Lokführer des Todes - John Wyttmark - E-Book

Lokführer des Todes E-Book

John Wyttmark

0,0
4,49 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Leises Wimmern und Stöhnen drang aus den Waggons. Der Zug stand auf dem Gleis zur Abfahrt bereit. Die Sonne prallte schon jetzt mit voller Wucht auf die Waggons, die die Hitze aufsogen und an die Geplagten im Inneren weitergaben. Lokführer Hilse stieg auf seinen Bock. Er schätzte, dass sie so drei bis vier Tage unterwegs sein würden. Der Zug sollte nach Auschwitz fahren … Hilse ist eins der Rädchen im Getriebe der Endlösung Hitlers. Abertausende fährt er ihrem sicheren Ende entgegen. Doch es gibt auch Widerstand. Als sein zukünftiger Kollege Klaus auf den Passus der „Geheimen Reichssache“ im Arbeitsvertrag hingewiesen wird, vermutet er Transporte von Wunderwaffen an die russische Front oder sonst wohin. Sollte er nicht darüber schweigen, würde dies automatisch das Todesurteil bedeuten. Dass er Todgeweihte in Vernichtungslager bringen würde, ahnt er zu diesem Zeitpunkt nicht. Nun begleitet er Hilse und fasst den Entschluss, dem unsäglichen Grauen entgegenzutreten. Den unzähligen Opfern des Wahnsinns und den Mutigen, die sich auflehnten, ist dieses Buch gewidmet. Lokomotiven zogen Männer, Frauen und Kinder, ganze Familien in den Tod. Die, die dies möglich machten, die kleinen Rädchen im Getriebe des Bösen, hatten ebenso Anteil wie die Befehlshaber. Denn: „das große geschieht im kleinen“. Ein historisch fundierter Roman über die dunkelste Zeit.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



John Wyttmark

Lokführer des Todes

Das Große geschieht im Kleinen. Ein historisch fundierter Roman über die dunkelste Zeit Deutschlands - der Nationalsozialismus

Inhaltsverzeichnis

Zum Buch

Prolog

Klaus

Freisprechung

Macht und Karriere

Gift des Bösen

Krieg

Instrumente des Todes

Alltag und Liebe

In den Klauen der Macht

Verloren

Ohnmacht

Das Banale des Bösen

Gewalt und Schande

Wahnsinn

Entwurzelt

Deportation

Geheime Reichssache

Finsternis

Auschwitz

Logistik

Lokführer des Todes

Zyklon B

Aufstand der Kleinen

Todeskampf

Diener des Wahnsinns

Vernichtung

Helfer

Widerstand

Tod

Nachtrag

Quellen:

Personen, in alphabetischer Reihenfolge:

Legende/Begriffserklärung:

Anmerkung John Wyttmark

Sparkys Edition

Zum Buch

Leises Wimmern und Stöhnen drang aus den Waggons. Der Zug stand auf dem Gleis zur Abfahrt bereit. Die Sonne prallte schon jetzt mit voller Wucht auf die Waggons, die die Hitze aufsogen und an die Geplagten im Inneren weitergaben. Lokführer Hilse stieg auf seinen Bock. Er schätzte, dass sie so drei bis vier Tage unterwegs sein würden. Der Zug sollte nach Auschwitz fahren … Hilse ist eins der Rädchen im Getriebe der Endlösung Hitlers. Abertausende fährt er ihrem sicheren Ende entgegen. Doch es gibt auch Widerstand. Als sein zukünftiger Kollege Klaus auf den Passus der „Geheimen Reichssache“ im Arbeitsvertrag hingewiesen wird, vermutet er Transporte von Wunderwaffen an die russische Front oder sonst wohin. Sollte er nicht darüber schweigen, würde dies automatisch das Todesurteil bedeuten. Dass er Todgeweihte in Vernichtungslager bringen würde, ahnt er zu diesem Zeitpunkt nicht. Nun begleitet er Hilse und fasst den Entschluss, dem unsäglichen Grauen entgegenzutreten. Den unzähligen Opfern des Wahnsinns und den Mutigen, die sich auflehnten, ist dieses Buch gewidmet. Lokomotiven zogen Männer, Frauen und Kinder, ganze Familien in den Tod. Die, die dies möglich machten, die kleinen Rädchen im Getriebe des Bösen, hatten ebenso Anteil wie die Befehlshaber. Denn: „das große geschieht im kleinen“. Ein historisch fundierter Roman über die dunkelste Zeit.

Lokführer des Todes

John Wyttmark

Alle Rechte unterliegen dem Urheberrecht. Verwendung und Vervielfältigung von Text und Bild nur mit ausdrücklicher Genehmigung des Verlages.

E-Mail: [email protected]

Lektorat / Korrektorat: Susanne Kando, Stuttgart

Umschlaggestaltung: Designwerk-Kussmaul,

Weilheim/Teck, www.designwerk-kussmaul.de

© 2021 Sparkys Edition; Autor: John Wyttmark,

2. überarbeitete Auflage

Herstellung und Verlag: Sparkys Edition,

Zu den Schafhofäckern 134, 73230 Kirchheim/Teck

Grafiken: Ganzenmüller

https://de.wikipedia.org/wiki/Albert_Ganzenm%C3%BCller#/media/Datei:Albert_Ganzenm%C3%BCller_(Foto_von_Ittenbach)_1942_klein.jpg

Weitere Grafiken: Copyright by Fotolia - hofle, diy13, Bergringfoto.Sergey Ryzhov, frenk58, Animaflora PicsStock, Bogdan, katatonia, thauwald-pictures

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

ISBN: 978-3-9810604-7-8

„das große geschieht im kleinen“

קַטָר

Shlof main fegele

jüdisches Kinderlied

Shlof main fegele, mach tzu dain egele, ai-lu-lu-lu,

shlof geshmak main kind, shlof un zai gezund, ai-lu-lu-lu, shlof un cholem zis fun der velt genis, ai-lu-lu-lu.

Kol z'man du bist yung, kenst du shlofen gring,

lachen fun altzding, ai-lu-lu.

Schlaf, mein Vögelchen, mach deine Augen zu, ai-lu-lu-lu, schlaf schön, mein Kind, schlaf und sei gesund, ai-lu-lu-lu, schlaf und träume süß vom Schönen der Welt, ai-lu-lu-lu. Solange du jung bist, kannst du leicht schlafen und über alles lachen, ai-lu-lu.

Prolog

Die Welt im Jahr 1944 war bedrohlich und schlich sich mit seinem Schrecklichen in sein Leben. Er sollte es nicht schaffen diese grausame Welt für immer aus seinem Leben zu verbannen. Er funktionierte. Er tat mit, was viele andere auch mittaten. Um ihn herum Teufel, die schrien und schlugen. Doch wo war er? Hatte er sich irgendwann einmal dazu entschlossen mitzutun, bewusst oder unbewusst? Er wusste es nicht mehr. War das schon lange her oder erst vor kurzem passiert? Er saß im Führerhaus der Lok, bei den Kohlen, selber rußverschmiert, sah er aus wie der Leibhaftige. Er saß da und hielt sich die Ohren zu, die Augen zusammengekniffen, dass es wehtat, versuchte er die Welt von sich fernzuhalten. Hilse und Achim waren nicht da. Sie waren bei den Wachen außerhalb dieser kleinen, heilen Welt des Führerhauses, der großen, starken Lok. Überall übersteuerte laute deutsche Musik, nur unterbrochen von Kommandos.

Klaus

Klaus wohnte mit seinen Eltern in einer großen Stadt. Die Arbeitersiedlung lag an einem Bahndamm. Wann er bewusst sein Interesse für Dampflokomotiven fand, wusste er nicht mehr. Anfangs schlich er sich heimlich, schlich er sich auf den Bahndamm, obwohl es ihm sein Vater ausdrücklich verboten hatte. Wie viele Schläge es hagelte, wenn sein Vater ihn erwischt hatte, wusste er auch nicht mehr. Er sollte sich auch später an den Wind der vorbeirasenden Loks erinnern.

Klaus hörte noch das Fauchen, Stampfen und Pfeifen der Lok. Das Pfeifen wurde immer dann vom Lokführer panisch ausgelöst, wenn diese um die Ecke bog und er den Jungen an den Bahnschienen stehen sah. Denn Halten ging nicht mehr. Und genau das sah sein Vater. Der Riemen wollte danach nicht aufhören zu schlagen.

Später wird er sich an ein Weihnachtsfest erinnern, da war er vielleicht vier oder fünf Jahre alt und entdeckte unter dem Baum eine Holzeisenbahn. Sie hatte nicht das ausgearbeitete Perfekte von späteren Modellen. Aber in diesem Alter war das völlig egal. Die Fantasie übernahm die Herrschaft und ließ aus dieser Holzeisenbahn ein Dampfross werden, das im Westen Amerikas genauso fuhr, wie im Ruhrpott zum Transport von Kohle und Erz. Es konnte ein Militärtransport der Reichswehr sein oder einfach nur Passagiere befördern. Der kleine Junge hatte glänzende Augen, wenn er mit seiner Lok auf dem Teppich die Muster als Schiene entlangfuhr oder an Weichen und Bahnhöfen halten musste, immer ein Stampfen ausstoßend, begleitet von einem langen Pfiff. Mehr brauchte er nicht. Er war der Stolz seines Vaters. Dieser arbeitete in dem schon 1924 geschaffenen Eisenbahnausbesserungswerk (EAW), das man später in Reichsbahnausbesserungswerk (RAW) umbenannt hatte, an der Reparatur genau dieser Lokomotiven, von denen der Junge so schwärmte.

Jedes Jahr gab es im Werk eine große Feier für die Belegschaft und deren Familien. Diese fand zum vierten Mal statt. Überall spürte man schon die Anspannung. Klaus war aufgeregt, konnte nicht schlafen und lebte nur noch in Tagträumen. Der Tag war im Juli, ein großer Tag für die ganze Stadt.

Die Leitung des RAW ließ es sich etwas kosten. Neben kostenlosem Bier und Würsten gab es meist auch Blasmusik. Eingeladen waren nicht nur die Mitarbeiter und ihre Familien, sondern auch ehemalige Kollegen wie Schlosser, Triebfahrzeugführer, Reiniger oder auch Betriebsleiter und Meister. Pünktlich um drei, die Werkssirene stieß ihren Ton aus, stieg der Werkleiter auf das Podest und hielt seine Rede an die Belegschaft. Für Klaus war er ein langweiliger und farbloser Mann in grauem Anzug. Er wusste schon Minuten später nicht mehr, wovon dieser gesprochen hatte. Irgendwelche Zahlenkolonnen und positiven Betriebsergebnisse. Nach gefühlten einhundert Stunden hörte er auf zu reden. Es gab nur mäßigen Beifall. Klaus schien nicht der Einzige zu sein, der bei der Rede so empfand. Danach trat ein anderer Mann an das Rednerpult. Eine klare Stimme, straffe Gestalt und ein tiefschwarzer Anzug, kurzum, sein ganzer Habitus verriet, dass er etwas Besonderes war. Jetzt und hier war Albert Ganzenmüller noch keine bedeutende Person. Er war Vertreter der Leitung der Deutschen Reichsbahn, ein Oberregierungsamtmann und zuständig für das Reparaturwesen von Lokomotiven sowie Güter- und Personenwagen. Seine Rede war packend, voller Motivation. Ganz anders als die Vorhergehende. Und es gab etwas Neues. Dieser Ganzenmüller sprach vom Stolz der Deutschen. Das solle man auch nach dem großen Krieg nicht vergessen. Er sparte auch nicht mit Hinweisen darauf, warum es vielen Menschen im Deutschen Reich so schlecht ginge. Da waren die Engländer, Franzosen und das Diktat von Versailles auf der einen Seite sowie das bolschewistische Judentum und der Dolchstoß gegen die Reichswehr auf der anderen Seite.

Deutschland müsse wieder stark werden, rief er in die Menge. Noch nie hatte Klaus einen solchen Redner gehört, auch die Belegschaft nicht, denn auf einmal rumorte es. Seine Mutter nahm Klaus hinter sich und schimpfte, dass Arbeit nichts mit Politik zu tun haben solle. Bei den Leuten vom Heizkraftwerk regte sich Unmut mit wüsten Beschimpfungen. Die Ordner der Betriebswache stellten sich parat, so dass es zu keiner Eskalation kam. Trotzdem konnte man einen Tumult nicht verhindern. Stühle wurden geworfen und Tische umgestoßen. Lautes Geschrei ließ die Betriebswache handeln und die vermeintlichen linken Rädelsführer nach draußen, außerhalb des Betriebsgeländes, befördern. Die Betriebsleitung nickte diese Vorgehensweise ab, wollte man doch nur eine schöne Feier haben, mit Ruhe und ohne Aufregung. Als die Betriebswache zurückkam, erhielt sie aufmunterndes, bestätigendes Schulterklopfen.

Inzwischen waren auch alle Ehemaligen da. Es war ein großes Miteinander. Man saß in der Sonne auf den Bänken und plauderte über alte Zeiten, auch vom Krieg, und was man alles gemeinsam geschafft sowie durchgestanden hatte. Oft war alles geschönt. Man erinnerte sich nicht mehr nur an Strapazen. Die Männer erinnerten sich auch an die Frauen, die man hatte und wie oft und wie viel man gesoffen hatte. Alles oberflächlich. Etwas tiefgründiger ging es dann zu, wenn man nur im kleinen Kreis zusammensaß, man sich gut kannte und sich über die Familie und das Leben austauschte. Da war auch die Rede von Schicksalen und Krankheiten, vielleicht auch der Tod von Ehemaligen oder wie schwer es war, jetzt zu leben.

Immer noch wirkte der Weltkrieg nach, denn so lange war 1918 noch nicht her. Und dann diese politischen Kämpfe. Man spürte förmlich, dass bald was passieren würde. Vor allem die Kämpfe der Kommunisten und der Nationalsozialisten waren überall präsent. Und in all dem musste jeder irgendwie leben und überleben und war froh, eine Arbeit zu haben, die genügend Geld abwarf.

Zwischen all diesen Menschen, der Musik und den Gerüchen von Altöl und Würstchen saß Klaus mit seiner Mutter und seinem Vater. Er war, eher untypisch für diese Zeit, ein Einzelkind. Seine Mutter bekam bei der Geburt von Klaus große Komplikationen und wäre beinahe gestorben. Kinder konnte sie dann keine mehr bekommen. Sie selbst arbeitete auch im RAW, aber im Büro. Das interessierte Klaus weniger. Da war sein Vater schon beeindruckender für ihn, er war Schlosser. Aus den Gesprächen mit seinen Kollegen und dem Umgang untereinander merkte er, dass sein Vater anerkannt war. Die Männer und Frauen lachten viel, scherzten und flirteten miteinander. Im Hintergrund spielte die Blaskapelle Musik, die ins Bein ging. Klaus` Eltern hielt es nicht lange auf den Stühlen. Hunderte Paare bewegten sich zur Musik. Solch eine große Feier war für Klaus bisher das Beste, was er in seinem Leben erlebt hatte. Als er so dasaß, wurde er in die Seite gestoßen. Erschrocken und unwillig drehte er sich um. Im gleichen Augenblick änderte sich sein Blick.

Sein Freund Günter stand neben ihm. „Ey, du bist ja auch hier“, rief dieser, ohne Klaus zu Wort kommen zu lassen. Das Tanzen, fanden beide, sei nichts für sie, aber im RAW gab es noch viele andere Dinge zu erleben. Zumal man nichts abgesperrt hatte und sich heute ziemlich viel ansehen durfte. So begaben sich beide auf Entdeckertour.

***

Das Werk war riesig. Der zentrale Platz, auf dem die Betriebsfeier stattfand, befand sich gleich hinter dem Haupteingangstor. Zu Zeiten des Arbeitsbeginns, der Pausen und des Schichtwechsels hörte man bis in die Stadt hinein die Betriebssirene. Dann setzten sich hunderte Menschen in Bewegung, um in die Umkleiden zu kommen und sich für die Arbeit umzuziehen oder um nach Hause zu gehen. Ein riesiges Kommen und Gehen. Alle, ausnahmslos alle, mussten an der Pforte vorbei. Hier saßen oft Kriegsversehrte, die im RAW noch ihr Auskommen und eine sinnvolle Arbeit fanden. Meist Leute, denen ein Arm oder ein Bein fehlte. Diese Pförtner waren „wichtige“ Menschen, denn nur sie bestimmten, wer das Betriebsgelände betreten oder verlassen durfte. Jeder Arbeitnehmer, ob Arbeiter oder Angestellter, musste „unaufgefordert“ seinen Betriebsausweis vorzeigen. Das stand auf einer Tafel am Gebäude des Pförtners. Meistens saßen vier bis fünf Pförtner in diesem Gebäude, die zu Beginn und Wechsel der Schichten ausschwärmten, und die Ausgangstore besetzten, um so ihrer Pflicht zur Kontrolle gerecht zu werden. Insbesondere bei Schichtwechsel, da der Ein- und Auslass zügig geschehen musste.

Der zentrale Platz war groß, ungefähr fünfhundert Meter im Quadrat. In der Mitte ein kleiner Park mit Springbrunnen, Grünflächen, Ziersträuchern und einem Denkmal aus großen Zugrädern. Über allem stand „DR“ für Deutsche Reichsbahn. An diesem Platz stand auch das zentrale Gebäude, hier saß der Betriebsleiter, später dann der Wehrwirtschaftsführer mit seiner Verwaltung und Buchhaltung und was sonst noch so nötig war. Von diesem Platz gingen vier Straßen ab, die in unterschiedliche Bereiche führten. In das RAW kamen Lokomotiven oder Zuganhänger für den Güter- und Personentransport, die hier gewartet und repariert wurden. Die beiden Jungs schlugen den Weg nach rechts ein. Es ging vorbei an großen, offenen Lagern für Metallstäbe und Kabeltrommeln. Diese Kabeltrommeln, dachte sich Klaus, waren riesig, bestimmt drei Meter im Durchmesser und eigneten sich hervorragend zum Klettern. Günter machte genau diesen Vorschlag, auf den Klaus freudig einging. Geschickt hielt sich Günter am Kabel fest. Mit der Hilfe von Klaus trat er auf die Nabe in der Mitte der Kabeltrommel und zog sich hoch. Oben angekommen, half er Klaus. Als beide oben waren, konnten Sie das gesamte Gelände überschauen. Ein riesiges Lager voll, mit diesen Kabeltrommeln, lud förmlich dazu ein, zu versuchen, von einer zur anderen zu springen. Zwei kleine Kerle überboten sich mit mutigen Sprüngen, immer sich gegenseitig anfeuernd. Die Jagd ging entlang der Mauer des Betriebsgeländes. Wie sie beide so herumsprangen, ergatterte Klaus nur einen kurzen Blick außerhalb des Betriebsgeländes und sah ein befreundetes Ehepaar seiner Eltern, das ihn irritiert beobachtete. Der Mann schwang seine Faust bedrohlich. Klaus erschrak dermaßen, dass er beim nächsten Sprung daneben trat. Mit Karacho fiel er in den Zwischenraum von drei Kabeltrommeln und schlug hart auf dem Betonboden auf.

Günter blieb stehen und rief nach ihm. Klaus beruhigte ihn, dass ihm nichts passiert sei. Ein „Mist“ konnte er sich allerdings nicht verkneifen Er kam mit einem verstauchten Fuß und Schürfwunden davon. Günter kletterte schnell herunter und half Klaus auf die Beine. „Mist“, wiederholte Klaus seine Feststellung, „Müllers sind gerade vorbeigekommen, die petzen doch alles meinen Eltern.“ Mit den Worten „Vielleicht auch nicht“, verwarf Günter diese Feststellung. Klaus ließ sich mitziehen und beide beratschlagten, wohin es gehen sollte. Das „Polsterlager“ war das neue Ziel. Es war der Bereich, in dem die Personenzüge der 1. Klasse und Sonderzüge gebaut, gewartet und repariert wurden. Klaus war klar, dass er einen ordentlichen Reibach bekommen würde, schob es aber beiseite und machte sich mit Günter auf in das nächste Abenteuer.

Klaus und Günter kannten sich schon ewig. Günter und seine Familie wohnten um die Ecke. Beide kannten sich vom Spielen und gingen später gemeinsam in die Hauptschule. Sie waren ungefähr gleich groß, nur das Günter stärker, schneller und gewandter war. Klaus war dafür etwas klüger und so half man sich gegenseitig.

In leicht geduckter Haltung schlichen beide an den Kabeltrommeln vorbei, hielten sich zuerst links und kamen später an der großen Werkhalle vorbei. Hier standen Tore offen und so konnten sie große Loks und Waggons stehen sehen, die teilweise vollständig auseinandergebaut, in Einzelteilen, dalagen. Ein riesiges Durcheinander, aber die Schlosser und Ingenieure wussten wie was zusammenzubauen war. Es roch nach Schweißbrennern, Feuer, Fett und Werg und dazu nach Männerschweiß. Eine komische Zusammenstellung. Rechts in der Halle hingen an Kränen schon zusammengebaute Chassis, große Ungetüme Fahrgestelle, die nur noch auf die Aufbauten warteten, um so ein vollständiges Ganzes zu werden. Diese Halle, so interessant sie auch war, ließen sie liegen. Günter meinte, dass die Polsterabteilung viel interessanter sei. Seine Mutter würde dort arbeiten und hätte wohl sogar einen Gefängniszug gesehen. Das war spannend für beide und Ansporn zugleich. Sie rannten jetzt, denn Günter kannte den Weg. Es war nicht mehr weit, da die Hallen miteinander verbunden waren.

Zuerst kamen die Hallen, in der die Waggons und Loks, soweit nötig, auseinandergebaut wurden. Dann wurden sie auf Schienen weiter in die nächsten Hallen befördert, in denen die Chassis, Motoren und Bremsanlagen geprüft wurden. Von dort ging es zu den Schlossern, den Spenglern und zum Schluss in die Hallen des Innenausbaus. In den letzten Hallen wurden, neben den Auflagen, Verkleidungen und Lichtanlagen, auch die Sitzanlagen, Kofferablagen sowie, je nach Ausstattung, die Polster eingebaut, ehe der Zug oder Waggon zur Endreinigung kam und wieder ausgeliefert wurde. Das hörte sich einfach an, war aber ein langer Prozess. Das Sanieren eines Waggons konnte schon ein halbes Jahr in Anspruch nehmen.

Die Jungs kamen an die letzten Hallen. Die großen Tore waren verschlossen. Sie gingen um die Hallen herum. Der Weg wollte gar nicht aufhören. Selbst das hintere große Tor war verschlossen, jenes Tor, wo die fertigen Waggons auf die Abstell- oder Abholgleise geschoben wurden. Ihnen blieb nichts weiter übrig, als umzudrehen und einen anderen Eingang zu suchen.

Günter sah um die Ecke und entdeckte eine kleine, eher unscheinbare Tür. Vorsichtig öffneten sie diese. Sie knarzte schrecklich laut, so dass beide ihr Gesicht verzogen und mit jedem Geräusch mitlitten. Als der Spalt groß genug war, traten beide in die Halle. Heute hatten alle in dieser und den anderen letzten Hallen frei und waren bestimmt vorn bei der Feier. Es war ein tolles Gefühl. Vor ihnen öffnete sich eine riesige Produktionshalle, wahrscheinlich 800 Meter in der Länge und 300 Meter in der Breite. Beide befanden sich fast am Übergang zur nächsten, tatsächlich letzten Halle. Beide Hallen waren durch große, grün gestrichene Tore getrennt. In diesen gab es wiederum kleine Durchgangstüren. Oberlichter ließen die Halle in einem unwirklichen Licht erscheinen. Überall standen halbfertige Waggonteile, an denen noch gearbeitet werden musste. Im Hintergrund sah man Klein- und Großwerkzeuge. In der Mitte hingen riesige Laufkatzen mit schweren Metallteilen, die wie riesige Wasserboiler aussahen. Es roch nach verbranntem Öl, Benzin und Farbe. Die beiden durchliefen diese Halle und erreichten eine kleine Durchgangstür. Diese war glücklicherweise unverschlossen. Mutig ging Günter voran.

Beide durchschritten die Tür und befanden sich in einer vollkommen anderen Welt. Hier war die Lackiererei und ganz hinten das Polsterlager und die eigentliche Polsterei. Sie fingen an schnell zu rennen, um den großen Bereich der Lackiererei mit den bissigen Gerüchen der Farben und Lacke hinter sich zu lassen. Und dann waren sie da, in der Polsterei. Hier roch es nach Klebern, Ölen, Stoffen und Hölzern unterschiedlichster Arten.

Der erste Waggon war ihrer. Geschickt sprangen sie auf die Eintrittsplattform und sahen sich um. Sie öffneten die Tür und rannten durch den Gang. Ein Personenwagen 3. Klasse. Manche nannten solche Waggons auch Holzklasse. Das war insoweit verständlich, weil der größte Teil des Innenausbaus aus Holz bestand, das galt auch für die Sitzbänke. Längeres Sitzen war bestimmt nicht angenehm. Hier waren einige Abteile schon fertig, andere jedoch noch nicht. Es lagen Baupläne herum, daneben Werkzeuge. Jemand hatte nachlässig gearbeitet, vielleicht ein Lehrling. Als sie den Waggon durchquert hatten, standen sie am anderen Ende auf der Plattform. Klaus schätzte ab, ob sich der Sprung zum nächsten Waggon ohne Probleme bewältigen ließe. Da sprang Günter schon, lachte laut und rannte in den nächsten Waggon. Klaus nahm all seinen Mut zusammen und tat es ihm nach. Der nächste Waggon war tatsächlich der Waggon für die Polizei oder Justiz. Er bestand aus einzelnen Zellen. Die Sitzbänke in den kleinen Häftlingszellen waren nur aus verschweißtem Metall, sonst nichts. Die Zelle war ca. anderthalb Meter im Quadrat und durch eine starke Gittertür abgeschlossen. Die Jungs stellten sich vor, welcher Mörder hier schon transportiert wurde.

Ihre Fantasie kannte keine Grenze und überschlug sich. Sie durchforsteten alle Zellen auf der Suche nach etwas Besonderem oder Außergewöhnlichem. Doch hier fanden sie nichts. Sie rannten weiter, jetzt schon mutiger, wollten sie auf den nächsten Waggon aufspringen. Das ging aber nicht, denn da stand kein Personenwagen, sondern ein Güterwaggon aus der Baureihe G 10. Beide mussten heruntersteigen und kletterten in die große Ladeklappe hinein. Es war nur ein Raum, dieser war leer. Die Außenwände waren ebenfalls nur aus Holz gefertigt. Die Ladeklappen hatten Scharniere und Vorrichtungen zum sicheren Verschließen. In den Außenwänden befanden sich nur kleine Fenster, da diese für den Transport an sich nicht notwendig waren. Der Güterwaggon war für die beiden langweilig, so dass sie diesen verließen und sich dem Letzten näherten. Es war ein besonderer Waggon, das sah man schon von außen. Dunkelgrüne und schwarze mit Gold abgesetzte Beschläge, deuteten schon das Außergewöhnliche des Waggons an. Außen waren Reichsadler angebracht, darunter in Emaille die deutsche Reichsflagge des Kanzlers. Es war der offizielle Zug der Deutschen Reichsregierung. Den beiden Jungs war das nicht klar. Die Türen standen offen. Mutig kletterten sie, sich gegenseitig helfend, in den Waggon. Die beiden waren sprachlos. Sie standen in einem offenen Waggon, der innen mit Mahagoni ausgeführt und mit teuersten Stoffen ausgeschlagen war. Es war der Rauch- und Clubwagen des Reichskanzlers. Neugierig öffnete Klaus eine Schublade. Darin befand sich die Bar mit teuerstem Schnaps, den die beiden davor noch nie gesehen, geschweige denn getrunken hatten. Eine Flasche, die einen besonders teuren Eindruck machte, nahm er heraus, öffnete sie und setze sie an den Mund. Gierig trank er einen großen Schluck, um daraufhin fast zu ersticken. Etwas Ekligeres hatte er noch nie getrunken. Das Brennen in der Kehle wollte einfach nicht aufhören. In seinem Bauch wurde es warm. Günter wollte wissen, was das ist und auch mal kosten. Ehe Klaus etwas sagen konnte, erging es seinem Freund genauso. Beide setzten sich in die riesigen Clubsessel und spielten Staatsmänner, während sie sich auch noch zwei große Zigarren in den Mund steckten, ohne diese anzuzünden.

Auf einmal hörten Sie außerhalb des Waggons ein klirrendes Geräusch. Es war ein Schlüsselbund, von dem der passende Schlüssel in ein Schloss gesteckt und herumgedreht wurde. Die Jungs sahen sich entsetzt an und versuchten alles wieder an seinen Ort zurückzulegen, um nicht aufzufallen. Man hörte das Echo der Schritte in der gesamten Halle. Die Schritte kamen immer näher. Es war ein Wachmann von der Betriebswache, der seinen Rundgang machte. Die Jungs verhielten sich absolut ruhig. Auf Zehenspitzen gingen Sie durch den Waggon, ganz am Ende war ein gesondertes Abteil. Es war das Schlafabteil des Reichskanzlers. Sie öffneten die Tür, gingen hinein und sahen vorsichtig durch die Gardine des Abteils den Wachmann kommen. Er hatte einen großen Schlüsselbund wie bei einem Kalfakter an dessen Gürtel. Dieser war mit einer extra Kette am Hosenbund befestigt. Er war nicht das erste Mal hier. Mühsam stieg er die Treppe zum Waggon herauf und betrat den Raum. Die Jungs hielten den Atem an, denn er kam immer näher. Langsam durchschritt er den Raum und ging an der Tür des Schlafabteils vorbei. Er blieb in der Mitte des Waggons stehen und holte umständlich ein kariertes Taschentuch hervor. Geräuschvoll schnäuzte er sich und verstaute es in der rechten Hosentasche. Er sah sich oberflächlich um, jedoch nicht mit dem Eifer etwas zu entdecken. Dann ging er an den Schrank mit der Bar und entnahm ihr eine Flasche Remy Martin. Es war die gleiche Flasche, aus der die Jungs vorher getrunken hatten. Der Wachmann öffnete die Flasche mit einem „Plopp“ und setzte sie genüsslich an den Mund. Gierig trank er. Man merkte seine Erfahrung beim Trinken stärkeren Alkohols. Ohne zu husten und ohne abzusetzen trank er bestimmt eine Viertelflasche. Dann verkorkte er sie wieder und stellte sie zurück in den Schrank. Er sah sich noch einmal um, strich seine Uniform glatt und setzte seinen Weg fort. Er verließ, geräuschvoll furzend, den Waggon des Reichskanzlers und schließlich auch die Halle.

Die Jungs fingen an, sich langsam zu beruhigen. Aber so richtig gut ging es beiden nicht. Sie öffneten die Tür des Schlafabteils, gingen durch den Salon und verließen den Waggon. So schnell sie konnten, liefen sie aus der Halle ins Freie. Erst hier fiel die Angst vollständig von ihnen ab. Vom Alkohol hochrot gezeichnet, kotzten beide erst einmal um die Wette. Dann nahmen beide ihren Mut zusammen und machten sich auf zu ihren Eltern. Diese warteten schon. Der Vater von Klaus war in Fahrt und begann schon mit seiner Standpauke, wurde aber wegen der Feier und vor allem von seiner Frau gebremst. So wurde alles nicht so schlimm.

***

Am morgigen Tag sollte ein Besuch bei Tante Magdalene folgen. Klaus` Mutter und Magdalene kannten sich schon als Kinder. Magdalene hatte sich als junges Mädchen in einen Leutnant verliebt und ihn dann später geheiratet. Eine „gute Partie“ nannte man das. Der Kontakt zwischen Magdalene und Klaus` Mutter blieb auch später bestehen. Eine richtige Tante war Magdalene also nicht. Selbst die Männer konnten gut miteinander und sprachen oft und viel über ihre Anteile an Kriegen und deren vermeintliche Erfolge. Selbst als Magdalenes Mann viel Geld als Unternehmer verdiente, traf man sich zum lockeren Plausch. Die Frauen regelmäßiger als die Männer. Magdalene war mittlerweile schon älter und ihr Mann gestorben. Sie lebte allein in einer riesigen Wohnung, in der es aber auch viel zu sehen gab. Magdalene erwartete sie schon in ihrer Wohnung. Alles sah für Klaus hochherrschaftlich aus. Der verstorbene Mann, als Offizier im Weltkrieg und erfolgreicher Geschäftsmann, hatte Magdalene etwas hinterlassen. Magdalene Fischbach-Rautenkranz trug immer schwarz, aber nicht zu übertrieben. Sie war sich ihrer Witwenschaft bewusst und zeigte dies auch nach außen. Klaus bewunderte Magdalene immer als eine Frau von Welt, die keinerlei Sorgen hatte. Als sie ankamen, drückten sich Klaus` Mutter und Magdalene lange. Der Vater gab ihr sehr freundschaftlich die Hand. Klaus hatte wie immer das Pech, erst einen sehr feuchten Wangenkuss zu bekommen und dann das obligatorische Bäckchen kneifen über sich ergehen lassen zu müssen.

In diesem Jahr 1929 war vieles anders in Deutschland. Die Aufwartefrau und die Haushälterin gab es bei Magdalene nicht mehr. Sie erzählte, dass der Zusammenbruch der Börse auch Sie und ihr Vermögen getroffen hatte. Die Hälfte sei weg. Gut, sie hätte immer noch genügend, aber ärgerlich war es allemal. Von solchen Problemen konnte die Familie von Klaus nur träumen. Es war interessant zuzusehen, wie sie auf einmal von Magdalene, statt von ihrer Haushälterin, bewirtet wurden. Als sie am Tisch saßen und Bohnenkaffee tranken, wurde das Gespräch für Klaus langweilig. Zentrales Thema waren die Kommunisten, Sozialdemokraten, der Stahlhelm, Hindenburg und Hitler. Irgendwie fühlte sich niemand mehr so richtig zufrieden. Magdalene war klar, dass dieser Hitler mit seinen Rabauken nicht gewinnen wird. Ständig diese Attacken auf die Juden und dann diese öffentlichen, schrecklichen Schlägereien. Es hätte wohl sogar schon Tote gegeben. Für Klaus waren diese Debatten nichts. Deshalb setzte er seinen „Hundeblick“ auf, dem Magdalene nichts abschlagen konnte, und ergatterte die Fotosammlung ihres verstorbenen Mannes aus dem Krieg. Das war bei Weitem spannender. Und so sah er sich Bilder vom Krieg an. Da waren Paraden, Auszeichnungen und Kriegsfotos, immer mit Informationen, wo und wann das gewesen war und wer auf den Fotos zu sehen war. Klaus konnte noch nicht so richtig lesen, so blieben die Bilder der Mittelpunkt. Einmal hatte er ein Foto in der Hand, welches lose zwischen den aufgeklebten lag. Auf der Rückseite stand „Serbische Freischärler – ich mit Fritz und Heinz“. Als er das Bild umdrehte, war er erschrocken und fasziniert zugleich. Er sah drei Männer in Uniform, dahinter an einem Galgen zwei Gehenkte, die im Wind baumelten. Vor den Dreien lag ein Leichnam. Den Kopf hatte man abgeschlagen und auf einem Holzbock, wahrscheinlich jenem zum Köpfen, abgelegt. Alle drei Offiziere lachten in die Kamera, in der Hand eine Flasche Schnaps. Schnell versteckte er das Bild unter seinem Hemd.

In der Zwischenzeit plätscherte das Gespräch zwischen den Eltern und Magdalene dahin. Man erinnerte sich an früher, als Egon noch da war. Klaus` Vater fragte, mehr nebenher, ob Magdalene nicht auch Jüdin wäre. Es solle ja jeder glauben, was er wolle, setzte er hinzu. „Ja, ja, das war ich mal früher als junges Mädchen, aber jetzt schon lange nicht mehr. Als ich Egon kennenlernte, der war doch katholisch, bin ich konvertiert und in die katholische Kirche eingetreten. Das ging ganz unkompliziert.“ „Das ist gut“, meinte er, „Man hört ja in letzter Zeit immer schlimme Sachen von den Juden. Aber du bist ja nicht so.“ Dabei atmete er hörbar aus, als wäre ihm eine Last von der Schulter genommen. Er selbst, Mitglied im Stahlhelm, hatte großen Respekt vor Egons Leistung als Offizier im Weltkrieg und wollte sich das durch jüdisches Gequatsche nicht kaputt machen lassen. Vorsichtig deutete Magdalene an, dass ihre Aufwartefrau aber gerade deshalb gegangen sei. „Unvorstellbar“, meinten beide. Nachdem sie ihren Kaffee getrunken und den Kuchen gegessen hatten, machten sie sich wieder auf den Heimweg. Klaus sprach nicht über das Foto, hielt es aber unter seinem Hemd sorgsam versteckt. Seine Eltern waren sehr in ein Gespräch vertieft, in dem der Vater immer auf die Schuld der Juden hinwies, egal ob in England, Amerika oder bei den Russen. Und es Deutschland deswegen so schlecht ging. Ludendorff wäre ein guter Kanzler für Deutschland und der Hitler nur ein Grünschnabel, der von nichts wüsste.

Als Sie zu Hause ankamen, zog sich Klaus um. Seine guten Sachen legte die Mutter zusammen und ehe sie sich versah, hatte er seine Räuberklamotten an und rannte raus zu Günter. Stolz präsentierte er das Foto.

Die Schulzeit zog sich unendlich für ihn hin. Am besten gefielen ihm naturwissenschaftliche und handwerkliche Fächer sowie Sport. Die restlichen Fächer gingen so. Er war einer mit Zensuren zwischen Zwei und Drei. Nicht gut und nicht schlecht. Mit der 8. Klasse verließ er die Schule. Sein Ziel war es, Lokschlosser wie sein Vater zu werden.

Freisprechung

Das RAW war fast wie ein riesiger Familienbetrieb. Hier arbeiteten viele, die auch untereinander verwandt waren. Die Leitung des RAW ließ zu, dass die Kinder der Arbeiter und Bediensteten hier ihre Lehre und Ausbildung machen konnten. Später würden diese dann auch hier arbeiten. Für Klaus ging sein Traum in Erfüllung und er begann seine Lehrzeit als Lokschlosser. Diese war nicht einfach. Zu Beginn hatte er immer die Halle zu fegen, alles sauber zu halten und allgemeine Handlangerarbeiten zu verrichten. Er war in der Lehrzeit oft unzufrieden. Das Fachliche als Lokschlosser kam erst zum Schluss, im letzten Lehrjahr. Denn dann waren ja die Neuen die „Spritzer“ hier. Er war jetzt der Erfahrene. Wie oft er den Spruch „Lehrjahre sind keine Herrenjahre“ hörte, konnte er schon nicht mehr sagen.

Die Freisprechung der Lehrlinge fand durch den Wehrwirtschaftsführer des RAW, den Präsidenten der Handwerkskammer und den Vorsitzenden des Prüfungsausschusses statt. Klaus war aufgeregt, denn so richtig wusste kein Lehrling, ob er die Gesellenprüfung geschafft hatte. Er saß auf seinem Stuhl, mit dieser doch recht steif sitzenden Uniform der Deutschen Reichsbahn, kurz nur DR genannt, im großen Saal des RAW und fühlte sich nur noch schlecht. Er war nicht so richtig von sich überzeugt. Neben ihm saß mit stolzgeschwellter Brust sein Vater. Dieser hatte seinen besten Anzug an. Seine Mutter war nicht dabei. Sie war zu Hause geblieben, um das Festessen vorzubereiten. Der Vater von Klaus war langjähriger Werksarbeiter und schon von Anfang an dabei. Er kannte alles und jeden im Betrieb, auch wenn im RAW über 2.000 Menschen arbeiteten. Nach der Machtübernahme wurden es noch mehr. Loks und Waggons unterschiedlicher Typen wurden gebraucht und mussten gewartet und repariert werden. Es ging aufwärts in diesem neuen Deutschland.

Klaus war mit seinem Elend nicht allein. Neben ihm saßen andere Eltern, aber auch seine Kumpels und Mitlehrlinge. Es roch schon nach Bockwürsten, Brause, Bier und frischem Brot. Sein Magen knurrte und meldete sich so laut, dass sogar sein Vater böse zu ihm herüberblickte. Aber Klaus konnte es nicht ändern. Der Saal war festlich geschmückt. Hier saßen bestimmt fünfhundert Menschen mit bangem Hoffen auf Erfolg, Gesellenbrief oder eben nicht. Überall hingen große Konterfeie des Führers und große Hakenkreuzfahnen. Auf der Bühne stand ein Rednerpult, daneben große Blumenkübel, dahinter saß auf ihren Stühlen eine Kapelle der Deutschen Arbeitsfront. An den Aufgängen standen uniformierte Schüler der Hitlerjugend und bildeten die notwendige feierliche Staffage. Dr. Grube, der Betriebsleiter, begrüßte alle Anwesenden, insbesondere die Honoratioren.

Seine Rede strotzte nur so von deutschem Stolz und der Qualitätsarbeit, die jeder an seinem Platz in der deutschen Volksgemeinschaft leisten müsse. Danach begann die Kapelle der DAF den Badenweiler Marsch und das Horst-Wessel-Lied. Überall standen jetzt die Anwesenden auf und sangen mit. Nachdem die letzten Noten verklungen waren, setzten sich alle. Der Vorsitzende der Prüfungskommission machte sich auf den Weg. Er war nicht groß, dafür behäbig und dick. Mit schwerfälligem Gang begab er sich auf die Bühne. An der Treppe wäre er beinahe gestürzt. Einige Lehrlinge mussten sich ein schadenfrohes Lachen verkneifen. Am Rednerpult angekommen, fiepte zuerst einmal das übersteuerte Mikrofon. Er tippte zweimal darauf und es verstummte. Nun öffnete er seine mitgebrachten Unterlagen und begann nüchtern die Daten vorzutragen. Neben Aktenzeichen und dem Hinweis auf die Prüfungen, die die Lehrlinge der unterschiedlichen Gewerke zu absolvieren hatten, kamen die einzelnen Berufsabschlüsse. Da waren Polsterer genauso wie Spengler. Die Namen der Gesellen wurden aufgerufen. Jeder musste dann auf die Bühne und bekam seinen Gesellenbrief. Es ging straff hintereinander weg. Erst ganz zum Schluss ertönte die sonore, aber doch teilnahmslose, ja fast einschläfernde Stimme des Vortragenden mit dem Hinweis auf die Lokschlosser. Aufgeregt lauschte Klaus. Er war zum Bersten gespannt. Und dann fiel endlich sein Name. Er schritt eifrig nach vorn und war einer von zwanzig freigesprochenen Lehrlingen, die auf der Bühne standen. Er nahm den Applaus nur nebenher war genauso wie die Gratulationen durch die Honoratioren. Er sah fasziniert auf seinen Gesellenbrief, auf dem oben der Reichsadler mit dem Hakenkreuz thronte.

In der Hand hielt er auch die neuen Schulterstücke, die ihn als Mitarbeiter der DR auswiesen. Als er zu seinem Platz zurückging, empfing ihn sein Vater, drückte ihn an sich und gratulierte ihm stolz zu seinem Gesellenbrief. Als alle ihre Gesellenbriefe hatten, kam zum Abschluss noch der Gauleiter zu Wort. Er beschwor das „Deutsche“ in jedem seiner Sätze. Jeder Volksgenosse hätte an seinem Platz in der Volksgemeinschaft seinen Beitrag zu leisten. Nicht zu vergessen seien der Schandfrieden von Versailles und der Dolchstoß der Roten Horden gegenüber der heldenmütig kämpfenden Wehrmacht im großen Krieg. Er verwies auf die herausragende Entwicklung des Deutschen Reiches und, dass man auf der Hut sein müsse vor den äußeren Feinden. Dann widmete er sich umfangreich den inneren Feinden des Reiches, den Juden. Jeder Volksgenosse hätte auch hier wachsam zu sein. Zum Schluss dankte er innig dem Führer des Deutschen Reiches, begleitet vom Aufspringen der Menschen und frenetischem Beifall. Klaus hatte gar nicht zugehört, Er wollte sich die Tiraden nicht anhören, dachte lieber an seine bestandene Gesellenprüfung und das Geld, das er nun als Geselle im RAW verdienen würde. Zudem dachte er noch an die Feier. Es gab heute sogar zwei davon. Zuerst noch die obligatorische Familienfeier, doch danach wollte er sich mit Günter und den anderen in der Gastwirtschaft am Bahnhof treffen. Günter hatte seine Gesellenprüfung als Spengler ebenfalls bestanden. Es war warmes Wetter und man wollte sich einen hinter die Binde gießen, schließlich hatte man ja etwas geschafft.

Die Familienfeier verlief glücklicherweise ohne die politischen Vorträge des Vaters. Man setzte sich, trank gemeinsam Kaffee und dann deutschen Korn. Doch Klaus wollte weg. Schließlich gaben die Eltern nach und ließen ihn ziehen.

Er musste sich beeilen, denn Günter und seine Freunde saßen schon seit über einer Stunde in der Kneipe am Bahnhof. Man wollte sich im Freisitz treffen. Seine Mutter hatte ihm noch etwas Geld zugesteckt, ohne zu wissen, dass dies der Vater auch schon getan hatte. So war er gut ausgestattet. Klaus hastete so schnell er konnte zum Bahnhof. Als er ankam, hörte er schon den Lärm im hinteren Freisitz. Günter saß dort mit noch vier weiteren Gesellen, darunter auch Franz, Gernot, Heinz und Karl, die heute alle feiern wollten. Klaus wurde mit großem Hallo begrüßt und Günter schob ihm gleich ein Bier und einen Korn hin, den Klaus hinunterkippte. Er schüttelte sich kurz und lachte. Sie gaben sich gegenseitig die Hände und es gab gegenseitiges Schulterklopfen. Man quatschte und trank und wurde lauter. Klaus hatte sich entwickelt. Er war jetzt nicht mehr klein und schmächtig, sondern ein junger Mann mit guter Figur, nicht zu dünn und nicht zu dick. Eher schüchtern als ein Draufgänger. Er hatte ein markantes Gesicht und einen beginnenden Bart. Günter war anders, muskulös gebaut und draufgängerisch. Klaus hatte noch keine Freundin und noch nie etwas mit einem Mädchen. Günter schon, er war sogar mal bei einer „Professionellen“ und brüstete sich auch damit. Klaus war neidisch. Mit zunehmendem Alkoholpegel wurden auch die Jungs mutiger, stachelten sich gegenseitig auf und erzählten sich gegenseitig teilweise erfundene Erfolgsgeschichten bei Frauen. Klaus hatte mit sich zu tun. Der Alkohol tat seine Wirkung, denn so richtig viel hatte er davor noch nie getrunken.

Er stand auf und musste sich abstützen. Er würgte, schaffte es aber nicht zu kotzen. Torkelnd ging er an der Hauswand entlang. Die Füße wurden ihm schwer. Das war also das, von dem alle schwärmten. Saufen. Ihm war nur schlecht. Er stützte sich an einem Baum im hinteren Bereich ab. Da erschien ein Mädchen neben ihm. Er konnte sich überhaupt nicht an sie erinnern. Tatsächlich war sie Teil einer Mädchengruppe, die auch ausgelernt hatte. Sie selbst war jetzt Polsterin. Sie hakte ihn beherzt unter und brachte ihn zur Toilette. Sie ließ ihn hier auch nicht alleine, schob ihm mutig zwei Finger in den Hals, so dass er alles herausbrach, was noch nicht verarbeitet war. Sie kannte Klaus, hatte ihn schon mehrmals gesehen und beobachtet und wusste, wo er wohnte. Sie wusch sein Gesicht ab, so gut es ging, legte dann seinen rechten Arm über ihre Schulter und steuerte ihn fast unbemerkt aus der Kneipe. Wie er nach Hause kam, wusste er später nicht mehr. Aber am nächsten Mittag gegen zwölf Uhr, glücklicherweise ein Sonntag, wachte er irgendwann auf. Er hatte einen riesigen Schädel und einen schlimmen Kater. Die Helligkeit und lauten Geräusche taten so weh. Er hielt seine Hände an den Kopf. Dann schob er die Bettdecke zur Seite, stand auf und ging zur Tür. Er öffnete sie und trat in die Küche. Am Tisch saßen seine Eltern beim Mittag und sahen hoch. Am Tisch saß auch das Mädchen von gestern. Er konnte sie zuerst nicht einordnen, obwohl er es versuchte. Seine Mutter meinte, das sei Hilde, die ihn gestern nach Hause gebracht hätte. Der Vater nickte anerkennend und deutete darauf hin, dass er sich zu ihnen setzen solle, doch vorher möge er sich waschen und anziehen. Noch etwas derangiert setzte er sich dann an den Tisch.

Die Mutter gab ihm einen Teller und lud ihm auf. Hilde murmelte etwas, dass sie nur wissen wollte, wie es ihm geht und nicht stören wolle. Doch seine Eltern ließen sie nicht gehen. Für Klaus ging es nicht peinlicher. Als das Mittagessen vorbei war, brachte er Hilde zur Tür und bedankte sich.

***

Endlich war die Zeit der Lehre vorbei. Endlich würde er an großen Maschinen und Gewerken mitschrauben dürfen. Er hatte ja begriffen, dass Lehrjahre keine Herrenjahre waren. Aber er hätte sich gewünscht, nicht nur alle Bereiche mal gesehen zu haben, sondern mehr Spezialwissen erlernt zu haben. Gut, das sollte jetzt kommen. Eingeteilt war er in der Abteilung „Schlosserei“ unter Koslowski. Koslowski war ganz ok, kein Arsch wie manch anderer hier. Ein alter Meister, der bestimmt schon gefühlte hundert Jahre hier arbeitete. Er wusste auch, dass Klaus der Sohn vom Schmidt war. Schnell stellte er fest, dass Klaus willens war zu arbeiten und zu lernen. Da war Klaus nicht traurig, als Koslowski zu ihm trat und festlegte, dass er die ersten Tage mit bei ihm arbeiten würde. „Merke dir“, sagte Koslowski „, wenn man friert, ist Arbeit die beste Jacke.“

Und dann stand sie da. Da war Sie, sein Traum. Eine Preußische P 08, eine riesige Dampflokomotive mit großem Führerhaus, welches teilweise abgebaut war. Die Farbe war schwarz, auch Aufbauten fehlten schon. Der Tender war leer, keine Kohle, die würde man zum Testbetrieb wieder benötigen. Mit ihren fast zwanzig Metern Länge, der Normalspur von fast anderthalb Metern und einer Dienstmasse von achtzig Tonnen ein wahres Ungetüm. Einfach imposant. Koslowski erklärte, dass der gesamte Bereich der Schlosserei in Einzelschritte aufgeteilt ist, so dass jede Lok von unterschiedlichen Gruppen mit immer gleichen Aufgaben abgearbeitet werde. Das ging schnell, war effektiv und fachlich sauber. Klaus fand sich dann im ersten Bereich der Zerlegung wieder, lernte aber weiter den Aufbau der Bremsanlagen, das Herstellen des Dampfdrucks und die Übertragung auf die Räder kennen und vieles mehr. Er verschlang förmlich alles. Mit seinen Kollegen kam er gut hin und war schnell anerkannt. Als jungem Mann standen ihm alle Wege offen. Koslowski beobachtete ihn und stachelte ihn weiter an zu lernen. Eines Tages nahm Koslowski Klaus zur Seite und nahm ihn mit zu den Auslieferungsgleisen. „Ich will dir mal das Endergebnis zeigen“, sagte Koslowski und wies auf eine P 08 am hinteren Ende des Gleises. Dort waren gerade drei Leute damit beschäftigt, diese für die Fahrt fertigzumachen. „Heinz“, rief Koslowski, „Heinz, bist du da?“ Ein älterer, hagerer Mann, etwas rußverschmiert, aber in Bahnuniform, meldete sich von der anderen Seite. „Koslowski, du alter Sack, du Haudegen, schön Dich wiederzusehen.“ Koslowski stellte Heinz vor. Heinz sei aus Düsseldorf. Er würde die P 08 als Triebwagenführer übernehmen und überführen. Wichtig sei am Anfang der Übernahme das eigene Überprüfen durch den Triebwagenführer anhand eines Formulars, so Koslowski belehrend. Heinz hakte ab was in Ordnung war. Das Formular war schon fast abgearbeitet. Koslowski nahm Heinz beiseite und sprach auf ihn ein. Heinz sah immer wieder zu Klaus und nickte dann. Koslowski sagte dann zu Klaus: „du fährst eine Runde mit, um festzustellen, ob es noch Probleme gibt.“ Klaus konnte sein Glück nicht fassen.

Es war sein Traum mit einem solchen wahrlichen Dampfross zu fahren. Koslowski haute ab und überließ Klaus sich selbst. Heinz rief: „Komm her, los, rauf auf den Bock.“ Das ließ er sich nicht zweimal sagen. Er war erstaunt wie wenig Platz im Führerhaus war. Die Besatzung bestand noch aus dem Heizer, der auch zuständig war für das Betanken mit Wasser und der Einhaltung des nötigen Wasserdrucks. Solch eine Riesenlok und dann nur zwei Leute, das fand er erstaunlich. Aber Heinz stellte lapidar fest, dass bei langen Strecken auch noch ein zweiter Lokführer an Bord wäre. Heinz gab grünes Licht für die Spritztour. Die Fahrt war in den zu passierenden Bahnhöfen und Bahnübergängen bekannt. Veranschlagt war eine Fahrt von ungefähr fünf Stunden. Der Tender mit der Kohle war gefüllt, der Heizer hatte alle Hände voll zu tun. Schon seit Stunden lief das Anheizen. Überall trat überschüssiger Dampf aus, wie ein schnaufender Stier der los wollte. Klaus war euphorisiert und wusste jetzt, dass er Lokführer werden wollte. Der Heizer hatte hinten zu tun und beobachtete die Anzeigen für den Druck. Als genügend Druck anlag, gab er Heinz durch Kopfnicken Bescheid, dass es losgehen könnte. Heinz zog am oberen Abzug und ließ Dampf durch das Signal ab. Ein lautes Pfeifen, genau das, was Klaus immer am Bahndamm hörte, ertönte laut und sehr nah. Er bekam Respekt vor diesem technischen Wunder. Vorsichtig legte Heinz den Hebel um, der den Dampf schrittweise in die Kolben lenkte. Gleichzeitig löste er die Feststellbremse. Sie spürten, wie sich die Lok aufbäumte, um sich langsam in Bewegung zu setzen, rhythmisch den Dampf ausstoßend. Sie verließen das Auslieferungsgleis und begannen ihre Fahrt. Die Lok zog an. Heinz und Klaus sahen aus den Seitenfenstern des Führerhauses und genossen die Fahrt.

Mit dem Wind im Gesicht zog die Gegend an ihnen vorbei. Heinz machte sich einen Spaß daraus, immer mal das Signal zu blasen und Dampf abzulassen. Klaus war überglücklich. Eher beiläufig beobachtete er, dass der Heizer ziemlich zu tun hatte, Kohle nachzuwerfen und die Druckkontrolle durchzuführen. Der Lokführer hatte vor allem die Aufgaben, sich um die beweglichen Teile der Lok zu kümmern, also zu schmieren und zu fetten und mögliche Schmierabläufe einzuhalten, sich um das Anhängemanöver und die Güter- und Personenwaggons zu kümmern sowie die Fahrt zu den festgelegten Zielen unter Beachtung der Verkehrsregeln der Deutschen Reichsbahn umzusetzen. Es ging hinaus, doch schon nach fünfhundert Metern musste er halten. Die Weiche, die dafür zuständig war, dass die Lok auf das öffentliche Schienennetz fahren durfte, war noch nicht gestellt. Alle warteten, dann schaltete das Signal um und die Weiche schob sich nach links. Die Fahrt ging schnaufend weiter. Jetzt, da die Fahrtstrecke frei war, ging es vorbei an Feldern, Dörfern, Bahnübergängen und zügig, da man ohnehin nicht anhalten wollte, auch durch Bahnhöfe. Wann die drei zurück waren, wusste er nicht mehr. Aber irgendwann hielt dieses Ungetüm am gleichen Auslieferungsgleis von dem man abgefahren war und die Reise war vorbei. Für Klaus war klar, Schlosser ist klasse aber sein Ziel, sein Lebenstraum, war Lokführer.

Macht und Karriere

Albert Ganzenmüller war aufgeregt wie schon lange nicht mehr. Er stand in der Diele seiner großen Berliner Wohnung. Früher hatte hier eine Jüdin, irgendeine Witwe gewohnt. Nach der Arisierung fiel diese Wohnung in bester Lage mit ihren 150 qm an Ganzenmüller.

Auch als Zeichen für die Anerkennung, die er in diesem, seinem neuen Deutschen Reich genoss. Auf seine Karriere konnte er stolz zurückblicken. In Sachen Logistik und Verkehr kam keiner an ihm vorbei. Er genoss die Machtfülle als Stellvertretender Generaldirektor der Deutschen Reichsbahn und Mitarbeiter im Reichsverkehrsministerium (RVM). Sein Freund, SS-Obergruppenführer Wolff, hatte sich angeboten, ihn zum Essen mit dem Reichsführer, mit seinem Mercedes-Benz W136 abzuholen. Seine Frau lehnte in der Tür und beobachtete, wie sich Ganzenmüller anzog und darauf achtete, dass der tiefschwarze Anzug ordentlich saß. Langsam nahm er das Goldene Parteiabzeichen aus der Schmuckschatulle und befestigte es am Revers. Es saß jedoch schief, so dass seine Frau, seine Hilflosigkeit bemerkend, heranschlenderte, den Bügel löste und das Abzeichen symmetrisch und gerade wieder festmachte. Ehrerbietig öffnete er dann das kleine schwarze Lederetui. Darin sah er den ihm vom Führer verliehenen Blutorden, den er für den Marsch auf die Feldherrnhalle in München erhielt. Er entnahm den Blutorden und heftete sich die Auszeichnung an die linke Brustseite. Damals schritt er hinter Hitler hinterher, da war noch nicht klar, wie sich das noch alles entwickeln würde. Fast schon etwas kokett bewegte er sich vor dem Spiegel hin und her. Er hatte es geschafft.

„Und würdest du mich noch einmal so heiraten?“, meinte er in den Raum hinein, ohne sich umzusehen. Er hörte hinter sich nur ein kurzes Lachen und dann ein „Immer wieder“.

Manchmal schien Ganzenmüller an diesem Hickhack von Hierarchien und Zuständigkeiten in diesem Reich zu verzweifeln. War er denn der Einzige, der das Große, den Endsieg sah und was man alles dafür tun musste? Der Führer stellte sich hinter ihn und ließ ihm freie Hand. Er erinnerte sich noch an das wohlige Gefühl, als Hitler ihm zum Schluss des Gesprächs die Hand reichte und jovial auf die Schulter klopfte. „Solche wie Sie, Ganzenmüller, bräuchte ich mehr“, hallten die Worte in seinem Ohr und seiner vor Stolz geschwellten Brust noch nach.

Es schellte an der Tür. Seine Frau öffnete und herein kam ein gut aussehender SS-General. Ohne Vorwarnung nahm er die Frau von Ganzenmüller in den Arm, drückte sie an sich und drehte sich mit ihr im Kreise, irgendein Lied von Lale Andersen oder Zarah Leander trällernd. Sie ließ es gewähren und spielte die Geliebte. Alle drei lachten. „Wolff, du alter Sack, lass meine Frau zufrieden. Du hast doch Deine Gerda und bestimmt noch andere Frauen nebenher.“ Ganzenmüllers Frau tat gespielt entsetzt, doch Wolff erwiderte nur trocken: „Du kennst doch wohl den Befehl des Reichsführers“, setzte dazu noch eine geschauspielerte Mimik auf. „Wir, die SS, müssen uns um die zu Hause gebliebenen Frauen kümmern. Der Führer braucht Söhne.“ Wieder lachten alle drei. Ganzenmüllers Frau rief: „Du Schuft!“ Es war ein schöner Nachmittag.

„Wer wird denn da sein?“, fragte Ganzenmüller. „Weiß ich nicht genau. Manchmal ändert der Reichsführer seine Gästeliste kurzfristig. Es sind wohl noch Heydrich und Müller dabei und ein paar Staatssekretäre.“ Ganzenmüller konnte gut mit Heydrich. Müller, von der Gestapo, war ihm aber manchmal unheimlich. Heydrich lachte einmal laut, als Ganzenmüller das mal andeutete und meinte, dass nicht die Gestapo schlimm wäre, sondern der übergeordnete SD. Heydrich ließ ein paar Geheimnisse von Ganzenmüller fallen. Lisa, eine Nutte aus dem Westend, war da das kleinere Problem. Er meinte nur lapidar: „Jeder, aber auch jeder, hat Dreck am Stecken, für uns als SD nicht schlecht!“ Ganzenmüller war damals zu Besuch im Reichssicherheitshauptamt und unterhielt sich mit Heydrich über notwendige organisatorische Rahmenbedingungen nach der Konferenz am Wannsee. Dort trafen sich hochrangige Militärs, SS, SD und Staatsbeamte, um endlich die Endlösung der Judenfrage voranzubringen. Meine Fresse, dachte er sich, nicht der Krieg und seine notwendigen Transporte machten ihm und dem Deutschen Reich zu schaffen, sondern auch noch das Problem mit den Juden. Aber hier könnte er mit seinem Wissen und Können helfen.

Wolff fläzte sich in den Sessel und holte seine Zigaretten der Marke Reemtsma heraus. Da sie immer nur leicht gestopft waren, hatte er es sich angewöhnt, diese erst einmal auf dem Tisch aufzustoßen, um den Tabak zu stauchen. Die Spitze drehte er zu einem Tütchen, holte die Streichhölzer heraus und zündete sich die Zigarette an. Gierig fraßen sich die Flammen zuerst und zügig über das gedrehte Tütchen. „Brauchst du noch lange? Denk dran, wir brauchen ungefähr vierzig Minuten und der Reichsführer hasst es, wenn man zu spät kommt.“

***

Sie brauchten die veranschlagte Zeit. Autos, LKW, Busse und Pferdefuhrwerke verstopften in diesem Kriegsjahr Berlin. Der Fahrer, von Wolff angetrieben, fuhr wie ein Henker. Der wusste, dass es zum Reichsführer ging. Das Prinz-Albrecht-Palais lag genau in der Innenstadt. Als Sie mit quietschenden Bremsen hielten, waren sie fünf Minuten eher da. Das passte genau, denn sie mussten noch in den Empfangssaal. Beide stiegen aus, ohne sich um den Fahrer zu kümmern, aber der kannte das. Am Palais hingen schwarze Fahnen mit den SS-Runen, davor standen zwei Ehrenwachen stramm und salutierten, als Wolff herankam. Er trug seinen schwarzen Uniformmantel aus Leder mit den weißen Aufschlägen und den Schulterstücken eines SS-Obergruppenführers. Auch wenn er in Zivil käme, hätte dies keinen Unterschied gemacht. Er war schließlich der Chef des persönlichen Stabs des Reichsführers SS und späteren Innenministers und Chefs der Deutschen Polizei, Heinrich Himmler. Locker und nicht ganz so vorschriftsmäßig warf Wolff den Ehrenwachen einen Hitlergruß zu und schritt selbstbewusst durch das Portal. Ganzenmüller im Schlepptau. Es war für Ganzenmüller keine typische Begegnung. Klar, er war es gewöhnt, mit den Chefs anderer Behörden direkt und dienstlich zu verhandeln und abzustimmen. Er war der Technokrat, der versuchte, sich ohne jedwede Skrupel mit seinem Wissen und Können in den Dienst der Sache zu stellen. Empathie und Mitleid waren hier fehl am Platze. Auch er hob den Arm zum Hitlergruß und lief straff hinter Wolff her. Mit großen Schritten ging es die Freitreppe hinauf.

Oben ging es den langen Gang nach rechts an der Büste des Führers vorbei, wieder Ehrenwachen, wieder Hitlergruß. Ganz am Ende stand wieder eine Ehrenwache, die eine große, zweiflüglige Tür bewachte. Das Dienstzimmer des Reichsführers. Wolff bog vorher links ab und kam in einen Vorraum, in dem sich Ordonnanzen befanden, die Ganzenmüller und ihm die Mäntel abnahmen. Wolff fragte nur kurz: „Ist der Reichsführer schon da?“ Das „Nein“ der Ordonnanzen beruhigte ihn und ließ Wolff wieder locker und jovial werden. Der Hinweis, dass gerade Eicke bei ihm wäre, ließ Wolff nichts Gutes ahnen. Die Ordonnanz öffnete die Flügeltür und ließ die beiden ein. Ein Festsaal, zwar aus der Zeit des Rokokos, aber ausgestattet nach dem neuesten nationalsozialistischen Schick. Eher nüchtern. Ein großer, ovaler Tisch und drum herum zehn schwere Stühle. Der Stuhl am Kopfende, selbstverständlich mit höherer Lehne, der Sessel des Reichsführers. Überall Hakenkreuze, SS-Runen waren eingearbeitet bzw. in die Rückenlehnen eingewebt. Der Tisch war für zehn Personen eingedeckt. An der rechten Seite stand ein gesonderter Tisch mit einem schwarzen Tuch darauf, auf dem zwei größere Schatullen lagen. Wolff und Ganzenmüller waren nicht die Ersten, eher die Letzten. Neben ihnen beiden waren noch Heydrich, ein Mann namens Globocznik, von dem Bach-Zelewski, Müller von der Gestapo sowie Generaloberst Halder vom Generalstab des Heeres, General der Infanterie Rauchfuß als Chef der Geheimen Feldpolizei und ein Herr Backe, Leiter einer Arbeitsgruppe Ernährung im Vierjahresplan der Reichsregierung, anwesend. Das Interessante, was Ganzenmüller wahrnahm, war, dass er der Einzige in zivil war. Alle anderen hatten irgendwelche Uniformen an.

Wolff ließ Müller links liegen und schleppte Ganzenmüller mit zu Heydrich, der sich angeregt und belustigt mit Globocznik und von dem Bach-Zelewski unterhielt. Zuerst sprach man über die unmöglichen Eskapaden von Eicke. Globocznik meinte, dass Eicke in die Klappsmühle gehören würde. Heydrich versuchte zu besänftigen, was aber nicht ganz so überzeugend rüberkam. Von dem Bach-Zelewski sprach von einem Ort in Russland. Ganzenmüller hörte sowas wie Babyn Jar oder so, konnte aber damit nichts anfangen. Heydrich und Globocznik schlugen von dem Bach-Zelewski lachend und zustimmend auf die Schulter. Es bildeten sich Grüppchen. Halder stand mit Rauchfuß und Müller zusammen. Die beiden letzteren besprachen noch einmal die Konferenz in der Villa am Wannsee. Allein stand nur Backe. Die Ordonnanzen brachten stilles Wasser und Kaffee. Der Reichsführer liebte keinen Alkohol, war aber zu seinen Leuten verständnisvoll und genehmigte bei Polizeiaktionen, Sonderbehandlungen und Massen- erschießungen schon Alkohol, seit er selbst einmal dabei war und sich übergab.

Eine Ordonnanz bat alle Platz zu nehmen. Als alle saßen, öffnete er eine kleine kaschierte Tür, die man nicht wahrnahm. Der Reichsführer trat ein. Er hatte keinen großen Klimbim und keine Orden angelegt. Das war nicht seine Art. Er begrüßte jeden persönlich mit leiser, piepsender Stimme. Seine Stärke war absolute Macht und eine Art stiller Grausamkeit.

Er war sehr vermittelnd und fast liebevoll. „Hallo Globus, wie stehts im Generalgouvernement?“, warf er genauso hin wie „Und Müller, gehts voran?“ Er meinte irgendeine der im Reich existenten Widerstandsgruppen oder Tätergruppen von Juden über Schwule bis hin zu Zigeunern.

Er stellte sich in Positur und begann mit einer Rede. Er sprach von Pflichten und Feinden und Deutschland und Ehre. Ganzenmüller hätte alles blind unterschreiben können, so überzeugt war er. Kurz erwähnte er die Konferenz von hochrangigen Vertretern der Reichspolitik am Wannsee. Dann fing er an, das besondere Engagement von Menschen in der Runde zu würdigen. Zuerst war dieser Herbert Backe dran. Ganzenmüller war beeindruckt, wie radikal der sich um die Ernährung der eigenen Kriegsbevölkerung bemühte. Was interessierten diesen Backe Russen und Polen, auch wenn diese verhungern würden. Dann wandte er sich an Ganzenmüller und hob sein Engagement für den Verkehr im Reichsgebiet und den eroberten Gebieten hervor und entschuldigte sich fast für die Schwierigkeiten, die es manchmal gab. Irgendwann war Schluss. Er bedankte sich bei allen, stand auf und stellte sich theatralisch neben den Tisch der vorne stand. Er bat zuerst Ganzenmüller zu sich. „Ich weiß, Herr Ganzenmüller, dass Sie noch nicht bei uns, bei der SS sind, aber ich bewundere Ihren Einsatz und Ihre Initiative. Ich zeichne sie deshalb mit dem Ehrenring der SS aus.“ Es gab Beifall und Ganzenmüller war überwältigt. Es stimmte, es gab immer wieder Versuche, ihn als Ehrengeneral oder so etwas bei der SS unterzubringen. Aber das wollte er nicht und bei Gott nicht wegen der Überzeugung, da war er durch und durch Nationalsozialist. Als der Reichsführer ihm den Ring aufsteckte, meinte er: „Ich würde mich gern nachher noch mit ihnen unterhalten.“ Ganzenmüller nickte kurz und geheimnisvoll. Dann bekam Backe seinen Ring. Es gab ein opulentes Mahl und danach französischen Cognac, obwohl Globocznik meinte, Wodka ginge auch. Alle lachten.

Der Reichsführer verließ die Runde und winkte Ganzenmüller mit ihm zu kommen. Das Dienstzimmer hatte keinerlei Komfort und strahlte den neofaschistischen Stil aus. Der Schreibtisch war riesig, dahinter an der Wand ein Bild des Führers, der Reichsadler und die SS-Runen. „Ganzenmüller, setzen Sie sich bitte“, sagte er leise aber bestimmend. „Wissen Sie, neben vielen Dingen im Reich kommt gerade der Transportkapazität eine besondere Bedeutung zu. Schaffen Sie mehr Kapazitäten, diese sind wichtiger denn je. Da sind unsere Schlachtfelder in Russland, Frankreich, Schweden und Italien, aber wir, wir kämpfen an der inneren Front. Wenn Sie ein Freund der SS sind, helfen Sie uns die Endlösung der Judenfrage voranzutreiben. Lassen Sie sich was einfallen. Und keine Sentimentalitäten, Juden brauchen keine Personenwagen. Sollten Sie sich einbringen, Ganzenmüller, sind Sie ganz schnell Staatssekretär. Ihr Vortrag beim Führer zur Verkehrssituation im Generalgouvernement hat Eindruck hinterlassen. Und ich verrate Ihnen bestimmt nichts Neues, wenn ich Ihnen sage, dass Dorpmüller, wenn auch ein alter Kämpfer der Bewegung, eben seine Grenzen hat. Ach und noch etwas, ich würde mich freuen, Sie im Oktober auf der Wewelsburg zu begrüßen. Dann können wir über Ihre Erfolge sprechen.“ Damit war Ganzenmüller aus der Privataudienz entlassen.

Er ging zurück und merkte, wie beseelt er war und dass die Stimmung jetzt erst lockerer wurde. Als er zurückkam, wurde es schon lauter und ungestümer. Dieser Globocznik war ein sehr ungeschlachter Typ, ziemlich grob. Aber er war wohl für die Aufgabe als SS- und Polizeiführer in Lublin wie geschaffen. Es unterhielten sich alkoholisierte und administrative Mörder, jeder den anderen übertreffend. Zum Schluss hieß Backe nur noch Herbert und Globocznik nur noch Globus. Selbst Halder, deutscher Militär durch und durch, hieß nur noch Franz. Alkohol eben. Wolff schlug Ganzenmüller auf die Schulter. „Und etwas Karriere gemacht?“, meinte er. Ganzenmüller erwiderte lachend: „Du Schweinehund hast gewusst, was der Reichsführer von mir wollte, oder?“ „Na klar, ich bin nicht umsonst sein Adjutant, gratuliere“, meinte er verschwörerisch und ergänzte: „Du weißt schon, dass da noch viel Arbeit drinsteckt, aber du schaffst das – Herr Staatssekretär.“ „Nicht so laut, das bin ich noch nicht.“ Da trat Heydrich zu ihnen. „Wenn der Reichsführer das mit Ihnen besprochen hat, wird das auch so, darauf können Sie wetten, Ganzenmüller. Ich habe eine Bitte. Der Reichsführer hat ja vorhin auf unsere Konferenz am Wannsee hingewiesen. Damit Sie die Größe der Aufgabe zur Endlösung der Judenfrage erkennen können, würde ich gern einen Mitarbeiter zu Ihnen schicken. Sturmbannführer Eichmann, guter Mann, würde Sie ins Bild setzen. Dass dies „Geheime Reichssache“ ist, dürfte klar sein. Lassen Sie uns zum Du übergehen, Albert.“ „Ja klar, Reinhard.“ Ganzenmüller war oben angekommen, man duzte sich.

Gift des Bösen

Magdalene Fischbach-Rautenkranz hieß nicht mehr so. Man hatte ihren Namen verändert. Per Gesetz hieß sie ab sofort Magdalene Sara Fischbach-Rautenkranz. Alle Jüdinnen im Deutschen Reichsgebiet mussten diesen Zusatz tragen. Magdalene war erstaunt, war sie doch keine Jüdin mehr. Sie war doch zum Katholizismus übergetreten. Mehrmals und mit Nachdruck versuchte sie dies bei der Polizei und den Meldestellen klarzustellen. Aber es interessierte niemanden. Einmal erhielt sie die barsche Antwort, dass Juden eben so seien, sie versuchten sich wie Ratten zu verstecken und würden sogar andere Religionen annehmen. Magdalene wusste nicht wie ihr geschah. Es gab auch früher immer mal Angriffe gegen Juden. Ob Politiker oder Religionsforscher, die sich in Hetzschriften gegen Juden, Kommunisten, Zigeuner, später auch gegen katholische Priester oder Zeugen Jehovas wandten.

---ENDE DER LESEPROBE---