Lore-Roman 14 - Yvonne Uhl - E-Book

Lore-Roman 14 E-Book

Yvonne Uhl

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Beschreibung

Als Corinna von Stein die schreckliche Nachricht erfährt, ist sie einer Ohnmacht nahe. Das Kreuzfahrtschiff, auf dem sich ihr Mann und ihr Sohn befanden, ist vor einer griechischen Insel in einen Sturm geraten und gesunken. Die meisten Passagiere konnten gerettet werden, doch von zwölf Personen fehlt jede Spur.
Corinna kann nicht tatenlos abwarten: Mit der nächsten Maschine fliegt sie nach Griechenland. Sie muss Gewissheit haben, ob die beiden geliebten Menschen, die für sie ihr ganzes Glück bedeuten, unter den Geretteten sind ...

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Inhalt

Cover

Impressum

Tränen auf roten Rosen

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2017 by Bastei Lübbe AG, Köln

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: shutterstock/Aleshyn_Andrei

eBook-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln

ISBN 978-3-7325-5506-2

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

www.bastei.de

Tränen auf roten Rosen

Roman um den schweren Schicksalsschlag einer jungen Frau

Von Yvonne Uhl

Als Corinna von Stein die schreckliche Nachricht erfährt, ist sie einer Ohnmacht nahe. Das Kreuzfahrtschiff, auf dem sich ihr Mann und ihr Sohn befanden, ist vor einer griechischen Insel in einen Sturm geraten und gesunken. Die meisten Passagiere konnten gerettet werden, doch von zwölf Personen fehlt jede Spur.

Corinna kann nicht tatenlos abwarten: Mit der nächsten Maschine fliegt sie nach Griechenland. Sie muss Gewissheit haben, ob die beiden geliebten Menschen, die für sie ihr ganzes Glück bedeuten, unter den Geretteten sind …

Tessa Brandner kann...

Bernhard von Stein streckte seinen Arm aus und zog Corinna zu sich heran. Beide lächelten zu dem neunjährigen Lutz hinunter.

„Ich glaube“, sagte Bernhard, „dass ich dir zum Geburtstag eine große Freude machen werde. Wart nur ab, mein Junge.“

Lutz bekam kugelrunde Augen. „Papi, nun sag’s mir doch!“, bettelte er.

Bernhard lachte. „Kommt nicht infrage. Dann ist es ja keine Überraschung mehr.“

Corinna nickte. „Auch ich habe noch keine Ahnung, Lutz, was Papi sich ausgedacht hat.“ Sie blickte ihren Mann in komischer Verzweiflung an. „Manchmal wird mir angst und bange vor deiner Fantasie, Liebster.“

Sanft ließ Bernhard Corinnas Schulter los und beugte sich hinunter zu Lutz.

Wie die braunen Augen des Kindes strahlten! Corinna und Lutz, dachte Bernhard, sind meine ganze Welt. Sie sind der Pol, um die sich mein Leben dreht.

„Gute Nacht!“

Wie spitz das kleine Kindergesicht noch war! Lutz hatte tagelang zwischen Leben und Tod geschwebt. Eine schwere Lungenentzündung mit hohem Fieber hatte ihn wochenlang ans Bett gefesselt.

„Nacht, Papi!“ Die schmächtigen Jungenarme pressten sich um seinen Hals.

Dann kam Corinna an die Reihe.

„Mami, schlaf gut! Und morgen darf ich das erste Mal aufstehen?“

Corinna lächelte. „Ja, mein Schatz. Und jetzt träum was Schönes!“

Sie küsste den Jungen auf die Stirn. Eine blonde Locke fiel ihr dabei herab und berührte Lutz’ Wange. Der Junge quietschte.

Bernhard knipste das Licht aus. Dann zog er Corinna aus dem Zimmer. Vorsichtig sah er sich um. Das Kindermädchen räumte anscheinend noch das Badezimmer auf.

Bernhard umfing Corinna und presste sie an sich. Er küsste sie auf Mund und Augen, auf die Stirn und die Wangen.

„Lass mich“, stöhnte Corinna. „Ich bekomme ja gar keine Luft mehr, Bernhard!“

Bernhard ließ sie los. „Bist du gar nicht neugierig, was für eine Überraschung ich für Lutz habe?“

„Schrecklich neugierig!“, entgegnete Corinna lachend.

„Komm mit“, forderte er und zog sie hinter sich her.

Corinna folgte ihm leichtfüßig. Bei Bernhard fühlte sie sich immer wie ein ganz junges Mädchen. Dabei war sie schon eine Frau von neunundzwanzig Jahren, Geschäftsführerin der Kunstgalerie „Tachmann-Eylt“, die Bernhard von seinem Onkel geerbt hatte.

Wenige Minuten später hielt Bernhard ihr drei Reisekuverts unter die Augen.

„Hier. Du tätest gut daran, deine Koffer zu packen.“

„Koffer zu packen“, wiederholte Corinna staunend. „Warum?“

„Weil wir verreisen, Corinna“, erwiderte er und weidete sich an ihrem Gesicht. „Kreuzfahrt im Mittelmeer. Na, was sagst du jetzt?“

Entgeistert starrte Corinna ihm in die Augen. „Aber wann?“

„Morgen früh reisen war ab. Morgen Abend müssen wir in Genua an Bord gehen. Das Schiff heißt ‚La Barca‘ und ist luxuriös eingerichtet.“

Corinnas blaue Augen verdunkelten sich. „Mein Gott, Bernhard“, stammelte sie. „Du weißt doch …“ Sie strich sich über die Stirn. „Du musst doch wissen …“

Er erschrak. „Was, um Himmels willen?“

„Du weißt doch, dass mein Vater …“ Corinnas Stimme erstarb.

Bernhard klatschte sich mit der flachen Hand an die Stirn.

„Du meine Güte, das hab ich vergessen.“

Corinna starrte auf das Muster im Teppich hinunter.

„Ich kann es nie vergessen, Bernhard. Er starb vor meinen Augen. Er ertrank, ohne dass ich ihn retten konnte. Ich war damals noch ein Kind.“

„Das weiß ich doch. Du hast es mir doch mehr als einmal erzählt, Corinna!“ Bernhard trat schnell zu ihr hin und nahm sie in die Arme. „Verzeih mir, mein Herz.“

„Ich habe dich damals in unserer Verlobungszeit gebeten, mich nie zu zwingen, ein Schiff zu besteigen“, stammelte Corinna. „Ich will die Vergangenheit vergessen. Auch würde ich sofort seekrank werden.“

Er sah stumm und nachdenklich zu ihr nieder. Wie hatte er nur vergessen können, dass dieses grausige Kindheitserlebnis, das ihr den geliebten Vater genommen hatte, bis heute noch immer in ihr lebte.

„Selbstverständlich werde ich die Karten sofort zurückgeben“, murmelte er. „Ich dachte nur an die Freude von Lutz. Auch der Arzt sagte mir, dass Seeluft ihm guttäte. Ich sprach heute mit dem Doktor, und er riet mir dringend, für vierzehn Tage mit dem Kind an die See zu gehen. Ich freute mich so über meinen Einfall, heimlich die Karten für die Kreuzfahrt zu kaufen. Und …“ Er verstummte plötzlich.

Corinna hob die Arme und nahm sein Gesicht in beide Hände.

„Fahre allein mit Lutz“, bat sie mit zuckenden Lippen. „Erzählen wir ihm doch irgendeinen Schwindel. Dass ich unabkömmlich vom Geschäft wäre, oder … Nur, sage ihm nicht die Wahrheit, Bernhard. Bitte, ja?“

„Natürlich nicht!“, wehrte er geistesabwesend ab. „Nein“, sagte er dann, „wir geben alle drei Karten zurück. Vielleicht fahren wir zu dritt ins Gebirge?“

Corinna schüttelte den Kopf.

„Ihr sollt euch meinetwegen nicht um die Freude dieser Kreuzfahrt bringen“, entschied sie. „Gib nur eine Karte zurück, ja? Vielleicht kann ich dann endlich einmal mit den Dienstboten das Haus vom Keller bis zum Boden aufräumen, wozu ich sonst niemals komme. Fahrt ruhig für zwei Wochen weg, Bernhard.“

„Und du könntest dich wirklich zwei Wochen von uns trennen?“, fragte er enttäuscht.

Er schmollte wie ein kleiner Junge, durchfuhr es Corinna gerührt. Sie betrachtete ihn zärtlich. Er war groß und breitschultrig, hatte schmale Hüften und eine sportliche Figur. Sein Gesicht war kantig und gut geschnitten. Früher hatte Corinna sich geschworen, nie einen schönen Mann zu heiraten, aus Angst, eine andere könnte ihn ihr fortnehmen. Bernhard entsprach genau dem Schönheitsideal, aber trotzdem war Corinna noch niemals die Idee gekommen, dass eine andere ihr gefährlich werden könnte.

Sie waren in der zehnjährigen Ehe eins geworden. Sie dachten dasselbe. Sie fühlten dasselbe. Sie liebten sich wie am ersten Tag, so stürmisch und tief.

„Ich bin bereit, für Lutz vierzehn Tage auf dich zu verzichten“, verkündete sie feierlich. „Sehnsucht wird nicht aufkommen, wenn ich sie in Arbeit ersticken werde.“

Sei nicht albern, Bernhard, schalt er sich selbst, vierzehn Tage sind eine kurze Zeitspanne. Du warst zwar seit der Hochzeit von Corinna nie getrennt, verdirb aber nicht Lutz den Spaß.

„Also gut“, erwiderte er und seufzte. „Aber dass du mir in meiner Abwesenheit ja nicht mit fremden Männern flirtest!“

Corinna lachte laut auf. „Du musst nicht bei Trost sein!“

Bernhard hatte trotzdem ein ungutes Gefühl bei dem Gedanken, Corinna allein zurückzulassen.

Corinna beschäftigte sich schon in Gedanken mit ihrer Arbeit. Es gab so viel Unerledigtes. Die Einsamkeit durfte ihr gar nicht bewusst werden. Das leere Bett neben ihr. Das stille Kinderzimmer.

„Lutz wird sich freuen“, sprach sie langsam. „Und das ist das Allerwichtigste, Bernhard.“

Er stimmte ihr zu.

„Wir wollen jetzt essen“, schlug sie vor. „Und danach bauen wir die Geburtstagsgeschenke auf, ja?“

Die Reise war beschlossene Sache. Wie oft sollte Corinna noch an diesen Abend zurückdenken und wünschen, dass er aus ihrem Gedächtnis gestrichen würde.

***

Lutz saß kerzengerade neben seinem Vater im Wagen. Er wurde nicht müde, aus dem Fenster zu sehen. Dieses Italien war ein fremdes, buntes Land voller Überraschungen.

Bernhard fuhr schnell und rasant, doch ließ er nie die Vorsicht außer Acht. Gegen sieben Uhr abends konnten sie das erste Mal das Meer sehen.

Lutz stieß einen Schrei aus. „Das Meer, Papi! Oh, ist das groß, Papi, das ist ja ein richtiger Ozean.“

Bernhard lachte. Die Freude seines Sohnes entschädigte ihn für den Abschied von Corinna.

„Bald sind wir an Bord, Lutz“, rief er. „Wir müssen gleich Genua erreichen.“

Die Abenteuerlust packte nun auch ihn. Als Kind war er mit seinen Eltern viel auf Reisen gewesen. Doch in den zehn Jahren Ehe mit Corinna hatten sie nur einmal eine Fahrt nach Schweden gemacht, zu einer Kunstausstellung. Corinna war immer der Meinung gewesen, dass sie es zu Hause in dem gemütlichen Haus mit dem großen Garten, der einen Tennisplatz, ein großes Schwimmbecken und ein Stück Wald enthielt, schöner als irgendwo auf der Welt hätten.

Bisher hatte er das Reisen nicht entbehrt, aber jetzt freute er sich wie ein Kind auf die Kreuzfahrt, die zuerst an die Häfen Spaniens und dann an Afrikas Küste entlanggehen sollte.

Es war halb neun Uhr abends, als sie im Hafen von Genua den Wagen abstellten und einen Träger beauftragten, das Gepäck zum Schiff zu bringen.

Bernhard verschloss seinen Wagen und nahm Lutz bei den Schultern, der ganz zappelig vor Aufregung war.

„Los, Seefahrer Sindbad“, scherzte er. „Das Abenteuer kann beginnen. Wie geht es dir?“

„Prima, Papi. Wo bringt der Mann unsere Koffer hin?“

„Zu unserem Schiff. ‚La Barca‘ heißt so viel wie Boot. Ich schätze aber, dass dieser Luxusdampfer mit einem einfachen Boot nicht vergleichbar ist, Lutz. Gehen wir dem Gepäckträger nach. Der führt uns hin.“

Die „La Barca“ war ein geräumiges Schiff mit vielen bunten Wimpeln. Die Passagiere standen an der Reling und winkten herab. Das Fallreep schwankte unter dem Gewicht der Leute, die an Bord gingen.

„Das ist unser Schiff, Papi?“, fragte Lutz atemlos. „Los, Papi. Der Gepäckträger läuft uns ja mit den Koffern davon“, rief der Neunjährige.

Sie gingen das schwankende Fallreep hinauf. Bernhard spürte gerührt, wie die kleine Kinderhand in seinen Fingern vibrierte.

Einer der Schiffsoffiziere begrüßte Bernhard mit einer tiefen Verneigung und strich Lutz über die borstigen dunkelblonden Haare.

„Herzlich willkommen auf der ‚La Barca‘“, begrüßte er die beiden in gebrochenem Deutsch. „Alessandro wird Sie zu Ihrer Kabine in der Luxusklasse begleiten. – Alessandro!“

Ein flinker schwarzäugiger Steward kam herangelaufen.

„Luxusklasse, Kabine siebzehn“, befahl der Offizier.

Gerade überlegte sich Bernhard, wie er wohl vor Lutz seinen Mangel an italienischen Sprachkenntnissen begründen sollte – ein Vater, dachte er, muss eigentlich alles wissen und können –, da enthob ihn Alessandro dieser Gewissensbisse mit einem unbekümmert gesprochenen Deutsch.

„Ich waren Kellner und Tellerwäscher in München“, erklärte er auf Bernhards überraschte Frage. „Schönes Land, euer Deutschland. Kommen Ihre Signora auch?“

„Nein“, antwortete Bernhard lächelnd. „Unsere Signora hat keine Zeit. Wir müssen leider ohne sie an dieser Kreuzfahrt teilnehmen.“

Alessandro strahlte Lutz an.

„Ich haben zu Hause auch Ragazzo wie er“, verriet er. „Zehn Jahre alt.“

„Ich bin auch zehn Jahre alt. Heute ist mein Geburtstag!“, verkündete Lutz stolz.

„Heute? Geburtstag?“, schrie er auf. „Glück, Gesundheit, Frohsinn … Ich gratuliere!“

Lutz’ braune Augen leuchteten. Dann untersuchte er, nachdem Alessandro gegangen war, die breite Doppelkabine.

„Hier ist ja ein richtiges Badezimmer!“, rief er. „Und diese weichen Betten! Ich dachte, wir müssten in Hängematten schlafen, Papi!“

Bernhard lachte. „Wir sind doch keine Matrosen auf einem alten Kutter“, scherzte er. „Jetzt müssen wir uns piekfein machen, Lutz. Wir essen alle gemeinsam im Speisesaal. Du ziehst genau wie ich deinen weißen Dinneranzug an.“

„Au fein!“ Sonst legte Lutz keinen Wert auf Garderobe, aber diesen smokingähnlichen Sommeranzug liebte er über alles.

„Hoffentlich klaut niemand unser Auto, während wir auf dem Meer herumgondeln“, meinte Lutz besorgt. „Ob der Parkplatz bewacht wird?“

„Keine Sorge. Alle machen es so wie wir“, winkte Bernhard ab.

Eine Stunde später verließen Vater und Sohn die Kabine.

Lutz sah aus wie eine Miniausgabe von Bernhard. Er war von seinem Vater sorgfältig gekämmt worden. Jetzt kam sich Lutz vor wie ein erwachsener Mann, so an der Seite seines Vaters.

Sie sahen auch einige hübsche Damen in großen Abendroben zum Speisesaal hinübergehen, und Lutz wurde immer aufgeregter.

„Hoffentlich blamiere ich mich nicht mit dem Essen“, raunte er Bernhard zu.

„Du hast ja Tischsitten gelernt“, erwiderte Bernhard ruhig. „Und wenn du mal nicht Bescheid weißt, musst du sehen, wie ich es mache. Einverstanden?“

Sie traten durch die Tür des Speisesaales. Der Kapitän erwartete dort seine Passagiere und begrüßte jeden mit Handschlag.

Lutz blickte sich neugierig um. Kein Kind, lauter Erwachsene! Kunststück, dachte er. Überall in der Welt ist jetzt Schule. Wir haben Oktober, und nur, weil ich so lange krank war, darf ich noch nicht zur Schule.

„Ah, da haben wir ja auch einen ganz jungen Signor“, bemerkte der Kapitän, der welliges weißes Haar hatte. Er nickte Lutz zu. „Keine Schule?“

„Er war sehr lange krank, Herr Kapitän, und unternimmt diese Kreuzfahrt auf Anraten des Arztes“, erklärte Bernhard.

Ein lauter Schrei ließ ihn herumfahren.

„Bernd!“, rief eine weibliche Stimme.

Mit weit aufgerissenen Augen starrte Bernhard eine weißblonde Schönheit an, die sich auf ihn zu bewegte. Sie trug ein silbern glitzerndes Kleid mit tiefem Ausschnitt.

„Wer ist das?“, fragte Bernhard verständnislos.

„Mrs Clarkson aus Detroit“, raunte der Kapitän ihm zu. „Witwe eines Millionärs.“

„Bernd …“

Ich kenne sie nicht, dachte Bernhard entsetzt. Dieses Aufsehen! Er war drauf und dran, Lutz bei der Hand zu nehmen und wegzulaufen.

Alle starrten ihn an.

„Papi, was ist denn los?“, fragte Lutz kläglich.

Bernhard nahm seine Hand und wandte sich der Dame zu. Eine Verwechslung, dachte er. Aber wieso kennt sie meinen Vornamen?

Jetzt stand sie dicht vor ihm. Sie hatte ein ovales, sinnliches Gesicht mit einem vollen Lippenpaar. Lange Wimpern lagen über ihren Augen.

„Kennst du mich wirklich nicht mehr?“, fragte sie.

Irgendeine ferne Erinnerung tat sich ihm auf. Ja, sie kam ihm auf seltsame Weise bekannt vor. Aber wer war sie?

„Wenn Sie mir bitte helfen würden, gnädige Frau?“, fragte Bernhard gepresst.

Die Fremde lächelte. „Ich bin doch Manon Richter, du dummer Kerl“, entgegnete sie.

Es traf Bernhard wie ein Schlag.

Dann kam die Erkenntnis über ihn. Natürlich, das war Manon, die Klubkameradin aus dem Ruderklub von daheim.

„Aber …“ Er sah sich um. Noch immer starrten die Leute zu ihnen herüber.

„Du meinst, weil ich damals schwarzes Haar hatte?“, fragte Manon Clarkson mit spöttischem Lächeln. „Mein Mann liebte blonde Frauen. Ich habe mir das Haar gebleicht. Und ich habe mich so an das Blond gewöhnt, dass ich auch jetzt nach seinem Tode die Haarfarbe beibehalten habe.“

„Du bist also Witwe?“, fragte Bernhard höflich. Er konnte sich von seinem Staunen nicht erholen. Manon Richter, ja, damals, kurz nach seiner Heirat, hatte sich Manon mit einem Amerikaner verheiratet. Aber dass er Millionär gewesen war, hatte er nicht gewusst.

„Komm zu Tisch zwei. Du sitzt am selben Tisch wie ich.“

Bernhard sah zu Lutz hinunter.

„Darf ich dir meinen Sohn Lutz vorstellen, Manon?“

In Manons Augen blitzte es auf.

„Ah, dein Sohn?“ Sie reichte Lutz die Hand. „So einen großen Sohn hast du schon?“

Bernhard sagte zu Lutz: „Diese Dame, Lutz, ist eine frühere Bekannte von mir aus dem Ruderklub. Sie ist Deutsche, hat aber einen Amerikaner geheiratet. Komm jetzt!“

Als sie auf ihren Tisch zugingen, ein schönes Paar – er so dunkel und stolz, sie schlank und mit langem weißblondem Haar –, führten sie Lutz in ihrer Mitte. Aus der Ferne sahen sie aus wie eine glückliche Familie.

Während des Essens fing Bernhard ab und zu einen leuchtenden Blick von Lutz auf. Der Junge schien sich nicht im Geringsten darüber zu wundern, dass Manon Clarkson pausenlos redete. Dass sie vor Temperament nur so sprühte. Und dass alle ihre Worte nur Bernhard von Stein galten.

Bernhard stellte betroffen fest, dass Manons Art Lutz gewaltig imponierte. Lutz bewunderte Manon grenzenlos.

Bernhard selbst hatte eine unsichtbare Mauer zwischen sich und Manon errichtet. Sehr gut konnte er sich noch erinnern, wie Manon ihm damals Avancen gemacht hatte, wie sie vor allen anderen Klubkameraden immer nur ihn ermuntert hatte.

Bernhard hasste Frauen, die sich Männern in dieser Weise an den Hals warfen.

Und während er Manons stark geschminktes, aber zweifellos sehr hübsches Gesicht betrachtete, dachte er an Corinna. An seine bildschöne, zärtliche Corinna mit den warmen Augen und dem lockenden Mund. Alles war natürlich an Corinna. Er kannte sie wie sein zweites Ich.

Er ließ sich das Dinner mit sieben Gängen schmecken. Auch Lutz’ Tischmanieren ließen nichts zu wünschen übrig. Bernhard war zufrieden. Und schließlich, warum sollte er sich nicht über das Wiedersehen mit Manon freuen? Sie war doch ziemlich amüsant. Wie sie jetzt gerade von einer Safari erzählte! Einfach köstlich!

„Jimmy, mein Mann, hatte eine Heidenangst vor den Nashörnern“, berichtete Manon soeben belustigt. „Und eines dieser gewaltigen Viecher kam direkt auf unseren Rolls-Royce zu. Das hättet ihr sehen müssen! Ich schrie wie am Spieß. Jim legte den Rückwärtsgang ein und raste um Haaresbreite immer vor dem Nashorn her. Wir sahen schon diese wütenden Augen und das gewaltige Horn. Jim lief der Angstschweiß die Stirn herunter. Plötzlich aber hielt der Wagen an. Wir waren mit dem Heck in einer Felsspalte hängen geblieben.“

Lutz bekam kugelrunde Augen. „Und dann?“, fragte er. „Hat das Nashorn euch was getan, Tante Manon?“