiner journalistischen Arbeit beschäftige und was ich mit den eigenen Hunden an meiner Seite konsequent und kompromisslos lebe. In diesem Zusammenhang gilt mein persönlicher Dank insbesondere der Veterinärmedizinischen Universität Wien und dem Messerli Forschungsinstitut für die vielfältigen Möglichkeiten, mich in unzähligen Vorträgen und Workshops, aber auch in zahllosen persönlichen Gesprächen und Begegnungen mit diesen Themen auseinandersetzen zu dürfen.

Wien, im Oktober 2018

Gemeinsam spürten wir die Liebe …

… die alles veränderte

„Im Leben mit einem Hund zählen keine Pokale und unnützen Staubfänger, sondern es geht darum, das einzig und allein wichtigste Turnier und die wichtigste Prüfung zu meistern, die es gibt: das Leben selber!“ – Noch heute, einige Jahre nach Auroras Tod, bedeuten mir diese Zeilen einer lieben Freundin, die ich damals im Sommer 2011 erhielt, unendlich viel, fassen sie doch kurz und treffend zusammen, was Aurora mich in der letzten Phase ihres Lebens lehrte. Mit den acht Monaten, die ich Aurora während ihrer Krankheit begleiten durfte, hinterließ sie mir ein unschätzbares Erbe – acht unendlich schöne Monate, die Aurora und ich am Ende miteinander leben durften und die zu den intensivsten und glücklichsten meines Lebens zählen, die mein Denken und Tun fundamental veränderten und bis heute beeinflussen.

Nach den ersten noch kaum wahrnehmbaren Symptomen im September 2010 ging Aurora wenige Monate später unaufhaltsam der vollständigen Lähmung der Hinterextremitäten entgegen, die in den ersten Märztagen des Jahres 2011 erreicht war. Neben der Pflege, die sie benötigte, neben allen medizinisch notwendigen Aufgaben, die wir beide miteinander zu erfüllen hatten, und einer Lebenspartnerschaft, die auch für mich in dieser Intensität eine neue Erfahrung darstellte, blieb mir vor allem die eine Aufgabe: Aurora und ihren Umgang mit ihrer Erkrankung rückhaltlos zu bewundern! Aurora war nicht nur eine sehr willensstarke, sondern auch ausgesprochen nervenstarke Hündin, die es mit einem ausgeprägten Selbstbewusstsein in jedem Moment verstand, ihre Krankheit anzunehmen, sich mit der gegebenen Situation bestmöglich zu arrangieren – und sich verwöhnen zu lassen! Ihre Lebensfreude und ihr Lebenswille waren ungebrochen – bis zu jenem Moment Ende Juli 2011, in dem sie mir von einer Sekunde auf die andere in die Arme fiel und ihr bewusstes Dasein genauso abschloss, wie sie die letzten Monate verbracht hatte: als glückliche Hündin, die ihr Leben in endlosem Vertrauen und bedingungsloser Liebe zu ihrem Umfeld lebte.

Mitte September 2010: Aurora war bis vor wenigen Wochen noch freudig und aktiv mit mir im Hundesport unterwegs gewesen. Neben den regelmäßigen Trainingseinheiten für die bevorstehende geplante IPO3-Prüfung standen tägliche Ausflüge in Wald und Flur unserer oststeirischen Umgebung, als ihre Motorik zunächst fast unmerklich unkoordiniert erschien. Innerhalb weniger Wochen entwickelten sich deutliche und unübersehbare Unregelmäßigkeiten im Bewegungsablauf, Ataxien, die im Rückblick und im Vergleich zu dem, was noch folgen sollte, harmlos erscheinen. Aurora verlor ihr Sprungvermögen, und manchmal fürchtete ich angesichts ihres extrem schlendernden Gangbilds, sie fiele über ihre eigenen Füße. Aber nein! Noch hatte Aurora all diese Unwägbarkeiten absolut im Griff, war keineswegs bereit, auf unsere Spaziergänge zu verzichten und strahlte ein Selbstbewusstsein und eine Lebensfreude aus, die auch mir aus meinen Sorgen heraushalfen. Neben den diagnostischen Maßnahmen an der Kleintierklinik der Veterinärmedizinischen Universität Wien lebten wir unseren Alltag nahezu unverändert weiter – fast als ob Aurora mich aufforderte, die unübersehbaren Anzeichen ihrer Erkrankung ebenso zu ignorieren, wie sie selbst es tat. Statt die gemeinsamen Unternehmungen und Auroras Lebensinhalte ihren neuen körperlichen Gegebenheiten entsprechend einzuschränken, suchten wir vielmehr nach Möglichkeiten, den jeweiligen Status der Erkrankung bestmöglich zu managen und den Alltag mit dem ein oder anderen Hilfsmittel zu erleichtern. So bedeckten Teppiche den glatten Fliesenboden in Teilen unseres Hauses, und im Wald mieden wir die allzu unebenen, wild verwachsenen Wege, fanden stattdessen neue Lieblingsplätze an einem kleinen Weiher oder auf einem stillen Wiesenhain. Gemeinsam mit dem Ärzte- und Therapeutenteam der Wiener Universitätsklinik, wo Aurora optimal betreut war, entschieden wir, die physiotherapeutischen Behandlungen um die Unterwassertherapie zu erweitern. Die gezielte Bewegung im Wasser sollte vor allem den zu erwartenden Muskelabbau in der Hinterhand möglichst lange hinauszögern. Aurora lernte das Unterwasserlaufband kennen und lieben und stieg jedes Mal freiwillig in ihren „Wellnesspool“ – nicht zuletzt dank der liebevollen und einfühlsamen Unterstützung, mit der sie in der physiotherapeutischen Ambulanz begleitet wurde. Von höchster Wichtigkeit war immer wieder die Untersuchung und Bewertung ihres Schmerzempfindens. Auroras Erkrankung selbst verlief nahezu vollständig schmerzfrei. Für die aufgrund des veränderten Bewegungsmusters unvermeidlichen Verspannungen reichte neben Akupunktur und Massage eine sehr niedrig dosierte Schmerztherapie vollkommen aus.

Der Weg zur vollständigen Lähmung

Voller Pläne und in grenzenlosem Optimismus starteten Aurora und ich ins neue Jahr. Unternehmungslustig verbrachten wir die ersten Januartage mit fröhlichen Waldspaziergängen. Wir waren beide überzeugt: Das wird ein tolles Jahr! – wer weiß, vielleicht das beste unseres Lebens … Wir waren voller Zuversicht, und tief in mir ahnte ich, dass diese positive Aufbruchsstimmung, die uns beide beherrschte, in den kommenden Wochen und Monaten unser wichtigstes Kapital sein würde. Trotz der unübersehbaren Ataxien in der Hinterhand waren noch Spaziergänge mit Spiel und Spaß möglich. Unsere abwechslungsreichen Unternehmungen führten uns noch immer an wunderschöne Orte des steirischen Vulkanlands, Aurora bewegte sich gerne – im Rahmen ihrer Möglichkeiten so leicht und mühelos. Eines Nachmittags: Übermütig sprang sie in die weiße Winterpracht – und glücklich über diese Lebensfreude sah ich im gleichen Moment, wie sie sich mit den unkoordinierten Bewegungen ihrer Hinterbeine auf dem schneeglatten Untergrund nicht halten konnte, hinfiel und drei Meter die Böschung hinunterrutschte. Aber noch konnte sie selbstständig aufstehen! Fröhlich und mit selbstbewusst hoch erhobener Rute kam sie zu mir, fühlte sich sicher, schien einfach glücklich schon den neuen gegenwärtigen Moment zu leben. Die Sekunden davor waren vergessen …

Auch wenn sich unser Bewegungsradius in den kommenden Wochen noch deutlich einschränken sollte: Es gab keinen Moment, in dem Aurora nicht in Spiellaune gewesen oder nicht freudig und bereitwillig einer Spielaufforderung gefolgt wäre. Ihre Aufgeschlossenheit und mentale Präsenz schienen die zunehmende körperliche Behinderung geradezu kompensieren zu wollen. Aurora signalisierte mir in jedem Moment eine kompromisslose Bereitschaft, ihre sich stetig verändernden Lebensbedingungen anzunehmen. Mit der ganzen Kraft ihrer Persönlichkeit wusste sie jede Situation zu meistern und ließ mir mit ihrem offenen, lebensfrohen Ausdruck kaum Raum für die Sorgen, die mir die dramatische Verschlechterung ihres Zustands während der Wintermonate machte.

Weiterhin fuhren wir wöchentlich zur Physiotherapie in die Vetmeduni. Aurora liebte diese Fahrten, genoss ihre „Wellnesstage“ in der Klinik und saß während der Heimfahrt am Nachmittag mit dem denkbar zufriedensten Gesichtsausdruck hinter mir im Auto – in der festen Überzeugung: „Das war ein toller Tag heute!“ Mein Vertrauen in die Klinik, wo wir während dieser Monate schlicht auf Händen getragen wurden, und in die behandelnden Tierärzte, die Aurora und mich mit ebenso viel medizinischer Kunst wie einfühlsamer Menschlichkeit begleiteten, war eine der wichtigsten Voraussetzungen dafür, dass ich diese Zeit nicht in beständiger Angst und Sorge erlebte, sondern stattdessen bewusst die neue – andere – Lebensqualität erkennen konnte, die Aurora und mich in diesen Monaten der Krankheit begleitete.

Die ersten Märztage brachten den Abschluss der vollständigen Lähmung der Hinterextremitäten. Der Einsatz eines Expanders brachte schon seit einiger Zeit keine wirkliche Erleichterung mehr, und so entschieden wir uns für einen Rollwagen, der Aurora ein bedeutendes Maß an Mobilität zurückgeben würde, und der uns vor allem auch wieder die Möglichkeit zu ausgiebigen Spaziergängen und abwechslungsreichen Unternehmungen außerhalb unseres Grundstücks gab.

Neue Mobilität

In unzähligen Begegnungen und Gesprächen, die sich ergaben, wenn Aurora und ich gemeinsam unterwegs waren, lernte ich die Skepsis vieler Hundebesitzer einem derartigen Hilfsmittel gegenüber kennen, erfuhr viel von Unsicherheiten, von menschlicher Eitelkeit, von den Ängsten, die manche Menschen davon abhalten, ihrem Freund auf vier Pfoten diese Lebensmöglichkeit zu bieten. Dabei gelang es Aurora und mir stets, ein mitleidsschweres „Oh, so ein armer Hund“ gemeinsam mit einem strahlenden Lächeln und der Beteuerung zu beantworten, dass hier kein armer Hund stehe, sondern eine starke Persönlichkeit, die ihre Erkrankung angenommen habe und ihr Leben genieße. Dieser Rollwagen stand für Mobilität und Lebensfreude, für Abwechslung und Unternehmungslust! Für Aurora und mich bedeutete er ein Stück Freiheit, dem wir unzählige Ausflüge in Wald und Flur, in die Donauauen oder auch nur auf die Wiese der Autobahnraststätte verdankten, wo wir es uns niemals nehmen ließen, in der wundervoll strahlenden Sommersonne gemeinsam ein Eis zu genießen. Die fröhlich tanzenden Sonnenstrahlen im oberösterreichischen Bergwald oder die sommerliche Erfrischung an einem idyllischen Bergbach im niederösterreichisch-steirischen Wechselgebiet – ohne den Rollwagen hätten wir diese Momente stillen Glücks, die nur uns beiden gehörten, niemals gelebt. Gemeinsam ließen wir keine Möglichkeit aus, diese Lebensform in allen Facetten zu genießen.

Geschenktes Leben am Rande der Lebbarkeit

Es war ein Gefühl unendlicher Nähe, das sich von Tag zu Tag mehr zwischen Aurora und mir aufbaute. Früher war ich der Meinung gewesen, dass eine gemeinsam durchlebte Geburt und die Aufzucht eines Wurfs ein ganz besonders inniges Verhältnis zur Hündin entstehen ließen. Sicher ist dem auch so, und sicher glauben wir alle im täglichen, von Spiel und Spaß erfüllten Alltag mit unseren Hunden, dass sich die Intensität der Beziehung kaum mehr steigern ließe, aber Aurora lehrte mich, wie „klein“ all das sein kann gegen geschenktes Leben am Rande der Lebbarkeit.

Wenige Wochen nach der vollständigen Lähmung der Hinterbeine verlor Aurora die Fähigkeit, selbstständig Harn und Kot abzusetzen. Es gibt sicher wenige Konstellationen, die ein Leben in dieser Situation noch möglich machen. Aurora und mir war es vergönnt. Ihr ungebremster Lebenswille, mein unerschütterlicher Optimismus, die Ärzte und Therapeuten der Universitätsklinik, die Tag und Nacht für uns da waren, – gemeinsam machten wir das Unmögliche möglich.

Aurora fühlte sich wunderbar. Sie nahm unsere Hilfestellungen dankbar mit tiefem Vertrauen und absoluter Selbstverständlichkeit an, sie strahlte eine herzerfrischende Lebensfreude aus und schien geradezu stolz darauf, ihrer Umwelt zu beweisen, wie sie mit ihrer Erkrankung umzugehen verstand. Gemeinsam spürten wir die Liebe, die uns trug, und die uns beide so glücklich und reich machte … bis zu jenem Tag im Juli 2011, an dem sie innerhalb weniger Stunden eigenständig entschied, aus dem Leben zu scheiden …

Zweifel an der menschlichen Einzigartigkeit

Gedanken aus Philosophie und Ethik zur Mensch-Tier-Beziehung

Gedanken aus Philosophie und Ethik, Kognitionsbiologie und Hirnforschung – das scheint zunächst einmal weit entfernt vom alltäglichen Zusammenleben mit unseren geliebten Vierbeinern. Dennoch sollten wir uns mit diesen Fragen zumindest ansatzweise ein wenig auseinandersetzen. Viele Erkenntnisse, die die aktuelle Forschung gerade in diesen Bereichen bietet, stellen das jahrtausendealte anthropozentrische Weltbild, das den Menschen als Maß aller Dinge zum Mittelpunkt des Universums hochstilisiert, zunehmend infrage.

Renommierte Wissenschaftler wie der deutsche Philosoph und Publizist Richard David Precht oder der österreichische Kognitionsbiologe und Wolfsforscher Kurt Kotrschal sprechen immer wieder vom Menschen als einem „anderen Tier“, das sich letztendlich vielleicht nur mehr durch seine Fähigkeit, Verantwortung zu übernehmen, von anderen verwandten Tieren unterscheidet. Der Mensch als ein Tier mit Verantwortungsfähigkeit … dieser Gedanke mag heute für manche Ohren noch provokant klingen, aber in einem fernen Morgen? Es sind immer die großen Visionen, die Menschheitsgeschichte schreiben und die die Gesellschaft voranbringen – umso mehr, wenn diese Ideen und Vorstellungen von einem anderen Morgen auf Naturgesetzen basieren. „Eine Weltkarte, in der das Land Utopia nicht verzeichnet ist, verdient keinen Blick, denn sie lässt die eine Küste aus, wo die Menschheit ewig landen wird“, schrieb schon Oscar Wilde.1

„Es gibt zwei Kategorien von Tieren“

„Es gibt zwei Kategorien von Tieren. Die eine glaubt, dass es zwei Kategorien von Tieren gibt, und die andere hat darunter zu leiden. (…) In der gegenwärtigen Moral und Rechtsordnung ist der Unterschied zwischen Schimpanse und Mensch größer als jener zwischen Schimpanse und Blattlaus.“2 So definiert mit Richard David Precht einer der profiliertesten Intellektuellen im deutschsprachigen Raum in seinem Standardwerk „Tiere denken. Vom Recht der Tiere und den Grenzen des Menschen“ die beiden Lebensformen Mensch und Tier, deren Verhältnis zueinander weit über das Zusammenleben mit unserem geliebten Vierbeiner hinaus untrennbar mit dem Schicksal unseres Planeten verbunden ist.

Der genetische Unterschied zwischen Schimpansen und Menschen ist mit maximal 1,6 Prozent verschwindend gering. Zwischen Argumenten aus Philosophie und Theologie auf der einen Seite und denen des biologischen Hightechlabors auf der anderen hinterfragt Precht immer wieder die verschiedenen, scheinbar seit Menschengedenken gültigen Definitionen des Menschseins. Dass gerade die monotheistischen Religionen das dualistische Weltbild einer strengen Trennung in Mensch und Tier manifestierten, ist für den Intellektuellen, der dem Menschen die Krone der Schöpfung immer wieder pointiert verweigert, auch Grundlage seiner religionskritischen