Lillys magische Schuhe, Band 5: Der funkelnde Berg - Usch Luhn - E-Book

Lillys magische Schuhe, Band 5: Der funkelnde Berg E-Book

Usch Luhn

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Beschreibung

Diese magischen Schuhe schenken dir Mut, Selbstvertrauen und Stärke. Wenn du Lillys Hilfe brauchst, wirst du ihre geheime Schuhwerkstatt finden … Romy hat schon an vielen tollen Orten auf der Welt gelebt. Doch inzwischen hat sie die Nase voll vom Herumreisen und Heimunterricht. Sie würde viel lieber auf eine ganz normale Schule gehen, in der sie jeden Tag ihre Freunde sehen kann! Aber davon muss sie erst mal ihre Eltern überzeugen, die seit Neuestem einen Gasthof in den Alpen führen. Können die magische Schuhmacherin Lilly und ihre Gefährten Romy helfen? Entdecke alle Abenteuer in der magischen Schuhwerkstatt: Band 1: Die geheime Werkstatt Band 2: Die verbotenen Stiefel Band 3: Die zauberhaften Flügel Band 4: Der tanzende Drache Band 5: Der funkelnde Berg Band 6: Die verschwundene Schildkröte Band 7: Das kostbare Pferd Band 8: Die glitzernde Insel Adventskalender: Das Meer der Wünsche

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Seitenzahl: 152

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Als Ravensburger E-Book erschienen 2022 Die Print-Ausgabe erscheint im Ravensburger Verlag © 2022, Ravensburger Verlag Text © 2022 Usch Luhn Originalausgabe Cover- und Innenillustrationen: Alica Räth Alle Rechte dieses E-Books vorbehalten durch Ravensburger Verlag GmbH, Postfach 2460, D-88194 Ravensburg.ISBN978-3-473-51121-1www.ravensburger.de

„Hatschi! Haaa-tschi!“

Lilly schreckte aus einem schönen Traum hoch. Sie hatte mit ihren Freunden Tom und Liz auf einer großen Theaterbühne getanzt und irgendwann fast das Gefühl gehabt, als würde sie durch die Luft schweben. Bis ein heftiges Rumpeln sie aus dem Takt gebracht und aufgeweckt hatte.

Im ersten Moment wusste Lilly gar nicht, wo sie sich befand, so tief war sie in ihren Traum eingetaucht. Enttäuscht stellte sie fest, dass sie gar nicht mehr tanzte. Auch die zauberhafte Musik war verstummt.

„Was ist los? Wo bin ich?“, murmelte sie und guckte sich verwirrt um.

Lilly flog tatsächlich, aber nicht über eine Bühne. Sie saß in eine Wolldecke eingekuschelt auf dem Rücken ihres Hauslehrers Monsieur Archibald, einem Drachen, der seit einiger Zeit bei ihrer Familie lebte und sie unterrichtete.

Wenn er sie nicht gerade durch die Lüfte trug.

Erfreut stellte sie fest, dass sie sich schon mitten in den Bergen befanden. Ein vorwitziger Gipfel ragte sogar bis in eine Wolke hinein. Ihr neues Zuhause war also nicht mehr fern.

Als Lilly nach unten schaute, erblickte sie ein putziges Städtchen. Eigentlich war es eher ein Dorf, denn die kleinen Häuser standen kreuz und quer, nicht in ordentlichen Straßenzügen wie in der Stadt. Mittendrin entdeckte Lilly einen Kirchturm mit einem Wetterhahn auf der Turmspitze. So etwas kannte sie bisher nur aus Büchern. Hübsch war es hier. Sie konnte sich sehr gut vorstellen, hier zu wohnen. Auch wenn sie wieder sehr überstürzt aus ihrem letzten Zuhause, einem wunderschönen Schloss, abgereist waren. Dabei hatte Lilly sich gerade so richtig mit den Zwillingen Tom und Liz angefreundet.

Aber DIEGIERIGEN, vor denen sie mit der magischen Schuhwerkstatt ihres Onkels schon eine ganze Weile auf der Flucht waren, hatten sie erneut aufgestöbert. Sie wollten unbedingt dahinterkommen, wie man die magischen Schuhe herstellte, um sie für ihre dunklen Machenschaften zu missbrauchen.

Deshalb hatten die Bösewichte sogar Lillys Eltern entführt und hielten sie gefangen. Irgendwie hatten DIEGIERIGEN herausgekriegt, dass Lilly das Talent, magische Schuhe zu bauen, ebenfalls in sich trug. Seither war sie in höchster Gefahr.

War es überhaupt möglich, den GIERIGEN zu entkommen und ihre Eltern aus ihren Fängen zu befreien?, fragte sich Lilly inzwischen. Sie versuchte, sich ihre Angst nicht anmerken zu lassen, um Onkel Clemens nicht zu beunruhigen – doch die Geschwindigkeit, mit der DIEGIERIGEN die Schuhwerkstatt immer wieder aufspürten, bereitete Lilly täglich größere Sorge.

„Haaatschi!“ – Erst jetzt begriff Lilly, dass es Monsieur Archibald war, der so heftig nieste. Sein Niesanfall fühlte sich an wie ein mittleres Erdbeben. Selbst seine Schwanzspitze zitterte.

„Archie, was ist los?“, rief Lilly. „Hast du dich erkältet?“ Dumme Frage, dachte sie sogleich. Aus seiner Nase tropfte es wie aus einem kaputten Wasserhahn.

„Isch asse die Berg!“, krächzte der Hauslehrer. „Isch wollte liebär an das schöne Meeeer. Sisch in warm Wellen treiben lassen … Wär das fabelschön! Abär non. Wohin bestimmt uns la Generale Madame Wu? In die Gebirg. Isch bin schon eine Zapf aus Eis. Pfui. Oder auf Französisch: Pouah!“

Lilly kicherte. Pouah! Das hörte sich lustig an.

„Lachst du mein Krankheit aus, Lieblisch?“, protestierte der Drache. „Schlimme Mädschen, sehr schlimm. Isch leid so arg.“ Er schüttelte empört den Kopf.

„Also wirklich, Monsieur Archibald“, meldete sich eine Stimme zu Wort. „Sie verteilen Ihre Nasentröpfchen überall. Bereiten Sie die Landung vor. Nicht dass Sie auf einer Bergspitze landen. Mein Kompass zeigt mir, dass wir jeden Augenblick da sein müssten.“

Aus einer Ansammlung Schals in der Satteltasche wühlte sich der Kopf einer Schildkröte hervor. Es war Frau Wu, Clemens Wunders treue Beraterin, die immer zur Stelle war, wenn er nicht mehr weiterwusste. Für Lilly war sie gleichzeitig eine Art Kindermädchen, auch wenn der Drache sie gerade General genannt hatte. Auch diese Beschreibung passte. Frau Wu konnte sehr energisch werden, wenn es nötig war. So wie eben jetzt.

„Mais oui, abärrr natürlisch. Isch habe ja keine Erdnüss auf die Augen“, brummte der Drache und nieste ein weiteres Mal.

„Wo landen wir denn, Frau Wu?“, fragte Lilly aufgeregt. Sie war plötzlich putzmunter. „Ich bin schon so gespannt.“

Die Schildkröte tippte auf ihren Kompass. „Unser Ziel liegt direkt unter uns. Sehen Sie den Bauernhof, Monsieur? Konzentration bitte. Wir wollen doch nicht im Hühnerstall landen.“

Monsieur Archibald stöhnte auf. „Das wird ein Katastroph geben. Isch spüre es in meine zart Schwanzspitz. Groß Katastroph.“ Aber er stellte seine Flügel gehorsam schräg, um die Landung vorzubereiten.

Lilly schnallte den Notfallschirm auf den Rücken, wie sie es bereits gewohnt war, und hielt sich schnell die Augen zu. Obwohl sie schon so oft mit dem Drachen auf Reisen gewesen war, wurde ihr beim Landen immer noch schwindlig. „Uihhhh“, quietschte sie, weil es im Sinkflug heftig in ihrem Bauch kribbelte. Sie versuchte, tief zu atmen.

„Attention! Achtüng! Abbbwäääärts!“, schniefte der Drache. Dann setzte er mit einem lauten „Haatschiii“ auf dem Boden auf.

„Schnell mein andere Mütz auf die Kopf und eine warme Schal. Isch habe keine Lust auf noch mehr Schnupf“, hörte Lilly den Drachen brabbeln. Den Rest verstand sie nicht, weil er in seine französische Muttersprache wechselte. Anscheinend war er wirklich durcheinander.

In sein aufgeregtes Kauderwelsch mischte sich fröhliches Meckern. Wo kam das denn plötzlich her?

Lilly öffnete neugierig die Augen. „Oh, wie hübsch!“, rief sie begeistert.

Sie waren mitten auf einem Bauernhof gelandet und wurden von einer Herde junger Ziegen umringt. Die munteren Vierbeiner hüpften um den Drachen herum und zupften an seinem lila Schal. Eine vorwitzige Ziege probierte, ob der Stoff schmeckte.

„Non, non, non!“, empörte sich der Drache und zerrte die zerkauten Fransen aus dem Maul der Ziege, die ihre Beute jedoch nicht kampflos hergeben wollte.

Lilly spürte warme Morgenluft auf ihren Wangen. Sie stand auf, befreite sich von der Wolldecke und streckte sich. Von dem langen Flug waren ihre Glieder ganz steif.

„Es ist gar nicht kalt, Archie“, sagte sie lachend, „wir sind ja nicht am Nordpol!“

Aber der Drache hörte nicht auf sie. Aus einer Seitentasche holte er pinke Pulswärmer hervor, die er über seine Flügelspitzen stülpte.

„Ich guck mich mal um“, sagte Lilly und sprang auf den weichen Erdboden.

Eine weiße Ziege schnupperte neugierig an ihrer Jackentasche. Tatsächlich hatte Lilly dort einen Keks eingesteckt. Sie fummelte die Krümel heraus und die Ziege schleckte sie begeistert von ihrer Handfläche.

„Das kitzelt!“ Lilly kicherte und wischte ihre feuchte Hand an ihrem Rock trocken. Sie berührte die Ziege vorsichtig zwischen den Hörnern. „Du Hübsche“, flüsterte sie. „Hast du einen Namen?“ Die Ziege antwortete meckernd. Lilly zuckte mit den Achseln. „Ich kann nur ein paar Sätze Französisch, aber kein Meckerisch“, sagte sie bedauernd. „Ich nenne dich einfach Schneeflöckchen.“

Sie betrachtete das Bauernhaus genauer. Die Fensterläden waren aus grünem Holz und mit Blumenranken bemalt. „Wohnen wir hier, Frau Wu?“

Im selben Moment tauchte Onkel Clemens in der Tür auf. „Willkommen daheim!“, rief er und umarmte Lilly innig. „Ich hoffe, es gefällt euch hier.“

„Non, non, non“, antwortete der Drache mit einer erneuten Niessalve.

Der Gasthof Alpenglück hatte erst seit zwei Wochen wieder geöffnet. Trotzdem war die Gaststube bis auf den letzten Platz besetzt. Die neue Besitzerin Johanna Burger war für die Dorfbewohner nämlich keine Unbekannte, schließlich hatte der Gasthof Johannas Großeltern gehört. Die Speisekarte mit heimischen Gerichten konnte es mit jedem schicken Restaurant in der Kreisstadt aufnehmen.

Johanna war nach dem frühen Unfalltod ihrer Eltern bei den Großeltern in den Bergen aufgewachsen. Nach ihrem Schulabschluss wollte sie unbedingt die Welt kennenlernen. Deshalb war sie Reisejournalistin geworden.

In Berlin hatte sie sich in Pierre Azikiwe verliebt und ihn geheiratet. Azi, wie ihn seine Freunde nannten, kam aus Ghana in Afrika. Er war Koch in einem edlen Restaurant, das so leckeres Essen anbot, dass es sogar mit einem Stern ausgezeichnet worden war.

Ein Jahr später wurde Baby Romy geboren. Johanna freute sich riesig darauf, ihrer Tochter die ganze Welt zu zeigen, wenn sie groß genug sein würde. Und Azi konnte es gar nicht erwarten, Romy Kochen beizubringen – ihr erstes Spielzeug war ein Holzlöffel gewesen. Aber zuerst lernte Romy Oma Auma in Azis Heimat Ghana kennen. Danach zogen sie nach Paris zu Azis Bruder Kofi. Und seit dem Sommer wohnten sie im Alpenglück, denn Johannas Großeltern hatten ihrer Enkelin den Gasthof vererbt.

Mit vollem Namen hieß Romy übrigens Romy Zendaya Tani Malindi Hanne Azikiwe Burger. Da sich das aber niemand merken konnte, nannten sie im Dorf alle nur die Burger Romy.

Gerade half Romy Papa Azi dabei, eine Crème Caramel zu kochen.

Das war eine berühmte französische Süßspeise. Azi war nämlich der Meinung, dass die Dorfbewohner nicht nur Vanilleeis mit heißen Kirschen als Nachtisch bestellen sollten oder Apfelpfannkuchen mit Sahne.

Er wollte die Gäste des Alpenglück nach und nach daran gewöhnen, auch Gerichte aus anderen Ländern lecker zu finden. Wie Azi es sich gewünscht hatte, konnte Romy mit gerade mal zehn Jahren schon hervorragend kochen. Bei einem Kochwettbewerb in Paris hatte sie sogar die „Silberne Gabel“ gewonnen.

Aber heute machte ihr das gemeinsame Kochen mit ihrem Vater gar keinen Spaß. Er hatte sie ohne zu fragen für die Show „Kleine und große Pfannenhelden“ angemeldet, eine Sendung im Fernsehen, in der Erwachsene gegen Kinder kochten. Darauf hatte Romy gar keine Lust. Allein den Titel der Show fand sie megapeinlich.

Sehnsüchtig schaute sie aus dem Fenster. So gewaltige Berge hatte sie trotz der vielen Reisen mit ihren Eltern noch nie gesehen. Die Gipfel sahen aus, als hätte man sie mit Puderzucker bestäubt. Am liebsten wollte sie die Gegend erkunden oder unten im Dorf sein. Vor Kurzem hatte sie dort ein paar Kinder ihres Alters entdeckt, die Rollschuh fuhren. Romy hatte sie beobachtet, wie sie noch auf dem Schulhof ihre Turnschuhe mit den Rollschuhen tauschten und davondüsten. Das schien ihnen riesigen Spaß zu machen. Bestimmt gingen sie alle in eine Klasse. Zu schade, dass Romys Eltern sie nicht auch an dieser Schule angemeldet hatten. Weil sie ständig auf Reisen waren, durfte ihre Mutter sie unterrichten. Das war praktisch, aber mit der Zeit auch sehr langweilig. Ihre Eltern waren der Meinung, dass sie Romy wichtige Dinge beibringen konnten, die nicht auf einem normalen Lehrplan standen. Zum Beispiel hatten sie schon in vielen unterschiedlichen Kulturen gewohnt.

Romy seufzte. Ihr selbst wäre es am wichtigsten, andere Kinder kennenzulernen. Aber wie sollte das gehen, wenn sie nicht einmal zur Schule ging? Romy hatte sich nicht getraut, die Rollschuhtruppe anzusprechen. Immerhin hatte einer der Jungen ihr zugewinkt und total nett gelacht.

Irgendetwas roch hier angebrannt.

Himmel, der Zucker! Sie hatte ganz vergessen, dass er in der Pfanne vor sich hin schmolz, um zu karamellisieren. Jetzt war er schon fast zu dunkel. Eilig goss sie einen Esslöffel heißes Wasser und einen Esslöffel Zitrone dazu. Es zischte und spritzte, und sie rührte wie eine Weltmeisterin, damit die zähe Masse nicht anpappte.

In dem Moment kam ihr Vater mit einem Stapel schmutziger Teller aus der Gaststube zurück. Er schnupperte und runzelte die Stirn.

„Ich weiß, Papa! Nicht meckern“, rief Romy. „Der Zucker hat ein wenig zu lange geköchelt. Sorry!“

Ihr Vater stellte die Teller ab und zog die Pfanne vom Herd. Dabei schwenkte er sie geschickt. „Und jetzt schnell in die Förmchen gießen und auskühlen lassen“, erklärte er und machte es ihr vor.

Romy verdrehte die Augen. „Weiß ich alles, Papa. Und später Eier, Sahne, Milch und Zucker verrühren und mit dem Gemisch die Förmchen auffüllen“, leierte sie gelangweilt das Rezept herunter.

„Sehr gut“, rief ihre Mutter, die ein Tablett mit Gläsern in die Küche balancierte. „Und wie heißen die Hauptstädte Europas? Los, zähl sie auf, zacki, zacki.“ Sie stellte das Tablett so schwungvoll auf die Anrichte, dass die Gläser klirrten.

„Deutschland – Berlin, Belgien – Brüssel, Frankreich – Paris …“, begann Romy.

Jemand klopfte an die Fensterscheibe. Romy fuhr herum und spürte, wie ihr Herz plötzlich deutlich schneller zu schlagen begann. Da stand der Rollschuh-Junge, der ihr zugewinkt hatte. Er hatte einen Helm auf, der ein wenig an die Kopfbedeckung von Batman erinnerte. Der Junge spreizte die Finger und machte mit ihnen eine Spazierbewegung.

Häh? Romy zuckte fragend mit den Schultern. Kurz entschlossen öffnete sie das Fenster. „Hallo“, sagte sie und spürte, wie sie rot anlief. „Was ist denn?“

„Hi“, grinste der Junge. „Coole Hütte!“ Er klopfte gegen die Hauswand. „Ihr wohnt jetzt hier.“ Das war keine Frage, sondern eine Feststellung. „Bist du die Tochter von der Hanni? Meine Mutter und sie waren in einer Klasse.“

Romy kicherte. Wenn das Mama hörte. Sie hasste es, wenn man Hanni zu ihr sagte. Eilig drehte sie sich um. „Mama, hier ist jemand, der Hanni von früher kennt …“ Schade. Ihre Mutter war schon wieder aus der Küche verschwunden.

„Meine Mutter ist die Tierärztin hier im Dorf“, sagte der Junge. „Eva Staub, also Evi. Deine Mutter erinnert sich bestimmt. Meine Mutter hat sie oft abschreiben lassen.“

Jetzt kicherte Romy noch mehr. Sehr interessant, was sie da von einem wildfremden Jungen über ihre Mutter erfuhr.

„Ich bin Laurens“, stellte er sich mit Verspätung vor. „Hast du Lust auf ’ne kleine Tour?“ Er deutete auf die Rollschuhe an seinen Füßen.

Romy starrte sehnsüchtig auf seine Rollschuhe. Sie waren schwarz mit silbernen Zacken. „Ich hab leider keine Rollschuhe“, erklärte sie. „Meine Eltern finden, dass das zu gefährlich ist mit den unbefestigten Straßen, und überall liegt Geröll von den Bergen herum.“

Laurens schüttelte den Kopf. „So ein Quatsch. Ich fahre manchmal sogar, wenn noch Schnee auf den Straßen liegt. Mit Helm und Knieschützern bist du komplett sicher.“

Romy sah ihn bewundernd an. „Ich darf irgendwie gar nichts Cooles.“ Plötzlich hatte sie eine Idee. „Kannst du deine Mutter mal fragen, ob Hanni …“, sie kicherte voller Vorfreude, „also ob meine Mutter früher Rollschuhe hatte? Vielleicht kann ich sie damit austricksen.“

Inzwischen glaubte Romy nämlich nicht mehr alles, was ihre Mutter über ihre Kindheit in den Bergen erzählte. Es musste ja gar nicht sein, dass ihre Mutter sie absichtlich belog. Vielleicht erinnerte sie sich einfach nicht mehr so exakt daran, was sie als Kind erlebt hatte. War ja auch schon ziemlich lange her.

Laurens drehte den Daumen nach oben. „Mach ich. Das kriegen wir hin.“

Plötzlich tauchte Romys Vater hinter ihr auf. „Was ist hier los? Hast du nichts zu tun, Romy Zendaya Tani Malindi? Die Eiersahne schlägt sich nicht von alleine. Fenster zu, es kommen ja lauter Fliegen in die Küche.“ Er wedelte mit einem Geschirrtuch herum und es war nicht klar, ob er die winzige Fliege verscheuchen wollte, die munter herumsummte, oder Laurens.

„Papa! Geht’s noch?“, rief Romy empört. Aber Azi hatte schon das Fenster zugeschlagen.

„Man sieht sich. Deine Namen sind echt der Knaller!“, rief Laurens grinsend durch die Scheibe und rollte davon.

„Woher kennst du denn diesen Spaßvogel? Ist sein Vater Batman?“ Romys Vater schaute Laurens misstrauisch hinterher.

Diese Bemerkung brachte Romy jetzt richtig auf die Palme. „Oh mein Gott. Ein fremder Junge hat an die Fensterscheibe geklopft“, regte sie sich auf. „Das ist ja total verboten. Papa! Merkst du nicht, was du für einen Quatsch redest? Außerdem hast du dich einfach in meine Unterhaltung eingemischt. Das ist voll unhöflich.“

Azi war immer noch hinter der Fliege her. Jetzt versuchte er, sie mit einem Pfannenwender zu erwischen.

„Hallo! Hörst du mir überhaupt zu?“ Romy wurde von Sekunde zu Sekunde wütender. Sie versuchte, ihrem Vater den Pfannenwender wegzunehmen.

„Benimm dich nicht kindisch“, mahnte Azi. „Kümmere dich lieber um die Crème Caramel, anstatt Rollschuh-Jungen hinterherzuträumen. Übung macht den Meister, du willst dich in der Kochshow doch nicht blamieren.“ Er hielt ihr den Eierkarton entgegen.

Romy holte tief Luft. „Rollschuh-Jungen hinterherträumen? Wie bescheuert ist das denn?“ Sie stampfte wütend mit dem Fuß auf. „Ich hasse Crème Caramel!“, brüllte sie und stürmte aus der Küche.

Clemens Wunder war sehr zufrieden. In der Scheune des Ziegenhofes – so lautete der Name des Bauernhofes, in den sie mit Sack und Pack eingezogen waren – war richtig viel Platz für seine Schuhwerkstatt.

Er hatte im Stall noch eine hübsche alte Kommode gefunden, in die seine Lederreste hineinpassten, und auf den Holzbalken konnte man die Schuhpaare wunderbar nebeneinander aufstellen. Aus dem Schloss, ihrem vorherigen Zuhause, hatte Clemens zwei alte Lederkoffer mitgenommen. Er hatte neue Innenfutter dafür genäht, mit vielen kleinen Taschen, die man mit Druckknöpfen verschließen konnte. Darin bewahrte er die empfindlichen Fläschchen auf, die kostbare Flüssigkeiten zur Schuhbehandlung enthielten. In dem Glasschrank, der immer mit auf Reisen ging, befand sich der Rest der Substanzen. Lilly kannte die einzelnen Mittel schon sehr gut. Während sie die Werkstatt einräumten, fragte der Schuster seine Nichte nach den Namen der Mittel und ihrer Wirksamkeit. Das war ein wenig wie Vokabeln abfragen und Lilly konnte mit ihrem Wissen glänzen.

Sie waren mit dem Aufbau der Werkstatt zügig vorangekommen. Sogar das Pappmaschee-Krokodil Sir Schimmelkopf hatte Clemens Wunder mithilfe des Drachens schon unter die Decke gehängt. Hier in der Scheune machte sich das Krokodil ganz besonders gut.

„Ich spüre jetzt schon, dass ich mich hier wohlfühlen werde.“ Der Schuster strahlte. „Ich habe so gute Laune wie schon lange nicht mehr.“

Das konnte das Krokodil natürlich nicht hinnehmen, ohne gleich einen seiner weisen Sprüche loszuwerden. „Nichts in der Welt ist so ansteckend wie gute Laune.“

Lilly machte einen Luftsprung. „Recht hast du, Sir Schimmelkopf.“ Oft ärgerte sie sich darüber, was das Krokodil daherplapperte. Aber heute war sie ganz seiner Meinung. Schade, dass Mama und Papa nicht bei uns sein können, dachte sie. Eine dunkle Wolke schob sich über ihre Gedanken und sie versuchte, die Trauer zu verdrängen, die sie plötzlich überfiel. Bestimmt würden sie bald wieder alle zusammen sein. Mama, Papa, Lilly und Onkel Clemens.

Lilly gefiel der Hof auch sehr gut, besonders die Ziegen. Schneeflöckchen lief ihr überall hinterher, sogar in die Schuhwerkstatt.

Monsieur Archibald fand das gar nicht lustig. Schließlich hatte das freche Tier schon seinen Schal auf dem Gewissen. „Du lästisch Zick. Geh davon.“

Aber Schneeflöckchen ließ sich nicht verscheuchen. Die Ziege beschnupperte neugierig die Fellschuhe, die sich der frierende Drache über seine Pfoten gezogen hatte.

„Non, non, non! So kann isch nischt arbeiten“, protestierte Monsieur Archibald und stampfte mit Yeti-Schritten davon.