Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Wieder einmal bricht großes Unheil über die Elfen herein. Ein schreckliches Massaker am Ullasee versetzt sie in Angst und Schrecken. Es dauert nicht lange, da wird ihnen klar, wer für den vielfachenTod verantwortlich ist: Urkalan! Wie können Lila und ihre Freunde es schaffen, sich vor diesem übermächtigen Feind zu schützen? Ein gleichwertiger Gegner muß her, und sie finden die Zauberin Meliolantha, die zumindest eine kleine Chance haben sollte. Doch Urkalan ist noch weit stärker als befürchtet. Dieses Buch ist der zweite Band der fünfteiligen Fantasyreihe ’Lila’.
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 267
Veröffentlichungsjahr: 2016
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Fantasyroman
Mit Illustrationen des Verfassers
Weitere Bände der Fantasyreihe ‘Lila‘:
Lila 1, Teuflische Experimente
Lila 3, Die Rache
Lila 4, Verloren
Lila 5, Tödliche Königin
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Lila saß am Seeufer, den Kopf in die Hände gestützt und starrte mißmutig vor sich hin. Morgen würde sie mit ihrer Mutter Sara vorläufig an den Ullasee zurückkehren müssen, um bei den Vorbereitungen zur Umsiedelung in das Kartal zu helfen; dabei wäre sie viel lieber hier bei ihrer Cousine Camilla und ihrer Tante Killy geblieben, denn in den vergangenen Wochen hatten sie derart viel zusammen erlebt, daß es ihr schwerfiel, nun ohne sie auszukommen. Verärgert trat sie mit dem Fuß ins Wasser, daß es mächtig aufspritzte. "He, was soll das?!" rief die neben ihr sitzende Camilla empört aus, "ich kann doch nichts dafür, also laß deine Wut nicht an mir aus!"
"Aber, das ist doch wirklich doof, warum können wir nicht hierher ziehen statt ins Kartal?! Oder ihr zieht mit uns dort hin. So wie sie es jetzt planen, sehen wir uns dann ja kaum noch!" ereiferte sich Lila und erzeugte erneut einen Wasserschwall, der sie beide klitschnaß werden ließ.
"Nun ist's aber gut!" Camilla sprang auf, lief ins Wasser und bespritzte nun ihrerseits Lila nach Kräften mit dem kühlen Naß. Es entwickelte sich eine wilde Wasserschlacht, die im Endeffekt keinen eindeutigen Sieger fand. Am Schluß lagen die beiden Elfenmädchen völlig aus der Puste am Ufer und bemühten sich, ihre Haare und die Flügel wieder trocken zu bekommen.
"Jetzt fällt mir auch noch ein", fing die frustrierte Lila erneut an, "wenn Bernhard mit Anna und Martha, vielleicht sogar mit Corinna zu Besuch hierherkommt, bekomme ich es gar nicht mit, dabei möchte ich sie doch auch so gerne wiedersehen, nach allem, was wir gemeinsam erlebt haben!"
"Stimmt, das ist natürlich besonders ärgerlich", bestätigte ihre Freundin, "wir können zwar auch zu ihnen fliegen, wenn du mal zu Besuch hier bist, aber dann ist die Wahrscheinlichkeit, auch Corinna dort anzutreffen, extrem gering."
"Warum will meine Mama bloß nicht hier bei euch wohnen? Ich finde die Elfen vom Ullasee sowieso alle langweilig und blöde."
"Ganz vielleicht ziehen ja auch alle Elfen von hier mit ins Kartal."
"Wie kommst du denn darauf, Milla?"
"Jondras hat so etwas erwähnt. Weil doch jetzt so viele Menschen im Sumpf an der Erforschung der Pyramide arbeiten, seit der Magier Urkalan dort vertrieben wurde, bestünde eine immer größer werdende Gefahr, daß sich welche von ihnen auch bis hierher verirren könnten. Das hat auch Bernhard bestätigt, und er als Mensch wird es wohl beurteilen können."
"Oh, das wäre doch toll! Hoffentlich entscheidet sich euer Dorfoberster, Histran, für diese Möglichkeit!"
"Komm, Lil, laß uns hochgehen zu unserer Hütte, es wird schon dunkel, und es gibt jetzt auch wohl Abendessen."
Mit neu erwachter Hoffnung lief die elfjährige Lila hinter ihrer drei Jahre älteren Cousine her zu dem Haus ihrer Tante Killy.
Dort war der Abendbrottisch bereits gedeckt, an dem Killy und ihre Schwester Sara, Lilas Mutter, saßen und sich angeregt unterhielten.
"Na, da seid ihr ja endlich", sagte Sara und sah auf. "Meine Güte, wie seht ihr denn aus, ihr seid ja pitschnaß!"
"Och, wir haben nur ein bißchen im See gebadet", erklärte Lila beiläufig.
"Dann trocknet euch erstmal richtig ab, sonst bekommt ihr noch eine dicke Erkältung, und das kannst du bei den bevorstehenden, anstrengenden Flügen nun überhaupt nicht gebrauchen, Lila!"
"Ja Mama, o.k., Mama", kam es leicht genervt von Lila zurück.
Später, als sie in den Betten lagen, fragte Camilla: "Sag mal, Lil, wie wollt ihr eigentlich eure ganzen Sachen vom Ullasee zum Kartal transportieren? Die Möbel und so'n Kram? Die kann man im Flug ja gar nicht tragen."
"Ich glaube, das lassen wir alles da und bauen die Sachen neu, wenn wir dort sind. Wir nehmen nur alles mit, was man tragen kann, und selbst dafür müssen wir schon etliche Male fliegen, denn zu Fuß läßt sich der Weg nicht bewältigen; es wäre auch viel zu weit und würde ewig dauern. Jedenfalls graut mir schon ziemlich vor der ganzen Plackerei!"
"Oh je, das kann dann ja ganz schön lange dauern, bis ihr wieder eine komplett eingerichtete Wohnung habt!" "Das kannst du wohl sagen! Wir werden zu Anfang eine ganze Zeit in Behelfshütten hausen müssen. Hoffentlich haben wir nicht so'n Mistwetter während dieser Phase!" "Sollten die sich hier noch entschließen, auch dorthin zu ziehen, dann müßt ihr uns einen guten Platz, möglichst dicht bei euch, freihalten, o.k.?"
"Ich werd's versuchen, Milla, aber versprechen kann ich es natürlich nicht."
"Weißt du eigentlich, wo genau im Kartal ihr euer Dorf aufbauen wollt?"
"Mama meint, daß wir die Siedlung an dem Biberteich bauen wollen; du erinnerst dich doch, da wo dieser Fisch mich geschnappt und unter Wasser gezogen hatte und Anna mich gerade noch retten konnte."
"Klar, wie könnte ich das vergessen. Weißt du noch, wie schlecht es Corinna da ging? Die Arme wäre dort sicherlich gestorben, wenn Histran und die anderen nicht rechtzeitig mit Martha und Bernhard erschienen wären."
"Das waren echt schlimme Stunden", bestätigte Lila und schauderte in Gedanken an die schrecklichen Erlebnisse. "Ein Glück nur, daß Urkalan, Gregor und all diese Monsterwesen in der Ruinenstadt verbrannt sind!" Die beiden Mädchen legten die Arme umeinander und hielten sich ganz fest, während sie an die dunklen Tage der Gefahr zurückdachten.
Konnte es sein, daß dies alles erst drei Wochen her war? Es kam ihnen vor, als lägen die beängstigenden Erlebnisse bereits Monate oder gar Jahre zurück.
Als Killy am nächsten Morgen das Zimmer betrat, lagen die zwei immer noch in fester Umarmung und tiefem Schlaf in Camillas Bett. Sie betrachtete gerührt das sich ihr bietende Bild und konnte sich kaum dazu durchringen, die Kinder zu wecken. Sanft strich sie beiden über ihre Wangen.
"Guten Morgen ihr kleinen Langschläfer", sagte sie leise. Lila und Camilla schlugen die Augen auf.
"Oh", gähnte Camilla, "ist es wirklich schon Morgen?"
"Ich hab' überhaupt keine Lust aufzustehen", nuschelte Lila und kuschelte sich tiefer in die warme Bettdecke.
"Leider läßt es sich nicht vermeiden", bedauerte Killy, "schließlich müßt ihr bald los, damit ihr nicht im Dunkeln am Ullasee ankommt. Also rafft euch auf und kommt zum Frühstück."
Mit diesen Worten verließ sie das Zimmer.
"Das wird jetzt 'ne langweilige Zeit", brummte Camilla, "was mache ich hier bloß ohne dich?"
"Du hast doch noch deinen Freund Bregard", erinnerte Lila und grinste hämisch.
"Mann, das ist nicht mein Freund, wie oft muß ich dir das noch sagen!" schrie Camilla erbost, sprang aus dem Bett und zog Lila die Decke weg, um ihr anschließend auch noch ein Kissen an den Kopf zu werfen.
Lila hüpfte nun auf dem Bett herum: "Ist er jawohol, ist er jawohol!" skandierte sie.
Camilla erwischte mit einem Hechtsprung Lilas Beine und brachte sie zu Fall, dann kitzelte sie sie nach allen Regeln der Kunst durch.
"Halt, ooh, halt, hör auf, ich kann nicht mehr, ich krieg keine Luft mehr!" japste Lila unter Lachkrämpfen.
"Erst wenn du zugibst, daß Bregard nicht mein Freund ist", drohte Camilla und verstärkte noch ihre Anstrengungen.
"Ja, ja, ich geb alles zu, was du willst!" keuchte Lila und ließ sich erschöpft nach Luft ringend zurücksinken, als ihre Cousine von ihr abließ.
"Und er ist doch dein Freund", flüsterte sie kaum hörbar.
"Was war das?!"
"Nichts, nichts!" versicherte Lila hastig.
"Das will ich aber auch gemeint haben!"
Nachdem sie das Bett wieder in Ordnung gebracht hatten, liefen sie zum Frühstück nach draußen.
"Na, das wurde aber auch Zeit", meinte Sara, "wir wollen gleich los, also sieh zu, daß du in die Gänge kommst, Lila!"
Als Lila ihre zwei Honigbrötchen verdrückt und den Hagebuttentee getrunken hatte, hieß es Abschied nehmen.
"Paßt auf euch auf!" sagte Killy und umarmte Sara wie auch Lila, danach war Sara dran, das Gleiche mit Camilla zu tun, und zum Schluß gaben sich die beiden Mädchen noch einen Kuß.
"Sieh zu, daß du bald wieder da bist, Lil", sagte Camilla, und es schimmerte verdächtig in ihren Augen.
"Klar doch", erwiderte Lila und drehte sich schnell weg, denn auch ihr war ziemlich nach Heulen zu Mute.
"Komm Lila, wir müssen!" Sara nahm ihre Tochter bei der Hand, und sie flogen, zum Abschied winkend, endlich los. Bald hatten sie das Tal mit dem See hinter sich gelassen und flogen entlang des tief eingeschnittenen Flußlaufes nach Norden, bis sie die vorspringende Klippe erreicht hatten. Hier mußten sie das Tal verlassen und flogen nun zwischen den hohen, grün bemoosten Stämmen der alten Buchen durch den großen Wald. Lila erinnerte sich noch an den Hinweg vor einigen Wochen, wie kaputt sie da gewesen war. Jetzt machte ihr das alles nicht mehr viel aus, denn durch die anstrengenden Abenteuer der letzten Zeit hatte sie eine wesentlich bessere Kondition als damals.
Sie erreichten das Gebiet, wo sie sich vormals zu Fuß durch das Unterholz gezwängt hatten, weil Sara zuvor Bussarde gesehen hatte, die für die ja nur etwa eine menschliche Spanne großen Elfen eine große Gefahr darstellten. Diesmal war von den Greifen nichts zu sehen, deshalb entschieden sie sich, den Weg über dem Wald fortzusetzen. Aus diesem Grund kamen sie auch wesentlich schneller vorwärts und hatten den Wald schon am frühen Nachmittag hinter sich gelassen. Wenig später kam die Ranne in Sicht, der Fluß, der die Grenze des bewachten Elfengebietes vom Ullasee bildete. Es war jedoch weit und breit keine der üblichen Elfenpatrouillen zu sehen. Leicht befremdet überquerte Sara mit Lila im Schlepptau den Fluß und flog voran über die sanften, mit vereinzelten Wachholderbüschen bestandenen Hügel, deren Heidebewuchs in voller Blüte stand.
"Vorsicht Mama, dort oben, ein Bussard!"
Sara blickte nach oben. "Das ist kein Bussard, Lila, das ist ein Adler. Und da, und dort, das sind ja fünf, nein, gleich sechs von ihnen. Was machen die hier, und wo kommen sie her, hier gibt es doch normalerweise gar keine Adler!"
Sie setzten ihren Weg vorsichtig fort, von einer Deckung zur nächsten fliegend und ständig die mächtigen Vögel im Auge behaltend.
"Was ist denn das hier?" fragte Lila.
Sie hatten soeben Deckung in einer kleinen Gruppe von Wachholderbüschen gesucht, und Lila hatte etwas Weißliches entdeckt, das unter einem der Büsche zu sehen war. Sie griff danach und zog.
"Oh mein Gott!" rief Sara entsetzt aus und schlug die Hände vor den Mund. Lila war ebenso geschockt; das, was sie jetzt erschrocken hatte fahren lassen, war der obere Teil des Brustkorbes sowie der Schädel einer Elfe oder eines Elfen. Die Überreste waren bereits vollkommen skelettiert, und so war nicht mehr identifizierbar, um wen es sich gehandelt haben mochte.
"Warum ist das Skelett denn nicht gefunden worden", fragte Lila ihre Mutter, "es lag doch gar nicht so verborgen, und man muß ihn oder sie doch vermißt haben?"
"Das kann ich mir auch nicht erklären", erwiderte Sara, "wir sollten so schnell wie möglich das Dorf erreichen und Karmak, unseren Dorfältesten informieren!"
Mit blassen Gesichtern verließen sie ihr Versteck, überflogen das letzte Stück der Wachholderheide und folgten dem Lauf des Krautbaches durch die blühenden Sumpfwiesen. Sara hatte ein beklemmendes Gefühl in der Brust; noch immer war ihnen keiner der Ullaseeelfen begegnet, die hier normalerweise um diese Tageszeit überall unterwegs waren. Zudem waren viele der hier wachsenden Pflanzen stark beschädigt oder angefressen, doch gab es keine näheren Hinweise, was solche Schäden angerichtet haben könnte. Es waren nur noch ein paar hundert Meter bis zum Dorf, als sie zu ihrem Entsetzen die nächsten Elfenskelette fanden. Zwei von ihnen hielten noch ihre zerbrochenen Lanzen in den knöchernen Fingern, die anderen beiden waren offensichtlich Kinder gewesen. Viele ihrer Knochen waren gebrochen, die Skelette regelrecht auseinandergerissen. Lila erbrach sich bei dem furchtbaren Anblick, und auch Sara ging es nicht viel besser. Wer oder was hatte hier nur so gewütet?
Erfüllt von quälender Angst, legten sie das letzte Stück bis zum Dorf zurück. Was sie dort erwartete, übertraf ihre schlimmsten Befürchtungen: Sämtliche Hütten und Häuser waren zerstört und größtenteils verbrannt; überall dazwischen lagen die übel zugerichteten Überreste der Bewohner, egal ob Männer, Frauen oder Kinder, niemand war verschont worden. Lila klammerte sich weinend an ihre Mutter.
"Waren das wohl die Adler?" fragte sie schluchzend.
"Ich weiß es nicht, mein Kind", antwortete Sara unter Tränen, "ich habe keine Ahnung, was es war, aber es waren mit absoluter Sicherheit nicht nur Tiere, denn Tiere legen kein Feuer."
Sie zwang sich zur Beherrschung und durchsuchte das ganze Dorf, gefolgt von der unter Schock stehenden Lila, um sicherzugehen, ob nicht vielleicht doch jemand versteckt hatte überleben können. Aber alle Suche blieb vergebens. Es war zu sehen, daß sich viele Elfen verzweifelt gewehrt haben mußten, denn etliche hatten ihre Waffen bei sich, aber entweder war es ihnen nicht gelungen, auch nur einen der Angreifer zu töten, oder diese hatten ihre Gefallenen mitgenommen, denn außer Elfenskeletten waren keinerlei sterbliche Überreste anderer Lebewesen zu finden. Lila hockte sich bei einem der kleinen Skelette nieder, bei dem ihr ein Glitzern aufgefallen war: es war eine silberne Kette, an welcher ein schimmernder Glückskäfer befestigt war.
"Oh, Mama!" schrie sie verzweifelt auf, "es ist Fianna!" Neuerlich liefen ihr die Tränen über die Wangen; wie oft hatte sie mit der kleinen Fianna Blumen gepflückt, Ketten oder Kränze daraus geflochten und auf die Sechsjährige aufgepaßt, wenn deren Eltern nicht da waren. Nie wieder würde sie ihr unbeschwertes Lachen hören und in ihre fröhlichen, tiefblauen Augen sehen! Ihre ganze Welt, in der sie aufgewachsen war, schien aus den Fugen zu geraten, nichts würde jemals wieder so sein wie früher. Ihr schwindelte, und in ihrem Magen rumorte es erneut. Dann fühlte sie, wie die Arme ihrer Mutter sich um sie legten. Lila drückte sich zitternd an den einzigen Halt, der ihr geblieben war.
"Wir sollten lieber schnell weg hier", befand Sara mit einem besorgten Blick nach oben. Lila sah ebenfalls hin und bemerkte, daß die Adler, deren Anzahl sich auf über ein Dutzend vergrößert hatte, mittlerweile wesentlich niedriger über ihnen kreisten.
Sie versteckten sich vorläufig unter einem dichten Dornengesträuch, um die Dunkelheit abzuwarten, denn bei Helligkeit würde es ihnen schwerfallen, über die offenen Heidestellen und den Fluß zu kommen, falls die Adler es auf sie abgesehen haben sollten. Bei Anbruch der Nacht zogen sich die Adler zurück, da sie keine nachtaktiven Jäger waren.
Lila kroch hinter Sara her aus dem Gebüsch. Zwei unsteten Schatten gleich flogen sie durch die nächtliche Gräue dem schützenden Wald entgegen. Lila kam es vor, als wolle der Weg dorthin kein Ende nehmen; bei jedem kleinsten Geräusch zuckte sie panisch zusammen. Endlich tauchte die dunkle Wand des Waldes vor ihnen auf. Sara schlüpfte durch eine Lücke in das Unterholz und drehte sich zu Lila um.
Deutlich hob sich diese vor dem mondhellen Himmel ab. Doch plötzlich, von einer Sekunde auf die andere, war ihre Silhouette nicht mehr die einzige: Ein riesenhafter Schatten verdunkelte das Licht des Mondes. Lila, die dies ebenfalls bemerkte, drehte sich um; ihr stockte der Atem, als sie eine Eule erkannte, die mit ihren gewaltigen Krallen nach ihr griff. Im letzten Sekundenbruchteil, als die Krallen zuschnappten, fühlte sie sich nach hinten gerissen. Direkt vor ihrem Gesicht schlossen sich die Klauen, und der nächtliche Jäger drehte mit einem enttäuscht klagenden Schrei ab.
Sara nahm die völlig aufgelöste Lila in den Arm und versuchte sie zu beruhigen. Sie selber war jedoch ähnlich betroffen, so daß ihr dies nur halbwegs gelang. Immerhin hatte sie Lila nach einiger Zeit soweit, daß sie ihren Weg fortsetzen konnten. Die ganze Nacht schleppten sie sich vorwärts, gepeinigt von Müdigkeit und den entsetzlichen Bildern, die sich ihnen dargeboten hatten. Endlich, in den frühen Morgenstunden, als sich die ersten Sonnenstrahlen über den Horizont tasteten, erreichten sie total erschöpft die Hütte von Killy.
Schweigen breitete sich in der Ratshalle aus. Soeben hatten Sara und Lila ihren Bericht über die grausigen Geschehnisse vom Ullasee beendet. Die Gesichter der hier versammelten führenden Persönlichkeiten des Elfendorfes, unter Vorsitz Histrans, zeigten eine Mischung vielfältigster Gefühle: Angst, Wut, Entsetzen und Ungläubigkeit, daß intelligente Wesen - davon ging man wegen des gelegten Feuers aus – anderen so etwas anzutun, überhaupt im Stande waren.
"Ich hatte gedacht, daß wir nach dem Tode Urkalans nun ohne Angst leben könnten", brach die leicht quäkige und belegt klingende Stimme des Korbflechters Meanmar die Stille, "aber nach diesem unbeschreiblichen Massaker erscheint unsere Zukunft düsterer und gefährdeter denn je."
"Vor allem die Ungewißheit, wer oder was überhaupt Urheber jener Bluttat war, macht alles noch schwieriger. Wir wissen ja gar nicht, vor was, oder wogegen und deshalb auch wie wir uns schützen müssen", fügte Jondras mit tiefer Bitterkeit in der Stimme hinzu.
"Eine Gegenwehr mit den normalen, uns zur Verfügung stehenden Waffen scheint in Anbetracht der von Sara und Lila beschriebenen Funde völlig aussichtslos zu sein", erklärte Histran, "wir müssen unbedingt eine Gruppe von uns dorthin schicken, um Anhaltspunkte zu finden, wer die Bedrohung für uns ist und natürlich auch, um die Toten zu bestatten."
"Ich glaube", ließ sich nun Sara vernehmen, "daß wir die direkte Beteiligung von Menschen wohl ausschließen können."
"Wie kommst du darauf, Sara?" fragte Toldar, Vater des ebenfalls anwesenden siebzehnjährigen Bregard, und zog erstaunt die Augenbraue hoch, "ich dachte, wir wären wegen des Feuers gerade sicher, daß einer oder mehrere Menschen beteiligt gewesen sein müssen."
"Tja, das Feuer bereitet auch mir Kopfzerbrechen", erwiderte Sara, "aber wenn Menschen dort gewütet hätten, wären die Häuser anders, totaler zerstört gewesen, und ich habe auch keinerlei menschliche Fußoder Schuhabdrücke gesehen."
"Wenn ausschließlich Menschen den Angriff ausgeführt hätten", warf Histran ein, "wären wohl auch die meisten Elfen fliegend entkommen; außerdem hätten sie auch wohl kaum versucht, sich gegen Menschen mit Lanzen und Schwertern zu verteidigen, da solches Unterfangen, wie jedem Elf bekannt sein dürfte, völlig aussichtslos ist."
"Es müssen kleinere Lebewesen gewesen sein", vermutete Camilla, "weil die Toten skelettiert waren und größere Tiere hätten die Knochen zum Teil mitgefressen oder zermalmt."
"Das kann man nicht mit Sicherheit sagen", widersprach Histran, "das Abnagen der Skelette kann auch später, zum Beispiel von Ameisen, erfolgt sein. Ich schätze, bevor wir dort nicht alles gründlich untersucht haben, wird alles wilde Spekulation bleiben. Auf jeden Fall müssen sich ab sofort alle hier lebenden Elfen so verborgen wie möglich halten, um, sofern es geht, eine Entdeckung durch diese mysteriösen Feinde zu vermeiden. Insbesondere müssen alle Eltern ihre Kinder unter verstärkter Aufsicht haben und sie nur draußen spielen lassen, wo eine Entdeckung auszuschließen ist."
"Was denkst du, Histran", fragte Jondras, "haben die Adler wohl etwas mit dem Angriff zu tun?"
"Hm, eigentlich gehe ich davon aus, daß dies eher nicht der Fall ist, weil die Adler die angegriffenen Elfen wohl schlimmer zugerichtet hätten. Andererseits weiß ich auch überhaupt noch nicht, wie ich das Erscheinen dieser Vögel einzuordnen habe. An und für sich sollten Adler keine allzu große Bedrohung für uns Elfen darstellen, weil wir für sie als Beute einfach zu klein sind."
"Und was ist mit der Eule, die mich greifen wollte?" verlangte Lila zu wissen.
"Ich denke", meinte Jondras, "ich denke, daß die Eule wohl nichts mit dem Überfall zu tun hat; sie wird wohl nur auf einer für Eulen normalen Jagd gewesen sein, und Elfen passen von ihrer Größe nun einmal als Beute."
"Sara, wie steht es mit dir", wollte nun Histran wissen, "darf ich dich denn bitten, uns noch einmal zum Ullasee zu begleiten? Ich weiß, wie schwer das für dich ist, aber du kennst den Weg am genauesten, und außerdem bist du die einzige, die die traurige Aufgabe übernehmen könnte, die Toten, oder wenigstens einen Teil von ihnen zu identifizieren, da du ja dort gelebt hast."
Er blickte Lilas Mutter fragend an.
"Nun, ich muß ja wohl oder übel, aber ich lasse Lila nach diesen Erlebnissen nicht gern allein."
"Ach Mama, mach dir keine Sorgen", warf Lila ein, "ich komm schon darüber hinweg. Außerdem bin ich ja nicht alleine, Milla und Killy sind doch auch noch da."
"Klar", stimmte Camilla zu, "wir werden uns schon um Lila kümmern!"
Auch Killy nickte zustimmend, so daß Sara seufzend endgültig zusagte, am nächsten Tag mit der Gruppe um Histran zu dem Ort der Bluttat zu fliegen.
Zurück in Killys Behausung nahm Sara Lila in den Arm: "Lila, du mußt mir versprechen, daß du, beziehungsweise ihr - dabei blickte sie Camilla an – keine eigenmächtigen Touren unternehmt. Nein, nein, Lila, du brauchst mich nicht so empört anzusehen; wie du dich wohl noch recht gut erinnern kannst, wäre es wahrlich nicht das erste Mal! Aber diesmal ist die Gefahr noch ungleich größer, da wir bislang überhaupt nicht wissen, was es ist, doch sehr wohl, was es anrichten kann. Also, gehorche Tante Killy aufs Wort, verstanden!?"
"Ja, Mama!"
"Ich werd' mein Bestes tun, die beiden Rangen im Auge zu behalten", versicherte nun auch Killy ihrer Schwester, "versuche du nur, deinen Kopf für die bevorstehende Aufgabe freizuhalten, damit du nicht die Gefahr für dich selbst aus den Augen verlierst."
In der folgenden Nacht fiel es ihnen allen schwer, Schlaf zu finden. Camilla meinte, eben erst eingeschlafen zu sein, als ein entsetzlicher Schrei sie weckte. Verwirrt und schlaftrunken fuhr sie hoch, wild um sich blickend. Da ertönte der Schrei erneut, direkt neben ihr. Noch nicht ganz bei sich, stimmte sie verängstigt mit ein. Auf dem Flur war Poltern zu vernehmen, dann wurde die Tür aufgerissen, und Killy und Sara stürmten mit schreckgeweiteten Augen ins Zimmer. Die Lampe, die Killy in der Hand hielt, beleuchtete die verschreckt im Bett kauernde Camilla und neben ihr Lila, die, gerade als die beiden Mütter den Raum betraten, den dritten Schrei ausstieß. Sara lief zu ihrer Tochter und schüttelte sie leicht, um sie wachzubekommen, denn Lila stand dort mit zwar aufgerissenen, doch blicklosen Augen und war offensichtlich noch fest in einem Alptraum gefangen. Langsam kam sie wieder zu sich und barg schluchzend ihr Gesicht an Saras Brust.
"Lila, es ist alles gut. Es war nur ein böser Traum", flüsterte ihre Mutter, den Kopf Lilas streichelnd, "es ist nichts passiert, wir sind doch bei dir!" Mit diesen Worten hob sie Lila auf und trug sie zum Bett zurück. Mittlerweile hatte sich auch Camilla durch Killy beruhigen lassen und lag nun wieder entspannt in ihrem Bett. Während Sara Lila nun ein Schlaflied sang, um ihren aufgewühlten Geist zu besänftigen, verließ Killy leise den Raum. Als Sara feststellte, daß auch Lilas Atemzüge wieder ruhig gingen, gab sie ihr noch einen Kuß auf die Stirn und folgte ihrer Schwester.
"Milla?"
"Ja, Lila?"
"Sag, kann ich mit zu dir ins Bett? Ich hab Angst, daß die bösen Träume wiederkommen."
"Na klar, komm her!"
Rasch sprang Lila aus ihrem Bett und schlüpfte zu Camilla unter die Decke.
"Was hast du denn Schreckliches geträumt, daß du so geschrien hast, Lil?"
"Ich hab geschrien? Davon habe ich gar nichts gemerkt!" staunte Lila.
"Und wie, das kann ich dir sagen! Ich hatte tierische Angst, daß irgendetwas Furchtbares passiert. Zuerst, als ich durch die Schreie wach wurde, habe ich auch gar nicht mitgekriegt, daß du es bist."
"Es war aber auch entsetzlich! Ich habe geträumt, der Magier Urkalan lebte noch und hatte uns Elfen alle gefangen. Dann hat er seinen Riesenameisen befohlen, alle bis auf die Knochen abzunagen. Gerade fingen sie bei Mama an…!" Lila fing wieder an zu schluchzen.
"Iii, das ist ja grausig! Du Ärmste!" Camilla streichelte Lilas Arm, bis sie sich wieder gefangen hatte.
"Du, Milla, was meinst du", grübelte Lila, "könnte es nicht sein, daß Urkalan den Brand in der Ruinenstadt überlebt hat? Dann wäre es doch möglich, daß er etwas mit dem Massaker vom Ullasee zu tun haben könnte."
"Kann ich mir eigentlich nicht vorstellen", erwiderte ihre Cousine, "das war eine derartige Flammenhölle in den Gewölben, und dann gab es doch, als wir draußen waren, auch noch diese enorme Explosion. Nein, ich kann es nicht glauben, daß irgend ein Lebewesen so etwas überstehen kann!"
"Eigentlich habe ich das auch so gedacht, aber andererseits, wer sonst hätte irgendetwas davon, die Elfen auszurotten? Bei Urkalan könnte man sich so etwas aus Rache vorstellen."
"Mir fällt auch noch etwas ein, was für deine Vermutung spräche", sinnierte Camilla, "und zwar das Feuer."
"Hä? Wieso sollte das auf Urkalan hindeuten."
"Na ja, deine Mama hat doch gesagt, daß es keinerlei Spuren gab, die auf Menschen hindeuteten, Fußspuren oder so; Urkalan hatte aber doch vor, Tiere mit elfischer oder menschlicher Intelligenz zu versehen, oder hatte es sogar teilweise schon geschafft, wenn ich an die Viecher in dem Gewölbe denke, wo Anna und Corinna eingesperrt waren, so hätten auch irgendwelche derart veränderten Tiere das Feuer legen können."
"Das stimmt, Milla! Darauf wäre ich nicht gekommen. Das müssen wir unbedingt den anderen erzählen, bevor sie morgen losfliegen, damit sie mit der Möglichkeit rechnen, daß sie intelligenten Tieren gegenüberstehen, oder daß Zauberei im Spiel ist!"
Mit diesem Entschluß schliefen die beiden ein.
Als sie am nächsten Morgen geweckt wurden, stahlen sich gerade erst die ersten Sonnenstrahlen über den Horizont. Weil die Elfenmädchen so aufgeregt darauf brannten, ihren Müttern die Ergebnisse ihrer nächtlichen Unterredung mitzuteilen, mußte die Morgenwäsche heute bedauerlicherweise ausfallen.
"Huch, wo kommt ihr denn schon her?" wunderte sich denn auch Killy prompt, "so schnell seid ihr ja noch nie aus den Betten gefallen!"
"Wir müssen euch unbedingt noch etwas erzählen, bevor Mama losfliegt!" sprudelte Lila hervor, "wir…!" "Wir glauben, daß Urkalan gar nicht tot ist, und daß er hinter der üblen Geschichte stecken könnte!" rief Camilla dazwischen. Dann berichteten sie geordneter von den Schlußfolgerungen, zu denen ihre Überlegungen sie geführt hatten.
"Ihr habt recht, so abwegig dies im ersten Moment erscheinen mag, so wenig darf man eine derart gefährliche Möglichkeit außer acht lassen. Ich werde Histran und die anderen darauf hinweisen, so daß wir uns von Aktionen Urkalans nicht so leicht überraschen lassen werden", versicherte Sara, "es ist gut, daß ihr darauf gekommen seid. Aber bitte bedenkt, daß auch ihr hier sein Ziel werden könntet, wenn er denn wirklich noch lebt, und laßt auch hier dementsprechende Vorsicht walten!"
"Ach, wenn ich daran denke, wie es hier noch vor einem Vierteljahr gewesen ist: Keinen Gedanken brauchte man an derart furchtbare Dinge zu verschwenden; es gab sie einfach nicht. Und jetzt? Ein grauenvolles Ereignis jagt das nächste, und es ist kein Ende abzusehen", sagte Killy traurig.
"Du hast recht, Schwester, wir müssen alles daransetzen, endlich ein für alle Mal damit fertig zu werden. Auch dürfen wir nicht vergessen, Bernhard, seine Familie und Corinna zu informieren, denn auch sie werden das Ziel von Urkalans Rache sein, so er noch lebt."
"Das können wir machen!" rief Camilla, "dürfen wir Mama, ja? Wir waren doch schon mehrmals dort und kennen uns aus. Wir sind auch supervorsichtig!"
Killy schaute nachdenklich drein: "Was meinst du Sara, können wir sie allein dort hinlassen?"
"Ich weiß nicht, in Anbetracht der drohenden Gefahr?" "Och bitte, wir passen auch wirklich ganz doll auf!" versprach jetzt auch Lila, "wir kennen den Weg dahin so genau, daß uns niemand sehen wird."
"Eigentlich würde ich lieber mitkommen", sagte Killy, "aber Histran hat mich gebeten, den Vorsitz im Dorfrat zu übernehmen, solange ihr auf eurer Exkursion seid. Darum kann ich nicht weg."
"Nun, Kinder, wenn ihr fest versprecht, aufzupassen und nicht noch irgendwoanders hinzufliegen, denke ich, daß wir ihnen diese Aufgabe anvertrauen können", entschied Lilas Mutter.
"Toll!" rief Lila, "dann sehen wir endlich Anna, Martha und Bernhard wieder!"
Sara lächelte still in sich hinein; vielleicht würde dies Lila helfen, die schrecklichen Bilder vom Ullasee ein wenig zu verdrängen. Ihre Gedanken wurden durch energisches Klopfen an der Tür unterbrochen.
"Herein, die Tür ist offen!" rief Killy.
Durch die Tür trat nun Histran, der Oberste der hiesigen Elfen, in die Wohnung.
"Guten Morgen alle zusammen", grüßte er.
"Guten Morgen Histran!" erwiderten die vier weiblichen Elfen wie aus einem Munde.
"Bist du soweit, Sara?" fragte Histran, "dann sollten wir uns gleich auf den Weg machen."
"Ja, ich bin soweit, aber vorher solltest du dir vielleicht noch anhören, was unseren beiden Mädchen heute nacht noch aufgefallen ist."
"Aber natürlich, wenn es denn wichtig ist. Soviel Zeit muß übrig sein, "willigte der Angesprochene ein, "was ist euch zwei jungen Damen diesmal durch den Kopf gegangen?"
"Wir befürchten, daß Urkalan noch lebt und hinter dem Überfall am Ullasee stecken könnte", erklärte Camilla und erläuterte anschließend, wie sie zu diesem Schluß gelangt waren. Histran zeigte ein deutlich betroffenes Gesicht. "Meine Güte, da müssen erst zwei Kinder kommen, um uns auf einen so naheliegenden Gedanken zu bringen! Daß wir da in der Besprechung gestern nicht darauf gekommen sind, ist ja schon fast peinlich. Ja, ich muß zugeben, es erscheint durchaus logisch, und ich bin geneigt, mich eurer Denkweise anzuschließen. Demzufolge müssen wir noch deutlich achtsamer vorgehen, als ohnehin schon geplant. Komm schon mal mit, Sara, wir gehen die anderen draußen informieren, und dann brechen wir auf!"
Sara verabschiedete sich noch hastig von Killy und den Kindern, welche ihr nach draußen folgten, um die übrigen Elfen zu begrüßen und zum Abschied zu winken. Es waren - mit Sara - neun Elfen, die an dem Flug teilnehmen sollten. Neben Histran waren dies der Korbflechter Meanmar, der Goldschmied Jondras, seine Frau Kara, einer der Dorflehrer, Toldar, dessen siebzehnjähriger Sohn Bregard, der Jäger Dungan und letztendlich noch der Seiler Welard. Bis auf Sara und Kara waren alle bewaffnet und hatten zusätzlich noch Schaufeln mitgebracht, um die Toten begraben zu können. Mit bangem Gefühl im Herzen sahen die drei Daheimbleibenden nun die Gruppe fortfliegen.
"Was meinst du, Milla, sollten wir uns nicht auch auf den Weg machen? Wenn es wirklich eine Racheaktion von Urkalan war, dann schwebt Bernhard mit seiner Familie in größter Gefahr. Das Schlimmste dabei ist ja eben, daß er nichts davon ahnt!"
"Du hast recht Lil, wir sollten sofort los. Ist das o.k., Mama?"
"Meinetwegen, ich muß sowieso gleich weg, ins Dorf, um Histrans Aufgaben wahrzunehmen, solange er fort ist. Aber bevor ihr fliegt, werdet ihr erst etwas essen, klar?"
"Ja. Komm, Lil!" Sie rannten ins Haus, um eilig das vorhin unterbrochene Frühstück zu beenden.
"Hey Lil, wir hau'n ab, wir können die Brötchen doch auch unterwegs weiteressen!"
Lila schnappte sich ihr Marmeladenbrötchen und folgte Camilla, die, kaum daß sie das Haus verlassen hatte, ein hohes Tempo anschlug und den See entlang nach Süden flog. Es war ein schöner Sommertag; die Sonne schien fast ungehindert hernieder, nur ab und an zogen ein paar kleine Schäfchenwolken vorüber. Ein leichter Wind trieb ihnen die Blumendüfte und das Bienengesumme der seenahen Wiesen zu. Einige Zeit später hatten sie die Grenze des Knochensumpfes erreicht.
"Weißt du noch, wie wir uns hier das erste Mal verirrt haben, Milla?"
"Erinner mich nicht daran", schauderte diese, "erstmal dieser undurchdringliche Nebel und dann die Gottesanbeterin, brrr…!"
Heute wirkte die gesamte Szenerie harmlos und friedlich; die moosigen Buckel sahen weich und einladend aus, und die Sonne tauchte alles in ein warmes Licht. Das einzige, was die Idylle störte, waren die unzähligen Mücken, die dicht über dem aufgewärmten moorigen Wasser tanzten.
"Heute ist es richtig schön hier", meinte Lila, "wollen wir nicht einen Augenblick rasten und unsere Brötchen essen?"
"Gute Idee", stimmte Camilla zu. Sie suchten sich eines der größeren Moospolster aus und machten es sich darauf bequem.
"Ooh, ist das gemütlich!" schwärmte Camilla, "am liebsten würde ich mich jetzt einfach ausstrecken und einschlafen!"
"Geht mir genauso", murmelte Lila mit vollem Mund, lehnte sich zurück und ließ ihre Blicke schweifen. "Weißt du, Milla…, Milla sieh mal!" sie unterbrach sich selbst und schüttelte Camillas Arm, "da oben!"
Camilla folgte mit ihrem Blick Lilas Arm und sah zu ihrem Unbehagen einen Adler hoch oben am Himmel kreisen.
"Laß uns lieber ganz still liegen, Lila, damit er uns nicht bemerkt!"
"Glaubst du, Urkalan hat sie sich auch zu Diensten gemacht?"
"Ich weiß es nicht, aber immerhin waren ja, wie du erzählt hast, auch da am Ullasee mehrere Adler, also könnte es einen Zusammenhang geben."
Sie blieben regungslos liegen, bis der Greifvogel sich bei seinen Kreisen weit genug entfernt hatte.