Little Women. Vier Schwestern halten zusammen - Louisa May Alcott - E-Book

Little Women. Vier Schwestern halten zusammen E-Book

Louisa May Alcott

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Beschreibung

›Litte Women‹ gilt in den USA als einer der erfolgreichsten und beliebtesten Klassiker und hat Autorinnen wie Simone de Beauvoir, Elena Ferrante, Doris Lessing, Zadie Smith und J. K. Rowling in ihrem Schreiben beeinflusst. Nicht nur für sie, sondern auch für Millionen anderer junger Frauen galt die Protagonistin Jo, die sich den vorgegebenen Geschlechterrollen widersetzt und ihren Traum, Autorin zu werden, verfolgt, als Vorbild. ›Little Women‹ erzählt die Geschichte von gleich vier beeindruckenden jungen Frauen, die alle ihren eigenen Weg finden – und ist dabei erstaunlich aktuell.

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Louisa May Alcott

Litttle Women

Vier Schwestern halten zusammen

Aus dem Englischen von Bettina Münch

EINSPilgerspiele

»Weihnachten ohne Geschenke ist einfach kein Weihnachten«, maulte Jo, die auf dem Teppich lag.

»Arm zu sein, ist schrecklich!«, jammerte Meg, die seufzend ihr altes Kleid betrachtete.

»Ich finde es ungerecht, dass manche Mädchen jede Menge hübsche Sachen haben und andere gar keine«, fügte die kleine Amy mit einem gekränkten Schniefen hinzu.

»Immerhin haben wir Mutter und Vater und uns«, sagte Beth zufrieden in ihrer Ecke.

Bei diesen fröhlichen Worten leuchteten die vier jungen Gesichter im hellen Schein des Kaminfeuers für einen Augenblick auf, verdüsterten sich aber gleich wieder, als Jo traurig sagte: »Vater ist nicht bei uns und wird auch so bald nicht wiederkommen.« Sie sagte nicht »vielleicht niemals«, aber jede fügte es unausgesprochen hinzu und dachte an den Vater, der weit fort im Krieg war.

Für eine Weile blieb es still, dann sagte Meg: »Ihr wisst doch, dass Mutter vorgeschlagen hat, in diesem Jahr auf Weihnachtsgeschenke zu verzichten, weil es für alle ein harter Winter werden wird. Wir sollen kein Geld für Firlefanz ausgeben, während die Männer im Krieg sind und leiden. Wir können zwar nicht viel tun und nur kleine Opfer bringen, aber das sollten wir mit Freude tun, findet Mutter. Ich fürchte nur, ich kann es nicht.« Meg schüttelte bedauernd den Kopf und dachte an die vielen hübschen Dinge, die sie sich wünschte.

»Ich glaube nicht, dass unser bisschen Geld der Armee viel nützen wird. Jede von uns hat einen Dollar. Was kann die Armee damit groß anfangen? Ich bin einverstanden, dass Mutter und ihr mir nichts schenkt, aber ich will mir unbedingt Undine kaufen. Das wünsche ich mir schon so lange«, sagte Jo, die ein Bücherwurm war.

»Ich wollte meinen Dollar für neue Noten ausgeben«, sagte Beth mit einem Seufzen, das so zart war, dass nur das Kaminbesteck es hörte.

»Ich werde mir eine schöne Schachtel Faber-Zeichenstifte besorgen; die brauche ich unbedingt«, erklärte Amy entschieden.

»Von unserem Geld hat Mutter nichts gesagt. Sie will sicher nicht, dass wir auf alles verzichten. Lasst uns kaufen, was wir wollen, und ein bisschen Spaß haben. Wir arbeiten schließlich hart genug dafür«, rief Jo, während sie auf vornehm-männliche Art ihre Absätze begutachtete.

»Ich auf jeden Fall«, sagte Meg wieder im Jammerton. »Fast den ganzen Tag unterrichte ich diese kleinen Blagen, obwohl ich es mir viel lieber zu Hause gut gehen lassen würde.«

»Du hast es nicht halb so schlimm wie ich«, sagte Jo. »Wie würde es dir gefallen, stundenlang mit einer pingeligen alten Dame eingesperrt zu sein, die dich unentwegt auf Trab hält, nie zufrieden ist und dich schikaniert, bis du aus dem Fenster springen oder in Tränen ausbrechen willst?«

»Es gehört sich nicht zu jammern, aber ich finde, Abspülen und Putzen sind die schlimmsten Arbeiten der Welt. Sie verderben mir die Laune, und meine Hände werden so steif, dass ich nicht mehr richtig üben kann.« Diesmal hörten alle das Seufzen, mit dem Beth ihre rauen Hände betrachtete.

»Ich finde, keine von euch muss so leiden wie ich«, rief Amy. »Ihr müsst schließlich nicht mit unverschämten Mädchen zur Schule gehen, die euch hänseln, wenn ihr etwas nicht wisst, und sich über eure Kleider lustig machen und euren Vater stempeln, weil er nicht reich ist.«

»Wenn du abstempeln meinst, solltest du das auch sagen und nicht von Papa reden, als wäre er eine Briefmarke«, belehrte Jo sie lachend.

»Ich weiß, was ich sagen will, du brauchst gar nicht irionisch zu werden. Es gehört sich nun mal, anständige Wörter zu benutzen und sein Vokabilar zu erweitern«, erwiderte Amy würdevoll.

»Streitet euch nicht, Kinder. Wärst du denn nicht froh, Jo, wenn wir das Geld noch hätten, das Papa verlor, als wir noch klein waren? Stellt euch das nur vor! Wir könnten so glücklich sein, wenn wir keine Sorgen hätten«, sagte Meg, die sich noch an bessere Zeiten erinnern konnte.

»Neulich hast du gesagt, dass wir um einiges glücklicher seien als die Kinder der Kings, die immer nur streiten und jammern, obwohl sie reich sind.«

»Das habe ich, Beth. Und das glaube ich auch. Wir müssen zwar arbeiten, aber wir haben Spaß miteinander und sind eine ziemlich lustige Bande, wie Jo sagen würde.«

»Jo drückt sich immer so ordinär aus!«, sagte Amy mit einem missbilligenden Blick auf die schlaksige Gestalt, die sich auf dem Teppich rekelte.

Jo setzte sich augenblicklich auf, steckte die Hände in die Taschen und begann zu pfeifen.

»Hör auf, Jo. Das tun nur Jungen!«

»Deshalb ja.«

»Ich hasse ordinäre Mädchen, die sich nicht benehmen können!«

»Und ich hasse eitle kleine Zimperliesen!«

»Was sich neckt, das liebt sich«, trällerte Beth, die Friedensstifterin, und machte ein so drolliges Gesicht, dass die scharfen Töne ihrer Schwestern in Lachen übergingen und der »Streit« beendet war.

»Ihr seid beide keine Unschuldsengel«, wies Meg Amy und Jo auf Große-Schwestern-Art zurecht. »Du bist alt genug, dich nicht mehr wie ein Junge aufzuführen und dich anständig zu benehmen, Josephine. Solange du klein warst, hat es keine Rolle gespielt, aber jetzt bist du groß und steckst dir die Haare auf, also solltest du immer daran denken, dass du eine junge Dame bist.«

»Das bin ich aber nicht! Und wenn aufgesteckte Haare mich dazu machen, dann will ich lieber Zöpfe tragen, bis ich zwanzig bin«, rief Jo, riss sich das Haarnetz herunter und schüttelte ihre kastanienbraune Mähne. »Ich hasse den Gedanken, erwachsen werden und Miss March sein zu müssen, lange Kleider zu tragen und herausgeputzt wie eine Prinzessin durch die Gegend zu stolzieren! Es ist schlimm genug, ein Mädchen zu sein, wenn ich lieber wie ein Junge spielen, arbeiten und auftreten würde! Ich bedaure so sehr, nicht als Junge zur Welt gekommen zu sein. Gerade jetzt ist es schlimmer denn je, weil ich nichts lieber täte, als loszuziehen und mit Papa zusammen zu kämpfen. Stattdessen muss ich zu Hause hocken und stricken wie eine klapprige, alte Frau!« Jo schüttelte die blaue Armeesocke in ihrer Hand, dass die Stricknadeln klimperten wie Kastagnetten und das Wollknäuel durchs Zimmer sprang.

»Arme Jo! Das ist wirklich bitter, aber nicht zu ändern. Du musst dich schon damit zufriedengeben, dir einen Jungennamen zuzulegen und für uns den Bruder zu spielen«, sagte Beth und strich Jo mit einer Hand über den Kopf, die sich trotz aller Spül- und Putzarbeiten dieser Welt niemals unsanft anfühlen würde.

»Und du, Amy«, fuhr Meg fort, »du bist viel zu affektiert. Im Moment ist das noch lustig, aber wenn du nicht aufpasst, wirst du einmal eine eingebildete kleine Gans. Ich mag deine guten Manieren und deine feine Ausdrucksweise, wenn du es nicht übertreibst. Aber dein gespreiztes Gerede ist genauso schlimm wie Jos ordinäres.«

»Wenn Jo ein Wildfang ist und Amy eine Gans, was bin ich dann wohl?«, fragte Beth, die sich ebenfalls belehren lassen wollte.

»Du bist ein Schatz, ganz einfach«, erwiderte Meg zärtlich, und niemand widersprach ihr, denn die »kleine Maus« war der Liebling der ganzen Familie.

Da junge Leser gern wissen möchten, wie »die Leute aussehen«, wollen wir uns einen Augenblick Zeit nehmen, um die vier Schwestern zu betrachten, die im Dämmerlicht vor sich hin strickten, während draußen der Dezemberschnee lautlos vom Himmel fiel und drinnen das Kaminfeuer fröhlich knisterte. Das Zimmer war trotz des verblichenen Teppichs und der schlichten Möbel behaglich. An den Wänden hing das eine oder andere schöne Bild, die Regale waren voller Bücher, in den Fensternischen blühten Christrosen und Chrysanthemen, und über allem lag ein wohliger häuslicher Frieden.

Margaret, oder Meg, war mit ihren sechzehn Jahren die älteste der vier Schwestern und sehr hübsch. Sie hatte große Augen, dichtes braunes Haar, einen schönen Mund und weiße Hände, auf die sie sehr stolz war.

Die fünfzehnjährige Jo war ausgesprochen groß und dünn und erinnerte an ein Fohlen, denn sie schien nie recht zu wissen, wohin mit ihren langen Armen und Beinen. Sie hatte einen energischen Mund, eine lustige Nase und aufmerksame graue Augen, die abwechselnd leidenschaftlich, belustigt oder nachdenklich dreinschauten. Das Schönste an ihr waren ihre langen braunen Haare, die sie jedoch meist in einem Netz verstaute, damit sie ihr nicht im Weg waren. Sie hatte runde Schultern, große Hände und Füße und wirkte immer ein wenig unachtsam gekleidet. Alles in allem machte sie den Eindruck eines Mädchens, das mit Riesenschritten zur Frau wurde und sich damit nicht abfinden mochte.

Elizabeth – oder Beth, wie sie von allen genannt wurde – war ein rosiges, dreizehnjähriges Mädchen mit glatten Haaren und leuchtenden Augen. Sie wirkte eher schüchtern, hatte eine leise Stimme und meist einen friedlich-verträumten Gesichtsausdruck. Ihr Vater nannte sie »Kleiner Ruhepol«, und dieser Name passte ausgezeichnet zu ihr, denn sie schien in ihrer eigenen glücklichen Welt zu leben, die sie nur für die wenigen Menschen verließ, denen sie vertraute und die sie liebte.

Amy war zwar die Jüngste von allen, aber eine überaus bedeutende Person, zumindest in ihren eigenen Augen. Mit ihrer hellen Haut, den blauen Augen und blonden Locken, die ihr bis auf die Schultern fielen, hatte sie etwas von einer Schneeprinzessin, und sie benahm sich stets wie eine junge Dame, die auf ihre guten Manieren achtete. Die Uhr schlug sechs, und Beth, die gerade das Feuer geschürt hatte, stellte ein Paar Hausschuhe vor den Kamin, damit sie warm wurden. Beim Anblick der alten Schuhe wurden die Mädchen munter. Die Mutter kam bald nach Hause, und alle freuten sich darauf, sie willkommen zu heißen. Meg hörte mit ihren Belehrungen auf und zündete die Lampe an, Amy gab, ohne sich lange bitten zu lassen, den Lehnstuhl frei, und Jo vergaß ihre Müdigkeit, setzte sich hin und hielt die Hausschuhe näher ans Feuer.

»Sie sind ziemlich ausgetreten. Marmee braucht ein neues Paar.«

»Ich wollte ihr von meinem Dollar welche kaufen«, sagte Beth.

»Nein, das mache ich!«, rief Amy.

»Ich bin die Älteste«, sagte Meg, aber Jo schnitt ihr das Wort ab:

»Ich bin jetzt der Mann in der Familie, also werde ich die Hausschuhe besorgen. Schließlich hat Papa mir aufgetragen, mich besonders gut um Mutter zu kümmern, während er fort ist.«

»Ich weiß, was wir machen können«, erklärte Beth. »Wir kaufen ihr alle etwas zu Weihnachten und nichts für uns selbst.«

»Typisch Beth! Darauf kannst auch nur du kommen. Abgemacht, was kaufen wir ihr?«, rief Jo.

Alle dachten eine Weile angestrengt nach, dann erklärte Meg, als hätte der Anblick ihrer eigenen hübschen Hände sie darauf gebracht: »Von mir bekommt sie ein schönes Paar Handschuhe.«

»Von mir Armeepantoffeln, das sind die besten«, rief Jo.

»Von mir bestickte Taschentücher«, sagte Beth.

»Und ich kaufe ihr ein Fläschchen Eau de Cologne. Das mag sie und ist nicht so teuer, dann bleibt noch genug Geld für meine Stifte übrig«, ergänzte Amy.

»Und wie wollen wir ihr die Sachen schenken?«, fragte Meg.

»Wir legen alles auf den Tisch, holen sie herein und schauen zu, wie sie die Sachen auspackt. Wisst ihr nicht mehr, wie wir es früher an Geburtstagen gemacht haben?«, erwiderte Jo.

»Ich hatte immer solche Angst, wenn ich mit der Krone auf dem Kopf im Sessel sitzen, mir von euch die Geschenke überreichen und mich küssen lassen musste«, sagte Beth, die ihr Gesicht und das Brot für den Nachmittagstee gleichzeitig röstete. »Ich mochte die Geschenke und die Küsse, aber es war schrecklich, wenn ihr mir dabei zugesehen habt, wie ich sie auspacke.«

»Marmee soll denken, dass wir uns selbst etwas kaufen, und dann überraschen wir sie. Aber den Einkauf müssen wir auf morgen Nachmittag verschieben, Meg. Vorher müssen wir noch so viel vorbereiten für das Theaterstück am Weihnachtsabend«, sagte Jo, die mit den Händen auf dem Rücken und hoch erhobenem Kopf auf und ab marschierte.

»Ich spiele nur noch dieses eine Mal mit. Ich werde langsam zu alt für solche Sachen«, befand Meg, obwohl sie Verkleidungsspiele noch genauso liebte wie früher.

»Solange du in einem weißen Kleid, mit offenem Haar und goldenem Papierschmuck herumstolzieren darfst, hörst du sicher nicht auf. Außerdem bist du unsere beste Schauspielerin. Wenn du aufhörst, ist alles aus«, sagte Jo. »Jetzt müssen wir proben. Amy, komm her und übe die Szene mit der Ohnmacht. Du bist dabei immer steif wie ein Brett.«

»Ich kann nichts dafür. Ich habe noch nie jemanden ohnmächtig werden sehen und keine Lust, mir blaue Flecken zu holen, wenn ich es mache, wie du es willst. Wenn ich dabei vorsichtig sein darf, dann lasse ich mich fallen. Wenn nicht, sinke ich graziös in einen Sessel. Es kümmert mich nicht, ob Hugo mit einer Pistole auf mich zukommt oder nicht«, erwiderte Amy, die keine große Schauspielerin war. Trotzdem hatte man sie für die Rolle ausgesucht, denn sie war klein genug, um vom Bösewicht des Stückes schreiend hinausgetragen zu werden.

»Mach es so: Du taumelst händeringend durchs Zimmer und rufst verzweifelt: ›Rette mich, Roderigo! Rette mich!‹« Und schon stieß Jo einen melodramatischen Schrei aus, der allen durch Mark und Bein ging.

Amy gehorchte, reckte die Hände dabei jedoch steif in die Luft und bewegte sich so ruckartig, als würde sie von einer Maschine angetrieben. Ihr »Ooh!« ließ weniger an Angst und Verzweiflung denken als an einen Nadelstich. Jo stöhnte frustriert, und Meg lachte laut los, während Beth beim Betrachten des Spektakels das Brot anbrennen ließ.

»Es hat keinen Zweck! Tu einfach dein Bestes, wenn es so weit ist, aber gib nicht mir die Schuld, wenn du ausgelacht wirst. Jetzt du, Meg.«

Von da an verlief die Probe reibungslos, denn Don Pedro trotzte der Welt in einem zweiseitigen Monolog, ohne ein einziges Mal ins Stocken zu geraten. Die Hexe Hagar sagte über ihrem brodelnden Kessel voller Kröten eine schauerliche Beschwörungsformel auf. Roderigo befreite sich heldenhaft aus seinen Ketten, und Hugo schied, von Reue und Gift geschüttelt, mit einem wilden »Ha! Ha!« dahin.

»Das ist das beste Stück, das wir je hatten«, sagte Meg, als sich der tote Bösewicht wieder aufrichtete und den Ellbogen rieb.

»Ich weiß wirklich nicht, wie du so wunderbare Stücke schreiben kannst, Jo. Du bist ein richtiger Shakespeare!«, rief Beth, die ihre Schwestern eigentlich in allen Dingen für außerordentlich begabt hielt.

»Na ja«, erwiderte Jo bescheiden. »Ich finde meine tragische Oper Der Fluch der Hexe nicht schlecht, aber ich würde es zu gern mit Macbeth versuchen, wenn wir bloß eine Falltür für Banco hätten. Den Mord wollte ich schon immer einmal spielen. ›Ist das ein Dolch, den ich da vor mir sehe?‹«, murmelte sie, verdrehte die Augen und griff in die Luft, wie sie es bei einem berühmten Darsteller gesehen hatte.

»Nein, es ist die Röstgabel mit Mutters Schuh daran statt einer Scheibe Brot. Beth ist ganz hin und weg!«, rief Meg und die Probe endete in schallendem Gelächter.

»Wie schön, dass ihr so vergnügt seid«, sagte eine fröhliche Stimme von der Tür, und Schauspielerinnen wie Publikum wandten sich einer hochgewachsenen, mütterlichen Gestalt zu, deren fürsorgliches Wesen sich aufs Schönste in ihren Augen spiegelte. Sie war nicht elegant gekleidet, aber dennoch eine vornehm wirkende Frau. In den Augen der Mädchen verbargen der graue Mantel und die unvorteilhafte Haube die wunderbarste Mutter der Welt.

»Nun, meine Lieben, wie ist es euch heute ergangen? Wir hatten so viel zu tun, die Päckchen für morgen vorzubereiten, dass ich nicht zum Essen nach Hause kommen konnte. Waren irgendwelche Besucher da, Beth? Wie geht es deinem Schnupfen, Meg? Jo, du siehst todmüde aus. Komm und gib mir einen Kuss, mein Kleines.«

Während dieser mütterlichen Nachfragen schlüpfte Mrs. March aus ihren nassen Sachen und in die warmen Hausschuhe. Dann setzte sie sich in den Lehnsessel und zog Amy auf ihren Schoß, um die glücklichsten Stunden ihres arbeitsreichen Tages zu genießen. Die Mädchen eilten von hier nach da und versuchten jede auf ihre Art, es ihrer Mutter behaglich zu machen. Meg deckte den Tisch, Jo holte Holz und rückte die Stühle zurecht, wobei alles, was sie anfasste, entweder runterfiel, umkippte oder klapperte. Beth lief still und geschäftig zwischen Küche und Wohnstube hin und her, während Amy mit gefalteten Händen dasaß und alle herumkommandierte.

Als die Familie sich um den Tisch versammelte, sagte Mrs. March mit strahlendem Gesicht: »Nach dem Essen habe ich eine Überraschung für euch.«

Wie ein Sonnenstrahl wanderte ein glückliches Lächeln um den Tisch. Beth klatschte in die Hände, ohne auf das Brötchen zu achten, das sie in der Hand hielt, und Jo schleuderte ihre Serviette in die Luft und rief: »Ein Brief! Ein Brief! Ein Brief vom Vater!«

»Ja, ein schöner langer Brief. Es geht ihm gut, und er glaubt, dass er die kalte Jahreszeit besser überstehen wird, als wir befürchtet haben. Er wünscht uns alles Liebe und Gute zu Weihnachten und hat für jede von euch eine persönliche Nachricht«, sagte Mrs. March und klopfte auf ihre Tasche, als hätte sie einen Schatz darin.

»Beeilt euch! Verplempere keine Zeit damit, beim Essen den kleinen Finger abzuspreizen, Amy«, rief Jo, die vor lauter Hast ihr Brot mit der gebutterten Seite auf den Teppich fallen ließ und sich an ihrem Tee verschluckte.

Beth hörte ganz auf zu essen und setzte sich in ihre Ecke, um die Vorfreude zu genießen, bis die anderen bereit waren.

»Ich finde es großartig von Vater, dass er sich freiwillig als Geistlicher gemeldet hat, obwohl er wegen seines Alters nicht eingezogen wurde und als Soldat nicht stark genug ist«, sagte Meg voller Wärme.

»Ich wünschte, ich könnte mich als Trommler melden, als Marketender – oder wie das heißt. Oder als Krankenschwester in seiner Nähe sein und ihm helfen«, sagte Jo.

»Es muss so unangenehm sein, in einem Zelt zu schlafen, Dinge zu essen, die nicht schmecken, und aus einem Blechbecher trinken zu müssen«, seufzte Amy.

»Wann kommt er nach Hause, Marmee?«, fragte Beth mit einem leichten Zittern in der Stimme.

»Das dauert noch ein paar Monate, Liebes; es sei denn, er wird krank. Er wird bleiben und seine Pflicht tun, solange er kann, und wir wollen ihn uns nicht eher zurückwünschen, als man ihn entbehren kann. Jetzt kommt und hört euch an, was in seinem Brief steht.«

Sie setzten sich alle ans Kaminfeuer, die Mutter im großen Sessel, mit Beth zu ihren Füßen und Meg und Amy links und rechts auf den Armlehnen, während Jo sich an die Rückwand lehnte, wo niemand etwas sehen würde, falls ihr der Brief zu Herzen ging. In jenen harten Zeiten wurden nur wenige Briefe geschrieben, die einem nicht zu Herzen gingen, besonders wenn es solche waren, die Väter nach Hause schickten. In diesem Brief stand nur wenig über die erlittenen Entbehrungen, die Gefahren oder das durchgestandene Heimweh. Es war ein fröhlicher, hoffnungsvoller Brief, mit lebhaften Beschreibungen des Lagerlebens, der Märsche und militärischen Neuigkeiten. Erst am Ende sprudelte dem Schreiber das Herz über vor väterlicher Liebe und Sehnsucht nach seinen kleinen Töchtern zu Hause.

»Gib den Mädchen einen lieben Kuss von mir und sag ihnen, dass ich jeden Tag an sie denke und jeden Abend für sie bete und dass ihre Liebe mein größter Trost ist. Ein ganzes Jahr bis zum Wiedersehen wird mir sehr lang werden, aber erinnere sie bitte daran, dass diese harte Zeit nicht umsonst gewesen sein wird, wenn wir währenddessen alle fleißig arbeiten. Ich bin sicher, sie erinnern sich an jedes Wort, das ich ihnen gesagt habe, dass sie Dir gute Kinder sind und brav ihre Pflichten erledigen, dass sie mutig gegen den kleinen Teufel in ihrer Brust ankämpfen und sich wunderbar behaupten, damit ich bei meiner Rückkehr wohl mehr Liebe und Stolz für meine kleinen Frauen empfinden werde als je zuvor.«

An dieser Stelle schnieften alle. Jo schämte sich nicht wegen der dicken Träne, die ihr von der Nase tropfte, und Amy scherte sich nicht um ihre zerdrückten Locken, als sie das Gesicht an der Schulter der Mutter verbarg und laut schluchzte: »Ich bin so selbstsüchtig! Aber ich will mich bestimmt bessern, damit er nicht von mir enttäuscht ist.«

»Das werden wir alle«, rief Meg. »Ich denke zu viel an mein Aussehen und hasse es, zu arbeiten, aber das werde ich ändern, wenn ich kann.«

»Ich will mir Mühe geben, ›eine kleine Frau‹ zu sein, wie er mich so gern nennt, und nicht mehr rau und wild. Und ich will hier meine Pflicht tun, statt mir zu wünschen, anderswo zu sein«, sagte Jo, die fand, dass es viel schwieriger war, zu Hause ihr Temperament zu zügeln, als es unten im Süden mit ein oder zwei Rebellen aufzunehmen.

Beth sagte gar nichts. Sie wischte mit ihrem Strickwerk die Tränen fort und begann mit aller Kraft zu stricken, um keine weitere Zeit zu verlieren und mit der nächstliegenden Aufgabe zu beginnen. Auf ihre stille Art nahm sie sich vor, genau so zu werden, wie der Vater sie sich wünschte, wenn er nach einem Jahr glücklich heimkehrte.

Mrs. March brach die Stille, die nach Jos Worten eingetreten war, und sagte fröhlich: »Wisst ihr noch, wie ihr als kleine Kinder immer die Geschichte der Pilgerreise zur seligen Ewigkeit gespielt habt? Ich konnte euch keine größere Freude machen, als euch meine Beutel voller alter Tücher als Bürde auf den Rücken zu binden und euch Hüte, Stöcke und alte Papiere in die Hand zu drücken, damit ihr durch das ganze Haus pilgern konntet. Vom Keller, der für euch die ›Stadt der Zerstörung‹ war, bis hinauf in die Dachkammer, wo ihr die wunderbarsten Sachen für eine ›Himmlische Stadt‹ zusammentrugt.«

»Oh ja! Es hat solchen Spaß gemacht, uns an den Löwen vorbeizuschleichen, gegen das Ungeheuer Apollyon zu kämpfen und das Tal der Todesschatten zu durchwandern«, sagte Jo.

»Mir hat es immer am besten gefallen, wenn die Bürden von uns abfielen und die Treppe runterpurzelten«, sagte Meg.

»Ich kann mich kaum noch daran erinnern, nur, dass ich Angst vor dem Keller und dem dunklen Hausflur hatte und den Kuchen und die Milch mochte, die es oben gab. Wenn ich dafür nicht zu alt wäre, würde ich es gern noch einmal spielen«, sagte Amy, die mit ihren zwölf Jahren bereits davon sprach, sich wie eine Erwachsene benehmen zu wollen.

»Dafür sind wir nie zu alt, Liebes. Die Pilgerreise ist ein Spiel, das wir auf die eine oder andere Weise unser ganzes Leben lang spielen. Wir haben alle unsere Bürde zu tragen und unseren Weg zu gehen. Die Sehnsucht nach Glück und Herzensgüte leitet uns durch alle Fehler und Schwierigkeiten zum Frieden der Himmlischen Stadt. Und jetzt, meine kleinen Pilgerinnen, schlage ich vor, dass ihr euch wieder auf die Reise macht, und zwar nicht nur zum Spaß, sondern im Ernst. Mal sehen, wie weit ihr kommt, bis euer Vater zurückkehrt.«

»Wirklich? Wo sind denn unsere Bürden, Mutter?«, fragte Amy, die dazu neigte, alles wörtlich zu nehmen.

»Ihr habt eure Bürden gerade aufgezählt, alle, außer Beth. Ich glaube fast, sie hat keine«, erwiderte die Mutter.

»O doch. Meine Bürde sind Geschirr und Staubwedel, der Neid auf Mädchen mit einem schönen Klavier und Furcht vor fremden Menschen.«

Beths Bürde war so drollig, dass die anderen am liebsten gelacht hätten, aber keine tat es, um die Schwester nicht zu verletzen.

»Lasst es uns tun«, sagte Meg nachdenklich. »Es ist einfach nur eine andere Bezeichnung für das Bestreben, ein guter Mensch zu sein. Vielleicht hilft uns die Geschichte dabei; denn obwohl wir gute Menschen sein wollen, ist es harte Arbeit, und wir vergessen manchmal, unser Bestes zu geben.«

»Heute Abend waren wir im ›Sumpf der Verzagtheit‹ und Mutter hat uns herausgezogen, genau wie Helfer im Buch. Wir sollten auch eine Schrift als Leitfaden haben, wie Christian in der Geschichte. Was könnte das sein?«, fragte Jo, die von der Idee begeistert war, weil sie der langweiligen Pflichterfüllung einen Hauch von Romantik verlieh.

»Schaut am Weihnachtsmorgen unter euer Kopfkissen, dann findet ihr euren Leitfaden«, erwiderte Mrs. March.

Die Mädchen klatschten begeistert über diese Aussicht und redeten wild durcheinander. Dann wurden die Handarbeitskörbe wieder herausgeholt und mit fliegenden Nadeln am Laken für Tante March gearbeitet. Es war eine langweilige Stickarbeit, doch an diesem Abend beklagte sich niemand. Sie übernahmen Jos Vorschlag, die langen Säume durch vier zu teilen und die einzelnen Abschnitte Europa, Asien, Afrika und Amerika zu nennen. Auf diese Weise kamen sie ordentlich voran, vor allem, als sie sich über die verschiedenen Erdteile zu unterhalten begannen, an denen sie entlangstickten.

Gegen neun beendeten sie die Handarbeit, um, wie immer vor dem Zubettgehen, zu singen. Niemand außer Beth konnte dem alten Klavier viel Musik entlocken, sie aber wusste die vergilbten Tasten so behutsam anzuschlagen, dass sie die schlichten Lieder, die sie gemeinsam sangen, auf das Schönste begleitete. Meg hatte die Stimme einer Nachtigall und führte den kleinen Chor zusammen mit der Mutter an. Amy zirpte wie eine Grille, und Jo ließ die Stimme wandern, wie es ihr gefiel, sodass sie immer an der falschen Stelle ein Krächzen oder Trillern von sich gab, das jedes besinnliche Lied ruinierte. Sie sangen, seit sie ’unkel, ’unkel, kleina Stern lispeln konnten, und daraus war ein schöner Familienbrauch geworden, denn ihre Mutter war eine geborene Sängerin. Ihr Gesang war das Erste, was sie morgens hörten, wenn sie singend wie eine Lerche durchs Haus ging, und am Abend war der gleiche fröhliche Klang das Letzte, was die Mädchen vernahmen, die für dieses vertraute Schlaflied niemals zu alt wurden.

ZWEIFröhliche Weihnachten

Jo war die Erste, die in der grauen Dämmerung des Weihnachtsmorgens aufwachte. Vor dem Kamin hingen keine Strümpfe voller Geschenke, und einen Moment lang fühlte sie sich ebenso enttäuscht wie damals, als ihr kleiner Strumpf heruntergefallen war, weil er vor Süßigkeiten fast überquoll. Aber dann erinnerte sie sich an das Versprechen ihrer Mutter, griff unter ihr Kopfkissen und zog ein kleines Buch mit tiefrotem Einband hervor. Sie kannte es gut, denn es enthielt die altbekannte Geschichte von jenem einen, der mit seinem Leben allen Menschen ein Vorbild sein soll. Ein echter Leitfaden für jeden Wanderer, der sich auf eine lange Reise begibt, fand Jo. Sie weckte Meg mit einem »Fröhliche Weihnachten« und bat sie nachzusehen, was unter ihrem Kissen lag. Ein grün eingeschlagenes Buch kam zum Vorschein, mit der gleichen Abbildung darin und einigen von der Mutter hineingeschriebenen Worten, die ihr einziges Geschenk in den Augen der Mädchen umso wertvoller machten. Dann wachten Beth und Amy auf, suchten und fanden ihre kleinen Bücher ebenfalls – das eine tauben-, das andere königsblau. Sie saßen da und unterhielten sich über ihre Bücher, während der neue Tag den Himmel im Osten rosa färbte.

Trotz ihrer kleinen Eitelkeiten war Margaret ein liebenswertes, frommes Mädchen, das auf seine Schwestern einen ungeahnt großen Einfluss hatte. Vor allem auf Jo, die sie zärtlich liebte und auf sie hörte, weil sie ihre Ratschläge äußerst feinfühlig erteilte.

»Mädchen«, sagte Meg ernst, als sie von dem verstrubbelten Kopf neben sich zu den beiden kleinen Nachthauben im angrenzenden Zimmer hinübersah. »Mutter will, dass wir dieses Buch lesen, lieben und beherzigen, und damit sollten wir sofort beginnen. Wir haben es schon früher getan, aber seit Vater fortgegangen ist und der Krieg unser Leben in Unordnung gebracht hat, haben wir vieles vernachlässigt. Ihr könnt machen, was ihr wollt, aber ich werde mein Buch hier auf den Nachttisch legen und jeden Morgen ein wenig darin lesen. Das wird mir guttun und mir durch den Tag helfen.«

Damit schlug sie ihr neues Buch auf und begann zu lesen. Jo legte den Arm um sie, und Wange an Wange las auch sie mit einem stillen Ausdruck, der auf ihrem unruhigen Gesicht nur selten zu sehen war.

»Meg ist ja so gut! Komm, Amy, wir machen es genauso. Ich helfe dir bei den schwierigen Worten, und sie erklären uns, was wir beide nicht verstehen«, flüsterte Beth, die von den schönen Büchern und dem Beispiel ihrer Schwestern sehr beeindruckt war.

»Ich bin froh, dass meines königsblau ist«, sagte Amy. Dann wurde es still in den Zimmern, während sie leise die Seiten umblätterten und die Wintersonne hereinkroch, um den klugen Köpfen mit den ernsten Gesichtern einen Weihnachtsgruß zu schicken.

»Wo ist Mutter?«, fragte Meg, als sie eine halbe Stunde später mit Jo die Treppe herunterrannte, um ihr für das Geschenk zu danken.

»Das weiß der Himmel«, erwiderte Hannah, die seit Megs Geburt bei der Familie lebte und von allen mehr als Freundin denn als Bedienstete angesehen wurde. »Irgend so ein armes Ding hat sie angebettelt, da ist eure Ma gleich los, um zu sehen, wo’s brennt. Eine Frau, die so freigiebig Essen und Trinken, Kleider und Feuerholz verschenkt, hat die Welt noch nicht gesehen.«

»Sie kommt sicher bald zurück, also backt eure Krapfen und macht alles bereit«, sagte Meg, während sie die Geschenke für die Mutter durchsah, die in einem Korb unter dem Sofa lagen, um zum richtigen Zeitpunkt überreicht zu werden. »Wo ist denn Amys Eau de Cologne?«, fragte sie, als das kleine Fläschchen nicht auftauchte.

»Sie hat es vorhin herausgeholt und ist weggegangen, um eine Schleife darumzubinden oder so«, erwiderte Jo, die in den neuen Armeehausschuhen durchs Zimmer tanzte, damit sie ein wenig geschmeidiger wurden.

»Die Taschentücher sehen hübsch aus, findet ihr nicht? Hannah hat sie für mich gewaschen und gebügelt, und ich habe sie ganz allein bestickt«, sagte Beth, während sie stolz die etwas schief geratenen Buchstaben betrachtete, die sie solche Mühe gekostet hatten.

»Nein, wie herzig!«, rief Jo und nahm eines der Taschentücher in die Hand. »Sie hat ›Mutter‹ darauf gestickt statt ›M. March‹. Wie lustig!«

»Ist das denn nicht richtig? Ich dachte, es wäre besser so, weil Megs Initialen doch auch M. M. sind und ich nicht will, dass jemand anders als Marmee sie benutzt«, sagte Beth mit bekümmerter Miene.

»Natürlich ist das richtig, Liebes, und eine schöne Idee, außerdem sehr praktisch, weil es jetzt keine Verwechslung mehr geben kann. Marmee wird begeistert sein, das weiß ich«, sagte Meg mit einem Stirnrunzeln für Jo und einem Lächeln für Beth.

»Sie kommt. Schnell, versteckt den Korb!«, rief Jo, als die Haustür zufiel und in der Diele Schritte laut wurden.

Amy kam hastig ins Zimmer und machte ein verlegenes Gesicht, als sie sah, dass ihre Schwestern auf sie warteten.

»Wo hast du gesteckt und was verbirgst du da hinter deinem Rücken?«, fragte Meg, erstaunt, dass die faule Amy so früh schon unterwegs gewesen war, wie Hut und Mantel verrieten.

»Lach mich nicht aus, Jo! Es sollte niemand davon wissen, ehe es so weit ist. Ich wollte die kleine Flasche gegen eine große umtauschen und hab mein ganzes Geld dafür ausgegeben. Ich bemühe mich wirklich, nicht mehr selbstsüchtig zu sein.«

Während sie erzählte, zeigte Amy den hübschen Flakon, den sie gegen den billigen eingetauscht hatte, und sie sah in ihrem Bemühen, sich hintenanzustellen, so ernst und bescheiden aus, dass Meg sie auf der Stelle umarmte, während Jo sie einen »feinen Kerl« nannte und Beth zum Fenster lief und ihre schönste Rose pflückte, um die prächtige Flasche damit zu verzieren.

»Ich habe mich für mein Geschenk geschämt, nachdem wir heute Morgen davon gelesen und uns versprochen haben, gut sein zu wollen. Also bin ich gleich nach dem Aufstehen zum Laden um die Ecke gelaufen und habe es umgetauscht. Und ich bin wirklich froh darüber, denn jetzt ist mein Geschenk das schönste von allen.«

Ein weiteres Schlagen der Haustür ließ den Korb unter dem Sofa verschwinden und die Mädchen, die sich auf das Frühstück freuten, zum Tisch eilen.

»Fröhliche Weihnachten, Marmee! Vielen Dank für die Bücher. Wir haben schon ein bisschen gelesen und wollen das ab jetzt jeden Tag tun«, riefen sie im Chor.

»Fröhliche Weihnachten, meine lieben kleinen Töchter! Ich bin froh, dass ihr gleich angefangen habt, und hoffe, ihr macht so weiter. Aber bevor wir uns setzen, muss ich euch etwas erzählen. Nicht weit von hier lebt eine arme Frau mit einem neugeborenen Baby. Ihre sechs Kinder drängen sich im Bett zusammen, um sich warm zu halten, weil sie kein Feuer haben. Es gibt nichts zu essen dort drüben bei den Hummels, deshalb ist der älteste Junge hergekommen, um mir zu erzählen, dass sie hungern und frieren. Wollt ihr ihnen nicht euer Frühstück zu Weihnachten schenken, Kinder?«

Sie waren alle hungriger als sonst, weil sie fast eine Stunde lang gewartet hatten, deshalb sagte zunächst keine ein Wort, aber es dauerte nicht lange, bis Jo ungestüm rief: »Ich bin froh, dass du zurückgekommen bist, bevor wir angefangen haben!«

»Kann ich mitkommen und dir helfen, den armen Kindern die Sachen zu bringen?«, fragte Beth.

»Ich trage die Sahne und die Muffins«, fügte Amy hinzu, die tapfer den Verzicht auf die Dinge betonte, die sie am liebsten mochte.

Meg deckte bereits die Krapfen ab und legte die Brotscheiben auf einen großen Teller.

»Ich dachte mir, dass ihr das tun würdet«, sagte Mrs. March zufrieden. »Ihr dürft alle mitkommen und mir helfen. Wenn wir zurückkommen, essen wir Milch und Brot zum Frühstück und entschädigen uns mit dem Abendessen.«

 

Kurz darauf waren sie bereit, und die Prozession machte sich auf den Weg. Zum Glück war es noch früh, und sie nahmen die kleinen Gassen, sodass kaum jemand sie zu Gesicht bekam und sich niemand über das seltsame Trüppchen lustig machte.

Es war eine armselige, kahle Behausung mit zerbrochenen Fensterscheiben, einer toten Feuerstelle, zerlumpten Bettlaken, einer kranken Mutter, einem greinenden Baby und einer Horde blasser, hungriger Kinder, die sich unter einer einzigen Decke frierend aneinanderdrängten. Wie rissen sie die großen Augen auf und lächelten mit blauen Lippen, als die Mädchen eintraten!

»Ach, mein Gott!«, rief die arme Frau auf Deutsch. »Da kommen gute Engel zu uns!« Sie weinte vor Freude.

»Das sind lustige Engel mit Hüten und Handschuhen«, sagte Jo, was alle zum Lachen brachte.

Kurz darauf sah es wirklich so aus, als seien gute Geister am Werk gewesen. Hannah, die das Holz getragen hatte, entzündete ein Feuer und stopfte die zerbrochenen Scheiben mit alten Hüten und ihrem eigenen Umhang. Mrs. March versorgte die Mutter mit Tee und Mehlsuppe und versprach ihr weitere Hilfe, während sie das Baby so behutsam anzog, als wäre es ihr eigenes. In der Zwischenzeit deckten die Mädchen den Tisch, setzten die Kinder ans Feuer und fütterten sie wie hungrige Vögelchen. Sie lachten, plauderten und bemühten sich, das gebrochene Englisch der Familie zu verstehen.

»Das schmeckt gut!« und »Die Engelkinder!«, riefen die armen Dinger, während sie aßen und sich am lodernden Feuer die blau gefrorenen Hände wärmten.

Die Mädchen waren noch nie Engelkinder genannt worden und freuten sich darüber, besonders Jo, die seit ihrer Geburt für ein »Raubein« gehalten wurde. Es war ein überaus fröhliches Frühstück, auch wenn sie nichts davon abbekamen. Als sie die Familie schließlich getröstet zurückließen, gab es in der ganzen Stadt wohl keine vergnügteren Leute als diese vier hungrigen Mädchen, die ihr Frühstück verschenkt hatten und sich am Weihnachtstag mit Brot und Milch zufriedengaben.

»So fühlt es sich an, wenn man seine Nachbarn mehr liebt als sich selbst, und es gefällt mir«, sagte Meg, als sie ihre Geschenke aufbauten, während die Mutter oben Kleidungsstücke für die armen Hummels zusammensuchte.

Es war kein besonders prachtvolles Arrangement, aber es steckte viel Liebe in den wenigen kleinen Päckchen, und die hohe Vase mit den roten Rosen, weißen Chrysanthemen und einigen Gräsern mitten auf dem Tisch ließ das ganze Arrangement recht elegant aussehen.

»Sie kommt! Fang an zu spielen, Beth! Mach die Tür auf, Amy! Unsere Marmee soll hochleben!«, rief Jo, die durchs Zimmer sprang, während Meg die Mutter zum Ehrenplatz führte.

Beth spielte ihren fröhlichsten Marsch, Amy riss die Tür auf und Meg gab eine würdevolle Begleiterin ab. Mrs. March war überrascht und gerührt zugleich. Lächelnd und mit feuchten Augen betrachtete sie ihre Geschenke und las die dazugehörigen kleinen Zettel. Die Hausschuhe wurden sofort angezogen, ein neues Taschentuch mit Amys Eau de Cologne parfümiert und eingesteckt, die Rose am Ausschnitt befestigt und die hübschen Handschuhe für »perfekt« erklärt.

Es wurde auf jene schlichte, liebevolle Weise, die Familienfeste wie dieses zu wunderbaren Ereignissen machen und noch lange danach zu süßen Erinnerungen, viel gelacht, geküsst und geplaudert, bevor sich alle an die Arbeit begaben.

Die morgendlichen Wohltaten und Feierlichkeiten hatten so viel Zeit in Anspruch genommen, dass der Rest des Tages mit Vorbereitungen für das Fest am Abend verging. Da sie noch zu jung waren, um häufiger ins Theater zu gehen, und sie sich größere Ausgaben für private Vorstellungen nicht leisten konnten, ließen die Mädchen – Not macht erfinderisch – ihrer Fantasie freien Lauf und fertigten selbst an, was sie benötigten. Einige ihrer Basteleien waren ausgesprochen einfallsreich: Gitarren aus Pappe; antike Lampen aus altmodischen Butterschalen, die mit Stanniol überzogen wurden; entzückende Roben aus alten Stoffen mit glitzernden Blechstreifen aus einer Gurkenfabrik; Rüstungen, die mit Sternen aus dem gleichen Material bedeckt waren und aus Deckeln geöffneter Konservendosen zusammengefügt waren.

Der Schauplatz so mancher unbefangener Veranstaltung war der Dachboden. Da Herren keinen Zutritt hatten, übernahm Jo nach Herzenslust die Männerrollen und war besonders stolz auf ein Paar rote Rindslederstiefel, die ihr eine Freundin geschenkt hatte, welche eine Dame kannte, die wiederum einen Schauspieler kannte. Diese Stiefel, ein altes Florett und ein Wams mit Schlitzärmeln, das irgendein Künstler für ein Gemälde verwendet hatte, waren Jos größte Schätze und tauchten bei jeder Gelegenheit auf.

Die geringe Größe des Ensembles machte es erforderlich, dass die beiden Hauptdarstellerinnen jeweils mehrere Parts übernahmen, und man muss allein die harte Arbeit anerkennen, die es erforderte, drei oder vier verschiedene Rollen auswendig zu lernen, in fliegender Hast die Kostüme zu wechseln und daneben das Bühnengeschehen zu leiten. Es war eine ausgezeichnete Gedächtnisübung und ein kurzweiliges Vergnügen, das viele Stunden in Anspruch nahm, die ansonsten untätig, einsam oder in weniger vorteilhafter Gesellschaft verbracht worden wären.

Am Weihnachtsabend drängte ein Dutzend Mädchen auf das Feldbett, das den ersten Rang darstellte. In gespannter Erwartung saßen sie vor den blau-gelben Chintzvorhängen. Dahinter gab es allerhand Geraschel und Getuschel, ein Fädchen Lampenrauch und hin und wieder ein Kichern von Amy, die häufig hysterisch wurde, wenn sie aufgeregt war. Dann ertönte eine Glocke, der Vorhang flog auf und die Tragische Oper begann.

 

 

»Ein düsterer Wald«, wie es auf dem einzigen Theaterzettel hieß, wurde mithilfe einiger Topfpflanzen, eines grünen Stücks Filz auf dem Boden und einer Höhle im Hintergrund angedeutet. Das Dach der Höhle bestand aus einer Wäschespinne, die Wände aus Kommoden, und im Innern befand sich ein heiß glühender Ofen mit einem schwarzen Kessel darauf, über den eine alte Hexe gebeugt war. Die Bühne war dunkel, und der Feuerschein des Ofens hatte eine tolle Wirkung, besonders als die Hexe den Deckel abnahm und echter Dampf aufstieg.

Man ließ dem Publikum einen Augenblick Zeit, damit sich die erste Aufregung legte, dann betrat Jo als Bösewicht Hugo die Bühne, mit einem klirrenden Schwert an der Seite, Schlapphut und schwarzem Bart, einem geheimnisvollen Umhang und den besagten Stiefeln. Nachdem er einige Male in großer Erregung auf und ab gewandert war, schlug Hugo sich an die Stirn und begann mit Inbrunst von seinem Hass auf Roderigo zu singen, von seiner Liebe für Zara und seinem freudigen Entschluss, Ersteren zu töten und Letztere für sich zu gewinnen. Hugos grobes Gebaren, unterstrichen durch gelegentliche Ausrufe, wenn ihn die Gefühle übermannten, war sehr beeindruckend, und das Publikum applaudierte, sobald er eine Atempause einlegte. Mit der Verbeugung eines an Beifall Gewöhnten schlich Hugo zu der Höhle und befahl der Hexe Hagar mit einem fordernden »Heda, Weib! Seid mir zu Diensten!« herauszukommen.

Es folgte Megs Auftritt als Hexe, mit grauen Pferdehaaren um den Kopf, einer schwarz-roten Robe, einem Wanderstab und einem Umhang mit mystischen Zeichen darauf. Hugo forderte einen Zaubertrank, der ihm Zaras Anbetung sicherte, und einen weiteren, um Roderigo zu vernichten. Mit herrlich dramatischer Melodik versprach ihm die Hexe beides und machte sich daran, mit einem Zauberspruch den Geist herbeizurufen, der den Liebestrank bringen sollte.

 

Herbei, herbei aus deinem Haus,

Geist der Lüfte, komm heraus!

Geboren von Rosen, genährt mit Tauen,

kannst du mir Tränke und Zauber brauen?

Bring ihn geschwind nun zu mir her,

den duftigen Trank, den ich begehr.

Mach ihn süß und stark und leise,

Geist, nun höre meine Weise!

 

Eine sanfte Melodie ertönte, dann erschien im hinteren Teil der Höhle Amy als kleine Gestalt in wolkenweißem Gewand mit glitzernden Flügeln, goldenem Haar und einem Blumenkranz auf dem Kopf. Einen Zauberstab schwingend, sang sie ein schönes Lied:

 

Hier komm ich wie gewohnt

aus meinem luft’gen Heim

vom weit entfernten Silbermond.

Diesen Zaubertrank hier

in rauer Menge geb ich dir,

auf dass er den redlichen Zweck dir lohnt.

 

Ein kleines vergoldetes Fläschchen fiel der Hexe vor die Füße, und der Geist verschwand. Mit einem weiteren Zauberspruch wurde eine neue Erscheinung herbeigerufen. Diesmal war es keine schöne, denn mit lautem Knall erschien ein hässlicher schwarzer Kobold, der Hugo mit einem Krächzen eine dunkle Flasche zuwarf, ehe er höhnisch lachend wieder verschwand. Nachdem Hugo seinen Dank geträllert und die Tränke in die Stiefel gesteckt hatte, trat er ab.

Nun ließ die Hexe Hagar das Publikum wissen, dass sie den bösen Hugo, dem einige ihrer Freunde zum Opfer gefallen waren, verflucht hatte und sich an ihm rächen wollte, indem sie seine Pläne durchkreuzte.

Dann fiel der Vorhang. Das Publikum ruhte sich aus und aß Süßigkeiten, während man sich über die Vorzüge des Stückes unterhielt.

 

Es wurde ordentlich gehämmert, ehe sich der Vorhang wieder hob, doch als das meisterhafte Bühnenbild zum Vorschein kam, beklagte sich niemand über die Verzögerung. Es war wirklich prachtvoll! Vor dem Publikum erhob sich ein Turm bis zur Zimmerdecke, mit einem Fenster in der Mitte, in dem eine brennende Lampe stand, und hinter dem weißen Vorhang Zara in einem bezaubernden blausilbernen Kleid, die auf Roderigo wartete. Dieser erschien in prächtiger Aufmachung, mit großem Federhut, rotem Umhang, braunen Schmachtlocken, einer Gitarre und natürlich den Stiefeln. Er kniete sich vor den Turm und brachte mit schmelzender Stimme ein Ständchen dar. Zara antwortete und willigte in einem musikalischen Zwiegespräch ein, mit ihm zu fliehen.

Nun kam der Höhepunkt des Stückes. Roderigo holte eine Strickleiter mit fünf Sprossen hervor, warf das eine Ende nach oben und bat Zara, daran herunterzusteigen. Diese kletterte vorsichtig aus ihrem Gitterfenster, legte die Hand auf Roderigos Schulter und wollte gerade anmutig auf den Boden springen, als, »ach, o weh!«, die arme Zara ihre Schleppe vergaß und diese sich im Fenster verfing. Sogleich geriet der ganze Turm ins Wanken, stürzte mit Gepolter um und begrub die unglücklichen Liebenden unter sich!

Ein vielstimmiger Schrei ertönte, als sich die rindsledernen Stiefel aus den Trümmern arbeiteten und ein goldener Kopf auftauchte und rief: »Ich hab es euch gesagt! Ich hab es euch gesagt!« Mit wunderbarer Geistesgegenwart eilte Don Pedro, der grausame Vater, herbei, zerrte seine Tochter auf die Beine und flüsterte ihr hastig zu: »Nicht lachen! Tu, als wäre alles in Ordnung!« Dann hieß er Roderigo aufstehen und verbannte ihn zornig aus seinem Königreich.

Obwohl vom Zusammenbruch des Turms noch merklich erschüttert, widersetzte sich Roderigo dem alten Herrn und rührte keinen Fuß. Sein furchtloses Beispiel imponierte Zara. Sie widersetzte sich ihrem Vater ebenfalls, sodass er beide in die tiefsten Verliese seiner Burg werfen ließ. Ein wackerer kleiner Gefolgsmann brachte Ketten herbei und führte die beiden ab, sah dabei aber sehr verängstigt aus und hatte offensichtlich den Text vergessen, den er hätte aufsagen sollen.

 

Der dritte Akt spielte sich im Burgsaal ab, wo Hagar erscheint, um die Liebenden zu befreien und Hugo zu töten. Als sie ihn kommen hört, versteckt sich die Hexe. Sie sieht, wie Hugo die Zaubertränke in zwei Weinbecher schüttet, und hört ihn zu dem ängstlichen kleinen Diener sagen: »Bring dies den Gefangenen im Kerker und sage ihnen, dass ich alsbald kommen werde.« Als der Diener Hugo beiseitezieht, um ihm etwas mitzuteilen, tauscht Hagar die Becher gegen zwei harmlose aus. Der Diener trägt die Becher fort, und Hagar stellt den Roderigo zugedachten Giftbecher zurück auf den Tisch. Hugo, der nach langem Geträller durstig ist, trinkt ihn aus, wird irre und fällt nach allerhand Aufbäumen und Stampfen tot zu Boden, während Hagar ihn in einem überaus melodischen und ausdrucksvollen Lied wissen lässt, was sie getan hat.

Dies war eine äußerst packende Szene, auch wenn manche vielleicht fanden, dass die lange kastanienrote Haarpracht, die dem Bösewicht plötzlich ins Gesicht fiel, den Effekt seines Hinscheidens ein wenig schmälerte. Er wurde vor den Vorhang gerufen und erschien, wie es sich gehört, mit Hagar an der Hand, deren Gesang allgemein für schöner befunden wurde als die ganze restliche Vorstellung zusammen.

 

Der vierte Akt zeigte einen verzweifelten Roderigo, der auf die Nachricht, Zara habe ihn verlassen, im Begriff ist, sich selbst zu erdolchen. Schon ist die Klinge auf sein Herz gerichtet, als unter seinem Fenster ein wunderschönes Lied ertönt und ihn wissen lässt, dass Zara ihm treu, aber in Gefahr ist, und dass er sie retten kann, wenn er nur will. Ein Schlüssel wird hereingeworfen, der ihm die Tür aufschließt, und in wilder Begeisterung reißt Roderigo seine Ketten herunter und eilt davon, um seine Liebste zu befreien.

 

Der fünfte Akt beginnt mit einer stürmischen Szene zwischen Zara und Don Pedro. Der Vater will sie in ein Kloster schicken, doch sie mag nichts davon hören und ist nach herzergreifendem Flehen kurz davor, in Ohnmacht zu fallen, als Roderigo hereinstürmt und sie zu heiraten verlangt. Don Pedro lehnt ab, denn Roderigo ist nicht reich. Sie brüllen und gestikulieren, können sich aber nicht einigen, und Roderigo will die erschöpfte Zara gerade forttragen, als der schüchterne Diener einen Brief und eine Tasche von Hagar hereinbringt, die auf geheimnisvolle Weise verschwunden ist. Der Brief enthüllt, dass die Hexe dem jungen Paar unermessliche Reichtümer vermacht und Don Pedro ein schreckliches Schicksal verspricht, sollte er dem Glück der beiden im Wege stehen. Als die Tasche geöffnet wird, fallen Unmengen von Blechgeld klimpernd auf die Bühne, dass nur so funkelt. Das besänftigt den gestrengen Vater vollkommen. Er willigt ohne weiteres Murren ein, alle stimmen einen freudigen Chorgesang an, und der Vorhang fällt auf die Liebenden, die in romantischer Pose niederknien, um Don Pedros Segen zu empfangen.

 

 

Frenetischer Applaus setzte ein, der jedoch urplötzlich unterbrochen wurde, als das Feldbett mit dem »ersten Rang« zusammenklappte und das begeisterte Publikum verschluckte. Roderigo und Don Pedro eilten zu Hilfe, und alle wurden unverletzt geborgen, auch wenn es einigen vor Lachen die Sprache verschlug.

Kaum war die Aufregung ein wenig abgeklungen und die Gäste verabschiedet, überbrachte Hannah »herzliche Glückwünsche von Mrs. March. Würden die Damen nun bitte zum Essen herunterkommen?«

Das war vielleicht eine Überraschung für die Darstellerinnen, als sie die gedeckte Tafel erblickten! Es sah ihrer Marmee wohl ähnlich, für jede eine kleine Leckerei aufzutreiben, aber solche Köstlichkeiten waren ihnen seit den Tagen des Wohlstands nicht mehr untergekommen. Es gab Eiscreme – sogar zwei Sorten, Erdbeer und Vanille –, Kuchen, Früchte, französische Knallbonbons und mitten auf dem Tisch standen vier große Schnittblumensträuße!

Der Anblick verschlug den Mädchen förmlich den Atem. Sie starrten zuerst den Tisch und dann ihre Mutter an, die aussah, als würde sie sich diebisch freuen.

»Waren das Feen?«, fragte Amy.

»Der Weihnachtsmann«, sagte Beth.

»Das war Mutter.« Meg zeigte unter dem grauen Bart und den weißen Augenbrauen ihr strahlendstes Lächeln.

»Tante March war gnädig gestimmt und hat uns das Abendessen geschickt«, rief Jo in einem plötzlichen Einfall.

»Alles falsch. Es stammt vom alten Mr. Laurence«, erwiderte Mrs. March.

»Dem Großvater des Laurence-Jungen! Was in aller Welt hat ihn auf die Idee gebracht? Wir kennen ihn doch gar nicht«, rief Meg.

»Hannah hat einer seiner Bediensteten von eurem Frühstücksausflug erzählt. Er ist ein kauziger alter Herr, aber das hat ihm gefallen. Er war früher mit meinem Vater bekannt und hat mir heute Nachmittag einen sehr höflichen Brief geschickt. Darin hat er mich gebeten, ihm zu erlauben, seine Sympathie für meine Kinder zum Ausdruck zu bringen, indem er ihnen zur Feier des Tages ein paar Kleinigkeiten herüberschickt. Ich konnte nicht ablehnen, also gibt es heute Abend ein wahres Festessen als Entschädigung für das karge Frühstück.«

»Darauf hat ihn der Junge gebracht, das wette ich! Er ist ein prima Kerl, und ich wünschte, wir könnten uns anfreunden. Er schaut immer herüber, als wäre ihm das auch lieb, aber er ist schüchtern, und Amy ist so prüde, dass ich ihn nie ansprechen darf, wenn wir ihm begegnen«, sagte Jo, während die Teller herumgereicht wurden und das Eis unter zufriedenen »Ah«- und »Oh«-Rufen dahinschmolz.

»Ich habe gehört, der alte Mr. Laurence sei sehr stolz und pflege eigentlich keinen Umgang mit seinen Nachbarn. Es heißt, er lässt seinen Enkel nicht aus dem Haus, wenn der nicht gerade mit seinem Privatlehrer ausreitet oder spazieren geht, und er zwingt ihn, ganz viel zu lernen«, erzählte eine der Schwestern. »Aber der Junge soll sehr nett sein, auch wenn er mit uns Mädchen nie ein Wort spricht.«

»Einmal ist die Katze weggelaufen, und er hat sie zurückgebracht. Dabei haben wir uns prima über den Gartenzaun unterhalten – über Kricket und so –, dann hat er Meg kommen sehen und ist gegangen. Irgendwann will ich ihn besser kennenlernen; er braucht mehr Spaß, da bin ich mir sicher«, erklärte Jo entschieden.

»Mir gefallen seine Manieren«, sagte Mrs. March. »Er sieht aus wie ein kleiner Gentleman, daher habe ich nichts dagegen, wenn du ihn bei passender Gelegenheit näher kennenlernst. Er hat die Blumen selbst herübergebracht, und ich hätte ihn hereingebeten, wenn ich mir sicher gewesen wäre, was oben vor sich geht. Er sah so wehmütig aus, als er fortging und das fröhliche Treiben oben hörte, das ihm offensichtlich fehlt.«

»Ein Glück, dass du es nicht getan hast, Mutter!«, rief Jo, die lachend auf ihre Stiefel hinabsah. »Irgendwann spielen wir ein anderes Stück, das er sehen darf. Vielleicht möchte er ja mitspielen. Wäre das nicht lustig?«

»Das ist der schönste Blumenstrauß, den ich je gesehen habe! Er ist so hübsch!« Meg betrachtete ihren Strauß von allen Seiten.

»Sie sind wirklich wunderschön. Aber Beths Rosen sind mir lieber«, sagte Mrs. March und schaute lächelnd auf die halb verwelkte Knospe in ihrem Ausschnitt.

Beth schmiegte sich an sie und flüsterte leise: »Ich wünschte, ich könnte Vater meinen Strauß schicken. Er hat bestimmt nicht so ein fröhliches Weihnachtsfest wie wir.«

DREIDer junge Laurence

»Jo! Jo! Wo steckst du?«, rief Meg die Treppe zum Dachboden hinauf.

»Hier!«, kam es erstickt von oben, und als Meg hinauflief, fand sie ihre Schwester in eine Decke gewickelt auf einem alten dreibeinigen Sofa am sonnigen Fenster, wo sie Äpfel aß und um den Erben von Redclyffe weinte.

Es war Jos Lieblingsplatz. Wann immer sie konnte, zog sie sich mit einem halben Dutzend Winteräpfeln und einem guten Buch hierher zurück und genoss die Stille und die Gesellschaft einer zahmen Ratte, die in der Nähe lebte und sich nicht im Geringsten an ihr störte. Als Meg auftauchte, huschte Kratzel in ihr Loch. Jo schüttelte die Tränen ab und wartete darauf, Megs Neuigkeiten zu erfahren.

»Sieh nur, wie herrlich! Eine Einladung von Mrs. Gardiner für morgen Abend!«, rief Meg, schwenkte das kostbare Blatt durch die Luft und las es dann mit mädchenhafter Freude vor.

»›Mrs. Gardiner würde sich freuen, Miss Margaret und Miss Josephine March zu einem kleinen Tanz am Silvesterabend begrüßen zu dürfen.‹ Marmee ist einverstanden, also was wollen wir anziehen?«

»Warum fragst du, wenn du doch genau weißt, dass wir unsere Popelinekleider anziehen müssen, weil wir keine anderen haben?«, antwortete Jo mit vollem Mund.

»Hätte ich doch nur eines aus Seide!«, seufzte Meg. »Mutter sagt, ich kriege vielleicht eins, wenn ich achtzehn bin, aber zwei Jahre sind eine schrecklich lange Wartezeit.«

»Unsere Kleider sehen doch fast aus wie aus Seide und sind allemal gut genug für uns. Deines ist praktisch noch neu, aber ich habe gar nicht mehr an den Brandfleck und den Riss in meinem gedacht. Was soll ich damit machen? Der Brandfleck ist deutlich zu sehen und herausschneiden kann ich ihn wohl kaum.«

»Du musst so still dasitzen, wie du nur kannst, damit dich niemand von hinten sieht. Von vorn geht es. Ich besorge mir ein neues Haarband, und Marmee leiht mir ihre kleine Perlenbrosche. Meine neuen Schuhe sind hübsch, und meine Handschuhe tun es auch, obwohl sie nicht ganz so schön sind, wie ich sie gerne hätte.«

»Meine haben Limonadenflecken, also werde ich ohne gehen müssen«, sagte Jo, die sich um ihre Aufmachung nie viele Gedanken machte.

»Aber du musst Handschuhe tragen, sonst gehe ich nicht mit«, rief Meg entschieden. »Die Handschuhe sind doch das Wichtigste von allem. Ohne sie kannst du nicht tanzen. Wenn du sie nicht anziehst, bin ich todunglücklich.«

»Dann rühre ich mich eben nicht vom Fleck. Ich mache mir sowieso nicht viel aus Gesellschaftstänzen. Es macht mir keinen Spaß, mich im Kreis zu drehen. Ich laufe lieber durch die Gegend und mache Luftsprünge.«

»Mutter kannst du nicht um neue bitten, sie sind viel zu teuer, und du gibst nicht auf sie acht. Sie hat gesagt, wenn du die anderen ruiniert hast, wird sie dir in diesem Winter keine neuen mehr kaufen. Kannst du sie nicht trotzdem benutzen?«

»Ich kann sie in der Hand halten, damit niemand merkt, wie schmutzig sie sind. Mehr geht nicht. Nein! Ich weiß, was wir machen: Jede von uns trägt einen guten und hält einen schlechten in der Hand. Verstehst du?«

»Du hast aber größere Hände als ich und wirst meinen Handschuh furchtbar weiten«, wandte Meg ein, die sehr empfindlich war, was ihre Handschuhe betraf.

»Dann gehe ich eben ohne. Es ist mir egal, was die Leute sagen«, rief Jo und griff wieder nach ihrem Buch.

»Schon gut, du kannst einen von mir haben! Aber mach ihn nicht schmutzig und benimm dich anständig. Leg die Hände nicht auf den Rücken, gaff die Leute nicht an und sag nicht ›Himmel noch mal‹, hörst du?«

»Keine Sorge. Ich benehme mich so fein, wie ich kann, und lasse mich auf keine Streitereien ein, wenn es sich vermeiden lässt. Und jetzt geh und schreib eine Antwort und lass mich diese wunderbare Geschichte zu Ende lesen.«

Also ging Meg hinunter, um »dankend anzunehmen«, ihr Kleid zu begutachten und selig vor sich hin singend ihr einziges Spitzenhalsband in Form zu bringen. Unterdessen vertilgte Jo ihre Geschichte und vier Äpfel und spielte mit Kratzel eine Runde Fangen.

 

Am Silvesterabend war die Wohnstube menschenleer, denn die beiden jüngeren Mädchen spielten Kammerzofen, und die beiden älteren waren mit der überaus wichtigen Aufgabe beschäftigt, sich für die Feier »zurechtzumachen«. So schlicht ihre Garderobe auch war, es wurde unentwegt die Treppe hinauf- und hinuntergerannt, gelacht und geredet, und einmal roch es im ganzen Haus nach verbrannten Haaren. Meg wollte ein paar Locken um das Gesicht, und Jo übernahm es, die auf Papier gewickelten Haare mit der Brennschere zu bearbeiten.

»Ist es normal, dass sie so riechen?«, fragte Beth von ihrem Beobachtungsposten auf dem Bett.

»Das ist die Feuchtigkeit, die verdampft«, erklärte Jo.

»Es riecht aber komisch! Wie verbrannte Federn«, stellte Amy fest und strich stolz über ihre eigenen Locken.

»Ich nehme die Wickel jetzt heraus, dann seht ihr einen Traum von Ringellöckchen«, sagte Jo, als sie die Brennschere beiseitelegte.

Die Wickel nahm sie zwar heraus, aber ein Traum von Ringellöckchen kam nicht zum Vorschein. Stattdessen lösten sich mit den Papierrollen auch die Haare ab, und die entsetzte Friseurin reihte vor ihrem Opfer eine Handvoll kleiner verbrannter Päckchen auf.