Logbuch eines Dackels - Antje Paradies - E-Book

Logbuch eines Dackels E-Book

Antje Paradies

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Beschreibung

Raffi on Tour Eine junge Frau, die ein schlimmes Erlebnis hatte und ihre Existenz als Auswanderin in Marokko aufgeben musste, versucht ihren Erinnerungen zu entfliehen und stürzt sich in einen hippiemäßigen Roadtrip durch Europa. Ungeplant mit an Bord ist der Familiendackel Rafael, der nachts heimlich Logbuch über die Reise führt. Er unterstützt die Frau bei der schwierigen Wende, ihr Leben wieder in ruhigeres Fahrwasser zu bekommen. Das Buch ist ein liebevoller, kaleidoskophafter Roadtrip, der auf eine spritzige Art unterhält und gleichzeitig die Seele wärmt. Wer Hunde mag, wird den Dackel Rafael nie vergessen.

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Antje Paradies

Logbuch

eines Dackels

Der charmanteste und bunteste Roadtrip ever

Dieses Buch ist bei der Deutschen Nationalbibliothek registriert. Die bibliografischen Daten können online angesehen werden: http://dnb.d-nb.de

1. Abfahrt

Jemand ergriff mich ungestüm und lief mit mir auf dem Arm hinaus in die kalte Nacht.

»Bitte fahr nicht allein. Nimm wenigstens Rafael mit!« Stumme ernste Blicke wurden ausgetauscht. Bevor ich die Situation begriff, fand ich mich auf dem Beifahrersitz im alten VW-Bus wieder. Der Motor heulte auf, und schon ging es los.

Straßenlichter zogen in zunehmender Geschwindigkeit an uns vorbei. Es dauerte nicht lange, da neigte sich die Tachonadel in einen waghalsigen Bereich, bis sie in ihrer Bewegung stagnierte und vor Anstrengung zu zittern begann. Der Bulli selbst dröhnte markerschütternd und erweckte den Anschein, er könnte jeden Moment auseinanderfliegen, doch die Fahrerin gab weiterhin Vollgas. Nervös musterte ich sie von der Seite. Sie schien alles fest im Griff zu haben, abgesehen von den Tränen, die unkontrolliert über ihre Wange rollten.

Warum die junge Frau innerlich so aufgelöst war, wusste ich nicht. Überhaupt kannte ich sie kaum. Als ich noch klein war und die Familie mich zu sich nahm, packte sie bereits ihren Koffer für Marokko und verschwand damit jahrelang von der Bildfläche. Ich wusste nicht mal ihren Vornamen, weil jeder sie bloß »Tante« rief. Und nun saß Tante neben mir im VW-Bus und trat auf das Gaspedal, als gäbe es keinen Morgen.

Bis heute verlief mein Leben als Dackel in absolut ruhigen Bahnen. Mein Herrchen ist Rentner und lebt mit seiner Frau auf einem Resthof direkt an der friesischen Küste in der Nähe von Wilhelmshaven. Zur Zeit meiner Adoption hatte die ältere Tochter schon eine eigene Familie gegründet – nur die jüngere wohnte noch mit im Elternhaus, aber sie war wie erwähnt flügge und organisierte ihren Flug nach Marokko. Nachdem auch sie ausgezogen war, erkannten meine Zieheltern in mir ihr letztes Nestküken und verwöhnten mich nach Strich und Faden.

Auch während meiner Berufsausbildung hatte ich nichts auszustehen. Jagdhund zu werden war mein sehnlichster Wunsch, und so durchlief ich meine Lehrzeit ohne Probleme. Nach bestandener Abschlussprüfung durfte ich Herrchen endlich in sein Jagdrevier begleiten. Vor mir eröffnete sich der Himmel auf Erden, allerdings erkannte ich bald, dass dieser erhebliche Grenzen aufwies. Zwar hatte ich bei meiner Ausbildung klassisches Nachlesen und das Apportieren von Kleinwild gelernt, aber in meinem Berufsalltag kamen solche Aufgaben kaum zum Tragen. Herrchen zielte es in erster Linie auf die Renaturierung seines Jagdgebietes ab, das früher eine Moorlandschaft gewesen war, somit bestand meine Hauptaufgabe lediglich darin, Herrchen bei seiner Arbeit Gesellschaft zu leisten. Ich war ziemlich frustriert deswegen, doch schließlich arrangierte ich mich mit meinem geringen Arbeitspensum. Ich lag viel in der Sonne, sozusagen mein gesamtes Berufsleben, obwohl das genau genommen nicht ganz der Wahrheit entspricht, denn wegen meines schwarzen glatten Fells streckte und reckte ich mich vorzugsweise im Schatten.

Ich mag mein ruhiges Hundeleben, ganz bestimmt sogar, doch jeden Abend auf dem Sofa führt mir die Glotze schonungslos vor Augen, dass ich noch nie etwas Aufregendes erlebt habe. Dann ergreift mich stets eine Welle aus Wehmut, aber bevor sie mich herunterziehen kann, gleite ich in einen seligen Schlaf.

Die Abenteurerin in unserer Familie ist unweigerlich die jüngere Tochter meines Herrchens. Besagte Tante aus Marokko! In all den Jahren, die Tante ausgewandert war, hatte sie es hin und wieder auf die Reihe gekriegt, ihre Eltern in Friesland zu besuchen. Mir kam das immer so vor, als wäre ein Paradiesvogel an unserer Küste gelandet. Die Frau kombinierte Grungeklamotten mit bunt schillernden Abendkleidern aus den 60er-Jahren, und seit sie in Marokko lebte, dekorierte sie sich zusätzlich mit orientalischen Schmuck. Ich für meinen Teil fand ihren Look erfrischend, aber von Frieslands Warte aus betrachtet, musste sie von einem fernen Planeten stammen.

Und nicht nur optisch fiel Tante aus dem Rahmen. Im Vergleich zu den Menschen ihrer Heimat wirkte sie auch mental wie eine norddeutsche Anomalie. Sie war impulsiv, lachte oft und versprühte unaufhörlich Heiterkeit. Graue verregnete Tage gab es für sie einfach nicht. Selbst das schlimmste Sturmtief konnte sie nicht davon abhalten, Leuten freudestrahlend entgegenzugehen, und kein einziger dichter Seenebel vermochte ihre positive Sichtweise einzutrüben. Sie war noch jung, keine Frage, doch größtenteils entsprang diese überbordende Weltoffenheit tatsächlich ihrer Persönlichkeit.

Dementsprechend kam bei Tantes Besuchen richtig Leben in unsere Bude – besonders akustisch. Die Frau hörte ausschließlich Hippiesongs, aber nach ihrem ersten Jahr in Marokko brachte sie diesen wummernden Psytrance mit! Als sie den Sound oben in ihrem ehemaligen Kinderzimmer das erste Mal auf volle Lautstärke drehte, rannte Herrchen prompt durch das Haus und rief panisch, dass die Waschmaschine kaputt sei und der Schleudergang sofort ausgeschaltet werden müsse. Unbeirrt dessen stampfte Tante die »beats per minute« einfach weiter, bis unten in der Diele der Putz von der Decke rieselte und Herrchen mittlerweile vollkommen kopflos den Strom abstellte.

Mit den Jahren beobachtete ich zig Marotten, die Tante aus dem Ausland mitbrachte. Eine davon wurde von Herrchen jedoch unerbittlich aus dem Haus verbannt. Tante rauchte Wasserpfeife! Eigentlich ist das Teil ein Mitbringsel für ihre Eltern gewesen, aber nachdem die Auswanderin feststellen musste, dass das gute Stück auf einem Bauernschrank verstaubte, nahm sie sich selbst der Shisha an. So konnten wir gelegentlich vom Garten aus Tante in einem wallenden Abendkleid auf der Deichkrone sitzen sehen, umringt von Tabakwolken und neugierigen Schafen.

Trotz jener Andersartigkeit liebte die Familie ihre seltene Gästin. Die Kinder ihrer Schwester konnten die Besuche ihrer Tante sogar kaum abwarten, eben weil sie so ein lustiger Vogel war. Und flog sie wieder zurück nach Afrika, wurde sie von allen schmerzlich vermisst.

Nur meine Wenigkeit hatte keine Verbindung zu Tante. Sie führte ein hippes und bewegtes Leben, wohingegen ich mir wie ein totales Landei vorkam, das sich in keiner Weise entfalten konnte, nicht einmal beruflich. Schon ihre bloße Anwesenheit versetzte meinem Herzen kleine Stiche, weshalb ich es ihr gegenüber hart machte oder der Frau ganz aus dem Weg ging. Die Weltenbummlerin musste das irgendwie gespürt haben, denn bei ihrem nächsten Besuch hatte sie einen getrockneten Seestern für mich nach Deutschland geschmuggelt. Ewig habe ich auf dem leckeren Teil herumgekaut. Später verbuddelte ich den aufgeweichten Stern klammheimlich im Kartoffelacker, damit er sein fischiges Aroma delikat weiterentwickeln konnte. Das Ergebnis nach ein paar Tagen war geradezu umwerfend! Seitdem freute auch ich mich auf Tantes Stippvisiten in Friesland und bändelte ein wenig mit ihr an.

Nach ihrem letzten Besuch blieb Tante für eine ungewöhnlich lange Zeit ihrer Heimat in Norddeutschland fern, und als sie endlich wieder zu uns nach Hause kam, teilte sie uns mit, dass es für immer sei. Noch überraschender jedoch war ihre Verfassung. Tante sah abgemagert aus und wirkte extrem in sich gekehrt. Von ihrer gewohnten Lebensfreude versprühte sie keinen einzigen Funken mehr. Es schien fast so, als wäre sie ein vollkommen anderer Mensch geworden. Herrchen und seine Frau begriffen sofort, dass es ihrer Tochter psychisch schlecht ging, aber alle Versuche, sie zum Reden zu bringen, scheiterten und endeten nicht selten damit, dass sich die Heimgekommene in ihrem Zimmer verschanzte. Somit wusste niemand, was in Marokko vorgefallen war, noch wie man Tante aus ihrer Lage heraushelfen konnte. Es war eine verstörende Situation.

Jetzt in diesem Augenblick erschien mir die Frau befremdlicher denn je. Sie hielt sich krampfhaft am Lenkrad fest, starrte verbissen geradeaus und raste durch die Dunkelheit. Ich registrierte etliche Autobahnschilder, aber sie schien kein einziges davon wahrzunehmen. Stundenlang ging das so. Ich verhielt mich mucksmäuschenstill.

Irgendwann fuhr sie rechts ran, stellte den Motor ab und fing hemmungslos an zu weinen. Die Tränen platschten nur so auf ihre Jeans. Ich wusste nicht, was ich tun sollte, also folgte ich meinem Instinkt, kletterte auf ihren Schoß rüber und hielt ihr gentlemanlike meine Schlappohren hin, die sie sogleich in ihren Händen aufgewühlt zerknetete.

»Ach Raffi …«, schluchzte sie.

Da sah man endlich mal wieder ihr Lächeln! Hatte ganz vergessen, wie niedlich das war. Entzückt wedelte ich mit dem Schwanz und überlegte, ob Tante sich nun einigermaßen beruhigt hatte und wir wieder zurück nach Hause fahren würden, stattdessen warf sie den Motor schwungvoll an und fuhr weiter in dieselbe Richtung. Erst am Vormittag hielten wir erneut. Die Fahrerin parkte vor einem Laden für Tierbedarf und kaufte ein Hundekörbchen, Spielzeug, eine Flexi-Leine und mehrere Paletten Futter. Sie lud alles hinten in den Bulli und sagte: »Nun denn. Willkommen an Bord!«

Unsere Fahrt sollte wohl noch etwas länger dauern. Und als ich mir den anderen Kram im Laderaum anschaute, erkannte ich, dass Tante zu einer Reise aufgebrochen war!

2. Im Tulpenmeer

Ich war total geflasht. Von meiner ungeplanten Reise, vom Autobahnkrach und von Tante. Und die Frau flanierte mit mir über einen holländischen Wochenmarkt. Es war fast Mittag und die Leute tummelten sich lebhaft an den Verkaufsständen. Mein Interesse wurde von dem massenhaft dargebotenen Käse geweckt. Fast überall konnte man davon kleine Würfel der verschie­denen Sorten probieren. Tante griff an jedem Stand beherzt zu und ließ die schmackhaften Testversionen dann und wann auf den Boden fallen. Gebannt heftete ich mich an ihre Fersen, bis die Frau frisches Brot, eine Tüte ungepulten Granat und so anderes Zeugs eingekauft hatte, obendrein ein Schaffell für meinen neuen Hundekorb.

Gleich danach fuhren wir raus aufs Land und machten ein sonniges Picknick in einem Gebiet, welches augenscheinlich dem Tulpenanbau diente. Die Felder reichten bis zum Horizont und überzogen die Landschaft mit leuchtenden Blockstreifen. Und mitten in dieser hübschen Einsamkeit stand unser lindgrüner VW-Bus mit luftig aufgezogener Schiebetür. Herrlich!

Nach Tantes endgültiger Rückkehr aus Afrika war sie notgedrungen in das Kinderzimmer bei ihren Eltern eingezogen. Für eine Frau im Alter von Mitte zwanzig, die noch dazu ein unabhängiges Leben im Ausland geführt hatte, musste das deprimierend sein, doch als ihr ein Nachbar völlig unverhofft seinen Bulli zum Kauf anbot, zögerte Tante nicht lange und schnappte sich den alten Kahn. Mit seinem Baujahr 1979 galt er zwar längst als Oldtimer, aber weil er die meiste Zeit seines Daseins in einer Scheune gefristet hatte, war er gut im Schuss. Binnen weniger Tage wurde der VW-Bus Tantes eigenes kleines Reich.

Sie baute die hinteren Sitzbänke raus und warf eine Schlafmatratze rein, gefolgt von zitronengelben Bettzeug und einem Haufen Kissen. Ans Fußende der Matratze stellte sie eine antike Seemannskiste, auf der sie Stumpenkerzen in unterschiedlichen Farben platzierte. Die Fenster im Laderaum hatten beigefarbene Samtvorhänge, doch Tante peppte sie auf, indem sie alle mit silbrigen Quasten raffte. Zum Schluss hing sie noch eine Discokugel unters Dach, dessen Lichtreflexionen dem VW-Bus von innen eine psychedelische Tapete verpassten. Für meinen Geschmack ist das Interieur ein wenig zu hippiemäßig geworden, aber heute sahen die Millionen von Tulpen um uns herum aus wie ein passender Flokati und das beeindruckte mich dann doch.

Mit Krabbenfleisch verschmierten Händen holte Tante eine Sektflasche hervor und ließ den Korken fliegen, den sie in dem Meer aus Knallfarben unabsichtlich versenkte. Reflexartig rannte ich los und fand das Teil dank meiner feinen Nase binnen weniger Sekunden. Als ich mit dem Korken zwischen meinen Zähnen aufschaute, um Tante meinen Fund voller Stolz zu präsentieren, stellte ich fest, dass ich in einem Dickicht aus Papageientulpen untergegangen war. Über mir wogen sich ausgefranste und gerüschte Blütenblätter in den grellsten Farben im Wind. Zuerst war mir das voll peinlich, aber dann ging mir auf, dass ich das allererste Mal in meinem Leben aus dem eintönigen Friesland rausgekommen war und unbekanntes Terrain betreten hatte. Ich bin noch nie woanders gewesen, geschweige denn im Ausland! Endlich würde ich etwas von der Welt sehen und vielleicht sogar das ein oder andere Abenteuer erleben!

Mein Herz erhob sich regelrecht vor Freude, bis ich leichtfüßig wie ein junges Reh über das Feld zu springen begann. Dabei tauchte mein Kopf immer nur für einen Moment aus dem Tulpenmeer heraus, was für Tante recht bekloppt ausgesehen haben muss, zudem ich noch immer den Korken im Maul hatte und ein superbreites Grinsen. Im Geiste verbuchte ich dieses Bild als meinen ersten Reiseschnappschuss.

Zurück an Bord bedankte Tante sich für den Sektkorken fast überschäumend vor guter Laune. Sie prostete mir zu und trank etwas Blubberwasser direkt aus der Flasche. Solch eine Ausgelassenheit hatte ich schon ewig nicht mehr bei der Frau erlebt. Selbst die Dramatik der letzten Nacht schien sie vergessen zu haben. Vermutlich feierte sie ihren Reiseauftakt und ließ alles hinter sich, wenn auch nur für einen Moment.

Später chillten Tante und ich gemeinsam auf der Matratze. In Gedanken trieb ich weit über den Horizont der Tulpenfelder hinaus, fantasierte ferne Inseln und Häfen bis in das Land meiner Träume hinein. Mir dämmerte, dass diese Reise mit Tante in dem VW-Bus recht bunt werden könnte, weshalb ich es bedauerte, dass ich keine echten Fotos würde machen können. Dann aber kam mir die Idee, eine Art Logbuch zu führen, um meine dackeligen Reisememoiren wenigstens verbal zu konservieren. Bildhaft und blumig und mit viel Farbe – passend zu einem Trip mit Hippie, jedoch ohne die akribische Datenerhebung, für das ein Logbuch eigentlich gedacht ist.

Dass wir Dackel überhaupt lesen und schreiben und Farben sehen können, obliegt Jahrhunderten von Züchtung – dem Wunsch der Menschen, unsere Beine extrem kurz zu gestalten, dazu kräftige Pfoten und einen lang gezogenen drahtigen Körper. Alles in allem geeignet für das Eindringen in enge Dachsbauten und Fuchshöhlen. Dafür sind wir ursprünglich geschaffen worden und mussten uns stets unserem Schicksal fügen. Eines Tages rächte sich das. Noch bevor die Züchtung unserer Rasse im Groben abgeschlossen war, kam es unbemerkt zu Mutationen in unseren Gehirnen. Unter den Schlappohren braute sich mächtig was zusammen, bis unser Denkvermögen dem des Homo sapiens ähnlich geworden war, und wir wachten auf!

Wir hüteten uns jedoch davor, Menschen Hinweise auf jene zerebrale Ebenbürtigkeit zu vermitteln. Sie hätten uns mit Sicherheit als Hexenwerk interpretiert und jeden lebenden Dackel auf diesem Planeten ausgerottet. Also ließen wir unser wahres Bewusstsein höchstens als eine charakterliche Eigenwilligkeit unserer Rasse hervorblitzen, wobei die dämlichen Zweibeiner nie Lunte gerochen haben.

Von Generation zu Generation wurden wir schlitzohriger. Im Schutze der Nacht verließen wir unsere Hundehütten und Weidenkörbchen, um uns mit anderen Dackeln der Gegend zu treffen und auszutauschen. Dabei lernten wir nicht nur verbal miteinander zu kommunizieren, sondern wurden des Lesens fähig. Falls uns ein Mensch mit einer Zeitung im Maul erwischte, tarnten wir uns mit Blödheit und zerfledderten das Papier.

Das mit dem Schreiben gestaltete sich um einiges komplizierter. Einen Stift zu halten ist uns aufgrund unserer Anatomie nie gelungen, Tasten zu drücken dagegen schon, weil aber nur wenige von uns Zugang zu einer Schreibmaschine hatten, fand diese Kommunikationsform bei uns kaum Beachtung.

Ein amerikanischer Dackel wendete dieses Blatt. Er schaffte es tatsächlich, einen ganzen Roman zu tippen und unter einem Pseudonym zu veröffentlichen. Inhaltlich ging es in der Geschichte um einen Collie namens »Lassie«. Als Hund war Lassie außergewöhnlich schlau, aufopfernd und liebenswürdig, vor allem aber lebte er mit seinem Herrchen auf einer Augenhöhe. Seither betrachteten Menschen ihre Vierbeiner vermehrt als freundschaftliche Gesellschafter, und die reine Nutztierhaltung von Hunden verblasste.

Dieser sensationelle Erfolg trug damals dazu bei, dass der »Geheimbund der Dackel« gegründet wurde und unsere Mission ihren Anfang nahm. Wir wollten erreichen, dass die Menschheit uns eine Wertschätzung entgegenbringt, welche es uns erlauben würde, uns gefahrlos zu outen.

Den Durchbruch unserer Vision lieferte die Erfindung des Internets. Wir schrieben uns E-Mails, vernetzten uns global und mit voranschreitender Technik skypten wir sogar. Auf diese Weise haben wir Dackel uns enorm weiterentwickelt, bis wir an dem Punkt angekommen waren, die Welt der Menschen systematisch infiltrieren zu können. Seither arbeiten die meisten von uns als Ghostwriter, posten, twittern und kommentieren in den sozialen Netzwerken oder texten auf eigenen Webseiten jedweden Inhalt, der unserer Mission dienlich sein könnte. Vom Artikel über mitleiderregende Straßenhunde bis hin zur witzigen Kolumne in Sachen Hundehaltung ist alles vertreten. Millionen von Menschen haben, ohne es zu wissen, Texte von uns Dackeln gelesen, mit uns gechattet oder uns geliked und im besten Fall ein Samenkorn unserer Botschaft in sich aufgenommen.

Ich persönlich habe zu der Arbeit des Geheimbundes noch keine einzige Zeile beigetragen, abgesehen davon, dass ich meinem Kumpel Spike mein süßestes Welpenfoto für seinen Hundeblog zur Verfügung gestellt habe. Selbst in irgendeiner Form als Schriftsteller zu arbeiten, habe ich mir nie zugetraut. In meiner Freizeit beschäftige ich mich ohnehin lieber mit verfilmter Literatur. Und läuft die Glotze mal nicht, schmökere ich in den Einrichtungszeitschriften, die bei mir zu Hause stapelweise rumliegen. Ich habe ein totales Faible für Innenarchitektur und stehe darauf, wenn auch nur in Gedanken, weiträumige Hundehütten einzurichten. Flache Texte zu schreiben käme mir als Letztes in den Sinn.

Wohin die Reise mit meinem Logbuch geht, weiß ich nicht. Ob sich am Ende eine brauchbare Message für den Geheimbund der Dackel findet, die es unbedingt zu veröffentlichen gilt, noch weniger. Ellenlang recherchierte Texte über unsere Reiseziele werden in meinem Logbuch erst recht kein Land gewinnen, denn auf Tantes Laptop kann ich zwar ganz manierlich tippen, aber Internetzugang hat die Frau nur auf ihrem Smartphone, dessen winziger Touchscreen die reinste Zumutung ist. Und für rührselige Dichtereien, die vor Emotionalität nur so triefen, bin ich wohl schlichtweg und ergreifend zu norddeutsch. Entgegen all dieser literarischen Macharten habe ich beschlossen, mein Logbuch einfach frei nach Schnauze zu schreiben! Nebenbei könnten mir die Eintragungen dabei helfen, dem seltsamen Verhalten von Tante auf die Spur zu kommen …

3. Portrait in Amsterdam

Gut ausgeruht von ihrer Siesta hampelte Tante im VW-Bus herum. Sie verstaute die Einkäufe vom Wochenmarkt, packte meinen Hundekorb auf den Beifahrersitz und machte alles andere, was herumflog seefest. Und schon waren wir wieder auf großer Fahrt.

Wenig später erreichten wir Amsterdam und fuhren in einen Bereich, der von Grachten nahezu durchpflügt schien. Die meisten Häuser dort waren historisch aus rötlichen Backsteinen gebaut, quetschten sich schmal gepresst aneinander, streckten sich drei bis vier Stockwerke hoch hinaus und spitzen sich zu kunstvoll gestalteten Giebeln. Jeder Giebel sah anders aus, entweder eckig oder in geschwungener Form, doch zusammen wirkten sie einträchtig miteinander verspielt. Die schmalen Kanäle mit ihren Fußgängerbrücken verliehen dem Stadtbezirk endgültig das Aussehen eines Venedigs für Puppen. Und ich würde sagen, gefühlt gondelte Tante durch jede mögliche Einbahnstraße, bis wir endlich eine Parkmöglichkeit für unseren Bulli gefunden hatten.

Es war bereits dunkel geworden. Die Straßenlaternen spiegelten sich in dem glatten Wasser der Grachten. Tante ging auf ein hell erleuchtetes Hausboot zu, balancierte über seinen Steg und läutete an der Schiffsglocke. Eine junge Frau namens Enie kam sogleich an Deck. Dem Empfang nach zu urteilen, musste sie Tantes enge Freundin sein. Die wohnte dort auf dem Hausboot mit ihrem Künstlerfreund – irgendso ein Typ mit Samurai-Dutt, Vollbart und einem Designerpullover voller Flecken aus getrockneter Farbe. Als auch er zur Begrüßung an Deck gekommen war, nahm er mich auf seinen stinkigen Arm und taufte mich »kleine Maus«! Mich, einen stattlichen Dackel! Der Kerl hatte sofort bei mir verkackt.

Ganz nebenbei erfuhr ich Tantes Vornamen, der aber nicht so gut zu ihr passte, wie ihr Kosename innerhalb der Familie, weshalb ich beschloss, sie weiterhin Tante zu nennen. Außerdem klang das nach etwas Vertrautem von Zuhause.

Unter Deck gab es Bananenpfannkuchen, vermengt mit einem Schuss Rum, wobei ich mich in weiser Voraussicht unter dem Esstisch positionierte. Tante ließ wie erwartet einen Happen der Süßspeise auf die blanken Schiffsdielen fallen, von dessen Rumgeschmack meine Ohren angenehm heiß und schwer wurden. Ich legte mich neben Tantes Füße ausgestreckt hin und überlegte, ob das Hausboot schwankte.

Nach dem Essen zog sich der pinselschwingende Virtuose zurück, und die beiden Frauen begannen in aller Ruhe zu quatschen. Meistens ging es um Marokko. Tante war dabei recht still, druckste inhaltlich herum und wich den bohrenden Fragen von Enie gekonnt aus. Der wurde schnell klar, dass Tante etwas Schlimmes erlebt haben musste, doch genau wie ihre Eltern zu Hause schaffte auch Enie es nicht, ihr diesen Kummer zu entlocken.

Einmal lenkte Tante das Gespräch auf ihre aktuelle Reise. Ich erfuhr, dass sie in den nächsten Wochen vorhatte, sich mit dem VW-Bus einfach treiben zu lassen und den Anker zu werfen, wo es ihr gerade gefiel. Sie wollte also einen Roadtrip machen! Ich überlegte, ob das wirklich klug war. Ohne konkreten Plan durch die Welt zu tingeln, erschien mir durchaus reizvoll, dachte aber, dass ein Pauschalurlaub in Tantes Zustand bestimmt die bessere Wahl gewesen wäre, womöglich sogar der Besuch bei einer einfühlsamen Psychologin oder einem Psychologen. Enie schaute ebenfalls etwas missmutig drein.

Als die Weiber eine ganze Flasche Rotwein getankt hatten und die Stimmung entsprechend gelassener wurde, sah ich im hinteren Bereich des Wohnraumes den aufgeblasenen Pfau stehen. Er beobachtete Tante von Weitem, studierte sie konzentriert und verschwand. Das wiederholte sich einige Male, bis ich von diesem Theater die Schnauze voll hatte und ihm leise hinterher schlich.

Ich fand ihn in seinem Atelier, dessen Wände und große Teile der Decke überwiegend aus Fensterglas bestanden, was den Bootsraum zu einem spacigen Wintergarten machte, zumal man draußen die Sterne sehen konnte. Der Künstler stand vor einer Holzstaffelei und zeichnete mit schnellen Bewegungen ein Portrait von Tante! Neugierig ging ich ein paar Schritte näher ran.

Die lustigen Korkenzieherlocken hatte unser Rembrandt gut hinbekommen, auch meine absolute Lieblingshaarfarbe Straßenköterblond stimmte mit dem Original einwandfrei überein, sogar den Lippenschwung und die leichte Kartoffelnase erkannte ich wieder, aber ihre sonst so lebhaft blauen Augen hatten null Ausstrahlung. Vielleicht schien der Künstler dies ebenfalls zu bemerkten, denn er setzte sich auf einen knarzenden Moonchair aus Rattan, zündete sich einen Joint an und analysierte sein Werk stillschweigend.

Rauchschwaden wanden sich durch das Atelier. Ich betrachtete Tantes leeren Blick auf der Leinwand und zermarterte mir das Hirn wegen ihrer Wesensveränderung, die offenbar auch ihrer Freundin und Rembrandt nicht entgangen war. Was ist Tante in Marokko bloß passiert? Und wieso wollte sie jetzt auf Teufel komm raus diesen Roadtrip machen?

Diffuser Nebel zog auf, und ich wurde schläfrig. Ich meinte noch gesehen zu haben, wie das Portrait mir zuzwinkerte, bevor sich der Boden unter mir in sanfte Wellen verwandelte …

Tantes Haar wehte im Fahrtwind. Wir fuhren im VW-Bus durch die glühende Sahara. Die Sonne über uns sah aus wie ein Seestern, dessen Arme sich schwerfällig rekelten. Plötzlich flogen monströse Papageientulpen hinter uns her, die ihre scharfzahnigen Mäuler aufrissen und gierig nach uns schnappten! Sie jagten uns ganz grauenvoll! Tante drückte energisch aufs Gaspedal, doch die Wüstenhitze brachte unsere Reifen wie Käse zum Schmelzen, und wir kamen nicht mehr von der Stelle! Tante schrie!! Auf einmal sah ich Herrchen versteckt hinter einer Eiche stehen. Er zielte mit seinem Jagdgewehr hoch in die Luft. Ein Schuss, dann fiel der Seestern krachend vom Himmel. Dunkelheit bedeckte mich.

Als ich wieder aufwachte, war es bereits nach Mitternacht. Fröstelnd geisterte ich durchs Hausboot und fand Tante leise schnarchend auf einem Sofa. Ich sprang zu ihr hoch und kuschelte mich an sie, was ich noch nie zuvor getan hatte.

4. Loyalität

Den Dutt-Träger hatte ich mehr und mehr aufm Kieker! Ich fand es total daneben, dass er mich dem Rauch seines Joints ausgesetzt hatte. Und meiner Meinung nach ist ein Drogenrausch keine Bewusstseinserweiterung, sondern genau genommen eine neuronale Einschränkung. Zugegeben, möglicherweise hatte der Maler meine Anwesenheit in seinem Atelier nicht bemerkt, was wiederum mein Ego negativ zur Kenntnis nahm. Vor lauter Wut schnappte ich mir seine bescheuerten Holzclogs und biss jede Menge Macken rein. Eine Hommage an den Künstler!

Wenigstens wusste der Pinselschwinger ein anständiges Frühstück zu kreieren. Es gab Toast mit dicken Scheiben Gouda drauf, etwas Rührei und zum Schluss für jeden eine Portion Vla. Letzteres ist eine Art süßer Vanillepudding – die niederländische Droge auf kulinarischer Ebene schlechthin! Meine Gesichtszüge verzogen sich schon beim ersten Zungenkontakt zu einem seligen Grinsen, und ich konnte einfach nicht genug von dem Zeug bekommen. Angestrengt leckte ich jedes Atom aus meiner leeren Schüssel und bemerkte dabei nicht, dass ich diese einmal quer durch die Bude und zurück geschoben hatte. Zu meinem Leidwesen wurde dieser kleine Kontrollverlust zur Belustigung aller! Später überlegte ich, ob Rembrandt mich mit voller Absicht zu einer Lachnummer machen wollte.

Wie dem auch gewesen sein mochte, schlussendlich verlor der Künstler mein letztes Quäntchen höflichen Respekts wegen einer Bemerkung, bei der er meinen wundesten Punkt traf! Zunächst fragte er die Frauen, ob sie beide nicht Lust hätten, ins Rijksmuseum zu gehen, was ich nett fand, doch dann sagte er Folgendes: »Allerdings muss die kleine Maus an Bord bleiben. Ich bin mir sicher, dass ein kurzbeiniger Dackel mit sperrig langem Rücken eine Stolperfalle für andere Besucher darstellt und das Museum ihn deshalb postwendend ausmustern wird.«

So eine miese Kanalratte!!! Zum Glück ließ Tante sich nicht von ihr bequatschen. Die Frau stopfte mich einfach in ihren Bundeswehrrucksack, wobei mein Kopf oben herausragte, schulterte mich und stiefelte gemeinsam mit Enie los.

In das Rijksmuseum zu gelangen war keine Kunst. Tante schenkte dem Pförtner ihren schönsten Wimpernaufschlag und ich ihm meinen herzerweichendsten Dackelblick. Der Mann lachte amüsiert, und schon waren wir drin! In einem imposanten Gebäude voller Gemälde der alten Meister. Das waren echte Schätze geistiger Substanz und handwerklichen Könnens, nicht zu vergleichen mit der Schmiererei auf dem Hausboot! Ehrfurchtsvoll sahen wir uns die Bilder an, staunten über die unfassbare Präzision der Maler, ihre packenden Farbkompositionen oder einfühlsam dargestellten Alltagsszenen aus einer längst vergangenen Zeit. Wir gingen vorbei an der berühmten Dienstmagd mit Milchkrug, Van Goghs Sonnenblumen, aufgetakelten Großseglern, dem fröhlichen Trinker und Winterlandschaften mit Schlittschuhläufern. Das Blöde war nur, dass ich irgendwann tierisch schiffen musste!

Herrchen und ich haben so eine Art Codewort in Sachen Gassi, welches auch Tante kennt und seit unserer Reise benutzt. Wenn ich anfange, unruhig zu werden, schaut sie mich direkt an und fragt: »Naaaa, wollen wir Dehdeh gehen? Deehdeeeeeeh?« Bisher verstand Tante meine Antworten immer. Im Museum dagegen war unsere Kommunikation gestört, denn hinten im Rucksack zu sitzen war zwar spannend, nur nicht wirklich bequem, und so musste ich ständig die Position ändern, was wiederum zur Folge hatte, dass Tante sich an mein rascheliges Verhalten im Rucksack gewöhnt hatte und nun meine Signale für Dehdeh einfach nicht wahrnahm!

Erst als ich anfing zu winseln, setzte Tante mich in dem Rucksack auf dem Boden ab. Sie sah mich verwirrt an, doch ich hatte keine Zeit mehr für ein klärendes Gespräch und rannte los.

Weil ich ein stubenreiner Hund bin, suchte ich panisch nach dem Museumsausgang. Leider fand ich den nicht. Zu viele Gerüche. Planlos lief ich umher, bis ich einen geeigneten Galeriesockel entdeckte und mein Bein hob, aber man verscheuchte mich schimpfend. Schnell irrte ich in eine Ecke und hockte mich notgedrungen hin.

Als unter mir ein kleiner See entstand, begann sich über mir ein höllisches Gewitter zusammenzubrauen. Menschen guckten angewidert zu mir runter, ein Junge lachte mich höhnisch aus, jemand versuchte mich mit dem Fuß wegzudrücken und eine ältere Frau rief aufgebracht, wem denn dieser Dackel hier gehöre. Schließlich hielt man mich grob an meinem Halsband fest und versuchte mich fortzuschleifen. Ich jaulte kläglich! Auf einmal hörte ich eine laute mir wohlbekannte Stimme.

»Fassen Sie meinen Hund nicht an oder Sie scheißen morgen Zähne!«

Tante zwängte sich wutentbrannt durch die Menschenmenge und donnerte meine Peiniger an. Perplex ließen diese von mir ab. Erleichtert fühlte ich Tantes Hände, die mich hochhievten und kraftvoll an sich pressten. Mit erhobenem Haupt stolzierte sie mit mir davon. Das war der Augenblick, in welchem ich mich dazu entschied, Tante mit jeder Faser meines Daseins zu unterstützen. Wo auch immer ihr Roadtrip noch hinführen mochte, ich würde die Frau seelisch stärken, sie bewachen und immer zu ihr stehen!

5. Entrückungen

Als wir das Rijksmuseum verließen, hingen die Mädels erst mal in den Seilen und hatten keine Ahnung, was sie nun machen sollten, aber nachdem sie beschlossen, in der City shoppen zu gehen, straffte sich ihr Unternehmungsgeist wieder. Tante setzte mich ab, und ich trottete der Frau ergeben hinterher.

Enie erwies sich als eine unermüdliche Stadtführerin von Amsterdam, insbesondere was sämtliche Schuhgeschäfte in der Innenstadt betraf. Nach ein paar Stunden wurden die beiden endlich fündig. Tante kaufte ein Paar klobige Arbeiterstiefel mit einer Schicht Glitzer drauf und Enie welche mit Plateau-Sohlen. Das solide Schuhwerk hatte ein Doktor aus England entworfen und sah recht bequem aus, doch auf dem Weg zurück zum Hausboot begannen die Mädels sich gegenseitig vorzujammern, wie hart das Schuhmaterial noch wäre. Also entschieden Enie und Tante in der nächstbesten Kneipe eine Pause einzulegen.

Als wir diese betraten, hatte ich sofort den Geruch von Bier und nassem Holz in der Nase. Vorne links in der Kneipe befand sich ein Tresen, hinter dem der Wirt gerade ein Helles zapfte. Er nickte uns knapp zu, denn die Kneipe war voller Gäste. Vorzugsweise standen diese in der Nähe vom Ausschank und unterhielten sich angeregt miteinander. Weiter rechts gab es kleine Tische, an denen vereinzelt Leute die Tageszeitung lasen.

Zwar kannte ich nur unsere Dorfkneipe zu Hause in Friesland, trotzdem fand ich, dass diese Amsterdamer Spelunke ausgesprochen kommodig war. Die dunkelgrün gestrichenen Wände betonten das schummrige Licht des Raumes, und im hinteren Teil der Kneipe loderte ein Feuer in einem alten verschnörkelten Kamin. Davor standen sich zwei Ohrensessel aus dickem cognacbraunen Leder gegenüber, auf die Tante und Enie schnurstracks zusteuerten und Platz nahmen.