Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Erleben Sie die Märchen und Sagen aus aller Welt in dieser Serie "Märchen der Welt". Von den Ländern Europas über die Kontinente bis zu vergangenen Kulturen und noch heute existierenden Völkern: "Märchen der Welt" bietet Ihnen stundenlange Abwechslung. Ein Auszug aus dem Inhaltsverzeichnis dieses Buches: Erster Band. Vorrede für die Aeltern. 1. Mordi's Garten, Erster Akt. Zweiter Akt. Dritter Akt. Vierter Akt. 2. Ein lustiges Mährlein vom kleinen Frieder mit seiner Geige. 3. Ein Mährchen von dem Knüppel aus dem Sacke. 4. Von seltsamer Freundschaft zwischen einer Katze, einem Kaninchen und einem Perlhuhn. 5. Laß dem Thoren seine Thorheit. Zweiter Band. I. Das Mährchen von Brunnenhold und Brunnenstark. II. Die schwarze Zither, ein Mährchen. III. Laß dich der Narren Spott nicht kümmern.
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 309
Veröffentlichungsjahr: 2012
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Lina's Mährchenbuch
Inhalt:
Geschichte des Märchens
Erster Band.
Vorrede für die Aeltern.
1. Mordi's Garten,
Erster Akt.
Zweiter Akt.
Dritter Akt.
Vierter Akt.
2. Ein lustiges Mährlein vom kleinen Frieder mit seiner Geige.
3. Ein Mährchen von dem Knüppel aus dem Sacke.
4. Von seltsamer Freundschaft zwischen einer Katze, einem Kaninchen und einem Perlhuhn.
5. Laß dem Thoren seine Thorheit.
Zweiter Band.
I. Das Mährchen von Brunnenhold und Brunnenstark.
Ein Märchenist diejenige Art der erzählenden Dichtung, in der sich die Überlebnisse des mythologischen Denkens in einer der Bewußtseinsstufe des Kindes angepaßten Form erhalten haben. Wenn die primitiven Vorstellungen des Dämonenglaubens und des Naturmythus einer gereiftern Anschauung haben weichen müssen, kann sich doch das menschliche Gemüt noch nicht ganz von ihnen trennen; der alte Glaube ist erloschen, aber er übt doch noch eine starke ästhetische Gefühlswirkung aus. Sie wird ausgekostet von dem erwachsenen Erzähler, der sich mit Bewußtsein in das Dunkel phantastischer Vorstellungen zurückversetzt und sich, vielfach anknüpfend an altüberlieferte Mythen, an launenhafter Übertreibung des Wunderbaren ergötzt. So ist das Volksmärchen (und dieses ist das echte und eigentliche M.) das Produkt einer bestimmten Bewußtseinsstufe, das sich anlehnt an den Mythus und von Erwachsenen für das Kindergemüt mit übertreibender Betonung des Wunderbaren gepflegt und fortgebildet wird. Es ist dabei, wie in seinem Ursprung, so in seiner Weiterbildung durchaus ein Erzeugnis des Gesamtbewußtseins und ist nicht auf einzelne Schöpfer zurückzuführen: das M. gehört dem großen Kreis einer Volksgemeinschaft an, pflanzt sich von Mund zu Munde fort, wandert auch von Volk zu Volk und erfährt dabei mannigfache Veränderungen; aber es entspringt niemals der individuellen Erfindungskraft eines Einzelnen. Dies ist dagegen der Fall bei dem Kunstmärchen, das sich aber auch zumeist eben wegen dieses Ursprungs sowohl in den konkreten Zügen der Darstellung als auch durch allerlei abstrakte Nebengedanken nicht vorteilhaft von dem Volksmärchen unterscheidet. Das Wort M. stammt von dem altdeutschen maere, das zuerst die gewöhnlichste Benennung für erzählende Poesien überhaupt war, während der Begriff unsers Märchens im Mittelalter gewöhnlich mit dem Ausdruck spel bezeichnet wurde. Als die Heimat der M. kann man den Orient ansehen; Volkscharakter und Lebensweise der Völker im Osten bringen es mit sich, daß das M. bei ihnen noch heute besonders gepflegt wird. Irrtümlich hat man lange gemeint, ins Abendland sei das M. erst durch die Kreuzzüge gelangt; vielmehr treffen wir Spuren von ihm im Okzident in weit früherer Zeit. Das klassische Altertum besaß, was sich bei dem mythologischen Ursprung des Märchens von selbst versteht, Anklänge an das M. in Hülle und Fülle, aber noch nicht das M. selbst als Kunstgattung. Dagegen taucht in der Zeit des Neuplatonismus, der als ein Übergang des antiken Bewußtseins zur Romantik bezeichnet werden kann, eine Dichtung des Altertums auf, die technisch ein M. genannt werden kann, die reizvolle Episode von »Amor und Psyche« in Apulejus' »Goldenem Esel«. Gleicherweise hat sich auch an die deutsche Heldensage frühzeitig das M. angeschlossen. Gesammelt begegnen uns M. am frühesten in den »Tredeci piacevoli notti« des Straparola (Vened. 1550), im »Pentamerone« des Giambattista Basile (gest. um 1637 in Neapel), in den »Gesta Romanorum« (Mitte des 14. Jahrh.) etc. In Frankreich beginnen die eigentlichen Märchensammlungen erst zu Ende des 17. Jahrh.; Perrault eröffnete sie mit den als echte Volksmärchen zu betrachtenden »Contes de ma mère l'Oye«; 1704 folgte Gallands gute Übersetzung von »Tausendundeiner Nacht« (s. d.), jener berühmten, in der Mitte des 16. Jahrh. im Orient zusammengestellten Sammlung arabischer M. Besondern Märchenreichtum haben England, Schottland und Irland aufzuweisen, vorzüglich die dortigen Nachkommen der keltischen Urbewohner. Die M. der skandinavischen Reiche zeigen nahe Verwandtschaft mit den deutschen. Reiche Fülle von M. findet sich bei den Slawen. In Deutschland treten Sammlungen von M. seit der Mitte des 18. Jahrh. auf. Die »Volksmärchen« von Musäus (1782) und Benedikte Naubert sind allerdings nur novellistisch und romantisch verarbeitete Volkssagen. Die erste wahrhaft bedeutende, in Darstellung und Fassung vollkommen echte Sammlung deutscher M. sind die »Kinder- und Hausmärchen« der Brüder Grimm (zuerst 1812–13, 2 Bde.; ein 3. Band, 1822, enthält literarische Nachweise bezüglich der M.). Unter den sonstigen deutschen Sammlungen steht der Grimmschen am nächsten die von L. Bechstein (zuerst 1845); außerdem sind als die bessern zu nennen: die von E. M. Arndt (1818), Löhr (1818), J. W. Wolf (1845 u. 1851), Zingerle (1852–54), E. Meier (1852), H. Pröhle (1853) u. a. Mit M. des Auslandes machten uns durch Übertragungen bekannt: die Brüder Grimm (Irland, 1826), Graf Mailath (Ungarn, 1825), Vogl (Slawonien, 1837), Schott (Walachei, 1845), Asbjörnson (Norwegen), Bade (Bretagne, 1847), Iken (Persien, 1847), Gaal (Ungarn, 1858), Schleicher (Litauen, 1857), Waldau (Böhmen, 1860), Hahn (Griechenland u. Albanien, 1863), Schneller (Welschtirol, 1867), Kreutzwald (Esthland, 1869), Wenzig (Westslawen, 1869), Knortz (Indianermärchen, 1870, 1879, 1887), Gonzenbach (Sizilien, 1870), Österley (Orient, 1873), Carmen Sylva (Rumänien, 1882), Leskien und Brugman (Litauen, 1882), Goldschmidt (Rußland, 1882), Veckenstedt (Litauen, 1883), Krauß (Südslawen, 1883–84), Brauns (Japan, 1884), Poestion (Island, 1884; Lappland, 1885), Schreck (Finnland, 1887), Chalatanz (Armenien, 1887), Jannsen (Esthen, 1888), Mitsotakis (Griechenland, 1889), Kallas (Esthen, 1900) u. a. Unter den Kunstpoeten haben sich im M. mit dem meisten Glück versucht: Goethe, L. Tieck, Chamisso, E. T. A. Hoffmann, Fouqué, Kl. Brentano, der Däne Andersen, R. Leander (Volkmann) u. a. Vgl. Maaß, Das deutsche M. (Hamb. 1887); Pauls »Grundriß der germanischen Philologie«, 2. Bd., 1. Abt. (2. Aufl., Straßb. 1901); Benfey, Kleinere Schriften zu Märchenforschung (Berl. 1890); Reinh. Köhler, Aufsätze über M. und Volkslieder (das. 1894) und Kleine Schriften, Bd. 1: Zur Märchenforschung (hrsg. von Bolte, das. 1898); R. Petsch, Formelhafte Schlüsse im Volksmärchen (das. 1900).
Linas Mährchenbuch, A. Grimm
Jazzybee Verlag Jürgen Beck
86450 Altenmünster, Loschberg 9
Deutschland
ISBN: 9783849602970
www.jazzybee-verlag.de
www.facebook.com/jazzybeeverlag
Indem ich dieses Mährchenbuch dem Publikum übergebe, glaube ich einigermaßen zur Rechenschaft über den Inhalt desselben verbunden zu seyn. – Leicht wird man in Mordi's Garten die Fabel des Singspieles Zemire und Azor, so wie in dem Knüppel aus dem Sacke ein anderes bekanntes Volksmärchen wieder erkennen, das ich unter dieser Gestalt, die ich für die ursprünglichste halte, am häufigsten fand. Das Mährchen von dem kleinen Frieder mit seiner Geige geht ebenfalls, obgleich nur selten, noch im Volke umher. Ich habe es aus Ayrer, einem Nachfolger des Hanns Sachs genommen, wo es dramatisirt steht, und einige Redensarten sind ganz von ihm beibehalten. Das Mährchen von Brunnenhold und Brunnenstark verdanke ich mit allen darin beibehaltenen Nebenumständen der Erinnerung an meinen siebenzigjährigen Großvater, einen schlichten Bürgersmann, der es mir in meinem sechsten und siebenten Jahre nebst den meisten Mährchen der Tausend und einen Nacht so oft erzählte, daß ich es mit diesen ganz in eine Reihe zu stellen gewohnt ward, und es sogar in der Tausend und einen Nacht suchte, als ich sie später einmal in die Hände bekam. Woher er den köstlichen Stoff dieses Mährchens geschöpft, ist mir bis diese Stunde noch unbekannt, so sehr ich auch allenthalben darnach forschte. Selbst meine gelehrten beiden Namensverwandten übergehen es in ihrem von ungemeiner Belesenheit zeugenden Anhange zu dem ersten Theile ihrer »Kinder- und Haus-Märchen,« und das Mährchen selbst besitzen sie nur in einem, durch des Volkes Mund sehr verunstalteten und skizzenartigen Fragmente. – Die Thierfabel von der Freundschaft des Perlhuhns mit dem Seidenhäschen u.s.w. ist durch ein auffallendes Beispiel freundlichen Beisammenwohnens und Zusammenspielens jener Thiere entstanden. Ich habe nur den Thieren Sprache gegeben; und so ist diese Erzählung geworden, die eher Wahrheit, als Fabel, zu nennen wäre. Das Mährchen von der schwarzen Zither ist durch einen unvergeßlich wunderbaren Traum aus meinem frühesten Kindesalter veranlaßt, zu dessen weiterer Erzählung hier nicht die schickliche Stelle zu seyn scheint.
Ueber die Behandlung der Stoffe und das Gewand, in welchem diese Mährchen erscheinen, bedürfte es eigentlich keiner weitern rechtfertigenden Auseinandersetzung. Eine ähnliche Sammlung hatte sich eben sowohl einer ermunternden Beurtheilung in mehreren öffentlichen Blättern zu erfreuen, als sie auch von den Kindern aller Stände mit gleicher Lust gelesen Und wieder gelesen wurde. Selbst auf einem einsamen Bauernhofe fand sie einer meiner Freunde in den Händen eines Bauerknaben, der sich sogar durch die ungewöhnliche Ankunft des Fremden nicht stören ließ, sondern mit unermüdlichem Eifer darin fort las. Solche Erscheinungen sind die günstigsten Recensionen für Jugendschriftsteller. Gleichwohl finde ich mich durch die Vorrede meiner Herren Namensverwandten in dem ersten Theile ihrer Sammlung zu einigen Worten darüber veranlaßt. In kindlicher Einfachheit müssen freilich die Mährchen für Kinder erzählt werden. Aber dazu gehört ein ganz idealer Erzähler, den man nicht in der ersten besten Kindermagd unserer Tage findet, und fehlt dieser, so muß der Dichter seine Stelle vertreten. Der selige Runge hat in ihrer Sammlung zwei wunderschöne Mährchen unnachahmlich in plattdeutscher Sprache erzählt. Sie sind aber gewiß nicht so aus dem Munde des Volkes aufgeschrieben. Die meisten ihrer übrigen Mährchen tragen noch das Gepräge eines ganz gewöhnlichen Erzählers aus dem Volke mit allen seinen Fehlern, wie es denn überhaupt an der übrigens so sehr verdienstlichen Sammlung zu bedauern ist, daß nicht sorgfältiger davon abgeschieden wurde, was doch augenscheinlich durch die Länge der Zeit, während diese Mährchen Volkseigenthum waren, von verschiedenen Erzählern Schlechtes und Unpoetisches in Form und Stoff zugemischt ist, woher es auch kommt, daß man unter verschiedener Form dasselbe Mährchen oft zwei- oder dreimal in demselben Buche findet.
Als ein Buch, das Kindern in die Hände gegeben werden kann, darf man jene Sammlung aber keineswegs ansehen, wenn auch alles Erwähnte unerwiesen oder unschädlich wäre. Ich habe es immer nur mit dem größten Mißfallen in Kinderhänden gesehen. Statt weiterer hier nicht am rechten Orte stehender Erörterungen verweise ich nur auf Nr. 12, und Väter und Erzieher werden hier, wie an noch mehreren Orten, Ursache genug finden, ihm nicht den Namen einer Kinderschrift beizulegen, was es auch nach der Ansicht der Herren Herausgeber wohl gar nicht seyn soll. Sollten sie es aber doch auch dazu bestimmt gehabt haben, so möchte hier das alte Sprüchlein anzuwenden seyn: »Niemand kann zweien Herren dienen.« –
Nur das Reinste kann Stoff für die Phantasie des Kindes seyn, und Halbreines ist hier schädlicher, als völlig Unreines. In dieser Ueberzeugung ist Lina's Mährchenbuch entstanden, und Niemand wird in dieser Rücksicht ein Aergerniß daran zu nehmen Ursache finden.
So nehmt es denn hin! und möchten sich recht viele Kinder seiner erfreuen, wie sich viele der ersten Sammlung erfreuten.
Daß ich dieses Buch aber gerade Lina's Märchenbuch nenne, werden sich alle Kinder, so Knaben als Mädchen, schon gefallen lassen, wenn ich ihnen sage, daß Lina dasselbe gute Mädchen ist, von dem in dem Mährchen von der Freundschaft des Perlhuhns mit dem Seidenhäschen u.s.w. erzählt wird, und dem alle jene Thiere gehörten.
Weinheim, im Christmonate.
A.L.G.
ein dramatisirtes Mährchen in vier Akten.
◉Mordi »Bist du etwa Besenstielchen?«
(Mordis Garten)
Personen.
Herr Mordi, erst ein Ungeheuer, hernach ein König.
Schira, ein reicher Kaufmann.
Astralle
Hirlanda
Roselinde seine Töchter.
Sami
Lugar
Guran Schira's Diener.
Ein Meister Arzt.
Besenstielchen.
Rauna
Billowa
Lodissa Königstöchter.
Mehrere Diener Mordi's und Schira's.
Miß Käthchen, im Anfange Misekätzchen.
Hunde, Störche und dergleichen Diener Mordi's.
Minister, Räthe, Gefolge.
Erste Scene.
(In Mordi's Garten.)
Ein breiter Weg zieht durch hohe, blühende Bäume: neben dem Wege blühen mancherlei Blumen. Ein wenig vom Wege entfernt steht ein Rosenstock mit einer einzigen eben aufblühenden Rose. Etwas ferner sieht man dichte Lauben und schattige Gänge. Im Hintergrunde steht ein prächtiges Schloß, über welches ein hohes Gebirge hervorragt, auf dem einzelne rauchende Hütten zerstreut liegen.
Schira,
auf einem schönen Arabischen Rosse reitend, hinter ihm seine Knechte mit reich beladenen Kameelen. Er hält sein Pferd an, und ruft zurück.
Haltet, Knechte! laßt die Thiere
Von der Fahrt ein wenig rasten.
Mögt auch selbst ein wenig ruhn.
Früh sind wir ja aufgebrochen,
Und es war der Weg beschwerlich,
Bin des Reitens selber müde.
Er steigt ab, und winkt einem Diener.
Sami, nimm mein Roß am Zügel,
Führ' es, bis es sich verkühlet.
Sami
nimmt das Roß, und führt es auf und ab.
Schira, umhersehend.
Ei, welch blumenreicher Garten
Ist das nicht, in dem wir weilen.
Wer nur in dem Garten lebte,
Wer die Herrschaft jenes Schlosses;
Müßte glauben, Frühling sey es,
Während draußen vor dem Garten
Schon der Herbstwind von den Bäumen
Roth und gelbe Blätter schüttelt.
Sami.
Ja, das ist auch Mordi's Garten,
Wo die Blumen immer blühen.
Schira.
Mordi's Garten? Wer ist Mordi?
Sami.
Herr, nachher sollt Ihrs erfahren,
Wenn wir aus dem Garten ziehen.
Hier getrau ich's nicht zu sagen.
Schira.
Furchtsam Herz! Ich kenn dich, Alter.
Steckt dein Kopf doch voller Mährchen,
Die verwirren dir die Sinne.
Sami.
Hütet Euch, daß Ihr nicht selber
In ein Mährchen Euch verstricket.
Folget meinem guten Rathe,
Und verlaßt Herrn Mordi's Garten;
Haltet wenigstens Euch ruhig.
(zu den Knechten:)
Und ihr Andern, bleibt im Wege,
Daß die Thiere nichts zertreten!
Hütet euch vor Mordi's Rache.
Schira.
Hat ein Wahnsinn dich ergriffen,
Alter? bist du närrisch worden?
Sami.
Herr, befolget, was ich sage,
Denn ich kenne wohl den Garten;
Wohnt ich einst doch in der Nähe. –
Seht Ihr dort die Hütten rauchen?
Dort stand meines Vaters Hütte,
Dort erzählte mir die Mutter
Manches wunderliche Mährchen,
Und dann wies sie oft herunter,
Sprechend: »Seht, dort ist's geschehen!
Dort steht noch Herrn Mordi's Garten.
Darum bleibt hier auf den Bergen,
Hütet euch vor Mordi's Rache!«
Schira.
Dort im Schlosse wohnt Herr Mordi?
Sami.
Schweigt, o Herr, ich bitt' Euch herzlich!
Alles sollt Ihr ja erfahren,
Wenn wir aus dem Garten ziehen.
Nur verschont mich jetzt mit Fragen.
Schira, unwillig.
Läppisch Kind mit grauem Kopfe!
Solltest dich der Einfalt schämen.
So behalte dein Geheimniß,
Deine dummen Ammenmährchen!
Will sie jetzt auch gar nicht wissen.
Aber geh mir aus den Augen,
Und im Zuge sey der Letzte.
Führ' ein Andrer meinen Rappen,
Daß ich ihn heut nicht mehr sehe.
Guran
nimmt ihm das Roß ab, und Sami geht traurig auf die Seite.
Lugar kommt.
Sollen wir ein Zelt Euch spannen,
Das Euch vor der Sonne schirmet?
Schira.
Laßt's. Wir rasten hier nicht lange,
Stehn ja hier auch viele Bäume,
Ferne dort auch kühle Lauben,
Drin ich kühlen Schatten fände.
Doch mich lockt der schöne Garten,
Näher mir ihn zu betrachten.
(Er geht herum, und betrachtet die Blumen.)
Sieh doch! blühn ja hier versammelt
Alle Blumen, die ich kenne.
Nur die Königinn der Blumen,
Nur die Rose seh' ich nirgend.
Und vor allen möcht' ich grade
Eine Rose mir jetzt pflücken,
Denn es mahnen mich die Blumen
An ein unerfüllt Versprechen.
– Als ich auszog aus der Heimath,
Fragt' ich meine Töchter alle:
Was soll ich euch aus der Ferne
Bringen, wenn ich wiederkehre?
Und es forderten die ältern
Sich ein Kleinod zum Geschenk.
Doch als ich die dritte fragte,
Meine zarte Roselinde:
Sprich, was soll ich für ein Kleinod
Dir mein herzig Mädchen bringen?
Sprach sie: Bring von deinen Fahrten
Mir, o Vater, nichts zum Schmucke,
Nichts, als nur ein frisches Röslein.
Das versprach ich, nicht bedenkend,
Daß ich mit dem Herbst erst wieder
Mich zu meiner Heimath wende. –
Unter vielen reichen Waaren,
Die ich zum Verkauf' ertauschet,
Bring' ich auch, was ich versprochen,
Meinen beiden ältern Töchtern. –
Roselindens frisches Röslein
War mir aus dem Sinn gekommen.
Hier kann ich es ihr nun suchen.
Und in feucht genetztem Moose
Hält es sich wohl frisch und blühend,
Bis ich es nach Hause bringe,
Was bis morgen kann geschehen.
Lugar.
Täuscht mich nicht mein Auge? sehet,
Blüht dort nicht ein frisches Röslein,
Schön, wie Roselindens Wangen?
Schira.
Nein, es täuscht dich nicht dein Auge;
Ja, das ist ein frisches Röslein!
Und wie schön! es faltet eben
Aus dem grünen Kelch die Blätter,
Die erröthend sich in Fülle
An das Licht der Sonne drängen.
(Er geht hin, die Rose zu brechen.)
Komm, du Röslein, laß dich brechen!
Sollst mein frommes Kind – –
Sami
(stürzt ihm in den Weg und läßt sich auf die Kniee.)
O, haltet!
Zürnet, Herr, so viel Ihr wollet,
Stoßt mich ganz aus Euern Diensten,
Stoßt mich alten Mann ins Elend –
Aber schonet Euch nur selber,
Brecht von Mordi's Blumen keine.
Schira.
Bist du ganz von Sinnen, Alter?
Sami.
Laßt, o laßt die Rose stehen.
Schira.
Sami, stelle nicht zu lange
Meine Nachsicht auf die Probe,
Daß ich deine früh're Treue
Nicht um deiner Thorheit willen
Gar vergesse. – Und was ist es
Denn am Ende werth der Rede?
Mag Herr Mordi seine Rose
Höher achten, als wir glauben, –
Wäg ich sie ihm auch mit Golde,
Wird er sich zufrieden geben;
Und der Kauf soll mich nicht reuen,
Müßt ich zehnfach Goldesschwere
Für das frische Röslein wägen,
Um es meiner Roselinde
Von der Fahrt mit heim zu bringen,
Wie beim Abschied ich versprochen.
Darum geh, laß mich gewähren!
(Er stößt ihn zurück, und bricht die Rose.)
Sami.
Herr, Ihr werdet mein gedenken.
Schira.
Wohl, so ist es meine Sache.
(Er betrachtet die Rose.)
Ei, wie herrlich ist das Röslein.
(zu den Dienern:)
Geht, und sammelt in ein Kästlein
Weiches Moos, und netzt's mit Wasser,
Daß wirs unverwelkt erhalten.
Suchet in der Karawane
Das Kameel mit rother Decke.
Jenes trägt an goldnen Dosen
Einen reichen Schatz. Die größte
Soll das frische Röslein bergen.
Einige Diener abgehend.
Herr, wir werden's gleich besorgen.
Schira zu Sami.
Nun, hier hab ich ja die Rose,
Und was ist uns denn geschehen?
Siehst du, alter Mährchenvater,
Wie du kindisch bist und albern!
Sami.
Herr, o Herr, lacht nicht zu frühe,
Sind wir erst aus Mordi's Garten,
Dann erst kann ich auch mich freuen.
Ein Diener laufend.
Wehe, Herr, es kommt!
Schira.
Was kommt denn?
Diener.
Schwarz und feurig.
Andere Diener, laufend.
Zähne so lang!
Schira.
Was denn!
Diener.
Ohren so groß!
Schira.
Was denn?
(Man hört stark und dumpf brüllen.)
Diener.
Hört Ihr?
Andere Diener kommen gelaufen.
Rettet, rettet!
Sami.
Gelt, ich sagt es?
Hättet Ihr nur glauben wollen!
Schira.
Feige Knaben! warum rennet
Ihr so thöricht?
Knechte.
Hättet Ihr es
Nur gesehen. –
Schira.
Groß und schwarz ists?
Zähne so lang, Ohren so groß –?
(Er lacht:)
Was Unwissenheit nicht thun kann!
(Er lacht noch stärker:)
Knechte.
Ja, die Nase, Herr! die Nase!
Schira noch stärker lachend.
Nun, die Nase, ja die Nase!
Dann ists eben so gewisser
Nur ein Elephant gewesen,
Und vermuthlich gar ein zahmer,
Den Herr Mordi sich gezogen.
Diener.
Aber, Herr, die Feueraugen –
Schira.
Die du in der Angst gesehen?
Waren klein, wie Ochsenaugen.
Hundertmal hab ich's gelesen,
Und in Bildern oft gesehen.
Schämt euch, schämt euch, o ihr Thoren!
(Man hört ganz nahe fürchterlich brüllen: Blut! Blut! Blut!)
Schira fährt erschrocken zusammen.
Guran bringt das Roß.
Gelt, Ihr schreckt doch auch zusammen?
Setzet Euch auf Euern Rappen,
Und entflieht so schnell Ihr könnt.
Sami.
Ist zu spät, da kommt er eben.
Mag Euch jetzt der Himmel schützen
Guran, Lugar, Diener, Knechte laufen ab.
Sami bleibt in nicht großer Entfernung stehen.
Mordi kommt.
(Er ist ein Ungeheuer mit großem schwarzem Kopf mit zwei faustgroßen feuerfarbenen Augen; zwei große schwarzzottige Schlappohren hängen ihm bis auf die Schultern; auf der Stirne sitzen ihm zwei dicke aber kurze, stumpfe Hörner; zu dem Rachen stehn ihm, auf- und abwärtsgebogene große, sehr spitze Zähne hervor, und darzwischen hängt ihm eine große blutrothe Zunge weit herab. Die Nase ist aufwärts gebogen und beweglich. Sein Leib gleicht einer ungeheuern Raupe, ist mit schwarzen Schuppen auf dem Rücken, mit gelblich rothen am Bauche bedeckt, und endigt sich in einem langen Schlangenschwanz, auf dem er aufrecht steht. Die Arme sind riesenhafte Adlersfüße mit scharfen Krallen.
Es geht auf Schira zu, der zitternd stehen bleibt, umschlingt ihn mit seinem Schwanze, und packt ihn mit der Kralle an der Schulter; dann spricht er sehr dumpf und langsam:)
Schira, Schira, mußt es büßen!
Reicher Kaufmann mußt bezahlen!
Hast mein Röslein abgebrochen,
Mußt das Röslein theuer zahlen.
Schira ängstlich.
Fordert nur, wir werden hoff' ich
Handels einig. – Aber lasset
Eure Krallen – Seid nicht böse –
Eure Nägel, wollt' ich sagen –
Bitte, laßt sie mir vom Leibe.
Mordi schäumend.
Meiner Rache bist verfallen,
Darum fühle meine Krallen.
Drücke dir sie bis ins Blut,
Blut nur büßt den Frevel gut.
Schira.
Ach, mein Herr, seid nur vernünftig,
Fordert nur, ich will ja gerne,
Was Ihr fordert, Euch bezahlen.
Fordert Geld, so viel Ihr wollet.
Mordi.
Geld? ich hab' genug des Quarkes.
Schira.
Nun, wie kann ich denn bezahlen?
Mordi.
Du bezahlst mit deinem Leben.
Schira.
Mit dem Leben?
Mordi.
Mit dem Leben!
Schira halb für sich klagend.
Meine fromme Roselinde,
Du begehrtest das Geringste,
Und dieß kostet mich am meisten.
Das hast du wohl nicht gefürchtet,
Daß dein Vater mit dem Leben
Dir dein Röslein kaufen würde?
Mordi.
Hattest du für Roselinde
Dieses Röslein abgebrochen?
Schira.
Ja, ich brach's für Roselinde.
Mordi.
Wohl, so magst du weiter ziehen,
Magst ihr auch das Röslein bringen,
Daß sie sich mit selbem schmücke.
Du bist frei von jeder Strafe.
Aber sie, die es begehret,
Sie, für die du es gebrochen,
Mußt du mir zu eigen geben.
Schira.
Roselinde Euch zu eigen?
Mordi.
Ja, so sagt ich: mir zu eigen.
Schira.
Laßt Ihr Euch denn nicht erbitten?
Seht, da hab' ich hundert Thiere,
Jegliches ist reich beladen,
Jegliches mit andern Waaren,
Die in diesem Lande fremd sind,
Jegliche von großem Werthe –
Wählt Euch nur, was Euch gefällig.
Mordi.
Roselinde will ich haben.
Schira.
Ach, was wollt Ihr mit dem Kinde?
Wenn Ihr es auch fressen wolltet –
O, verzeiht! ich wollte sagen:
Wenn Ihr es auch essen wolltet –
Denkt, sie hat erst zehn, elf Jahre!
's ist kein guter Bissen an ihr;
Junges Fleisch ist gar nicht kräftig.
Mordi.
Roselinde will ich haben!
Mach' mich nur nicht ungeduldig.
Schira.
Bitt' Euch, denkt an Euern Magen!
Fraget nur einmal den Doktor,
Solches Fleisch kann nicht gesund sein.
Wollt Ihr Euch um's Leben bringen?
Mordi.
Willst du noch in Zorn mich bringen?
(Er faßt ihn, und schüttelt ihn von Neuem mit den Krallen seines Arms:)
Nun, so fühle meine Krallen!
Soll ich Roselinde haben?
Schira.
Au, au, au! so zwingt Ihr freilich
Endlich mich, nur ja zu sagen.
Mordi ihn loslassend.
Wirst du endlich doch vernünftig?
Schira.
Ach, ich bin es ja schon lange,
Aber Ihr – verzeiht! ich meine,
Ihr thut klüger – Seht die Thiere!
Seht nur hier wie reich beladen!
Nehmt so eins; laßt mir das Mädchen.
Mordi.
Was?
Schira.
Nun zwei? – Auch vier nicht? – Sechse?
Zwölfe? – Zwanzig? – Aber vierzig?
Mordi geht auf ihn zu.
Schira, vor ihm laufend.
Auch vierzig nicht? – dann sechzig? achtzig?
Mordi umschlingt ihn wieder.
Schira.
So nehmt sie meinetwegen alle.
Mordi schüttelt ihn.
Will ich denn Kameele haben?
Schira.
Roselinde wollt Ihr haben.
Mordi.
Schwörst du mir bei deinem Leben,
Roselinden mir zu senden,
Wenn ich meine Diener schicke?
Schira.
Schwör es Euch bei meinem Leben,
Roselinden Euch zu senden,
Wenn Ihr Eure Diener schicket!
Mordi.
Wohl, nun magst du weiter ziehen.
Meine Diener werden kommen,
Wenn der dritte Morgen scheinet.
(Er geht ab nach dem Schlosse.)
Schira ihm nachsehend.
Ja, nun mag ich weiter ziehen,
Jetzt, nachdem ich hier verloren,
Was das Liebste mir gewesen.
Diener und Knechte kommen furchtsam.
Schira.
Wollt ihr denn hier ewig bleiben
In der Macht des Ungeheuers?
Jeder schnell zu seinen Thieren!
Treibt sie eilig durch den Garten,
Daß wir nicht zum zweitenmale
In die Krallen ihm gerathen.
Die Knechte
jagen ihre Kameele auf, und ordnen sie zum Zuge.
Lugar
bringt eine große goldene Dose und etwas feuchtes Moos.
Hier ist, Herr, die goldne Dose;
Größer konnt ich sie nicht finden.
Doch das Röslein wird hinein gehn.
Schira legt die Rose hinein.
O, du fromme Roselinde,
Dir soll ich das Röslein geben,
Das ich um dich selbst erkaufet.
Das ich mit dir selbst bezahle?
– Ja, du hast es selbst begehret.
O, ich hätt' es merken sollen,
Als du nur ein Röslein wünschtest,
Daß in dem geringen Wunsche
Noch geheim ein Zauber stecke.
Guran bringt das Roß.
Schira
nimmt den Zügel, und giebt Guran die Dose.
Nimm die Dose, trag sie sorgsam,
Daß du mir sie nicht verlierest.
Sie enthält ein theures Kleinod,
Wohl das theuerste von allen,
Die ich in der Karawane
Diesesmal nach Hause bringe.
(Er steigt auf das Roß.)
Armes Mädchen! armes Mädchen!
Warum mußtest du vor allen
Auf die Rose denn verfallen?
(Er reitet traurig und langsam ab. Die Diener und Knechte folgen ihm mit den hundert Kameelen in geordnetem Zuge.)
Zweite Scene.
(In Schira's Hause. Wohnzimmer.)
Hirlande, Astralle und Roselinde.
Astralle.
Meine Spitzen sind jetzt fertig.
Jetzt hab' ich den schönsten Anzug,
Den ich mir nur wünschen könnte:
Denket euch mein Kleid von Scharlach,
Meine goldgestickten Schuhe,
Meine Diamantenringe,
Und jetzt gar mein Spitzenschleier! –
Ach, wie stolz will ich dahergehn!
Meine Perlen in den Haaren!
Aber Eines fehlt noch, – Eines:
Gold'ne Ohrgehäng' mit Steinen,
Die im Lichte strahlend flimmern.
Doch die bringt mir ja der Vater,
Wenn er kommt von seiner Reise.
Aber dann ist auch mein Anzug
So vollkommen, als nur möglich.
Hirlande.
Und mir fehlt es nur an Ringen.
Weißt du? Ohrgehänge hab' ich,
Aber keine Demantringe.
Darum sagt ich auch dem Vater,
Als er fragte, was ich wollte:
Schöne Fingerringe möcht' ich
Wohl an meinen Händen tragen.
Die versprach er mir zu bringen. –
Ach, er bleibt nur gar zu lange
Diesesmal auf seinen Reisen.
Roselinde.
Fast kann ich ihn nicht erwarten.
Als die Veilchen kaum noch blühten,
Zog er mit der Karawane
Nach dem reichen Morgenlande.
Jetzt sind schon die Asterblumen
Bald verblüht, und immer, immer
Will er noch nicht wiederkehren.
Hirlande.
Ei, mich freut's, wenn lang er bleibet.
Solches ist ein sicher Zeichen,
Daß er viele reiche Waaren
Sich ertauscht in fernen Landen.
Und so wird er immer reicher,
Gar so reich, als unser König,
Und wenn man von uns dann redet,
Sagt man nur: die reichen Damen –
Täglich dürfen wir in Seide
Und in Gold gestickt dann gehen,
Dürfen bei des Königs Festen
Sitzen unter seinen Rittern,
Wie die Gräfinnen und Fräulein,
Spielen dann mit seinen Töchtern,
Tanzen auch mit seinen Söhnen.
Astralle.
Ja, da hast du Recht. Wir sehen
Ja schon jetzt, wie alle Leute,
Die an uns vorüber gehen,
Tief sich neigend uns verehren.
Roselinde.
Ja, sie grüßen uns sehr höflich.
Aber sag mir, liebe Schwester,
Wenn wir nun in schlechten Kleidern
Gingen, wie im Hof die Mägde,
Würden sie dann auch uns grüßen?
Astralle.
Ei, wie dumm!
Hirlande.
Einfältig Mädchen!
Astralle.
Wer wird eine Magd denn grüßen,
Die in schlechten Kleidern gehet,
Wie man reiche Kaufmannstöchter
Grüßet, die in Seide gehen?
Roselinde.
Ei, da grüßen ja die Leute
Uns nicht, sondern unsre Kleider.
Hirlande.
Wie du wieder kindisch redest
Für ein Mädchen von elf Jahren.
(zu Astrallen:)
Komm, Astralle! komm, wir wollen
Uns an's Kaufgewölbe setzen,
Wo die Leute aus- und eingehn.
Habe von des Königs Hofe
Eingehn sehn zwei hohe Diener,
Die sind immer gar zu höflich
Ach, wie werden die sich neigen,
Wenn sie uns da sitzen sehen.
(Sie gehen ab.)
Roselinde allein.
Ich weiß nicht, was meine Schwestern
Nur in aller Welt dran haben,
Wenn sie fremde Leute grüßen,
Da man doch ihr Kleid nur grüßet.
Und warum denn möchten gar sie
Mit des Königs Töchtern spielen?
Pfui! mit diesen spielt ich gar nicht!
Hab' ihnen noch vor wenig Tagen
In dem Garten ihres Schlosses
Beim Spazierengehn begegnet.
Als die Eine springen wollte,
Einen Schmetterling zu haschen,
Sagte gleich die alte Dame
Mit der spitzen, rothen Nase,
Die sie überall begleitet,
Auf Französisch ein Par Worte:
»Fi ma chère vous êtes prinçesse!«
Und des Vaters Schreiber sagte,
Dieses heiße: »Pfui doch, Liebe!
Schickt sich das für die Prinzessinn?«
Nein, wenn ich nicht laufen dürfte,
Nicht nach Schmetterlingen haschen,
Nicht mit meinem Lämmchen springen,
Nicht im Garten Fangens spielen,
Oder meine Blumen gießen –
Sitzend möcht' ich gar nicht spielen.
– Ei, da kommt das liebe Mädchen
Aus den kleinen Häuschen drüben,
Wo der Besenbinder wohnet.
Besenstielchen
guckt furchtsam zur Thüre herein; in der Hand hat sie eine Handvoll Samenkronen vom Löwenzahn.
Darf ich' rein?
Roselinde.
Ja, Besenstielchen;
Meine Schwestern sitzen unten.
Freilich, wenn die bei mir wären
Würden sie dich von mir schicken;
Denn sie sagen, ich sey reicher,
Hätte viele schöne Kleider,
Und da woll' es sich nicht schicken,
Daß ich mit dir freundlich spiele,
Denn du hättest schlechte Kleider;
Aber ich hab' doch dich gerne. –
Ei, was hast du da für Dinge?
Besenstielchen.
Blumenlichter. Guck!
(Sie bläst die Samenkrone von einem Stiel ab.)
Ei, Alles!
Das bedeut' mir langes Leben.
Roselinde.
Ach, du liebes Besenstielchen,
Sey so gut, schenk mir doch eines.
Besenstielchen.
Da, da!
(Sie gibt ihr alle.)
Nimm nur alle. Morgen
Geh' ich wieder mit dem Vater
In den Wald nach Besenreisern,
Bring dir da den ganzen Arm voll.
Roselinde bläst eine Samenkrone ab.
Sieh, das hab' ich ausgeblasen,
Alles ist davon geflogen.
(Sie bläst die andern auch ab.)
Besenstielchen.
Guck, ei, guck! du wirst recht alt noch.
Roselinde.
Ei, wo kannst du das denn sehen?
Besenstielchen.
Ist kein Härchen dran geblieben,
Das bedeutet langes Leben.
Mein' Großmutter weiß so Vieles,
Die hat mir das auch gelehret.
Aber die muß sehr bald sterben,
Sie hat so 'nen schwachen Athem,
Kann dir keines halb ausblasen,
Bleiben alle beinah hängen.
– Ach, was hast du da für schöne
Rothe Schuh an, Roselinde?
Roselinde zeigt sie.
Gelt, du hast nur immer schwarze?
Schwarze Schuh sind aber besser,
Da darf man doch auf der Straße
Gehn und springen nach Gefallen,
Auf den Wiesen und im Walde.
Aber da mit meinen Schuhen
Darf ich morgens nicht im Garten
Anders, als im Wege gehen,
Weil sie sonst vom Thau verderben.
Ich möcht' lieber schwarze Schuhe!
Besenstielchen.
Nein, ich nicht, ich lieber rothe.
Roselinde zieht die rothen Schuhe aus.
Da!
(Sie gibt sie hin und springt in den Strümpfen herum).
So ist es noch viel besser,
Ohne Schuh, in bloßen Strümpfen.
Besenstielchen
betrachtet die rothen Schuhe mit Vergnügen.
Roselinde.
Nun, so zieh sie an, sie sind dir
Groß genug.
Besenstielchen.
Ach, nein! ich darf nicht!
Deine Schwestern werden schelten.
Roselinde.
Nein! ach, nein!
(Sie bückt sich, hilft Besenstielchen die rothen Schuhe anziehen, und sich zieht sie die schwarzen Schuhe an.)
Wie angemessen,
Passen sie dir ja am Fuße.
Sieh, jetzt hast du rothe Schuhe.
Besenstielchen.
Dürft' ich sie nur auch behalten!
Roselinde.
Ei, du sollst sie ja behalten.
Besenstielchen.
Deine Schwestern –
Roselinde.
Ach, das thut nichts.
Aber wart', zu rothen Schuhen
Steht nicht gut dein braunes Kleidchen.
(Sie fängt an, ihr Oberkleid auszuziehen.)
Komm, ich geb dir auch mein Kleidchen,
Und du mußt mir deines geben.
Besenstielchen fängt an sich auszuziehen.
Ach, das schöne weiße Kleidchen!
– Aber –
Roselinde.
Was denn?
Besenstielchen.
Deine Schwestern!
Roselinde.
Ach, die werden mir nicht zanken,
Hab' ja noch gar viele Kleider.
So! – Gib mir nun auch die Mütze;
Da hast du mein Bändernetzchen.
(Sie zieht es ab, und setzt es ihr auf.)
Ei, wie steht dir das so niedlich.
(Sie ziehn sich gegenseitig vollends an.)
Roselinde.
Sieh, jetzt bist du Roselinde,
Und ich bin das Besenstielchen.
– Wart, wir wollen 'mal so spielen,
Ich wär du, und käm jetzt zu dir.
(Sie geht zur Thüre hinaus, klopft an, und kommt wieder herein.)
Guten Morgen, Roselinde?
Besenstielchen.
Guten Morgen, Besenstielchen.
(Sie lachen beide).
Roselinde.
Ist dein Vater noch nicht kommen
Aus dem reichen Morgenlande?
Besenstielchen.
Weiß nicht, liebes Besenstielchen.
Roselinde halb still, verweisend.
Ach, das war ja dumm! du wirst doch
Wissen, ob dein Vater hier ist?
(verbessernd:)
Nein, er ist noch nicht gekommen!
Sieh, so hätt'st du sagen sollen.
Besenstielchen.
Frag mich wieder, will's dann sagen.
Roselinde.
Ist dein Vater noch nicht kommen?
Besenstielchen.
Nein, er ist noch nicht gekommen.
(Man hört vor der Thüre Schira's Stimme.)
Roselinde freudig.
Ach, da kommt er, Besenstielchen!
Draußen hör' ich seine Stimme.
Freu dich! freu dich! ja, das ist er!
Besenstielchen.
Könnt ich nur hinaus noch kommen.
Kann ich mich denn nicht verstecken?
(Sie versteckt sich hinter die Tische.)
Schira kommt mit Hirlande und Astralle.
Roselinde dem Vater entgegen.
Bist du kommen, lieber Vater?
Bist du endlich wieder kommen?
(Sie springt an ihm hinauf, und küßt ihn.)
Bist so lange ausgeblieben.
Schira.
Ei, was ist das, Roselinde?
Bist du's denn?
Roselinde steht beschämt.
Hirlande.
Um Himmelswillen!
Wie ist das denn zugegangen?
Astralle.
Hätt' ich doch darauf geschworen,
Du seist Nachbars Besenstielchen
Drüben aus dem kleinen Häuschen!
Schira.
Wie kamst du zu diesem Kleide?
Roselinde.
Ach, ich spielte mit dem Mädchen,
Tauschte mit ihm meine Kleider. –
So hab' ich doch auch ein Kleidchen,
Drin ich auf dem Gras darf purzeln,
Und mit andern Kindern spielen.
Hirlande.
Siehst du, Vater! solche Streiche
Macht sie immerfort. Wir haben
Recht viel mit ihr ausgestanden,
Seit allein wir bei ihr waren.
Und auf uns will sie nicht hören.
Astralle.
Ist so groß und noch so kindisch.
Schira.
Schweigt, o schweigt, ich weiß es lange,
Daß ihr sie auch gern zur Puppe
Putzen möchtet, wie euch selber.
Immer noch das alte Liedchen?
Gleich zum Willkomm nichts als Klagen?
–Und besonders heute müsset
Ihr sie mir nicht schelten. Komm nur!
Komm, mein Roselindchen, komm denn?
(DaRoselinde zu ihm kommt, hebt er sie in die Höhe, drückt sie an sein Herz, seufzt schwer, und die Thränen fallen ihm aus den Augen. Darauf stellt er sie wieder nieder, und spricht zu ihren Schwestern.)
Seht, ihr wißt ja nicht, wie lange
Ihr die Schwester bei euch habet.
Eh' vielleicht, als ihr es glaubet,
Wird sie von uns scheiden müssen.
Armes, armes Roselindchen!
(Er drückt sie noch einmal heftig und im Schmerz an sich; dann eilt er, seine Thränen verbergend, ab.)
Roselinde sieht ihm weinend nach.
Hirlande.
Ei, was fehlt denn nur dem Vater?
Astralle gleichgültig.
Was wirds seyn? er ist halt traurig.
Ich mag auch nicht immer lachen.
Aergert mich nur, daß er's grade
Heut zum Willkomm so gewesen.
Jetzt, wer weiß es, noch wie lange
Zeit es dauert, bis wir endlich
Kriegen, was er uns versprochen.
Und ich bin so ungeduldig,
Kann es beinah nicht erwarten.
Hirlande.
Ach, vielleicht hat er es gar nicht.
Roselinde folgt dem Vater nach.
Ich muß sehen, was ihm fehlet.
(ab.)
Lugar und Guran kommen.
Lugar.
Hier, ihr Jungfraun, sind vom Vater
Die versprochenen Geschenke.
Hier die reichen Ohrgehänge.
Astralle nimmt sie ihm schnell ab.
Lugar.
Hier die Diamantenringe.
Hirlande nimmt sie, steckt sie an.
Ach, wie herrlich!
Astralle, ihre Ohrringe betrachtend.
Ach, wie kostbar!
Guran.
Und für Roselinde hab' ich
Hier ein Röslein in der Dose.
Astralle zeigt nach der Thüre.
Roselinde ist da drinnen.
Hirlande.
Sag dem Vater nur einstweilen
Unsern Dank.
Astralle.
Wir kämen selber
Gleich, bei ihm uns zu bedanken.
Hirlande.
Sag, wir wollten die Geschenke
Hier nur erst noch anprobiren,
Und im Schmucke dann uns zeigen.
(Lugar und Guran ab.)
Hirlande.
Sieh die Ringe! sieh die Ringe!
Just für jeden Finger einen,
Und sie passen, wie gegossen.
Besenstielchen
guckt neugierig hervor, versteckt sich aber sogleich wieder.
Astralle.
Aber diese Ohrgehänge!
Sieh, wie bunt, in Farben spielend!
Rothe, blaue, grüne Lichter!
Wie die Diamanten blitzen!