Lillys magische Schuhe, Band 7: Das kostbare Pferd - Usch Luhn - E-Book

Lillys magische Schuhe, Band 7: Das kostbare Pferd E-Book

Usch Luhn

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Beschreibung

Diese magischen Schuhe schenken dir Mut, Selbstvertrauen und Stärke. Wenn du Lillys Hilfe brauchst, wirst du ihre geheime Schuhwerkstatt finden … Amelie sitzt seit einem Reitunfall im Rollstuhl, und dennoch wünscht sie sich nichts sehnlicher, als wieder auf ihrer geliebten Stute Silber zu reiten. Auf ihrem Rücken konnte sie alles schaffen, jede Hürde überwinden. Wie gern würde sie nun mit Silbers Hilfe ein Stück Freiheit zurückgewinnen! Für die magische Schuhmacherin Lilly ist klar: Amelie braucht magische Reitstiefel, damit sie sich wieder traut zu reiten! Entdecke alle Abenteuer in der magischen Schuhwerkstatt: Band 1: Die geheime Werkstatt Band 2: Die verbotenen Stiefel Band 3: Die zauberhaften Flügel Band 4: Der tanzende Drache Band 5: Der funkelnde Berg Band 6: Die verschwundene Schildkröte Band 7: Das kostbare Pferd Band 8: Die glitzernde Insel Adventskalender: Das Meer der Wünsche

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Seitenzahl: 137

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Als Ravensburger E-Book erschienen 2023Die Print-Ausgabe erscheint im Ravensburger Verlag© 2023, Ravensburger VerlagText © 2023 Usch LuhnOriginalausgabeCover- und Innenillustrationen: Alica RäthAlle Rechte dieses E-Books vorbehalten durch Ravensburger Verlag GmbH, Postfach 2460, D-88194 Ravensburg.ISBN 978-3-473-51173-0ravensburger.com

„Ein Bauernhof!“, rief Lilly begeistert. „Hoffentlich sind da viele Tiere.“ Sie konnte es plötzlich gar nicht erwarten, auf den Rücken des Drachen Monsieur Archibald zu steigen und loszufliegen.

Dabei war sie zuerst ziemlich traurig gewesen, als Onkel Clemens beschlossen hatte weiterzureisen. Der Sommer am Meer war wunderschön gewesen. Henry war ihr bester Freund geworden und sie hatte es sogar geschafft, ihm Schwimmen beizubringen.

Lilly hatte eigentlich gehofft, sie könnten noch mehr Zeit in dem Kapitänshaus verbringen. Schließlich waren Onkel Clemens und die Fischerin Viktoria ineinander verliebt.

Aber sie mussten ja immer noch Lillys Eltern finden, die von den heimtückischen GIERIGEN entführt worden waren und auf einem unsichtbaren Schiff über die Ozeane segelten. Gleichzeitig durften DIEGIERIGEN nicht auch noch Lilly und ihre magischen Kenntnisse in die Finger kriegen. Das Ganze war also eine ziemlich vertrackte Sache.

„Ich denke schon, dass es auf einem Bauernhof Tiere gibt“, sagte Frau Wu. Wie immer hatte die Schildkröte das neue Zuhause für die Wunders und die magische Schuhwerkstatt ausgesucht.

„Herrlich“, jubelte Lilly. „Dann kann ich bestimmt beim Tierefüttern helfen und Eier im Hühnerstall sammeln. Oder vielleicht ein Kälbchen mit der Flasche großziehen? So was habe ich mal in einem Buch gelesen.“ Sie kletterte auf den Drachenrücken und zappelte ungeduldig. „Ich bin bereit, Archie. Du kannst starten.“

Der Drache ließ ein mürrisches Schnauben hören. „Boernhof“, schimpfte er. „Isch woiss nischt, wos an oinem Boernhof interössant soin soll. Isch mog koine schmussige Tier.“

Lilly guckte verwirrt. „Schmussig … Was meinst du damit? Verschmust? Ich schmuse gerne mit Tieren. Besonders, wenn sie ein weiches Fell haben. Aber ich glaube, man kann sich sogar mit Hühnern anfreunden und mit ihnen kuscheln.“

Archibald spie empört eine Ladung Pfefferminzblasen. Das Feuerspucken hatte er sich, seit er überwiegend bei Menschen wohnte, zum Glück abgewöhnt.

„Non, non, non“, widersprach er energisch. „Isch bün nischt ein Froind von Tier. Sie lärmen söhr und mochen Schmuts und mon woiß nie gönau, wos sie aunstellen.“

Lilly grunzte wie ein kleines Ferkel. „Aber das ist doch lächerlich, Archie. Außerdem bist du auch ein Tier, sogar ein gefährliches Tier. Und unsere liebe Frau Wu auch.“ Sie kicherte und warf einen verstohlenen Blick hinüber zu der Schildkröte. „Also, Frau Wu ist nicht wirklich gefährlich. Nur wenn man sie ärgert.“

Frau Wu wackelte so heftig mit dem Kopf, dass Lilly einen Moment Angst bekam, er könnte abfallen. „So ein dummes Gequatsche“, beschwerte die Schildkröte sich. „Mensch oder Tier, das ist doch völlig unwichtig. Das Herz muss am rechten Fleck sitzen. Monsieur Archibald, Ihnen ist wohl das Klima am Meer zu Kopf gestiegen. Höchste Zeit für eine Luftveränderung. Abflug, bitte! Dalli, dalli.“

Der Drache wurde vor Verlegenheit rosarot. Die Schildkröte sprach nur selten so streng mit ihm. „Bon, bon“, murmelte er. „Isch sag dok nur, was isch denkö.“

Frau Wu zog es vor, nicht zu antworten. Sie trippelte ungeduldig und der Drache machte sich eilig flach, damit Lilly der Schildkröte beim Aufsteigen helfen konnte.

„Also ich freue mich jedenfalls“, sagte Lilly mit Nachdruck. „Und ich bin mir sicher, dass es dir auch gefallen wird, Archie. Wetten, du findest viele nette Freunde auf dem Bauernhof?“

Und ich hoffentlich auch, dachte sie und vertrieb die allerletzten trüben Gedanken.

Denn so richtig überzeugend fand es Lilly immer noch nicht, dass sie das unsichtbare Schiff der GIERIGEN ausgerechnet von einem Bauernhof aus finden sollten. Aber Onkel Clemens und Frau Wu hatten einen streng geheimen Plan und Lilly musste ihnen vertrauen. Mit dem Rest magischen Mondfischknorpelpulvers war es ihr bei Neumond für wenige Sekunden gelungen, auf Frau Wus Panzer das Schiff sichtbar zu machen. Nun mussten sie sich allerdings wieder auf ihr Bauchgefühl verlassen.

Viel zu viele Gedanken schwirrten Lilly durch den Kopf. Das machte sie furchtbar müde. Obwohl sie sich fest vorgenommen hatte, während des Fluges auf jeden Fall wach zu bleiben, fiel sie ruckzuck in einen tiefen Schlaf.

Im Traum saß sie wieder mit Frau Wu am Strand und streute feinen Muschelstaub über ihren Panzer. Augenblicklich erschien darauf das Gesicht von Lillys Mutter.

„Wir sind immer noch auf dem Schiff der GIERIGEN, Lilly-Schatz, und segeln weiter und weiter“, sagte sie. „Aber wir finden uns, ich bin mir ganz sicher. Ein Kind, das gerade besonders dringend magische Schuhe braucht, wird dir dabei helfen. Bleib tapfer, Lilly! Papa und ich kommen schon zurecht.“ Sie strengte sich an, fröhlich zu klingen, aber Lilly sah eine Träne über ihre Wange laufen.

Eine frische Brise kam auf, blies den Staub von Frau Wus Rücken fort und das Gesicht von Lillys Mutter verschwand.

„Mama, bleib bei mir“, schluchzte Lilly.

Da ertönte eine laute Stimme: „Schlafe Mütz, Schlafe Mütz! Ast du oin böser Traum göhabt?“

Lilly schreckte hoch und sah sich verwirrt um. Wo war sie? Das Bett, in dem sie lag, war ihr völlig unbekannt.

Sie wischte mit der Hand über ihr tränennasses Gesicht und blinzelte in die Sonne.

Archibald saß auf der Fensterbank und pustete ein paar Pfefferminzblasen in die Luft. „Isch findä, hier riescht es ötwas müffelig“, sagte er missmutig.

„Was ist das für ein Zimmer?“ Lilly sah sich um. Das Bett, in dem sie lag, war groß und gemütlich und die Bettwäsche hatte ein fröhliches Regenbogenmuster. Ein kleiner Tisch mit Stuhl stand vor dem Fenster und der Fußboden war aus hellem Holz. Vor dem Kleiderschrank sah sie ihren Reisekoffer, er war bereits geöffnet. Jemand hatte die Kleiderbügel herausgezogen und ihre Kleidung zum Auslüften ordentlich hingehängt. Zuletzt entdeckte sie eine Spielecke, in der ein Kinder-Bauernhof aufgestellt war, mit jeder Menge bunt bemalter Holztiere in den Ställen.

„Oin Zimmör für Kindär“, sagte Monsieur Archibald überflüssigerweise. „Ober das Kind ist gross, und so kaunst du hür sein.“

Bevor Lilly noch mehr Fragen stellen konnte, öffnete sich die Tür.

„Guten Morgen, Lilly!“, rief Onkel Clemens fröhlich. „Du hast geschlafen wie ein Bär, da habe ich dich einfach in dein neues Bett getragen. Du musst wirklich erschöpft gewesen sein. Ist ja auch kein Wunder … Aber jetzt raus aus den Federn! Ich habe uns ein herrliches Frühstück zubereitet, und du brennst sicher schon darauf, den Bauernhof und seine Bewohner kennenzulernen, stimmt’s?“

„Meinst du die Tiere?“, rief Lilly freudig. „Na klar! Ich hab auch Hunger wie ein Bär.“

Amelie saß im Garten unter der Schatten spendenden Rotbuche und langweilte sich.

Was nützten ihr Ferien, wenn sie allein zu Hause hocken musste? Bis ihre Eltern von der Arbeit kamen, dauerte es noch eine halbe Ewigkeit, und alle ihre Freundinnen waren im Urlaub. Früher war sie jeden Tag bei ihrem Pferd gewesen, aber das ging ja seit dem Unfall nicht mehr. Zum ersten Mal in ihrem Leben wünschte sie sich die Schule herbei. Aber bis zum Ferienende waren es noch zwei sehr lange Wochen.

Sie hatte die Hörbücher, die ihre Mutter aus der Bibliothek mitgebracht hatte, bereits zweimal hintereinander gehört und sogar den Abenteuerroman, der 600 Seiten lang war, in weniger als einer Woche ausgelesen.

Ihr Vater hatte vorgeschlagen, dass sie wieder mit Zeichnen anfangen sollte, und ihr dafür tolle Farbstifte und einen neuen Block geschenkt. Eine Weile hatte Amelie probiert, ein Eichhörnchen, das den ganzen Morgen in Höchstgeschwindigkeit den Baumstamm hinauf- und wieder hinunterjagte, zu skizzieren. Sie hatte das Tier mit Erdnüssen herbeigelockt, aber schließlich hatte sie die Lust verloren. Es hatte Amelie sogar wütend gemacht, dass das Eichhörnchen keine Sekunde stillhielt.

Selbst Paul von nebenan schien noch verreist zu sein. Er ging seit Kurzem auch in ihre Klasse, weil er sitzen geblieben war. Seine Eltern hatten einen richtig teuren Wohnwagen gekauft und waren damit gleich zu Ferienbeginn losgedüst.

Amelie verstand sich nicht besonders gut mit Paul, obwohl auch er das Reiten liebte. Sie fand, er war ein Angeber. In der Zeit, als Amelie fast jeden Tag im Reitstall gewesen war, hatte er mal ein Springturnier gegen Amelie gewonnen und sich über seinen Sieg gar nicht mehr eingekriegt. Überall hatte er herumgetönt, dass er die Pferdeprinzessin geschlagen hatte. Dabei besaß er nicht einmal ein eigenes Pferd, sondern hatte nur eine Reitbeteiligung.

Dann war etwas total Verrücktes passiert. Pauls Mutter hatte Geld in einer Quizshow gewonnen. Richtig viel Geld! Sie stand deshalb sogar in der Zeitung, mit Foto und Anschrift. Nach dem Zeitungsartikel hatte Frau Breuer, Pauls Mutter, plötzlich jede Menge Bettelbriefe bekommen und noch mehr Zeitungen wollten Interviews.

Und genau deshalb war vor neun Monaten Amelies Unfall passiert.

Sie bog auf ihrer Stute Silber gerade in die Kamillenstraße ein, als ein neugieriger Motorradfahrer viel zu schnell an Silber vorbeischoss. Später erfuhr Amelie, dass der Mann ein Reporter gewesen war, der versucht hatte, durch das Küchenfenster der Breuers Fotos zu machen, und von Frau Breuer verscheucht worden war.

Obwohl Amelies Warmblut ein sehr gutmütiges Tier war, erschrak es furchtbar, bäumte sich auf und warf seine Reiterin ab. In der Klinik stellten die Ärzte dann fest, dass Amelie sich den zweiten Wirbel von unten angebrochen hatte und dass die Nerven, die dahinter lagen, verletzt waren.

Seither konnte Amelie sich nur noch mithilfe eines Rollstuhls fortbewegen. Das Ganze war natürlich ein Schock gewesen, auch für ihre Eltern, und anfangs hatte sich Amelie komplett zurückgezogen. Doch nach und nach hatte sie sich in die neue Situation hineingefunden und war jetzt richtig stolz darauf, wie gut sie schon zurechtkam. Leider konzentrierten sich ihre Eltern immer noch viel mehr auf die Probleme, die ihre Situation mit sich brachte, als auf ihre Fortschritte.

Dass der Sommerurlaub dieses Jahr ausfiel, hatte einen Grund: Es gab eine Delfintherapie in Amerika, die Amelie womöglich guttun würde. Die wollten die Wagners im Herbst machen, wenn sie das Geld dafür aufbringen konnten. Deshalb hatten sie auch Silber vor Kurzem auf dem Bauernhof von Frau Streu untergebracht, denn der Stallplatz auf dem Reiterhof war kostspielig und Amelies Behandlungen verschlangen einfach sehr viel Geld.

Ganz zu schweigen von dem Umbau des Hauses. Ihre Eltern hatten eine Rampe bauen lassen, die Terrasse und Küche miteinander verband. Das Badezimmer im Erdgeschoss war so verändert worden, dass Amelie mit einem Duschrollstuhl ohne Hilfe duschen konnte. Inzwischen kam sie alleine richtig gut im Haus zurecht. Ihr Zimmer war nun das frühere Wohnzimmer. Amelies Zimmer unter dem Dach war mit Rollstuhl ja nicht mehr zu erreichen. Manchmal vermisste sie ihre gemütliche Dachkammer. Aber ihre Freundinnen waren ganz schön beeindruckt gewesen, als sie an ihrem Geburtstag das tolle neue Zimmer begutachtet hatten. Das hatte sie richtig gefreut.

„Hier könnte man ja sogar eine Ballettstange mit Spiegel anbringen“, hatte Sofia neidisch gesagt. Sie wollte später mal Tänzerin werden.

Amelie hatte sich immer schon gewünscht, eines Tages beruflich etwas mit Pferden zu machen. Ob sie wohl je wieder reiten konnte?

Sie schüttelte die trüben Gedanken ab und machte sich auf den Weg ins Haus. Heute früh hatte ihr Vater vorgekocht. Es gab gefüllte Pfannkuchen mit Erdbeerquark. Lecker! Nur Papa kriegte die so fluffig hin. Sie aß alle bis auf den letzten Krümel auf und trank ein Glas gekühlten Zitronentee dazu. Dann räumte sie das Geschirr ab und wollte ins Bad.

Im engen Flur standen mal wieder Mamas Gummistiefel im Weg. Typisch. Kurzerhand schnappte sie sich Papas selbst geschnitzten Wanderstock, der an der Wand lehnte, und versuchte, die Gummistiefel damit an die Seite zu kicken. Mit dem ersten Stiefel gelang das, aber der andere blieb störrisch liegen. Mist! Sie probierte es noch mal in Zeitlupe. Endlich kriegte sie den Stiefel zu fassen. Geschafft! Triumphierend warf sie ihn zu dem anderen Gummistiefel. Schade, dass ihre Eltern das nicht sehen konnten. Es machte sie wirklich traurig, dass sie immer nur besorgt waren, anstatt sich mit ihr über ihre Fortschritte zu freuen.

Plötzlich vermisste sie Silber. Wenn sie früher Kummer gehabt hatte, war sie zu der Stute in den Reitstall gelaufen und hatte mit ihr gekuschelt. Ach, Silber! Es war Zeit, dass sie ihr Pferd endlich wieder mal besuchte. Das hatte sie viel zu lange nicht mehr gemacht.

Sie überlegte. Eigentlich müsste sie die Strecke zum Bauernhof auch alleine schaffen …

In der großen Wohnküche wurde Lilly schon erwartet. „Guten Tag, Lilly. Ich bin Frau Streu, aber bitte nenn mich einfach Agnes. Setz dich hin, wo du möchtest.“ Sie zeigte auf den gedeckten Küchentisch mit Eckbank und einfachen Holzstühlen.

Lilly starrte die Bäuerin verblüfft an. Sie konnte sich nicht erinnern, schon einmal eine so alte Frau gesehen zu haben. Agnes Streu hatte die Gestalt eines Kindes mit einem sehr runzligen Gesicht, in dem blitzblaue Augen wie Sterne leuchteten.

Ihre weißen Haare waren zu einem breiten Dutt hochfrisiert und obendrauf hockte wie auf einem bequemen Kissen ein Hahn. Er war recht klein, aber es war ein echter, lebendiger Hahn mit prächtigem Gefieder. Das Gebilde erinnerte Lilly ein wenig an Monsieur Archibalds kunstvollen Haarturm.

„Ha-hallo“, stotterte Lilly.

„Kikeriki!“, schrie der Hahn. Es klang sehr energisch.

„Oh, entschuldige.“ Agnes lachte. „Ich habe vergessen, Speedy vorzustellen. Das ist unser neuer Hahn, er muss sich erst noch eingewöhnen. Die Hennen können den Armen nicht leiden und jagen ihn immer über den Hof. Deshalb hat er es sich erst mal bei mir bequem gemacht.“

Lilly nickte scheu, ohne zu antworten. Ihr Bauch knurrte fordernd. Das Frühstück auf dem Tisch sah aber auch zu lecker aus.

„Normalerweise ist Lilly nicht so schüchtern“, mischte sich Clemens Wunder ein, der bisher stumm dabeigestanden hatte. „Aber die vielen Umzüge, immer wieder neue Orte, das ist auf die Dauer für ein Kind ziemlich anstrengend.“ Er wandte sich an Lilly: „Magst du dich auf die Bank setzen? Ich frühstücke mit dir.“

Lilly nickte erleichtert und rutschte auf die Bank. Hungrig betrachtete sie den Quark mit Erdbeeren, das duftende aufgeschnittene Brot und den Krug mit Kakao. „Alles von meinem Hof. Lass es dir schmecken“, sagte Agnes freundlich. „Die Erdbeeren sind aus dem Garten, Brot backe ich draußen im Backhaus und auch den Quark habe ich selber gemacht.“

Agnes setzte sich auf einen Stuhl und goss Kakao in die Becher. Lilly füllte sich eine Müslischale randvoll mit Erdbeerquark und lutschte genussvoll die Erdbeerstücke. Köstlich schmeckten die frisch geernteten Früchte.

„Möchtest du ein Butterbrot?“, fragte Agnes. Sie bestrich eine Scheibe großzügig mit goldgelber Butter und legte sie ihr auf den Teller.

Lilly biss vorsichtig hinein. Überrascht stellte sie fest, dass das Brot würzig schmeckte, ein wenig nach Weihnachten, richtig lecker.

„Bewirtschaften Sie den Bauernhof denn ganz alleine?“, fragte Clemens. „Das sieht nach ziemlich viel Arbeit aus.“

Agnes Streu lachte. „Trauen Sie mir das nicht zu, Herr Wunder? Ich bin stärker, als ich aussehe.“ Sie ließ ihren linken Oberarmmuskel spielen und zwinkerte Lilly zu. „Aber um ehrlich zu sein, habe ich seit Längerem eine Hilfe. Frau Moll kommt ein paarmal pro Woche und hilft mir bei den Ställen. Sie ist Pferdewirtin und kennt sich mit Huftieren aus. Ich habe Ponys, ein Pferd und Albert, meinen alten Esel. Er leistet den anderen Gesellschaft. Aber meinen Garten und das Gefieder schaffe ich auch so.“

Auf der Fensterbank landeten zwei gepunktete Hennen und gackerten in die Küche.

Speedy antwortete mit einem aufgeregten „Äckackack“ und schüttelte zornig seinen Kamm.

Agnes Streu lachte. „Jetzt hört auf mit dem Gezanke“, befahl sie, aber weder die Hennen noch der Hahn hörten auf sie.

„Wohin sind eigentlich Ihre Haustiere verschwunden, Herr Wunder?“, fragte die Bäuerin.

Clemens Wunder lächelte. „Das hören die zwei nicht so gerne. Sie sind unsere treuen Freunde und auf ihre Art sehr ungewöhnlich.“

Agnes Streu nickte. „Das habe ich bei Frau Wu schon festgestellt, als ich im Garten Erdbeeren gepflückt habe und sie meinen Salat probierte. Sie ist wirklich etwas Besonderes, ich konnte mich selber davon überzeugen.“

Lilly guckte erschrocken. Das konnte ja nur bedeuten, dass Frau Wu wieder einmal nicht den Mund gehalten und ein Gespräch mit Agnes Streu geführt hatte.

Die Bäuerin lächelte. „Keine Sorge, liebes Kind. Eure talentierte Schildkröte ist nicht das erste Tier, mit dem ich mich in meinem langen Leben unterhalten habe. Nur einen echten Drachen hatte ich bisher noch nicht kennengelernt. Das ist selbst in meinem Alter noch sehr aufregend. Leider ist er bislang nicht sehr gesprächig.“

Als Lilly gerade mit dem Frühstück fertig war, flatterten die Hühner plötzlich aufgeregt gackernd von der Fensterbank auf und verschwanden in den Hof.

Im selben Augenblick hörte Lilly Monsieur Archibalds aufgebrachte Stimme. „Oh non. Isch will eusch nischt. Göht weg. Hüsch, hüsch. Gagagaaaaa!“

Lilly kletterte von der Bank und rannte nach draußen.