Lore-Roman 146 - Lore von Holten - E-Book

Lore-Roman 146 E-Book

Lore von Holten

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Beschreibung

Die bezaubernde Sabine, Tochter eines sehr reichen Vaters, lernt eines Tages unter dramatischen Umständen einen attraktiven jungen Mann kennen. Doch gerade, als sie glaubt, ihre heimliche Liebe zu ihm werde erwidert, verschwindet er spurlos. Sabine kann ihn nicht vergessen. Sie hofft, dass das Schicksal sie wieder zusammenführen wird ...


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Inhalt

Cover

Verliebt in einen Märchentraum

Vorschau

Impressum

Verliebt in einen Märchentraum

Der Roman einer zauberhaften Begegnung

Von Lore von Holten

Die bezaubernde Sabine, Tochter eines sehr reichen Vaters, lernt eines Tages unter dramatischen Umständen einen attraktiven jungen Mann kennen. Doch gerade, als sie glaubt, ihre heimliche Liebe zu ihm werde erwidert, verschwindet er spurlos. Sabine kann ihn nicht vergessen. Sie hofft, dass das Schicksal sie wieder zusammenführen wird ...

»Axel, du bist doch Konstrukteur?«

»Natürlich.«

»Kannst du nicht mal eine Maschine erfinden, die die Leute kitzelt, damit sie lachen?«

Axel von Held musterte seine Freundin amüsiert, halb gelangweilt. Sie war hübsch, aber sie redete ohne Ende, und meistens war das, was sie von sich gab, ziemlich albern.

»Brauchst du solch eine Maschine?«, erwiderte er.

»Dringend. Für dich.«

Er verzog den Mund. Sie hatte gerade behauptet, der Mann, der sich ein paar Tische weiter im Gartencafé niedergelassen hatte, sehe aus wie ein Vollmond mit Rasur. Axel von Held hatte die Bemerkung platt und banal gefunden, aber Inge Kossack hatte sich schier totlachen wollen. Sie unterhielt sich gern auf anderer Leute Kosten.

Jetzt sagte sie: »Du bist stur, Axel. Was kann man bloß machen, damit du mal richtig lachst? Soll ich auf den Händen gehen?«

»Lieber nicht«, erwiderte er rasch, »denn sonst werfen sie uns hier hinaus.« Sein Blick glitt an ihr hinab.

»Du meinst, weil ich dann — weil die Leute meine Beine zu sehen bekommen?«

»Das meine ich.«

»Na, wenn schon!«, schmollte sie. »Es ist ja doch nur ein Jux. Ich könnte mich kaputtlachen, wenn ich nur daran denke. Weißt du noch, wie das neulich im Zirkus war? Der Clown mit den langen Füßen ging auf den Händen, und ...«

Axel von Held hörte nicht zu, was der hübsche Mund plapperte. Es dauerte endlos, und er kannte die Geschichte auswendig. Er hatte den Clown ja selbst gesehen. Der Kerl war auf den Händen gelaufen und hatte mit den Füßen ins Publikum gewinkt.

Inge Kossack redete wie ein Wasserfall. Axels Gedanken wanderten fort. Drüben, gleich an der Mauerbrüstung, die das Gartencafé vom Park trennte, saß ein älteres Ehepaar beisammen. Er las Zeitung, sie schaute den Sperlingen zu. Sie sprachen kaum miteinander. Für einen Moment wünschte er sich eine so schweigsame Weggenossin, aber auch nur für einen Moment, denn solche Gleichgültigkeit war gewiss auch nicht gerade ideal.

»He, Axel! Hörst du überhaupt nicht zu?«

»Doch, doch. Wollen wir nicht gehen?«

»Schon? Hier ist es doch so gemütlich. Ich möchte gerne ein Eis. Bestellst du mir eines?«

Er winkte der Kellnerin. Ein paar Minuten später löffelte Inge mit Hingabe. Axel schaute ihr zu und dachte, dass es am besten sei, wenn man sie fortwährend mit süßen Sachen fütterte. Dann schwieg sie wenigstens minutenweise.

»Wenn wir mal ein Haus haben«, sagte sie nach ein paar Augenblicken und zerstörte damit Axels Hoffnungen, »dann müssen wir unbedingt eine Eismaschine kaufen.«

»Wie du willst. Aber bis dahin wird es noch lange dauern.«

»Wieso?«

»Ein Haus kostet Geld. Wer kein Geld hat, der kann sich kein Haus leisten. Das ist doch einfach.«

»Na, dann müssen wir uns eben Geld besorgen.«

»Einverstanden. Fragt sich nur, wie.«

»Du gehst zu deinem Chef und sagst ihm, dass du mehr Geld brauchst. Er soll dein Gehalt erhöhen. Schon haben wir Geld.«

»Glaubst du, dass das so einfach ist?«

»Natürlich. Du arbeitest doch für ihn. Du bist doch Konstrukteur. Du konstruierst etwas Tolles, und schon wirst du befördert.«

»Das ist schneller gesagt als getan, meine Liebe.«

»Du musst dich eben ein bisschen anstrengen. Lasse dir etwas einfallen. Wozu hast du die Hochschule besucht?«

Es hatte keinen Sinn, ihr das auseinanderzusetzen. Axel ließ es auch bleiben. Inzwischen beschäftigte sie sich wieder mit ihrem Eis, und er genoss die Pause. Hübsch war Inge Kossack, sehr hübsch, blond und schlank, nett gekleidet mit ihrem dünnen Sommerfähnchen, appetitlich anzuschauen. Aber das war auch alles.

Axel fragte sich in letzter Zeit immer öfter, warum er sich mit diesem Mädchen befreundet hatte. Er kannte Inge nun schon seit vier Monaten, im zeitigen Frühjahr waren sie einander begegnet, und ihre Bekanntschaft reichte nun bis in den hohen Sommer. Er hatte längst eingesehen, dass sie zu einfältig für ihn war, aber er hatte es nicht übers Herz gebracht, die Konsequenzen daraus zu ziehen.

»Fertig!«, strahlte sie und schob den Eisbecher von sich. »Gehen wir jetzt, Axel?«

»Wohin?«

»Ich möchte ein bisschen Auto fahren. Nur so.«

Er zahlte, dann gingen sie zu seinem Wagen, einem gebrauchten Ford, den er kürzlich billig erstanden hatte. Sie fuhren los. Stellenweise war der Asphalt aufgeweicht, denn die Sonne schien heiß vom hochsommerlichen Himmel. Ein wunderschöner Tag, noch dazu ein Sonnabend. Die Menschen genossen ihn in vollen Zügen.

»In der nächsten Woche können wir uns nicht sehen«, bemerkte Inge Kossack plötzlich.

»Nanu — warum?«

»Ich nehme Unterricht. Schauspiel.«

Er glaubte nicht richtig gehört zu haben.

Sie fuhr fort: »Meine Freundin hat auch angefangen. Es muss himmlisch sein. Und man hat als Schauspielerin eine Unmenge Chancen.«

»Zuerst einmal sollte man doch prüfen, ob du überhaupt Talent hast«, erwiderte er.

»Das habe ich!«, behauptete sie.

»Wer sagt das? Es haben schon viele Mädchen von einer Karriere als Schauspielerin geträumt, aber hinterher war es damit nichts. Sie haben böse Erfahrungen machen müssen. Aber ich denke, bei dir ist es nichts weiter als eine Laune.«

»Ich habe keine Launen«, brauste sie auf, »das kannst du dir mal merken! Was die anderen können, die man immer im Fernsehen und im Film sieht, das kann ich auch. Und die haben auch keine bessere Figur als ich! Darauf kommt es beim Film ja vor allem an: dass man eine gute Figur hat und sie zeigt.«

»Liebe Inge, ich möchte dir ja nicht widersprechen, aber ...«

»Hör bitte auf! Den Tonfall kenne ich schon! Jetzt machst du wieder den Oberlehrer! Weißt du was? Du kannst mir mal den Buckel herunterrutschen! Du hast keine Fantasie und keinen Witz! Du bist ein ganz trockener Knochen!«

»Danke!«, lachte er, aber es war ein etwas bitteres Lachen.

»Andere Jungen nehmen mich ernst, das kann ich dir sagen!«, drohte sie und warf ihm wütende Blicke zu.

»Na schön, dann musst du dich eben an die anderen Jungen halten, meine Liebe.«

»Das werde ich auch! Halte an!«

Er hielt. Sie stieß die Tür auf und glitt hinaus.

Dann sagte sie in den Wagen hinein: »Wenn du dich gebessert hast, kannst du dich wieder bei mir melden. Ich fahre nicht mehr mit dir weiter!«

»Wie du willst. Amüsiere dich gut.«

Verblüfft starrte sie ihn an.

»Ich fahre wirklich nicht mehr mit dir!«, wiederholte sie.

»Ich weiß, Inge, ich weiß. Bis später einmal!«

Da warf sie die Tür zu, wütend und unbeherrscht. Sie rief ihm etwas zu, aber er verstand es nicht, denn er fuhr an, und er hatte nicht die Absicht, noch einmal stehenzubleiben.

»Schauspielerin will sie jetzt werden!«, murmelte er vor sich hin und lachte. »Das hat mir gerade noch gefehlt!«

Er musste stoppen, weil eine Ampel auf Rot sprang. Als er wieder anfuhr, kannte er sein nächstes Ziel: das Ufer des Flusses draußen vor der Stadt. Und ihm war auch klargeworden, dass er Inge Kossack nicht wiedersehen würde.

***

»Taugt auch nichts«, bemerkte Günther Henschel, trat den Gashebel durch und überholte den Wagen, der seinen Unwillen erregt hatte.

»Günther — da vorn kommt einer entgegen!«, rief Sabine Fabian entsetzt. Sie hielt sich am Griff fest.

»Du musst nicht so ängstlich sein, meine Liebe. Der sieht doch, dass ich überhole, also kann er bremsen. Außerdem sollte er wissen, dass mein Wagen schneller ist als seiner. Also hat er zu warten.«

Sabine Fabian presste die vollen roten Lippen zusammen. Was Günther Henschel da gerade getan hatte, war leichtsinnig und rücksichtslos. Wenn er auch sonst so war wie am Lenkrad, dann ... Außerdem ärgerte es sie, dass er von seinem Wagen sprach. Das Fahrzeug gehörte nämlich ihr.

»Man sollte Gesetze erlassen, nach denen Autos nur von einer bestimmten Stärke an zugelassen werden«, schimpfte Günther Henschel weiter. »Langsamfahrer gehören nicht auf die Straße. Sind nur Verkehrshindernisse.«

»Schnelle Autos sind teuer, Günther. Viele Leute könnten sich dann keinen Wagen mehr leisten.«

»Na und? Wäre das ein Schaden? Ist ja geradezu unerträglich, was sich heute alles auf die Straßen drängt.«

»Gönnst du das den Leuten nicht?«

»Schon. Aber dann sollen sie sich auch danach benehmen. Das können sie aber nicht. Weißt du, was mir neulich passiert ist? Ich komme in ein Hotel, es war in Österreich, glaube ich, und will ein Zimmer bestellen, aber ich bekomme keines mehr. Das Hotel war voll. Betriebsausflug und so.«

»Wenn wir Betriebsausflug machen, dann ...«

Er unterbrach sie mit einer raschen Handbewegung: »Spare dir die Mühe, denn ich weiß genau, was du sagen willst. Dein Vater ist auch einer von denen, die die kleinen Pinscher übermütig werden lassen. Hat für die Belegschaft ein paar Dampfer gemietet! Und damit auch alle mitfahren können, müssen die Dampfer fünfmal den Rhein auf- und abfahren. Das ist doch Wahnsinn!«

»Die Leute haben sich sehr gefreut, und sie haben sich bei Vater ausdrücklich bedankt. Es hat ihnen sehr gut gefallen.«

»Kann ich mir denken! Sich kostenlos den Bauch vollhauen.«

»Bitte, Günther, mäßige dich!«

»Ist doch wahr! Dieser ganze soziale Rummel, das ist doch geradezu unerträglich! Ich verstehe nicht, warum du zu diesen Leuten hältst. Du stammst schließlich aus einer alten, reichen Familie, du hast Kultur und Rasse.«

Sabine Fabian schwieg. Sie wusste, dass es wenig Sinn hatte, mit Günther Henschel zu streiten. Er ließ sich nie von seiner Meinung abbringen, mochte sie auch noch so töricht sein. Henschel hielt das für Charakterstärke. Im Stillen fragte sie sich — und das tat sie nicht zum ersten Mal —, was sie eigentlich an Günther noch band.

Sie waren verlobt, seit zwei Jahren nun schon. Irgendwann sollten sie heiraten. Wenn es nach Günther gegangen wäre, hätten sie schon längst vor dem Standesbeamten gestanden, aber sie, Sabine, hatte es immer wieder hinausgezögert. Etwas Unbestimmbares hatte sie vom letzten Schritt zurückgehalten, und jetzt, da die Zeit vergangen war, wurde ihr deutlich, was es war: Sie hatte das Gefühl, dass Günther Henschel und sie nicht zusammenpassten, dass sie sich innerlich fremd waren.

Sabines Vater freilich war anderer Ansicht. Die Henschels besaßen ein glänzendes Exportgeschäft. Er rechnete sich durch die Verbindung zwischen Sabine und Günther neue Chancen aus, mit den Produkten seiner Fabrik zu besonders günstigen Bedingungen ins Auslandsgeschäft zu kommen.

»Er hat seine Eigenheiten, das gebe ich zu«, hatte Sabines Vater einmal Günther Henschel beurteilt, »aber er hat auch seine unschätzbaren Vorzüge, und das musst wiederum du zugeben.«

Da stand also nun Meinung gegen Meinung. Die Partie war unentschieden, sie hing in der Luft, aber Sabine wusste, dass eines Tages der ausschlaggebende Zug getan werden musste. Nichts im Leben lässt sich dauernd in der Schwebe halten.

»Nun sieh dir das mal an!«, entrüstete sich Günther Henschel und deutete nach vorn.

Die Straße schob sich an einem Berghang hinauf. Die Krone der Bodenerhebung war mit dichtem Wald bestanden, und an seinem Rande parkten zahlreiche Autos. Menschen lagen im Gras, oder sie spielten Ball, andere gingen spazieren. Viele hatten Kinder aller Altersstufen bei sich. Ein buntes sommerliches Durcheinander.

»Ich verstehe nicht, weshalb du dich darüber aufregst!«, erwiderte Sabine, und ihre Stimme klang heftig. »Die Menschen wollen den Tag genießen — dürfen sie das nicht?«

»Die ganze Gegend wird verschandelt!«, schimpfte Günther und beschleunigte den Wagen.

»Das bezweifle ich. Bilder solcher Fröhlichkeit machen mich froh, weil ich fühle, wie gern die Menschen die schöne Welt genießen. Es ist doch wirklich schön, dass sie die Möglichkeit dazu haben.«

»Sie sollen das gefälligst dort tun, wo sie niemanden belästigen.«

»Wo denn?«

»Na, in ihrem Garten!«

»Und wenn sie keinen haben?«

»Sind sie selbst dran schuld. — Hast du ein Feuerzeug?«

»Nein.«

Er suchte in seinen Taschen herum, aber er fand seines nicht. Dass der Zigarettenanzünder des Wagens defekt war, hatte er schon herausgefunden. Inzwischen hatten sie den Ausläufer des Waldes erreicht, der bis dicht an die Straße herantrat. Auch hier standen viele Fahrzeuge. Günther Henschel hielt an.

»Was ist, Günther? Willst du auch auf die Sommerwiese?«, spöttelte sie.

»Du scheinst nicht zu wissen, mit wem du sprichst!«, wies er sie zurecht, zog eine Zigarette hervor und stieg aus. »Einer von den Kaffern soll mir Feuer geben!«

Er stampfte davon. Sabine sah ihm wütend nach. Er schimpfte auf diese Menschen, aber er brauchte sie, sogar für die lächerlichsten Dienstleistungen. Seine Arroganz war kaum zu überbieten. Sogar Sabine gegenüber.

Sie sah, wie Günther Henschel lässig einen jungen Mann zu sich winkte.

Der andere kam heran, und als Günther ihm bedeutet hatte, was er wollte, griff der andere bereitwillig in die Tasche. Der junge Mann bot Günther sogar die ganze Schachtel Streichhölzer an. Er sagte etwas und lachte dabei. Günther nahm die Schachtel und drehte sich wortlos um.

Er hatte sich nicht einmal bedankt! Als Sabine das sah, kochte es in ihr. Günther kam sich so fein, so vornehm, so erlesen und erhaben vor, aber seine Manieren waren die eines Halbwilden. Sie schämte sich für ihn, und als sie sah, dass der junge Mann kopfschüttelnd hinter Günther dreinschaute, dachte sie plötzlich, dass der freundliche Spender vielleicht gar im Werk ihres Vaters arbeitete und sie, Sabine, kannte. Was würde er denken, wenn er sah, dass der Flegel zur Tochter des Chefs in den Wagen stieg?

Sabine errötete. Und dann handelte sie blitzschnell. Günther war noch zehn Meter vom Wagen entfernt, als sie hinter das Lenkrad rutschte. Sie löste die Bremse, legte den Gang ein und fuhr davon.

»Sabine! He! Das ist ein schlechter Scherz!«, rief Günther hinter ihr her und begann zu laufen.

Verdattert blieb er stehen, als er bemerkte, dass sie den Wagen nicht mehr anhielt.

»Sabine! Bist du verrückt?«

Aber sie hörte ihn nicht mehr. Sie war schon über die Kuppe des bewaldeten Berges hinweg. Die Straße führte abwärts, der Wagen begann rascher zu laufen.

»Das geschieht dir recht, du eingebildeter Pinsel!«, rief sie, obwohl niemand sie hören konnte. Und sie stellte sich vor, was Günther nun tun würde: allein gelassen, ohne Wagen, mitten unter jenen Leuten, die er für minderwertig hielt, die ihn anwiderten.

Die Vorstellung erheiterte Sabine sehr. Plötzlich fühlte sie sich frei und fröhlich. Ihr war, als sei ein Druck von ihr genommen, der ihr zuvor fast die Luft abgedrückt hätte.

Um Günther brauchte sie sich keine Sorgen zu machen. Der fand schon einen Weg, wie er heimkam. Mit Geld erreichte er sicherlich, dass jemand ihn in die Stadt mitnahm. Geld spielte bei Günther keine Rolle.

»Günther ist für den Rest des Tages beschäftigt«, lachte Sabine und klopfte auf das Lenkrad. »Aber was fangen wir beiden Hübschen jetzt an?«, fragte sie ihren Wagen.

Der Wagen brummte vor sich hin und ließ die Straße unter sich hinweg laufen.

»Du freust dich auch, dass wir ihn los sind, nicht wahr? Antworte, wenn Frauchen mit dir spricht. Einmal Hupen heißt nein, zweimal Hupen heißt ja. Also: Freust du dich oder nicht?«

Sie hupte zweimal.

»Das habe ich mir gleich gedacht!«, lachte sie und zog den Wagen in eine sanfte Kurve.

***

Der Stamm des Baumes war fort, irgendwann abtransportiert, aber unmittelbar am Ufer des Flusses ragte der halb herausgerissene Wurzelstock mit seinen dürren Fingern in die Höhe. Drei Kinder turnten darauf herum.

Ein Junge, vielleicht acht oder neun Jahre alt, kletterte auf den Stock hinauf. Manchmal rutsche er ab, wenn trockenes Erdreich zwischen den Wurzelsträngen losbrach. Aber er klammerte sich fest, und bald hatte er die Höhe des sonderbaren Gebildes erreicht.

»Ich bin der Kaiser!«, rief er und blickte triumphierend zu seinen beiden Spielgenossen hinab.

Das Mädchen kümmerte sich nicht viel darum, aber der andere Junge drohte mit den Fäusten. Und gleich darauf begann auch er, sich an den Wurzeln hochzuziehen.

»Hier kommt keiner mehr herauf!«, verkündete der andere, der oben stand.

Als die Hände seines Kameraden näher kamen, trat er nach ihnen. Daraufhin änderte der andere seine Richtung. Er kletterte seitwärts hinaus, und plötzlich hing er im Wurzelwerk, frei über dem träge dahin gleitenden Wasser schwebend. Wieder bemühte er sich, weiter hinaufzugelangen.

In diesem Moment spazierte Sabine Fabian um eine Buschgruppe herum. Sie schaute zum Ufer hinunter, und da sah sie das gefährliche Spiel der Kinder.

Sie stockte. Der Junge, der oben stand, tastete sich an den Wurzeln seitwärts hinaus, und nun trat er abermals nach dem anderen. Der andere rutschte ein bisschen ab, aber er konnte sich halten. Erde rieselte herunter und fiel ins Wasser.

Sabine lief über das Gras hinunter.

»Kinder, wollt ihr wohl sofort herunterkommen!«, rief sie, als sie den Wurzelstock erreicht hatte.

»Der darf hier nicht ›rauf!«, rief der Erstbezwinger zurück. Und wieder trat er nach dem anderen.

Er tat es so heftig, dass das Wurzelwerk unter ihm nachgab. Der Junge schwankte, seine Hände griffen ins Leere, seine Beine zappelten. Er fand keinen Halt, und dann rutschte er von einem Augenblick zum anderen herunter. Er prallte auf den Jungen, der unter ihm war, und beide klatschten ins Wasser. Erde und gebrochene Wurzeln schlugen über und neben ihnen nieder.

Sabine dachte nicht mehr.

Mit ein paar schnellen Sprüngen war sie am Ufer, sie warf die Schuhe von den Füßen und watete hinein. Es war nicht tief. Sie bekam einen der Jungen zu fassen und zerrte ihn empor. Sie schaute sich nach dem zweiten um, aber da sah sie, dass der schon an den Händen eines Fremden zappelte.

»Lassen Sie mich los!«, rief der Junge, den sie erfasst hatte.

Sabine dachte nicht daran, sie zog den Jungen mit sich, bis sie auf festem Boden waren. Er war klitschnass, mit nassem Erdreich beschmiert. Das Mädchen stand daneben und weinte.

»Wie könnt ihr nur solch einen Unsinn anstellen!«, fuhr sie den Jungen an. Er wollte sich von ihr befreien, aber es gelang ihm nicht.

Sabine hörte, wie der Fremde dem von ihm geretteten Jungen ebenfalls eine Standpauke hielt.

»Und jetzt fort mit euch, sonst gibt es noch etwas aus der Armkasse!«, schimpfte er laut.

Die drei Kinder stoben davon. Sabine und der Fremde schauten ihnen nach. Zwischendurch warf Sabine verstohlene Blicke auf den ihr unbekannten Mann.

Ein nettes, offenes Gesicht, es wirkte kraftvoll, zuverlässig und vertrauenerweckend. Er hatte dichte Haare, jugendliche Augen und eine gute Haltung. Sein hellgrauer Anzug war von den Knien abwärts klatschnass.

»Sie haben es auch gesehen, nicht wahr?«, fragte Sabine Fabian und blickte an sich hinab. Ihr kniekurzes Kleid hatte die Prozedur besser überstanden.

»Von da drüben«, sagte der Mann und deutete schräg hinter sich. »Aber noch ehe ich herbeilaufen konnte, waren Sie schon hier. Sportliche Anerkennung, möchte ich sagen.«

Sie errötete ein bisschen.

»Den Kindern konnte nichts Ernstliches passieren. Das Wasser ist an dieser Stelle ziemlich flach. Ihre Hose ist ruiniert, fürchte ich.«

Er blickte hinunter, sah den Schaden und lachte.

»Die Schuhe nicht minder. Na ja, ich werde es verschmerzen. Das Wasser hätte ja auch tiefer sein können.«