Lore-Roman 120 - Ursula Fischer - E-Book

Lore-Roman 120 E-Book

Ursula Fischer

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Beschreibung

Eugen Michaelsen, ein strenger, sehr ehrenhafter Mann, hält seinen geachteten Namen in Ehren und erwartet es mit gleicher Selbstverständlichkeit auch von seiner einzigen Tochter Sonja. In seinem Geist erzogen, wird sie ihm niemals Schande machen, glaubt er.
Doch das Leben richtet sich nicht nach seinen strengen Prinzipien. Eines Tages stellt Sonja fest, dass sie das Kind eines Mannes erwartet, der kurz zuvor tödlich verunglückt ist. Ein uneheliches Kind! Sie fürchtet sich unsagbar vor dem Augenblick, da sie dem alten Herrn die ganze Wahrheit gestehen muss.
Der Vater bestimmt ihr einen Mann und sie heiratet ihn. Sonja weiß, dass sie sich fügen muss. Kein Wunder, dass sie Hendrik Hardau verachtet. Er kennt sie kaum und ist doch bereit, die Ehe mit ihr zu schließen, obwohl sie das Kind eines anderen Mannes erwartet und obwohl sie ihn nicht liebt. Eine unvorstellbare Zeit des Leidens beginnt für Sonja ...


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Inhalt

Cover

Ihr ungeliebter Mann

Vorschau

Impressum

Ihr ungeliebter Mann

Warum Sonja ihn verachtete

Von Ursula Fischer

Eugen Michaelsen, ein strenger, sehr ehrenhafter Mann, hält seinen geachteten Namen in Ehren und erwartet es mit gleicher Selbstverständlichkeit auch von seiner einzigen Tochter Sonja. In seinem Geist erzogen, wird sie ihm niemals Schande machen, glaubt er.

Doch das Leben richtet sich nicht nach seinen strengen Prinzipien. Eines Tages stellt Sonja fest, dass sie das Kind eines Mannes erwartet, der kurz zuvor tödlich verunglückt ist. Ein uneheliches Kind! Sie fürchtet sich unsagbar vor dem Augenblick, da sie dem alten Herrn die ganze Wahrheit gestehen muss.

Der Vater bestimmt ihr einen Mann und sie heiratet ihn. Sonja weiß, dass sie sich fügen muss. Kein Wunder, dass sie Hendrik Hardau verachtet. Er kennt sie kaum und ist doch bereit, die Ehe mit ihr zu schließen, obwohl sie das Kind eines anderen Mannes erwartet und obwohl sie ihn nicht liebt. Eine unvorstellbare Zeit des Leidens beginnt für Sonja ...

»Sechs Wochen musst du fort?« Sie saßen nebeneinander auf einem umgestürzten Baumstamm. Der Mann hatte sie fest an sich gezogen und strich mit seinen Fingern liebkosend durch ihr silberhelles, seidiges Haar.

»Hendrik will es!«, stieß Rudolf verbissen hervor.

»Und weshalb weigerst du dich nicht?«, forschte Sonja und legte den Kopf in den Nacken, um zu ihm emporschauen zu können. »Du bist doch schließlich nicht von ihm abhängig. Sag ihm doch, er solle selbst fahren, wenn die Angelegenheit so wichtig ist.«

Der junge Mann presste die Lippen zusammen.

»Du kennst ihn nicht«, brachte er dann entschuldigend hervor. »Wenn Hendrik etwas will, dann setzt er seinen Willen durch. Schließlich ist er es ja auch, der das Gut Hardauen und die Zuckerfabrik in Brunkensen leitet.«

Sonja schüttelte den Kopf. »Das verstehe ich nicht«, meinte sie verdrossen. »Er ist doch dein Bruder, und du tust so, als sei er eine fremde Respektsperson.«

Sie nahm sich vor, Hendrik Hardau nach ihrer Verlobung einmal ordentlich die Meinung zu sagen, denn immer wieder stand der Schatten des herrischen Mannes zwischen Rudolf und ihr.

Er musste, schloss Sonja Michaelsen, ein übler Mensch sein, arrogant, kalt bis in die Fingerspitzen und ohne Verständnis für die Herzensregungen eines anderen.

Vielleicht glich er ihrem Vater, den Sonja zwar sehr liebte, der aber trotzdem einen Panzer eisiger Unnahbarkeit trug, den auch sie nur selten durchbrechen konnte. Nur manchmal trat ein warmer Schein in seine Augen, aber dann wandte der alte Herr sich hastig ab, als schäme er sich dieser menschlichen Regung, und wurde nur noch bärbeißiger.

»Die Aufsicht in unserer Fabrik in Brunkensen ist wichtig«, behauptete Rudolf ohne jede Überzeugungskraft. »Die Zuckerfabrik bringt mehr ein als unser Gut hier.«

»Und trennt uns für sechs lange Wochen! Du weißt nicht, wie schwer es mir wird, dich sechs Wochen lang nicht zu sehen. Ist es dir denn gleichgültig, wenn du jetzt fort musst? Aber Männer sind wohl so, sie kennen nur ihre Arbeit und nichts weiter.«

Sonja wusste ganz genau, dass ihre Behauptung, jedenfalls soweit sie Rudolf betraf, nicht stimmte, denn ihr zukünftiger Mann hatte immer Zeit für sie; sie trafen sich zu jeder Stunde, die ihr passte, und es gab keine Arbeit, die wichtig genug war, um ihn zurückzuhalten.

»Ich ... ich habe Hendrik gesagt, dass ich nicht gern fahre.«

»Sag ihm, dass du überhaupt nicht fährst«, verlangte Sonja, und ihre Augen blitzten zornig auf. »Schlag mit der Faust auf den Tisch und sage ihm, er soll seinen Kram gefälligst allein machen, du hättest etwas Besseres zu tun.«

»Sechs Wochen gehen auch vorüber«, versuchte er, sie unbeholfen zu trösten, aber Sonja schnellte von seinen Knien hoch und warf den Kopf unbeherrscht in den Nacken, dass ihr Haar nur so aus dem Gesicht flog.

»Fahr nur fort, wenn dir diese Arbeit wichtiger ist als ich, bitte schön, ich werde dich nicht zurückhalten!« Wie ein ungezogenes Kind stampfte sie mit ihren winzigen Füßen auf den Boden. »Dein hochwohlgeborener Herr Bruder gilt dir ja mehr als ich, tu nur, was er dir befiehlt, küsse seine Füße ...«

»Aber, Sonja ...« Ganz unglücklich schüttelte Rudolf den Kopf. »Du weißt doch, dass ich ...«

»Ich weiß gar nichts, und ich will auch nichts wissen! Fahr doch schon, was stehst du hier noch, fahr doch endlich!«

Sonja sah, da ihr Verhalten ihn in einen Konflikt gestürzt hatte. Sie verlangte von ihrem zukünftigen Mann, dass er alles tat, was sie wollte, und sie war überzeugt, Rudolf beherrschen zu können.

Der Mann senkte den Kopf und fuhr mit der Spitze seines Schuhes durch das hohe Waldgras der Lichtung. Die Stille hier weckte kein Echo in seinem Herzen, dort sah es finster aus, denn er konnte einfach nicht im Zorn von ihr scheiden.

Eine dumpfe Wut auf Hendrik packte ihn, der an allem, was geschehen war, die Schuld trug. Der Direktor der Fabrik war ein tüchtiger Mann, mochte er sich doch um alles kümmern! Weshalb sollte er nach Brunkensen fahren und mit ihm zusammen arbeiten?

»Ich bleibe«, flüsterte er, und mit einem Jubelruf drehte sich das Mädchen herum, schlang die Arme um seinen Hals und schmiegte sich an ihn.

»Ich habe ja gewusst, dass du mich mehr liebst als alles andere.«

***

»Ich denke nicht daran, auf Befehl des gnädigen Herrn zu erscheinen«, schnob Sonja Michaelsen empört, als Rudolf ihr nachmittags stockend vorbrachte, dass sein Bruder Hendrik sie zu sehen verlangte. Sie blieb bei ihrer Weigerung, kein Bitten, kein gutes Zureden half.

»Ich werde kommen, wann es mir passt, Rudolf«, war ihr letztes Wort in dieser Angelegenheit.

Sonja begann, den fremden Mann allmählich förmlich zu hassen, und sie wusste schon jetzt, dass sie niemals ein gutes Verhältnis zu ihm bekommen würde. War es denn eine Art, den Jüngeren zu zwingen, überflüssige Arbeiten zu erledigen, für die es Personal genug gab, nur weil er der lächerlichen Meinung war, dass jeder Mensch arbeiten müsste?

Sie selbst war allerdings sehr tüchtig, ritt oft mit dem Vater zusammen über die Felder und Weiden und verstand sehr viel vom Gutsbetrieb, aber von ihrem zukünftigen Mann verlangte sie, dass er für sie da war, und nur für sie! Der Widerspruch ihrer Haltung kam Sonja nicht einmal zum Bewusstsein, und Rudolf hatte nicht den Mut, sie darauf hinzuweisen.

***

Zwei Tage später verhielt der Herr auf Hardauen sein Pferd an einer Wiese und beobachtete die Leute, die das Heu auf die Wagen luden.

Ein Hufschlag lenkte die Aufmerksamkeit Hendriks auf eine Reiterin, die in wunderbarer Haltung näher galoppierte. Fachmännisch begutachtete er ihren Sitz im Sattel und stellte fest, dass er tadellos war. Allerdings gefiel ihm die Unbekümmertheit nicht, mit der die Reiterin über hohe Zäune und weite Gräben setzte, das Pferd manchmal schier überforderte.

Das ist diese Michaelsen, stellte Hendrik fest. Das Mädchen hatte ihn noch nicht gesehen, weil die Leitung ihres Pferdes ihre gesamte Aufmerksamkeit in Anspruch nahm und die von vorn scheinende Sonne sie außerdem blendete.

Die Leute hatten aufgehört zu arbeiten und beobachteten die tollkühne Reiterin, die kurz an der Grenze ihr Pferd so wild zügelte, dass Dianas Vorderhand erschreckt in die Höhe fuhr.

Sonja beugte sich vor, klopfte beruhigend den Hals der Stute und flüsterte etwas in die gespitzten Ohren des wunderbaren Tieres, das mit zitternden Flanken auf der Wiese stand.

Hendrik gab seinem Düwel die Zügel frei und ritt gemächlich zu ihr hinüber. Erst das Wiehern des Tieres machte Sonja auf ihn aufmerksam. Sie riss die Augen weit auf und beschattete sie dann mit der Hand, um den Mann besser sehen zu können, der ohne jede Eile näher kam.

»Guten Morgen«, wünschte Hendrik und deutete eine Verbeugung an.

»Morgen«, gab Sonja knapp und höflich zurück.

»Sie sind eine großartige Reiterin, Fräulein Michaelsen«, stellte Hendrik nüchtern fest, und eine leichte Röte überflog in Sekundenschnelle Sonjas Gesicht.

»Aber sehr leichtsinnig«, sprach er nämlich weiter. »Wenn Sie häufiger so reiten, brechen Sie sich eines schönen Tages das Genick.«

»Das würde Ihnen so passen, nicht wahr?«, knirschte Fräulein Michaelsen. »Aber machen Sie sich keine Hoffnungen, ich weiß genau, was ich meiner Diana zumuten kann.«

Hendrik zuckte ironisch die Schultern.

»So?«, fragte er skeptisch. »Sollten Sie von Tieren mehr verstehen als von Menschen?«

Diese Anspielung auf seinen Bruder ließ Sonja die Fäuste ballen.

»Ich verstehe auch von Menschen genug, Herr von Hardau.«

»Das wundert mich. Wenn das so ist, weshalb bemühen Sie sich nicht, Ihr Wissen auch zu verwerten? Ich hatte bisher den Eindruck, als wären Sie noch sehr jung.«

»Sie sind ein Flegel!«

»Das mag sein«, räumte Hendrik ungekränkt ein, »aber außerdem fühle ich mich noch für Rudolf verantwortlich. Er ist immerhin mein Bruder, Fräulein Michaelsen, und da er nun einmal die Absicht hat, Sie zu heiraten, dürfte es mir nicht gleichgültig sein, wer seine zukünftige Frau ist.«

»Wie rührend.« Sonjas Stimme sollte höhnisch klingen, aber es gelang ihr nicht ganz, den gewünschten Ton zu treffen. Ein besinnungsloser Zorn stieg in ihr empor, weil sie instinktiv fühlte, dass der Zauber ihrer Persönlichkeit keine Macht über diesen Mann hatte. »Was haben Sie gegen mich?«, fragte sie gepresst.

»Ich kenne Sie zu wenig, um alle Gründe anführen zu können, die ich wahrscheinlich gegen Sie haben müsste, gnädiges Fräulein. Aber einige kann ich Ihnen gern nennen: Sie üben keinen guten Einfluss auf Rudolf auf. Seitdem er Sie kennt, vernachlässigt er seine Pflichten, treibt sich am liebsten den ganzen Tag herum ...«

»Er ist eben lieber mit mir zusammen als mit Ihren Leuten, Herr von Hardau«, fiel Sonja ihm heftig ins Wort. Die Bezeichnung »herumtreiben« hatte sie doch mehr getroffen, als sie es sich selbst zugeben wollte. Bevor sie Rudolf kannte, war ihr Tag mit Pflichten ausgefüllt gewesen, denn als rechte Hand ihres Vaters hatte sie genug zu tun.

»Es ist am besten, wenn wir beide versuchen, eine Art ... sagen wir einmal, Waffenstillstand zu schließen. Wenn sie tatsächlich einmal meine Schwägerin werden, lässt es sich nicht vermeiden, dass wir uns ab zu einmal sehen.«

»Was wollen Sie eigentlich von mir?«, fragte Sonja, ohne seine Bitte zu beantworten. »Weshalb gönnen Sie uns unsere Liebe nicht?«

Hendrik beugte sich im Sattel vor, sein Gesicht war dicht vor ihrem, und das Mädchen erschrak vor dem finsteren Ausdruck seiner Augen.

»Weil ich nicht glaube, dass Sie Rudolf lieben, Fräulein Michaelsen. Hätten Sie ihn gern, würden Sie ihn nicht zwingen, gegen sein Gewissen und gegen seine Natur zu handeln. Meinen Sie etwa, dass Rudolf glücklich ist, wenn er seine Pflichten im Stich lässt, nur um sich mit Ihnen zu treffen?«

Sonja öffnete den Mund, aber sie brachte keine Antwort hervor, riss nur ungestüm an den Zügeln ihrer Diana und preschte, aus dem Stand sofort in einen wilden Galopp verfallend, wie gehetzt davon.

Unter düster gerunzelten Brauen starrte Rudolfs Bruder ihr nach.

***

»Wie gefällt er dir?«, fragte Sonja den Vater am Abend sehr gespannt.

Heute Nachmittag hatte sie ihrem Vater endlich Rudolf vorgestellt.

Eugen Michaelsen brauchte Zeit für eine Antwort, paffte ein paar Züge an seiner Zigarre, bevor er seine klugen Augen auf das strahlende Gesicht des Mädchens heftete.

»Soweit ganz gut«, gab er zögernd zurück.

Das Leuchten auf Sonjas Gesicht erlosch.

»Er gefällt dir nicht besonders gut?«, fragte sie perplex, denn es erschien ihr einfach unmöglich, dass es irgendeinen Menschen auf der Welt gab, der von Rudolfs strahlendem Charme nicht, genau wie sie, gefangen genommen wurde.

»Doch, doch«, beeilte sich der Mann zu versichern, »ich finde ihn sehr nett, nur ...«

Einer der hervorstechendsten Charakterzüge des alten Herrn war seine unbedingte Ehrlichkeit; er scheute sich auch nicht, Feststellungen auszusprechen, die andere nicht gern hörten.

»Was hast du gegen ihn?«, fragte seine Tochter kriegerisch.

Ihre Bereitwilligkeit, den geliebten Mann zu verteidigen, entlockte Vater Eugen ein verstecktes Lächeln.

»Also gut, wenn du es unbedingt wissen willst: er wirkt auf mich wie ein großer Junge, nicht männlich genug. Ich habe mir immer gewünscht, dass du dir einmal einen richtigen Mann suchen wirst, der genau weiß, was er will.«

»Rudolf ist ein Mann«, behauptete das Mädchen mit verdächtig blanken Augen. »Es liegt nur an diesem Hendrik, dass er ... Du kennst ihn nicht, Vater, aber sein Bruder ist ein Scheusal. Er zwingt Rudolf in allem seinen Willen auf, duldet keinen Widerspruch, kennt nur ein Gebot: das, was er will.«

Falls sie geglaubt haben sollte, ihren Vater durch die Charakterisierung des Nachbarn überzeugen zu können, sah sie sich in ihren Erwartungen enttäuscht. Der Einwand gegen ihre Beschreibung lag ja auf der Hand: Weshalb ließ Rudolf sich Dinge gefallen, gegen die er innerlich rebellierte?

Aber der alte Herr sprach seine Bedenken nicht aus. Vielleicht, so hoffte er, würde Rudolf im Laufe der Jahre noch zu sich selbst finden und lernen, nach eigenem Willen zu handeln.

»Ich freue mich jedenfalls riesig auf den Ball, Vati.« Sonja setzte sich auf die Sessellehne und schmiegte sich an den alten Mann, dem sie heute Nachmittag das Versprechen abgeschmeichelt hatte, ein schönes Sommerfest auf Farnhoff zu geben.

»Es lässt sich wohl nicht vermeiden, auch Rudolfs Mutter und ... und diesen Hendrik einzuladen«, fuhr Sonja fort und krauste ihre glatte Stirn.

»Allerdings nicht«, stimmte ihr der Vater leicht belustigt zu. Und Sonja fühlte sich durch den mitschwingenden Spott in seiner Stimme getroffen.

***

Hendrik betrachtete ironisch lächelnd die Einladungskarte von allen Seiten, bevor er sie auf Tisch zurückwarf.

»Was für eine Ehre für uns, dort Gast sein zu dürfen«, spottete er. »Wir werden es Rudolf niemals vergessen dürfen, solch eines hohen Umganges gewürdigt zu werden.«

»Hendrik«, mahnte die Mutter und legte beschwichtigend die Hand auf seinen Arm.

»Entschuldige«, murmelte Hendrik und nahm sich zusammen, denn er wollte nicht, dass Rudolfs Vorfreude auf seinen ersten Ball mit Sonja durch seine Haltung getrübt wurde.

Später nahm der Bruder ihn zur Seite.

»Ich weiß, Hendrik«, begann er verlegen, »dass du Sonja nicht sonderlich gern hast, ich ... ich bitte dich, ihr ... deine Abneigung nicht zu zeigen.«

»Du kannst unbesorgt sein, ich werde mich von deiner Angebeteten vollkommen zurückhalten. Du weißt, dass ich kein Mensch bin, der einem anderen etwas nachträgt — allerdings fällt es mir schwer, das christliche Gebot zu erfüllen, die linke Wange hinzuhalten, wenn man meine rechte geschlagen hat, aber dir zuliebe werde ich mich bemühen, am Abend des Festes eine fromme Denkungsart zur Schau zu tragen.«

»Sonja ist lieb und nett, nicht imstande, einen Menschen vorsätzlich zu beleidigen«, verteidigte Rudolf seine zukünftige Frau.

»Ich weiß«, erwiderte Hendrik, und gegen seinen Willen klang seine Antwort spöttisch. Er glaubte, Sonja besser zu kennen als Rudolf, obwohl er die Male, die er sie gesehen hatte, an den Fingern einer Hand abzählen konnte.

Frau Elsa war auf Sonja sehr gespannt, aber ihr Herzklopfen kam nicht allein aus der Sorge um das Schicksal des jüngeren Sohnes, sondern hatte noch durchaus eine andere Ursache. Wann habe ich Eugen zuletzt gesehen?, fragte sie sich und rechnete nach. Über zwanzig Jahre sind es schon her. Und damals waren sie in Zorn geschieden, Eugen hatte ihr bittere Worte gesagt, und der Bruch zwischen den beiden Familien war offen zutage getreten.

Aber das alles ist schon lange her, Eugen wird vergessen haben, was damals war, hoffte Hendriks Mutter.

***

Die Begrüßung durch die Gastgeber war von gezwungener Herzlichkeit, fast peinlich, denn schließlich wussten sie ganz genau, wie sie innerlich zueinander standen.

Hendriks Augen waren voller Spott, als er sich über Sonjas Hand zur Andeutung eines Kusses beugte und dann Eugen Michaelsens Rechte mit festem, männlichem Druck presste.

»Ich freue mich, Sie persönlich kennenzulernen, Herr von Hardau.«

Die Stimme des alten Herrn schwankte ein wenig, und sein Blick huschte an Hendrik vorbei zu Frau Elsa. Er war ein wenig bleicher geworden, und die alte Dame glaubte den Grund seiner Erschütterung zu kennen.

Ihr Ältester war seinem Vater wie aus dem Gesicht geschnitten, ein verjüngtes Ebenbild Giselher von Hardaus. Natürlich wusste das plötzliche Wiedersehen mit dem Ebenbild des Toten Eugen erschüttern.

Frau Elsa sah jetzt, dass der Nachbar nichts von dem vergessen hatte, was einmal gewesen war — genauso wenig wie sie.

Die Stimmung der Gäste stieg allmählich an, denn Eugen sparte nicht mit Getränken, und ein paar Gläser Sekt, schnell hintereinander getrunken, machen selbst aus einem Griesgram einen fröhlichen Menschen.

Und als man erst tanzte, wagten sich sogar die älteren Semester nach den Klängen alter Melodien auf das Parkett, bei deren Wiederhören ihre Herzen jung wurden.

»Du siehst bezaubernd aus, Sonja«, flüsterte Rudolf dem Mädchen ins Ohr, als er sie beim ersten Tanz im Arm hielt. »Wie eine Märchenfee.«

Errötend senkte Sonja den Kopf; obwohl sie an Komplimente gewöhnt war, machten die Worte des Mannes sie sehr glücklich.

Sie tanzten, so oft es möglich war, und Rudolf fiel es schwer, seine Pflichten den anderen Damen gegenüber zu erfüllen. Gleichgültig, was für ein Mädchen er im Arm hielt, sein Blick ging immer wieder zu Sonja, die unbestritten der Mittelpunkt des Festes war.

Man ahnte nicht, dass Sonjas Herz nicht mehr frei war, obwohl sie Rudolf von Hardau offensichtlich bevorzugte.

Auch Hendrik war ein Zuschauer, denn seiner ernsten Art lag das gesellige, ausgelassene Treiben nicht so sehr. Selbstverständlich forderte er die anwesenden Damen einmal zum Pflichttanz auf, aber er war jedes Mal froh, wenn er sie wieder an die Tische zurückführen konnte.

Das Schwerste stand ihm noch bevor: Er musste noch mit Sonja tanzen, konnte es sich einfach nicht erlauben, sie zu übergehen, obwohl es auch für das Mädchen bestimmt nur eine lästige Pflicht war.

Erst kurz vor Mitternacht ergab sich für den Hardauer die Gelegenheit, das bisher Versäumte nachzuholen.

»Darf ich bitten, gnädiges Fräulein?«

Nachdem sie eine Weile miteinander getanzt hatten, stellte Sonja fest: »Sie tanzen aber recht gut.« Im nächsten Augenblick schon bereute sie ihr Lob.

»Ich freue mich, dass Sie diesen Tanz nicht nur als eine Pflicht betrachten, gnädiges Fräulein«, gab Hendrik zurück.

»Ich hatte es mir tatsächlich schlimmer vorgestellt«, behauptete Sonja ungezogen.

»Danke!«

»Ich hätte nie gedacht, dass Sie überhaupt tanzen können«, fuhr sie anzüglich fort.

»So.«

»Ja, ein Mann, der nur seine Arbeit kennt, immer nur die Arbeit und nichts weiter ...«

»Auch das Tanzen ist für mich Arbeit, gnädiges Fräulein. Jedenfalls manchmal.«

Kaum ausgesprochen, tat Hendrik seine Bemerkung schon wieder leid, aber es fiel ihm nun einmal ausgesprochen schwer, alles einzustecken, was dieses kleine Persönchen ihm bot.

»Dann können wir diesen Tanz abbrechen.«

»Ich hätte nichts dagegen«, stimmte Hendrik sofort zu. »Der Form ist Genüge getan, und ich möchte auf gar keinen Fall, dass Rudolf meinetwegen länger als unbedingt nötig auf den Vorzug Ihrer Gesellschaft verzichten muss. Der Arme verschlingt mich geradezu mit eifersüchtigen Augen.«

Mit einer Kopfbewegung wies er auf Rudolf, der tatsächlich an einem Tisch saß und ihnen die ganze Zeit besorgt mit den Blicken gefolgt war.

»Er weiß wenigstens, wie man sich einer Dame gegenüber zu benehmen hat.« Sonja richtete sich hoheitsvoll auf, aber Hendrik wusste auch auf diese spitze Bemerkung eine Antwort.

»Sich einer Dame gegenüber richtig zu benehmen, ist leicht, man lernt es, aber was wollen wir armen Männer tun ... wenn wir es mit aggressiven kleinen Mädchen zu tun haben, die nur wie Damen aussehen, gnädiges Fräulein?«

Sonja ließ ihn einfach stehen.

Als sie zu Rudolf zurückkam, entlud sich ihr Ärger.