Logbuch Nordatlantik - Harald Muellner - E-Book

Logbuch Nordatlantik E-Book

Harald Muellner

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Beschreibung

Unter Segeln geht es mit der Eye of the Wind – einer Brigg aus dem Jahr 1911 – von Reykjavik nach Lübeck. Die Route zwischen Einschiffungs- und Zielhafen ergibt sich spontan, hängt von Wind, Wellen und Barometer ab; selten auch vom Chronometer; führt über Heimaey im Vestmannaeyjar Archipel, die Färöer Inseln, die Orkneys, Göteborg, Nyborg und Neustadt. Über Nordatlantik und Nordsee. Kurzweilig und humorvoll erzählt der Autor von seinen Erlebnissen auf den schwankenden Planken des Tall-Ships; von faszinierenden Begegnungen mit Mitseglern, der unendlichen Weite der stürmenden See bis hin zum Seemannsgarn, mit dem der Captain in einzigartiger Eloquenz seine Zuhörerschaft fesselt. 1600 Seemeilen abseits des Alltags.

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Veröffentlichungsjahr: 2025

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Für meinen Vater,

Thomas, den abenteuernden Weltenbummler

und meine Admiralin

Inhalt

Prolog

Reykjavik

Reykjavik — Torshavn

Torshavn — Göteborg

Göteborg — Lübeck

Epilog

Eye of the Wind

Anmerkungen

Über den Autor

Weitere Publikationen

Impressum

 

Prolog

„Dann haben wir den Süßwassertank leergepumpt und randvoll mit Rum gefüllt“, notiere ich ein Bonmot des Captains.

Ich hocke in meiner Koje, balanciere das Reisetagebuch auf den Knien, versuche Buchstaben und Worte zu Papier zu bringen, die ich in nicht allzu ferner Zukunft wieder entziffern können möchte. Doch bei dem Sturm und dem ständigen Rollen gestaltet sich mein Unterfangen nicht gerade einfach.

Die eigenen Träume zu verwirklichen ist stets eine gefährliche Sache. Zu viele Hoffnungen und Erwartungen, die in den Tiefen des eigenen Gehirns lauern, nur darauf wartend, auf einen fahrenden Zug – oder besser auf eine schlingernde Brigg – aufzuspringen, wollen erfüllt werden. Über das Wie, wie diese Realität werden sollen, verschwendet man meist keinen weiteren Gedanken. Glück, Zufall, Vorsehung oder Karma werden sich schon darum kümmern. Oder auch nicht. Deshalb ist es oft nur eine Frage der Zeit, bis durch deren Nichterfüllung die große Enttäuschung Platz greift.

Deshalb habe ich meine Erwartungen so weit nach unten geschraubt, wie es mein von Segelschiffen besessener Verstand nur zuließ. Doch war das weit genug?

Vor Jahren war ich schon einmal an Bord der Eye of the Wind gewesen. Fünf Tage Ostsee, kaum Wind. Die Segel wurden, wenn überhaupt, nur zum Auslüften und zur Muskelertüchtigung hochgezogen. Von einer Bucht ging’s zur nächsten, die Küste verloren wir so gut wie nie aus den Augen.

Die Badebuchten und Sonnenuntergänge entlang des Wasserweges von Stockholm nach Turku suchten ihresgleichen, dennoch war mir klar, würde ich ein weiteres Mal an Bord eines Großseglers fahren, würde dies über einen längeren Zeitraum und über eine weitere Strecke sein.

So ergab es sich, dass ich im September 2022 mit der Eye of the Wind von Reykjavik/Island über die Färöer, Orkneys und Göteborg/Schweden bis Lübeck segelte.

Reykjavik

Der Wind kachelt mit gut fünf Beaufort von Norden an. Eine Böe zerrt an meinem Kragen. Gischt schäumt von der kurzen, ruppigen See. Ich grabe die Hände tiefer in die Taschen meiner Jacke.

Zweifel überkommen mich. Auf einmal sind sie da. Ohne Ankündigung. Ohne dass ich sie gerufen habe. Einfach so.

Was hat mich bloß geritten, hierher zu kommen? Alleine noch dazu. Ohne weiblichen Beistand. Ohne die aufmunternden Worte meiner Admiralin. Einflüsterungen, die sie stets auf Lager hat, wenn die Dinge mal nicht so laufen, wie sie sollten. Wenn ich mich in einem tiefen Loch wähne und keine Ahnung habe, wie ich da wieder raus komme. Worte, denen eine Kraft und eine Motivation innewohnen, die vermutlich schon so manches sich anbahnende Debakel abgewendet haben.

Andererseits bin ich — dank Pandemie — gut zweieinhalb Jahre daheim rumgehockt, war gezwungen gewesen mehrere Urlaube zu stornieren bzw. zuzusehen, wie die Veranstalter es taten. Bei den Tall-Ship Friends in Deutschland habe ich mir damals eine Flagge mit ihrem Logo bestellt und an unübersehbarer Stelle im Wohnraum aufgehängt, hoffend, dies würde mein Fernweh lindern. Doch genau das Gegenteil war der Fall.

Ich musste raus, weg von allem Gewohnten und lieb Gewonnenem, weiter weg als in den letzten beiden Jahren.

Außerdem was sollte schon groß schiefgehen? An Bord eines Schiffes. Auf dem Nordatlantik. Selbst die unsinkbare Titanic war 1912 ... Okay, schlechtes Beispiel.

Die Reederei würde schon wissen, was sie tut. Und auf dem Nordatlantik ist ja im September noch Hochsommer. Quasi. Beinahe. Keine barbarischen Stürme, kaum Monsterwellen. Die sollen hier, wenn schon, dann im tiefsten Winter Angst und Schrecken verbreiten.

Während sich die Eye of the Wind majestätisch langsam in den von Gischt tobenden Hafen schiebt, befallen mich Zweifel, ob meine Überlegungen nicht doch etwas zu optimistisch waren. But, who cares?

Mein Hotel liegt nahe am Hafen, sodass ich ohne Öffis oder Taxi dort hingelangen kann.

Reykjavik zeigt sich, wie bei meinem letzten Besuch auch, von seiner ungemütlichen Seite. Der Sturm lässt zwar am nächsten Tag nach, dafür gesellt sich Regen dazu. Also Mütze auf, Kapuze auf, Handschuhe nicht vergessen. Damit die Finger nicht taub werden, ehe ich noch die erste Leine angefasst habe. So eile ich durch das Zentrum, um zumindest ein paar ansprechende Souvenirs zu ergattern. Einige Lokale, die ich von unserem letzten gemeinsamen Besuch kenne, gibt es sogar noch. Es sind nicht alle Pleite gegangen.

Ich gehe in ein Pub, will mir einen ordentlichen Lunch genehmigen. Puh, ist mein Kreislauf so im Keller, oder rührt mein Schwindel vom Umrechnen der Preise in der Speisekarte? Wenn der Wechselkurs, den ich im Kopf habe auch nur annähernd stimmt ... Für ein Bier muss ich hier ungefähr das Doppelte von dem löhnen, was ein Feinunze Gold auf dem freien Markt kostet. Zumindest gefühlt. Dafür sind es aber, und dieses Faktum soll hier nicht unter den Teppich gekehrt werden, nur stattliche 0,4 Liter statt einem halben. Und, wie kurz darauf, nachdem mir die nette Kellnerin das Glas hingestellt hat, deutlich wird, schmeckt es nicht einmal besonders. Gut, vermutlich ein Nischenprodukt hier im hohen Norden, geht es mir durch den Kopf. Wer braucht schon Alkohol in einem Land, in dem die Sonne — außer während der drei Sommermonate — kaum über den Horizont kriecht? Wie die Einheimischen hier den Winter überstehen, ist mir ohnehin ein Rätsel. Bei den Alkoholpreisen. Aber vermutlich haben die Isländer während der kalten Jahreszeit ein anderes Beruhigungsmittel für die Seele als bis zur Bewusstlosigkeit Stimmungsverbesserer in sich hineinzukippen.

Abseits der Mahlzeiten verbringe ich viel Zeit im Hotel. Es interessiert mich wenig, mir noch vor Beginn der Reise eine ausgewachsene Erkältung einzufangen. Dafür bleibt die nächsten 21 Tage Zeit genug. Ich suche im World Wide Web nach Wetterkarten von Island und Umgebung — sprich Nordatlantik —, möglichst welche, die auch die Vorhersage von Windgeschwindigkeiten und Wellenhöhen beinhalten. Zu meinem Leidwesen werde ich rasch fündig. Auf dem Gebiet der Meteorologie bin ich ein Laie, doch was ich finde bzw. was mir die Karten verklickern möchten, sieht für mich nicht gerade aufmunternd aus. Dass die Vorhersagen — und zwar alle, die ich aufstöbere — der Meinung sind, dass es Sturm bis 8 Beaufort geben wird, ist eine Sache. Dass er auf unserem Weg zu den Färöer Inseln aber direkt von vorne blasen soll, nochmal eine andere. Den Captain kenne ich noch nicht, aber ich gehe mal davon aus, dass das Herz des Eigners so sehr an seiner 111 Jahre alten Brigg hängt, und er einen Verantwortlichen eingesetzt hat, der weiß, was er tut. Eine Erklärung, die für mich mehr als logisch klingt. Und das beruhigt mich. Also beschließe ich, meine meteorologischen Bedenken über Bord zu werfen.

Vorerst.

Architekten, so meine oftmals bestätigte Meinung, sind ein eigenartiges Völkchen und das ist noch das Euphemistischste, was mir zu dieser Berufsgruppe einfällt.

Es ist immer wieder dieselbe Frage, die mich, oft gegen meinen Willen, beschäftigt. Hat auch nur einer von denen jemals einen Fuß in eine seiner Planungen gesetzt? Der Knülch, der für die Einrichtung des Hotels verantwortlich zeichnet, in dem ich meine letzten Tage und Nächte an Land verbringe, macht hier keine Ausnahme.

Das Bad ist riesig, wie man es nur selten findet. Die Einrichtung unzweckmäßig. Ein Stauraum für den Inhalt des Kulturbeutels ist nicht vorhanden. Haken zum Aufhängen von Hand- und Badetüchern sind in ihrer homöopathischen Dosierung kaum zu finden. Gut, wer braucht in einem Bad auch schon Hand- und Badetücher? Ebenso wenig Seife und Klopapier. Nur ein winziger Prozentsatz von Unterkünften, in denen der Autor bisher abgestiegen war, bildeten rühmliche Ausnahmen. Hier bewohne ich das Doppelzimmer alleine. Wo soll man hier bloß seinen Krempel verstauen, wenn man zu zweit unterwegs ist? Herr Architekt? Frau Architektin? Bitte um eine kurze Wortmeldung. Aber kein Geschwafel.

Am nächsten Morgen, meinem dritten in der Hauptstadt Islands, haben sich die Schleusen des Himmels so richtig aufgetan. Gegen Abend hin soll der Regen — so der Wetterfrosch im Fernsehen — nachlassen. Davon habe ich allerdings nichts, wenn ich wie ein begossener Pudel den ganzen Tag rumlaufen muss. In unmittelbarer Nähe vom Hotel — also einen schlappen halben Kilometer entfernt — finde ich ein nettes Café am Hafen, in dem es nicht nur erstklassiges Mittagessen geben soll, wie die Bewertung auf Google wissen will, sondern auch free Wifi. Kaum vorstellbar, was das hier heroben kostet, müsste man es extra berappen. Der Lunch wird, so wie es aussieht, meine letzte Mahlzeit an Land sein. Zumindest bis Torshavn auf den Färöer, das wir in acht Tagen erreichen wollen. Acht Tage Nordatlantik. Mit allem, was dazugehört. Schlingern und Rollen, Klaustrophobie in der Enge der Kabine, Mitreisende, die einen schon am zweiten Tag nerven, ein Smutje, der sein Handwerk nicht versteht. Eine Crew, die ein Nein zur freiwilligen Mitarbeit nicht akzeptiert. Ein Captain, der seine digitale Seekarte besser vor unqualifizierten Blicken schützt als die CIA die nichtgenehmigte Kopie meiner Festplatte. Die Liste ist endlos. Dazu noch Piraten, Klimaaktivisten und Seeungeheuer. Dann das Gerumpel bei jedem Längengrad, den wir überqueren. Acht Tage sind eine lange Zeit, die Psychologie eine heikle Sache. Unvorherseh- und unberechenbar. Erst recht in Situationen abseits des Alltäglichen. In Extremsituationen geschehen stets Dinge, die die restlichen 364 Tage im Jahr nicht vorstellbar scheinen. Es sind solche Bedingungen, die zeigen, ob man tatsächlich der Phlegmatiker ist, der man vorgibt zu sein, ob man 300 nautische Meilen vom nächsten Land entfernt einen kühlen Kopf behalten, rationale Entscheidungen treffen, seinen Mitseglern helfen kann oder nur noch - um seine eigene Sicherheit besorgt – hysterisch herumschreit.

Spannenden Fragen, auf die sich mir an Land selbst in fünf Jahrzehnten keine Lösung erschließen wird. Und vor deren Antworten mich nun das große Gruseln befällt. Was, wenn ich nicht der bin, der ich denke, zu sein? Ich denke zwar, also bin ich ... Aber wer? Gut, das würde nun zu weit führen.

Vermutlich gab es Anwandlungen und Unsicherheiten dieser Art schon seit jenem Tag, als der erste Vertreter der Gattung Homo seinen behaarten Fuß auf ein schwimmendes Etwas setzte. Und es dauerte bis ins 17. Jahrhundert, bis die Royal Navy mit einem probaten Gegenmittel auftrat. Rum.

Das Lachssandwich scheint den zweiten Teil seines Namens spotten zu wollen. Untertreibung pur. Das Brot als Unterlage ist okay, doch darauf stapelt sich ein Berg an Lachs. Eine Wochenration für zwei Personen. Mindestens. (Nicht zu vergleichen mit diesen winzigen Smörrebröds, wie sie mir in Dänemark untergekommen sind, die man ohne Mikroskop auf dem Teller kaum ausmachen kann.) Dazu nehme ich ein Bier. Ein lokales. Sprich das Günstigste, das ich auf der Karte finden kann. Nach einem ersten Schluck ist mir klar, warum Island keine Weltmacht im Bereich Bierexport ist. Und vermutlich auch nicht so bald werden wird. Biere aus dem Herzen Europas sind eben nicht leicht zu matchen. Obwohl, wie sich noch herausstellen wird, geniale Dinge begegnen einem oft dort, wo man sie am wenigsten erwartet.

Nach dem Essen schicke ich eine SMS an die Telefonnummer der Crew der Eye of the Wind mit der Frage, ob ein früheres an Bord gehen möglich ist. Was soll ich den ganzen Tag bei diesem Sauwetter machen bis 19:00 Uhr? Das Maritimmuseum hat bereits am ersten Tag mein Interesse geweckt, allerdings frage ich mich, ob es klug ist, mir ein solches anzusehen, wo ich doch die nächsten drei Wochen Seefahrt pur und unverfälscht erleben werde. Master und Commander im 21. Jahrhundert live und ungeschminkt. Und hoffentlich ohne Kanonendonner, Skorbut und Meuterei.

Ich suche mir ein gemütliches Eckchen im hintern Teil des Lokals, wo ein Fake-Kamin vorgibt, Wärme in den Raum zu spenden. Die Hitze fehlt, aber die Psychologie tut das Ihrige. Neben mir sitzt eine Frau, älter als ich, mit kurzen Hosen, die Beine auf einer Fußbank. Allein ihr Anblick lässt mich frösteln. Von der Theke hole ich mir einen Kaffee und schicke einige Bilder regenverwaschener Trostlosigkeit, aufgenommen durch die Scheibe des Cafés an die Admiralin und an Freunde. Ein letzter Kontakt, ein letztes Lebenszeichen, bevor es losgeht, hinaus auf die Weiten des Ozeans. Denn dort gibt es kein W-Lan, kein GSM, kein 5G. Kein was auch immer. Einer der Gründe — neben vielen anderen —, warum Menschen wie ich sich in dieses Abenteuer wagen.

Abgeschnitten von jeglicher Zivilisation. Nur Crew und Trainees. Eine Raumstation auf hoher See. Ständig dieselben Gesichter. Und nicht einmal zwei Dutzend davon. Mit dem Unterschied, dass einem hier von der See und nicht von der Schwerelosigkeit übel wird. Dann das Damoklesschwert, das über mir baumelt. Wer wird mit mir die Kabine teilen? Aber daran will ich gar nicht denken, denn das kann ich ohnehin nicht beeinflussen.

Die Frau in den Shorts ist in einen dicken Wälzer vertieft, scheint die um sie herrschende Temperatur gar nicht wahrzunehmen. Nordländer, denke ich. Die sind aus sibirischer Lärche geschnitzt. Nicht wie wir mitteleuropäischen Weicheier, die wir schon den Schüttelfrost kriegen, wenn die Temperatur auf 20 Grad fällt. Doch 20 Grad wird sie in den nächsten drei Wochen gar nicht erreichen. Genüsslich schlürfe ich den Kaffee, mein Körper begierig darauf, jedes Quäntchen Wärme bereitwilligst aufzunehmen.

Achim, diese treue Seele, den wir mit seiner Reisebegleiterin vor Jahren auf einem Schiff auf der anderen Seite der Welt kennengelernt haben, hat eine Antwort geschickt. Die Brigg, so meint er, sehe durch die schlierenverwaschene Glasscheibe wie ein modernes Kunstwerk aus.

Tja, von diesem kunstsinnigen Standpunkt aus, habe ich das herrschende Dreckswetter noch gar nicht betrachtet. Liegt vermutlich daran, dass ich abstumpfe, wenn ich länger als 48 Stunden derselben Witterung ausgesetzt bin.

Ich lasse mir Zeit. Genieße den Kaffee, bis er kalt in der Tasse steht. Dann wirft sich die Frage auf.

---ENDE DER LESEPROBE---