Loop City - Travis Elling - E-Book

Loop City E-Book

Travis Elling

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Beschreibung

Eines Tages bleibt die Millionenstadt Berlin in einem Zeitloop von etwa 3,5 Stunden hängen; der Agent Elias L. wird in die aus der Zeit gefallene Stadt entsendet. Er soll herausfinden, was das Phänomen verursacht hat. Doch die Reise hat ihre Tücken - denn was sich in der Zeit wiederholt, ist für in der Gegenwart verhaftete Menschen gefährlich. Elias L. entdeckt ein Museum des Alltags, in dem nicht alles stimmt... Eine Zeitreise in die ewige Gegenwart.

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Seitenzahl: 86

Veröffentlichungsjahr: 2016

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oder:

Die Stadt der untergehenden

Sonne

Travis Elling/Pagan Eosen

mit Stills aus dem gleichnamigen Video von Holly N.

Werd' ich zum Augenblicke sagen:

Verweile doch! Du bist so schön!

Dann magst du mich in Fesseln schlagen,

Dann will ich gern zugrunde gehn!

J. W. Goethe, „Faust“

Intellectus naturaliter desiderat esse sempre.

Thomas von Aquin

Vorspiel

Am frühen Abend

Die Sterne stürzen in die Nacht über Berlin, aus alter Gewohnheit und weil der Himmel günstig klar ist. Leichtes Vibrieren der Häuser, unter denen die zahllosen U-Bahnen der Stadt durch Tunnels rauschen. Rascheln hastig umgeschlagener Seiten. „Was für ein Geschenk ist, was für ein Wesen hat ein Buch?“, fragt sich beiläufig ein Mensch, gegen ein Bücherregal gelehnt, ein Druckerzeugnis in der Hand (Neuzugang), „Wie freundlich ist es, und auch tief. Denn hier, in meiner Bibliothek, hier findet sich ja alles aufgeschrieben. Die ganze Welt findet sich in meinen Büchern. Erinnerungen an Sommertage. Teegebäck am Morgen, als ich noch nicht war. Ich schlage ein altbekanntes auf und kehre zurück in die vergangene Welt des ersten Lesens, beispielsweise. Die eine andere Welt ist, und doch auch: meine Welt. Jedes einzelne Buch ist ein Kontinent der Erinnerung, säuberlich konservierte Zeit, Labyrinth des Gewesen-Seins, aber ach, ich falle geradeaus durch die Zeit und kann nicht zurück ... Wie oft wollte ich diesen oder jenen Moment, dieses oder jenes Erlebnis ganz wahr zu mir zurückrufen. In ein glitzerndes Verkehrsmittel steigen und zu dem Freitag meines Spaziergangs mit M... zurückkehren, die staubige Sommerstraße entlang, oder zum waghalsig-unerfahrenen Zittern meiner ersten Verabredung mit J..., im Gewürzdunst des billigsten indischen Restaurants der Stadt, oder zu jenem Moment, als ich den wirren Kopf hob in der hübschen Bibliothek der frühen Jahre, unwissend und wissensdurstig, und K... an ihrem Schreibplatz sah, strichdünn, verlockend und hehr wie ein schmaler Band vergessener Gedichte. Und auch: wie sehne ich mich zurück (oder hin oder seitwärts) zu jenem Abend auf dem Sandhügel oder, hm, -berg im fernen N..., drüben auf der anderen Seite des Meers, zu jenem Sonnenuntergang dort, als ich mit mir allein so glücklich war wie nie, um mich goldene Wüstenhügeln und silberne Felsspitzen, eine unbeschriebene neue, un-erfahrene Welt ... Seufz. Kommt zurück ihr schönen Momente, verpuppe dich in das jetzt nur noch erinnerte, Körper, und erwache neu darin: und verschwindet, Bücher, ihr seit doch nichts als Schaum gegen die Weite jener Augenblicke, flüchtig, wundervoll, wahr und unnahbar... Ach, und wenn doch wenigstens mein morgiges Heute nie verginge, so wenig auch geschehen wird. Das Rendezvous am Monbijou mit mon Bijoux, danach sicher ein Spaziergang. Der Sonnenuntergang (schon wieder einer: ich wiederhole mich) vom Fernsehturm gesehen verspricht, ansehnlich zu werden. Eventuell ein Pfirsichhimmel über der dann noch schwitzenden Stadt (wie Heute), dazu die (dürfte ich ‚meine‘ sagen?) freundlich-unnahbare zweite J... (viel näher, ich will mir gegenüber doch ehrlich sein, als wir bereits sind, werden wir uns wohl nie kommen: keine ungebändigte Leidenschaft wird uns verdrehen: es wird kein Ineinandergreifen von Körper und Seele geben...). Dennoch fühle mich mit ihr oft, als wäre alles das 1. Mal ... Wenn ich doch noch nichts wüsste ... Doch statt zu genießen verzweifele ich an meinem mit den Jahren sanft wachsenden Bauch (Bäuchlein, eigentlich, ich will nicht übertreiben) als wüchse mir das Grab am Körper ... Viel, viel, viel und mehr würde ich geben um nur noch in diesen schönen, sonderlichen, sinnlichen und ach, zu schnell vergangenen Stunden seltener werdender Schönheit zu leben ... ach was, alles würde …"

Leichter Schwefelgeruch. Jaulen und Kläffen. Klopfen an der Haustür. Ein Blick. Genervtes Knallen der Tür. Schließen der Badezimmertür. Klopfen (insistierend) an der Badezimmertür. Verwunderung und Schrecken. Halbes Öffnen derselben. Ein Blick. Große Überraschung. Überraschende Eröffnung, dann angespannter Handel mit leisen Verschwörerstimmen. Fragen, Erläuterungen, mehr Fragen, mehr Erläuterungen, endlich: Übereinkunft. Große Geste, der Handel wird greifbar, materialisiert sich, wird geschlossen, und (nach einem Glas Wein zur Feier, versteht sich): Verabschiedung. Freundliches Öffnen und folgendes Schließen der Haustür.

„Eigentlich wäre ich ja fast lieber wieder in die Bibliothek zurück, das wäre ja auch gegangen, warum habe ich daran nicht gedacht .... Was K... jetzt wohl macht? ... Ach ja, richtig, Mann (Professor: gute Partie, sicher ein Großtuer & Taugenichts, naja) und Kinder in W...... Die Bibliothek in meiner vergangenen Stadt, als ich noch so köstlich wenig von der Welt wusste ... Dass ich auch nie einen kühlen Kopf behalten kann! Muss immer alles überstürzen ... Aber es wird Morgen doch sicher: schön.“

Und am nächsten Tag murmelt er, in der Mitte seines Zimmers stehend, noch, auch das sollte überliefert werden: „Also: schalten wir es: ein.“ Trotz des historischen Knopfdrucks mit den Gedanken woanders betätigt er eine große, rote, runde Taste auf der Seite eines im rötlichen Licht einer Lampe glitzernden größeren Objekts. Auf dessen silberner Haut Schatten auftauchen.

Und er verlässt seine Wohnung.

Die Gleichzeitigkeit allen Geschehens.

Rille 1:

Eilige Vogelschwärme: die übergroße Sonnenscheibe: er hält: sie: der Fluss: Autos: Flugzeuge: die Stadt: Bettler: Fahrradbremsen: Ausflugsboote: Studenten: faserige Wolken: die beliebteren Bars: ansässige Iren: Kirchturmglocken: verliebte Paare: Straßenbahnen: TV-Nachrichtensprecher: ein Soldat: der vorbeiziehende Transvestit: die Tiere im Zoo: die Aufzüge der Börse: Plattenteller: Dichter: ein Mensch: jemand: jemand anderes: noch jemand: zahlreiche Telefone: in den Internet-Cafes: 999 Jungen: ein Mikroskop: Katzenarmeen: U-Bahnen: Teetassen: Schachprogramme: der Mond: städtische Angestellte ...

Rille 2:

Teil 1

BERICHT DES GEHEIMAGENTEN ELIAS L. BEZGL. SEINES AUFENTHALTS IN B. („LOOPSTADT“). GEHEIM. SEHR GEHEIM. (TEIL 1)

(ANMKG. D. VERW.TUNG: Agent Elias L. ist aktenkun. für seine zwl. umständlich-ausschweifenden Ausführungen. Er ist nicht bereit, im Sinne einer konstrukt. Zus.arbeit einen straffen, sachl. Bericht abzufassen. Wer setzt den kom. Kerl eigentl. immer wieder ein? Gemäß unseren Vorschr. befindet sich sein vollst. Bericht in der Akte. Eine Kurzfass. kann beim zust. Amt angef. werden.)

- Zur Person: Meine Name ist Elias L., Agent. 1,80 groß, gut gebaut, 35 Jahre alt, intelligent, kultiviert, ledig. Ohne finanzielles Polster, aber dafür tue ich meine Arbeit gerne. Und die ist: Geheimnisse lüften. Rätsel lösen. Mich dem Unbekannten stellen. Etc. Doch zum Bericht:

Vor der Stadt

Ich erreichte die Einsatzzentrale kurz vor Berlin an einem jener grausamen, immer unerwünschten, frühen, grauen Herbstmorgenden. Es war einer der ersten des Jahres. Einer von denen, die plötzlich über einen herfallen wie ein Heuschreckenschwarm und sich kalt und melancholisch auf einem niederlassen. Die sich durch die Haut langsam in die Seele fressen und einen in die Knie zwingen wollen, als hätte man sie persönlich beleidigt. Elegant chauffierte ich meinen verbeulten VW Käfer (Jahrgang 1968: sehr hübsch, hoher nostalgischer Wert) an der grüßenden Militärkontrolle vorbei auf den Bus der Einsatzleitung zu - einen alten, ausrangierten Kanzlerbus von vor 20 Jahren. Schwarz, mit einem schmutziggelben Blitz, der unter der kugelsicheren Fensterreihe die Seiten entlang auf den Auspuff zurast. Durch das Nebelgrau des Morgens war im Hintergrund die Stadt sichtbar. Mir waren - natürlich - bereits Gerüchte über das, was dort geschehen war, zu Ohren gekommen. Dazu Halbwahrheiten und Medienberichte. Ein Sender hatte Aufnahmen aus einem Flugzeug heraus machen lassen. Darin sah die Stadt aus wie einer dieser Briefbeschwerer aus alten Weihnachtsfilmen, von oben gesehen. Erste Szene: Im Grau in Grau greift eine Hand die Halbkugel mit der Skyline und dem blauen Himmelshintergrund, und schüttelt den falschen Schnee auf; nun steht sie da, inmitten eines dunklen Hintergrunds ... Schnitt. Nur hatte der Briefbeschwerer in diesem Fall einen Durchmesser von über 30 km und wurde von mehr als drei Millionen Menschen bewohnt. Durch die Nebelschwaden war von meinem Standpunkt aus das Zentrum der Stadt Berlin mit dem ikonischen Fernsehturm undeutlich sichtbar, aber eigentlich hätte ich sie aus dieser Entfernung gar nicht erkennen dürfen - dennoch konnte ich den blauen Himmel um die ferne Silhouette des Turms ausmachen. Er schien um einiges größer als ich ihn in Erinnerung hatte und war gebrochen, schien sich zur Seite hin weg zu biegen und zeichnete fast einen Bogen, wie eine Art überdimensionierter Angelhaken, der den Himmel festhalten wollte. Insgesamt schien dieses verzerrte Stadtbild dazu etwas vom Boden abgehoben, wirkte wie ein leicht andersfarbenes Rund, das sich aus der Umgebung erhob. Mich erinnerte das Bild an einen unheilvollen, riesenhaften, aufgehenden Mond.