Lisa-Martha. - Jaroslawa Sommerfeldt - E-Book

Lisa-Martha. E-Book

Jaroslawa Sommerfeldt

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Beschreibung

Familiensaga. Nach Jahrzehnten fand Lisa heraus, dass sie nicht die leibliche Tochter ihrer ukrainischen Familie war. Als sie das mysteriöse Geheimnis ihrer Herkunft löste, sah sie sich einer unerklärlichen Tatsache gegenüber – ihre eigene Mutter lebte in Deutschland. Aber wie kam es dazu? Warum wurde sie verlassen, abgewiesen, auf sie verzichtet? Lisa hatte damals nicht wissen können, dass die schlimmen Jahre der Hungersnot in der Ukraine in den Jahren 1930 bis 1933 für all diese schwierigen Umstände verantwortlich waren. Es war jene schreckliche Zeit, als die Menschen Hunger litten, sich von wilden Pflanzen ernährten, um zu überleben.

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J. M. SOMMERFELDT

Lisa-Martha

Zur falschen Zeit geboren

Familiensaga

Inhalt

   Nach Jahrzehnten fand Lisa heraus, dass sie nicht die leibliche Tochter ihrer ukrainischen Familie war. Als sie das mysteriöse Geheimnis ihrer Herkunft löste, sah sie sich einer unerklärlichen Tatsache gegenüber – ihre eigene Mutter lebte in Deutschland. Aber wie kam es dazu?

   Warum wurde sie verlassen, abgewiesen, auf sie verzichtet?

   Lisa hatte damals nicht wissen können, dass die schlimmen Jahre der Hungersnot in der Ukraine in den Jahren 1930 bis 1933 für all diese schwierigen Umstände verantwortlich waren.

***

   „... Frau Lisa Schultz, Sie sind die Erbin eines Anwesens und einer Ranch ... Nach den Gesetzen Kanadas können Sie Ihr Erbe sofort in Besitz nehmen ...“ Lisa las schnell und laut die ersten Zeilen des Briefes vor, den sie heute erhalten hatte.

   „Was für ein Unsinn! Was für dummes Zeug! Wie absurd! Wieso Kanada? Welches Erbe und noch dazu von einem völlig unbekannten kanadischen Onkel? Das hat mir gerade noch gefehlt!“, murmelte sie verblüfft und warf den nicht zu Ende gelesenen und zerknüllten Brief in den Papierkorb.

   Letzten Monat erst erreichte sie die Kunde von einem plötzlich verstorbenen und bisher völlig unbekannten Onkel aus dem entfernten Benin. Wie sich herausstellte, hatte er eine zweistellige Millionensumme in Dollar auf seinem Konto und Lisa war seine einzige Erbin. Dafür, dass sein Anwalt Lisa aufgespürt hatte, um ihr diese tolle Neuigkeit mitzuteilen, müsste sie diese Millionen ehrlich mit ihm teilen. Nun, war das nicht ein Wunderbrief!?

   Und heute ereilte sie ein ähnliches Wunder-Erbe von einem weiteren kanadischen Onkel. Sollte sie dieses Erbe annehmen, erhielt sie neben dem Herrenhaus noch eine Ranch. Ja, natürlich, sie und Pferde, all das zusammen schien irgendwie nicht gerade miteinander vereinbar. Sie konnte sich nur schwer vorstellen, auf einem Pferd zu reiten. Das war nicht ihr Hobby, nicht ihre Leidenschaft. Wenn es natürlich ein reinrassiger Vollblutaraber wäre, dann hätte sie keine Zweifel. Sie hätte eine solche Erbschaft mit großer Freude angenommen. Aber, wie man wusste, wurde mit solchen Geschenken nicht gerade um sich geworfen.

   Seltsamerweise hatte Lisa bisher nicht den kleinsten Verdacht, dass sie so viele superreiche Verwandte besaß, verstreut auf der ganzen Welt!

   Natürlich gab es keinen Zweifel, dass all diese Erbschaftsangelegenheiten das Werk von Betrügern und Schurken waren. Diese Parasiten dachten nur darüber nach, wie man ehrliche Menschen täuschen und sich selbst mit betrügerischen Geschäften bereichern konnte.

   Auf dem Briefkasten war schon ein Aufkleber angebracht, damit weder Werbung noch Wurfsendungen eingeworfen wurden. Aber nein, immer noch steckten einige Idioten ständig irgendwelchen Papiermüll in den Kasten.

   Konnten die nicht lesen, oder was?

   Oder war dieser Text in einer Fremdsprache geschrieben und sie benötigten deshalb einen Dolmetscher?

   Höchstwahrscheinlich war es so. Aber was hatte der Postbote damit zu tun? Gewissenhaft erfüllte er seine Arbeitsaufgaben. Auf dem Umschlag stand schließlich ihr Nachname, nicht der des Nachbarn.

   Genug jetzt mit dieser Betrugsmasche um ein angebliches Erbe, mit diesem weiteren Trick um einen nicht existierenden Nachlass. Es lohnte nicht, wegen diesem Unsinn, der keinen roten Heller wert war, Nerven zu lassen.

   Lisa ging zu dem ovalen Spiegel, der im Korridor an der Wand hing. Aus der reflektierenden Glasfläche sah sie ein schlankes, großes, hübsches, blondes, blauäugiges Mädchen an. Rechts oberhalb der Lippe war ein kleines Muttermal zu sehen, ein sogenanntes Schönheitspflästerchen.

   Nicht das erste Mal fragte sie sich, wem sie ähnelte. Ihre Mutter, Svetlana, war eine kleine Frau mit rundem Gesicht und üppigem Busen, mit gewelltem kastanienbraunem Haar und braunen Augen. Seltsam, aber sie hatte absolut keine Ähnlichkeit mit ihrer Mutter. Es war gut möglich, dass sie nach ihrem Vater kam. Obwohl dieser Verdacht kein direkter Beweis war.

   Es reichte, sie hatte sich schon lange genug den Kopf über etwas zerbrochen, worauf im Moment keine Antwort zu finden war. Sie nahm die Schlüssel, die auf dem Schränkchen im Flur lagen, warf sie in ihre Handtasche und ließ die Wohnungstür ins Schloss fallen.

   In diesem Moment dachte Lisa nicht darüber nach, wohin und in welche Richtung sie gehen sollte. Sie verließ einfach das Haus und ging geradeaus, ohne sich umzublicken, die Straße hinunter. Jetzt brauchte sie nur etwas frische Luft. Sie wollte nicht an etwas Bestimmtes denken. Vor allem nicht über die Probleme mit ihrem Liebhaber. Erst heute Morgen hatte er gesagt, dass sie sich nicht wieder treffen könnten. Er fand ständig irgendwelche seltsamen, schwer verständlichen Gründe, die nur für ihn allein von Bedeutung waren. Mal lief es mit der Arbeit nicht so, oder Apathie – Gleichgültigkeit gegenüber allem ringsumher – überfiel ihn plötzlich, oder der Mond stand gerade in der falschen Phase, und deshalb fehlte ihm die besondere Inspiration für romantische Treffen.

   Musste man sich wirklich so was ausdenken!?

   Sie selbst wäre nie auf die Idee gekommen, auf eine spezielle kreative Mond-Inspiration für Liebe zu warten!

   In diesem Fall, wie man so schön sagte, blühte hier keine Liebe.

   Oder war es nicht so?

   Sollte sie ihn wegschicken, zum Teufel jagen, zur Hölle schicken? Ja, es gab etwas, über das sie nachdenken musste.

   Warum sollte sie sich um die Probleme anderer kümmern?

   Wer dachte denn über ihre Probleme nach?

   Niemand.

   Wer löste ihre Probleme?

   Niemand. Nur sie selbst. Wie immer.

   „Ach, hol’s der Teufel!“, rief Lisa plötzlich, als sie mit dem linken Fuß am Bordstein hängen blieb.

   Gleichzeitig stolperte sie so sehr, dass sie fast das Gleichgewicht verlor.

   Voller Entsetzen sah sie auf ihre Füße. Der abgebrochene Absatz ihres linken Schuhs lag auf dem Asphalt.

   Verdammt! Verdammt! Verdammt!

   Verflucht noch mal! War das ein Pech!

   Sie zog ihre Pumps aus und schleuderte sie entrüstet in den nächsten Müllbehälter. Aber wie sollte sie, nebenbei gesagt, barfuß über den schmutzigen Bürgersteig gehen?

   Gab es für sie keine andere Lösung, noch einen anderen Ausweg? Nein. Daher gab es nichts zu meckern oder zu stöhnen. Hier konnte ihr niemand helfen. Das war eine Tatsache.

   Barfuß machte Lisa ein paar Schritte und schrie sofort vor Schmerzen auf. Versehentlich war sie mit der linken Ferse auf ein Stückchen Glas getreten. Verzweifelt lehnte sich das Mädchen gegen das Schaufenster des nächsten Ladens. Sie nahm den dünnen Schal von ihrem Hals und umwickelte damit die verletzte Ferse. Es war ihr egal, was vorübergehende Passanten über sie denken würden. Irgendwie musste sie ja bis zu ihrer Wohnung kommen.

   Unwillkürlich wandte Lisa ihren Kopf nach rechts. Sie stand direkt vor dem Schaufenster eines kleinen Antiquitätengeschäfts. Auf die alte hölzerne Ladentür war ein kleines rostiges Eisenschild genagelt. Es trug die Aufschrift „Finde jetzt, was du einst verloren hast!“.

   „Ach ja, vermutlich ist das genau der richtige Ort, um Ersatz für die alten, weggeworfenen Schuhe zu finden! Schließlich habe ich bisher nichts verloren. Nirgendwo!“ Lisa verfluchte sich selbst. „Und warum musste das heute passieren? Gott ist mein Zeuge, das ist schon seit dem Morgen ein Tag voller Missgeschicke.“

   Sie schaute wieder durch das Schaufenster. Hinter dickem, staubigem Glas lagen auf kleinen, schmalen Regalen antike Porzellanfiguren, Teeservices, Blumen aus Kristallglas, Kinderspielzeug aus Holz und andere alte, leicht verstaubte, nutzlose Kleinigkeiten.

   Aber ihr Blick wurde von einem Spielzeug angezogen, das in der rechten Ecke der Vitrine lag. Es war eine gewöhnliche Plastikpuppe, ganz ohne Kleidung. Nur auf ihrem Kopf befand sich eine dunkelblaue Mütze, unter der mehrere Strähnen dunklen Haares sichtbar wurden. Die Puppe trug um den Hals einen schmalen, abgenutzten, gebrauchten Stoffstreifen. In der Mitte dieses Streifens waren mit dunklen Fäden die zwei Buchstaben „SK“ aufgestickt. Außerdem war am großen Zeh des linken Fußes eine große Delle sichtbar.

   Es war dieses ungewöhnliche Detail, das Lisas Aufmerksamkeit auf sich zog. Vor Kurzem hatte sie ihren Schrank aufgeräumt. Aus einer großen Pappschachtel kamen mehrere Alben mit Fotos, allerlei Prospekte von ihren Reisen, Postkarten und anderer Kram ans Tageslicht.

   Wann hatte sie diese Alben das letzte Mal geöffnet? Gewiss vor langer, langer Zeit.

   Lisa hatte sich im Schneidersitz auf den Boden gesetzt und langsam die Seiten eines Albums umgeblättert. Darin waren vorwiegend Fotos aus ihrer Schulzeit aufgeklebt. Ihr Blick fiel auf die letzte Seite des Albums. Von dem vergilbten alten Foto sah sie ein kleines Mädchen an. Es saß im Hof auf dem nackten Boden und sie drückte eine Plastikpuppe, die ein Häubchen auf dem Kopf und ein dunkles Band um ihren Hals trug, fest an die Brust. Das war das einzige Kinderbild ihrer Mutter.

   Sie erinnerte sich erst jetzt, als sie vor dem Schaufenster des Antiquitätenladens stand, an dieses Detail. Erst vor Kurzem hatte sie das Familienalbum durchgeblättert, schoss es Lisa durch den Kopf.

   Konnten verschiedene Puppen einander so ähnlich sein? Im Prinzip war das natürlich möglich. Aber solche spezifischen Details konnten nicht identisch sein.

   Nein, das war so gut wie ausgeschlossen. Und vielleicht war es eine ganz andere Puppe, nicht die auf dem Foto?, schossen ihr plötzlich mehrere widersprüchliche Gedanken durch den Kopf, was ihr Unbehagen verursachte.

   Es gab übrigens noch einen weiteren wichtigen Grund, warum diese Puppe Lisa plötzlich so aus der Fassung brachte. Um es genauer zu sagen: Diese Puppe wurde ihr von ihrer Mutter schon vor vielen Jahren als eine Art Familienreliquie geschenkt.

   Natürlich musste die Tochter der Mutter feierlich versprechen, schwören, dass sie dieses Spielzeug nie wegwerfen und auch niemandem geben würde.

   Aber diese Puppe ging verloren, wie es nun mal passierte, wenn man mehrmals umzog, und sie verloren sie aus den Augen. Natürlich war es sehr, sehr schade, dass sie das wertvolle Familienrelikt nicht aufbewahren konnte. Obwohl hier von einem besonderen Wert nicht die Rede sein konnte.

   Auf jeden Fall nicht für sie. Es handelte sich nur um ein billiges Plastikspielzeug für Kinder. Es war eine Erinnerung an die schwierige Kindheit der Mutter. Es war ein Geschenk der Mutter.

   Gott sei Dank hatte sie ihr nichts gesagt. Denn sie hatte auch so schon viele gesundheitliche Probleme. Sie sollte sich nicht auch noch wegen dieser Kleinigkeit beunruhigen.

   Vielleicht war das ja überhaupt nicht ihre Puppe?

   Lisa, die wie in Trance war, stand vor dem Schaufenster und starrte auf die Puppe. Sie konnte den Blick nicht von den dunklen Augen abwenden. Sie fühlte sich von diesem geheimnisvollen Funkeln und von der magischen Ausstrahlung, die von den Puppenaugen ausging, wie von einem Magnet angezogen.

   Unerwartet begannen die Augen der Puppe unnatürlich zu blinzeln, die Pupillen weiteten sich und wurden plötzlich weiß wie Milch.

   Es war nicht verwunderlich, dass Lisa vor Schreck einige Schritte vom Schaufenster zurücktrat. Aber sofort ging sie wieder auf dieses außergewöhnliche und geheimnisvolle Spielzeug zu.

   „Verdammt, Teufel auch, was ist denn das für eine Sinnestäuschung, ein Wahnsinn? Was war das?“, murmelte sie vor sich hin und starrte in die milchfarbenen Pupillen der Puppe.

   Plötzlich, wie aus dem Nichts, am helllichten Tag, erhob sich ein starker Wind. Er blies mit solcher Wucht, dass die Mülltonne in der Nähe der Ladentür umkippte und der gesamte Müll herausfiel.

   Das durchdringende Pfeifen des Windes vermischte sich mit einer gedämpften Kinderstimme, als würde die Schaufensterpuppe selbst sprechen, und verkündete seltsame und entzückende Dinge:

„Wenn du ohne mich weggehst, wirst du es dein ganzes Leben lang bereuen! Wenn du mich hierlässt, wirst du bereuen, dass du mich getroffen hast! Wenn du mich mitnimmst, wirst du etwas herausfinden, das du sonst nie erfahren hättest!“

   Aus Angst ließ Lisa ihre Tasche fallen. Es war wie in dem russischen Märchen „Drei Recken“: Gehst du geradeaus – verlierst du dein Leben, gehst du nach links – findest du eine Frau, gehst du nach rechts – verlierst du dein Pferd.

   Sprachlos stand sie mit offenem Mund vor dem Schaufenster des Antiquitätengeschäftes und konnte die Augen nicht von diesem ungewöhnlichen sprechenden Spielzeug abwenden, das sie irgendwie geheimnisvoll anzog, lockte, verzauberte und faszinierte.

   Während ihr Blick immer noch starr auf die weißen Pupillen der Puppe gerichtet blieb, war Lisa bereit, völlig in deren bodenlose Tiefe einzutauchen. In diesem milchigen Abgrund konnte sie sogar ein paar Episoden aus dem Leben eines Menschen sehen. In einem Fragment hält ein junges, weinendes Mädchen ein kleines Kind auf ihren ausgestreckten Armen. In einer anderen Episode war dieses Kind in den Armen ganz anderer Leute.

   Was war das?

   Wer waren diese Leute?

   Wessen Kind war das?

   Wahrhaft unerklärlicher Quatsch, dummes Zeug und völliger Unsinn.

   Im gleichen Moment fühlte Lisa plötzlich, wie ein rätselhafter, geheimnisvoller Wirbelwind sie einsaugte und unaufhaltsam in sich hineinzog. Und sie hatte absolut keine Kraft, sich dieser geheimnisvollen, unbekannten Macht zu widersetzen, diesem unverständlichen Teufelswerk, diesem teuflischen Wahn.

   Wie durch einen dichten Nebelschleier fühlte sie, dass ihr schlecht wurde, um sie herum wurde es dunkel.

   „Was ist los? Was hast du, Kindchen? Ist etwas passiert? Bist du krank?“, drang plötzlich die Stimme einer alten Frau bis zu Lisa.

   Lisa öffnete langsam die Augen und sah sich ängstlich um. Sie lag auf dem Bürgersteig vor dem Schaufenster des Antiquitätenladens. Neben ihr lag ihre Handtasche. Der Kopf brummte, im Hals ein Kratzen.

   Was war das?

   Was war passiert?

   „Ach, nichts Schlimmes! Mir ist nur ein bisschen schwindlig ...“, antwortete Lisa lustlos auf die Frage der alten Frau und erhob sich langsam vom Asphalt.

   Was hätte sie in diesem Moment auch antworten können? Nichts.

   „Oh, oh, alles nicht so einfach ... Ich weiß das genau ... aber es liegt an dir ... nur an dir ...“, murmelte die alte Frau geheimnisvoll vor sich hin und eilte auf die andere Straßenseite, während sie sich auf einen knorrigen Holzstab stützte.

   Doch Lisa hatte die letzten Worte dieser alten Dame schon nicht mehr gehört. Sie warf noch einmal einen neugierigen Blick auf die Puppe im Schaufenster und eilte nach Hause. Sie wollte sich vergewissern, dass ihre Ahnungen nicht falsch waren, dass sie sich mit ihren Vermutungen nicht irrte.

***

   Nach Hause zurückgekehrt, nahm Lisa eine Pappschachtel aus dem Schrank und schüttete den Inhalt auf den Tisch.

   Irgendwo hier musste dieses Album mit dem Puppenbild sein. Natürlich, da war es. Und hier das alte, schon vergilbte Foto auf der letzten Seite.

   Es war schwer zu glauben, dass es dieselbe Puppe war, die sie heute in einem Antiquitätenladen gesehen hatte.

   Doch alle Zweifel verschwanden wie von selbst, als sie die restlichen Details der Puppe verglich: die gleiche Farbe des Häubchens auf dem Kopf, eine Beule, ebenfalls am selben linken Bein, das gleiche Band um den Hals mit den Buchstaben „SK“. Das waren übrigens die Initialen ihrer Mutter – Svetlana Kowal.

   Kann das wirklich wahr sein?

   Hatte sie wirklich den verloren geglaubten Gegenstand, die verschwundene Puppe gefunden?

   Lisa konnte ihren Blick nicht von den alten Fotos abwenden.

   Um sich zu vergewissern, eilte sie zurück zum Antiquitätengeschäft.

   An diesem Nachmittag waren dort nicht allzu viele Käufer. Eine ältere Frau sah eine Holzkiste mit alten Büchern durch.

   Ein junger Mann interessierte sich für die Platten weltberühmter Rockmusiker. Drei von ihnen – „Boney M“, „Bon Jovi“, „Modern Talking“ – hatte er schon beiseitegelegt. Es bestand kein Zweifel, dass diese Schallplatten in wenigen Minuten in sein persönliches Eigentum übergehen würden.

   Zögerlich ging Lisa näher an das Fenster heran. Genau dort, in der Ecke auf dem unteren Regal, lag etwas, das früher vielleicht ihr gehört hatte. Könnte sein.

   Sie zog das vergilbte Foto aus dem Fotoalbum aus ihrer Handtasche und versuchte erneut, alle Fakten zu vergleichen. Je mehr sie diese Puppe ansah, desto mehr war sie davon überzeugt, dass ihre Ahnung sie nicht betrog, dass sie sich nicht irrte.

   „Kann ich Ihnen helfen?“, hörte sie hinter ihrem Rücken die angenehme Stimme des älteren Verkäufers.

   „Vielleicht, ja, nur Sie können mir helfen. Es scheint, dass ich mich für diese Puppe interessiere“, antwortete Lisa, drückte das Foto an ihre Brust und zeigte auf die Puppe im Schaufensterregal.

   „Aber ich kann Ihnen auch eine andere Puppe anbieten, die übrigens viel schöner und in einem besseren Zustand ist als diese. Sehen Sie hier, bitte.“ Er führte die Kundin zu einem Holzregal, auf dem ein Dutzend verschiedener alter Puppen lagen.

    „Oh, nein, nein, vielen Dank! Das ist nett von Ihnen! Doch wenn Sie nichts dagegen haben, würde ich mir gern diese Plastikpuppe etwas genauer ansehen“, entgegnete Lisa und lehnte das Angebot des liebenswürdigen Verkäufers ab.

   „Natürlich, keine Frage, ich nehme sie sofort aus dem Schaufenster. Eine Minute, bitte.“ Der nicht mehr ganz junge Verkäufer entschuldigte sich irgendwie unbeholfen und ging zur Vitrine, in der Absicht, von dort eine ziemlich verstaubte Puppe herauszuholen.