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Lizzie E-Book

Sven Elvestad

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  • Herausgeber: DigiCat
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2023
Beschreibung

Sven Elvestads Buch "Lizzie" erzählt die Geschichte einer jungen Frau, die in den Wirren des frühen 20. Jahrhunderts um ihr Überleben kämpft. Der Roman zeichnet sich durch einen realistischen Erzählstil aus, der die harten Lebensumstände der Protagonistin eindringlich darstellt. Elvestad, ein bekannter norwegischer Schriftsteller und Journalist, war selbst ein Pionier des Kriminalromans in Norwegen. Sein Werk reflektiert daher auch die gesellschaftlichen Probleme seiner Zeit und bietet dem Leser einen faszinierenden Einblick in die sozialen Dynamiken der damaligen Gesellschaft. Das Buch besticht durch seine klare Sprache und die gut ausgearbeiteten Charaktere, die den Leser in die Welt von Lizzie eintauchen lassen. Fans von realistischer Literatur werden von diesem Roman sicherlich begeistert sein und einen tiefgreifenden Einblick in die sozialen Verhältnisse der damaligen Zeit erhalten.

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Sven Elvestad

Lizzie

Kriminalroman
 
EAN 8596547732969
DigiCat, 2023 Contact: [email protected]

Inhaltsverzeichnis

I.
II.
III.
IV.
V.
VI.
VII.
VIII.
IX.
X.
XI.
XII.
XIII.
XIV.
XV.
XVI.
XVII.
XVIII.
XIX.
XX.
XXI.
XXII.
XXIII.
XXIV.
XXV.
XXVI.
XXVII.
XXVIII.
XXIX.
XXX.
XXXI.
XXXII.
XXXIII.
XXXIV.
XXXV.
XXXVI.
XXXVII.
XXXVIII.
XXXIX.
XL.
XLI.
XLII.
XLIII.
XLIV.
XLV.
XLVI.
XLVII.
XLVIII.
XLIX.
L.
LI.
LII.

I.

Inhaltsverzeichnis

Zuletzt hatte ich Lizzie im November 1914 in London gesehen. Allem Anschein nach ging es ihr gut, jedoch verrieten ihr stark ergrautes Haar und die vielen Falten in ihrem Gesicht, Zeichen des herannahenden Alters, die zu verbergen sie nicht für nötig hielt, ein an Leiden reiches Leben.

Als ich sie sah, fuhr sie im Hydepark allein in einem offenen Privatauto. Ihr charakteristisches Gesicht, vor allem ihre eigenartigen Augen bewirkten, daß ich sie sofort wiedererkannte. Ich blieb im Gedränge stehen und sah ihrem Auto nach, das langsam durch die herbstlichen Bäume dahinfuhr. Ich dachte: Ein Privatauto? Dann muß sie doch wieder auf einen grünen Zweig gekommen sein. – Ich wußte nämlich, daß Lizzie Holmes, die während der Schwurgerichtsverhandlung jener denkwürdigen Septembertage des Jahres 1902 in Norwegen alle Gemüter erregte, Zeiten durchgemacht hatte, wo sie dem größten Elend preisgegeben war. Dann wiederum ging das Gerücht, daß sie in Badeorten und Kasinos hier und da in Europa gesehen worden sei. Aber selbst wenn sie »obenauf« war, so führte sie doch nie, trotz ihrer Schönheit, die schnell verblaßte, ein anderes Dasein, als das einer Schattenexistenz. Sie hatte ein sonderbares Aussehen, als trüge sie in Demut unausgesetzt eine große Sorge mit sich herum. So war es in Wirklichkeit auch.

An dies alles dachte ich, als ich sie an jenem Novembertage vor einigen Jahren in London im Auto sah. Langsam fuhr das Auto zum Fußgängerweg hinüber, wo es haltmachte. Ein junger Mann, kaum in den Zwanzigern, trat an das Auto und ergriff die Hand, die Lizzie ihm entgegenstreckte. Der junge Herr, der sehr elegant, fast zu auffällig gekleidet war, lächelte sie freundlich an, die Art und Weise dieser Begegnung erinnerten mich an eine Begegnung zwischen Mutter und Sohn. Als das Auto weiterfuhr, blieb der junge Mann stehen und sah lange der Dame nach, während seine Begleiter, junge Lebemänner Londons, auf ihn warteten.

Diese Begegnung interessierte mich sehr, da in dem Gesicht des jungen Mannes etwas war, das mir bekannt schien, eine gewisse Aehnlichkeit. Da ich nun gerade in jener Zeit mit Leuten verkehrte, die das Londoner Leben zur Genüge kannten, so versuchte ich, Auskunft über Lizzie zu erhalten. Ich erfuhr denn auch, daß Lizzie sich nach einigen äußerst seltsamen Erlebnissen mit ihrer Familie ausgesöhnt hatte. Der junge Mann, den ich gesehen hatte, war ihr Sohn.

Heute, ein Jahr nach ihrer Begegnung, erfahre ich, daß Lizzie in London gestorben ist. Die Todesanzeige war von ihrem Mann und ihrem Sohn unterzeichnet. Diese Anzeige lese ich gerade jetzt, wo ich mich damit befasse, die Notizen, die ich über ihr merkwürdiges Leben aufgezeichnet habe, zu ordnen. Diese Aufzeichnungen sind im Grunde nichts anderes als die Geschichte eines Lebens, ein erschütternder Kampf eines edlen Menschen gegen Unglück und Vernichtung; darum habe ich mich entschlossen, meine Bearbeitung der Aufzeichnungen zu veröffentlichen.

Das Material hierzu habe ich zum Teil in Kristiania, zum Teil in London und Ostende beschafft.

Der wichtigste Teil dieser Geschichte befaßt sich mit dem Aufenthalt Lizzies in Kristiania. Hier wohnte sie im Jahre 1901 mit ihrem Mann, dem bekannten Polarforscher Cyrus Holmes, der gerade im Begriff war, den Plan jener Forschungsreise nach dem Osten Grönlands vorzubereiten und für die Ausrüstung zu sorgen, deren erfreuliche Resultate seinen Namen weltberühmt machten.

Viele werden sich noch der Angelegenheit erinnern, die sich am Ende des Jahres 1901 an Cyrus Holmes' Namen knüpfte, eine Affäre, die in dem sensationellen Auftreten im Schwurgericht am 24. Oktober desselben Jahres kulminierte.

Diejenigen, die sich der angedeuteten Sache nicht zu erinnern vermögen, brauchen nur in einem Zeitungsjahrgang jener Zeit nachzuschlagen. Dort werden sie die richtigen Namen der Personen finden, die in dieser Geschichte die Hauptrolle spielen. Nach der Schwurgerichtsverhandlung geriet die Sache in Vergessenheit, und da gerade der Krach nach den goldenen Tagen der Börsenspekulation alle Gemüter in Aufregung brachte und das Interesse in Anspruch nahm, war Lizzie Holmes' Angelegenheit bald vergessen. Auffällig war jedoch, daß die Presse schon bald darauf nichts mehr von der Sache erwähnte; es ist anzunehmen, daß das Gerücht auf Wahrheit beruht, wonach große Anstrengungen gemacht worden sind, um die Sache zu vertuschen.

Inzwischen – den neugierigen und unbarmherzigen Augen des Publikums verborgen – entwickelten sich die Ereignisse weiter. Als Verbrecherroman begann die Sache, eine Zeitlang konnte man sie wohl als Posse bezeichnen, ging dann über in die charakteristische Art der Sensationsdramen, war lange Zeit vorzugsweise Tragödie und endete schließlich in harmonischer Versöhnung.

Von dem Mann, der zuerst in den Verbrecherroman eingriff, der dann das seinige dazu beitrug, die Posse in ein Sensationsdrama zu verwandeln und schließlich der Entwicklung der Tragödie mit Aufmerksamkeit folgte, um durch Scharfsinn und Energie die Versöhnung vorzubereiten, habe ich das wichtigste Material zu diesen Aufzeichnungen erhalten. Dieser Mann ist Asbjörn Krag. Die Geschichte beginnt mit seinem Auftreten. Zu diesem Zweck muß ich mir jenen Septemberabend des Jahres 1901 ins Gedächtnis zurückrufen, an dem der in Geschäftskreisen Kristianias bekannte Generalkonsul Spade ein Fest gab, das später durch zwei Umstände berühmt geworden ist, nämlich: durch die Rede, die dem Wirt zu Ehren gehalten wurde, und durch den Diebstahl, der abends um elf Uhr erfolgte. Der erste Umstand ist mehr humoristischer Art, der zweite leitet den Verbrecherroman und das Sensationsdrama ein.

Der Generalkonsul Spade gehörte zu jenen Geschäftsleuten, die mit erstaunlicher Schnelligkeit bis in die vordersten Reihen vorgedrungen waren. Zu jener Zeit war es selbst dem Aermsten möglich, durch Unterschrift eines Wechsels zu großem Vermögen zu gelangen.

Niemand wußte eigentlich, woher er stammte, im geheimen aber sprach man davon, daß seine Vergangenheit nicht ganz einwandfrei sei. Man vergißt das aber leicht, wenn man das Gold flimmern sieht; seines Mäzenatentums wegen lag ihm alles zu Füßen. Spade war ein äußerst liebenswürdiger Mensch, der gern Gäste bei sich sah und weniger Eingebildetheit besaß, wie Parvenüs sonst zu haben pflegen. Er besaß einen hellen Kopf und glänzende Anlagen, die ihn zu einem routinierten Geschäftsmann und Menschenkenner machten.

Die kleinen Schwächen, die er besaß, verbarg er ganz und gar nicht. Er liebte Titel, und zwar nicht nur deswegen, weil ein wohlklingender Titel ihm bei seinen Geschäften und Spekulationen von großem Wert war, sondern auch, weil er für Pomp und Pracht war. Aus diesem Grunde hatte er sich von der Regierung Costa Ricas den Generalkonsultitel für fünfzehntausend Kronen erkauft. Daß er gleichzeitig den Orden dieses Landes erhielt, spricht nur für seinen ausgeprägten Geschäftssinn.

Es war ein Zeichen seiner Prahlsucht, daß er es liebte, sich mit Diamanten und Edelsteinen zu schmücken. Wenn er im Glanze des elektrischen Lichtes am festlich gedeckten Tisch saß, strahlend vor Freude, Herr des Hauses und Millionär, dann glänzte sein Vorhemd von Edelsteinen wie der Abhang eines schneebedeckten Berges im Mondenschein.

Er glaubte, daß die Entfaltung all dieser Pracht die Leute seine Vergangenheit vergessen ließe, deren Unbedeutendheit und Fragwürdigkeit nur wenig mit seiner jetzigen Stellung übereinstimmte. Indem er mit bedeutenden Männern verkehrte, suchte er außerdem noch den Glanz zu erhöhen. So war es ihm denn auch gelungen, mit dem Dichter Pedersen in freundschaftlichen Verkehr zu treten, dem Dichter, dessen beißender Witz von allen gefürchtet war, und dessen aristokratische Allüren so bekannt und zugleich anerkannt waren, daß man wohl annehmen konnte, daß er nicht unter zehntausend Kronen auf eine Freundschaft mit Spade eingegangen sei. Außerdem hatte der Generalkonsul von kunstverständiger Seite durch Aufstellung einer Büste des Dichters Wergeland im Schriftstellerverein Anerkennung gefunden.

Am heutigen Tage jedoch, dem 7. September 1901, war sein Traum, die Kirche mit seiner Person zu verknüpfen, in Erfüllung gegangen.

Er hatte ein Wort darüber fallen lasten, daß er nicht abgeneigt sei, eine Kapelle in irgendeinem Stadtteil erbauen zu lassen; er wünsche jedoch, die Bausumme einem hohen Würdenträger persönlich bei einem von ihm veranstalteten Fest zu übergeben.

Aus diesem Grunde finden wir am 7. September 1901 den Herrn Generalkonsul noch strahlender als sonst an der vollbesetzten Tafel in seiner neuen Villa. Ihm zur Linken sitzt der Dichter Pedersen, zur Rechten Bischof Areadrey.

Seine Hochehrwürden lenkt gerade unter allgemeiner Sensation die Aufmerksamkeit der Gesellschaft durch Anschlagen an sein Glas auf sich.

Der Generalkonsul bebt vor Erwartung dieses wichtigen Augenblicks seines Lebens.

Gerade in diesem Augenblick zeigen sich die ersten Spuren des Verbrechens an anderer Stelle in Spades Villa.

II.

Inhaltsverzeichnis

Bevor wir näher auf die Entwicklung des Sensationsdramas eingehen, müssen wir die Rede Seiner Hochehrwürden über uns ergehen lassen.

Der Herr Superintendent war der Ansicht, daß große Vermögen und große Unternehmungen sehr viel zur Hebung von Kultur, Wissenschaft und Religion beitragen könnten. Es stände zwar geschrieben, daß man die Schätze dieser Welt nicht sammeln solle; da aber diese Schätze einen notwendigen Bestandteil der von der Religion vorgeschriebenen sozialen Ordnung ausmachten, sei es nötig, daß große Vermögen in Händen einzelner lägen, um Initiative und Arbeitsfreudigkeit anzuregen, wodurch das Glück der Menschheit aufrechterhalten würde. Mit diesen Tatsachen müßte man sich abfinden und es sei besser, darüber nachzudenken, in welcher Weise diese großen Summen allen zum Segen gereichen könnten.

Nun wandte sich der Superintendent mit gewinnendem Lächeln an den Gastgeber, seinen Tischnachbar, der mit halbgeschlossenen Lidern und strahlender, erwartungsvoller Miene zu erraten schien, was nun folgen würde.

»Ich bin davon überzeugt,« fuhr der Superintendent fort, »daß unser verehrter Gastgeber das rechte Gefühl dafür hat, daß mit dem Besitz eines großen Vermögens auch gewisse Verpflichtungen verbunden sind. Man weiß, daß er sich um Kunst und Literatur große Verdienste erworben hat. (Bei diesen Worten verdeckte der Dichter Pedersen sein Gesicht mit dem Weinglas.) Wie mir bekannt, verläßt kein Bittender des Herrn Generalkonsuls Haus, ohne daß ihm Hilfe wurde, obgleich der Herr Generalkonsul wegen seiner vielen Reisen und geschäftlichen Unternehmungen nur selten anzutreffen ist. Nun ist mir zu Ohren gekommen, daß unser Gönner beabsichtigt, durch ein ansehnliches Geschenk diejenigen zu unterstützen, die sich die Verbreitung der ewigen Wahrheiten zur Aufgabe gemacht haben. Dies alles trägt dazu bei, den Herrn Generalkonsul Spade für einen Repräsentanten des Reichtums und des Kaufmannsstandes anzusehen, dem wir mit größter Anerkennung unsere Huldigungen darbringen. Ich erlaube mir, ein Hoch auf unseren Gastgeber auszubringen.«

Der diplomatische Superintendent hatte sich zwar außerordentlich vorsichtig ausgedrückt. Für Spade war es jedoch ein bedeutungsvoller Augenblick, als er mit dem Superintendenten anstieß. Sein ganzer Körper bebte vor Erregung; seine Augen, seine Backen, seine Hände zitterten, Kragen und Vorhemd zitterten mit und ließen dabei alle Diamanten funkeln. Der Superintendent klopfte ihm beruhigend auf die Schulter.

Da antwortete Spade mit bewegter Stimme:

»Hochehrwürden! Meine Herren! (Es war eine Herrengesellschaft.) Ich bin ein Mann, der bar bezahlt.«

Bei diesem Ausspruch räusperte sich der Dichter Pedersen vernehmlich und blickte den Generalkonsul entsetzt an. Das Zeichen dieses Mißvergnügens war darauf zurückzuführen, daß der Dichter schon vor zwei Tagen, als man wußte, daß der Superintendent das Wort ergreifen würde, Herrn Spades Antwort zurechtgelegt hatte. Dieser spontane Ausbruch stand aber nicht im Konzept.

Der Generalkonsul, der jedoch selbständig genug war und nicht fürchtete, einen Schnitzer zu machen, bemerkte wohl des Dichters Unzufriedenheit. Er errötete, wiederholte jedoch mit erhobener Stimme:

»Ich sage nochmals, ich bin ein Mann, der bar bezahlt. Habe ich etwas versprochen, dann werde ich es auch halten.«

Dann begann er die Rede herzuleiern, die er nach dem Manuskript des Dichters auswendig gelernt hatte. Er dankte für das von der Geistlichkeit erwiesene Entgegenkommen. Die große Bedeutung der Religion erkannte er an und versprach sein möglichstes zu tun, damit die Geistlichkeit unter den günstigsten Bedingungen arbeiten könnte.

Hier ließ er das Manuskript, Manuskript sein und fuhr fort:

»Wissen Sie, so bin ich gar nicht, daß ich etwas gebe, das erst nach zehn Jahren oder gar nach meinem Ableben Wert hat. Ich bin immer für Barzahlung. Reden Sie nicht dazwischen, Hochehrwürden. Fünfzigtausend Kronen habe ich der Kirche versprochen und damit zahle ich fünfzigtausend Kronen bar. Einen Augenblick, Hochehrwürden.«

»Evensen!« rief er laut.

Evensen, ein alter, graubärtiger Mann in Livree, war sein Faktotum. Geheimnisvoll lächelnd trat er zu ihm; man konnte ihm deutlich anmerken, daß er wußte, was nun wohl geschehen würde. Der Generalkonsul wurde immer eifriger, glühender und nervöser. Ein großer Coup sollte ihm jetzt gelingen. Der Wein hatte seine Wirkung an ihm getan; er war ein kräftiger Mensch, der die Freuden des Lebens genoß, wo sie sich ihm boten. – Er lebte ja fortwährend unter dem Druck der Spannungen, die seine Riesenspekulationen mit sich brachten, und griff daher zu Betäubungsmitteln.

Nachdem Evensen zu ihm getreten war, zog Spade sein Schlüsselbund aus der Tasche, suchte den Schlüssel zum Geldschrank hervor, wies auf die ihm gegenüberliegende Tür und sagte: »Hol' die Kassette; du weißt, wo sie steht.«

Mit dem rasselnden Schlüsselbund in der Hand schritt Evensen stolz davon. Der Generalkonsul nickte mit vielsagenden Blicken seinen Gästen zu, um anzudeuten, daß Außerordentliches bevorstände.

Wir verlassen nun den strahlenden Generalkonsul und den betroffen dreinblickenden Geistlichen und folgen dem alten Evensen.

Im großen Speisesaal waren drei Türen. In der Mitte der einen Längswand befand sich eine breite Flügeltür, die geöffnet war, so daß man durch eine Reihe festlich erleuchteter Räume sah. Ferner befand sich eine Tür an der rechten Seitenwand, durch welche man in den Anrichteraum gelangte, und schließlich noch eine Tür an der schmalen Wand links. Nach dieser Tür lenkte Evensen seine Schritte. Als die Tür geöffnet wurde – sie war verschlossen gewesen – bemerkten die Zunächstsitzenden im fast dunklen Raum einen Schreibtisch, Telephon und Bücherregale. Es stand fest, dies mußte das Arbeitszimmer des Herrn Generalkonsuls sein.

Nachdem Evensen ins Zimmer hineingegangen war und die Tür hinter sich geschlossen hatte, lenkte ein kalter Luftzug seine Aufmerksamkeit auf sich; nun entdeckte Evensen auch, daß ein Fenster geöffnet war.

Indem er das Fenster schloß, murmelte er: »Sonderbar! Der Konsul muß selbst hier gewesen sein und es geöffnet haben.«

Während er noch nach dem Schlüssel im Schlüsselbund sucht, womit er den großen Schrank in der Ecke öffnen will, fällt sein Blick durchs Fenster auf Kristiania, die Stadt, die nun in der Abendbeleuchtung daliegt, von feinem Nebel umgeben, aus dem tausend Lichter hervorleuchten. Von diesem Fenster aus hat man eine weite Fernsicht, weil die Villa des Generalkonsuls auf einer kleinen Bergkuppe liegt.

Endlich hat Evensen den richtigen Schlüssel gefunden. Nach Einstellung des Schlosses öffnet er die gewaltigen Türen des Geldschrankes, die sich langsam in ihren Angeln drehen. Aus einem der Fächer zieht er eine kleine Mahagonikassette hervor, die er mit beiden Händen hochhebt und auf den Tisch neben dem Schrank stellt. Seine Anstrengungen lassen darauf schließen, daß die kleine Kassette sehr schwer sein muß. Darauf schließt das alte Faktotum wiederum den Schrank mit peinlicher Sorgfalt.

Mit der Kassette im Arm begibt er sich dann wieder zur Gesellschaft in den Speisesaal zurück.

Schon bei seinem Eintritt geht ein erwartungsvolles Gemurmel von Mund zu Mund. Beim Anblick der Kassette ahnt man, was kommen wird. Nur der Dichter Pedersen, der derartige theatralische Auftritte haßt, starrt geistesabwesend vor sich nieder auf seinen Teller.

Zwischen Seiner Hochehrwürden und dem Herrn Generalkonsul setzte Evensen die Kassette auf den Tisch. Um zu markieren, wie schwer die kleine Kassette gewesen sei, atmete Evensen unnötigerweise erleichtert auf. Der Superintendent, der Sinn für Humor hat, amüsierte sich unzweifelhaft über dieses Arrangement des Parvenüs.

Wie man sich sonst durch Anschlagen an ein Glas Gehör erbittet, so klopfte nun der Herr Generalkonsul mit seinen diamantenbesetzten Fingern an die Mahagonikassette, um der Gesellschaft Schweigen aufzuerlegen. Danach nahm er seine Rede wieder auf.

»Ich werde beweisen, daß ich ein Mann bin, der bar bezahlt,« sagte er. »Fünfzigtausend habe ich gestiftet, und mit zweifelhaften Papieren aufzuwarten, ist nicht meine Art und Weise. In dieser Mahagonikassette, die ich hiermit Seiner Hochehrwürden überreiche, liegen fünfzigtausend Kronen in Gold.«

Ein lautes Gemurmel erhob sich am Tisch, alle beugten sich vor, während der Generalkonsul die Kassette öffnete. Die Gesellschaft war ziemlich gemischt, ein Umstand, der auf die Verhältnisse und Herrn Spades Bekanntenkreis zurückzuführen war; es waren einige Gäste darunter, denen diese Summe märchenhaft vorkam.

Mit gespanntem Gesichtsausdruck saß der Superintendent dabei, als der Generalkonsul die Kassette öffnete.

Als er jedoch den Deckel zurückschlug, wurde sein Gesicht starr vor Schreck. Ein furchtbares und drohendes Schweigen trat ein.

Das Geld war nicht mehr da.

III.

Inhaltsverzeichnis

Wohl war die Gesellschaft auf eine Ueberraschung vorbereitet gewesen; daß die Ueberraschung aber solche Formen annehmen würde, daran hatte wohl niemand der Anwesenden gedacht.

Unwillkürlich richteten sich die Augen auf den Generalkonsul Spade. Man legte sich weit über den Tisch. Einige standen von ihren Plätzen auf und begaben sich zum Gastgeber; selbst der sonst so phlegmatische Dichter Pedersen unterließ es nicht, in die geöffnete Kassette hineinzusehen. Mit satanischem Lächeln sagte er:

»Was darin liegt, ist jedenfalls ebenso schwer wie Gold.«

Von dem Antlitz des Geistlichen war jedoch jede Regung, die auf Liebenswürdigkeit und Wohlwollen deuten konnte, verschwunden. Er witterte den herannahenden Skandal und fürchtete, daß diese Festlichkeit, die er gern als unschuldigen Scherz angesehen hätte, ihm ernste Unannehmlichkeiten bereiten könnte; ihm schien, er höre schon die ersten Töne des interessanten Stadtgespräches. Sein Blick verfinsterte sich und er sah nach der Tür wie jemand, der vor allem sich den Rückzug decken will.

Währenddessen stand die Kassette, die diese ganze Bewegung verursacht hatte, offen vor dem Generalkonsul.

Nach Aussage des Konsuls hätte die Kassette fünfzigtausend Kronen enthalten sollen. Es lag aber keine einzige Goldmünze darin, dagegen aber ein Klumpen Blei, dessen Gewicht ungefähr dem Gewicht von zweitausendfünfhundert Zwanzigkronenstücken entsprach.

In seiner Verwirrung suchte Spade den Bleiklumpen aus der Kassette zu heben; er war jedoch so schwer, daß Evensen, dem der Schreck gewaltig in die Glieder gefahren war, beim Heben behilflich sein mußte. Der Klumpen schien erst kürzlich gegossen zu sein, denn er glänzte sehr.

Der Generalkonsul faßte nach seiner Stirn, auf der große Schweißtropfen hervortraten.

Ein boshafter Gast hatte ziemlich hörbar eine Bemerkung fallen lassen, die der Generalkonsul möglicherweise gehört haben mochte. Er erblaßte jedenfalls plötzlich und sah verwirrt bald den einen, bald den andern an, während er Seine Hochehrwürden am Aufstehen hinderte, indem er ihn am Rockkragen festhielt. Der Superintendent war nämlich im Begriff, seine werte Person in Sicherheit zu bringen.

Die Bemerkung, die das boshafte Mitglied der Gesellschaft hatte fallen lassen, war jedoch für das zweifelhafte Ansehen, das Spade genoß, so charakteristisch, daß wir sie hier zitieren müssen.

Die Bemerkung lautete: »Die sind wahrhaftig im letzten Augenblick gerettet worden.«

Damit hatte der boshafte Gast andeuten wollen, daß die ganze Sache von Spade selbst nur zu dem Zweck fingiert worden sei, um die versprochenen fünfzigtausend Kronen nicht auszahlen zu müssen; zum Teil aus Reklamesucht, um sich selbst, sein Haus und seinen Umgangskreis in aller Leute Mund zu bringen.

Möglicherweise hatte der Superintendent dieselben Gedanken gehabt. Seine Miene nahm mehr und mehr den Anstrich gekränkter Würde an. Gut, ließ es sich nicht umgehen, daß einige der Anwesenden sich solche Gedanken darüber machten – unter anderen ganz ungeniert der Dichter Pedersen, der offensichtlich in seine Serviette hineinpustete – der Generalkonsul hatte Geistesgegenwart genug, auf diese Verdächtigungen die einzig passende Antwort zu geben.

Blaß vor Erregung rief er: »Feder und Tinte, Evensen! Ich bin bestohlen worden, meine Herren!«

Sein Faktotum brachte das Gewünschte herbei.

Der Generalkonsul entnahm seiner Tasche sein Scheckbuch, füllte die Rubriken aus und übergab sie dem Superintendenten mit den Worten: »Der Diebstahl geht nur mich persönlich an und nicht den Zweck, den ich zu fördern wünsche. Meinem Versprechen gemäß übergebe ich hiermit fünfzigtausend Kronen für den Kirchenbau.«

Der Superintendent nahm die Anweisung an. – Ein schmerzlich verzogenes Lächeln breitete sich über sein Antlitz. Die Ueberreichung des Geschenkes hatte eine Form angenommen, die er nicht in Betracht gezogen hatte und die förmlich nach einem Skandal schrie.

Indem er sich von seinem Sitze erhob und sich sehr formell, jedoch höflich vor dem Generalkonsul verneigte, sagte er: »Gleich morgen werde ich dem Bankkomitee die Anweisung überreichen; vorläufig spreche ich Ihnen den herzlichsten Dank der Interessenten aus.«

Der Superintendent ließ seinen Blick auf der Mahagonikassette ruhen.

»Sie werden indessen durch das heutige Ereignis in Zukunft so in Anspruch genommen sein, daß Ihnen jeglicher gesellschaftliche Verkehr erschwert sein wird. Sollte dieser unvorhergesehene Verlust Sie besonders schmerzlich berühren, werden wir Sie selbstverständlich nie zwingen, Ihre Verpflichtungen in bezug auf das Geschenk innezuhalten. Das Schicksal des Kirchenbaues ist in keiner Weise von Ihrer Gabe abhängig.«

»Herr Superintendent! Aber Herr Superintendent!« rief Spade. »Ihre Worte machen mich wirklich tieftraurig. Sie dürfen doch in keiner Weise die Annahme des Geldes verweigern. Ich sage Ihnen doch nur die volle Wahrheit. Lieber ist mir der Verlust weiterer fünfzigtausend Kronen, als mich den Verdächtigungen auszusetzen, die schon hier in meinem Hause boshaften Ausdruck gefunden haben. Ich wiederhole meine dringende Bitte: Nehmen Sie das Geld an, Herr Superintendent, und breiten Sie, soweit es möglich ist, den Schleier des Vergessens über all das Unangenehme des heutigen Abends. Wie schon gesagt, bin ich in ganz rätselhafter Weise um eine große Summe bestohlen worden.«

In Generalkonsul Spades Darstellung der ganzen Sachlage lag so viel überzeugende Kraft, daß der Superintendent sich der Einsicht nicht mehr verschließen durfte, daß alles auf Wahrheit beruhe. Sein Mitgefühl trug über sein Beleidigtsein den Sieg davon, ja er verstieg sich beim Abschied sogar so weit, daß er dem Generalkonsul freundschaftlichst die Schulter klopfte, indem er sagte:

»Zum Ergreifen des Verbrechers wünsche ich Ihnen recht viel Glück, wo jedoch die Polizei ins Haus hineinkommt, muß ich mich notwendigerweise zurückziehen. Ich werde mich nach dem Verlauf der Sache erkundigen.«

Nachdem sich der Superintendent zurückgezogen hatte, löste sich die Gesellschaft auf; alles wollte fort. Wie ein geschlagener Mann stand der Generalkonsul da und verabschiedete sich von den einzelnen Gästen in ganz mechanischer, geistesabwesender Weise, als sein alter Diener ihn am Aermel zupfte.

»Herr Generalkonsul,« sagte Evensen, »die Herrschaften wollen gehen.«

»Dann laß sie zum Teufel gehen. Rufe die Polizei herbei!«

»Ich habe schon an die Polizeiwache telephoniert, Herr Generalkonsul!«

»So, das ist schon geschehen? Na, das ist gut. Wann können die Kriminalbeamten hier sein?«

»In wenigen Minuten, Herr Generalkonsul; aber keiner der Gäste darf das Haus verlassen.«

»Wer hat das gesagt?«

»Die Polizei verlangt es. Ich habe schon die Türen verschlossen und Wachtposten aufgestellt.«

»Du großer Gott! Und der Superintendent?«

»Der ist leider entkommen, Herr Generalkonsul.«

»Gott sei Dank!«

»Ich habe die ausdrückliche Erlaubnis erwirkt, den Superintendenten gehen zu lassen.«

»Das war gut gemacht, Evensen. Wie unangenehm wäre es gewesen, wenn der Superintendent wegen Diebstahlverdachts zurückgehalten wäre.«

Den Gästen wurde nun eröffnet, daß sie vorläufig beim Generalkonsul hinter Schloß und Riegel seien, was natürlich große Bestürzung hervorrief.

Von draußen drang das Geräusch eines vorfahrenden Wagens herein. Der zuerst erschienene Beamte gab seine Karte ab. Auf der Karte stand:

Asbjörn Krag.

IV.

Inhaltsverzeichnis

Als der Generalkonsul die Erbitterung gewahr wurde, die sich der Gäste, besonders der weniger angesehenen, bemächtigt hatte, fiel ihm kein geeigneteres Mittel zur Beruhigung der Gemüter ein, als eine Rede zu halten.

»Nicht ich habe verlangt, daß das Haus abgesperrt wird,« begann er seine Rede, »sondern es geschieht auf telephonischen Befehl der Kriminalpolizei. Der Verdacht des Diebstahls ist selbstverständlich gegen niemand der Anwesenden gerichtet, die Polizeibeamten wünschen jedoch systematisches Vorgehen. So liegt die Sache augenblicklich. Ich bitte, meine Herren, bedienen Sie sich. Evensen, mehr Champagner!«

Evensen hatte dafür gesorgt, daß Flaschen bereitstanden; als die ersten Pfropfen knallten, begaben sich einige der Gäste an den Tisch, worauf auch die übrigen dem Beispiel folgten.

Mit einigen scherzhaften Worten suchte der Dichter Pedersen die etwas peinliche Situation zu retten. Während der ganzen Zeit hatte er seelenruhig und ohne sich um das geringste zu kümmern, an der Tafel Platz behalten. Mit kurzen, treffenden Bemerkungen charakterisierte er den modernen norwegischen Geschäftsmann, den Typ des Börsenspekulanten. Die Zeit des vornehmen aristokratischen Großkaufmanns sei dahin. »Der heutige Geschäftsmann luchst uns nicht nur in regelrechten Geschäften unser Geld ab, sogar bei rein gesellschaftlichem Beisammensein muß man sich auf den donnernden Befehl: Hände hoch! gefaßt machen. Meine Herren, lassen Sie uns die Hände heben; aber, bitte, mit den Gläsern. Prosit!«

Dieser Scherz fand bei dem weitaus größten Teil der Anwesenden freundliche Aufnahme, besonders, da es sich herausstellte, daß der soeben angelangte Detektiv ein liebenswürdiger, bescheidener Mensch war. Er stellte sich als Asbjörn Krag vor und bedauerte aufrichtig die durch ihn herbeigeführte Störung des Festes.

Der Detektiv befaßte sich sofort mit der Untersuchung der Kassette, des Tresors, des Bureaus und des Schlüsselbundes des Generalkonsuls; auch den Bleiklumpen betrachtete er genau.

Als er erfuhr, daß die gestohlene Summe ausschließlich aus Goldmünzen bestand, glitt ein vielsagendes Lächeln über sein Gesicht.

»Dann habe ich nichts dagegen, daß die Gäste das Haus verlassen, wenn sie es wünschen,« sagte er.

Sonderbarerweise nahm er jedoch Aufstellung im Vestibül, wo er mit großer Liebenswürdigkeit sich von jedem einzelnen verabschiedete, als sei er der Gastgeber und müßte nun jeden seiner Gäste zur Tür geleiten.

Dies erregte die Aufmerksamkeit der Herren und wurde Gesprächsstoff, während sie gruppenweise den Drammensweg entlang nach Hause gingen.

Sie waren alle der Ansicht, daß Asbjörn Krag die ganze Sachlage nicht erfaßt habe. Sie meinten, daß der Detektiv auf den Aerger der Gäste viel zu viel Gewicht gelegt hätte, was er durch übertriebene Höflichkeit wieder gutzumachen glaubte. – Die Art und Weise sei aber erst recht Veranlassung zur Verstimmung. Er hätte leichter über die ganze Angelegenheit hinweggehen müssen, meinte einer der Herren. Nein, den Polizeibeamten fehlten die elementarsten Grundbegriffe des Umgangs mit Menschen. Es sei aber auch gar nicht anders zu erwarten; das Korps rekrutiere sich ja aus den untersten Volksschichten.

Krag hatte jedoch die günstige Gelegenheit benutzt, um die Gäste genau beobachten zu können. Jedem gab er freundliche und entschuldigende Worte mit auf den Weg. Daß seine Augen sie dabei untersuchten, wobei nicht eine Falte ihrer Kleidung seinem scharfen Blick entging, das ahnte niemand von ihnen.

Was hatte Asbjörn denn so eifrig an ihnen zu suchen? Es stand fest, daß sich kein Gast mit einem Gewicht von zweitausendfünfhundert Goldstücken ungesehen entfernen konnte.

Als Asbjörn Krag im Bureau des Generalkonsuls mit diesem und dem alten Faktotum Evensen zusammentraf, war alle Liebenswürdigkeit von ihm gewichen.

»Dies ist der dritte rätselhafte Diebstahl in diesem Bezirk innerhalb verhältnismäßig kurzer Zeit,« sagte er. »Hier handelt es sich aber um die größte Summe. Wann haben Sie das Geld in Gold eingewechselt?«

»Gestern, in der Bank von Norwegen. Ich war selbst dort; Evensen war bei mir.«

Evensen nickte stumm.

»Ich trug die Kassette. Ich kann Ihnen sagen, sie war schwer!«

»Es war ein unglücklicher Einfall von mir,« begann der Generalkonsul, indem er sich die Schweißtropfen von der Stirn wischte. »Ich wollte mit dem Golde renommieren, anstatt einfach einen Scheck auszustellen.«

»Wurde das Geld während der Geschäftszeit der Bank gewechselt?«

»Ja, selbstverständlich! Wie gewöhnlich waren viele Leute zugegen. Die meisten sahen ja auch, wie ich mit dem Gelde fortging. Das hat natürlich den Dieb in Versuchung geführt.«

»Waren Sie noch sonstwo mit all dem Gold?« fragte Krag in strengem Ton. »Zum Beispiel in der Bodega?«

Der Generalkonsul zuckte zusammen.

»Nein, wie werd' ich wohl! Wie kommen Sie darauf? Mit der Kassette! Im übrigen bin ich nie ängstlich, viel Geld mit mir herumzutragen,« fügte er wichtig hinzu. – »Ich gehe des öfteren mit Hunderttausenden in bar in meiner Brieftasche.«

»Aber nicht in Gold?«

»Nein, das nicht. Evensen und ich fuhren gestern direkt nach Haus und schlossen die Kassette im Geldschrank ein. Sie können sich davon überzeugen, daß der Tresor solide genug ist. Das Schloß ist in tadellosem Zustande. Der ganze Diebstahl kommt mir vor wie ein Traum, so unglaublich ist er. Bitte, sagen Sie mir, wie hat der Dieb bloß aus dem Bureau herauskommen können?«

»Ich versuche gerade eben, mir selbst darüber Klarheit zu verschaffen,« sagte Krag halblaut.

Er hatte ein Skizzenbuch hervorgeholt und machte darin Aufzeichnungen, während er forschend im Zimmer umherblickte. Scheinbar zeichnete er den Riß des Bureaus.

Der Generalkonsul trat auf ihn zu und betrachtete die Zeichnung ohne Verständnis für seine Anwendung. Mittlerweile war die Zeichnung fertig geworden.

»Wie aus der Zeichnung ersichtlich,« erklärte Krag – er tat es mehr zu dem Zweck, sich auch die kleinsten Einzelheiten einzuprägen –, »führen zwei Türen ins Bureau. Wie lange sind diese Türen verschlossen gewesen?«

»Seit heute nachmittag um fünf Uhr,« antwortete der Generalkonsul, »unmittelbar, bevor die Gäste eintrafen.«

»Wer hat die Türen verschlossen?«

»Ich.«

»Und Sie waren absolut davon überzeugt, daß sich das Gold in der Kassette befand und diese wiederum im Geldschrank?«

»Ja, vollkommen. Ich hatte noch nachgesehen, kurz bevor ich das Bureau verließ. Ich selbst habe die Türen des Schrankes zugemacht. Wie Sie sehen, ist die eine Tür von innen verschlossen; die andere Tür ist nur den kurzen Augenblick geöffnet gewesen, als Evensen die Kassette herausnahm.«

Asbjörn Krag blickte Evensen an.

»Sie sind nicht der Dieb,« sagte er, »andererseits können Sie aber von mir nicht verlangen, zu glauben, daß ein Dieb durch verschlossene Türen hindurchgehen kann.«

V.

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Evensen senkte den Kopf und eine leichte Röte bedeckte sein Gesicht. »Ich habe es mir schon gedacht, daß der Verdacht auf mich fallen würde,« sagte er.

Asbjörn Krag faßte ihn bei den Schultern und sagte: »Ich wiederhole, ich habe Sie nicht in Verdacht; jedenfalls nicht mehr als alle die andern, sämtliche Gäste, das Personal, ja den Generalkonsul selbst. Herr Generalkonsul, zuerst hege ich Verdacht gegen alle; erst während der Untersuchung wird der Kreis der Verdächtigen enger.«

»Ich kann eine Verdächtigung schon ertragen,« entgegnete der Generalkonsul. »Außerdem meine ich, durch die Ausstellung des Wechsels auf fünfzigtausend Kronen, den Verdacht von mir abgewälzt zu haben. Dagegen möchte ich darauf aufmerksam machen, daß Sie auf falscher Fährte sind, wenn Sie meinen alten, getreuen Evensen in Verdacht haben. Er ist von klein auf in meiner Familie gewesen und außerdem ist er die personifizierte Treue. Für ihn verbürge ich mich.«

»Ganz recht,« erwiderte Krag, »ich bin genau Ihrer Meinung. Wir lassen also Evensen ganz aus dem Spiel. Wir hegen also nicht den leisesten Verdacht gegen ihn. Das hindert uns aber doch nicht, nachzuforschen, was Evensen sich vorgenommen hat; möglicherweise ist er, ohne daß es ihm bewußt geworden ist, dem geheimnisvollen Verbrecher begegnet. Also zur Sache! Evensen trug also die Kassette mit dem Gelde?«

»Ja,« gab Spade zur Antwort.