Lochinvar
S.R. Crockett
Impressum © 2025 Michael Pick
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S.R. Crockett
Neu aus dem Englischen von M. Pick
Vorwort und Bericht, was im Haus von Balmaghie im Jahr 1685 bedacht wird, und wie meine Dame Wellwood zwei junge Liebhaber trennte
„Aye“, sagte Mistress Crombie, Haushälterin bei Roger McGhie, Laird von Balmaghie, einem beträchtlichen Haus im südlich gelegenen und besser kultivierten Teil der wilden Lande von Galloway. „Aye, in der Tat, wie’s im Guid Buik steht.“
Während dieser Harangue klapperte Alisoun in ihren Flaschen und Gerichten im Zimmer, das ihre Speisekammer bildete. Noch wenige Minuten zuvor hatte sie schelmisch aus dem Fenster nach Lang Wat gerufen, dem neuen Untergärtner von Balmaghie – offenbar nur, weil sie meinte, ein so gut aussehender Kerl sollte dem Haus zugehören, ganz gleich, ob er zu den Eigenen zählte oder nicht.
Doch kaum hörte sie das „Bauchles“-Geklapper der Mistress Crombie – die schrill gefeilte Haushälterin – die Treppe hinaufkommen, setzte Alisoun ein betont unbeteiligtes Gesicht auf und warf den Kopf zur Seite, ein stummes Zeichen, dass sich jemand von hinten näherte. Ohne ein Wort zu sagen, wandte sich der Untergärtner wieder seiner Aufgabe zu – dem Beschneiden und Verpflanzen der Sonnenauflöschern, dem Stolz und der Leidenschaft der jungen Kate McGhie, der Leddy des großen Hauses von Balmaghie.
(Anmerkung: „Bauchles“ – schuhlose, schlurfende Hausschuhe, typisch für die Gegend.)
„Na, 'deed, Alisoun Begbie“, rief Mistress Crombie noch einmal von der Türschwelle her, „glaub mir, wenn ich dir sage, dass so eine feine Städterin – und dann noch Witwe! – nicht in einem alten zerfallenen Haufen Steine wie dem House o’ the Grenoch wohnt, ohne mehr im Kopf zu haben, als nur Warnungen an Clavers zu schicken, wegen der armen Moorland-Leute, die ihre fehlgeleiteten Konventikel dort oben halten, sich in Felsspalten in den Hügeln verbergen und in den schwarzen Hags der Torfmoore beten!“
„Ja, das kann man wohl sagen, Herrin“, stimmte Alisoun zu und warf zugleich ein wachsames Auge auf das Fenster ihrer Speisekammer, durch das sie Lang Wat beobachtete, wie er unter den Rosensträuchern den Rücken krümmte. Trotz seines guten Aussehens hatte er sich als bemerkenswert unempfänglich für romantische Annäherung erwiesen – zu sehr bei der Arbeit, um dem Werben Aufmerksamkeit zu schenken.
Aber Alisoun hatte ihre Hoffnungen noch nicht aufgegeben. In ihrer Zeit hatte sie Schlimmeres erlebt – fast hoffnungslosere Fälle bezwungen. Gerade die abweisende Art des jungen Gärtners hatte ihren Ehrgeiz geweckt: sie zeigte sich von nun an in hellerem Kleid, mit einladenderen Blicken und stets einer neuen Schleife im Haar.
Doch trotz dieser Anstrengungen – und dem gespannten Band der Sympathie, das nur sie zu fühlen schien – zeigte Lang Wat keinerlei Reaktion, weder bewusst noch unbewusst. Wirklich ein bemerkenswerter junger Mann, gänzlich unbeeindruckt vom Einfluss einer hübschen Magd.
„Weel, ich hoffe, meine Dame setzt ihre Haube nicht auf unseren Maister“, meinte Alisoun Begbie trocken, bereit, sich den Meinungen des mächtigen und klatschsüchtigen Haushalts anzuschließen. „Na – Roger McGhie o’ Balmaghie hat seinen Verstand beisammen!“
Und die hübsche Alisoun warf den silbernen Salver herum und polierte ihn, um sich zu vergewissern, dass ihr seidener Snood an der richtigen Stelle saß und ihre Zöpfe glatt und streng von der Stirn zurückgezogen waren. Als sie in diesen Punkten beruhigt war, nahm sie den Salver mit neuem Eifer und koketter Entschlossenheit wieder auf.
Lang Wat stand nun draußen, ganz in der Nähe des Hauses, mit dem Gesicht ihrem Fenster zugewandt, in nachdenklicher Pose. Er lehnte sich auf seinen Spaten; jeden Moment könnte er aufsehen.
Die hübsche Alisoun Begbie hauchte das Silber an, mit einem gewissen verführerischen Schmollmund, rieb die Stelle klar, hauchte erneut darauf und ließ es zuletzt ganz verlockend glänzen – aus dem überaus triftigen Grund, dass einer ihrer früheren Verehrer ihr einst unvorsichtigerweise gestanden hatte, so eine Stirn könne einen Mann um den Verstand bringen.
Doch trotz aller Mühe blieb Lang Wat in tiefster, abstrakter Meditation versunken. Woraufhin Alisoun Begbie den Kopf warf und die Stirn runzelte – diesmal nicht aus Zierlichkeit, sondern in echtem, gekränkten Ernst.
„Er hat wenigstens seine Hand geküsst, der dumme Cuif!“, sagte sie halblaut zu sich selbst und warf dem undurchschaubaren Untergärtner von Balmaghie einen ärgerlich gereizten Blick zu.
„Was!“, rief Mistress Crombie. „Seine eigene Hand geküsst, in der Tat! Du dummes, geschwätziges, flatterhaftes Hizzie! Ich hoffe sehr, mein Maister hat Besseres zu tun, als seine Hand zu küssen wegen so einer high-flyin’ Madam, die mit ihren Heuern in den Börsen kichert, wie viel Falten, wie viel Farbe, wie viel Firnis und Lack sie wohl tragen kann – in ihren Sänen und in den Börsen gekrönt! Handkuss für sie? Pfui!“
Ein Geräusch war oben an der Treppe zu vernehmen, die vom stillen Gemach der Vorratskammer heraufführte – jenem kühlen Winkel, in dem soeben Mistress Crombie und ihre bevorzugte Gehilfin ihr Gespräch geführt hatten.
„Du liebe Zeit – das ist ja der Maister höchstselbst, ich schwör's!“, rief die Haushälterin und warf einen vorsichtigen Blick hinauf. „Und angezogen in seinen Sonntags-Beinkleidern – erbarm dich, Herr! – und dem guten Gehrock mit dem neuen Spitzenbesatz am Kragen und den Aufschlägen, die ich doch beiseitegelegt hatte – für das nächste Begräbnis oder sonst ein feierliches Ereignis! Aber – barmherziger Himmel! – jetzt, an einem Mittwoch, muss er auf den Einfall kommen, sich das Zeug anzuziehen! Der Mann ist wohl völlig verrückt geworden. **Er wird noch bitter Suppe löffeln müssen – wie kalte Haferschleimsuppe! – und das, das wird man schon noch sehen!“
„Vielleicht hat er mehr geküsst als nur seine eigene Hand“, bemerkte Alisoun Begbie spitz. Sie glühte noch vor Groll über die eben erlittene Zurechtweisung durch die Haushälterin – und Lang Wat hatte sich immer noch nicht umgedreht.
Mistress Crombie fuhr zusammen, als wäre sie gestochen worden.
„Herr steh uns bei!“, rief sie. „Denkst du das wirklich? Dann sind unsere guten Tage im Haus von Balmaghie gezählt! Ach, das schöne Anwesen – ich hatte gedacht, dort meine letzten Jahre zu verbringen – mit einem guten Herrn, einem milden Gemüt! Aber – Weiber, Weiber! Was habt ihr nicht alles auf dem Gewissen! Ihr bringt jede Ordnung durcheinander, stiftet jedes Unheil, reißt jedes Gute nieder! Ach, Alisoun, was wär die Welt für ein Paradies, wenn nur Männer darin lebten – von einem Ende bis zum andern! Kein Weib weit und breit – außer mir natürlich! Was für ein Garten Eden wär das wohl, hä?“
Doch Alisoun Begbies Blick hing bereits an einem bestimmten schattigen Winkel zwischen den Rosenbüschen, wo sich eine durchaus ansehnliche kleine Komödie abspielte – wenn auch, nebenbei gesagt, eine ganz und gar nicht nach dem Geschmack des still-room-Mädchens.
Mistress Crombie – wäre sie wachsamer gewesen – hätte durchaus Gründe entdecken können, an Alisouns Pflichterfüllung und Konzentration in der nächsten halben Stunde zu zweifeln. Doch zum Glück für Alisoun hatte sich die misstrauische, wenn auch im Grunde wohlmeinende Dame mit empörtem Schweigen die Treppe hinaufbegeben.
Dort oben, mit stolz erhobenem Kopf und einem Schweigen, das mehr sagte als jedes Donnerwetter, begann sie über die weiteren Einzelheiten der Aufmachung ihres Herrn nachzudenken – seine Sonntags-Schuhe mit den silbernen Schnallen, die blassblauen Schleifen am Knie, und besonders über die prächtige neue Perücke nach neuester Hofmode, die Colonel John Graham of Claverhouse höchstselbst in seinem Satteltasche mitgebracht hatte – direkt von Robin Rae, dem Perückenmacher im Lawnmarket, als er das letzte Mal nach Edinburgh ritt, um bei den Lords des Geheimen Rates vorzusprechen.
Was aber Alisoun Begbie dort hinter den Rosenbüschen beobachtete, war dies:
Sie sah den Untergärtner, „Lang Wat o’ the Glenkens“, wie er im Hause genannt wurde, in vertraulichem und freundlich geneigtem Gespräch mit Mistress Kate McGhie – der einzigen Tochter des Hauses und Erbin der weitläufigen Besitzungen ihres Vaters.
Kate war den schattigen Gartenweg herabgekommen, eine hohe, anmutige Erscheinung, ganz in Weiß gekleidet, das Sonnenlicht und die darüber wehenden Blätter warfen flirrende Schatten auf ihr Kleid. Ihr dunkler, wohlgeformter Kopf war leicht zurückgeworfen, das Kinn einen Hauch trotzig in die Luft gereckt, der breite Sommerhut baumelte lässig in ihrer linken Hand. Hin und wieder summte sie eine Melodie – doch sooft sie den Text vergaß (was häufig geschah), verwandelte sich das Lied nahtlos in ein Pfeifen.
Und in beiden Fällen, so dachte Lang Wat, entstammten die Töne dem hübschesten und verlockendsten Munde auf Gottes weiter Erde.
Kaum war Mistress Kate in Hörweite gekommen, da riss Lang Wat mit einer raschen Bewegung seine breite Mütze vom Kopf, verbeugte sich – und erklärte ihr rundheraus, dass sie das Schönste sei, was je durch diesen Garten geschritten sei. Was, wenn man es bedenkt, eine beachtliche Freiheit für einen Untergärtner war.
Doch die junge Dame nahm das Kompliment nicht übel. Sie wirkte weder geschmeichelt noch überrascht – war sie nicht Kate McGhie von Balmaghie? Und war sie nicht seit frühester Kindheit gewohnt, zu hören, dass sie schön sei? Die ständige, ununterbrochene Bewunderung war ihr so vertraut geworden wie die Luft, die sie atmete – und hatte ihr ebenso wenig geschadet.
Für Kate war es ebenso selbstverständlich, für liebenswert erklärt zu werden, wie wenn man ihr sagte, sie habe einen guten Appetit. Und die Wirkung solcher Aussagen auf sie war in beiden Fällen gleich gering.
Seit ihren allerzartesten Jahren hatte es in diesem Chor aus allgemeiner Verehrung nur eine einzige abweichende Stimme gegeben – die eines gewissen kleinen Jungen aus den Glenkens, dem Sohn eines Lairds: Walter Gordon von Lochinvar. Er hatte das Haus von Balmaghie einst gemeinsam mit seinem Vater besucht – und seinen Widerspruch auf eine recht denkwürdige Weise verewigt.
Denn nach dem allgemeinen Gerede im Landstrich war das Mädchen schon als Kind – mit ihren großen, haselnussbraunen Augen, die gefährliche Dinge versprachen, und ihrer wilden, lockigen Mähne – als „Stolz von Balmaghie“ bezeichnet worden.
Und das Mädchen selbst, wenn man sie nach ihrem Namen fragte, antwortete stets freimütig:
„I is little Kate McGhie –
What everybody loves.“
Doch ebenjener junge Gordon aus den Glenkens, der in seinem kindlichen Hochmut – gestützt auf ganze sechs Jahre Altersvorsprung – den Spruch stets mit Verachtung quittierte, ließ keine Gelegenheit aus, seine eigene spöttische Gegendarstellung hinzuzufügen: „Kleines Biest – ich lieb sie nicht!“
Aber wie so oft in der Geschichte, kam der Tag, da selbst der Spötter seinen Widerruf einlegen musste. Und dieser Tag war jetzt gekommen – unter den Gartenbäumen des Hauses von Balmaghie, beobachtet von den eifersüchtigen Augen der Alisoun Begbie.
Denn „Lang Wat o’ the Glenkens“, Untergärtner im Dienste Roger McGhies von Balmaghie, war in Wahrheit niemand anderes als Walter Gordon, der junge Laird von Lochinvar, in Ungnade gefallen beim königlichen Regiment – sowohl wegen der Verwundung des Lord Wellwood als auch wegen des dringenden Verdachts, dass er Umgang und Gemeinschaft mit den wilden Whigs der Hügel pflegte.
Denn die Zeiten waren hart gegen jene, deren Loyalität als zweifelhaft galt – und Bußen und Konfiskationen waren noch das Geringste, was denjenigen drohte, die sich weigerten, sich offen auf die Seite der galoppierenden Kuriere und lärmenden Reiter seiner Majestät zu schlagen.
Das Aufblitzen der Musketen vor einer Steinwand, das nimmermüde Seil am Galgen im Grassmarket zu Edinburgh – wo man während der zwei geschäftigen Jahre der „Killing Time“ jeden Monat ein neues Tau vom Stadtrat ordern musste, und der Scharfrichter einen Gehilfen brauchte, wenn er mit dem Hängen der vielen Männer aus dem Westen überlastet war – all das und mehr waren Zeichen der unruhigen Zeiten, die viele rechtschaffene und unschuldige Menschen ins Versteck trieben.
Doch es war nicht allein die günstige Lage von Balmaghie als Unterschlupf, die Wat Gordon von Lochinvar hierhergeführt hatte.
Es war viel eher der dunkle, geheimnisvolle Schwung von Kate McGhies Wimpern, und das helle Funkeln, das in den Tiefen ihrer haselnussfarbenen Augen tanzte – wie die goldenen Schlieren jenes kostbaren Likörs, den John Scarlett, der berühmte Waffenmeister, im letzten Jahr aus Danzig mitgebracht hatte.
Nicht, dass Wat Gordon nun übermäßig oder tief verliebt gewesen wäre. Er spielte eher damit – zärtlich, gedankenverloren, mit einem leichten Lächeln auf den Lippen. Wahr ist allerdings: Er dachte Tag und Nacht an die Liebe und deren Anbahnung, und – zumindest vorübergehend – war sein Idealbild, seine Herzensdame, die junge Herrin des Hauses Balmaghie.
Und Kate McGhie, die ihn erkannte, wie er war – und die, anders als ihr Vater, aber wie so viele Frauen in Schottland, Sympathien für die Bedrängten und Verfolgten des Bundes hegte – zeigte dem Untergärtner keine geringe Freundlichkeit.
Sie war ein Mädchen, das oft auf sich selbst gestellt war. In einem Alter, in dem die Liebe noch ein luftiger, rosiger Traum ist, und doch – kaum ein junger Mann ihres Standes wagte sich auf das Gehöft ihres Vaters.
So war es nicht schwer für Mitleid und Bewunderung, sich in ihrem Herzen Raum zu verschaffen – für diesen gut aussehenden, vom Schicksal geplagten jungen Laird, der ihr bei jeder sich bietenden Gelegenheit (und das hieß: zehnmal am Tag) versicherte, dass er, wie einst Jakob, bereit sei, sieben Jahre zu dienen – und noch einmal sieben obendrauf – in der Hoffnung auf eine solche Rahel.
Denn selbst noch bevor er ernstlich ans Lieben dachte, hatte Wat Gordon eine Gabe für zärtliche Worte, die einem Vogel den Ast unter den Füßen weggezaubert hätte.
Und doch – trotz allem – wenn es ans Werben bei Kate McGhie ging, da verfing Wat Gordons Charme nicht. Denn das Mädchen war gefestigt und gewappnet durch ein ganzes Leben ununterbrochener Bewunderung – sei es durch die Verehrung ihres Vaters, die Zuneigung eines jeden Mannes, Weibes und Kindes im Haus von Balmaghie oder, nicht zuletzt, durch ihren Ruf als unbestrittene Schönheit der ganzen Gegend.
So konnte es wohl sein, dass sie recht gut von Wat Gordon dachte – diesem schönen Verbann-ten, der sich nun, statt als Laird auf seinem eigenen Grund zu wandeln, als Untergärtner ihres Vaters in malerischem Exil bewegte – doch sie war (so redete sie sich zumindest ein) nicht in Gefahr, dieses Wohlwollen in etwas Gefährlicheres oder Anspruchsvolleres entgleiten zu lassen.
Und so fochten die beiden, jeder auf seine Weise, ein galantes kleines Fechtspiel mit dem leichten Degen der jungen Liebe – während die Liebe, die nicht leicht, sondern so stark wie der Tod ist, aus dem Schatten der Rosenbüsche leise lächelte und geduldig auf ihre Stunde lauerte.
Da – während die beiden noch im Gespräch vertieft waren und Alisoun Begbie sie nicht eine Sekunde aus dem Auge ließ – öffnete sich plötzlich die Haustür von Balmaghie, und der Laird selbst trat auf die Stufen.
Er wirkte ein wenig niedergeschlagen und verlegen, denn Mistress Crombie hatte ihn mit einer Mischung aus spitzem Zeremoniell und übertriebener Förmlichkeit zur Tür hinausgeleitet.
„Dootless, Euer Ehren sind unterwegs, dem Königlichen Kommissar in Kirkcudbright Ihre Aufwartung zu machen“, sagte sie, mit jener spitzen Ironie, die sie wie eine kunstvoll geschärfte Haarnadel zu führen verstand, und die der scheue Laird nur mit Mühe parieren konnte.
„Aber Ihr habt die Perlknöpfe in Eurem Hemd vergessen – und das kleine Hof-Schwertlein, das sich nicht aus der Scheide ziehen lässt und kaum einer Fliege etwas zuleide tut!“
„Ich danke Euch, Mistress“, sagte Roger, ohne den Mut aufzubringen, seiner allzu treuen Haushälterin in die Augen zu sehen. „Doch ich gehe nicht so weit – nicht bis zum Kommissar Seiner Majestät. Es handelt sich lediglich um **eine Besucherin, die wir heute Vormittag erwarten. Seht doch bitte, dass eine kleine Stärkung für sie bereitet wird.“
„Sie?!“, rief Mistress Crombie aus – mit einem Ton, der sich kaum beschreiben lässt: eine Mischung aus Verwunderung, Entrüstung und der leisen Vorfreude auf Skandal.
„Sie! – Wir bekommen also die Gesellschaft einer großen Dame, nae doot! Und dies ist das erste Mal, dass Eure ergebene Magd und Haushälterin überhaupt davon hört! ‘Collation,’ sagt er – Collation, is’ recht! Was für ein Mahl, denkt Ihr wohl, lässt sich an einem Mittwoch zwischen elf und zwei Uhr auftischen, wo doch alle Mädchen beim Waschtag sind – außer Alisoun Begbie – und in der Speisekammer nichts liegt als zwei gepflückte Hühner aus der Boat Craft, die vor kaum einer halben Stunde eingetroffen sind?“
„Aber – aber sicherlich wird das genügen“, sagte Roger McGhie, sichtlich nervöser werdend. „Es ist ja nur meine Lady von Wellwood, die vom Grenoch herüberreitet.“
Denn in Wahrheit hatte er sich nicht getraut, Mistress Crombie vorab davon zu unterrichten, und so hatte er die Sache aufgeschoben, bis es – wie es bei Männern oft der Fall ist – zu spät war.
„Ich... ich habe es versäumt, Euch vorher davon in Kenntnis zu setzen. Es... nun, es ist mir gänzlich entfallen“, stotterte er und begann, sich mit angespannter Eile seine Handschuhe überzustreifen, während er die Stufen hinabstieg.
„Aber Eure Sonntagskleider habt Ihr nicht vergessen, Laird Balmaghie!“, rief Mistress Crombie ihm hinterher – mit jener lodernden, stichelnden Stimme, die aus jedem zweiten Wort eine Stecknadel machte. „Auch Eure besten seidnen Strümpfe und die silbernen Schnallen habt Ihr nicht vergessen! Und dass Eure Rüschen nach Zimt und Rosmarin duften sollten – das ist Euch brawly eingefallen! Nein, all diese Dinge – so wichtig wie Leben und Tod, könnte man sagen – die habt Ihr nicht vergessen. Nur das eine – Eurer armen, unnützen alten Haushälterin Bescheid zu sagen, dass sie etwas bereiten soll für Eure feinen Damen und Hofgeschöpfe – das ist Euch irgendwie durch die Lappen gegangen!
Aber was tut’s schon um eine wie mich – Marion Crombie, die Euch seit vierzig Jahren dient und Euch nie auch nur um einen Fardin betrogen hat! Denkt nur ja nicht an mich – die arme, alte Frau, die ruhig unter einer Heckenwurzel sterben kann, solange Ihr ein ganzes Heer von gepuderten Weibern und galoppierenden Flatterhaften in Euer Haus reiten lassen könnt!“
Doch was auch immer Mistress Crombie ihrem Herrn noch hätte nachrufen wollen – es ging unter im Getrappel von Hufen und dem Aufruhr einer Neuankunft.
Die Allee herauf kam eine kühne Reiterin, auf einem temperamentvollen Braunen, den sie mit sicherer Hand und männlicher Haltung zügelte, ehe sie auf dem Kies vor der Haustür zum Stehen kam und die Steine unter den Vorderhufen spritzen ließ.
Die neue Ankömmlingin trug einen roten Reitrock und einen Hut mit Federbusch, und ihre ausgesprochene Sympathie für die „Verfolger“ hatte ihr in der Gegend den Beinamen „Die Scharlachrote Frau“ eingetragen.
Sie war eine schöne Dame von etwa vierzig Jahren – vielleicht auch ein wenig mehr –, doch hätte man sie, abgesehen von dem etwas prononcierteren Schwung ihrer hoheitsvollen Nase und den vollen Rundungen ihrer Figur, leicht für zehn oder zwölf Jahre jünger halten können.
Der Laird von Balmaghie trat eifrig vor, um seine Besucherin zu begrüßen. Dankbar genug nahm er die Hand, die sie ihm reichte – ein wenig gönnerhaft, wie man einem Kind ein Bonbon reicht, um es zu beschäftigen.
Denn während er noch leise seine Willkommensworte murmelte, weilte der Blick der Dame ganz und gar nicht auf ihm, sondern auf der aufrechten Gestalt des Untergärtners, der noch immer wie versteinert vor dem Rosenbusch stand, den er eben beschnitten hatte.
„My Lady Wellwood“, begann Roger McGhie, „dies ist in der Tat eine große Ehre und ein Privilegium...“
„Und wer ist der Jüngling dort?“, unterbrach ihn die Lady kühl – und schnitt seinem höflichen Vorspiel mit einer gebieterischen Geste das Wort ab. Ihr Finger wies direkt auf Lang Wat o’ the Glenkens.
„Nur einer meiner Gärtner“, erwiderte Roger hastig. „Er ist erst kürzlich zum Haus gekommen. Ein anständiger Kerl, fleißig genug. Aber...“ – er senkte die Stimme – „unter Umständen ein wenig zu sehr dem Whiggismus zugeneigt, Ihr versteht – ein bisschen zu sehr auf rechte Glaubensstrenge bedacht. Vielleicht also besser, man lässt seinen Namen unerwähnt, wenn John Graham das nächste Mal hier erscheint...“
Aber die Augen der Lady Wellwood lösten sich keinen Augenblick vom Gesicht des Gärtners.
„Komm her und hilf mir beim Absteigen“, sagte sie, und bewegte nur den Zeigefinger – ein Wink, der keinen Widerspruch duldete.
Wat Gordon kam – nur widerwillig, Schritt für Schritt, als schleppe er sein Urteil mit sich. Er wusste: die Zeit in seinem kleinen Paradies – den Blumenwegen und Baumgängen von Balmaghie – war zu Ende. Er würde Abschied nehmen müssen – von allem, was ihm in diesen Tagen süß und kostbar geworden war. Auch von jenem blickstillen Einfluss, den Kate McGhies haselnussbraune Augen auf sein Herz auszuüben begannen.
Der Laird stand still und ergeben dabei. Die Launen großer Hofdamen waren nicht sein Fachgebiet, und wenn man sich einmal vorgenommen hatte, ihnen zu gefallen, durfte man sich über die Gunst, die einem Gärtner zuteilwurde, nicht empören.
Er hatte von solchen Dingen in Whitehall gehört – und, ehrlich gesagt, die Erinnerung daran entfachte in ihm eher ein neues Feuer, als dass sie ihn abschreckte. Er fühlte sich wie hineingestellt in eine neue Welt – voller neuer Sitten, neuer Ideen – und, ja: neuer Nachlässigkeiten.
Wat reichte Lady Wellwood galant die Hand – der Untergärtner fiel von ihm ab wie eine Tarnung, als er die Stimme der Frau hörte: tief, schmelzend, mit einem Ton, der Erinnerungen wachrief, die er längst zu vergessen glaubte – und doch, zu seinem Verdruss, nicht hatte vergessen können.
„Du hast mich also doch nicht ganz vergessen, mein süßer Junge von Lochinvar?“, flüsterte die Herzogin von Wellwood zart in sein Ohr. Denn so hatte sie ihn genannt – in jenen Tagen seiner einstigen Torheit.
„Nein“, antwortete Wat mürrisch genug, als er sie vom Pferd hob, nicht wissend, was er sonst hätte sagen sollen.
„Dann erwarte mich am Waldrand, wenn ich heimreite“, hauchte die Lady, während sie sich elegant aus seinem Arm löste und sich mit einem strahlenden Lächeln Roger McGhie zuwandte.
„Und das ist also Eure süße Tochter“, murmelte sie schmeichelnd, während sie sich Kate zuwandte, die mit gesenktem Blick dastand – aber dennoch kein einziges Wort des Gesprächs zwischen Wat Gordon und der Gästin ihres Vaters überhört hatte.
Lady Wellwood nahm die Hand des Mädchens – kalt und reglos lag sie in ihren rundlichen weißen Fingern.
„Ein hübsches Mädchen – du wirst eines Tages eine Schönheit sein, mein Kind“, fügte sie hinzu, mit der herablassenden Milde jener Frauen, die wissen, dass sie von jüngerer Konkurrenz noch nichts zu befürchten haben.
Kate antwortete nichts. Denn die Schmeichelnde war eine Frau. Wäre die Herzogin von Wellwood ein Mann gewesen, und hätte in diesem Ton eine so halbherzige Ehre erwiesen, dann hätte Kate die Augen blitzen lassen und geantwortet: „Man hat mir das bereits öfter versichert.“ Worauf er wohl seine Worte eiligst revidiert hätte.
So aber schwieg Kate. Sie verhärtete nur ihr Herz und fragte sich, was diese große Hofdame dem Mann zuzuflüstern hatte, der sich in den vergangenen Wochen Tag für Tag als ihr Liebhaber erklärt hatte.
Und obwohl Kate sich ihrer Sache sicher war – dass ihr Herz unberührt auf seinem jungfräulichen Thron saß –, so war es doch nicht unangenehm gewesen, dem jungen Mann zuzuhören. Denn, bei allem: Wat Gordon verstand es, seine Geschichte auf eine wundersame Weise zu erzählen.
Roger McGhie führte die Lady mit höfischer Haltung durch die Gartenwege dem Haus entgegen. Doch sie war kaum ein paar Schritte gegangen, als sie sich plötzlich überwältigt von der Hitze erklärte und um einen Sitz bat. Sie sei matt, sagte sie – doch Kate McGhies scharfer Blick bemerkte sehr wohl, dass die Wangenfarbe der Dame lebhaft und hoch geblieben war.
„Ein Becher Wasser – nein, kein Wein!“, rief die Lady dem Laird nach. „Ich danke Euch für Eure Höflichkeit!“
Und Kates Vater eilte, ein wenig steifbeinig – die Sonntagsschuhe drückten sichtlich –, um das Gewünschte zu holen. Kate dachte bei sich: Recht geschieht ihm. In seinem Alter sollte er es besser wissen.
Doch dann – wichtiger noch – war da der Fall des Untergärtners.
„Komm, setz dich zu mir, hübsches Ding“, sagte Lady Wellwood in honigsüßem Ton.
Die „Hübsche“ jedoch hätte sich lieber neben eine sonnenbadende Kreuzotter gesetzt, als den Platz auf der Holzbank mit der kühnen Reiterin vom Grenoch zu teilen.
„Ah – du Schlaue“, sagte die Lady, „du wusstest wohl längst, dass dein Untergärtner dort – dieser hübsche Junge – nicht der landbäuerliche Bursche war, für den er sich ausgibt.“
Sie hob den Finger in gespieltem Tadel, während sie sprach.
Kate errötete heftig – und begann sich im selben Moment dafür zu verachten, fast so sehr, wie sie die Lady dafür hasste, sie in diese Verlegenheit gebracht zu haben. Lady Wellwood beobachtete sie aus dem Augenwinkel – durch jenes gezielt kultivierte Linkslid, das halb geschlossen einen ganz eigenen Reiz entfaltete.
„Ich weiß, dass er geächtet ist“, sagte Kate ruhig, und blickte mit demonstrativer Gleichgültigkeit auf Wat, der nun langsam die Baumallee hinabschritt.
„Und weißt du auch, warum?“, fragte die Herzogin, plötzlich scharf im Ton.
„Nein“, antwortete Kate, überrascht von der Wendung.
„Weil er meinen verstorbenen Ehemann innerhalb der Mauern von Holyrood verletzt hat“, sagte Lady Wellwood – und legte jedes Wort wie ein Dolch auf den Tisch.
Doch nun war Kate McGhies Zorn endgültig geweckt, und ihre Antwort kam hell und sicher über ihre Lippen:
„Und war es dafür, dass Ihr ihn eben so freundlich angesprochen habt – und ihm ins Ohr flüstertet, er solle Euch am Waldrand erwarten, wenn Ihr heimreitet?“
Die Herzogin starrte sie einen Moment an, doch ihre wohlerzogene Gelassenheit kam nicht ins Wanken.
„So ist es“, sagte sie ruhig, „und noch aus einem weiteren Grund: Walter Gordon war auf dem Weg zu mir in jener Nacht, als es sein Unglück war, stattdessen meinem Gatten zu begegnen.“
„Ich glaube Euch kein Wort“, rief das Mädchen, hob den Kopf und sah Lady Wellwood direkt in die Augen.
„Dann fragt ihn selbst!“, erwiderte die Herzogin – mit jener kalten Sicherheit von vierzig Jahren, die sich der Herausforderung eines halben Alters überlegen entgegenstellt. Denn auf den ersten Blick hatte Lady Wellwood das frische, errötete Elfenbein der Wangen des Mädchens gehasst und beneidet, ebenso wie den wilden Glanz ihrer Locken, der nicht mit all den Künsten von St. James’s zu übertreffen war. Und da sich kein Pomadekünstler Londons mit solch natürlicher Anmut messen konnte, rächte sich die Lady nun auf ihre eigene Art.
Kate schwieg. Doch ihr Herz kochte über vor Widerspruch und Empörung.
„Oder – wenn Ihr ihn nicht fragen wollt – setzt Euch in einer halben Stunde mit Eurem Buch in die kleine Laube am Ende der Allee. Dort werdet Ihr Neues hören. Ob Ihr es mögt oder nicht, steht auf einem anderen Blatt. Doch immerhin – Ihr werdet nicht mehr sagen können, dass eine Herzogin von Wellwood gelogen hat.“
Kate erhob sich ohne ein Wort zu erwidern und ging davon. Sie kümmerte sich nicht um Wat Gordon. So sagte sie es sich selbst. Er war ihr nichts – nichts –, abgesehen davon, dass sie sich um seine Sicherheit sorgte und manches gewagt hatte, um ihn zu schützen. Und doch – diese Herzogin von Wellwood, diese Frau, von der die derbe Zunge des Volkes Dinge flüsterte, bei denen man errötete...
Hatte Lochinvar ihr den Hof gemacht? Wollte er sie wirklich am Ende der Allee treffen? Sie konnte es nicht glauben. Und selbst wenn es so wäre – was ging es sie an? Was kümmerte sie das? In die Laube gehen, um zu lauschen? Nicht für einen Mann auf Erden – und am allerwenigsten für Wat Gordon!
Dank sei dem Himmel – sie hatte eine Zunge im Kopf, und es würde ihr nicht schwerfallen, Wat Gordon oder jeden anderen lebenden Menschen direkt zu fragen, was sie wissen wollte.
Und doch – nach einem Moment des Zögerns ging sie langsam die Treppe hinauf zu ihrer Kammer. Sie verweigerte sich dem Lauschen mit den Ohren – und lauschte stattdessen mit den Augen.
Denn sie sah Lady Wellwood, wie sie sich mit aller gebotenen Höflichkeit vom Vater in den Sattel helfen ließ. Sie sah den Blick, den die Lady dabei auf ihn warf – beruflich zärtlich, ein Blick, der nachzitterte in der Erinnerung: wegen des kaum sichtbaren Flatterns eines Lids und des weichen Drucks einer zurückhaltenden Hand.
Und Roger McGhie verbeugte sich über die rundlichen Finger, als würde er sich von einer himmlischen Erscheinung verabschieden.
Zum ersten Mal in ihrem Leben verachtete Kate McGhie ihren Vater.
Und siehe – um ihr Herz noch tiefer zu kränken, und um sie endgültig von der Unzuverlässigkeit der Männerwelt zu überzeugen, da sah sie ihn: Wat Gordon, seine große Gestalt ragte über die Weißdornhecke, wie er mit schnellen Schritten in Richtung des Kiefernwäldchens am Ende der Allee ging.
Kate stieg die Treppe wieder hinab – mit einem stillen, unbewegten Gesicht.Sie würde nicht weinen. Dazu war sie sich zu stolz.
Es kümmerte sie nicht. Wirklich nicht.
Sie war nur... enttäuscht. Tief, bitter, endgültig enttäuscht – von der ganzen Gattung Mann. Sie waren nichts als ein Haufen blinder Narren, leicht einzufangen durch ein paar süße Worte und ein rollendes Auge. Eine schöne Figur – ja. Aber... wo war der Beste unter ihnen?
Und doch – ihr Wat – und mit der Herzogin von Wellwood! Sie konnte es nicht glauben.
Denn diese Frau könnte ja... Nun ja – vielleicht nicht ganz. Aber seine Mutter hätte sie immerhin sein können.
Nicht, dass es sie kümmerte – keineswegs! Sie hatte schließlich ihre Arbeit, auf die sie sich konzentrieren musste. Und so ging Kate McGhie hinunter zu dem kleinen Milchlamm, das sie täglich mit warmer Milch aus einem Holzlöffel gefüttert hatte – jenes Lämmchen, das, obwohl inzwischen fast so groß wie ein ausgewachsenes Schaf, noch immer aufsprang und sich an sie schmiegte wie ein Welpe.
Sie holte ihren Eimer und bereitete Donalds Mittagsmahl, wie sie es jeden Tag tat.
Draußen, jenseits der Gartenmauer, stand das Lamm bereits mit empörtem Blöken, das einer königlichen Audienz gleichkam, und dort – an gewohnter Stelle – fütterte Katie McGhie es. Doch während das Lamm trank, schwoll ihr Herz in der Brust. Als die letzten Tropfen in das feuchte, schwarze Schnäuzchen geglitten waren, schlang sie die Arme um den wolligen Hals – und brach laut in Schluchzen aus.
„Oh, Donald, Donald, mein Lämmchen – du bist der einzige Freund, den ich habe! Ich liebe sonst niemanden – und niemand auf der Welt liebt mich! Aber es macht nichts – ich bin nicht traurig, ich bin froh, und ich werde nicht weinen. Es ist nicht, weil ich ihn liebe, Donald – aber... oh! er hätte es nicht tun dürfen!“
Am selben Abend, wie es seine Gewohnheit war, wanderte Wat Gordon langsam durch den Garten. Kate McGhie erwartete ihn bei jenem Rosenbusch, den er noch am Morgen beschnitten hatte.
„Ist es wahr,“ fragte sie, und sah ihn fest und offen an, „dass du dich versteckst, weil du – als du zur Herzogin von Wellwood unterwegs warst – statt ihrer ihrem Ehemann begegnet bist?“
„Das ist so viel wahr“, antwortete Wat sofort, „dass mein Vetter, Will Gordon von Earlstoun, und ich in einer verschneiten Nacht auf dem Canongate von einer Bande überfallen wurden – bezahlt von keinem anderen als dem Herzog von Wellwood. Und dass dieser, als wir uns verteidigten, selbst verwundet wurde.“
„Und als du an jenem Abend deine Herberge verließest – **tatest du es, um mit deinem Vetter zu gehen – oder um die Lady von Wellwood in ihrem Boudoir zu besuchen?““
Wat Gordon holte tief Atem. Die Art, wie die Frage gestellt war, ließ ihm keinen ehrenhaften Ausweg. Aber lügen wollte er nicht. Und eine Entschuldigung würde er nicht anbieten.
„Ich ging, um die Lady Wellwood zu besuchen“, sagte er – kurz und fest.
Kate McGhie streckte ihm die Hand hin.
„Ich verabschiede mich von dir“, sagte sie. „Du wirst deine alte Freundin und Gastgeberin in Grenoch finden. Hier – im armen Haus von Balmaghie – hält dich nichts mehr zurück.“
Und mit diesen Worten drehte sich das Mädchen um und ging langsam durch den Gartengang – vorbei an den geschnittenen Rosenbüschen.Sie überquerte die grasige Böschung zum Haus, trat zur Tür – und verschwand.
Und Wat Gordon blieb zurück – still, beschämt, und wie aus der Welt gefallen.
KAPITEL I VON ZUNEIGUNG ZUR LIEBE
Es dämmerte bereits ins Grau des Abends über, an einem der letzten Tage im April des Jahres 1688, als Walter Gordon von Lochinvar in Galloway, nunmehr seit einiger Zeit einfacher Soldat im Dragonerregiment des Prinzen von Oranien, die Treppe zur Wohnung seines Vetters Will in der alten niederländischen Stadt Amersfoort emporstieg.
Der junge Mann war soeben vom Dienst im Palast entlassen worden, und seine Stimmung war alles andere als freundlich.
Doch Wat Gordon vermochte nicht lange ärgerlich zu bleiben, wenn er sich in der Nähe von Maisie Lennox, der Frau seines Vetters, befand. Ihr stilles, süßes Lächeln ließ den Unmut zergehen wie Frühlingssonne den Frost.
Der kleine, niedriggedeckte Raum, ganz mit dunklem Eichenholz getäfelt, hatte seine Fenster weit geöffnet nach Westen, wo das Sonnenlicht der Abendröte hereinströmte – und dort, im goldenen Schimmer, saßen zwei junge Frauen.
Beim Anblick der beiden hielt Walter Gordon abrupt im Türrahmen inne, als er mit gewohnter Ungestümheit hereingestürzt kam. Er hatte nur eine erwartet – die junge Frau seines Vetters, in deren geduldiges Ohr er so oft seine jugendlichen Enttäuschungen und ungestillten Sehnsüchte geklagt hatte.
Mistress Maisie Lennox – nun seit einem halben Jahr mit Will Gordon von Earlstoun verheiratet – war im Kreise ihrer Freunde noch immer unter ihrem Mädchennamen bekannt, und so unterschrieb sie auch. Denn es war damals noch nicht Sitte, dass eine Frau im engeren Kreis den Namen ihres Ehemannes führte.
Sie saß auf einem hochlehnigen Stuhl am Erkerfenster, und ihr Haar hatte jenes helle, sonnige Gold, das man einfach gern ansieht – mit kleinen, gewellten Strähnen, die sich wie lebendige Ranken um die Stirn legten. Ihr Gesicht, darunter, hatte begonnen, jene milde Ruhe und zarte Reife der frühen Matronenzeit anzunehmen – ein Ausdruck, der bei geduldigen, gütigen Frauen früh kommt, vor allem bei jenen, die viel zu wagen bereit sind für den, den sie lieben.
Und Maisie Lennox hatte mehr als einmal alles aufs Spiel gesetzt – für jene, die sie liebte, wie anderswo bereits erzählt worden ist.
Doch völlig unerwartet für den hastigen Besucher war da noch ein zweites Mädchen – eine ganz andere Erscheinung, die ihren Blick auf ihn gerichtet hatte in diesem dunkel getäfelten, vom Abendlicht gedämpft beleuchteten Raum.
Auf einem niedrigen Stuhl saß sie, halb an die Knie von Mistress Maisie gelehnt, die ihre Füße eigens weit auseinandergesetzt hatte, damit die andere sich bequem niederlassen konnte.
Dort ruhte eine Maid von völlig anderem Schlag: Schlank und geschmeidig wie eine Weide am Wasser, die sich biegt, doch stets in aufrechter Anmut zurückkehrt – wie eine fein geschliffene Klinge aus Damaskus.
Darüber: der feinste, zierlichste Kopf, den man sich denken kann – ein Profil wie das des Apoll mit dem Bogen, mit großen Augen, abwechselnd dunkel und sanft, voll Tränen und Feuer.
Ein Mund – nicht groß, nicht aufdringlich, sondern vollkommen geformt, ein seltenes Geschenk, kostbarer und süßer noch als das schönste Augenpaar. Ein Teint – nicht milchig-rosig wie der von Maisie Lennox, sondern elfenbeinfarben, mit einem feinen, dunklen Rot, das wie warmer Wein unter der Haut aufstieg.
So war Kate McGhie, genannt Kate mit den dunklen Wimpern, die einzige Tochter von Roger McGhie von Balmaghie – einem geachteten Galloway-Gentleman im Südwesten Schottlands.
Als Walter Gordon in seiner stürmischen Art in das Zimmer seines Cousins platzte – das Schwert klirrend an seinen Füßen, die Kavalleriesporen klangvoll gegen die Stiefelabsätze –, wurde er jäh gestoppt: durch einen höchst angenehmen Anblick.
Doch was er sah, war lediglich ein Mädchen, das den Kopf auf ihre eigenen verschränkten Hände gebettet hatte, während sie auf dem Schoß ihrer Freundin ruhte, die Ellenbogen weit hinter dem Kopf abgestützt. Maisies Hand spielte unterdessen – wie ein verwegener Schwimmer in aufbrechender Brandung – ein und aus in den weichen Locken des Haars, das zu lang war, um Wellen zu sein, und zu kurz, um Locken zu heißen. Und dieses Haar war von mehreren eigentümlichen Farbtönen: Im Schatten fast schwarz, dann tiefbraun und schließlich ein dunkles Gold, dort, wo das Sonnenlicht es zärtlich streichelte – als wollte die Sonne sich eben hinter den Sanddünen zur Nordsee hin senken.
Wat stand da, die Finger juckten ihm, das Haar zu berühren. Es erschien ihm wie eine Verschwendung menschlichen Glücks, dass einzig die Hand eines Mädchens diese reiche Mähne glätten und die sich ballenden Locken streicheln durfte.
Walter Gordon von Lochinvar war in das kleine Zimmer in der Zandpoortstraße gestürzt, bereit, seine Sorgen dem Ohr von Maisie Lennox anzuvertrauen – wobei er keineswegs vergessen hatte, dass eben jenes Ohr ein außerordentlich hübsches war. Von Herzen hoffte er, dass Will, sein vortrefflicher Cousin und Maisies guter Ehemann, noch durch die religiösen Übungen des Regiments des Bundes aufgehalten worden war – jenes Teils der schottisch-niederländischen Hilfstruppe, das überwiegend aus militanten Exilanten und Flüchtlingen der schottischen Verfolgung bestand.
Doch als Lochinvar sich nach seinem ersten, unfreiwilligen Erstaunen langsamer vorwärtsbewegte, blieben seine Augen auf der Jüngeren ruhen, die noch immer auf dem Schoß ihrer Freundin lag. Sie hatte sich bei seinem Eintritt nicht bewegt, sondern sah ihn nur ruhig an – unter jenen dunklen Vorhängen, die ihr den Namen „Kate mit den schwarzen Wimpern“ eingebracht hatten. Und da fuhr Wat plötzlich die Hand an die Brust, als hätte ihn eine Kugel auf dem Schlachtfeld getroffen.
„Kate!“ rief er in einem schnellen, heiseren Flüstern, als wäre ihm das Wort herausgepresst worden.
Und für einen langen Moment blieb der junge Soldat sprachlos stehen – die Augen noch immer auf das Mädchen geheftet.
„Walter, erinnerst du dich denn nicht an meine liebste Freundin und Vertraute Kate, und wie wir in jenen alten, traurigen Tagen in der fernen, geliebten Heimat so vieles miteinander durchgemacht haben?“ fragte Maisie Lennox, wobei sie etwas unsicher von Kates Gesicht zu dem von Walter Gordon aufblickte.
„Ich wusste es nicht... ich hatte nichts gehört...“ – das war alles, was der junge Kavalier zustande brachte.
„Auch gab es, wenn ich recht erinnere“, fuhr die junge Ehefrau fort – mit jener verhängnisvollen Ungeschicklichkeit, die manchmal selbst den gütigsten und klügsten Frauen widerfährt –, „gewisse Passagen zwischen euch... von gegenseitiger Freundschaft und – Wertschätzung, könnte man sagen.“
Da erhob sich Kate mit den schwarzen Wimpern in einer einzigen, geschmeidigen Bewegung – so plötzlich und anmutig wie ein wildes Tier, das nie Zügel kennengelernt hat.
„Walter Gordon von Lochinvar“, sagte sie, „ist ein schottischer Gentleman. Er wird niemals das in Erinnerung behalten wollen, was eine Dame zu vergessen wählt.“
Doch Lochinvar selbst, sonst schnellsten Witzes mit der Zunge und schärfsten Klinge im ernsteren Streit, sprach diesmal kein einziges Wort. Denn in dem Augenblick, da er Kate McGhie erblickt hatte – wie sie, den schönen Kopf auf die verschränkten Hände gelegt, an der Seite ihrer Freundin ruhte –, war er von den sicheren Höhen der Bewunderung in die bodenlosen Tiefen der Liebe gestürzt.
Während die beiden noch so von Angesicht zu Angesicht standen, und ehe Kate sich wieder in zurückhaltender Haltung auf das niedere Fenstersitzpolster niedergelassen hatte, trat Will Gordon herein und stellte sein Musketengewehr in die Ecke.
Er war schlicht gekleidet – in das dunkle Grau des Regiments der Hill Folks, mit dem blau-weißen Andreaskreuz auf der Brust. Seine Frau erhob sich, um ihn zu begrüßen, küsste ihn – und dann, sie noch bei der Hand haltend, wandte er sich an das große, schlanke Mädchen am Fenster.
„He, Kate, mein Kind!“, rief er. „Welcher gute Wind hat dich von den Nebellanden jenseits des Meeres zu uns geweht?“
„Eher ein schneidender Unwetterstoß aus Schottland, das weiß ich gewiss,“ erwiderte Kate McGhie mit einem blassen Lächeln und reichte ihm die Hand.
„Dann haben uns die bösen Winde aus Schottland wahrlich Gutes gebracht hier in Holland“, sagte er gewandt – mit einem Augenzwinkern in Anlehnung an das alte schottische Sprichwort.
Doch das Mädchen ließ sich nicht beirren, und redete weiter, ohne auf das freundliche Kompliment einzugehen.
„Die Verfolgung wird immer grausamer auf den Hügeln des Südens“, sagte sie. „Mit den neuen Sheriffs und dem Toben des rotwütigen Grier von Lag, der über unser ganzes Galloway wütet, sah ich, dass es nicht lange dauern konnte, bis meine Taten und mein Glaube meinen gutmütigen Vater in Schwierigkeiten bringen würden. Und so, kaum dass ich es erkannte, stieg ich auf mein Pferd und ritt gen Newcastle, meist über die Höhen, fern der Landstraßen, auf denen die Soldaten des Königs kommen und gehen.
Dort – nach ermüdendem, gefährlichem Warten – gelang es mir, ein Schiff nach Rotterdam zu bekommen. Und hier bin ich nun – um mich auf eure Gastfreundschaft zu stützen!“
Sie schloss mit einer kleinen Geste, bei der sie die Hände öffnete und leicht von sich warf – eine Bewegung, die Wat Gordon ausgesprochen reizvoll fand.
„Du bist uns so willkommen in unserem armen Soldatenquartier, als wär’s der Palast des Statthalters selbst!“, antwortete William Gordon – wenn auch mit einem leichten Stirnrunzeln, denn er dachte an einen zusätzlichen Esser bei einem Soldlohn, der nie sicher kam.
Während sein Vetter sprach, hatte sich Wat Gordon langsam um den Tisch herumbewegt, bis in die Ecke des Fensters mit den Bleiglasscheiben – möglichst weit weg von Kate –, wo er nun stand und gedankenverloren auf den breiten Kanal hinausblickte, an dessen Ufern die ersten Lichter aufzuzucken begannen.
„He, Wat!“, rief Will und klopfte ihm liebevoll auf die Schulter, während er an ihm vorbeiging, um seine blaue Schärpe an einen Haken beim Fenster zu hängen. „Was schaust du so düster drein, Mann? Dieser Sauermilch-Ausdruck und das mürrische Schweigen – das passt zu einem ehemaligen Whig-Gärtner von Balmaghie, mit Hacke und Schaufel über der Schulter – aber schlecht zu einem fröhlichen Reiter in Douglas’ Dragonern, und zu einem, der beim Prinzen in hoher Gunst steht!“
Lochinvar schüttelte die Hand seines Vetters ein wenig ungeduldig ab. Er wollte nichts lieber, als einfach dort stehen und Kate McGhies Profil betrachten, das sich gegen das breite, glitzernde Wasser abzeichnete.Er wunderte sich, dass er zuvor so blind gewesen war für ihre Schönheit.Doch dann erinnerte er sich – jene Bewunderung früher in Schottland, das war nur Herzensleichtigkeit gewesen, das natürliche Spiel eines jungen Mannes mit der Kunst des Liebens.
Aber Walter Gordon wusste nun: Was ihn da ins Herz getroffen hatte – als er sie plötzlich sah, mit dem Kopf in den Händen, an Maisies Knie – das war keine Liebeskunst mehr. Das war Liebe.
„Wer war heute beim Hauptquartier im Dienst?“, fragte Wat, rau genug, dass man seine Verstimmung hörte.
„Wer wohl, wenn nicht Barra und seine barbarischen Inselhunde!“, entgegnete William Gordon.
Wat stampfte mit dem Fuß – jugendlich ungeduldig.
„Der Prinz zeigt diesen Hunden viel zu viel Gunst“, knurrte er.
Will Gordon ging zur Tür, öffnete sie und warf dann einen Blick zurück auf seine Frau.
„Komm her, mein Herz“, sagte er. „Heute ist Zahltag, und ich muss dir meinen Sold aushändigen, ehe mich die Versuchung überkommt, ihn mit flatterhaften Dragonern und nächtlichen Strolchen wie unserem Vetter hier zu vertrinken. Außerdem muss ich dich konsultieren – über Staatsangelegenheiten, versteht sich… vermutlich über den Kerzenpreis und den Zustand der Vorratskammer!“
Gehorsam erhob sich Maisie und glitt, wie es ihre Art war, leise wie Wasser durch die Tür – wie ein Mühlbach durch das Wehr.
Kate mit den dunklen Wimpern hingegen bewegte sich mit dem Lichterspiel und der Unvorhersehbarkeit einer Schwalbe im Flug. Doch nun saß sie still – ganz still – am dämmrigen Fenster, den Blick auf die Lichter gerichtet, die sich mehrten und zu spiegeln begannen in den ruhigen Wassern des geraden Kanals.
Eine Weile war Wat Gordon damit zufrieden, ihr Haupt im wechselnden Licht zu betrachten. Er hatte noch nie gesehen, dass ein Kopf so anmutig auf einem so zarten Hals ruhte. Er fragte sich, warum dieses Mädchen ihm plötzlich so wunderbar erschien – und wie blind er doch bislang gewesen war. Aber jetzt – jetzt war er vollkommen zufrieden, sie einfach nur anzusehen und zu schweigen.
Und so war es Kate, die als Erste das Bedürfnis nach Worten spürte.
„Dies ist ein fremdes, neues Land“, sagte sie nachdenklich. „Und es ist kein Wunder, dass mein Herz heute schwer ist – denn ich bin noch immer eine Fremde hier.“
„Kate“, sagte Wat Gordon leise, mit ernster Stimme, und beugte sich ein wenig näher zu ihr, während sie auf dem Fenstersitz saß, „Kate – ist das nicht umso mehr ein Grund, sich alter Freunde zu erinnern?“
„Und habe ich das nicht getan?“, entgegnete das Mädchen rasch, ohne ihn anzusehen. „Ich bin direkt aus meines Vaters Haus zu Maisie Lennox geritten – ich, ein Mädchen, allein. Sie ist meine älteste Freundin.“
„Aber... gibt es denn keine anderen?“, fragte der junge Mann mit leisem, eifersüchtigem Ton.
„Keinen, der nie vergessen, nie gering geachtet, nie geklagt, nie gezögert hat in seiner Zuneigung – außer meiner lieben Maisie Lennox“, antwortete das Mädchen. Sie erhob sich, ging zur Tür, hinter der das gedämpfte Murmeln freundschaftlicher Stimmen zu hören war.
Wat machte zwei schnelle Schritte vor, als wolle er ihr den Weg verstellen, doch sie glitt an ihm vorbei – leicht wie der Schatten eines vom Wind verwehten Blattes – und legte die Hand auf den Riegel.
„Willst du mich nicht wieder deinen Freund nennen – nach all diesen mühsamen Jahren?“, fragte er hastig.
Das große Mädchen öffnete die Tür und stand einen Moment still – ihre Gestalt zeichnete sich schmal gegen das Licht ab, das aus dem Flur strömte, wo Maisie inzwischen eine kleine holländische Lampe entzündet hatte.
„Ich liebe Freunde, die niemals erst wieder Freunde werden müssen“, sagte sie leise – und trat hinaus.
Allein zurückgeblieben ballte Wat Gordon die Fäuste im rasch dunkler werdenden Zimmer. Er trat ärgerlich zum Fenster zurück und verfluchte die Welt.
Es war eine schlechte Welt. Warum, um nicht mehr als ein hastiges Wort, ein unüberlegter Satz, ein Hauch eitles Flirtens mit einer Frau fast doppelt so alt wie er, sollte er die Freundschaft des einzigen Mädchens verlieren, das ihm je etwas bedeutete?
Die andere – jene, der er einst ein leichtfertiges Kompliment gemacht hatte – hatte er nie wiedergesehen. Er wollte sie auch nie wiedersehen.
Und dennoch – um nichts weiter als das wurde er nun verstoßen von der, die seine Seele liebte?
Es war eine harte Welt. Eine schlechte Welt.
Eine Welt, in der ein Mann mit schwer verdientem Gold und Silber bezahlen muss für das, wonach sein Herz sich sehnt und wonach seine Hand sich ausstreckt.
In diesem Moment hallte die Haustür unter dem lauten, ungestümen Pochen eines Besuchers. Will, sein Vetter, ging hinunter, und kurz darauf hörte Wat das Geräusch von ratternden Riegeln – dann das dumpfe, rauhkehlige Raunen einer Stimme, ganz nach Soldatenart, das das Treppenhaus erfüllte.
„Wat Gordon! Wat Gordon!“, rief eine Stimme, die ihm allzu bekannt vorkam. „Komm sofort herunter! Hier! Ich bring dir einen Brief – von deiner Liebsten!“
Und Wat schwor leise bei sich, dass er dem Kerl, der so taktlos wie schamlos eine solch falsche Botschaft in Hörweite des Mädchens mit den dunklen Wimpern hinausposaunte, den Mund schon noch zu stopfen wüsste.
Dennoch ging er rasch auf den Treppenabsatz und blickte hinunter.
Eine massige Gestalt versperrte die untere Treppe, und ein rundes, gerötetes Gesicht schimmerte wie ein Mond aus dem Dunst, während Maisie die Lampe hochhielt.
Eine Stimme, etwas heiser vom zu reichlichen Genießen, rief:
„Lochinvar, hier ist ein Brief für dich – vom Oberst! Möge er dir Glück bringen – aber möge der letzte Tropfen in dem Krug jenes Mannes, der mich aus der guten Gesellschaft und dem fröhlichen Humpen gerissen hat, der sauerste sein, denn er hat Davie Dunbar aus der geselligen Runde gerissen, damit er sich nun **mit dem Spülwasser jeder fettigen Frow in ganz Amersfoort bespritzen lassen darf – mitten in der Nacht!“
Und der stattliche Sergeant klopfte mit ärgerlicher Miene einige Tropfen undefinierbarer Herkunft von seinem Uniformrock.
„Nicht, dass die Gesellschaft übermäßig erlesen oder der Wein etwas anderes gewesen wäre als schlichter Gift! ‚Viele Kleine ergeben ein Großes,‘ sagt das alte schottische Sprichwort. Aber, beim Himmel – bei diesem Gebräu könnte man eher sagen: ‚Viele Große ergeben kaum ein Kleines!‘ Denn hätte es nicht wenigstens den Magen gefüllt, **dann wären zehn Pints von diesem Amersfoort-Zweipennybier nicht mehr zu spüren gewesen als eine Portion Spülwasser!“
„Kommt nur herein und setzt Euch, Sergeant“, sagte Mistress Maisie gastfreundlich, denn ihre Hand war langsam müde geworden vom Lampenhalten, während Sergeant Davie Dunbar noch in allen Farben das eben verlassene Vergnügen schilderte.
Inzwischen hatte Wat den grauen, offiziellen Brief aufgerissen – und stand nun da, gedankenversunken über den Zeilen, die er dort las.
„Und was steht in der Botschaft, dass du plötzlich so todernst dreinschaust, Wat?“, rief Davie Dunbar, trat näher und versuchte, ihm über die Schulter zu schauen, während Maisie und Kate McGhie sich leise im Hintergrund unterhielten.
„Ich bin beordert“, sagte Wat knapp, „zu einem Einsatz ins wilde Küstenland – eine Mission, die mir an sich gefallen würde, wäre sie nicht aus der Hand von Black Murdo of Barra gekommen.“
Davie Dunbar pfiff leise durch die Zähne.
„Wenn der Rabe das Haus verlässt, wird’s ein schlimmer Tag für das lahme Lamm!“, sagte er bedeutungsvoll.
Wat Gordon rückte sein Dragonermützchen schräg, das er beim Hinabsteigen aufgesetzt hatte.
„Ich bin Walter Gordon von Lochinvar – und auch wenn das Erbe im Moment nichts als ein leerer Titel ist, so bin ich doch ein Gentleman-Private in den schottischen Dragonern des Prinzen. Und ich achte den Earl of Barra nicht höher als einen gemeinen Geier!“
„Dann bist du in Wahrheit ein naives Lämmchen, mein Junge“, konterte Sergeant Dunbar. „Du verstehst wenig vom Kriegshandwerk, wenn du schon zu Beginn eines Feldzugs damit anfängst, deinen Feind zu unterschätzen! Ich sage dir: Murdo von Barra trägt unter seinem Highland-Bonnet mehr Verstand als alle deine bunten Dragoner von Douglas zusammen – vom fluchenden Oberst bis zum trommelnden Säugling, der noch nicht richtig gehen kann, aber schon fluchen lernt wie ein Marktweib!“
Wat Gordon schüttelte den Kopf – mit einer Mischung aus unbeirrbarem Ernst und stiller Skepsis.
„Ich bin schon in manch wildem Winkel gewesen, und mein Schwert hat mir den Weg gewiesen. Das gebe ich zu. Aber so viel gestehe ich ebenfalls: dieser Auftrag behagt mir nicht. Doch dass ich Furcht vor Barra hätte – niemals.“
Er reichte Davie Dunbar das Schreiben. Der Sergeant las mit lauter Stimme:
„Walter Gordon, genannt ehemals von Lochinvar, Soldat der Schottischen Dragonergarde Seiner Hoheit des Prinzen,
Ihr seid beordert, die exakte Stärke aller Regimenter im Lager und in der Stadt Amersfoort zu ermitteln – ihre Befehlshaber, die Zahl der Kompanien sowie derjenigen Männer, die nicht durch die Musterung gelangen, das Verzeichnis der an Fieber Erkrankten und Genesenden, die Zahl und Stellung der Geschütze auf den Werken.
Diese Listen habt Ihr eigenhändig einem beauftragten Offizier zu überbringen, der Euch im Gasthaus von Brederode bei den nördlichen Sanddünen erwartet und Euch dafür eine Quittung aushändigen wird. Diese Quittung ist aufzubewahren und mir als Zeichen der Erfüllung Eures Auftrags zurückzugeben.
Die Offiziere der Regimenter und die Kommandanten der Batterien sind hiermit befohlen, Euch umgehend und wahrheitsgetreu Auskunft zu erteilen.
(Gezeichnet)Im Auftrag des Statthalters und der Generalstaaten,Barra, Provoßt-Marschall von Stadt und Lager.“
William Gordon war während der Verlesung eingetreten und betrachtete nun das Schreiben mit sichtbarem Stirnrunzeln.
„Da wird’s Tote geben“, sagte er trocken, „wenn du unserem Oberst vor die Stiefel trittst und ihn fragst, wie viele von seiner Truppe bereits im Lazarett liegen – und wie viele der Rest dem Fieber entgegenwanken.“
Aber Wat Gordon richtete sich auf, zog den Schwertgurt fester, ließ das Heft so rutschen, dass es locker in Griffhöhe saß. Dann warf er das Mandat leicht in die gespreizten Finger der Linken, ehe er es an den Gürtel steckte.
„Es ist immerhin ein Befehl“, sagte er feierlich. „Und solange ich in des Prinzen Dienst stehe, will ich meine Befehle auch ausführen.“
„Und was, bei allem Respekt, würdest du sonst tun, Bürschchen“, warf Sergeant Davie Dunbar ein, „außer deine Befehle auszuführen – solange zumindest, wie du dir sicher bist, dass der Kerl, der sie gibt, auch das Recht dazu hat?“
KAPITEL II
WARUM KATE LOCHINVAR HASSTE
Es war der Abend des folgenden Tages, ehe Wat Gordon zum Aufbruch bereit war. So lange hatte es gedauert, alle entscheidenden Informationen über die Stärke der Heere der Generalstaaten und ihrer Verbündeten zusammenzutragen – jenes Kräfteaufgebot, das in Amersfoort versammelt worden war, um die drohende Invasion des Königs von Frankreich zurückzuschlagen.
Zweimal an diesem Tag war er hastig in die Wohnung seines Vetters geeilt, nur um einen Bissen zu ergattern, doch bei keinem dieser Gelegenheiten war es ihm gelungen, auch nur einen Blick auf Kate zu erhaschen.
Nun war es die blaue Dämmerung, und die Nacht versprach klar und kühl zu fallen. Ein flacher Nebel sammelte sich da und dort hinter den Sträuchern, kroch wie ein Tier am Boden entlang, über die stillen Kanäle.Doch über allem war der Himmel rein, und die Sterne traten hervor, einer nach dem anderen, in ihren vertrauten Konstellationen.
Zum dritten – und letzten – Mal ging Wat hinauf in die Wohnung seines Vetters, obwohl seine Eskorte bereits wartete. Und noch einmal nahm Maisie ihn sanft bei der Hand, um ihm einen leisen Segenswunsch auf seinen gefährlichen Weg mitzugeben. Doch selbst während seine Cousine zu ihm sprach, irrte sein Blick unruhig durch den Raum.
Er sehnte sich nicht nach weichen Worten, sondern nach einem Tadel, der aus einem anderen Munde kam. Nicht Maisies willigen, sanften Abschiedskuss wünschte er sich – sondern die kühle, widerwillige Berührung einer anderen Hand.
„Cousine“, sagte er schließlich – zögernd, beinahe verlegen –, „ich bitte Euch, richtet Mistress Kate meinen Abschiedsgruß aus – da sie offenbar nicht selbst hier ist, um mich zu verabschieden. Was, meint Ihr, habe ich getan, dass sie mir so zürnt?“
„Ach, Wat“, antwortete die sanfte Maisie, „darüber musst du selbst zur Erkenntnis kommen – wenn du zurückkehrst.“
„Doch hört, Cousine Maisie – dieser Auftrag, zu dem ich nun aufbreche, ist mir eine Sache auf Leben und Tod. Vieles spricht dafür, dass ich vielleicht nie zurückkehren werde.“
„So will ich zu meiner Freundin Kate gehen“, sagte Maisie, „und sehen, ob sie nicht doch kommt, um dir ein Wort der guten Reise und der sicheren Heimkehr zu wünschen.“
Und damit glitt Maisie hinaus – lautlos wie ein weißer Schwan, der über den See zieht.
Nach einer Weile kehrte sie zurück – mit Kate an der Hand, und im Kontrast zu Maisies sanfter Matronengestalt wirkte sie schlank und biegsam wie ein junger Weidenzweig.
„Hier ist unsere Kate“, sagte Maisie beim Eintreten, „unser Vetter Wat ist gekommen, um sich zu verabschieden. Er geht einen weiten Weg, eine schwere Aufgabe liegt vor ihm. Er möchte den Freunden Lebewohl sagen, die er in diesem fremden Land gefunden hat – und du bist doch eine davon, nicht wahr, meine Kate?“
Kaum hatte Maisie ihre Hand gelöst, ging das Mädchen ohne ein Wort direkt zum Fenster. Dort stand sie nun – anmutig an den Fensterladen gelehnt, mit der Wange sacht dagegen geschmiegt.
Sie wandte sich ein wenig, und zitterte fast unmerklich bei Maisies eindringlicher Bemerkung.
„Wenn Walter Gordon das sagt, dann wird es wohl so sein“, antwortete sie – mit leiser Bitterkeit, die so ruhig ausgesprochen war, dass sie doppelt schneidend klang.
Lochinvar war tief getroffen von ihren Worten. Er trat etwas näher an sie heran, die Hände nervös vor sich gefaltet, das Gesicht so ernst und bleich, wie es selbst vor einem Feind nie gewesen war. „Kate“, sagte er, „ich frage dich noch einmal: Worin habe ich so schwer gegen dich gefehlt, dass du mich, seit deiner Ankunft in diesem Land des Exils, behandelst wie einen Hund – ja, schlimmer noch: wie einen herrenlosen Streuner? Es ist wahr, dass ich einst – vor langer Zeit – töricht war, schuldig, schwarz und bitter im Unrecht, wenn du willst. Doch heute bitte ich dich demütig: Vergib mir, ehe ich gehe – vielleicht gehe, um nie mehr wiederzukehren.“
Das Mädchen sah ihn an, und in ihren Augen lag ein seltsames Licht – Hohn, Mitleid und Eigenwille, die miteinander um die Vorherrschaft rangen. Schließlich sagte sie, in harter, trockener Stimme:„Es gibt nichts zu vergeben. Wäre da etwas gewesen, so hätte ich dir längst vergeben. Aber so wie es ist – habe ich es einfach vergessen.“
Maisie hatte das Zimmer verlassen, und es lag tiefe Stille über dem Raum und ringsumher, nur unterbrochen vom fernen Rufen holländischer Kinder, die spät noch an den Kanälen von Amersfoort spielten, und vom Klappern der heimkehrenden Holzschuhe auf dem Pflaster. Der junge Mann richtete sich auf, bis seine Gestalt sich wie ein Wachturm über die Stadtmauer erhob, und seine Augen ruhten fest auf ihr. Kate hatte plötzlich das Gefühl, dass eine Art verzweifelter Liebe in der Luft lag, und dass er vielleicht – wer weiß – im nächsten Augenblick versuchen könnte, sie heftig in seine Arme zu reißen. Und vielleicht wäre es für beide besser gewesen, wenn er es getan hätte. Denn in eben jenem Moment hob sie den Blick, und ihr Herz geriet ins Schwanken. Er war so groß und stark. Ihr Kopf würde kaum bis zu jenem blauen Band reichen, das seinen Schultertressen an der Brust hielt. Sie fragte sich, ob seine Arme wirklich so stark wären, wie sie aussahen – wenn sie sich plötzlich darin wiederfände, geborgen und gehalten.
„Kate …“, sagte er leise, sehnsuchtsvoll, und trat noch ein wenig näher. Doch Wat Gordon hätte nicht sprechen sollen. Das eine Wort, gesprochen in der Stille, brachte das Mädchen schlagartig zu sich selbst zurück. Instinktiv streckte sie die Hand aus – als wollte sie etwas Bedrohliches, etwas Übermächtiges abwehren. Der Graben tat sich in diesem Augenblick auf zwischen ihnen, und die große Welle von Wat Gordons Gelegenheit ebbte so schnell wieder ab, wie sie gekommen war.
Doch nur einen Moment später – als das Mädchen die langen, dunklen Wimpern hob und die Augen darunter hervorstrahlen ließ, so scheu wie leuchtend – da sah Wat Gordon in diese Tiefen, bis ihm der Atem schnell und kurz durch die Nase ging, und es war ihm, als jage ein wirres Glockengeläut durch sein Herz. Er stand da wie ein scheues Tier des Waldes, frisch gefangen in einer Falle.
„Nun?“, sagte sie – fragend, doch weicher als zuvor gesprochen. Wat ballte die Fäuste. In diesem einen Silbenwort legte sie ihm alle Schuld, alle Beweislast, jede Erklärung für die Vergangenheit allein auf die Schultern. Und die Aussichtslosigkeit dieser Aufgabe schnitt ihm tief ins Herz.
„Kate!“, rief er, „ich will dich nicht noch einmal um Vergebung bitten. Aber wenn ich nicht zurückkehre, so glaube wenigstens, dass ich würdiger gestorben bin, als ich vielleicht gelebt habe – obwohl ich nie so gelebt habe, dass du dich meiner schämen müsstest, selbst wenn du mich in meiner schlimmsten Stunde gesehen hättest. Und bevor ich gehe – gib mir wenigstens ein Liebespfand, das ich bei mir tragen kann bis zu meinem Tod.“
Kates Lippen öffneten sich, als hätte sie etwas zu erwidern, wenn sie nur wollte. Doch stattdessen schwieg sie mit einem kaum merklichen Lächeln und ließ ihren Blick scheinbar gleichgültig durch das Zimmer schweifen. Auf einem kleinen Schränkchen aus dunkler Eiche lag ein einzelner, abgetragener Handschuh. Sie hob ihn auf und reichte ihn Wat. Der junge Mann ergriff das Handschuhstück mit hastiger Leidenschaft, presste es an die Lippen und steckte es dann tief in den Brustlatz seines Uniformrocks. Er wollte nach der Hand greifen, die ihm das Geschenk überreicht hatte – doch ihre nächsten Worte, von mädchenhafter Unschuld und zugleich schalkhafter Bosheit getragen, erstickten seinen Dank im Keim.
„Ich habe nichts Eigenes, was ich geben könnte“, sagte sie. „Ich bin ja erst eben vom Meer her gekommen. Aber dieser Handschuh von Maisie tut’s vielleicht ebenso gut. Außerdem hörte ich sie gestern sagen, dass sie sein Gegenstück schon vor einiger Zeit auf dem Markt von Amersfoort verloren habe.“
Mit heftigem Griff riss Wat Gordon den Handschuh aus seinem Rock und schleuderte ihn im Zorn zum Fenster hinaus in den Kanal. Dann straffte er die Schultern, wandte sich auf dem Absatz und setzte an, mit stolzem Trotz und glühender Empörung den Raum zu verlassen.